- 04.01.2019
- Manchester City – Port Vale FC 4:1
- FA Cup (3rd Round)
- City of Manchester Stadium (Att: 52.433)
Am 3.Januar sollte unsere Reise von Cardiff weiter nach Manchester gehen. Die Zugabfahrt am Vormittag erlaubte noch ein Frühstück in der Hauptstadt von Wales und so ging es aus Bequemlichkeit in den bahnhofsnahen Pub The Great Western. Weil ich heute abermals keinen Bock auf das klassische English Breakfast aus wetherspoonscher Systemgastronomie hatte, wählte ich Eggs Benedict und dazu einen großen Orangensaft (Ole setzte auf den deftigen Breakfast Wrap und Max hatte Porridge mit Blaubeeren). Da eines der beiden mir servierten Eier den Garzustand poached aber schon überschritten hatte, gab es von meiner Seite wieder was zu meckern.

Um 10:51 Uhr fuhr schließlich unser InterCity gen Manchester ab (28 £ p. P.). Diverse Busanbieter hätten zwar weniger als die Hälfte gekostet, wären aber auch ein bis zwei Stunden länger unterwegs gewesen. Weil wir keine Groundhopper sind („Geiziger Groundhopper“ ist bekanntlich ein Pleonasmus), war uns der Zug den Mehrpreis wert und wir genossen die schöne Aussicht auf einer sehr reizvollen Strecke. Die passierten Städte Hereford und Shrewsbury standen eh schon auf meiner langen UK-Liste, aber jetzt sind noch Stokesay und Ludlow als Ausflugsziele hinzugekommen. Übrigens war heute erstmals schönes Wetter auf diesem Trip und wir verbrachten ausgerechnet die sonnigste Zeit des Tages fast komplett im Zug.

Umso besser, dass wir nicht Bus gefahren waren und Manchester wenigstens schon kurz nach 14 Uhr erreichten. Während Max und ich nun schnell zum nahen Ibis schritten (wie im vorigen Bericht bereits erwähnt 40 € pro Nacht und DZ), zog es Ole sofort weiter nach Burnley. Er leistete dort einen Freundschaftsdienst für Schüßler, der online Gästeblockkarten für Chelsea vs. Burnley erwarb (11.Januar), jedoch das Kleingedruckte überlesen hatte (kein Print at home, nur persönliche Abholung im Fanshop des Burnley F.C.). Max oder ich hätten es natürlich auch gemacht, allerdings war Ole nicht so scharf auf das National Football Museum wie wir. Doch bevor das museale Home of Football besucht wurde, genossen wir an der frischen Luft noch rund 90 Minuten Tageslicht in Manchester. Dabei wurden ein paar historische Sehenswürdigkeiten abgeschritten. Ein bisschen musste ich Max ja schon mit der Stadtgeschichte nerven und warum soll es meinen Lesern jetzt besser gehen?

Die Stadt Manchester hat ihre Wurzeln in einem 79 n. Chr. errichteten Römerlager namens Mamucium. Nebenbei; die in England weit verbreitete Ortsendung -chester leitet sich mutmaßlich immer vom lateinischen castrum (Lager) ab und verrät somit römischen Urspung. Als die Römer im frühen 5.Jahrhundert militärisch in Britannien abrückten, hinterließen sie zivile Landsleute und romanisierte keltische Stämme, die wiederum im Frühmittelalter an vielen Orten der Insel von Angeln, Sachsen, Jüten und später auch Wikingern unterworfen worden. Unter Alfred dem Großen wurden im späten 9.Jahrhundert erstmals die meisten angelsächsischen Teilreiche, die sich seit dem 5.Jahrhundert herausgebildet hatten, geeint (ich schnitt das bereits 2016 an, als ich in Winchester weilte).

1066 wurde das angelsächsische Königreich allerdings von normannischen Invasoren unter Führung ihres Herzogs Wilhelm (William the Conqueror) unterworfen. Während die Normannen im Süden der Insel ihre Herrschaft nach der entscheidenden Schlacht von Hastings schnell festigen konnten, zeigte sich der Norden Englands widerspenstig. Wilhelm, an Weihnachten 1066 zum englischen König gekrönt worden, veranlasste eine große Strafexpedition in den Norden, die als Harrying of the North (Plünderung des Nordens) in die Geschichte einging. Die Normannen wandten dabei das Konzept der verbrannten Erde an. Die Siedlungen und Felder der Angelsachsen und Skandinavier im Norden wurden niedergebrannt und ihr Vieh geschlachtet. Wer nicht durch der Normannen Schwert starb, verhungerte im folgenden Winter, so dass die ganze Region langfristig nahezu entvölkert war. Auch Mamecester, wie die städtische Siedlung unter den Angelsachsen hieß, verschwand temporär von der Landkarte.

Es dauerte lange, bis Manchester wieder aufblühte. Erst 1301 bekam der Ort Marktrechte und wenige Jahrzehnte später siedelten sich flämische Weber in der Gemarkung zwischen den Flüssen Irk und Irwill an. Ihre Woll- und Leinenproduktion begründete die lange Textiltradition der Stadt. 1421 begann schließlich der Bau einer Stiftskirche, die später zur Manchester Cathedral erhoben werden sollte. Max und ich begutachteten die im spätgotischen Perpendikularstil gestaltete Kathedrale von innen und außen. Detaillierte Beschreibungen würden den Rahmen sprengen, aber es lohnte sich definitiv für Nerds wie mich (mein bisheriges Perpendikular-Highlight in England bleibt jedoch die Kathedrale von Peterborough).

Zwischen dem 15. und dem 18.Jahrhundert entwickelte sich Manchester peu à peu zu einem veritablen Marktstädtchen, doch gigantische Veränderungen brachte erst die Industrielle Revolution mit sich. Die Stadt war ein landesweites Zentrum der Baumwollverarbeitung geworden und nachdem die ersten industriellen Web- und Spinnstühle entwickelt wurden (wie die Spinning Jenny von 1764 und die mit Wasserkraft betriebene Waterframe von 1769), ging die Produktion durch die Decke. Die Baumwolle aus den amerikanischen Kolonien wurde zuvor in mühsamer Handarbeit verarbeitet, was die Preise der Textilerzeugnisse auf einem hohen Niveau hielt. Für 96 % der Menschen stellte sich bis zur Industriellen Revolution deshalb gar nicht die Frage „Was ziehe ich heute an?“, denn in der Regel verfügten die einfachen Leute nur über eine Garnitur. Doch nun wurde Kleidung zum Massengut und als die Dampfmaschine die Wasserkraft als Antrieb von mechanischen Web- und Spinnmaschinen ablöste (1825 erfand der walisische Ingenieur Richard Roberts den ersten Selfactor), konnte ein Industriewebstuhl bereits die 200fache Produktivität eines menschlichen Webers erreichen.

Ferner wurde die wirtschaftliche Entwicklung Manchesters durch zwei Kanalprojekte im 18.Jahrhundert begünstigt. 1762 wurde ein Kanal von den Kohlegruben in Worsley nach Manchester eröffnet. Dieser sorgte binnen kurzer Zeit für einen ca. 75%igen Preissturz beim begehrten Schwarzen Gold (Zeitreise-Greta gefällt das nicht). Als 1776 der 58 km lange Bridgewater Canal fertiggestellt wurde, hatte Manchester außerdem einen direkt Wasserweg zum Überseehafen von Liverpool. Mit der Metropole an der Merseymündung wurde man darüber hinaus 1830 auf dem Schienenweg verbunden, wobei es sich zugleich um die erste „richtige“ Eisenbahnlinie der Welt handelte (öffentlich und mit festem Fahrplan).

Der Fortschritt hatte allerdings seine Kehrseiten. Nicht ohne Grund ist Manchesterkapitalismus ein Inbegriff für die Profitgier der Kapitalisten und zugleiche Ausbeutung der Proletarier. 15-Stunden-Schichten (sechsmal die Woche), Kinderarbeit (ca. 30.000 Kinder unter 13 Jahren sollen beispielsweise 1835 in Manchesters Fabriken beschäftigt gewesen sein), Hungerlöhne und rechtlose Arbeitnehmer prägen diese Epoche. Ein völlig entfesselter Kapitalismus, den vielleicht sogar Christian Lindner oder Friedrich Merz als staatlich zu wenig reguliert kritisieren würden. Hungerlöhne waren es übrigens auch, weil die Lebensmittelpreise seinerzeit durch die protektionistischen Corn Laws sehr hoch waren. Diese Gesetze, welche die regierende Conservative Party (ja, genau, die politischen Ahnen von Boris Johnson, Jacob Rees-Moog & Co) im Sinne des Landadels 1815 einführte, belegten Getreideimporte mit hohen Einführzöllen. Schön für die britischen Großagrier, schlecht für die bedürftigen Massen. Die Conservative Party war eben schon immer die Partei der Interessen des kleinen Mannes… *hüstl*

Gegen die Corn Laws gab es landesweit Proteste. Am 16.August 1819 eskalierte einer davon in Manchester. Zehntausende Bürger protestierten auf dem St Peter’s Field für eine Parlamentsreform (Manchester hatte damals keinen Sitz und somit keine Stimme im Parlament) und gegen die Corn Laws. Die Obrigkeit ließ die Versammlung gewaltsam von Soldaten auflösen, wobei 15 Bürger um’s Leben kamen und über 400 verletzt wurden. Als Peterloo Massacre (in Anlehnung an die berühmte Schlacht von Waterloo 1815) ging das Ereignis in die Geschichtsbücher ein. Kritische Journalisten bereiteten das Massaker landesweit auf und die Empörung war groß. Im Nachgang wurde 1821 vom Geschäftsmann John Edward Taylor, einem Augenzeugen des Massakers, übrigens die von mir sehr geschätzte Tageszeitung The Guardian in Manchester gegründet.

Der wirtschaftliche Boom bedingte natürlich auch ein enormes Bevölkerungswachstum. Im Jahre 1800 lebten fast 100.000 Menschen in Manchester, in den 1830er Jahren wurde bereits die Marke von einer Viertelmillion geknackt. Es enstanden viele Arbeiterquartiere um das ursprüngliche Stadtzentrum herum. Stammten die Zuwanderer im 18.Jahrhundert noch vorwiegend aus dem weiteren Umland der Stadt, setzte zu Beginn des 19.Jahrhunderts eine große Einwanderungswelle aus Irland ein (ca. ein Drittel der heutigen Stadtbevölkerung hat irische Wurzeln). Kirchlich wurde auf das Wachstum 1847 mit der Gründung des anglikanischen Bistums Manchester reagiert und die bereits erwähnte Stiftskirche zur Kathedrale erhoben. Auch die katholische Kirche, welcher die meisten irischen Immigranten angehörten, errichtete 1850 ein Bistum für den Großraum Manchester (Diocese of Salford). Weltliche Reaktion war die Verleihung des City-Status im Jahre 1853. Außerdem durfte Manchester bereits seit 1835 Abgeordnete ins Unterhaus entsenden und hatte somit eine Stimme (bzw. Stimmen) in London.

Der deutsche Textilunternehmer Friedrich Engels wirkte im 19.Jahrhundert übrigens mehrere Jahrzehnte in Manchester. Er sah die gesellschaftlichen Mißstände und veröffentliche 1845 schließlich das sozialkritische Werk „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“. Engels bekam damals regelmäßig Besuch von Karl Marx und gemeinsam studierten sie historische und ökonomische Werke in den Bibliotheken der Stadt und philosphierten über Wirtschaft und Gesellschaft. 1870 zog Engels von Manchester nach London, wo Marx bereits seit 1849 im Exil lebte. Nichtsdestotrotz waren die Lehren der beiden berühmten deutschen Gesellschaftstheoretiker in der Industriestadt auf fruchtbaren Boden gefallen und Manchester wurde zu einer Hochburg der Arbeiterbewegung und der 1900 gegründeten sozialdemokratischen Labour Party.

Wirtschaftlich war im ausgehenden 19.Jahrhundert die Eröffnung des Manchester Ship Canal (1894) von großer Bedeutung. Während die bisherigen Kanäle zur Küste (wie der Bridgewater Canal) nur für kleinere Boote tauglich waren, konnten auf der neuen Wasserstraße auch die großen Pötte schippern. Fortan war man nicht mehr auf Liverpool als Überseehafen angewiesen und Manchesters Hafen, obwohl 60 km von der Küste entfernt, gedieh selbst zum drittwichtigsten Englands. Vielleicht der Beginn der bis heute währenden Städterivalität der beiden Metropolen im Nordwesten? 1896 eröffnete dann mit dem Trafford Park, direkt am Manchester Ship Canal, das erste am Reißbrett geplante Industriegebiet der Welt. Ein weiterer Schub für die hiesige Wirtschaft, die sich nach einem Einbruch der Textilpreise auf dem Weltmarkt im Strukturwandel befand. Unter anderem Westinghouse Electric (Elektrotechnik), die Handelsgenossenschaft Co-op (vorwiegend Groß- und Einzelhandel mit Lebensmitteln) und Ford (Autoindustrie) siedelten sich in der Folgezeit im Trafford Park an und sorgten für die notwendige Diversifikation von Manchesters Wirtschaft. Die neuen Wirtschaftszweige entfachten nochmals Wachstum und am 26.April 1931 vermeldete Manchester mit 766.311 Einwohnern den bisherigen Bevölkerungshöchststand.

Im bald über Großbritannien hereinbrechenden Zweiten Weltkrieg (1939 – 1945) wurden allerdings weite Teile der Stadt (Industrie- wie Wohngebiete) von der Deutschen Luftwaffe zerstört und der Wiederaufbau zog sich noch einige Jahrzehnte. Dazu kam der nächste tiefgreifende Strukturwandel und Manchester wurde in den 1970er und 1980er Jahren zum Sinnbild für den Niedergang einer Industriemetropole. Dafür schwang es sich zeitgleich zur heimlichen Musikhauptstadt Großbritanniens auf. Zuvorderst Joy Division und deren Nachfolgeformation New Order, wie auch die 1982 gegründeten The Smiths hatten die Stadt prominent in den Charts platziert. Es folgten Bands wie die Happy Mondays, The Stone Roses oder The Charlatans, um nur die erfolgreichsten Vertreter zu nennen. Gemeinsam mit elektronischen Acts wie 808 State oder A Guy Called Gerald prägten sie einen ganz besonderen Stil, der Indiepop und -rock mit Acid House vermischte und als Madchester, respektive Manchester Rave weltweit bekannt wurde. Die Raves fanden damals in großen leerstehenden Lagerhäusern statt, wovon es in Manchester und Umgebung seinerzeit ausreichend gab. Oder in der warmen Jahreszeit auch open air. Der Sommer des Jahres 1989 ging dabei als Second Summer of Love in die Geschichte ein (in Anlehnung an den legendären Summer of Love von 1969). Daran, dass sich alle so lieb hatten, dürfte auch die parallel aufkommende Modedroge Ecstasy (MDMA) ihren Anteil gehabt haben.

Im letzten Jahrzent des 20.Jahrhunderts wurde die Bewegung vom Britpop beerbt und mit Oasis kam eine prägende Band dieses Genres ebenfalls aus Manchester. Aus sportlicher Sicht war in den Nineties außerdem die Fußball-EM 1996 interessant, die Manchester United zu einer modernisierten Spielstätte verhalf. Überhaupt war United in den 1990er Jahren national wie international eine Topadresse (Hallo Bayernfans, Grüße aus dem Jahr 1999) und ein Pionier in Sachen weltweiter Vermarktung. Doch 1996 erlebte die Stadt nicht nur Fußballfeste. Am 15.Juni brachte die IRA (Irish Republican Army) im Stadtzentrum 1,5 Tonnen Sprengstoff zur Explosion. Da die Terroristen rechtzeitig warnten, konnte der Bereich um The Corn Exchange und The Printworks noch vollständig evakuiert werden. Dennoch wurden über 200 Menschen in vermeintlich sicherer Entfernung durch Gebäudesplitter verletzt und der Sachschaden war selbstredend immens.

Seit den 1990er Jahren wandelt sich die Stadt nun mehr und mehr in ein florierendes Dienstleistungszentrum. Beim Wiederaufbau des vom IRA-Anschlag betroffenen Innenstadtquartiers wurden The Printworks (ursprünglich eine Zeitungsdruckerei aus dem 19.Jahrhundert) zu einem Vergnügungsbezirk umgebaut und mit der Arndale Gallery enstand nebenan eines der größten Einkaufszentren Europas (130.000 m² Verkaufsfläche). Viele Industriegebiete wurden zu modernen Wohn- und Geschäftsquartieren umgewidmet und mit dem Imperial War Museum North (2002 eröffnet) und diversen weiteren Museen, Veranstaltungshallen und Galerien entwickelte sich der Kultursektor in den letzten zwei Jahrzehnten enorm. Die vielleicht jüngste Touristenattraktion ist das 2012 eröffnete National Football Museum, welches pro Jahr über eine halbe Million Besucher zählt. Für je 10 £ erwarben Max und ich am Ende unseres kleinen historischen Stadtspaziergangs eine personalisierte Jahreskarte für dieses Museum (andere Optionen gibt es nicht, allerdings genießen Residents grundsätzlich freien Eintritt).

Auf vier Ebenen wurde uns die Geschichte dieses beliebten Sports näher gebracht und die Summe der Ausstellungsstücke ist überwältigend. Man hat unter Schirmherrschaft der FIFA verschiedene Sammlungen zusammengeführt und vieles wurde interaktiv aufbereitet. Britischer Fußball, internationale Wettbewerbe und die Weltmeisterschaften der FIFA nehmen den größten Schwerpunkt ein. Allerdings kommen auch Themen wie Fankultur, popkulturelle Bezüge und Stadionarchitektur nicht zu kurz. Sogar wer ein bißchen selbst gegen das runde Leder kicken will, findet dazu an verschiedenen Stationen Gelegenheit. Außerdem gibt es ständig wechselnde Sonderaustellungen. Während unseres Besuches war dies Strip! How football got shirty – The Design, Fashion and Technology of Football Shirts. Für mich als Sammler natürlich hochinteressant und über 200 Trikots aus aller Welt und aus verschiedenen Jahrzehnten waren ausgestellt.

Ruckzuck war es 18 Uhr und das Museum schloss seine Pforten. Wenn ich dieses Jahr nochmal nach Manchester komme, werde ich mein erworbenes Ticket auf jeden Fall ein zweites Mal nutzen. Max und ich überlegten sogar am kommenden Morgen erneut hereinzuschauen, verwarfen diesen Plan aber wieder. Genau wie wir unseren Plan verwerfen mussten gleich nebenan in den Printworks zu Abend zu essen. Leider hatte der dortige Wetherspoon’s keinen einzigen Tisch mehr frei. Dafür wurden Erinnerungen an einen feuchtfröhlichen Abend im Jahre 2017 wach. Der begann in besagtem Wetherspoon’s und endete im ebenfalls im Printworks-Komplex untergebrachten Club Yates. Zwar gab jeder Beteiligte damals so ungefähr 200 € aus, aber allein hier breit grinsend wieder langzulaufen, mit den Erinnerungen an all die erlebten Obszönitäten, war das Geld wert.

Der Alternativort für unser Abendessen namens The Moon Under Water war ebenso bestens bekannt und offerierte heute zum Glück noch einen freien Tisch auf der Empore. Gegen 19 Uhr stieß auch Ole wieder dazu. Er hatte seine Mission in Burnley erfolgreich absolviert und betonte nochmal, was das doch für ein Drecksloch ist. In die Kategorie Area of Outstanding Architectural Beauty wird es Burnley wohl nie schaffen, aber so ein kleines Redevelopment stünde der Stadt wirklich gut. Zum Glück ist der Brexit bald vollzogen und dann geht es wirtschaftlich wieder aufwärts mit all diesen Armutshochburgen… *hüstl*

Weniger ironisch debattierten wir nun bei preiswerten Currygerichten die allgemeine politische Großwetterlage in D, UK und dem Rest der Welt. Vom gestrigen Curry Club waren anscheinend noch einige Portionen übrig geblieben, die heute für 4.99 £ (ca. 5,80 €) rausgehauen wurden. Max hatte irgendwas Vegetarisches von der Standardkarte, Ole Chicken Jalfrezi und ich Chicken Vindaloo (mit fiesen Naga Chilis). Fast so scharf wie das walisische Curry The Flaming Dragon, aber ich hatte ausreichend John Smith’s Extra Smooth zum Löschen geordert (à 2.69 £ / 3,15 € pro Pint). Weil der Hunger noch nicht vollends gestillt war, bestellten wir außerdem Mini-Pizzas zu je 4 £ (ca. 4,70 €). Ich hatte ’ne Pizza Carbonara, die eindeutig noch ein paar Momente im Ofen vertragen hätte. Aber es ist halt auch nur ein Wetherspoon’s und damit kein Arbeitsplatz für passionierte Pizzaioli. Immerhin war nun bei allen das Hungergefühl hinfort und wir konnten einen kleinen Pub Crawl in Manchesters Innenstadt starten.

Erste Station war das Sawyer’s Arms in der gleichen Straße wie das The Moon Under Water (Deansgate). Der Pub besteht seit 1873 und besticht innen wie außen mit detailreich verzierter Vertäfelung. Sehr gemütlich und ein Pflichtbesuch für alle Publiebhaber. Wir ließen uns ein Nicholson’s Pale Ale vor dem knisternden Kamin schmecken, ehe es weiter zu den nächsten Pubs ging. The City Arms und The Vine Inn liegen beide direkt nebeneinander in der Kennedy Street, unweit der sehenswerten neogotischen Town Hall von 1877. Beide wirkten einladend, doch der Münzwurf entschied für das Vine Inn. Keine schlechte Wahl, da der Pub wie eine Stammpinte für Anwohner wirkte. Aber auch ein verirrter Tourist kann sich dort willkommen fühlen und unaffektierte Pubatmosphäre genießen.

Der nächste Stopp hieß The Britons Protection in der Great Bridgewater Street. Diesen 1811 eröffneten Pub findet man wohl in jeder Top-10-Auflistung der Schankwirtschaften Manchesters. Im Prinzip ist das Lokal zweigeteilt. Vorne eine lange Mahagonitheke mit Sitzgelegenheiten und hinten ein gemütliches Kaminzimmer. Der lange Flur ist dabei von Darstellungen des bereits erläuterten Peterloo-Massakers von 1819 geziert. Mit Golden Pale Ale aus dem Hause Beartown rasteten wir ein halbes Stündchen an den Kupfertischen des Kaminzimmers.

Den folgenden Pub namens The Temple dürfte 96% aller Flaneure übersehen. Befindet er sich doch unterhalb der Great Bridgewater Street und lediglich ein kleines Schild weist oberirdisch auf den Pub hin. Es handelt sich um eine einstige öffentliche Toilette aus viktorianischer Zeit, die zu einem kleinen, aber feinen Trinklokal umgebaut wurde. Hier ließen wir uns drei Cape Point Lager servieren (aus Südafrika importiert) und überlegten welche Pubs noch strategisch auf dem Weg zum Hotel liegen würden.

In der Portland Street buhlten dann mit dem Greyhorse Inn, The Old Monkey und The Circus Tavern gleich drei Pubs um unsere Gunst. Die Wahl fiel auf letzteres Lokal und hinter der Fassade entpuppte sich jenes als der vielleicht kleinste Pub von ganz Manchester. Die Theke war gleich hinter der Tür und nur einen Meter breit. Auch gab es lediglich einen Zapfhahn, aus welchem Ale der Brauerei Tetley’s floss. Damit es zu keinen Staus und Behinderungen in der 18,96 m² großen Bude kommt, wurden die Biere nach der Thekenbestellung sogar am Tisch serviert. Auch hier saßen wir wieder vor einem Kamin und begutachteten die ManUnited-Bilder an der Wand. City-Fans werden hier also Morgen eher nicht vorglühen.

Um 23 Uhr war Feierabend in diesem Kleinod und wir machten die nächsten Meter in Richtung Hotel. Dabei streiften wir den südlichen Zipfel des Northern Quarters und im Pub The Crown & Anchor brannte noch Licht. Max und ich kehrten dort ein, während Ole sich vorzeitig ins nahe Ibis verabschiedete. Er klagte über Halsschmerzen. Unser Reiseteilnehmer von Ärzte ohne Grenzen, Dr. Snepanovic, wollte allerdings stattdessen eine akute Nichtzecheritis diagnostiziert haben. Na ja, da Max und ich nach den letzten Pints des Tages auch schon gegen Mitternacht zur Bettruhe schritten, will ich mal nicht den Asklepiosstab über Ole brechen.
- 04.01.2020
- Stockport County F.C. – Boreham Wood F.C. 1:3
- National League (V)
- Edgeley Park (Att: 4.074)
Am Sonnabend, dem letzten vollwertigen Reisetag, waren Max und ich also topfit. Ole klagte dagegen weiter über einen dicken Hals. Nichtsdestotrotz freuten wir uns unisono auf das umfangreiche Tagesprogramm. Heute standen nochmal zwei Fußballspiele auf der Agenda. Da das erste jedoch erst um 15 Uhr angepfiffen werden sollte, hatten wir noch genug Zeit für touristische Vergnügungen. Auf jeden Fall musste eine Streetart- und Graffititour im Northern Quarter absolviert werden. Diese ließ sich dazu wunderbar mit dem Programmpunkt Frühstück kombinieren.








Denn in jenem Szeneviertel findet man einige angesagte Lokale. Das erwählte Etablissement namens The Koffee Pot ist fast schon zu hip, um wahr zu sein. Aber wer die Gesellschaft von Hipstern ertragen kann und es schafft diese trotz ähnlichem Erscheinungsbild von Clochards zu unterscheiden (wovon es in Manchester nicht wenige gibt), darf sich auf leckeres Frühstück freuen. Wir hatten diesbezüglich echt Probleme, da wir dachten, dass der Kellner ein Bettler von der Straße ist. Erst als er Block und Stift aus seiner zerschlissenen Jogginghose zückte, konnten wir eins und eins zusammenzählen und orderten Speis und Trank. Max hatte ein schönes Veggie Brekkie, Ole den Breakfast Burger mit doppelt Fleisch und Fritten anbei und ich wählte einen Bagel mit gepökeltem Rindfleisch und Senf und dazu noch eine Portion Poutine. Ferner gab es noch für alle frisch aufgebrühten Minztee. Am Ende hatte jeder so seine umgerechnet 15 bis 16 € zu zahlen.


Gut genährt wurden im Anschluss weitere Sprühkunstwerke im Quartier begutachtet. Dabei wurde einem nicht jedes Motiv auf Anhieb geschenkt. Es erinnerte teilweise an den Trendsport Parkour, wenn ich auf Bauzäune mit Sichtschutz kletterte, Schranken über- bzw. unterwand und zur Not sogar (provisorische) Verkehrsschilder für den „perfekten“ Schnappschuss entfernte. Ich soll dabei wie ein Idiot ausgesehen haben und glaube das meinen Freunden gern. Das heimlich gedrehte Videomaterial wurde zum Glück teilweise (unwiederbringlich!) gelöscht.

Zum Runterkommen ging es 11:31 Uhr mit einem InterCity auf eine achtminütige Bahnfahrt von Manchester nach Stockport (2,80 £ p. P.). In der 135.000-Einwohner-Stadt gedachten wir einen dreistündigen Geschichtsspaziergang, aufgelockert von mehreren Pubvisiten, zu beginnen. Die erste Etappe führte in den Pub The Crown Inn am berühmten Eisenbahnviadukt von Stockport (siehe Titelbild). Das Viadukt von 1840 ist eines der größten Backsteinbauwerke der Welt (besteht aus ca. 11.000.000 Backsteinen) und The Crown Inn ein gemütlicher Pub mit großer Auswahl an Real Ale. Da erst um 12 Uhr geöffnet wurde, waren wir die ersten Gäste und konnten uns in Ruhe umschauen. Dass ein To-Let-Schild an der Fassade prangte, ließ allerdings Veränderungen für die Zukunft erahnen.

Nach dem Auftakt-Ale inspizierten wir Stockports Altstadt. Die Geschichte des Ortes weist einige Parallelen zu Manchester auf, weshalb ich mich mal etwas kürzer fassen will. Grundsätzlich kann man für das gesamte Greater Manchester (südliches Lancashire und nördliches Cheshire nach alter Raumordnung) von einer gemeinsamen Geschichte sprechen. Alles was schon vor 1066 als Siedlung bestand, wurde Opfer des bereits erläuterten Harrying of the North und hatte entsprechend einen Entwicklungsknick im Hochmittelalter. Später wurde die ganze Region von der Textilindustrie geprägt. Stockport mauserte sich dabei zu einer Hochburg der Hutindustrie. Deshalb trägt der heute besuchte Fußballclub Stockport County auch den Spitznamen The Hatters und ferner beherbergt Stockport das einzige Hutmachermuseum des Vereinigten Königreiches.

Doch Stockport verfügt nicht nur über viele Baudenkmäler aus der Zeit der Industrialisierung, sondern hat sich auch einen sehr schönen Altstadtkern bewahren können. 1260 bekam die Siedlung das Marktrecht und der historische Marktplatz kündet an allen Ecken und Enden von der langen Handelstradition der Stadt. Am ältesten ist dabei die Kirche St Mary aus dem 14.Jahrhundert, während der viktorianische Stockport Indoor Market (eine Markthalle aus dem Jahre 1861) das Areal dominiert. Heute ist dies eine nette Markthalle, die hauptsächlich als Food Court durchgeht. Ansonsten ist der Marktplatz noch von zahlreichen historischen Gasthäusern und Geschäftsgebäuden gesäumt.

Während um 1500 wahrscheinlich nur ca. 1.000 Menschen in Stockport lebten, hatte sich diese Zahl binnen 200 Jahren gerade einmal verdoppelt. Im 18.Jahrhundert wurde es allerdings Standort mehrerer Seidenspinnereien und gedieh prächtig (1801 waren es bereits 18.901 Einwohner laut Zensus). Zusammen mit der bereits erwähnten Hutindustrie prägte die Seidenverarbeitung das 18. und 19.Jahrhundert wirtschaftlich. Wie die ganze Region, hatte Stockport einen enormen Zuzug an Menschen zu verzeichnen und damit einhergehend große soziale Probleme zu meistern. Auch hier siedelten sich viele Iren als billige Arbeitskräfte an und der Alltag zwischen protestantischen Engländern und römisch-katholischen Iren war von Spannungen geprägt (das galt damals für alle britischen Industriestädte). Friedrich Engels schaute 1844 übrigens auch mal vorbei und konstatierte über Stockport „eines der düstersten, rauchigsten Löcher in der ganzen Industrieregion“.

Das können wir für die Gegenwart nicht bestätigen. Die hiesige Mischung aus Altstadtkern (einige Fachwerkhäuser und enge Gassen), Arbeiterhäusern aus dem 18. und 19.Jahrhundert und alten Fabriken (i. d. R. alles Backsteinbauwerke) fanden wir sehr sehenswert. Und dass viele denkmalgeschützte Gebäude heute als Pubs dienten, gefiel erst recht. Wir kamen locker auf ein Dutzend an einkehrenswerten Schankwirtschaften. Leider fehlte die Zeit, so dass wir in Marktnähe nur The Arden Arms prüfen konnten. Sehr gemütlicher Pub, der zur lokalen Robinson’s Brewery gehört. Entsprechend genossen wir das in Stockport gebraute Ale namens Unicorn und kamen uns etwas deplatziert vor, da alle anderen Gäste zu Mittag dinierten. Na ja, es war halt auch Mittagszeit. Weil wir allerdings vom späten Frühstück noch gesättigt waren, kam für uns eine weitere Mahlzeit vorerst nicht in Frage.

Nach dem zweiten Pubbesuch des Tages spazierten wir noch ein wenig durch die Innenstadt, orientierten uns aber so langsam gen Stadion. Wir erspähten u. a. die besagte Robinson’s Brewery und machten außerdem Halt an der Town Hall. Jenes Rathaus von 1908 sah aus wie der kleine Bruder der City Hall zu Belfast und Bingo; mit Sir Alfred Brumwell Thomas zeigte sich für beide Rathäuser der selbe Architekt verantwortlich. Die prächtige Town Hall verriet auch, dass es Stockport um 1900 ganz gut gegangen sein dürfte. Der Zensus von 1901 ermittelte übrigens 92.832 als Einwohnerzahl.

Im 20.Jahrhundert überstand Stockport den Zweiten Weltkrieg im Vergleich zu anderen Industriestädten der Region relativ unbeschadet, da im Gegensatz zu z. B. Manchester kaum kriegswichtige Industrie und Infrastruktur vorhanden war. Uniformteile wurden allerdings seit dem 19.Jahrhundert in Stockport gefertigt. Besonders bekannt war die Firma Bukta, die außer Militär- und Pfadfinderuniformen vor allem Sportbekleidung fertigte. Schon 1884 lief Nottingham Forest in Bukta auf und die kommenden rund 100 Jahre kamen etliche Profifußballteams in (vorwiegend) Großbritannien dazu. So spielten u. a. Tottenham Hotspur von 1921 bis 1930, Arsenal von 1930 bis 1970 und West Ham von 1989 bis 1993 in Jerseys dieser Marke.

Darüber hinaus bringt man noch einen der berühmtesten Söhne der Stadt mit Sport und Mode in Verbindung. Der dreifache Wimbledon-Sieger Fred Perry wurde 1909 in Stockport geboren. Sein Vater arbeitete in einer der hiesigen Baumwollspinnereien und Perry war nebenbei der erste Gewinner in Wimbledon, der aus der Arbeiterklasse stammte. Wahrscheinlich ein Stück weit von René Lacoste inspiriert, kreierte Perry in den 1950er Jahren ein innovatives Tennis-Shirt. Dieses fand sowohl bei Sportlern, als auch bei der modebewussten Jugend schnell seine Fans. Ob bei Mods, Skinheads oder Casuals, der elegante Perry-Lorbeerkranz zierte eigentlich in jeder Dekade Subkulturen. Und apropos Casuals; die beiden Köpfe hinter dem Szenelabel Casual Connoisseur stammen auch aus Stockport.

Besser kann ich den Bogen zum heutigen Fußballspiel ja kaum spannen. Denn nach einem letzten Pre-match Pint namens Dizzy Blonde im stadionnahen und proppevollen Pub The Armoury, spazierten wir in den Stockporter Edgeley Park. Seines Zeichens seit 1902 Heimstätte des Stockport County F.C. (est. 1883). Dieser Club war in seiner langen Historie nie erstklassig, aber immerhin 26 Saisons zweit-, 40 Saisons dritt- und 33 Saisons viertklassig. Das aktuelle Fristen in Level 5 (und zwischenzeitlich sogar Level 6) ist also eher die Ausnahme, denn die Regel. Ergo verfügt man über eine respektable Anhängerschaft und über ein mittelgroßes Stadion.

Interessanterweise ist dabei eine der Hintertortribünen, auf der die treuesten Fans stehen und sitzen, auch die größte und modernste. Das Cheadle End wurde in den 1990er Jahren, zu seligen Zweitligazeiten, modernisiert und fasst über 5.000 Besucher. Dazu sind im Bauch der Tribüne noch diverse Räumlichkeiten untergebracht. Ich denke mal, hätte man in der Folgezeit langfristig zweitklassig gespielt, wären auch die anderen Tribünen modernisiert worden. So hat man nun eine charmante Mischung aus einer unüberdachten Stehterrasse hinter dem anderen Tor (The Railway End, zur Zeit ungenutzt), der betagten Haupttribüne aus den 1930er Jahren, der Gegengerade aus den 1970er Jahren und besagtem Cheadle End.

Wir saßen übrigens für je 18 £ auf der Gegengerade und sahen ein ganz interessantes Match. Schon in der 2.Spielminute konnte Boreham Wood in Führung gehen. Stürmer Tyrone Marsh war für seine Farben erfolgreich. Die Gäste spielten schnellen und attraktiven Angriffsfußball (Anm. d. Red.: Wurde wahrscheinlich vor Saisonbeginn von einem 75jährigen Chairman namens Martin Child als langfristige Spielphilosophie festgelegt) und die Hatters hatten dem kaum etwas entgegenzusetzen. Dass Marsh einen der zahlreichen Angriffe in der 22.Minute per Lupfer über den Stockport-Schlussmann zum 0:2 vollendete, überraschte daher kaum. Außerdem feuerte das Mittelfeld von The Wood regelmäßig Raketen aus der zweiten Reihe ab (u. a. Pfostentreffer von Femi Ilesanmi in der 27.Minute aus ca. 30 Metern). Die ungefähr 30 Gästefans unter den 4.074 zahlenden Zuschauern waren entsprechend bester Laune.

Stockports Hoffnungen, sich wenigstens nur mit einem Rückstand von zwei Toren in die Pause zu retten, machte Boreham Woods zweite Sturmspitze Kabongo Tshimanga in der 44.Minute zunichte. Einen Überzahlangriff schloss der Kongolese zum verdienten 0:3 ab. Für uns gab es nun buchstäblich einen Pausentee (1.5 £), während das Angebot an fester Nahrung nicht zu begeistern wusste. Der SCFC nutzte die Unterbrechung unterdessen für zwei Spielerwechsel und taktische Umstellungen. Im zweiten Durchgang versuchten sie alles auf Angriff zu setzen und ernteten tatsächlich früh die Früchte. Der Joker Rodney, Leihgabe vom nahen Viertligisten Salford City, knipste in der 50.Minute den Anschlusstreffer. Das Tor sorgte auch endich mal für Sangeslust im Cheadle End (übrigens zierte die Tribüne ein riesiger blau-weißer Strickschal mit der Aufschrift „Our Greatest Pride is the Scarf my Father Wore“, entlehnt aus dem bekanntesten Fansong der Hatters).

Ging da noch was? Leider nein. Es gab noch Chancen hüben wie drüber, doch weder gelang Stockport das wichtige zweite Tor, noch Boreham Wood der vorzeitige Todesstoß. Ergo hieß der Endstand nach vierzig torlosen Restminuten 1:3. Damit tauschen die beiden Teams vorerst die Tabellenplätze; der BWFC ist nun Siebter und der SCFC belegt den achten Rang in der National League. Für uns sollte es jetzt gleich weiter zu einem alten Rivalen der Stockporter gehen. Kaum zu glauben, aber vor rund 20 Jahren waren Stockport County und Manchester City sportlich auf Augenhöhe. 1998/99 spielten die Hatters sogar eine Liga über den Citizens (Manchester City war damals zeitweilig nur drittklassig). Seinerzeit sollen die direkten Duelle recht brisant gewesen sein, dauerhafte Rivalen der Stockporter sind allerdings eher regionale Clubs auf ähnlichem Niveau. Also Teams wie Rochdale, Oldham Athletic oder Crewe Alexandra.
- 04.01.2019
- Manchester City – Port Vale FC 4:1
- FA Cup (3rd Round)
- City of Manchester Stadium (Att: 52.433)
Um nun von Stockport nach Manchester zu kommen, gönnten wir uns nach Abpfiff ein Uber für 26 £ und erreichten auf diesem Wege das City of Manchester Stadium bereits um 17:15 Uhr und somit eine Viertelstunde vor Spielbeginn. Beim flüssigen britischen Einlasssystem waren wir mühelos noch vor Anpfiff auf unseren Plätzen im Block 111 (15 £ je Vollzahlerkarte). Das war anscheinend die Singing Area von City und uns erwartete ein neunzigminütiges Stehen. Gut, dass die Ultràkultur hier bisher keinen Einzug hielt, sonst hätte uns wahrscheinlich noch ein junger Fanatiker per Megafon mit „Maul auf für den MCFC“ angepault.

Ich mutmaße, dass die Stimmung heute besser als bei vielen Liga- oder Europapokalspielen von City gewesen sein dürfte. Dazu trugen nicht zuletzt geschätzt 5.000 Gästefans bei. Die waren gleich auf der Tribüne neben uns platziert (South Stand) und unsere Blockmitinsassen pöbelten fleißig in deren Richtung. Da munter zurückgepöbelt wurde, fand ich die Atmosphäre zunächst ganz nett. Vielleicht waren heute sogar ein paar City-Urgesteine anwesend, die sich ihr Hochglanzprodukt sonst nicht mehr im Stadion geben. Die Eintrittskarten waren jedenfalls sehr erschwinglich (abgesehen von VIP, alles zwischen 15 und 30 £) und drei Wochen vorher habe ich noch spekuliert, dass bestimmt maximal 30.000 Zuschauer kommen würden. Wäre das Zeitfenster zwischen Spiel eins und zwei des Tages nicht so eng gewesen, hätte ich wahrscheinlich sogar angeregt erst an der Tageskasse Tickets zu erstehen.

Doch das Stadion war tatsächlich zu 96 % ausgelastet. Obwohl nur ein Viertligist angereist war und sich nach den Gesetzen des Marktes eine deutliche Niederlage bei City abholen dürfte. Also eher Testspielcharakter, denn sportlich spannende Herausforderung. Kurzer Einschub: Die Teams aus der Premier League steigen erst in der 3.Hauptrunde des FA Cups ein und wer Heimrecht hat, entscheidet das Los (alle Teams sind ligaunabhängig im selben Topf und der Erstgezogene hat automatisch ein Heimspiel). Endet das Spiel nach 90 Minuten Unentschieden, gibt es ein Wiederholungsspiel bei der zweitgezogenen Mannschaft (wofür die FA immer noch Termine im Rahmenkalender freihält). Pokalsensationen sind so eigentlich noch unwahrscheinlicher als in Deutschland. Dennoch gab es einige Überraschungsfinalisten in den letzten Jahren. Liegt wahrscheinlich daran, dass durch den Modus eben auch schon viele große Kaliber ab Runde 3 direkte Duelle haben und ebenso die unterklassigen Teams weiterhin direkt aufeinandertreffen können.

Die Citizens dominierten natürlich sofort das Spiel und gingen nach einigen vergebenen Großchancen in der 19.Minute erstmals durch den bisher auffälligsten Akteur Oleksandr Zinchenko in Führung. Wenn Aguëro und David Silva (u. a. Lattentreffer in der 25.Minute) im Nachgang effizienter vor’m Gästetor gewesen wären, hätte es schnell und verdient 2:0 oder 3:0 gestanden. Stattdessen nutzten The Valiants ihre erste Torchance des Abends in der 35.Minute. Eine Flanke von David Amoo verwertete Tom Pope im Zentrum des City-Strafraums per Kopf. Der Gästeanhang war ob des überraschenden Ausgleichs natürlich völlig aus dem Häuschen und unsere Nebenmänner pöbelten heftig in deren Richtung. Wenige Minuten später wurden bei uns (und im Gästebereich ebenso) einige Leute von den Ordnern und der Polizei rausgezogen. Halsabschneidergesten, Mittelfinger o. ä. reichen dafür in der modernen englischen Fußballwelt. Max, Ole und mir blieb nur Kopfschütteln.

Dabei war uns eh schon ganz schwindlig, weil bei City regelmäßig Fanclubfahnen auf einem digitalen Laufband zwischen Unter- und Mittelrang eingeblendet werden. Hauptsächlich wird die Installation natürlich für kommerzielle Werbung genutzt, aber als tollen Kompromiss für Fanclubs, die dort zuvor ihre Banner hängen hatten, konnten diese Fotos oder Grafiken ihrer Heiligtümer zur Digitalisierung einschicken. Hin und wieder ersetzen nun diese Grafiken die Werbung. Den „tollen“ Service hatten übrigens eher Fanclubs aus Übersee genutzt, also nicht unbedingt Vertreter der Allesfahrerszene. Ich frage mich, wann deutsche Clubs nachziehen (z. B. RB Leipzig oder vielleicht gar die um keinen Eklat verlegenen Verantwortlichen der Hannover 96 KGaA).

Damit die Besucher aus Burslem (Stoke-on-Trent) – Port Vale ist keine Stadt, sondern der Name eines einstigen Pubs in Stoke-on-Trent, in dem der Club 1876 mutmaßlich gegründet wurde – sich keine falschen Hoffnungen machen brauchten, sorgte Sergio Aguëro noch vor der Pause für die erneute Führung der Gastgeber (42.Minute). Auch nach dem Seitenwechsel ließ der haushohe Favorit nichts mehr anbrennen und erhöhte durch Taylor Harwood-Bellis (58.Minute) und Phil Foden (76.Minute) auf ein standesgemäßes 4:1. Damit wurde erste Hürde im nationalen Pokalwettbewerb mühelos gemeistert. In der Meisterschaft sieht es diese Saison bisher nicht unbedingt nach Titelverteidigung aus, aber vielleicht kann der amtierende Doublesieger den FA Cup verteidigen (wäre dann der siebte Gewinn dieser begehrten Trophäe).

Die Schlussviertelstunde des Spiels nutzte ich noch für eine kleine Stadionrunde. So lernte ich weitere Ecken der für die 2002 in Manchester ausgetragenen Commonwealth Games errichteten Sportstätte kennen. Nach dem internationalen Großereignis (quasi ein kleiner Cousin der Olympischen Spiele) wurde die Bude vom Multifunktions- zum reinen Fußballstadion umgebaut und ab 2003 von Manchester City genutzt. Als 2008 auch noch Scheichs aus Abu Dhabi den Club übernahmen und sofort üppig investierten, begann eine sportliche Erfolgsgeschichte, die bis heute anhält. 2012 endeten 44 meisterfreie Jahre (davor 1937 und 1968 englischer Fußballmeister) und seitdem sind noch die Titel Nr. 4, 5 und 6 dazugekommen. In der UEFA Champions League ist man seit 2012 auch Dauergast, konnte diesen Wettbewerb jedoch noch nicht gewinnen (größter bisheriger internationaler Erfolg: Gewinn des Europapokals der Pokalsieger 1970).

Ich gönne Scheich Mansour & Co den prestigeträchtigen CL-Titel natürlich auch kein Stück. Gerade die City Group, die ein globales Fußballnetz à la Red Bull aufgebaut hat und das Financial Fairplay bisher auch sehr erfolgreich umgangen haben soll, gehört für mich zu den schlimmsten Auswüchsen des zeitgenössischen Fußballs. Neben dem Manchester City F.C. gehören noch Girona FC (Spanien), Melbourne City F.C. (Australien), Montevideo City Torque (Uruguay), Mumbai City FC (Indien), New York City FC (USA), Sichuan Jiuniu F.C. (China) und die Yokohama F. Marinos (Japan) zur City Group. Schon ein gigantischer Kontrast zum heute gastierenden Port Vale Football Club. Klar, bei denen spielen ebenfalls schon lange nicht mehr ein paar Jungs aus der Region für die Ehre und ein Butterbrot, aber Viertligafußball ist in England i. d. R. noch erträglich. Ich werde bestimmt irgendwann auch mal bei Port Vale vorbeischauen. Zumal es sich um ein Urgestein des englischen Profifußballs handelt. 108 Spielzeiten in der Football League hat man schon auf dem Buckel (davon 41 Saisons in der 2.Liga). Allerdings immer nur viert- bis zweitklassig. Unter den Clubs, die noch nie erstklassig waren, ist man damit Rekordhalter. Stockport County folgt in dieser Statistik mit 99 Spielzeiten Profifußball ohne je erstklassig gewesen zu sein, aber auf über 100 Saisons Profifußball kommen außer Port Vale nur richtige Branchenriesen des englischen Fußballs mit reichlich Erstligaspielzeiten.

Die Gästefans werden sich den großen Unterschieden zwischen ihrer Liebe und einem europäischen Topclub arabischer Prägung bewusst gewesen sein und daher trotz Niederlage erhobenen Hauptes den Heimweg angetreten haben. Tausende Anhänger von City zog es unterdessen in Richtung des rund 2,5 km entfernten Stadtzentrums. Es standen zwar Transferbusse parat, aber viele Fans gingen zu Fuß. Weil unser Hotel sich auch nur in 1,896 km Distanz vom Stadion befand, schlossen wir uns der Fußgängerkarawane an. Mit der Hoffnung auf dem Weg noch irgendwo für das Abendessen einkehren zu können.

Da auf dem Weg allerdings kein gescheites Lokal auszumachen war, mussten wir wohl oder übel nochmal in die Innenstadt. Max und Ole erinnerten sich an eine Niederlassung des Burgerbraters Byron am Piccadilly. Allerdings hatten sie die Preise moderater in Erinnerung. Für einen ziemlich kleinen Burger mit Fritten – der Le Bleu mit Beef patty, Fourme d’Ambert blue cheese, red onion & port jam, wholegrain mustard mayonnaise, spinach, grilled onions wurde es – hatten wir je 14.55 £ zu investieren und ein Upgrade der Beilage mit Cheese & Bacon schlug nochmal mit 1.50 £ zu Buche. Dazu noch Coke with a float für 3.50 £ und ich war knapp 20 £ (ca. 23,50 €) los ohne satt zu sein. War schon lecker, aber es fehlten trotzdem Argumente für den Preis, wie besonders edles Rindfleisch oder andere Luxuszutaten. Immerhin war das Fleisch laut Speisekarte nicht aus Massentierhaltung, weshalb der Flexitarier Max auch ohne schlechtes Gewissen zuschlug.

Nach dem byronschen „Pausenbrot“ ging es baldig zurück zum Hotel und als wir dieses erreichten, standen schon wieder 20,5 km mit Kraft der eigenen Muskeln in der Bewegungsstatistik. Das war auch fast genau der Durchschnitt der ersten vier Tage im Jahre 2020 (20,475 km). Damit dürfte den unzähligen Kalorien dieses Trips halbwegs gekontert worden sein und mit gutem Gewissen ging es bereits kurz nach 21 Uhr ins Bett. Denn wir mussten kommenden Morgen spätestens 4:30 Uhr aufstehen, weil Flybe nach der Buchung unsere Abflugzeit nochmal von 17:55 Uhr auf 6:50 Uhr geändert hatte. Ärgerlich, aber ein weiteres Spiel wäre Sonntag eh nicht drin gewesen. Daher nervte nur das frühe Aufstehen und der Verzicht auf ein deftiges Frühstück und einen Sunday Roast am frühen Nachmittag.

Am Sonntagmorgen gönnten wir uns dann den Luxus eines Chauffeurs zum Flughafen für 30 £. Der erstbeste Zug um 3:47 Uhr war uns eindeutig zu früh und der zweitbeste um 5:21 Uhr tendenziell zu spät (da hätten wir nur 55 Minuten Zeitfenster bis zum geplanten Closing des Gates gehabt). Nun waren wir bereits 5:10 Uhr am Flughafen und konnten das Einchecken und die Sicherheitskontrolle stressfrei durchlaufen. Am Abflugsteig wurde uns außerdem noch viel Drama geboten. Ein alter Mann im Rollstuhl wurde traurigerweise am Nachbargate abgewiesen. Das Boarding für seinen Flug nach Teneriffa war bereits abgeschlossen und obwohl draußen noch Passagiere in die entsprechende Ryanair-Maschine einstiegen, mussten er und sein Angehöriger nach fruchtlosen Diskussionen von dannen ziehen.

Derweil wurden an unserem Gate alle Gäste nochmal auf die Einhaltung der Handgepäckbestimmungen kontrolliert. Dabei wurden etliche Mitreisende wegen Übergröße nachbelastet (70 € Gebühr). Da kam bei ca. 15 „Opfern“ ein hübsches Sümmchen für Flybe zusammen und natürlich lief das bei den entsprechenden „Gepäckbetrügern“ auch nicht ohne Unmut und Diskussionen ab. Um 6:50 Uhr, als eigentlich schon planmäßige Abflugzeit war, begann schließlich das Boarding. Die Embraer 175 rollte ergo erst 7:15 Uhr los und 90 Minuten später landeten wir in Hannover (Flugpreis zum Buchungszeitpunkt im August umgerechnet 40,64 €). Das war alles in allem ein gelungener Auftakt ins Reisejahr 2020. Da noch keine weitere Tour geplant, geschweige denn gebucht ist, weiß ich weder wann der nächste Bericht kommt, noch welches Reiseziel er behandelt. Aber keine Sorge, in meinem Kopf schwirren viele Ideen rum.