Cardiff, Bristol & Swansea 01/2020

  • 01.01.2020
  • Bristol City FC – Brentford FC 0:4
  • Championship (II)
  • Ashton Gate Stadium (Att: 20.858)

Wie schon die Jahre 2018 und 2019, sollte auch das Jahr 2020 gleich mit einem Fußballspiel beginnen und deshalb ging es am 31.Dezember 2019 mal wieder auf die Insel. Der Place to be für unsere Silvesterparty hieß Cardiff. Ausflüge nach Bristol und Swansea sollten folgen, ehe der Trip am ersten Januarwochenende in Stockport und Manchester ausklang. Für diese geballte Dosis UK flog ich mit Ole am letzten Tag des Jahres 2019 von Hannover nach Heathrow, während Max bereits in Cardiff weilte. Denn er wollte am 30.Dezember unbedingt den wahrhaftigen Länderpunkt Wales eintüten. Das geht, wie schon mehrfach juristisch geklärt wurde, nicht bei Heimspielen von im englischen Ligasystem verhafteten Clubs wie Cardiff City oder Swansea City, sondern nur wenn die Football Association of Wales (FAW) oder ein in diesem Verband organisierter Club der Veranstalter eines Fußballspiels auf walisischem Boden ist.

Ein Prosit im „The Flying Chariot“

Ole und ich hatten den besagten Länderpunkt Wales schon vor Jahren eingetütet und hoben deshalb erst am Silvestermorgen um 11:20 Uhr in Hannover gen Heathrow ab (British Airways à 45 £ / 52 € p. P.). Schon 77 Minuten später stand der Airbus A320 auf angelsächsischem Asphalt (11:37 Uhr Ortszeit) und um 14:30 Uhr sollte es mit Megabus weiter nach Cardiff gehen (16 £ / 19 € p. P.). Also erstmal genug Zeit, um im Pub The Flying Chariot am Flughafen ein paar Pints zu ordern und einen kleinen Mittagssnack zu genießen. Dann kam am Busbahnhof von Heathrow ein bisschen Spannung auf, weil unser Bus nicht auf der digitalen Abfahrtstafel vermerkt war. Doch der „Phamtombus“ tauchte gegen 14:30 Uhr tatsächlich auf.

Meine Betten für die ersten drei Nächte

Die Hauptstadt von Wales (364.000 Einwohner) wurde planmäßig um 17:45 Uhr erreicht und erstes Ziel war natürlich das gebuchte Ibis Budget (**), in welchem Oles Zimmerpartner Max uns bereits mit eiskaltem Carling erwartete. Wir hatten dort zwei Doppelzimmer für umgerechnet 35 € pro Nacht gebucht, was dann selbst für mich als Einzelnutzer sehr günstig war. Geringe Kosten für Logis bedeutenden mehr Budget für Kost. Daher ging es nach dem Check-in schnurstracks zum Pub The Central Bar, wo wir doch tatsächlich auf bekannte Gesichter trafen. Bega, Miri, der stille Flo und der Ananasmann waren ebenfalls in Cardiff und hatten – exklusive dem dafür zu besoffenen Ananasmann – am Vortag wie Max den LP Wales „weggescheppert“.

Einige wenige leichte Biere

Im Pub wurden nach freudiger Begrüßung diverse Speisen geordert und an Pintgebinden mit Ale oder Cider mangelte es ebenfalls nicht. Flo und Max waren sogar so mutig das Currygericht Y Ddraig Fflamllyd (The Flaming Dragon) zu probieren. „Schneppe, du hast das doch schon mal gegessen? Wie scharf ist das?“ „Puh, mit zeitlichem Abstand neigt man ja gerne zu Übertreibungen, aber ich glaube das ist das schärfste Curry, was ich je gegessen habe.“ „Schärfer als die Zapiekanka in Katowice?“ „Oh nee, stimmt. Die waren noch ’ne Ecke schärfer.“ „Na dann ist das Curry vielleicht doch gar nicht so schlimm, Attacke!“ Beide bekamen anschließend eine feuerrote Gesichtsfärbung und viel Schweiß tropfte auf das Furnier unserer Speisetafel.

Mixed Grill (Extended Version with additional Black Pudding, Buttermilk Chicken & six beer-battered Onion Rings)

Diesbezüglich hatte ich mit meinem Mixed Grill (Extended Version) weniger Sorgen (12.95 £ / 15 € inklusive einem Guinness). Weil die Augen jedoch wieder mal größer als der Appetit waren, überließ ich dem Ananasmann meine Reste. Im Duktus eines Peter-Maffay-Imitators äußerte unser magyarischer Freund „Ich finde nicht gut, wenn Essen weggeschmissen wird“. Natürlich eine löbliche Einstellung. Außerdem schmeckte ihm das Gereichte so gut, dass er sich gleich selbst einen großen Grillteller nachorderte. Blöd, dass er den nun nicht mehr ganz schaffte und am Ende doch Nahrungsmittel weggeworfen werden mussten. Nebenbei outete er sich noch als Fan von Schneppe Tours. Sein Lieblingsbericht ist natürlich jener, in dem er bereits einen prominenten Auftritt hatte. Bei der gemeinsamen Schadensregulierung einer niederländischen Wohnungstür im Nachgang dieser Tour schienen er und Bega schließlich so etwas wie Freunde geworden zu sein. Barátság!

Welcome to Cardiff Winter Wonderland

Gegen 22:30 Uhr machten wir uns dann auf zur nahen Town Hall. Vor jener war ein Winter Wonderland errichtet worden. Halb Weihnachtsmarkt, halb Jahrmarkt. In einer Après Ski Hütte gönnten wir uns weitere Pints, ehe um 23:45 Uhr Position auf der Straße für das öffentliche Feuerwerk bezogen wurde. Im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland ist bekanntermaßen Privatfeuerwerk an Silvester untersagt und die Städte und Gemeinden bieten den Menschen stattdessen professionelle Höhenfeuerwerke. Ich wiederhole nochmal mein aus den letzten Silvesterberichten bekanntes Credo: Die britische Lösung gefällt mir deutlich besser als die deutsche Variante. Es ist schöner anzusehen, es ist sicher, es ist besser für die Haustiere, die Feinstaubbelastung ist niedriger und auch das Müllproblem der Silvesternacht ist so deutlich moderater.

Happy New Year

Nach dem Feuerwerk wollten wir natürlich wieder irgendwo zum Feiern einkehren. Wir wären zwar in Begleitung von Flo wahrscheinlich überall reingekommen (der hatte für diesen Festtag feinste Abendgarderobe angelegt), aber entschieden uns letztlich doch für den erstbesten Laden. Das Obergeschoss des Pubs Owain Glyndwr war zum Tanzschuppen umfunktioniert worden und Eintritt wurde erfreulicherweise nicht erhoben. Doch ausgerechnet Flo blieb zunächst an den Türstehern hängen. Sie hatten wohl vermutet, dass es sich um einen Minderjährigen handelte, der sich mit Anzug und Krawatte auf älter trimmen wollte. Der Bundespersonalausweis konnte diesen Verdacht jedoch schnell ausräumen und wenig später konnten wir mit Ale und Jägerbombs zünftig auf das neue Jahr anstoßen. Das erste Gedeck natürlich traditionell auf ex.

Neujahrsgedecke

Alsbald ging es noch auf die Tanzfläche, während mit dem mächtig intoxinierten Ananasmann bereits der erste Verlust im neuen Jahr zu beklagen war. Der war bettreif und bestieg gegen 1 Uhr ein Taxi zum wenige hundert Meter entfernten Hotel (sicher ist sicher). Unsererseits wurde zu Evergreens wie „Don’t Look Back in Anger“ oder „Chelsea Dagger“ fleißig weitergefeiert. Doch schon um 2 Uhr ging das Licht an und die Musik aus. Das war blöd, hatten wir doch auf 3 oder 4 Uhr als Rauswurfzeit spekuliert. Wir wollten nun noch weiterziehen, aber die anderen Läden, die erst um 3 Uhr dicht gemacht hätten (u. a. Walkabout, Retro und Popworld), ließen kurz vor Toreschluss niemanden mehr rein. Tja, ging es halt nur noch kurz für einen frittierten Snack in die Caroline Street (auch Chip Alley genannt) und bereits um 2:45 Uhr ins Bett.

In der Caroline Street nachts um halb 3…

Weil das Zechen in der Silvesternacht so abrupt endete, kamen wir am Neujahrsmorgen ausgezeichnet aus dem Bett. Kein Vergleich zum Vorjahr in London… (und diesmal auch keine spontanen Untermieterinnen). 9:30 Uhr schnappten wir uns noch Tea with milk to go in der Hotellobby und spazierten gemütlich zur Bushaltestelle von Megabus, um 9:55 Uhr nach Bristol zu düsen (3 £ p. P.). Exakt 60 Minuten später betraten wir unweit des zentralen Verkehrskreisels The Bearpit den Boden der englischen 465.000-Einwohner-Stadt (nebenbei seit 1947 Partnerstadt von Hannover). Die andere Reisegruppe konnte übrigens ausschlafen, weil sie für ihren Neujahrskick lediglich ins 20 km von Cardiff entfernte Newport mussten (für mich ein „Alter Hut“ und deshalb nicht so interessant). Der Ananasmann schaffte es trotzdem nicht rechtzeitig aus seinem Koma und verpasste auch dieses Fußballspiel. Man kann ihm vieles vorwerfen, aber Groundhopper ist er wenigstens keiner.

Schön, dass wir dagegen alle so fit waren. Denn für Bristol hatte ich einiges an Sightseeing in unsere vier Stunden Zeitfenster bis zum Anpfiff der heutigen Fußballpartie gepackt. Schließlich kann die Stadt auf eine sehr lange und bewegte Geschichte zurückblicken und obendrein hat sie sich in jüngster Vergangenheit zu einer riesigen Streetart Gallery entwickelt, woran ein berühmter Sohn der Stadt natürlich seinen Anteil hat. Banksy ist aus Bristol und legte den Grundstein für eine kregele Szene an der Severnmündung. So erspähten wir bereits zahlreiche großflächige Kunstwerke auf dem Weg von der Bushaltestelle zum für das Frühstück auserkorenen Pub im historischen Stadtzentrum.

Mein Neujahrsfrühstück

Mit ersten Impressionen beladen, kehrten wir gegen 11:30 Uhr die The Commercial Rooms ein. Dies ist ein Pub der Kette Wetherspoon’s, der in einem ehemaligen Clubhaus für die Kaufleute der Stadt installiert wurde (Baujahr 1810). Ole und ich stellten uns jeder ein großes englisches Frühstück individuell zusammen (bei mir 8.29 £ / 9,70 € inklusive Kaffeespezialitäten ohne Limit), während Max die vegetarische Variante mit Würstchen aus Quorn bestellte (und natürlich auf Frühstücksschinken und den schmackhaften Black Pudding verzichten musste). Der Free Refill am Kaffeevollautomaten wurde nebenbei rege genutzt und kurz nach 12 Uhr konnte die Stadterkundung mit neuer Energie fortgesetzt werden.

St James‘ Priory (est. 1129)

Bristol wurde um das Jahr 1000 gegründet und fiel im Jahr 1066 wie ganz England unter normannische Herrschaft. Die neuen Herren errichteten hier eine der größten Burgen des Landes, von der heute aber nur noch rudimentäre Reste im Bereich des Castle Park zu entdecken sind. Die dortige Spurensuche musste ich aus Zeitmangel ausfallen lassen, stattdessen widmeten wir uns einigen sakralen Bauwerken aus der Zeit nach der normannischen Eroberung. Schon kurz nach dem Ausstieg aus dem Bus hatten wir einen Blick auf das ehemalige Benediktinerkloster St James‘ Priory (1129 gegründet) geworfen und nun war die prunkvolle Kirche St Mary Redcliffe dran (deren Bau im 12.Jahrhundert begonnen, jedoch erst im 15.Jahrhundert vollendet wurde).

St Mary Redcliffe (12. bis 15.Jahrhundert erbaut)

Ein weiterer sakraler Höhepunkt unseres Stadtrundgangs war wenig später die Bristol Cathedral (1148 geweiht). Diese Kathedrale war ursprünglich die Abteikirche eines Augustinerklosters, welches der reiche Baron Robert Fitzharding 1140 stiftete. Von der Abtei ist außerdem noch das Torhaus von 1170 sehr gut erhalten und bildet mit der Kathedrale ein schönes Ensemble. Zur Kathedrale wurde die Kirche schließlich 1542 erhoben, als König Heinrich VIII. das Bistum Bristol schuf.

The Great Gatehouse & Bristol Cathedral

Kleiner Einschub: Nach der von Heinrich vorangetriebenen englischen Reformation (Suprematsakte von 1534) war der König auch Oberhaupt der Kirche und somit für die Ernennung von Bischöfen und die Gründung von Bistümern zuständig. Zur Reformation und Lossagung von der römischen Kirche kam es, weil der Papst die Ehe von Heinrich mit Katharina von Aragon nach 23 Ehejahren nicht annullieren wollte. Nun war der Weg frei für eine zweite Ehe Heinrichs und weil er es jetzt ja konnte, heiratete er bis zu seinem Tode 1547 noch vier weitere Male. Die Schicksale der insgesamt sechs Ehefrauen haben wir früher in der Schule mit dem Merksatz „Divorced, Beheaded, Died, Divorced, Beheaded, Survived“ gelernt (zu deutsch: Geschieden, Geköpft, Gestorben, Geschieden, Geköpft, Überlebt).

Seitenansicht der Kathedrale

Doch zurück zur Geschichte Bristols; denn zwischen dem 11. und 16.Jahrhundert hatte sich die Stadt an der Mündung des Severn in den Atlantik zu einer der wichtigsten Hafenstädte des Landes gemausert. Besonders durch den Handel mit Irland und Nordeuropa florierte Bristol seinerzeit und war nach London und York die drittgrößte Stadt im mittelalterlichen England. Auch im Schiffsbau gehörte Bristol zu den führenden Standorten. So wundert es nicht, dass Bristol der Ausgangspunkt einiger britischer Entdeckungsreisen im 15.Jahrhundert war. Den größten Nachhall hat dabei die Atlantiküberquerung John Cabots im Jahre 1497 erzeugt. Wie schon Christophorus Columbus anno 1492, war Cabot der Meinung man könne westwärts den Seeweg nach Indien entdecken. Doch statt Asien, erreichte er die Küste Nordamerikas und war nach den Wikingern im 11.Jahrhundert der erste Europäer dort. Cabot – übrigens wie Columbus Italiener (wahrscheinlich auch Genueser) und dort als Giovanni Caboto in den Geschichtsbüchern – wird in Bristol u. a. mit dem Cabot Tower geehrt, der 400 Jahre nach seiner Entdeckungsfahrt auf einem Hügel der Stadt, dem Brandon Hill, eröffnet wurde.

Unterwegs in den Altstadtgassen Bristols

Die Wiederentdeckung Nordamerikas hatte zwar für England und Bristol keine unmittelbaren Auswirkungen, doch wurde Cabots Überfahrt später verwendet, um Ansprüche der englischen Krone in Nordamerika zu begründen. Im späten 16.Jahrhundert begann schließlich die britische Kolonisierung des Kontinents (erste Inbesitznahme war Neufundland 1583 und erste echte Kolonie war Jamestown im heutigen US-Bundesstaat Virginia ab 1607) und Bristol wurde ein wichtiger Hafen für den wirtschaftlichen Austausch mit den Kolonien. Das machte die Kaufleute der Stadt sehr wohlhabend. Im 18.Jahrhundert wurde Bristol schließlich nach Liverpool zum größten Drehkreuz des lukrativen britischen Sklavenhandels zwischen Afrika und Amerika. Das machte die hiesigen Kaufleute noch wohlhabender.

Viele Bauwerke künden noch heute vom einstigen Reichtum

Als 1807 der Sklavenhandel verboten wurde, gab es zunächst einen kleinen Knick in der Konjunktur. Doch mit der Industrialisierung bahnte sich schon das nächste große Ding für die Kapitalisten der Stadt an. Besondere Bedeutung für Bristol hatte dabei im 19.Jahrhundert ein Ingenieur namens Isambard Kingdom Brunel. Der wurde bereits 1826 als Zwanzigjähriger leitender Ingenieur beim Bau des Themsetunnels in London. 1831 wurde er dann mit der Modernisierung der Bristoler Docks betraut und wenig später (1838) bekam Bristol einen Eisenbahnanschluss durch die ebenfalls von Brunel geplante Great Western Main Line (GWML). Dabei entwarf Brunel auch den wunderschönen Bahnhof Bristol Temple Meads, der 1840 eröffnet wurde (übrigens der älteste noch bestehende Hauptbahnhof der Welt). Überhaupt ist die GWML ein Meisterwerk in Sachen Verknüpfung von Technik und Ästhetik. Sie führt von London Paddington durch schöne Landschaften nach Bristol und etliche Bahnhöfe und Viadukte sind Listed Buildings.

The Commercial Rooms von 1810

Mit der SS Great Western und der SS Great Britain entwarf der umtriebige Brunel außerdem zwei technisch bahnbrechende Dampfschiffe für den Transatlantikverkehr, die 1837 bzw. 1843 in Bristol vom Stapel liefen. Die SS Great Britain liegt heute als Museumsschiff im originalen Baudock und ist eine der beliebtesten Touristenattraktionen der Stadt. Noch beliebter ist wahrscheinlich nur ein weiteres Meisterwerk, welches Brunel Bristol schenkte. Nämlich die Clifton Suspension Bridge. Zu dieser spazierten wir heute natürlich auch und querten dabei den sehenswerten Stadtbezirk Clifton mit reizender Hanglage. Dort kann man tolle Architektur des 19.Jahrhunderts wie die viktorianischen Terrassen von Clifton Wood bewundern und am Ende des Aufstiegs wartet besagte Brücke als der Mühe Lohn.

Royal York Crescent (390 Meter lange sichelförmige Terrasse in Clifton)

Jene Clifton Suspension Bridge ist eine Kettenbrücke und überspannt den Fluss Avon (Nebenfluss des Severn) in 75 Metern Höhe. Bereits 1830 hatte Brunels Entwurf die Ausschreibung für eine Brücke über die Avon Gorge gewonnen, doch die Fertigstellung des 1864 eröffneten Bauwerks erlebte der 1859 verstorbene Ingenieur nicht mehr. Um schöne Bilder von Brunels Meisterwerk zu knipsen, erklommen wir nun nochmal den Hügel oberhalb der Brückenkonstruktion. Auf jenem befindet sich die hiesige Sternwarte und es scheint zur neuen Tradition zu werden, dass ich am Neujahrstag auf irgendwelche Hügel mit Observatorien marschiere.

The Clifton Suspension Bridge über der Schlucht des Flusses Avon

Bristol ging also als moderne und wohlhabende Stadt ins 20.Jahrhundert. Die Einwohnerzahl lag 1901 bei über 330.000 und 1909 bekam die Stadt endlich eine Universität (an der gegenwärtig knapp 25.000 Studierende eingeschrieben sind). Die Gründung der University of Bristol wurde erheblich von der Tabakunternehmerfamilie Wills gefördert und Henry Overton Wills III. wurde der erste Kanzler der Hochschule. Die neogotischen Universitätsgebäude orientieren sich stark an der spätgotischen Architektur der berühmten Pendants in Oxford und Cambridge. Besonders das Wills Memorial Building (zwischen 1915 und 1925 erbaut), mit dem 68 Meter hohen Wills Tower, sticht hervor.

Blick hinauf zum Wills Tower

Im Zweiten Weltkrieg (1939 – 1945) wurde die Stadt leider mehrmals von der deutschen Luftwaffe bombardiert. Hauptziel waren natürlich die Docks und die Industrieanlagen, doch die innerstädtischen Wohngebiete wurden ebenso gezielt zerstört. Ungefähr 100.000 Gebäude wurden dabei beschädigt (ca. 3.000 Totalverluste). Man restaurierte Teile der Altstadt originalgetreu, während andere Viertel der Nachkriegsbebauung wichen. So entstand der moderne Einkaufsdistrikt Broadmead und die Gegend um die Ruine der mittelalterlichen Burg wurde zu einem großem Park umgestaltet. Lediglich zwei ausgebombte Kirchen, St Mary le Port Church und St Peter’s Church,  beließ man als Mahnmal im Castle Park (einen Besuch der Ruinen würde ich aber nur bedingt empfehlen, da die lokale Rauschgiftszene sich hier tagtäglich tummelt).

City Hall (zwischen 1938 und 1952 gebaut, unterbrochen vom Zweiten Weltkrieg)

Heute gilt Bristol als heimliche Kulturhauptstadt Englands. Erst platzierten Künstler wie Massive Attack, Portishead und Roni Size die Stadt in den 1990er Jahren auf der internationalen Musiklandkarte und im neuen Jahrtausend setzte schließlich der bereits erwähnte Streetartboom ein. Mit der North Street, nahe des Ashton Gate Stadium, inspizierten wir vor’m heutigen Fußballspiel noch ein weiteres Streetart-Epizentrum der Stadt. In jener Straße findet seit 2008 jährlich das Upfest statt. Europas größtes Festival für urbane Kunst, bei dem jedes Jahr riesige Murals an den Fassaden entstehen und langfristig das Stadtbild bereichern.

14:55 Uhr passierten wir schließlich die Drehkreuze des Stadions und setzten uns nun zwangsläufig mit der Fußballtradition Bristols auseinander. Für eine Stadt mit fast einer halben Million Einwohnern sind Sternstunden überraschend rar gesät. Weder der heute besuchte Bristol City FC, noch der Stadtrivale Rovers FC hat einen großen Titel in der Vereinschronik vermerkt. Während die Rovers sogar noch nie erstklassig waren, spielte City auch lediglich von 1906 bis 1911 und von 1976 bis 1980 in der Beletage des englischen Fußballs. Der größte Erfolg des Bristol City FC ist daher prinzipiell der Gewinn des walisischen Verbandspokals (FAW Cup) im Jahre 1934. In einem rein englischen Finale besiegte man damals die Tranmere Rovers (der walisische Cup stand früher auch englischen Teams aus dem Grenzgebiet zu Wales offen, was mittlerweile gemäß UEFA-Statuten vorbei ist). Wahrscheinlich werten die Fans von City aber die englische Vizemeisterschaft von 1907 und die Finalteilnahme im FA Cup anno 1909 höher.

Welcome to Ashton Gate Stadium

Vor über 110 Jahren war man also für kurze Zeit eine große Nummer im englischen Fußball. Der zweite Versuch sich in der nationalen Spitze festzusetzen, scheiterte dagegen dramatisch. Wie erwähnt, war man von 1976 bis 1980 nochmal vier Jahre erstklassig. Doch auf den Abstieg von 1980 folgten zwei weitere Abstiege in den Sommern ’81 und ’82. Plötzlich war man nur noch viertklassig und außerdem bankrott. Eine neue Gesellschaft (BCFC 1982 plc.) wurde gegründet und übernahm vom Bristol City FC die Lizenz und die Spielerkontrakte. Allerdings hatte der neue BCFC nur eine Überlebenschance, wenn acht noch mit Verträgen aus Erstligatagen ausgestattete Spieler von der Payroll verschwinden würden. In Summe ging es um ca. 100.000 £. Um den Club final zu retten, lösten alle acht Kicker ihre Verträge freiwillig auf und gingen als die Ashton Gate Eight positiv in die Geschichte ein.

Kunstvolle Gestaltung der Tribünenumläufe

Seinerzeit eskalierte übrigens auch die Rivalität zu den Rovers, die Anfang der 1980er Jahre ein Stadionproblem hatten. Denn die ebenfalls chronisch klammen Rovers konnten sich die massiv erhöhte Miete für das Eastville Stadium nicht mehr leisten und brauchten nach stolzen 89 Jahren dringend eine neue Spielstätte (1940 hatten sie ihr Stadion bereits in finanzieller Not an die Bristol Greyhound Company verkauft). Das Ashton Gate Stadium war natürlich die erste Wahl. Doch als City justement seine Insolvenz überwunden hatte, wollte man unter keinen Umständen das Stadion mit dem Ortsrivalen teilen, welchen man eh als Stolperstein der eigenen Entwicklung betrachtete und zugleich befürchtete, dass die Rovers langfristig die Nr. 1 in Bristol werden könnten. Den Rovers blieb daher nur der Gang ins Exil nach Bath in den Twerton Park. Diese Vertreibung aus der eigenen Stadt nimmt man dem BCFC bis heute sehr übel und als 1990 Fanatiker von City auch noch die Haupttribüne in Bath niederbrannten, war der Hass am Klimax angelangt. Spätestens seit den 1990er Jahren zählt das Bristol Derby zu den brisantesten auf der Insel.

Das Away End am heutigen Nachmittag

Doch nun zum heutigen Geschehen; mit dem Brentford FC kam ein wenig brisanter Gegner ins Ashton Gate Stadium. Die Westlondoner hatten allerdings eine quantitativ ordentliche Fanschar mobilisiert und überhaupt war das Stadion mit 20.858 Zuschauern nicht schlecht besucht. Wir saßen auf der Gegengerade, nahe der Gästetribüne, wofür 31 £ (ca. 36 €) fällig wurden. War kein Schnäppchen, aber dafür gab es wenigstens einen munteren Kick zu sehen, bei dem Brentford bereits in der 6.Minute durch Bryan Mbeuno in Führung ging. 10.Saisontor für den 20jährigen Franzosen, der im vergangenen Sommer aus Troyes für geschätzt 6,5 Mio € Ablöse zu den Londonern stieß. Der Gästeanhang wurde nun erstmals laut und in der 10.Minute war das ganze Stadion erregt. Bristols Ashley Williams (langjähriger Nationalmannschaftskapitän von Wales) geriet mit seinem Gegenspieler Ollie Watkins aneinander. Es wurde sich am Kragen gepackt, gerangelt und Stirn an Stirn schien man verbale Nettigkeiten auszutauschen. Beide Spieler sahen nun die Gelbe Karte, doch mindestens bei Williams wollte sich das Gemüt nicht wieder abkühlen. Drei Minuten später senste er Watkins nochmal von hinten um und durfte mit glatt Rot duschen gehen.

Schickes Ding, dieses Ashton Gate Stadium

In Überzahl wurde es für die Gäste relativ einfach das Spiel zu kontrollieren. Zumal ihr Offensivmann Saïd Benrahma heute glänzend aufgelegt war und in der 26.Minute das 0:2 besorgte. Damit ging es auch in die Pause, welche wir bereits in der 40.Minute begonnen hatten und erst 10 Minuten nach Wiederanpfiff beendeten. So waren für jeden zwei Pints drin und bekanntermaßen darf man in britischen Stadien keinen Alkohol auf den Rängen konsumieren. Viel verpasst haben wir nicht, da Brentford klug das Spiel verwaltete und erst in der Schlussphase nochmal aufdrehte. Ollie Watkins sendete mit einem Doppelpack in der 82. und 90.Minute (die Saisontore Nr. 16 und 17) nochmal Grüße an Ashley Williams. Aber Man of the Match war trotzdem Benrahma, der an nahezu jedem Brentford-Angriff beteiligt war, feine Pässe spielte und außerdem ein paar technische Finessen zeigte (z. B. einen formvollendeten Okocha-Trick in der 87.Minute).

Die Haupttribüne des Ashton Gate Stadium

Der Bristol City FC, der sich vor wenigen Wochen als Vierter im Aufstiegsrennen wähnte, hat nun fünf der letzten sechs Ligaspiele verloren und startet als Elfter in die Rückserie. Brentford ist dagegen sehr gut in Form und klettert mit dem heutigen Sieg auf den 3.Platz. Letztlich haben sie aber auch „nur“ fünf Zähler mehr auf dem Konto als Bristol City und 20 Spieltage stehen noch aus, so dass der Kampf um den Aufstieg bzw. um die Tickets für die Aufstiegsrunde sicher noch lange spannend bleibt. Dennoch herrschte nach dem Debakel natürlich keine besonders gute Stimmung im erstbesten Pub am Stadion. Deshalb blieben wir lediglich auf eine Pintlänge im The Rising Sun (einer dieser Pubs, die Gästefans meiden sollten) und organisierten uns ein Uber für den Transfer in die Innenstadt.

The Llandoger Trow (bereits am Mittag geknipst)

Zielsetzung war bis zur Busabfahrt in zwei Stunden noch zwei, drei historische Pubs in Bristols Altstadt aufzusuchen. Allerdings hatten an Neujahr viele Lokale ganztägig geschlossen. So z. B. The Llandoger Trow (ein Pub von 1664), den wir als erstes anpeilten. In dieser urigen Fachwerkschänke sollen die Geschichten des Seemanns Alexander Selkirks dereinst Daniel Defoe zu seinem Roman Robinson Crusoe inspiriert haben. Außerdem fand Robert Louis Stevenson hier Ideen für sein Werk Treasure Island (Die Schatzinsel). Wir mussten uns nun notgedrungen unseren neuen kreativen Input im nahen King William Ale House holen. Mit dem Baujahr 1670 darf dieses Gemäuer auf eine fast so lange Historie wie The Llandoger Trow zurückblicken. Allerdings wurde das Gebäude nicht durchgehend als Gasthaus genutzt, sondern war zunächst eine Art Frauenhaus. Gemütlich war es trotzdem und wir gönnten uns ’ne Runde Samuel Smith’s Double Four Lager (2.90 £ / 3,40 €).

King William Ale House (ebenfalls ein Foto vom mittäglichen Stadtrundgang)

Gegen 19 Uhr wollten wir gern noch einen weiteren Pub von meiner langen Liste inspizieren, aber The Crown, The Cornubia und Ye Shakespeare hatten auch alle geschlossen. Zwangsläufig ging es nochmal in die Commercial Rooms. Diesbezüglich ist auf die Kette Wetherspoon’s Verlass, die kennen keine Ruhetage. So rasteten wir hier noch eine gute halbe Stunde und ich genoss ein arg röstkaffeeartiges Stout mit Vanillenote namens Great Western Black Flower (2.59 £ / 3 €). Den ganzen Abend könnte ich das nicht trinken, aber es schmeckte durchaus interessant.

Inside The Commercial Rooms

19:55 Uhr war schließlich Abfahrt (9 £ p. P., wieder Megabus) und gegen 21 Uhr erreichten wir Cardiff. Auch dort war wenig auf den Straßen los und viele Lokale hatten ihre Pforten geschlossen. Die Rummer Tavern bildete eine der Ausnahmen und so gab es dort das nächste Ale des Tages. Gegen 21:30 Uhr wechselten wir allerdings in den Wetherspoon’s Pub The Gatekeeper, da Max und Ole noch ein Abendessen begehrten. Ich war komischerweise nicht hungrig, staunte aber gemeinsam mit den beiden Essern über den fast komplett leeren Pub. Von geschätzt 100 Tischen auf zwei Etagen waren lediglich vier besetzt. Gut, 1.Januar halt.

Peaky Blinders Mural in Cardiff

Nach dem verspäteten Abendessen ging es zeitnah zu Bette und so waren wir am 2.Januar abermals topfit. Weil ich beim Abendessen ausgesetzt hatte, drängte ich nun sofort auf Frühstück und wollte dazu in einen sehr guten Greasy Spoon in der Nähe der Universität. Doch das Ramon’s gönnte sich noch eine Auszeit bis zum 3.Januar und die beiden weiteren Frühstückslokale in der Nachbarschaft hatten ebenfalls dicht. Verdammt! Ein 08/15-Frühstück in einem Wetherspoon’s musste echt nicht schon wieder sein, aber beim Durchstreifen der Innenstadt Cardiffs mangelte es am heutigen Morgen an Alternativen.

The Castle Arcade (1887)

Wir schauten mal kurz beim Cardiff Castle vorbei, spazierten durch die wunderschönen viktorianischen Arkaden der Innenstadt und flanierten über die zentrale St Mary’s Street, doch kaum ein Lokal hatte geöffnet. Zum Glück ging die Tür vom The Brewhouse auf. War zwar kein Gast drin und Handwerker renovierten einen Teil der Decke, aber die anwesende Bardame meinte ab 10 Uhr gibt es Frühstück. Wie gut, dass es bereits 9:45 Uhr war. Wir bekamen schon mal Tee und Kaffee und um Punkt 10 Uhr wurde Deftiges geordert.

Ich hatte heute mal ein vegetarisches Frühstück (5 £). Keine Angst, Max hatte nicht missioniert. Allerdings wurde das Veggie Brekkie mit Glamorgan Sausages (quasi Käse-Lauch-Kroketten) serviert und ich liebe diese Dinger einfach. Ole blieb traditionell mit einem Large English Breakfast (7 £) und Max gönnte sich die vegetarische Variante der Eggs Benedict (5 £, mit Pilzen anstatt Schinken). Sehr schön war auch, dass alles mit Fried bread serviert wurde und weil ein Heißgetränk pro Frühstück inklusive war, konnte man über den Preis nicht meckern. Definitiv besser als bei Wetherspoon’s.

Veggie Brekkie at The Brewhouse

Nach der ersten Mahlzeit des Tages bot sich ein knapp zweistündiger Rundweg zur Cardiff Bay an (die Bay ist ca. 2 km Luftlinie vom Stadtzentrum entfernt). Zur Stadtgeschichte hatte ich bereits 2012 ein paar Absätze geschrieben, weshalb ich mich nicht nochmal ausufernd wiederholen möchte. Nur soviel; Cardiff geht auf ein Römerkastell aus dem 1.Jahrhundert n. Chr. zurück, an dessen Stelle nach der normannischen Eroberung ab 1081 das Castle entstand (Reste des Römerkastells sind immer noch im Mauerwerk des Castles zu erkennen). Bis ins 19.Jahrhundert blieb Cardiff ein kleiner Marktflecken, doch während der Industrialisierung stieg es zum größten Kohlehafen der Welt auf. Die reichen walisischen Kohlevorkommen wurden von hier in alle Winkel der Erde verschifft und ließen die Stadt enorm prosperieren (die Einwohnerzahl stieg zwischen 1800 und 1900 von ca. 6.000 auf über 170.000). Folgerichtig bekam man 1905 vom König den Status einer City verliehen und seit 1955 ist Cardiff auch die Hauptstadt von Wales.

The Coal Exchange at Catdiff Bay

An der von uns angesteuerten Bay investierte man in der jüngeren Vergangenheit mehrere hundert Millionen Pfund, um die nach dem Strukturwandel vor sich hindarbende Bay Area wieder neu zu entwickeln. Nun findet man dort Uferpromenaden, Freizeitangebote, Gastronomie, die futuristische Nationaloper und das walisische Parlamentsgebäude (Wales ist wie Schottland und Nordirland teilautonom). Einige historische Gebäude existieren natürlich auch noch und heute wollte ich mir endlich mal den Coal Exchange von 1888 näher anschauen. Das Gebäude wurde mehrere Jahre grundsaniert und war bei meinen bisherigen Reisen nach Cardiff immer verhüllt gewesen. Nun findet man dort ein nobles Hotel nebst Restaurant. Vor über 100 Jahren, in der Hochphase des Kohleexports, gingen hier bis zu 10.000 Menschen pro Tag ein und aus und machten Geschäfte. An dieser Börse wurden die Weltmarktpreise der Kohle festgelegt und außerdem wurde hier 1904 der erste Deal in der britischen Geschichte mit einem Volumen von über 100.000 £ abgeschlossen.

Curry No 1

Die Visite des Coal Exchange lag bereits auf dem Rückweg in die Innenstadt und gegen 13 Uhr gab es im Pub Prince of Wales das erste Curry des Tages (donnerstags ist bei Wetherspoon’s immer Curry Club, wobei diverse Currys zum Sonderpreis angeboten werden). Ich wählte Lamb Rogan Josh (Fleischstücke von der Lammschulter in einer cremigen Sauce mit Knoblauch, Chili, Ingwer und Currygewürzmischung), Ole Chicken Jalfrezi (Hähnchenbruststücke in pikanter Sauce mit Chili, Paprika und Zwiebeln) und Max hatte das vegetarische Curry (mit Süßkartoffeln, Kichererbsen und Spinat). Jedes Curry kommt mit Pilaureis, Naanbrot und Poppadums auf den Tisch und im Preis von 7.39 £ (ca. 8.60 €) ist ein Getränk inklusive. Dass lediglich mir ein Guinness serviert wurde und die anderen beiden sich mit Cola begnügten, legte erste dunkle Schleier über diesen Tag.

  • 02.02.2020
  • Swansea City AFC – Charlton Athletic FC 1:0
  • Championship (II)
  • White Rock (Att: 15.352)

Nach dem Essen fuhren wir um 13:38 Uhr nach Swansea (5.50 £ pro Person per InterCity) und 50+1 Minuten später erreichten wir den Hauptbahnhof der zweitgrößten Stadt von Wales (ca. 246.000 Einwohner). Es handelt sich zugleich um eine der strukturschwächsten Städte Großbritanniens. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, besonders unter den 16 bis 24jährigen, und viele flüchten sich in Alkohol- und Drogenkonsum. Vor über 10 Jahren veröffentlichte das Magazin Vice einen erschütternden einstündigen Dokumentarfilm über die Szene namens Swansea Love Story. Damals bewegte die Redakteure zu ihren Machwerk, dass Swansea Großbritanniens statistische Nr. 1 in Sachen Heroinkonsum und Drogentoten war. Daran hat sich trotz damaligem Aufschrei bis 2019 nichts großartig geändert (A report from Public Health Wales has revealed that drug deaths are at record levels, with fatalities from drug poisoning increasing by almost 80 % over the last decade. Swansea has the highest rate of deaths in Wales followed by neighbouring Neath Port Talbot).

Welcome to Swansea

Die Stadtgeschichte von Swansea, dessen Gemarkung bereits seit der Bronzezeit besiedelt war, beginnt im Hochmittelalter. Nach der bereits zweimal in diesem Bericht erwähnten normannischen Invasion von 1066, streckten die Normannen ihre Fühler auch nach Wales aus. Während das Hinterland vorerst nicht zu unterwerfen war, konnten sie sich an der Küste an einigen strategischen Punkten niederlassen und errichteten Burgen. Wie in Cardiff, entstand auch in Swansea eine der dutzenden Zwingburgen der neuen Herrscher. Die Gegend um Swansea bekam 1106 der normannische Adlige Henry de Beaumont als Lehen und er begann sofort mit der Errichtung von Swansea Castle. Dessen klägliche Überreste stehen heute umzingelt von modernen Gebäuden im Stadtzentrum. Es ist Swanseas einziges Grade I Listed Building (Grade I = Bauwerke von außerordentlicher, mindestens nationaler Bedeutung) und war unser erstes Ziel auf der ziemlich knappen Sights of Swansea-Liste (zum Vergleich, Cardiff verfügt über sechzehn Grade I Listed Buildings)

Swansea Castle (aus der romantischsten Perspektive)

Das Swansea Castle wurde im Mittelalter immer wieder Ziel von aufständischen Walisern und 1217 erstmals vollständig zerstört. Doch im späten 13.Jahrhundert gelang der englischen Krone die vollständige Unterwerfung von Wales und König Edward I. – sie kennen ihn vielleicht als Edward Longschanks aus Filmen wie Braveheart – errichtete zur Festigung seiner Herrschaft in ganz Wales noch massivere Burgen als die bisherigen. Festungen wie Caerphilly Castle nahe Cardiff (die größte Burganlage in Wales), Harlech Castle, Conwy Castle, Caernarfon Castle oder Beaumaris Castle enstanden neu, während bestehende Anlagen wie Swansea Castle enorm ausgebaut wurden. Nichtsdestotrotz fiel die hiesige Burg 1403 nochmal an walisische Rebellen unter Owain Glyndwr (der Typ, in dessen Pub wir das neue Jahr am Vortag begossen hatten 😉 ). Doch 1406 konnten die Engländer Swansea Castle zurückerobern und 1410 war der letzte große Aufstand der Waliser gegen die englische Okkupation endgültig niedergeschlagen.

Die Burgruine in trauter Gesellschaft des BT Towers von 1970

Mit Beginn der Neuzeit verlor die Burg ihre militärische Bedeutung und 1647 wurde sie während des englischen Bürgerkriegs (1642 – 1651) von den Truppen des Parlaments abermals zerstört, nachdem sie 1642 an die Royalisten gefallen war. Am Wiederaufbau bestand kein Interesse und die verbliebenen intakten Gebäudeteile wurden vielfältig genutzt, z. B. als Rathaus, Gefängnis, Flaschenmanufaktur und Postamt. Im 18.Jahrhundert schwang sich Swansea schließlich noch vor Cardiff zum bedeutensten Kohlehafen von Wales auf. Als Cardiff diese Rolle im 19.Jahrhundert peu à peu übernahm, entwickelte sich Swansea zu einem wichtigen Importhafen für metallische Rohstoffe aus Übersee (u. a. Kupfer aus Chile). Entsprechend siedelte sich hier eine florierende Metallindustrie an und zahlreiche Fabriken für Stahl-, Kupfer- und Blecherzeugnisse wurden aus dem Boden gestampft. Die benötigten Arbeitskräfte ließen die Stadt analog zu Cardiff binnen 100 Jahren enorm wachsen (von knapp 7.000 Einwohnern im Jahre 1800 auf rund 130.000 anno 1900).

The Crosse Keys in einem Gebäude von 1332

Im Zweiten Weltkrieg (1939 – 1945) geriet so eine bedeutende Industriestadt natürlich zwangsläufig in den Fokus des Kriegsgegners. Vorwiegend in den Kriegsjahren 1940 bis 1942 flog die deutsche Luftwaffe zahlreiche Angriffe auf die Hafenstadt. Besonders im so genannten Three Nights Blitz 1941, als die deutschen Bomberverbände drei Nächte in Folge angriffen, wurde die Stadt hart getroffen. Das fast vollständig zerstörte Stadtzentrum wurde nach Kriegsende nur langsam und selten originalgetreu wiederaufgebaut. So kam es, dass Swansea – übrigens seit 1959 Partnerstadt von Mannheim – touristisch kaum etwas zu bieten hat.

Historisierende Nachkriegsbebauung nahe des Castles

Mit dem Pub The Crosse Keys steuerten wir alsbald ein weiteres der raren historischen Bauwerke Swanseas an. Es handelt sich um ein ursprüngliches Armenhaus aus dem Jahre 1332. Ich ließ mir sogleich ein John Smith Extra Smooth ins Pintglas zapfen, während die beiden Abstinenzler Latte macchiato o. ä. schlürften. Als ich gerade meinen Pöbelreigen starten wollte, lenkte uns allerdings ein neuer Gast im Etablissement ab. Der hatte große Kopfhörer auf und spielte jetzt synchron zu seiner Musik Schlagzeug auf dem Tisch und Gitarre in der Luft. Headbanging war natürlich obligatorisch und irgendwann schwang er sogar einen Stuhl durch den Gastraum. Unheimlicher Typ, aber sicher nicht der einzige Bürger mit einer Psychose in dieser Drogenhochburg.

Swansea Marina

Nach der ersten Pubvisite in Swansea, zog es uns noch ans Wasser. Ins Maritime Quarter flossen in unter anderem aus den EU-Fördertöpfen einige Millionen zur Revitalisierung. Das Ergebnis sieht ganz ordentlich aus. Es entstanden einige moderne Wohn- und Geschäftsgebäude, wobei The Tower als höchstes Gebäude von Wales (107 m) sprichwörtlich herausragt. Dort kann man übrigens in exponierter Lage essen und trinken (ein Bar- und Restaurantbetrieb ist im obersten Stockwerk zu finden), allerdings zog es uns lieber ins historische Pumpenhaus der Hafenschleuse. Im The Pumphouse gab es sehr zu meiner Freude 30 % Nachlass auf alle Biere der Cardiffer Brauerei Brains. 2 £ für’n Brains SA waren echt ’n gutes Geschäft. Wussten meine Tee schlürfenden Freunde allerdings zunächst nicht zu schätzen und ich wurde langsam echt ungehalten. Ihren Dry January können die schließlich wie ich am 5.Januar starten und dann eben bis zum 4.Februar durchziehen.

Endlich stehen drei Pints auf dem Tisch

Zum Glück habe ich in grauer Vorzeit Pädagogik und Psychologie im Nebenfach studiert. Mit verschiedenen Ansätzen reizte ich meine Gegenüber. Irgendwann fiel Max um und kam von einem Toilettengang mit einer Runde Brains Smooth an den Tisch zurück. Ich habe natürlich sofort positive Verstärker eingesetzt und im übernächsten Pub zeigte Max beim Abendessen schon wieder von ganz alleine gewünschtes Verhalten. Doch zunächst ging es in Pub Nr. 3 des Tages; die No Sign Wine Bar in der Wind Street. Diese Straße ist Swanseas Amüsiermeile und jener Pub das urigste Lokal dort. Wir genossen jeder ein Pitchfork Golden Ale, ehe es eine Tür weiter ging.

Curry No 2

Hinter dieser Tür verbarg sich der Pub The Bank Statement. Ein großer Wetherspoon’s in der ehemaligen Niederlassung der Barclays Bank. Hier musste das zweite Curry des Tages her und ich wählte Beef Madras mit Garlic Naan, Samosa und Onion Bhaji. Dazu ein fassfrisches Guinness. Doch bevor das Mahl am Tisch serviert ward, hatte Max bereits ’ne Runde Jägerbombs organisiert. Den Bengel hatte ich also definitiv wieder im Griff. Ich goutierte sein Handeln mit einer Runde Sambuca als Digestif nach dem Essen. Ole war zwar immer noch nicht so motiviert, aber den zogen wir jetzt mit. Wie schade, dass wir wenig später schon wieder aufbrechen mussten.

Gegen 19:15 Uhr ging es per Taxi für 5 £ zur gut 3 km vom Stadtzentrum entfernten Spielstätte des Swansea City AFC (eine lohnende Investition bei strömendem Regen). Der Einlass war wie immer in UK sehr flüssig, so dass wir einige Minuten vor dem um 19:45 Uhr vollzogenen Anpfiff auf unseren Plätzen am Rand der Haupttribüne saßen. Karten hatten wir auch dieses Mal bereits im VVK erstanden (30 £ / 35 € bzw. 17.50 £ / 20,50 € für Studenten).

Willkommen im Liberty Stadium a.k.a. White Rock

Die sangesfreudigsten Fans von Swansea, die sich Jack Army nennen, standen uns gegenüber, während der Gästebereich auf der an unseren Sektor angrenzenden Hintertortribüne auszumachen war. Weil man in Swansea generell eine Abneigung gegen alle englischen Clubs hat und die Cockneys in Gästeblock natürlich zwangsläufig etwas über die Liebe der Waliser zu ihren Schafen skandierten, wurde fleißig gegeneinander gepöbelt. Das sorgte für etwas knisternde Atmosphäre und bei der allgemeinen Pöbellaune der Heimfans wäre ein Derby gegen Cardiff vielleicht sogar eine für UK-Verhältnisse richtig stimmungsvolle Sache.

Der Gästebereich

Die Beziehung von Swansea zu Cardiff ist der von Braunschweig zu Hannover nicht unähnlich. Auf der einen Seite die Hauptstadt, die größer, wohlhabender und attraktiver ist, sowie überregional viel mehr wahrgenommen wird. Auf der anderen Seite die Nr. 2 einer Entität, die in nahezu allen Kategorien hinter der Hauptstadt zurückstecken muss. Da sammeln sich Minderwertigkeitskomplexe und das Fußballstadion kann hin und wieder der Ort werden, wo man es den verwöhnten und arroganten Hauptstädtern mal zeigen kann. Nicht nur haben die Swans eine positive Derbybilanz, auch war man der erste walisische Club in der 1992 eingeführten Premier League (Aufstieg 2011). Sowas ist Balsam für die geschundenen Seelen hier.

Swanseas Team zelebriert die frühe Führung

Doch nun zum heutigen Kick. Der war spielplantechnisch fast alternativlos und deshalb konnten wir – im Gegensatz zur gestrigen Partie in Bristol – viele deutsche Hopper identifizieren. Wer davon Swansea als Schwanensee übersetzte und nun weißes Ballett erwartete, konnte allerdings nur enttäuscht werden. In der walisischen Arbeiter- und Arbeitlosenstadt wird Fußball noch malocht. Auch der Aufsteiger aus Ostlondon, den wir übrigens 366 Tage zuvor als Aufstiegskandidat ausgemacht hatten (damals hab ich auch ein bißchen was zur Clubhistorie von Charlton Athletic geschrieben, falls es interessiert), stellte gewiß keine Tiki-Tika-Truppe. Allerdings begannen die Hausherren dominant und gingen folgerichtig in der 14.Minute durch Yan Dhandas Treffer in Führung.

Blick zur uns gegenüberliegenden Singing Area der Swans

Das Tor machte Lust auf mehr und Swansea kam noch zu weiteren guten Gelegenheiten im ersten Durchgang. Doch Dhanda und sein Sturmpartner Borja ließen jetzt einiges liegen. Außerdem verhinderte der Pfosten bei einem tollen Torschuss von Spielgestalter George Byers (32.Minute) eine komfortbalere Pausenführung. Dieser Aluminiumtreffer war auch die letzte Szene der 1.Halbzeit, die Max und ich auf den Rängen sahen. Denn der Bierdurst trieb uns zeitig zu den Zapfanlagen, während Ole sich dem Halbzeitbier einfach entzog (dieser Nichtzecher!).

Max knows best

Als Max und ich zur 55.Minute wieder zu Ole stießen, passierte leider nicht mehr wirklich viel auf dem Rasen. Swansea wechselte nach circa einer Stunde defensiv und Charlton fiel nichts ein, um dem zu begegnen. Letztlich reichte also ein frühes Tor für einen gelungenen Jahresauftakt bei den Walisern, wohingegen Charlton (derzeit 19.Platz bei 24 Teams) die Punkte für den Klassenerhalt anderswo einfahren muss. Swansea ist nun mit 41 Punkten Sechster und temporär in der Aufstiegslotterie. Doch ich hatte es ja schon nach dem gestrigen Kick in Bristol geschrieben, die Liga ist noch sehr eng beieinander und den Dritten trennen nur sechs Punkte vom Zwölften. Außerdem sind noch 20 Spieltage zu absolvieren, bis feststeht welche zwei Teams direkt aufsteigen und welche vier Teams noch den dritten Aufsteiger in einer Aufstiegsrunde ausspielen.

Nettes Graffito in Swanseas Bahnhofstunnel

21:44 Uhr war Abpfiff und da es mittlerweile nur noch nieselte, entschieden wir uns die Strecke zum Bahnhof per pedes zurückzulegen. 30 Minuten später und somit eine Viertelstunde vor Abfahrt saßen wir im Zug (wieder 5.50 £ p. P.). Weil es diesmal ein Bummelzug war, dauerte die Fahrt nach Cardiff 70 anstatt 51 Minuten. Ergo erreichten wir erst 23:39 Uhr die walisische Hauptstadt und keine 10 Minuten später lagen wir in unseren Hotelbetten (Tagesspazierleistung: 23,9 km). Am nächsten Tage ging es zu einer moderaten Abfahrtszeit weiter nach Manchester, aber das ist dann schon wieder ein anderer Bericht voller Geschichte, Streetart, Pubkultur, Fußballsport und kulinarischen Höhepunkten.

Song of the Tour: Bristols bekannteste Band mit ihrem Welthit.