Europa zu Gast in Hannover
Den ganzen Sommer über zwickte einen keiner, es war also anscheinend doch kein Traum gewesen: Hannover 96 spielt tatsächlich international! Viele andere Themen gab es den Sommer über nicht und ich kündigte sicherheitshalber meinen Job, um für die erste und hoffentlich nicht letzte Europapokalaufgabe im August zeitlich flexibel zu sein. Die Testspiele waren wie so oft durchwachsen (Kantersiege gegen die Kleinen und gemischte Ergebnisse gegen die Großen) und die ganz große Generalprobe (seit Jahren der so genannte „Summer of Champions“) gegen einen internationalen Topgegner endete 0:0. Der gastierende Champion war übrigens Olympique Lyonnais, welcher in Hannover gerade mal 17.000 Zuschauer ins Niedersachsenstadion lockte. Aber „Summer of Champions“? Das braucht sowieso keiner mehr, wenn unser Club bald in der europäischen Güteklasse A etabliert ist.

Erstmals ernst wurde es in der 1.Runde des DFB-Pokals gegen Anker Wismar. Eigentlich ein Pflichtsieg, aber Sechsundneunzigs jüngste Erstrundenbilanz und ein verlorenes Testspiel vor nicht all zu langer Zeit gegen eben genau jenes Anker Wismar, machten einem Angst und Bange. Die UH forderte via netter Choreo im Gästeblock – übrigens leider in Lübeck, anstatt in Wismar ausgetragen – nicht weniger als das Triple in dieser Saison und die Helden auf dem Rasen machten mit einem souveränen 6:0 den ersten kleinen Schritt dahin. Die wenige Tage später zugeloste erste Hürde im Europapokal dürfte dann etwas schwieriger zu meistern zu sein. Es gab nämlich den Sevilla FC serviert. Sieger des Wettbewerbs in den Spielzeiten 2005/06 und 2006/07 und einer der Topfavoriten für die Ausgabe 2011/12.

So gab es beim ersten Saisonspiel gegen die TSG Hoffenheim auch kein anderes Thema als diesen Gegner und die Reise dorthin, die irgendwie jeder im Block N16/17 gebucht zu haben schien. Wenn auch teilweise auf echt abenteuerlichen Anreisewegen. Gewonnen wurde bei der schönsten Nebensache der Welt übrigens heute auch und zwar mit 2:1. Ein Ergebnis, dass 96 in der Folgewoche in Nürnberg gleich nochmal wiederholte. Start nach Maß für Deutschlands neues Topteam Hannover 96 und wie immer ein netter Trip nach Nürnberg.

Fünf Tage später war sie gekommen, die magische Nacht von Hannover. Hannover 96 schlug den hoch dotierten Sevilla FC mit 2:1. Ein Abend an dem alles perfekt wirkte. Den ganzen Tag war ich schon komplett durcheinander, denn ich meine für 96 hat so ein Play-Off für die Eurpoa League in etwa den Stellenwert wie für den FC Bayern ein Finale der Champions League. Logisch, dass die UH mit einer Choreographie über die gesamte Nordkurve einen würdigen optischen Rahmen kreierte.

„Und es gibt keinen Verein in EUROPA, der 96 schlagen kann…“ war das Motto der eindrucksvollen Choreografie, die sich der Gast, noch mitten in der Saisonvorbereitung, zu Herzen nahm. Aber alles alleine darauf zu schieben, dass der große Sevilla Fútbol Club einen schlechten Tag hatte, würde der Leistung von 96 nicht gerecht werden. Hannover kündigte an, den Gegner von Anfang an unter Druck zu setzen und hielt Wort. Dazu von der 1.Minute an ein Publikum, dass Gas wie vielleicht noch nie zuvor gab.
Bereits in der 6.Minute brachte Jan Schlaudraff unser Team in Führung und das frühe 1:0 nahm dann wohl auch den Letzten der 43.500 Zuschauer mit (Gästefans übrigens 30, der Rest wollte vielleicht Geld für die Hauptrunde sparen). Chancen die Führung im Hexenkessel von Hannover auszubauen waren in der Folge einige vorhanden, aber so ein Topclub wie der Sevilla FC ist leider auch an einem schlechten Tag immer für ein Tor gut und Kanouté profitierte in der 37.Minute von einem Abwehrfehler.

Das Tor brachte 96 zum Glück nicht aus dem Konzept und Jan Schlaudraff besorgte in der 45.Minute die erneute Führung für unsere Farben. Es schien, als hätte man ihn vor vielen Jahren für genau dieses Spiel verpflichtet. Die 2.Hälfte blieb spannend, aber torlos. Ekstase pur nach Abpfiff und jeder wusste, er war Zeuge von etwas ganz Besonderem geworden. Über 120.000 Aufrufe hat übrigens die Komplettaufzeichnung des Spiels auf YouTube (Stand: Juli 2016), davon ca. 96 Aufrufe von mir. Wenn ich die Zeit dazu hätte, könnte ich mir diese Fußballsinfonie täglich angucken.
Gekündigt zu haben, stellte sich nun als wirkliche Top-Entscheidung heraus, da natürlich bis morgens gefeiert wurde und am Freitagabend stand mal wieder eine Brauereiführung in Herrenhausen an. Also gleich weitergefeiert und am Samstagmittag Berliner Freunde begrüßt und mit denen bei Spanferkel und Pilsbieren bis Sonntagmorgen gefeiert. Danach ging es Sonntag mit den Berlinern Frühschoppen in Linden und auch das nachmittägliche Spiel gegen Hertha BSC (1:1) wurde zum Weiterfeiern genutzt. Montagmorgen erklärte ich die Feierlichkeiten des Sieges gegen Sevilla dann für mich für offiziell beendet und musste dringend die Akkus für die Reise nach Spanien aufladen.

Mit einem Sandstrand-Stopover in Málaga erreichte ich am Donnerstag gegen Mittag Sevilla und war dort einer von rund 3.000 Hannoveranern in der spanischen Sonne (ein detaillierter Bericht ist hier nachzulesen). Es war genau das, was ich mir immer gewünscht hatte. Der Traum eines Europapokal-Auswärtsspiels war wahr geworden. Obendrein an meinem Geburtstag, an dem mich die Mannschaft mit dem 1:1 und somit der Qualifikation für die EL-Gruppenphase reich beschenkte. Besonderer Dank an den Torschützen Moa Abdellaoue. Die Stimmung war wieder fantastisch und Moas Vorlagengeber Rausch war der passende Namenspate für die nächste magische Nacht mit 96.

Drei Tage später gegen Mainz 05 blieb unser HSV auch im siebten Pflichtspiel der Saison ungeschlagen (1:1), aber die Woche darauf in Stuttgart (wie fast immer auf einem Sonntag) gab es erstmals wieder was zwischen die Hörner (0:3). Nichtsdestotrotz war ich vor der nächsten Europapokalpartie gegen Standard de Liège voller Optimismus. Heute waren auch ordentlich Gästefans in Hannover, davon nicht wenige Freunde der 3.Halbzeit. Der Polizei gelang es aber sie und ihre hannoverschen Pendants wirkungsvoll voneinander fernzuhalten.

Im Stadion gab es wieder eine schöne Choreographie und das Publikum war durchaus nochmal mitmachwillig in Sachen Stadionstimmung. Dass es nicht nochmal der große Hexenkessel wurde, lag dann vielleicht am 0:0 auf dem Rasen. Ein Tor für 96 hätte den Funken aus der Nordkurve möglicherweise komplett überspringen lassen, aber es wollte heute einfach nicht fallen. Jubeln durften wir erst am kommenden Sonntag wieder, als Publikumsliebling Ya Konan den BVB mit zwei Toren abschoss (2:1) und mein zukünftiger Lieblingsspieler Artur Sobiech sich bei seinem Debüt nach sieben Minuten in der 90.Minute glatt Rot abholte.

Zum nächsten Auswärtsspiel nach Augsburg gab es wieder einen von der UH organisierten Sonderzug. Es war das gleiche Schienenverkehrsgespann wie nach Stuttgart in der Vorsaison und es war wieder phänomenal gute Stimmung im Partywagen. Noch ganz happy von der geilen Feierei, zündeten ein paar Partypeople Bengalos im Gästeblock. Das war das optisch auffallendste bei diesem drögen 0:0 und am nächsten Morgen wusste wahrscheinlich kein Sonderzugfahrer mehr irgendwas von dem Spiel.

Es folgte eine Reise nach Poltava in die Ukraine, bei der sich der Gegner nicht als Laufkundschaft entpuppte, aber der erste Dreier in der Gruppenphase konnte verbucht werden (2:1). Im Gepäck viele weitere interessante Eindrücke von Europa, aus denen bei der „Roten Kurve“ die Idee wuchs ein Waisenhaus in Poltava zu unterstützen. Den Sonntag darauf gastierte Bremen bei Norddeutschlands Nr.1 und trat mit einer Niederlage (3:2 für 96) im Gepäck die kurze Heimreise an. Das frühe 1:0 heute durch Moa in der 2.Minute löste so viele Emotionen im Block N16 aus, dass einige Freudenfeuer entzündet wurden. Gab es bei Heimspielen (während der regulären Spielzeit) schon lange nicht mehr.

Eine 0:2 Niederlage in Köln verstieß unseren HSV leider vom schönen 5.Platz, aber die bisherigen Ergebnisse zeigten schon, 96 war keine Eintagsfliege, die nach dem Ausnahmejahr wieder um den Abstieg spielt. Auch europäisch sollte das Motto „Gekommen, um zu bleiben“ heißen. Für ein Überwintern im Europapokal wäre nun ein Heimsieg gegen den FC Kopenhagen ein Meilenstein gewesen. Aber das mit schöner Pyroshow eingeleitete Kräftemessen mit dem ein bisschen nach Plastik müffelnden (aber dennoch fantechnisch ernst zu nehmenden) Topclub aus Dänemark sollte unglücklich enden. Bis kurz vor Abpfiff lag der HSV von 1896 gegen den FCK von 1992 verdient mit 2:1 vorn (Tore durch Pander und Pinto), doch in der 89.Minute konnten die Dänen nochmals ausgleichen. Fühlte sich eher wie ein Punktverlust an und nun drohte ein kleines Endspiel in Kopenhagen, da sich ein Dreikampf zwischen Standard, dem FCK und 96 um die ersten zwei Plätze abzeichnete. Mit bereits zwei absolvierten und sieglosen Heimspielen gegen die Rivalen verdammte die Ausgangsposition fast schon zum Auswärtssieg in Kopenhagen.

Im Nachgang des Kopenhagen-Heimspiels machte die Lokalpresse wieder mobil gegen die Fanszene. Gewaltexzesse gab es im letzten Vierteljahr keine, also holte man wieder die altbekannte Kampagne „Pyrotechnik = Randale“ aus der Schublade und verteufelte die „Pyro-Ultras“ als Gefahr für Leib und Leben eines jeden Stadionbesuchers. Polizei, 96 KGaA und der Innenminister mischten natürlich an vorderster Front mit und die Fanszene hatte wieder andere Baustellen, anstatt sich komplett auf das Fansein und die Unterstützung der Mannschaft konzentrieren zu können.
Erst recht, als die exekutive Seite einen neue Stufe der Eskalation forcierte. Weit vor Anpfiff (ca. 70 Minuten zuvor), beim kommenden Ligaspiel gegen die Bayern, stürmte die Polizei den Block N16. Sie zerstörte Fahnen und schlug auf jeden ein, der im Weg stand oder sich an seiner Fahne festhielt. Ein Fan wäre fast von einem Polizisten über die Brüstung des Oberrang gestoßen worden (4,10m sind es von dort bis zum Boden). Insgesamt mussten 36 Fans, darunter auch einige Frauen und Kinder, medizinisch versorgt werden. Pyrotechnik wurde natürlich keine gefunden. Der Verdacht, es handelte sich um eine reine Machtdemonstration, drängte sich auf. Ich habe schon viele Polizeieinsätze mit Gewaltanwendung gesehen, wovon auch genug angemessen wirkten, aber das war einfach nur ein Gewaltexzess. Verletzte durch Pyrotechnik diese Saison: 0. Verletzte durch Polizeiprävention gegen Pyrotechnik: 36. Und während Martin Kind und der Innenminister den Einsatz vollumfänglich verteidigten, gab es eine öffentliche kritische Bewertung wie üblich wieder nur von Fanseite und in den überregionalen Medien. An Fußball war nach diesen schockierenden Szenen für mich und viele andere Augenzeugen, sowie für die Betroffenen, natürlich nicht zu denken und wir verpassten den zweiten Sieg gegen die großen Bayern binnen weniger Monate (2:1).

Die Reaktion der Ultras beim nächsten Heimspiel (0:1 n. V. gegen Mainz 05 in der 2.Pokalrunde) fiel sehr derb aus. „Fickt Euch, Bullenschweine“ stand in riesigen Lettern an der Brüstung des Oberrangs geschrieben. Aber wie sollen sie ihre Wut auf die Polizei kanalisieren? Ich fürchte das Feindbild Polizei hat sich in den jungen Köpfen weiter gefestigt. Den ganzen aktuellen Konflikt muss man auch im Kontext der jüngst gescheiterten „Emotionen respektieren, Pyrotechnik legalisieren“-Kampagne sehen. Die Ultras sind mit einem bundesweiten Bündnis sehr professionell auf den DFB und die DFL zugegangen, um in diesem ewigen Streitthema eine Annäherung zu erzielen. Es gab gute Gespräche und die Aussicht auf Pilotprojekte, wenn die Szenen sich zunächst an einen Selbstverzicht halten. Dann auf einmal erklärte der Verband im September diesen Jahres alle Gespräche für beendet. Ein von ihm in Auftrag gegebenes Gutachten belege, dass Pyrotechnik in keiner Form im Stadion möglich sei. Die Ultras behaupten es stehe das Gegenteil im Gutachten und man ist geneigt ihnen zu glauben, da der Verband das Gutachten unter Verschluss hält (warum nur?). In der Konsequenz zünden die verschaukelten Kurven bundesweit gefühlt mehr denn je und die Hardliner auf der anderen Seite reagieren mit totaler Härte wie bei unserem Heimspiel in der Vorwoche gegen die Bayern. Man kann von Fanforschern ja halten was man will, aber ich denke sie warnen gerade zurecht vor einer sich radikalisierenden Fanszene. Die andere Seite tut leider zur Zeit eine Menge dafür, sich als Feindbild der Ultras zu manifestieren.

Aber zurück zum Fußball, der für 96-Fans eigentlich gerade so wunderbare Zeiten parat hielt. Gut, das obligatorische frühe Ausscheiden im Pokal war blöd und im Ligaspiel danach gab es in Mönchengladbach auch nichts zu holen (1:2), aber dann war wieder Europapokal auswärts angesagt. Der Modus sah vor, dass es gleich wieder gegen den FC Kopenhagen geht. Das jüngste ärgerliche 2:2 war noch gut in Erinnerung. Man reiste also mit der Gewissheit nach Dänemark, dass dieser Gegner absolut schlagbar ist und wir dort den Grundstein für das Weiterkommen legen können. Mindestens 10.000 Menschen aus Hannover und Umgebung waren es wohl, die diese attraktive Auswärtsfahrt auf sich nahmen (einen detaillierten Bericht gibt es hier). Die Kombination aus schöner Stadt, entspannter Kartensituation und relativer Nähe zur Heimat zog einfach. Es waren zwar auch etliche Kegelfreunde, Skatrunden und Junggesellschaften vom Dorfe dabei, die sonst selten ein Stadion von innen sehen und außerhalb der Szenestrukturen stehen, aber so eine schwarz-weiß-grüne Invasion im Ausland ist trotzdem faszinierend und wird noch lange im kollektiven Fangedächtnis bleiben. Und gewonnen wurde auch noch. Ich sag‘ nur „Lars Stindl“ und „In Kopenhagen schellt das Telefon…“. Mit dem 2:1 Sieg im Gepäck zog die Karawane wieder zurück nach Süden.

In der Liga ließ die Punkteausbeute leider nach. 2:2 gegen Schalke 04, 1:4 gegen den VfL Wolfsburg und 1:1 gegen den Hamburger SV waren Ergebnisse, die den HSV von 1896 erstmal auf dem 8.Platz sesshaft werden ließen. Zum Glück immer noch in Schlagdistanz zu den Europapokalplätzen. Im europäischen Wettkampf war übrigens bereits am vorletzten Spieltag in Liège (Lüttich) die Chance da, um das Überwintern im Wettbewerb klar zu machen. Durch unglaublich strenge Auflagen – Anreise nur personalisiert von Hannover und direkt in den Gästeblock. Stadtverbot für alle Hannoveraner, außer natürlich für die betuchten Fans der TUI-Goldreise – waren nur 1.800 Gäste im Stadion. Man unternahm im Vorfeld alles, um den Gastgeber umzustimmen, aber Lüttichs Bürgermeister blieb hart. Nun hätte ich Lust gehabt dieses Spiel zu boykottieren, aber andererseits war Europapokal etwas absolut Besonderes und es war eben nicht unser sechsundneunzigstes internationales Spiel in den letzten 20 Jahren, sondern vielleicht eines der wenigen die ich in meinem Leben mit meinem Verein erleben darf. Also zähneknirschend im Buskonvoi angereist, ein schönes Pyro-Intro genossen, eine 0:2 Niederlage gefeiert (weil diese dank erfolglosem Auftreten von Kopenhagen in Poltava im Parallelspiel trotzdem zum Weiterkommen reichte) und schließlich beinahe in heftige Auseinandersetzungen mit der belgischen Staatsmacht geraten (einen detaillierten Bericht gibt es hier).

In der Bundesliga blieb es derweil durchwachsen. Ein 1:1 in Freiburg, ein 0:0 gegen Leverkusen und ein 1:1 in Kaiserslautern waren nicht das Gelbe vom Ei, reichten aber dank noch schwächerer Konkurrenz, um wieder von Platz 8 auf Platz 7 vorzurücken. In der Europa League wurde zwischendurch noch mit einer besseren B-Elf Vorskla Poltava 3:1 geschlagen (die 40 Gästefans dabei hatten). Zwei Tage danach wurde uns der Club Brugge KV als kommender Europapokalgegner zugelost. Und die Runde darauf würde der Sieger aus Standard de Liège gegen Wisła Kraków auf uns warten. Aber wir wollen ja einen Schritt nach dem anderen tun, nicht wahr? 2011 war bis auf die genannten Fankonflikte eines der tollsten Kalenderjahre mit unserem HSV. Eine ganz entspannte Winterpause stand allen Verantwortlichen und Anhängern von 96 bevor und ich spielte schon mal an Weihnachten Vorhut in Brügge (klick).
Auf die Rückrunde bereitete 96 sich in Südportugal, nahe der spanischen Grenze, vor. Da die Gegend im Winter wie ausgestorben ist, reiste niemand aus der Fanszene der Mannschaft hinterher (ich inspizierte stattdessen mal den Malteser Fußball ausgiebig). Slomkas Jungs schlugen im Trainingslager Heerenveen 1:0 und trennten sich vom 1.FC Köln 1:1. Zurück in Deutschland, testete der HSV von 1896 nochmal zwei Stunden S-Bahn-Fahrt entfernt von Hannover und besiegte in Deutschlands schmucklosestem Stadion den SC Paderborn mit 3:2. Das folgende 0:0 zum Rückrundenauftakt in Sinsheim gegen die TSG Hoffenheim war in etwa genau so schmucklos wie das Lagerhallen-Stadion in Paderborn, aber das 1:0 die Woche darauf gegen den 1.FCN (Tor des Tages einmal mehr von Moa Abdellaoue) hielt 96 wacker auf Kurs Europapokal.

Auch am 20.Spieltag in Berlin reichte den Roten ein Tor von Abdellaoue, um die nächsten drei Punkte zu sichern. Die Vorarbeit leistete übrigens der vielversprechende Winterneuzugang Mame Diouf, an dem das Duo Schmadtke / Jakobs schon länger dran war. Mit guten Argumenten und ein paar Talern (der Berater forderte übrigens sogar kurz vor Unterschrift noch einen finanziellen Nachschlag), konnte der Senegalese von Manchester United losgeeist werden und sollte dem Hannoverschen Sportverein fortan viel Freude bereiten. Mit Diouf erstmals über 90 Minuten, aber diesmal ohne Torerfolg, langte es im nächsten Spiel für ein 1:1 in Mainz. Wie schon in Berlin die Woche zuvor, fackelten die Fans einige Freudenfeuer ab, die trotz penibler Kontrollen den Weg in den Gästeblock schafften. Genau wie diverse Fahnen, die eigentlich wegen der Pyrovorfälle in der Vorsaison, auch verboten waren. Eben damit keine Pyrotechnik, zum Beispiel im Sichtschutz von Fahnen und Bannern, gezündet wird. Und natürlich auch einfach so als (erfolglose) erzieherische Strafmaßnahme. Ging ja voll auf für Mainz 05.

Den Donnerstag darauf endete auch die Winterpause im Europapokal und der Gegner Club Brugge KV gab sich die Ehre in Hannover. Ein Verein, dem immer ein sehr schlagkräftiges Klientel hinterher reist. Da bildete das Gastspiel im nahen Hannover natürlich keine Ausnahme und 50 bis 60 einschlägig bekannte Gewalttäter aus Belgien machten sich am Steintor breit. Die hannoverschen Gewaltsucher hielten sich in der Altstadt auf und als die Polizei auf einen Bauerntrick reinfiel (der Krawallnachwuchs zettelte Ärger am Landtag mit der Polizei an und die Polizei löste ihre Kette zum Steintor auf, um zum Landtag zu rennen), war die Bahn frei für eine vorgezogene 3.Halbzeit. Schwacher Auftritt der Polizei bei so einem Risikospiel, bei dem die Medien zuvor schon ordentlich Panik machten. Zum Glück waren die hannoverschen Fußballer taktisch besser geschult als die örtliche Polizei und errangen ein wichtiges 2:1 gegen den Club aus Brügge. Mit Artur Sobiech, der bereits in Mainz Matchwinner war, kam heute die Wende. Das unverdiente 0:1 aus der 51.Minute konnte der Joker in der 73.Minute (fünf Minuten nach seiner Einwechslung) egalisieren und 10 Minuten vor Schluss holte er den Foulelfmeter raus, den Jan Schlaudraff „cool as fuck“ mit einem Lupfer in die Tormitte zum Siegtreffer verwandelte.

In der Bundesliga ging es mit einem Besuch des VfB aus Stuttgart weiter. Wie fast immer an einem Sonntag, aber diesmal wenigstens durch den Europapokalauftritt unseres Sportvereins gerechtfertigt. Von Doppelbelastung war bei den Hausherren allerdings kaum was zu spüren und mit drei Toren nach drei Eckbällen stand es nach 46 Minuten bereits 3:0. Als Lars Stindl, ausnahmsweise so ganz normal aus dem Spiel heraus, auf 4:0 erhöhte (73.Min), konnte gar nichts mehr anbrennen und die zwei Ehrentreffer des VfB in der Schlussphase waren nur noch Ergebniskosmetik. Somit reiste Hannover 96 als weiterhin Bundesliga-Siebter mit breiter Brust nach Brügge.

In der vielleicht malerischsten der vielen malerischen Städte Flanderns, erwartete die 96-Fans zum Glück nicht der Polizeiterror von Lüttich, sondern eine Willkommenskultur, die immens zu einem gelungenen Europapokalausflug beitrug. Entgegen vieler Prognosen blieb es in der Stadt auch total friedlich. Ärger gab es erst im Stadion, wo einige Hannoveraner außerhalb des etatmäßigen Gästeblocks saßen und von belgischen Hools angegriffen wurden. Zum Glück schien aber niemand ernsthaft zu Schaden gekommen zu sein und alle konnten sich nach 20 Minuten über die Führung durch Mame Diouf freuen. Das enorm wichtige Auswärtstor lenkte alles in die richtigen Bahnen und das von Christoph Daum gecoachte Brügge schaffte nicht mal mehr den Ausgleich. Vielmehr taten sich glänzende Kontermöglichkeiten für 96 auf, deren Auslassen sich zum Glück nicht mehr rächte. Hannover 96 war völlig verdient ins Achtelfinale der Europa League eingezogen. Wer hätte das für möglich gehalten? (Einen ausführlich Bericht über die Tour gibt es hier nachzulesen)
Das 1:3 in Dortmund nach dem Europapokalrausch interessierte nur am Rande und auch das mickrige 2:2 zuhause gegen den Abstiegskandidaten FC Augsburg steckte man halbwegs gleichgültig weg (mit vermeidbarem Gegentor in der letzten Minute). Dann war wieder Europapokal angesagt. Leider erneut gegen Standard de Liège, die sich in der Runde der letzten 32 gegen Wisła Kraków durchgesetzt hatten. Leider erneut mit Gefangenentransport und Aufenthaltsverbot für die Innenstadt. Schade, dabei hatte Brügge doch gelehrt, dass Hannover ein guter Gast ist und Wisła Kraków, nicht gerade mit der höchsten Friedensnobelpreisträgerdichte im Anhang gesegnet, hatte in Lüttich im Gegensatz zu 96 keine Auflagen. Bürgermeister und Sicherheitsorgane in der Stadt Lüttich bleiben wohl für immer auf meiner Liste der uncoolen Leute. Umso schöner, dass unsere Roten gegen die wallonischen Roten ein wichtiges 2:2 erkämpften (1:0 durch Stindl, 2:2 durch Diouf), was dank zweier Auswärtstore eine gute Ausgangslage für das Rückspiel schuf.

Da wir wahrscheinlich das Finale der Europa League knapp gegen irgend eine spanische Mannschaft verlieren werden, wäre im kommenden Ligaspiel ein Sieg gegen den Tabellennachbarn Werder Bremen sehr wichtig gewesen, um sich erneut über die Bundesliga für das europäische Geschäft zu qualifizieren. Aber es setzte nach gutem Start eine vermeidbare 0:3 Niederlage im Weserstadion. Wird es vielleicht doch einfacher, sich via Europa League für die Europa League zu qualifizieren? Sah beim Rückspiel gegen Standard Lüttich jedenfalls verdammt danach aus. Das frühe 1:0 von Moa Abdellaoue brachte 96 schnell auf die Siegerstraße (4.Min). Ein Eigentor von Kanu nach scharfer Pinto-Flanke machte den Sack schon fast zu (21.Min). Standards kommende Sturm- und Drangphase brachte ihnen nichts Zählbares ein und als sie nach gut einer Stunde in Unterzahl gerieten und ein weiteres Eigentor von Kanu in der 68.Minute das Ergebnis auf 3:0 hochschraubte, war bei uns nur noch Feiern angesagt. Das Niedersachsenstadion erhielt wieder eine sehr veritable Lautstärke (kam fast an Sevilla ran) und Pinto durfte seine Sahneleistung in der 90.Minute mit dem 4:0 aus spitzem Winkel krönen. Wir sind im Viertelfinale!

Der lockere Viertelfinaleinzug gab auch in der Liga Auftrieb, wo der 1.FC aus Köln 4:1 abgefertigt wurde. Ebenso schön wie der Kantersieg war die vom „Komplott Hannovera“ erworbene riesige Blockfahne in schwarz-weiß-grün, die den ganzen Oberrang der Nordkurve ausfüllte. Ein Hauch von Montevideo oder Buenos Aires im Herzen Niedersachsens. Nichtsdestotrotz hieß es beim nächsten Spiel Süddeutschland statt Südamerika und diverse Fanbusse rollten nach München. Menschen aus der 96-Fangruppierung „Passion & Pride“ haben in den blauen Teil der Landeshauptstadt München beste Kontakte und organisierten eine vormittägliche Sonderöffnung der schummrigen Kellerkneipe „Tumult“ in der Maxvorstadt. Eigentlich eine gute Sache, aber das frühsommerliche Wetter Ende März war zu gut, um dort lange zu bleiben. Ein Streifzug durch Schwabing und eine Brotzeit im Biergarten waren nun das Maß aller Dinge. Das hochwertige Rahmenprogramm ließ einen die knappe 1:2 Niederlage (Anschlusstreffer: Ya Konan per Fallrückzieher) auf jeden Fall besser verdauen. Leider keine Bonuspunkte im Kampf um Europa bei den Bayern eingesammelt und keine Portion Extra-Selbstvertrauen für die nächste Europapokalaufgabe mitgenommen.

Der Gegner dort war endlich mal wieder nicht aus Belgien, aber dafür eben auch alles andere als Laufkundschaft. Es ging nach Madrid, genauer gesagt zu Atlético. Auf der Reise merkte man, dass dieses unerwartet lange europäische Abenteuer doch bei einigen Fans das Urlaubstagekontigent aufgezehrt hatte. Waren schon ein paar Jungs mit gelbem Schein unterwegs und die sahen mit Sonnenbrand aufgrund des fantastischen Wetters in Spanien nach ihrer Arbeitsunfähigkeit ganz schön blöd aus. Aber wer kennt sie nicht, die Solariumtherapie bei Magen-Darm-Infektionen? Und sieht man mal vom Ergebnis (1:2) und der völlig unnötigen Knüppel- und Gummigeschossorgie der Guardia Civil ab, war es wieder ein traumhafter Ausflug. Nur das späte Siegtor der Madrilenen (89.Min), das hätte, obwohl objektiv verdient, echt nicht sein müssen. Ich hatte irgendwie schon im Urin, dass das kriegsentscheidend gewesen sein könnte.

Die Mannschaft schien die Niederlage in Madrid gut verdaut zu haben. In der Liga wurden Big Points gegen Borussia Mönchengladbach geholt (2:1) und 96 konnte mit breiter Brust als Fünfter der Bundesliga in das Rückspiel gegen Atlético gehen. Den würdigen optischen Rahmen schuf die UH mit einer Choreographie im Norden und Westen des Stadions, die in Größe und Schönheit nochmal neue Maßstäbe setzte. Die Hypothek der Auswärtsniederlage wog natürlich schwer, aber schon ein 1:0 hätte das Halbfinale bedeutet.
Mit 0:0 ging es in die Pause und somit war weiterhin alles offen. Von dieser Spannung lebte das Spiel, denn Torchancen gab es wenig. Atléticos Defensive war heute nah an der Weltklasse und 96 versuchte natürlich auch unbedingt ein Gegentor zu vermeiden. Das ging leider nur bis zur 63.Minute gut. Nun musste Hannover zwei Tore für zumindest die Verlängerung erzielen. Ganz schwere Kiste, weil die Spanier jetzt natürlich nur noch verteidigen mussten und sich zugleich gefährliche Kontermöglichkeiten auftaten. Dennoch gelang es Diouf einen Abwehrfehler von Atlético zum Ausgleich in der 81.Minute zu nutzen. Leider das einzige Geschenk dieser europäischen Spitzenmannschaft und kurz vor Schluss besiegelten die Madrilenen mit einem Kontertor das Aus von 96 endgültig. Ich fühlte mich wenige Minuten vor Karfreitag wie weiland der Heiland an diesem Tag, aber nach ein paar Stunden Schlaf überwog wieder der Stolz. 96 war weiter gekommen, als jeder für möglich gehalten hätte und hielt das Duell mit dem späteren Cupsieger Atlético fast 180 Minuten offen. Respekt, wem Respekt gebührt.

Meine Motivation nach dem Ende des ganz großen Traums nach Gelsenkirchen zu reisen, tendierte dennoch gen Null (aber das tut sie auch sonst fast immer) und ich verpasste ein 0:3 in der Schalker Sporthalle. Jetzt musste gegen den VfL Wolfsburg im nächsten Heimspiel am besten ein Sieg her. Platz 7 war das neue Saisonziel, da der dieses Jahr für die EL-Qualifikation reichte. Tore von Diouf und Ya Konan sicherten unseren Roten vorerst den begehrten Platz, aber schon das kommende 0:1 in Hamburg ließ uns wieder zittern. 96 hatte nämlich einige Verfolger im Nacken und auch beim 0:0 am 32.Spieltag gegen den SC Freiburg wurden Big Points liegen gelassen. Einen Dreier brauchten sie noch, um wenig geschätzte Clubs wie den SV Werder und den VfL Wolfsburg auszustechen. Doch auch in Leverkusen (0:1) wollte dieser nicht gelingen.

Also Endspiel um Europa am letzten Spieltag. Daheim im Niedersachsenstadion gegen die bereits abgestiegenen Lauterer. Wer 96 kennt, weiß es; das klingt nur auf dem Papier leicht! Und so kam es dann auch. Nach 45 Minuten war 96 (1:1) in der Blitztabelle Achter und Wolfsburg (seinerzeit mit 1:0 in Führung) Siebter. Ya Konans Kopfballtor in der 71.Minute brach dem frei aufspielenden Absteiger aus der Pfalz Gott sei dank das Genick und es brannte nichts mehr an. Außerdem lagen die zwischenzeitlich sogar 2:0 führenden Wolfsburger mittlerweile 2:3 hinten. Slomka wechselte nun zur Freude aller nochmal Altin Lala ein, der nach 14 Jahren Hannover 96 seine aktive Bundesligakarriere beendete. Die „Brigade Nord“ würdigte diesen verdienten 96er bereits vor Anpfiff mit einer großflächigen Choreographie und als der Schiedsrichter abgepfiffen hatte, zündete die UH nochmal diverse Fackeln unter dem Motto „Diese Saison hat sich eingebrannt“. 2:1! Platz 7! Wieder Europapokal!

Dass Hannover 96 sich vom Abstiegskandidaten Nr.1 zum Europapokalteilnehmer gemausert hatte, war eine riesige Sensation. Aber, dass sie dort bis Viertelfinale vorstießen und namhafte Konkurrenz ausschalteten, gehörte schon in die Kategorie Fußballmärchen. Aber dass sie nicht wie gleichrangige Teams der „Güteklasse B“ – parallel zur sensationellen Europapokalteilnahme und damit einhergehenden Doppelbelastung – in der Liga einbrachen war das I-Tüpfelchen. Soll ja schon vorgekommen sein, dass unerwartete Europapokalteilnehmer die Doppelbelastung mit dem Abstieg bezahlt haben. In Hannover schien dagegen etwas Nachhaltiges zu entstehen. Mit Slomka und Schmadtke hatte Martin Kind, trotz aller medial kolportierten Reibungspunkte der beiden Macher, endlich mal die richtigen Leute verpflichtet. Gerade Geschäftsführer Schmadtke könnte über Jahre der prägende Kopf bei 96 werden, wenn auch er sich das vorstellen kann.

Und bei den fanpolitischen Themen kehrte zum Glück in der Rückrunde vorerst Normalität ein. Man munkelte hinter vorgehaltener Hand von Hinterzimmerdeals in Sachen Pyrotechnik zwischen UH und KGaA, so dass zumindest die KGaA bei Einhaltung der gemeinsamen Spielregeln nicht mehr gegen Pyro vorgehen will. Das man miteinander spricht, war auch bitter nötig nach dem Desaster des Anti-Pyro-Zugriffs vor dem Heimspiel gegen die Bayern. Also in allen Bereichen gute Voraussetzungen für die kommende Spielzeit. Es kann weiterhin vorwärts nach weit heißen in Hannover.
48 Punkte / Platz 7 / 17 Punkte auf Platz 16 / 12 Punkte auf Platz 4 / 41:45 Tore / Meiste Auflaufprämien kassiert: Ron-Robert Zieler (34x) / Meiste Torprämien kassiert: Mohammed Abdellaoue (11x) / Zuschauerschnitt: 44.826
Moin: Artur Sobiech (Polonia Warschau), Daniel Royer (SV Ried), Henning Hauger (Stabaek IF), Samuel Radlinger (SV Ried), Christian Pander (Schalke 04), Mame Diouf (Manchester United).
Tschüss: Florian Fromlowitz (MSV Duisburg), DaMarcus Beasley (Puebla), Mikael Forssell (Leeds United).