2012/13

Konflikte, Proteste & Boykotte

Der Tabellensiebte der Vorsaison musste entsprechend früh in die Qualifikation zur Europa League einsteigen. Denn wir haben zwar alle ganz groß eine weitere Saison Europapokal gefeiert, aber bis zur Gruppenphase warteten für den am schlechtesten gestellten deutschen Teilnehmer noch zwei Hürden. Die erste hieß St. Patrick’s Athletic FC aus Irland. Schönes Los, denn es gibt es ja weitaus schlechtere Destinationen als Dublin für den Saisonauftakt. Die kurzfristige Ansetzung (sieben Tage Vorlauf) verhagelte natürlich eine richtig große Invasion, aber rund 1.000 Fans der Roten fanden den Weg auf die grüne Insel und genossen die irische Gastfreundschaft. Das Spiel wurde ein Spaziergang (3:0), aber das Tor von Leon Andreasen bei seinem Comeback (nach über zwei Jahren Verletzungspause) gab dem Ganzen noch einen emotionalen Höhepunkt. Wenn der Junge fit bleiben sollte, hat 96 einen weiteren Neuzugang für die kommende Saison gewonnen.

96 meets Dublin

Ansonsten war auf dem Transfermarkt nicht so viel los diesen Sommer. Von den Stammspielern ging nur Pogatetz und wurde mit dem Brasilianer Felipe ersetzt, der Mirko Slomka in den vier Aufeinandertreffen mit Standard de Liège in der Vorsaison nachhaltiger überzeugte als den gemeinen 96-Fan. Dazu kamen die zwei recht unbeschriebenen Blätter Sakai (aus Japan) und Nikci (aus der Schweiz) und außerdem der bestens bekannte Szabolcs Huszti, der mutmaßlich in St. Petersburg seinen Zenit überschritten hatte.

Die Transfers wurden übrigens bis auf Huzstis Wiederkehr alle schon sehr früh abgewickelt. Das war auch wichtig, denn in Hannover passierte Ungewöhnliches. Der Geschäftsführer Sport Jörg Schmadtke, einer der Väter des jüngsten und vielleicht auch endlich mal nachhaltigen Erfolgs, bat im Frühjahr um Vertragsauflösung, um mehr Zeit für die Lösung privater Problemstellungen zu haben. Martin Kind wollte den Mann zurecht auf keinen Fall ziehen lassen und gewährte ihm stattdessen von Ende Juni bis Mitte September eine Auszeit. Ab seiner Rückkehr war dann bis Jahresende Teilzeitarbeit vorgesehen. Ein bemerkenswerter Zug von Kind, der hohe Wertschätzung suggeriert.

Nordkurve gegen St.Patrick's Athletic
Nordkurve gegen St.Patrick’s Athletic

Doch zurück zum nun vorerst schmadtkelosen Tagesgeschäft. Der kommende Pflichtsieg im Rückspiel gegen die Iren (2:0) bot auf dem Platz natürlich keine Aufreger, also konnte man sich ganz den Nebenkriegsschauplätzen widmen. Da waren erstmal die hohen Eintrittspreise, die kein Stück der Attraktivität des Gegners und der mangelnden sportlichen Spannung angepasst wurden. Folglich blieb die Hälfte der Sitzschalen leer. Und dann war der nervige Hype um den irischen Gast. Ja, die waren nett in Dublin und ja, bei der EM waren wir alle beeindruckt von den irischen Fans. Aber für die 96-Eventabteilung war sofort eine neue Freundschaft geboren. Dazu trug natürlich auch bei, dass Nutzer eines populären Internetforums rund um die Roten Geld für einen irischen Fan sammelten, damit der nach Deutschland fliegen konnte. Der Beschenkte hatte netterweise virtuell Tipps für den Aufenthalt in Dublin gegeben und viele Empfänger waren traurig, dass er aus eigenen Mitteln anscheinend nicht zum Spiel nach Hannover reisen konnte. So eine Charity-Nummer ist dann natürlich gefundenes Fressen für 96 und die Medien.

Außerdem meinte 96 noch mit großer medialer Vorankündigung „Fields of Athenrye“ (den Song, den die Fans der irischen Nationalmannschaft so inbrünstig bei der EM gesungen hatten), inklusive Text zum Mitsingen auf der Leinwand, vor dem Spiel abspielen zu müssen. Der Wunsch war, dass alle 96er gemeinsam mit den irischen Freunden „deren“ Song singen. Nur war es überhaupt nicht ihr Song. Der hatte in etwa so viel Bezug zum St. Patrick’s Athletic FC wie Mexiko von den Böhsen Onkelz zu Hannover 96. Hatten die Iren auch artikuliert, aber 96 interessiert natürlich nicht die Meinung des Empfängers der großen Geste. Es geht schließlich um’s Event und nicht um die Fans des St. Patrick Athletic FC. Als das Kultlied der Fans der irischen Nationalmannschaft gespielt wurde, sang niemand im Gästeblock mit und in der Nordkurve wurde ein 96-Lied angestimmt. Das wiederum sorgte für empörte Leserbriefe von so genannten Fans, die sich dafür geschämt haben, dass die 96-Fans die Hymne der Iren niedergebrüllt haben. Verrückte Nummer. Aber genug vom Einblick in das Innere einer undankbaren Fanseele, wenn es sportlich mal nichts zu meckern gibt. Und wir wollen auch nicht verhehlen, dass Einzelpersonen abseits der Ultraszene nach diesen zwei Aufeinandertreffen auch ganz ohne Hype weiterhin lebendigen Kontakt mit den Iren hielten.

1.Runde DFB-Pokal in Reutlingen (gegen Nöttingen)
1.Runde DFB-Pokal in Reutlingen (gegen Nöttingen)

Beim nächsten Pflichtsieg hätte man nun vorzüglich über das Wetter meckern können, denn es war viel zu heiß in Reutlingen, wo der FC Nöttingen uns zum DFB-Pokal-Erstrundenmatch empfing. Aber auf den schattigen Presseplätzen war es beim 6:1 Sieg der Roten auszuhalten und die 800 Hannoveraner im Gästeblock hatten sich zunächst im angrenzenden Freibad erfrischt und während des Spiels zum Glück Abkühlung durch Wasser aus Feuerwehrschläuchen. Von diesen Wasserstrahlen könnte man prima zum Wasserwerfer beim Heimspiel gegen Slask Wrocław überleiten, aber zunächst musste 96 auswärts in Wrocław (Breslau) antreten.

Eigentlich wieder ein gutes Los für eine schwarz-weiß-grüne Invasion, da auf dem Landweg gut erreichbar. Aber medial wurde in Hannover natürlich Angst und Bange vor polnischen Hooligans gemacht. Deren Ruf war im Endeffekt nur 1.200 Fans aus Hannover entweder egal oder nicht schlimm genug. Sie sahen vor Ort eine tolle Altstadt und ein verrücktes Spiel beim amtierenden polnischen Meister. Ein ganz komfortables 3:1 zur Pause war nach 60 Minuten zu einem 3:3 geworden. Zum Glück gab 96 nochmal Gas im letzten Drittel und konnte mit einem 5:3 Sieg das Weiterkommen so gut wie klar machen. Zwei Tore steuerte übrigens wieder Leon Andreasen bei. Wirklich tolles Comeback, genau wie die Stimmung im EM-Stadion von Wrocław. Die Polen zauberten brachial laute Stimmung und die Gästefans gaben alles, um irgendwie dagegen anzustinken. Von Gewaltexzessen übrigens den ganzen Tag keine Spur.

Gästeblock in Breslau
Gästeblock in Breslau

Meinen diesjährigen Geburtstag feierte ich am nächsten Tag in der Brauerei zu Herrenhausen, so dass ich beim Heimauftakt gegen Schalke 04 (gerade mal ca. 40 Stunden nach Abpfiff in Wrocław) nicht viel vom 2:2 mitbekam. Dafür war ich wieder nüchtern, als die Bild die seit Jahren bei jedem Spiel geschwenkte Fahne mit dem Konterfei des Massenmörders Haarmann skandalisierte. Ja, richtig, die Bild, der Hort der Pietät in der deutschen Medienlandschaft. Irgendwie wurde langsam klar, dass die kurze Phase ohne große Konflikte wieder vorbei war. Denn Martin Kind persönlich spielte nun Trampeltier und verbot die Fahne. Der erste große Streit, nachdem man sich die letzten Monaten zusammengerauft hatte und der große Präsident sogar hinter vorgehaltener Hand Pyrotechnikstrafen bis zur Höhe X pro Saison toleriert haben soll.

Die UH zur Causa Haarmann
„Haarmann gehört zu Hannover wie Lügen zur Bild“ (UH)

„Haarmann gehört zu Hannover wie Lügen zur Bild“ verkündete die UH mittels Spruchband beim Rückspiel gegen Slask Wrocław in der Nordkurve. Ich persönlich habe zwar keinen Bedarf diesen pädokriminellen Massenmörder zum Teil meiner Fanfolklore zu machen, aber war hier dennoch voll und ganz auf der Seite der betroffenen Fans. Zum einen kann es nicht angehen, dass Hannover 96 in moralischen Fragen von der Bild getrieben wird. Zum anderen verstößt die Fahne nicht gegen die Stadionordnung und wenn Martin Kind einfach so Fahnen verbieten kann, die ihm oder der Bild nicht gefallen, ist das sehr bedenklich. Zumal Martin Kind jedes Jahr auf einem Adventskalender des hannoverschen Stadtmarketings zusammen mit Haarmann abgebildet wurde und außerdem Ehrenmitglied des Promi-Fanclubs „Rote Reihe“ ist, der zufälligerweise nach Haarmanns Wohnstrasse benannt ist. Auch hat die Bild noch nie die Umbenennung des Pubs „Jack the Ripper“ gefordert oder besagten Adventskalender oder sonstiges Haarmann-Marketing gegeißelt. Kurzum; eure Doppelmoral kotzt mich an!

Die Gäste aus Breslau
Die Gäste aus Breslau

Doch zurück zum Fußball und seinen anderen Begleiterscheinungen. Mit Slask Wrocław gastierte fantechnisch ein echtes Schwergewicht in Hannover. Etliche der rund 2.000 Polen sollen einen eindrucksvollen Fanmarsch vom Bahnhof zum Stadion unternommen haben. Und Hannovers Gewalttäter Sport, heute in ungewöhnlich hoher Anzahl präsent, planten diesen anzugreifen. Das verhinderte die Polizei mit drohendem Wasserwerfer und viel Pfefferspray am Waterloo. Währenddessen kamen ca. 60 Polen aus Richtung Maschsee zur Nordkurve und es ging dort kurz rund. Als zufälliger Zeuge des Brimboriums, ging es natürlich mit etwas erhöhtem Adrenalinspiegel durch’s Drehkreuz, aber im Stadion blieb alles friedlich und 96 demontierte die Niederschlesier 5:1. Dass der polnische Meister hier gerade unterging, merkte man den 2.000 Slask-Anhängern hingegen nicht an. Die supporteten 90 Minuten und hatten neben den gut geölten Kehlen auch allerhand Pyrotechnik im Gepäck. Die Mannschaft dankte es ihnen nach Abpfiff in der Gästekurve mit Applaus und Trikotspenden.

Gala in WOB
Gala in WOB

In der Bundesliga erwartete uns kurz nach dem Triumph über Slask Wrocław gleich die nächste Gala. 4:0 wurde die Fußballabteilung des VW-Konzerns in Wolfsburg demontiert. Mann des Tages war Szabolcs Huszti, der alle vier Tore vorbereite. Wie weise es war, den Magyaren zurück an die Leine zu lotsen, zeigte sich am nächsten Spieltag gleich nochmal. Werder Bremen musste die nächste Huszti-Gala über sich ergehen lassen. Beim 3:2 Sieg bereitete er wieder einen Treffer vor und schoss zwei Tore selbst. Eines davon war der Siegtreffer in der 90.Minute. Da Huszti diesen völlig nachvollziehbar total emotional feierte, gab es für ihn Gelb-Rot vom Schiedsrichter. Erste Gelbe für Trikot ausziehen, zweite Gelbe für auf den Zaun klettern. Summierte sich nach konsequenter Regelauslegung zu einem Platzverweis. Nicht jede Fußballregel sollte so unantastbar wie z. B. der Stadionname Niedersachsenstadion sein. Der wurde gegen Bremen wieder mal choreographisch in der Nordkurve verewigt. Und außerdem wurden in letzter Zeit alle Wegweiser im Straßenverkehr zur so genannten AWD-Arena mit Niedersachsenstadion-Aufklebern überklebt. „Könnte was mit der Sache zu tun haben“, war vermutlich der Aktenvermerk der wegen Sachbeschädigung ermittelnden Behörde.

Für immer Niedersachsenstadion
Für immer Niedersachsenstadion

Nach dem guten Bundesligastart (Dritter nach drei Spielen) wartete das erste Gruppenspiel in der Europa League auf uns. Twente Enschede hieß der wenig exotische Gegner. Klar, dass ins 222km entfernte niederländisch-niedersächsische Grenzgebiet viele Tausend 96-Fans reisen wollten. Aber zum einen rückte der FC Twente nur die 1.500 vorgeschriebenen Gästekarten raus und zum anderen verteilte 96 diese nicht mehr so fanfreundlich wie im Vorjahr. Dieses Jahr gingen deutlich mehr Karten an Sponsoren und Partner von 96 als an den Dachverband „Rote Kurve“, der wiederum seine Karte in der Fanszene verloste. Hannover 96 (bzw. dessen Verantwortungsträger) machten sich diese Saison echt an vielen Fronten bei uns Fans unbeliebt. Nichtsdestotrotz hatte ich eines der begehrten Billets ergattert und freute mich ein bisschen darüber Europapokal auswärts ohne extra Urlaubstage erleben zu können. Für große Ausflüge in die Stadt blieb aber nach Feierabend keine Zeit und ich verpasste somit die große Hooligan-Folklore mit Stühlerücken am Marktplatz und Jagdszenen am Bahnhof. Auseinandersetzungen die übrigens nach Abpfiff im Stadionumfeld fortgesetzt wurden. Aber zwischendurch war auch Fußball angesagt und 96 errang glücklich einen Auswärtspunkt in Enschede (einen detaillierteren Bericht gibt es hier).

Drei Tage nach dem Gastspiel in den Niederlanden war eigentlich der nächste Bundesligasieg fest eingeplant. Es ging nach Hoffenheim, aber da die unfairerweise auf Tim Wiese im Tor verzichteten, konnten sie tatsächlich 3:1 gegen 96 gewinnen. Im nächsten Heimspiel machte 96 es wieder besser und schickte den 1.FC Nürnberg mit 4:1 nach Hause (Huszti übrigens wieder mit drei Scorerpunkten). Die Roten konnten somit als weiterhin Tabellendritter nach Hamburg reisen, doch dort schoss eine Rothose das einzige Tor des Tages. War ein nettes Gastgeschenk zum 125.Geburtstag des Hamburger SV (eigentlich des ältesten Vorgängervereins SC Germania).

Die schlimmste Fahne der Welt
Die schlimmste Fahne der Welt

Zurück in Hannover, erregte wieder die Haarmann-Posse die Gemüter. Ein Fan, der jene mittlerweile hochoffiziell verbotene Fahne schwenkte, bekam von 96 Stadionverbot. Die Antwort der „Ultras Hannover“ und weiterer Fangruppen war ein Stimmungsboykott beim Europapokalheimspiel gegen UD Levante. Die Fanszene verwies nochmal darauf, dass Haarmanns Konterfei bereits seit über einem Jahrzehnt ohne öffentlichen Anstoß daran zur Symbolik in der Fankurve gehört und das Geschmacksempfinden von Boulevardzeitungen oder mächtigen Einzelpersonen nicht in Zensur und Willkür ausarten darf. Zumal z. B. fickende Comic-Schafe auf der Anzeigetafel, an denen auch so mancher Anstoß nimmt, wiederum völlig okay sind, da der Sponsor an 96 Geld überweist. Eben eine echte Posse. Die akustisch wenig unterstützten Roten gewannen heute dennoch 2:1 (obwohl 80 Minuten in Unterzahl) und machten somit einen ersten größeren Schritt Richtung K.O.-Phase der Europa League (denn Twente und Helsinborg trennten sich Remis).

Stimmungsboykott gegen UD Levante
Stimmungsboykott gegen UD Levante

Der Stimmungsboykott wurde auch im Ligaspiel gegen den BVB fortgesetzt (1:1), da der Verein weiterhin auf Fahnenverbot und Stadionverbot für einen identifizierten Schwenker bestand. Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann schaute im Stadion vorbei und artikulierte volle Unterstützung für den Kurs von Martin Kind. Und schlimmer noch, Scorpions-Frontmann Klaus Meine drohte öffentlich „Wenn die Fans nicht singen, singe ich“. Gott sei dank war es eine leere Drohung. Es lag gerade echt so einiges im Argen, denn neben der Haarmann-Posse, flammte auch wieder der zeitlose Pyro-Streit auf. Der Innenminister machte Druck und 96 sollte und wollte eine bessere Videoanlage finanzieren und wer Martin Kind kennt weiß, dass er kein Freund von Investitionen ist, die keinen Ertrag abwerfen. Außerdem äußerte er sich nach Beleidigungen aus dem Fanblock gegenüber Ex-96er Emanuel Pogatetz (beim Gastspiel in Wolfsburg) sehr unglücklich. „Ein Teil unserer Fans sind Arschlöcher“ bölkte der sonst so gerne mit vorgefertigten Satzbausteinen hantierende Kind in die Pressemikros. Ich fand das fast schon sympathisch, weil er da endlich mal emotional wirkte. Aber sich daran stören, dass Fans niveaulose Beleidigungen absondern und sie gleichzeitig ebenso unflätig zu beleidigen, führt die Kritik gleich wieder ad absurdum.

Ich habe die Hypothese, dass damals bei Martin Kind eine Kosten-Nutzen-Analyse im Kopf schwirrte, welche die aktuelle Fanszene mehr als teures Problem, denn als unverzichtbaren Teil und Mehrwert seines Premiumproduktes Hannover 96 bewertete. Und über allen lokalen hannoverschen Problemen schwebte im Herbst 2012 auch noch das bundesweite Thema DFL-Sicherheitspapier. Den Maßnahmenkatalog, den die DFL (getrieben von profilierungssüchtigen Politikern wie z. B. Uwe Schünemann) für ein noch sichereres Stadionerlebnis entwarf, sollten alle Vereine eigentlich ihren Fans vorstellen und mit ihnen diskutieren. In Hannover geschah das natürlich nicht, so dass die Fanszene erst auf Unwegen von dem DFL-Papier erfuhr. Die aktiven Fans vernetzten sich nun bundesweit, um das Papier im Optimalfall zu stoppen oder wenigstens so weit wie möglich zu entschärfen. Ich möchte das DFL-Papier hier nicht nochmal groß aufarbeiten, aber Punkte wie Nacktkontrollen und Gästefanverbote seien an dieser Stelle nochmal genannt. Für einen ausführlichen Hintergrund bitte hier vorbeischauen: http://www.12doppelpunkt12.de

Zu Gast im Frankfurter Waldstadion
Zu Gast im Frankfurter Waldstadion

Auswärts wurde supportet (da das „Haarmann-Stadionverbot“ nur in Hannover gilt), aber das half beim 1:3 in Frankfurt auch nicht viel. Die SGE war die Mannschaft der Stunde (Tabellenzweiter nach einem guten Viertel der Saison) und 96, wie meistens auswärts, zu harmlos. Zum Glück war die sich abzeichnende Auswärtsschwäche eher ein Ligaproblem und fünf Tage nach der Niederlage im Waldstadion fuhr 96 einen wichtigen Dreier bei Helsingborg IF ein. Das Spiel hatte eigentlich Potential zum Kopenhagen 2.0 zu mutieren, denn die Distanz war ja kaum weiter. Doch Karten waren nicht ganz so leicht zu organisieren, da das Stadion viel kleiner war und Helsingborg ist für den Eventtouristen natürlich nicht so ein attraktives Ziel wie Kopenhagen. Trotz allem kamen ordentliche 4.000 Schlachtenbummler aus Hannover zusammen, die echt mieses Wetter ertragen mussten. Kalte Winde, viel Regen und später im Stadion Schneefall taten der guten Stimmung allerdings keinen Abbruch und wir konnten ein frühes und verdientes 1:0 durch Diouf bejubeln. 96 verpasste es leider die zahlreichen Chancen zum 2:0 zu nutzen und wie es dann oft im Fußball so ist, köpfte ein HIF-Spieler das 1:1 in der 90.Minute. Ganz kurz ganz lange Gesichter im Gästeblock, aber Didier Ya Konan besorgte nach Vorarbeit von Artur Sobiech in der 3.Minute der Nachspielzeit das 2:1. Happy End in Helsingsborg und 96 damit auf sehr gutem Wege in Richtung K.O.-Runde.

96-Mob in Helsingborg
96-Mob in Helsingborg

Zurück im Liga-Alltag riss die wunderschöne Serie von 22 Heimspielen ohne Niederlage. 96 schaffte es aus einer 2:0 Führung binnen neun Minuten ein 2:3 zu zaubern. Nutznießer der kurzen Indisponiertheit der Slomka-Elf war Borussia Mönchengladbach. Egal, Mund abputzen und weitermachen! Schon drei Tage später hatte 96 Gelegenheit zur Wiedergutmachung auf heimischem Terrain. Dynamo Dresden gastierte in der 2.Runde des DFB-Pokals in Hannover. Aus Fankurvensicht attraktiver als alle drei EL-Gruppengegner zusammen und Dynamo machte auch wieder mobil wie nichts Gutes. Für die war im DFB-Pokal auswärts bei einem Erstligisten antreten vielleicht ein bißchen wie für uns Europapokal auswärts. Kurzum; ein absolutes Saisonhighlight. Rund 10.000 Dynamo-Fans reisten nach Hannover und Hinz und Kunz regten sich im Internet darüber auf, dass die Dynamos tausende Karten außerhalb des etatmäßigen Gästeblocks gekauft haben. Mutmaßlich die gleichen Leute, die sich ein Jahr zuvor dafür gefeiert haben in Kopenhagen die Heimtribünen voll gemacht zu haben. Ob in Kopenhagen oder Hannover, wenn die Heimmannschaft nicht genug Anhang hat, um das Stadion zu füllen und eine Gastmannschaft mit riesiger Nachfrage kommt, muss man damit leben, dass man schlimmstenfalls Gast im eigenen Stadion ist. War schon traurig, dass sich gerade mal 20.000 Hannoveraner für dieses Spiel interessierten.

Ob es wirklich die Angst vor den bösen Dynamos war, die in der Lokalpresse natürlich ohne jegliche Sensationslust geschürt wurde und die nun auch von jener Presse als Grund angeführt wurde? Hannover 96 jedenfalls hatte keine Angst vor Dresdens Anhang. Angebote aus Dresden am Sicherheitskonzept mitzuwirken, wurden ernsthaft mit „Nein danke, wir spielen Europapokal, wir wissen was wir zu tun haben“ abgeschmettert. Arroganz par excellence und sie wussten natürlich nicht was sie zu tun haben. Dresden marschierte mit mehreren Tausend Anhängern von einem Baumarkt-Parkplatz in Linden-Süd zum Stadion, wo genau ein mickriges Eingangstor geöffnet war. Das guckte sich der gemeine sächsische Schlachtenbummler nicht lange mit an und das Stadion wurde gestürmt. Sehr hilfreich waren dabei die Trenngitter der Polizei, die hochkant den Dynamos prima als Leiter über den Stadionzaun dienten. Einfach genial, das europapokalerprobte Sicherheitskonzept von Polizei und Veranstalter.

Die Ruhe vor dem Sturm
Die Ruhe vor dem Sturm

Rasch drang die Kunde des Dresdner Stadionsturms zum Vorplatz der Nordkurve und auch dort stürmten etliche Fans ohne Kontrolle die Stadiontore, denn sie befürchteten, dass die Dresdner drinnen weiter zur Nordkurve stürmen und dort Zaunfahnen und ähnliches Material entwenden könnten. Es soll nun sowohl innerhalb als auch außerhalb des Stadions zu wilden Jagdszenen mit den beteiligten Parteien Polizei, 96-Fans und Dynamofans in wechselnder Rollenverteilung gekommen sein. Schon weit vor Anpfiff konnte der Stempel Skandalspiel erteilt werden und es wurde in der Hinsicht nicht viel ruhiger. Zum Anpfiff boten die heute mal gleich großen Fankurven – die „Ultras Dynamo“ spiegelten mittig im Oberrang der Südkurve quasi die „Ultras Hannover“ in der Nordkurve – beiderseitig Pyrotechnik. Wobei die hannoversche Nordkurve dabei mehr und koordinierter zündete. Sah klasse aus wie im Block der UH etwa 50 rote Bengalos in Reihe gezündet wurden und im Unterrang von der BN nochmal rund 25 grüne Bengalos aufleuchteten. Aber gerade im Kontext dieses Spiels war klar, dass das Echo negativ und enorm sein würde.

North Stand's on fire, your president is terrified...
North Stand’s on fire, your president is terrified…

Während des Spiels, welches Diouf mit einem frühen 1:0 zunächst in die richtige Bahn lenkte, gab es auch phasenweise von beiden Kurven fantastische Stimmung. Das 1:0 wurde nochmals mit Pyrotechnik gefeiert und die Gesänge waren heute laut und geschlossen. Dynamo feierte seinen Ausgleich ebenfalls pyrolastig und war stimmungsmäßig natürlich auch ein Brett. Trotz roter Feldüberlegenheit ging es in die Verlängerung und ins Elfmeterschießen, wo Zieler mit zwei gehaltenen Elfmetern das Weiterkommen sicherte. Eigentlich ein genialer Pokalabend, aber es waren schon zu viele Nebengeräusche erzeugt worden und Dynamo setzte nochmal einen drauf, indem rund 200 Anhänger den Platz stürmten und außerdem vereinzelt mit Leuchtspurmunition durch’s Stadion geschossen wurde.

Die Konsequenzen für Dynamo Dresden: Pokalausschluss für die kommende Spielzeit.
Die Konsequenzen für die 96-Fanszene: Schließung/Sperrung von Verkaufsständen und Lagerräumen der UH und BN im Stadion.

Dresdens Platzsturm nach dem Elfmeterschiessen
Dresdens Platzsturm nach dem Elfmeterschiessen

Zum Glück gab es noch das Fanhaus, wo fortan vor Heimspielen Material der UH und anderer Fangruppen erstanden werden konnte. Das Fanhaus vor den Spielen aktiv zu nutzen war eine nette Sache. Es gab dort neben den Verkaufsständen auch günstig Speis und Trank und die Polizei fand es wahrscheinlich auch gar nicht mal nachteilig die aktive Fanszene fernab der Innenstadt verorten zu können. Konnte alles gleich erprobt werden bei den Heimspielen 3 und 4 binnen 11 Tagen.

Zunächst wurde der FC Augsburg 2:0 geschlagen, was den zwischenzeitlich auf Platz 10 gefallenen HSV von 1896 wieder auf den begehrten 6.Platz katapultierte. Dann kam Helsingborg IF ins Niedersachsenstadion. Es wurde wie schon im Hinspiel unnötig knapp, aber am Ende setzen sich die Roten 3:2 gegen die Schweden durch. Damit war 96 zum zweiten Mal in Folge für die K.O.-Phase der Europa League qualifiziert. Den Sonntag danach gab es einen der wenigen Auswärtssiege der Saison zu bejubeln (4:2 in Stuttgart), aber zur ausgleichenden Gerechtigkeit wurde das gefühlt 50.Heimspiel des Kaldenderjahres 2012 mit 1:2 gegen den SC Freiburg verloren. 96 war noch Sechster, aber die halbe Liga war mit 0 bis 3 Punkten Abstand auf Tuchfühlung.

Siegreiche 96er in Stuttgart
Siegreiche 96er in Stuttgart

Im Europapokal gastierte nun der FC Twente Enschede in Hannover. Nach dem Hinspiel rechneten viele mit einem krawalllastigen Nachmittag und Abend in der Messe- und Expo-Stadt, aber weder sah ich davon irgendwas, noch wurde einem etwas per stiller Post zugetragen, noch hatten die Medien derlei zu berichten. Das 0:0 hielt 96 an der Tabellenspitze und raubte Twente die letzte Chance auch weiterzukommen.

Zwei Tage nach dem deutsch-niederländischen Vergleich fuhren wir nach München. Schieben wir das 0:5 also mal auf die zu kurze Regeneration. Und gerade mal drei Tage später stand bereits das nächste Heimspiel im Kalender. Allerdings gegen den Siebzehnten (Aufsteiger Greuther Fürth), anstatt gegen den Tabellenführer und 96 gewann schmucklos, aber standesgemäß mit 2:0. Nachhaltiger in Erinnerung als das Spiel, blieb der Protest gegen das DFL-Sicherheitspapier, wofür 12 Minuten und 12 Sekunden geschwiegen wurde. Nicht nur in Hannover, sondern bundesweit. Im Rest der Republik (und im Gästeblock in Hannover) klappte der Protest sehr wirkungsvoll. In Hannover sah der gemeine Stadiongänger die Fanszene wohl etwas kritischer als der bundesweite Durchschnitt und vielleicht wurde das Anliegen der Kampagne (die außerhalb von Hannover medial sehr gelobt wurde) auch nicht ausreichend vermittelt. Jedenfalls dachten bestimmt viele Stadionbesucher außerhalb der Kurve, dass das wieder so ein Protest für Pyrotechnik und Massenmörder ist. Entsprechende Infoflyer liest man natürlich nicht, bevor man damit Papierflieger bastelt.

Fans of Alcohol & 96 in Valencia
Fans of Alcohol & 96 in Valencia

Auch beim nächsten Spiel, auswärts in Mainz (1:2), gab es wieder 12:12-Schweigeprotest (der auswärts mit dem harten Kern natürlich problemlos klappte). Danach folgte eine astreine „Wir sind nur zum Feiern hier“-Tour nach Valencia (detaillierter Bericht, soweit der Alkohol das zuließ, hier). 96 war für die K.O.-Phase qualifiziert und UD Levante war es auch. Also nochmal ab in die Sonne und ein paar Tage von Tapas, Vino und Cerveca ernähren. Vor Ort haben wir noch schön einen städtischen Brunnen in ein Schaumbad verwandelt und 96 hat mit einem 2:2 den Gruppensieg gesichert. Das wäre eigentlich ein perfekter Jahresabschluss gewesen, aber leider war noch keine Winterpause.

Am 9.Dezember wurde nochmals protestiert, diesmal sogar mit Demo vor’m Spiel, bevor wieder 12 Minuten und 12 Sekunden geschwiegen wurde. Am Ende des Tages hatte 96 Bayer 04 3:2 geschlagen und die internationalen Plätze blieben in Reichweite. Danach war ruckzuck der 12.12. gekommen und die DFL stimmte mit nur zwei Gegenstimmen (FC St.Pauli und Union Berlin) für das bereits deutlich modifizierte Sicherheitspapier. Hinter vorgehaltener Hand schoben viele Funktionäre ihre Entscheidung auf den enormen politischen Druck aus der Innenministerkonferenz. Nach dem Motto; lieber Verband, entweder ihr macht selbst was gegen Pyro und Gewalt oder wir lassen uns was einfallen wie zum Beispiel die Abschaffung der Stehplätze. Ich bin geneigt sowohl den Fussballfunktionären, als auch den Politikern wie Uwe S. den schwarzen Peter zu gleichen Teilen zuzuschieben. Ist schon unglaublich wie das unheimlich sicher gewordene Stadionerlebnis (man vergleiche mit den 70er, 80er oder 90er Jahren) bar jeder Realität als lebensgefährlich dargestellt wurde, um dann ein Problem was es eigentlich nicht gibt mit einem Sicherheitspapier vermeintlich zu lösen. So funktioniert Politik wohl.

lev
Sie fühlen sich sicher – Demo vorm Spiel gegen Leverkusen

Beim vorletzten Pflichtspiel des Jahres wurde in Düsseldorf (deren Platzsturm beim Aufstieg im Sommer übrigens einer der Aufhänger der Sicherheitsdebatte war) noch einmal geschwiegen. Diesmal 90 Minuten. Einem teilweise sehr aggressiven Restpublikum im Gästeblock schmeckte das überhaupt nicht und es wäre fast zu handfesten Auseinandersetzungen gekommen. Zum Glück waren die Ultras & Co besonnener als der alkoholisierte Pöbel. Nonverbale Konflikte in der eigenen Kurve fehlten ja gerade noch in dieser – vom Sportlichen mal abgesehen – beschissenen Gesamtsituation. Ach ja, es wurde deutlich mit 1:3 verloren und kurz vor Weihnachten unterlag 96 im DFB-Pokal-Achtelfinale beim BVB mit 1:5. Die Wochen zwischen Nikolaus und Heiligabend waren echt zum Vergessen!

Diesmal brauchte man als Fan, im Gegensatz zum Vorjahr, die Winterpause unbedingt zum Durchschnaufen. Auch die Clubverantwortlichen hatten keine so sehr besinnliche Weihnachtszeit. Die Situation bei den leitenden Angestellten war schon lange unentspannt. Erfolgstrainer Mirko Slomka hatte vor Schmadtkes ungewöhnlicher Auszeit erst alle Zeit der Welt für eine Vertragsverlängerung signalisiert, um dann während Schmadtkes Abwesenheit medial Druck zu machen, dass er endlich Klarheit will. Als Schmadtke wieder da war, war das Thema aber nicht mehr so akut und Slomka ließ sich doch bis Dezember Zeit, bis er unterschrieb und bis dahin wurde hart gepokert. Pokern gehört zum Geschäft und natürlich ist es legitim, dass Slomka und sein Berater das Bestmögliche aushandeln wollen, aber in Hannover schien auch ein richtungsweisender Machtkampf zu toben. Slomka wollte sich allem Anschein nach nicht Schmadtke unterordnen, sondern strebte mehr Entscheidungsgewalt und Einfluss für sich an.

Zur verzwickten Situation passte ein Wintertransfer wie die Faust auf’s Auge. Man wollte einen gross gewachsenen Mittelfeldspieler verpflichten und einigte sich auf den Brasilianer Franca, den Slomka und Schmadtke aber nur von DVDs kannten. Der Spieler entpuppte sich als kleiner als angenommen bzw. von seinem Berater angepriesen und der Boulevard erfuhr leider davon, dass man hier auf die Nase gefallen war. Der „Schrumpf-Brasilianer“ war geboren und man kann natürlich davon ausgehen, dass Schmadtke die Interna nicht an die Bild weitergegeben hat. Zu allem Überfluss war der Brasilianer auch noch an Tuberkulose erkrankt und sollte nicht ein Pflichtspiel für 96 bestreiten. Das stellte die ansonsten sinnvollen und namhaften Transfers in dieser Periode völlig in den Schatten. Für die chronische Baustelle Linksverteidiger kam der belgische Nationalspieler Sebastien Pocognoli (Standard de Liege), für die Innenverteidigung der schweizerische Nationalspieler Johan Djourou (Arsenal FC) und für das defensive Mittelfeld der umworbene deutsche U21-Nationalspieler Andre Hoffmann (MSV Duisburg).

Mal wieder auf Schalke verloren
Mal wieder auf Schalke verloren

Möge sportlicher Erfolg von den Nebenkriegsschauplätzen ablenken, war der fromme Wunsch wohl aller Fans zum Rückrundenauftakt. Doch auf dem Berger Feld war bei Schalke 04 trotz vier Auswärtstoren nichts zu holen. 4:5 hieß es am Ende aus hannoverscher Sicht. Und die Woche darauf machte die Fanszene wieder negative Schlagzeilen außerhalb des Platzes. Der Intimfeind der Ultraszene, Innenminister Uwe Schünemann, wurde zwar jüngst vom Volke abgewählt (ausgerechnet in meinem Wahlkreis fehlten der CDU schlappe 335 Stimmen zum Weiterregieren), aber Hannover 96 blieb treuer Erfüllungsgehilfe aller Anliegen aus der Ecke Innenpolitik/Polizei. Daher wurde das Polizisten diffamierende Kürzel A.C.A.B. im Stadion kurzerhand auf Wunsch einer Polizeigewerkschaft verboten. Die GdP Niedersachsen hatte alle höherklassigen niedersächsischen Vereine gebeten so vorzugehen. Bisher reagierte nur 96.

Abschiedsgruß an Uwe S.
Abschiedsgruß an Uwe S.

Sich nun mit Sinn und Unsinn, sowie juristischen Bewertungen der Parole A.C.A.B. auseinanderzusetzen, würde hier den Rahmen sprengen. Die „Brigade Nord“ jedenfalls protestierte beim Heimspiel gegen Wolfsburg gegen die Maßnahme mit einem A.C.A.B.-Banner in der 20.Minute. Ordner rissen es ab, es kam zu einem Handgemenge und die BN wollte aus Protest das Stadion verlassen. Hinter der Nordkurve erfolgte dabei ein Zugriff der Polizei, die offenbar die ganze Gruppe festnehmen wollten und dabei aus Zeugensicht äußerst brutal vorging. Dutzende Fans aus dem Nordoberrang stürmten nun der BN zur Hilfe und schlugen die Polizei in die Flucht. Natürlich blieb diese massive Widerstand nicht folgenlos, wenn auch am Spieltag selbst kein weiterer Zugriff erfolgte.

Zurück zum Sportlichen: Bei der Banner-Aktion hatte 96 bereits 1:0 durch Abdellaoue geführt. Als in der 35.Minute Linksverteidiger Sebastien Pocognoli die Rote Karte sah, gab Diouf drei Minuten später zum Glück mit dem 2:0 die richtige Antwort. 96 konnte den Zwei-Tore-Vorsprung in die 2.Hälfte überführen und dort gelang den Gästen nur noch der Anschlusstreffer. Glücklicher, aber wichtiger 2:1 Sieg. Denn Europa wollten wir natürlich nicht aufgeben und hofften auf den nächsten Sieg in Bremen, trotz Auswärtsschwäche.

Die Vorfreude trübte leider die 96-KGaA, denn die bat Werder Bremen darum den mitreisenden Fans aus Hannover alle Fanutensilien zu verbieten. Aber dieser bisher beispiellose Vorgang geriet schnell in den Hintergrund. Denn auf der Hinreise folgte die mutmaßliche Retourkutsche der Polizei für die Attacke beim Wolfsburg-Heimspiel. Einige hundert, vorwiegend der Ultraszene zuzurechnende Fans, verließen in Achim einen völlig überfüllten Regelzug, um von dort mit der S-Bahn weiter nach Bremen zu fahren. Die Polizeibegleitung stieg natürlich mit aus, aber anstatt nach Bremen, wurden alle unter Zwang in einen Zug nach Hannover gesteckt. Begründet wurde die Maßnahme damit, dass allen aus der Gruppe spontan ein Betretungsverbot für Bremen erteilt wurde. Die Führungspersonen der Ultras riefen zur Besonnenheit auf und tatsächlich ließ sich kaum jemand zu Widerstand provozieren.

Auch ohne Ultras Pyro in Bremen
Auch ohne Ultras Pyro in Bremen

In Hannover wurde die Reisegruppe für mehrere Stunden im Bahnhofstunnel festgehalten und von allen 434 Reisenden wurden die Personalien aufgenommen. Inklusive Foto/Videoaufnahmen von jeder Person (die Letzten durften in den frühen Morgenstunden nach Hause gehen). Martin Kind hatte sofort die „richtigen“ Worte parat, als hätten sie schon in der Schublade gelegen. Er lobte das konsequente Vorgehen der Polizei, verurteilte diesen neuerlichen Gewaltausbruch der Pseudofans (welche die Premiumplattform Bundesliga missbrauchen) und würde gerne in Zukunft an all diese Personen keine Karten mehr verkaufen. Im Prinzip wäre das der Coup, um mal eben 96% der ungeliebten Ultraszene aus dem Stadion zu verbannen. Und die Madsackpresse erfand dazu, man kann es wirklich gar nicht anders sagen, Märchen von Angriffen auf Polizeibeamte, zerstörten Zügen, Pyrorandale usw. in Achim, so dass der gemeine Leser der Polizei und Martin Kind am Frühstückstisch Applaus klatschte. Übrigens wurden alle 434 Fans angezeigt und alle 434 Verfahren wurden eingestellt. Das sagt eigentlich alles über diese Willkürmaßnahme. Man munkelte, dass Polizei sich erhoffte im Zuge dieser Ermittlungen die Täter vom Wolfsburg-Spiel zu identifizieren. Daher der ganze (vergebliche) Aufriss. Ohne Worte!

Es war gerade alles Mist im Umfeld von 96. Zu allem Überfluss kündigten die Betreiber des Fanladens (Kartendealer und vieles mehr für aktive Fanszene) wegen der ungewissen Zukunft die Geschäftsaufgabe zum Sommer an (mein Freund Dave fand dazu damals ein paar passende Worte). Ach, und in Bremen wurde 0:2 verloren und es gab Böller, antisemitische Beleidigungen u.v.m. im Gästeblock. So sieht dann eventuell der Fanblock ohne Ultras aus. Alles zum Kotzen gerade. Ich persönlich hatte die Schnauze komplett voll vom Premiumprodukt und Martin Kind schien die Schnauze komplett voll zu haben von der Fanszene. Jedenfalls ergriff er in der Folgezeit Maßnahmen, die die „Rote Kurve“, unseren Fandachverband, in die Selbstauflösung trieben. Eigentlich die Instanz, die zwischen den Fronten hätte vermitteln können. Aber Martin Kind drohte diesen gemeinnützigen Verein für zukünftige Strafzahlungen an die DFL in Haftung zu nehmen, da man den Einzeltätern nicht habhaft werden könne. Trotz modernster und teuerster Kameratechnik aller Zeiten und angeblich hochprofessionellem Ordnungsdienst.

96-Premiumpartner Viagogo statt Fanladen. Die Zukunft?
96-Premiumpartner Viagogo statt Fanladen. Die Zukunft?

Die Stimmung beim kommenden Heimspiel gegen die TSG Hoffenheim war natürlich beschissen, weil nach den jüngsten Ereignissen kaum jemand Motivation verspürte. Es wurde 1:0 gewonnen und alle freuten sich anschließend auf dringend notwendige Abwechslung im Europapokal. Es ging nach Moskau, wo das dagestanische Hoffenheim namens Anschi Machatschkala aus Sicherheitsgründen spielen musste. Alle Reisenden sollten nochmal ihren Spaß bei der vorerst letzten Auslandsreise mit dem HSV von 1896 haben. Man kommt ja auch nicht alle Tage nach Moskau und ins Luschniki-Stadion. Leider verlor 96 vor 7.000 Zuschauern (500 aus Hannover) deutlich mit 1:3 gegen die internationale Star-Truppe (u. a. mit Samuel Eto’o, der zum Glück noch einen Strafstoß verschoss). Ein Weiterkommen wurde nun sehr schwer.

Liebesgrüße an Kind aus Moskau
Liebesgrüße an Kind aus Moskau

Zwischendurch wurde kurz ein Punkt aus Nürnberg entführt (2:2) und dann stand schon das Rückspiel gegen Anschi auf dem Plan. Im Vorfeld hatte Kind selektiv die Preise für den Block der „Roten Kurve“, in dem auch die Ultras stehen, um 5€ erhöht, während alle anderen Preise stabil blieben. Nun kauften gerade mal 38 Fans Karten die betroffenen Blöcke N16/17 und rund 2.000 Fans kauften sich günstige Karten am Rande der Westtribüne (neben dem Gästebereich). Die Maßnahme griff also nicht, gerade auch weil die Nachfrage nach Karten insgesamt total bescheiden war. Nur 27.000 wollten Hannovers möglicherweise vorerst letzten internationalen Auftritt sehen. Vor dem Spiel versuchten aktive Fans, die sich außerhalb der Ultràgruppen bewegen, Martin Kind mit einem offenen Brief (hier nachzulesen) zum Nachdenken anzuregen. Wahrscheinlich vergebene Liebesmüh, aber Fans verschiedenster Couleur sprach der Brief aus der Seele und gab ihnen eine Stimme. Man darf einfach nichts unversucht lassen, um das Stadionerlebnis zu retten.

W11 statt N16 gegen Anschi
W11 statt N16 gegen Anschi

Bei Anpfiff wurden dann alle Sorgen und Konflikte für 90 Minuten beiseite gelegt und das Herz der Fankurve gab am ungewohnten Standort (Block W11) richtig Vollgas. Wir träumten vom Achtelfibalduell mit dem dafür bereits feststehenden Gegner Newcastle United und investierten alles, was die Kehle hergab. Auch die Mannschaft war sich der Restchance bewusst und wollte so schnell wie möglich das erste der mindestens zwei benötigten Tore erzielen. Aber egal ob Moa, Didi oder Diouf, keiner vermochte bis zur Halbzeitpause eine der Chancen zu nutzen. In der 70.Minute schließlich war es Sergio Pinto, der die Hoffnung neu befeuerte. Leider wollte das zweite Tor bis zur 90.Minute einfach nicht fallen. Da zwischendurch das Feld wegen des heutigen Schneefalls geräumt werden musste, ließ der Schiedsrichter noch fast 10 Minuten nachspielen, aber anstatt 96 traf Anschi in der Nachspielzeit per Konter und beerdigte unseren Traum von Newcastle.

bvb
Beim BVB: Wir lieben diesen Verein, aber wir hassen diese KGaA

40 Stunden nach dem bitteren Aus in der Europa League standen wir alle wieder in der etatmäßigen Kurve und feuerten unseren HSV gegen den anderen HSV an. War ein kurioses Spiel, welches 96 vor allem dank seiner Effizienz überdeutlich mit 5:1 gewann. Frohen Mutes ging es daraufhin nach Dortmund, wo leider standesgemäß nichts zu holen war (1:3). Jetzt hätte man Big Points gegen Frankfurt und in Mönchengladbach im Kampf um Platz 6 erzielen können, aber 0:0 und 0:1 waren wieder mal eine dürftige Ausbeute. Europa wurde unrealistischer.

96-Fans in Augsburg
96-Fans in Augsburg

Auch in Augsburg rechnete man sich trotz der Tabellensituation (es spielte der 10. beim 16.) nicht viel aus. Zu eklatant war die Auswärtsschwäche in dieser Saison (ein Punkt aus den letzten acht Auswärtsspielen). Dennoch machten sich drei Szenebusse auf den Weg ins bayrische Schwaben, sowie rund 600 weitere Rote. In Augsburg wurden noch diverse Kneipen heimgesucht und es griff wieder das alte Naturgesetz; je weiter die Fahrt, desto höher die Quote an Alkoholausfällen. Daher konnte von den Businsassen nicht jeder das Spiel im Stadion sehen. Durch ihren Rausch verpassten sie zwei Tore von unserem (Kocka) Rausch, der mit seinem ersten Doppelpack einen überraschenden Auswärtssieg maßgeblich zu verantworten hatte. Hätte es danach nicht das zweite dröge 0:0 nacheinander auf heimischem Geläuf gegeben (gegen Stuttgart, völlig überraschend mal sonntags) und anschliessend die Rückkehr der Auswärtsschwäche (1:3 in Freiburg), wäre vielleicht nochmal was nach oben gegangen.

Stattdessen „Bonjour Tristesse“ und leider auch „Adieu Rote Kurve e. V.“. Die angedrohten Maßnahmen der Hannover 96 KGaA raubten Vorstand und Mitgliedern die Perspektive auf eine glückliche Zukunft und so wurde auf der JHV die Vereinsauflösung beschlossen (ich verweise hier zum Weiterlesen wieder auf „Brief an Kind„). Und als wäre das noch nicht genug der schlechten Nachrichten, kündigte Jörg Schmadtke seinen Abschied zum Saisonende an. Es gab bereits im Vorjahr die Köln-Gerüchte, die nun wieder konkret wurden. Sein Chefscout Jörg Jakobs war bereits in die Domstadt gewechselt und den goldenen Brücken von Kind im letzten Jahr zum Trotz, zog es auch Schmadtke endgültig zurück in die rheinische Heimat. Zu seiner Amtsmüdigkeit dürften neben den Heimatgefühlen auch die Machtkämpfe mit Slomka beigetragen haben. Sie waren trotz des gemeinsamen Erfolgs nie ein harmonisches Team geworden und seit der jüngsten Vertragsverlängerung für Slomka, die Schmadtke offenbar nur widerwillig mittrug, war es weiter eskaliert.

Kind muss weg!
Kind muss weg!

Sehr schade, aber ob man nun Slomka den schwarzen Peter zuschieben will oder Schmadtke nachtrauern will. Fakt ist, Jörg S. ist weg, während es mit Mirko S. weitergeht. Reisende soll man nicht aufhalten und möglicherweise hatte der Geschäftsführer Sport innerlich schon länger mit Hannover abgeschlossen und ohne seinen Zuarbeiter Jakobs wirkte er auf dem Transfermarkt für viele glückloser als zuvor. Losgelöst von den Hintergründen hatte die UH beim Spiel 1 nach Schmadtke bzw. seinem angekündigten Abschied (Formalien waren noch zu klären) das Spruchband „Ihr habt das falsch verstanden: Kind muss weg!“ parat. Aber natürlich wusste auch die UH, dass es keine Frage Kind oder Schmadtke gab. Stattdessen sollte nochmal auf den gerade sehr beliebten Schlachtruf „Kind muss weg!“ angespielt werden. Und während 96 gegen die Bayern mit 1:6 unterging, erfreute dieser sich zumindest im Herzen der Nordkurve großer Beliebtheit. Aus der Nachbarschaft hagelte es dafür Bierbecher. Auch nicht die feine hannoversche und erwachsene Art.

Buntes Intro in Fürth
Buntes Intro in Fürth

Auswärts in Fürth (Fluchtlichtspiel am Freitag) gab es dann nicht nur ein buntes pyrotechnisches Intro, sondern auch „Kind muss weg“ ohne Contra und einen der raren Auswärtssiege diese Saison. Dazu lud Fürths Innenstadt nach dem Spiel zum kleinen, aber feinen Umtrunk ein. Endlich mal wieder eine Auswärtsfahrt, die Spaß gemacht hat. Da kann man auch mal darüber hinwegsehen, wie zittrig die drei Punkte beim 3:2 Sieg gegen den designierten Absteiger eingefahren wurden.

Mitfiebern am Ronhof
Mitfiebern am Ronhof

Die Restchance auf Europa war nach dem 2:2 am 32.Spieltag gegen Mainz 05 endgültig verspielt. Okay, der Vollständigkeit halber, es gab immer noch eine theoretische Chance, aber damit beschäftigte sich kein normal denkender Mensch mehr und das 1:3 am 33.Spieltag in Leverkusen ließ endgültig keine Rechnespiele mehr zu. Am letzten Spieltag ging es für 96 somit um nichts mehr, höchstens um einen guten Saisonabschluss und einen einstelligen statt zweistelligen Tabellenplatz (was für die TV-Gelder immerhin erheblich ist). Der Gegner Fortuna Düsseldorf dagegen musste gewinnen, um den Klassenerhalt sicher in der Tasche zu haben. Dabei waren die Fortunen vor 10 Spieltagen noch 12 Punkte vom direkten Abstiegsplatz entfernt. Doch eine wochenlange Serie von sieglosen Spielen hatte die Rheinländer wieder in arge Abstiegsnöte gebracht, so dass heute bei einer Niederlage der direkte Abstieg drohte.

Viel los in der Altstadt
Viel los in der Altstadt

Am Pfingstwochenende, an dem dieses Jahr der letzte Spieltag datiert war, lockte auch die Premiere des hannoverschen Bierfestes in die Altstadt. Dementsprechend war sonnabends viel los im Herzen Hannovers. Fortunen waren auch etliche in unserer Stadt unterwegs, aber trotz deren angespannter Situation war von einem Konfliktpotential nichts zu spüren. In Gesprächen zeigten sie sich vorsichtig optimistisch und hofften, dass zur Not der Deutsche Meister Borussia Dortmund sein letztes Heimspiel gegen Hoffenheim gewinnen würde. Diese Hoffnung auf den BVB war vergebens und im Niedersachsenstadion gab die Fortuna es aus der eigenen Hand. H96 gewann gegen F95 souverän 3:0 und neben Hoffenheim gewann heute auch der FC Augsburg (der 96 ganz altmodisch Jungfrauen für einen Sieg gegen Fortuna versprach) sein letztes Spiel und somit war Fortuna Düsseldorf von Rang 15 auf 17 abgerutscht.

Word!
Word!

Ein bisschen Abstiegsrandale war jetzt obligatorisch, aber es hielt sich in engen Grenzen. Auf unserer Seite (wo bestimmt der eine oder andere mit einer heutigen Niederlage und damit dem Abstieg der TSG aus Hoffenheim hätte leben können), wurde nochmals Kritik an Kind und Neu-Sportdirektor Dirk Dufner laut, die sich extrem bei einem Aufsteiger aus Ostniedersachsen angebiedert haben. Wir hielten es da mit unserem Mannschaftskapitän und Dauerbrenner Steven Cherundolo (heute 300.Spiel für 96), der diesem Rivalen partout nicht gratulieren wollte und für neue Saison „Helm auf und zwei Siege“ als Derbyparole ausgab.

f95
Die BN huldigt Stevie

Und ansonsten war man froh, dass eine unheimlich ereignisreiche Saison mit vielen Negativhöhepunkten zu Ende war. Nicht wenige grübelten, wie es in der neuen Saison weiter gehen sollte. Ohne „Rote Kurve“ und ohne Hoffnung auf eine Annäherung zwischen 96-Führung und aktiver Fanszene. Dazu wurde das Saisonziel Platz 6 und somit der internationale Wettbewerb verfehlt und Slomkas Ergebnisse waren seit seiner Vertragsverlängerung nochmals schlechter geworden. Gerade die Auswärtsschwäche war unnormal. Möglicherweise war seine Erfolgsgeschichte in Hannover bereits zu Ende. Es sah so aus als wären die fetten Jahre auf allen Ebenen vorüber.

45 Punkte / Platz 9 / 14 Punkte auf Platz 16 / 6 Punkte auf Platz 6 / 60:62 Tore / Meiste Auflaufprämien kassiert: Ron-Robert Zieler (34x) / Meiste Torprämien kassiert: Mame Diouf (12x) / Zuschauerschnitt: 44.547

Moin: Felipe (Standard Lüttich), Adrian Nikci (FC Zürich), Hiroki Sakai (Kashiwa Reysol), Szabolcs Huszti (Zenit St.Petersburg), Johan Djourou (FC Arsenal), Franca (Criciúma EC), Andre Hoffmann (MSV Duisburg), Sebastien Pocognoli (Standard Lüttich).

Tschüss: Christopher Avevor (FC St.Pauli), Carlitos (Estoril), Altin Lala (FC Bayern München II), Emanuel Pogatetz (VfL Wolfsburg), Daniel Royer (1.FC Köln), Moritz Stoppelkamp (TSV 1860 München), Sofian Chahed (Vereinslos), Henning Hauger (IF Elfsborg).