Praha (Prag) 08/2019

  • 24.08.2019
  • SK Slavia Praha – Bohemians Praha 1905 4:0
  • 1. česká fotbalová liga (I)
  • Eden Aréna (Att: 16.243)

Nachdem meine diesjährige Sommerreise in Wien endete, war es nur stringent einen Epilog in Prag zu platzieren. Können doch beide Städte auf viel gemeinsame Geschichte zurückblicken. Außerdem hatte ich Geburtstag und es scheint zur neuen Tradition zu werden, diese allein im Ausland zu feiern. Na ja, die Solovariante war immerhin günstig. Angereist wurde nämlich mit der Deutschen Bahn, die zwei Wochen vor Reisebeginn noch Tickets von Hannover nach Prag à 25 € (für Inhaber einer BahnCard25) anbot. Ich setzte nun den Gegenwert von 25 € in Form von Verspätungsgutscheinen ein und musste nur noch 4,50 € für die Reservierung bezahlen. Retour gab es für Sonntagnachmittag zwar lediglich Tickets ab 66 € aufwärts bei der DB, doch da half mir die tschechische Bahngesellschaft weiter. Die ČD (České dráhy) hatte Tickets von Prag nach Dresden für umgerechnet 15 € (inklusive Reservierung) im Angebot. Also jenes Billet gelöst und von Sachsens Hauptstadt in die Heimat gab es noch einen Sparpreis der DB, welcher die Kreditkarte dank weiterer Verspätungsgutscheine nur mit 2,40 € anstatt 22,40 € belastete.

Mein Gemach für zwei Nächte

Die Freude über die preiswerte Anreise trübten allerdings die gegenwärtigen Übernachtungskonditionen im Prager Hotelgewerbe. Unter 100 € ging auf den ersten Blick nur etliche Kilometer vom Zentrum entfernt etwas. Ich hatte Prag preiswerter in Erinnerung, war allerdings auch länger nicht mehr dort und beim letzten Mal vor drei Jahren außerdem mit meiner ganzen Fußballmannschaft günstig in einem Riesenapartment untergebracht gewesen (was preislich selbstredend nicht mit Einzelzimmern in Hotels zu vergleichen ist). Eine echt lange Recherche auf allen mir bekannten, sowie bis dato unbekannten Hotelportalen trug jedoch irgendwann Früchte. Ein relativ zentrales Mittelklassehotel in Praha-Žižkov gehörte auf den meisten Portalen mit 105 bis 120 € schon zu den günstigsten Unterkünften. Auf einer Plattform gab es die Bude dann für 75 € (untermalt von einem den Handlungsdruck erhöhenden Hinweis „Achtung: Dies ist das letzte verfügbare Zimmer zu diesem Preis“). Tja, günstiger würde es wohl wirklich nicht mehr werden, so dass ich exakt 14 Tage vor Abreise ein EZ im Hotel Golden City Garni (***) buchte.

Mein CD-Express

Am 23.August ging es direkt vom Büro zum Bahnhof und pünktlich um 14:37 Uhr rollte mein gebuchter InterCity der neueren Generation (Doppelstockwagen) ostwärts. Mein Umstiegsbahnhof Dresden-Neustadt wurde erfreulicherweise gemäß Fahrplan gegen 18:30 Uhr erreicht, so dass ich dort eine gute halbe Stunde Zeit zum Provianterwerb hatte. Kurz nach 19 Uhr begann die zweite und auch letzte Zugetappe, die mich binnen 144 Minuten von Dresden nach Prag transportierte. Dabei ging es zunächst lange durch die Sächsische Schweiz, u. a. vorbei am 2017 bestiegenen Lilienstein. Ich bin dieser Gegend sehr gewogen und im Zug kommt es einem irgendwie so vor, als führe man gerade durch eine Modelleisenbahnlandschaft.

Historisch wertvolles Wissen vom Bahnhof Dresden-Neustadt

Auch der Prager Hauptbahnhof wurde planmäßig erreicht und von dort trennte mich nur ein kurzer Spaziergang vom Hotel (ca. 15 Min). 21:45 Uhr war ich eingecheckt und im Zimmer fiel mir auf, dass über dem Bett sofort an meinen kürzlichen Wien-Besuch angeknüpft wurde. Hing dort doch ein Druck des Kunstwerks „Judith 1“ von Gustav Klimt über dem Bett, dessen Original man im Wiener Schloss Belvedere finden kann. Doch nun Schluss mit diesen Nebensächlichkeiten. Kommen wir lieber zu den wichtigeren Dingen des Lebens; nämlich dem Hotelfrühstück. Das war erfreulicherweise im Preis von 37,50 € pro Nacht inklusive und wurde am nächsten Morgen gleich um 7:30 Uhr von mir getestet. Neben diversen Teigwaren, Aufschnitt, Aufstrich, Müslis usw. gab es warme Würstchen und Suppe. Allerdings vermisste ich warme Eierspeisen und gebratene Würstchen sehr. Damit wäre das Frühstücksbuffet deutlich attraktiver gewesen.

Frühstück am Samstagmorgen
  • 24.08.2019
  • FK Slavoj Vyšehrad – FK Dukla Praha 1:3
  • Fotbalová národní liga (II)
  • Stadion Evžena Rošického (Att: 851)

Nach dem Frühstück marschierte ich bereits um 8 Uhr aus dem Hotel los. Denn meine freitägliche Anreise diente einzig dem Ziel am Sonnabend soviel wie möglich zu sehen und zu erleben. Neben zwei Fußballspielen, wollte ich die vier historischen Keimzellen der Stadt Prag besuchen. Morgens sollten die Staré Město (Altstadt) und die Malá Strana (Kleinseite) fällig sein und nachmittags hatte ich den Vyšehrad (Wyschehrad) und den Hradčany (Hradschin) auf der Agenda. Teil 1 fand zwischen 8 und 10 Uhr statt und offenbarte mir Altstadt, Kleinseite und die beide Stadtteile verbindende Karlův most (Karlsbrücke) noch relativ touriarm. Allerdings werde ich im Sinne der Textstruktur erst später genauer auf die Sehenswürdigkeiten und die Stadtgeschichte eingehen.

Auf der Karlsbrücke

Widmen wir uns nun zunächst dem ersten Fußballspiel des Tages. Dazu ging es gegen 10 Uhr mit einem Bus zum oberhalb der Kleinseite thronenden Stadion Strahov. Diese Sportstätte soll mal bis zu 250.000 Zuschauer gefasst haben und ist dementsprechend kein klassisches Fußballstadion, sondern war für Turnfeste und die in totalitären Systemen so beliebten Massenaufmärsche gedacht. Mittlerweile nutzt der AC Sparta Praha das Gelände, dessen Ränge acht Fußballfelder umschließen, für Trainingszwecke und Fußballspiele der Nachwuchsmannschaften. Allerdings war diese imposante Sportstätte nur die Endstation meiner Buslinie und das eigentliche Ziel befand sich nebenan.

Der Gästebus

Das Stadion Evžena Rošického wirkt im Vergleich zum Strahov zwar bescheiden, bot früher jedoch auch 50.000 Besuchern Platz. Heute passen noch ca. 19.000 Zuschauer in das 1935 eröffnete und mehrfach modernisierte Multifunktionsstadion. Neben vielen Leichtathletikveranstaltungen (u. a. den Europameisterschaften von 1978 und dem jährlichen Prager Leichtathletik-Meeting) diente das Stadion in der Vergangenheit gelegentlich der Fußballnationalmannschaft als Austragungsstätte für Heimspiele und auch Pokalendspiele des Fußballverbandes fanden hier schon statt.

FK Slavoj Vyšehrad – FK Dukla Praha

In der jüngeren Vergangenheit wurde das Stadion dagegen zu einer sehr beliebten Ausweichspielstätte diverser Prager Fußballclubs. Slavia absolvierte hier von 2000 bis zur Fertigstellung der Eden Aréna im Jahre 2008 seine Heimspiele. Außerdem wechseln kleine Prager Clubs, ohne taugliches eigenes Stadion, bei einem Zweitligaaufstieg regelmäßig ins Evžena Rošického. Letztes Jahr kickte der mittlerweile wieder abgestiegene FK Olympia Prague hier und dieses Jahr mein heutiger Gastgeber FK Slavoj Vyšehrad (diesen Sommer in die 2.Liga befördert worden).

Stadion Evžena Rošického

Gast war unterdessen der frisch aus der 1.Liga abgestiegene FK Dukla. Der ehemalige Armeesportklub hat u. a. 11 Meistertitel im Briefkopf stehen, war als privilegierter Systemclub in der sozialistischen Tschechoslowakei jedoch bei den meisten Fußballfans verhasst. Der Dukla ist übrigens ein Pass in den Karpaten, über welchen die Rote Armee 1944, mit tschechischen und slowakischen Kommunisten im Schlepptau, in von der Wehrmacht kontrolliertes slowakisches Territorium vordrang und somit dort die Befreiung des tschechoslawakischen Gebietes von der deutschen Okkupation begann. In Erinnerung an diesen Moment, der quasi auch das Zeitalter der nächsten Diktatur und Fremdbestimmung einläutete, wurden in der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik (ČSSR) alle Armeesportklubs Dukla getauft.

Offensichtliche Dinge, die euch jetzt erst aufgefallen sind: Die Bestuhlung soll eine tschechische Flagge darstellen

Doch mich, als deutlich nach 1945 geborenen Menschen, erinnerte Dukla Prag nicht an irgendwelche Schlachten im Zweiten Weltkrieg oder an ihre fußballerische Dominanz in der ČSSR der 1950er und 1960er Jahre. Sondern eher an meine Kindheit in den 1980ern, als ich mir jedes Jahr zu Weihnachten Dukla Prague im Auswärtsdress als Subboteo Team gewünscht habe, aber stattdessen immer nur Transformers à 3.10 £ das Stück bekommen habe (Insider für die Musikkenner unter euch).

Dukla’s Yellow & Red Army

Aber erstmal genug von Trivia und Nostalgie, kommen wir nun zur Kulinarik. Oder eigentlich auch nicht. Denn der FK Slavoj Vyšehrad hatte doch tatsächlich keinen ersehnten Würstchengrill aufgebaut. Stattdessen gab es warme Wiener, wovon ich beim Frühstück schon genug hatte. Da lässt man morgens extra noch Platz für die vermisste Klobasa im Magen, doch dann betrete ich ausgerechnet das mutmaßlich einzige klobasafreie Stadion des tschechischen Fußballs. Ich war sehr enttäuscht und ich glaube die rund 50 anwesenden deutschen Groundhopper unter den 851 zahlenden Zuschauern (Eintrittspreis übrigens ca. 3,90 €) waren es ebenfalls.

Vyšehrad-Fanatiker

Da blieb einem nur das Fußballspiel als Zeitvertreib und das war wenigstens ganz unterhaltsam. Duklas handgezählte 96 Fans im Gästeblock skandierten oder sangen ab und an etwas und Tore fielen auch ein paar. In der 22.Minute konnte der FK Dukla durch ein schönes Freistoßtor in Führung gehen und in der 43.Minute war die Zuordnung der Vyšehrader so schlecht, dass der 1,72 Meter großer Kicker der Gastmannschaft unbedrängt zum 0:2 einköpfen durfte. Die Küchenpsychologen des Fußballs würden wohl behaupten, dass das 0:2 zu einem ungünstigen Zeitpunkt fiel. Doch das Gegenteil war der Fall. Der FK Slavoj kam topmotiviert aus der Kabine und der vor wenigen Tagen erst 19 Jahre alt gewordene Stürmer Tomáš Čvančara schwänzelte den Ball in der 59.Minute ins Gästetor. Fünftes Saisontor im sechsten Spiel für den Hünen (1,90 m)! Mal sehen ob einem der Junge irgendwann nochmal höherklassiger über den Weg läuft.

Ab zum Pausentee

Die Vyšehrader blieben nach dem Anschlußtreffer am Drücker, waren hinten jedoch zeitweilig zu offen. Ein Konter in der 72.Minute mündete im 1:3 und danach ließen die Hausherren die Köpfe etwas hängen. Am Ende ein verdienter Sieg für die Rot-Gelben, die mit 12 Punkten aus sechs Spielen in Sachen Wiederaufstieg im Soll liegen. Das Gleiche kann der Aufsteiger mit sieben Punkten auf dem Konto in Sachen Klassenerhalt behaupten. Aber die Saison ist noch sehr lang…

Duklafans mit Torfreude

Als ich derweil virtuell meinen Spielbesuch mit der Welt teilte, bemerkte ich schließlich, dass noch zwei weitere Fußballfreunde aus der Nähe von Hannover in Prag weilten. Sie waren beim parallel stattfindenden Kick von Loko Vltavin gegen SK Rakovnik (ein Ground, den ich bereits 2016 abgehakt hatte) und wir verabredeten uns für das Abendspiel von Slavia. Da ich für jenes Spiel ein ausverkauftes Haus beim Hopper Talk unweit meiner Sitzschale aufgeschnappt hatte, beschloss ich gleich mal zu Slavias Stadion zu düsen und die Lage vor Ort zu checken. Konnte ich mir zwar nicht vorstellen, aber ich bin eben weder Groundhopper, noch Kenner der tschechischen Fußballszene.

Floodlightporn

In der Tram zur Eden Aréna (es gab erfreulicherweise eine direkte Verbindung von Stadion zu Stadion) saßen um mich herum auch acht ultraorientiert wirkende Anhänger des VfB Stuttgart. Deren Gesprächen lauschte ich natürlich gerne undercover und kurz vor’m Stadion bekamen die von einem weiteren Kumpel die telefonische Meldung, dass tatsächlich ausverkauft ist. Na ja, zwei Stationen vor’m Ziel braucht man auch nicht mehr umdrehen, dachten sich sowohl die Schwaben, als auch ich. Nur die Süddeutschen stiegen dullihaft bereits eine Station zu früh aus, so dass ich doch ohne Gesellschaft an der Stadionkasse aufschlug. Dort wurde mir bestätigt, dass es keine Karten mehr gibt, außer VIP-Karten. Aber nur online, da der Vertrieb jener Tickets an eine Agentur abgetreten wurde.

Mutmaßliche Slavia-Hooliganwaden

War das kleine Derby von Slavia gegen die Bohemians also tatsächlich ausverkauft. Na ja, Leben bedeutet lebenslanges Lernen und so ließ ich die mir beim Abmarsch entgegen kommenden Süddeutschen natürlich auch noch ihre Lektion am Kassenhäuschen lernen. Die norddeutschen Stadiontouristen schlossen sich derweil über einen beliebten Nachrichtendienst kurz und beschlossen VIP-Karten à umgerechnet 59 € zu kaufen. Meine späteren Begleiter Nik und LMS preschten dabei vor und konnten mir somit glücklicherweise erklären, wo ich mein Ticket in der Innenstadt abholen kann. Das war nämlich eine gut versteckte Theaterkasse.

Das romanische Innere der St.-Georgs-Basilika (10.Jahrhundert)

Ich kümmerte mich dagegen zunächst wieder um mein historisches Touriprogramm. Wenn man schon ein Spiel des FK Slavoj Vyšehrad gesehen hat, kann man auch gleich mal deren Heimatstadtteil Vyšehrad prüfen. Übersetzt bedeutet der Name Hoch- oder Höhenburg und es handelt sich um eine der mittelalterlichen Keimzellen, aus denen später die Stadt Prag erwuchs. Die ältesten Siedlungsspuren im so genannten Prager Becken am Flußlauf der Moldau stammen zwar schon aus der Jungsteinzeit und in der Antike siedelten hier u. a. Kelten, sowie ab dem 6.Jahrhundert n. Chr. auch die ersten Slawen, doch die eigentliche Stadtgeschichte beginnt erst im Mittelalter. Im frühen 9.Jahrhundert gründete das böhmische Adelsgeschlecht der Přemysliden zunächst die Prager Burg auf dem Hradčany (Hradschin) am Westufer der Moldau.

Die Martinsrotunde (11.Jahrhundert) auf dem Vyšehrad

Ende des 9.Jahrhundert folgte auf dem Vyhšehrad schließlich noch eine zweite Burg der Přemysliden am Ostufer. Die beiden Burgen mit ihren zivilen Ansiedlungen wurden schon damals zum politischen und wirtschaftlichen Zentrum Böhmens, welches sich 895 dem Ostfränkischen Reich unterwarf und somit 962 zur Gründungsmasse des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (HRR) gehörte. Elf Jahre später wurde das Bistum Prag vom ersten HRR-Kaiser Otto I. gestiftet. Dom des Bistums wurde die seit ca. 930 bestehende Kirche Sankt Veit auf dem Hradschin. Jener berühmte Kirchenbau, der Mitte des 14.Jahrhunderts unter Kaiser Karl IV. seine heutige spätgotische Gestalt bekam. Auch war der Veitsdom von Anfang an Krönungskirche und Grablege der böhmischen Könige.

Kirchenportal auf dem Vyhšehrad

Von einschneidender Bedeutung für die Stadtentwicklung war das Jahr 1230. Damals bestieg Wenzel I. den böhmischen Thron und fasste kurze Zeit später die Siedlungen am Prager Ostufer zusammen, die nördlich von der Burg Vyhšehrad lagen, und versah sie mit einer wehrhaften Stadtmauer. Das war die Genesis der heute früh von mir besichtigten und weltbekannten Altstadt. Sein Sohn Ottokar II. gründete schließlich 1257 am Westufer, unterhalb des Hradschins, eine weitere Prager Stadt. Diese nennt man heute Malá Strana (Kleinseite). Beide Stadtgründer siedelten gezielt deutschsprachige Kolonisten aus anderen Teilen des HRR an. Deutsche Bewohner sind in Prag zwar schon seit dem 10.Jahrhundert belegt, gewannen nun aber wahrscheinlich erstmals die Bevölkerungsmajorität.

Kaiser Karl IV.

Innerhalb des HRR hatten die böhmischen Könige seinerzeit eine mächtige Stellung. Der böhmische König war einer der zunächst sieben Kurfürsten, die den römisch-deutschen König wählten (welcher wiederum vom Papst in Rom zum Kaiser des HRR gekrönt wurde). 1355 bekam das HRR mit Karl IV. erstmals einen Kaiser aus Böhmen, der zugleich schon seit 1347 böhmischer König war. Unter diesem 1316 in Prag geborenen Herrscher entwickelte sich seine Heimatstadt zur prächtigen kaiserlichen Residenzstadt. Er ließ die 1303 abgebrannte Burgstadt auf dem Hradschin wieder aufbauen und erneuerte auch die Burg Vyhšehrad. Außerdem gründete er 1348 mit der Universitas Carolina die erste deutsche Universität.

1357, also zwei Jahre nach seiner Kaiserkrönung, verordnete er den Bau der steinernen Karlsbrücke. Diese verbindet bis heute die Altstadt mit der Kleinseite und ist eine der größten Touristenattraktionen Prags (ich war ganz froh, sie schon gegen 9 Uhr morgens, anstatt nachmittags, überquert zu haben). Über diese Brücke führte fortan auch der Krönungsweg der böhmischen Könige vom altstädtischen Königshof zum Veitsdom auf dem Hradschin. Diesen rund 4 km langen Königsweg bin ich übrigens am heutigen Morgen gegangen (vorerst exklusive Aufstieg zum Hradschin), denn die Route umfasst die wesentlichen Sehenswürdigkeiten der Prager Altstädte. Man erlebt unter anderem:

  • den Pulverturm (15.Jahrhundert) am Platz der Republik
  • den Altstädter Ring mit u. a. der Teynkirche (14.Jahrhundert) und dem altstädtischen Rathaus (ebenfalls 14.Jahrhundert) mitsamt der berühmten astromischen Uhr von 1410
  • den Kleinen Ring, der eine Keimzelle der Altstadt war
  • die Karlsbrücke (14.Jahrhundert) mit ihren imposanten Brückentürmen auf der Altstadt– und der Kleinseite, sowie den barocken Brückenfiguren aus dem 17. und 18.Jahrhundert
  • die barocke St.-Nikolaus-Kirche (18.Jahrhundert) auf der Kleinseite
  • den Hradschin mit seinen zahlreichen architektonischen Attraktionen

Den Aufstieg zum Hradschin holte ich nun nachmittags nach. Um meinen morgendlich begonnenen Prager Königsweg vernünftig zu vollenden, gönnte ich mir oben ein Besucherticket der Kategorie B für umgerechnet 12 €, welches Zutritt in den Dom, den alten Königspalast, die St. Georgsbasilika und ins Goldene Gässchen gewährte. Ein Ticket der Kategorie A für ca. 16 € hätte darüber hinaus noch den Pulverturm, den Rosenberger Palast und eine Ausstellung zur Geschichte der Prager Burg inkludiert, aber ich hatte nur noch ein Zeitfenster von 2,5 Stunden, so dass lediglich die erste Variante Sinn hatte.

Ausblick vom Hradschin

Der riesige Andrang an diesem Samstagnachmittag schmälerte außerdem das Vergnügen erheblich. Aber gut, das war zu erwarten. Besonders im Dom, in dem sich übrigens auch der königliche böhmische Schatz befindet, und im Goldenen Gässchen (tschechisch: Zlatá ulička) fehlte es an Bewegungsfreiheit (ein abschreckendes Foto folgt nach 15 weiteren Absätzen). Im Goldenen Gässchen sollten dereinst Alchimisten künstlich Gold für den Kaiser Rudolf II. herstellen. Man könnte heuer meinen, es sei ihnen gelungen und das Ergebnis liege hier kostenfrei zur Mitnahme als Touri-Souvenir. Das würde den enormen Andrang erklären… Na ja, beim abendlichen Abrücken von Hradschin streifte ich nochmals das Gässchen und nun war es etwas weniger frequentiert (siehe Foto direkt unter diesem Absatz).

Goldenes Gässchen (nicht mehr ganz so überlaufen)

Doch kehren wir nun nochmal in die Stadtgeschichte zurück. Auf die spätmittelalterliche Glanzepoche unter Karl IV. und seinem Sohn Wenzel IV. (der die städtebaulichen Projekte seines Vaters fortführte), folgten die religiös motivierten Hussitenkriege (1419 – 1436). Die Anhänger des 1415 als Ketzer hingerichteten böhmischen Reformators Jan Hus stürmten 1419 das Neustädtische Rathaus und warfen dabei 10 Prager Honoratioren aus dem Fenster (Erster Prager Fenstersturz). Es begann eine blutige Zeit, geprägt durch mehrere Aufstände der Hussiten und entsprechende Kreuzzüge gegen ihre Bewegung. Dabei wurde Prag zu weiten Teilen zerstört. Da damals (vereinfacht) slawische, ergo tschechische Aufständische gegen die römisch-katholische und vorwiegend deutschsprachige Obrigkeit kämpften, wurden die Hussitenkriege später prägend für das tschechische Nationalbewustsein und Jan Hus, sowie die Heerführer der Hussiten zu Nationalheiligen stilisiert.

Der Heinrichsturm in der Prager Neustadt von 1475

In der Frühen Neuzeit fiel die böhmische Krone anno 1526 an das Haus Habsburg. Fortan war Prag bis 1918 eine Stadt im riesigen und multiethnischen Habsburgerreich und stand nun in Konkurrenz zu Wien. Unter Rudolf II. (der Kaiser mit den Alchimisten im Goldenen Gässchen…) wurde Prag sogar wieder zwischen 1576 und 1611 die kaiserliche Residenzstadt des HRR. Doch mit dem Zweiten Prager Fenstersturz begann 1618 ein neuer Religionskrieg. Die protestantischen böhmischen Stände begehrten seinerzeit gegen ihren römisch-katholischen König und Kaiser Matthias auf. Als Vertreter der Stände am 23.Mai 1618 zwei königliche Statthalter und einen Kanzleisekretär aus einem Fenster der Prager Burg warfen, brach der Dreißigjährige Krieg aus.

Das Matthiastor der Prager Burg von 1614

Die folgenden drei Jahrzehnte tobte nun ein schrecklicher Krieg zwischen protestantischen und katholischen Heeren über den Kontinent, der vorwiegend auf dem Boden des HRR ausgetragen wurde. In Prag und Böhmen setzte sich vorerst der römisch-katholische Kaiser durch (schon 1620 wurden die hiesigen Aufständischen vor den Toren Prags vernichtend geschlagen) und eine Rekatholisierung und gleichzeitige noch tiefere Germanisierung Prags setzte ein. Sachsen und auch Schweden eroberten zwar zwischenzeitlich noch zweimal Prag für die protestantische Sache (natürlich ging es aber längst nicht nur um Religion, sondern mindestens genauso um eine machtpolitische Neuordnung weiter Teile Europas), doch am Ende des Krieges blieb Böhmen habsburgisch und katholisch.

Barocke Fassaden auf der Kleinseite

Prag behielt nun annähernd zwei Jahrhunderte eine deutsch-habsburgische Prägung und die tschechische Sprache und Kultur spielte im Stadtleben nur noch eine Nebenrolle. Derweil geriet Prag im 18.Jahrhundert zweimal in den Fokus der Machtkämpfe zwischen Österreich und Preußen. Eine dauerhafte Eroberung Prags gelang den Preußen unter Friedrich II. (Friedrich der Große) jedoch weder im Zweiten Schlesischen Krieg (1744 – 1745), noch im Siebenjährigen Krieg (1756 – 1763). Stattdessen folgte 1784 endlich auch firmell die überfällige Fusion der vier Prager Städte Hradschin (Hradčany), Kleinseite (Malá Strana), Altstadt (Staré Město) und Neue Stadt (Nové Město) zu einer gemeinsamen Stadt. Außerdem wurde die Prager Burg, als zweitwichtigste Habsburgerresidenz nach der Wiener Hofburg, zu einem barocken Schloss umgebaut und erweitert. Ebenso enstanden seinerzeit viele barocke Stadtpalais und Kirchen oder bestehende Bauwerke wurden seinerzeit barockisiert (z. B. bekam die ursprünglich romanische St.-Georgs-Basilika auf dem Hradschin eine Barockfassade).

Die Barockfassade der St.-Georgs-Basilika

Das 19.Jahrhundert war schließlich von der Industriellen Revolution und einer größeren städtischen Expansion geprägt. In den 1830er Jahren überschritt Prag dabei erstmals die Marke von 100.000 Einwohnern. Viele der Zugezogenen waren slawische Tschechen. Die nationalistischen Ideen, die damals über den ganzen Kontinent wabten, erfassten auch den Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn. In Revolutionsjahr 1848 wollten die Tschechen ihre Selbstbestimmung erzwingen, doch die Monarchie obsiegte noch ein letztes Mal. Nichtsdestotrotz waren die folgenden Jahrzehnten in Prag von ethnischen Spannungen zwischen den Tschechischsprachigen und Deutschsprachigen geprägt. Zumal die Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts nochmal richtig an Fahrt aufnahm und ungebrochen tschechische Arbeiter nach Prag und in dessen industrielle Vortstädte strömten. Waren es 1848 noch rund 65 % Deutschsprachige und 35 % Tschechischsprahige, hatte sich das Verhältnis ein Vierteljahrhundert später schon auf 20 % Deutschsprachige und 80 % Tschechischsprachige gedreht. Ein Beispiel für die ethnischen Konflikte dieser Zeit ist, dass die altehrwürdige Karls-Universität 1882 in eine deutsche und eine tschechische Universität aufgeteilt wurde.

Exklusiver barocker Schlosseingang für Kaiserin Maria Theresia

Dennoch befand sich Prag im späten 19. und frühen 20.Jahrhundert in Sachen wirtschaftlicher Entwicklung und Kulturleben (sowohl tschechisch-, als auch deutschsprachig) in einer prächtigen Blüte. Unter anderem Kafka und Rilke wirkten damals in der Stadt an der Moldau und stammen auch von dort. Der Erste Weltkrieg (1914 – 1918) stellte letztlich die lang erwartete machtpolitische Zäsur dar. Nach dem Krieg zerfiel das Habsburgerreich und die Tschechen und Slowaken bekamen einen gemeinsamen Nationalstaat; die Tschechoslawakei (ČSR). Natürlich wurde die große Metropole Prag zur Hauptstadt erkoren und wuchs in der Zwischenkriegszeit durch Ausbau und Eingemeindungen erneut enorm. 1925 lebten erstmals über 700.000 Menschen innerhalb der Stadtgrenzen. Mit der tschechischen Selbstbestimmung war es allerdings 1938 vorbei. Denn das seit fünf Jahren unter nationalsozialistischer Herrschaft stehende Deutsche Reich verfolgte eine aggressive Außenpolitik und instrumentalisierte die deutschsprachige Minderheit der Tschechoslowakei für seine Zwecke. In Prag lebten damals zwar nur noch rund 30.000 Deutsche, im tschechischen Teil der ČSR (Böhmen, Mähren und Mährisch-Schlesien) jedoch immerhin rund 3 Millionen sich als Deutsche definierende Bürger (bei ca. 10,5 Mio Einwohnern insgesamt).

St. Prokop in Zizkov von 1903

Diese große deutsche Minderheit litt unter der rigiden Tschechisierungspolitik der ČSR. Im Bildungswesen und in der Wirtschaftspolitik wurden sie stark benachteiligt. Außerdem wurden die deutschen Parteien parlamentarisch durch eine permanente tschechoslawakische Großkoalition von jeglicher politischer Gestaltungsmöglichkeit ausgeschlossen. Diese Ausgrenzungspolitik zwischen 1918 und 1938 trug bedauerlicherweise dazu bei, dass der Nationalsozialismus in den mehrheitlich deutschsprachigen Landesteilen, die begrifflich als Sudetenland zusammengefasst wurden, auf fruchtbaren Boden fiel. Das Deutsche Reich nahm die unbefriedigende Situation der Sudetendeutschen als Vorwand für Einmarschdrohungen und auf der multilateralen Münchner Konferenz im September 1938 opferten England und Frankreich, über die Köpfe der Tschechoslowakei hinweg, das Sudetenland für den vermeintlichen Frieden. Sie gestatteten dem Deutschen Reich die Annexion des Sudentenlandes und wie schon im Frühjahr 1938 in Österreich (vgl. Wien-Bericht), schien sich eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung über die Heimkehr ins Reich zu freuen.

Gründerzeit- und Arbeiterviertel Zizkov

Schnell zeigte sich allerdings, dass die westliche Politik des Appeasements ein Irrweg war. Denn Hitler hatte zwar vorgegeben, dass es ihm nur um seine Landsleute ging, jedoch wollte er von Anfang an aus strategischen Motiven die ganze Tschechei besetzen (sie war geopolitisch und kriegswirtschaftlich von enormer Bedeutung für die geplanten deutschen Eroberungsfeldzüge). Als sich nun auch die Slowaken von der ČSR lösen wollten und sich Polen und Ungarn ebenfalls ermutigt sahen Teile der ČSR zu annektieren, war das Staatsgebilde so fragil geworden, dass Hitler im Frühjahr 1939 den Staat widerstandslos zerschlagen und die restliche Tschechei besetzen konnte. Die Slowakei – deren Unabhängigkeitsstreben als wenig glaubwürdiger Vorwand für die deutsche Intervention mißbraucht wurde – wurde nun zu einem eigenen, aber vom Deutschen Reich abhängigen Staat und die Rest-Tschechei zum Reichsprotektorat Böhmen und Mähren (zu den damaligen Vorgängen hatte ich im Frühjahr 2019 übrigens einen interessanten Artikel in der SZ gelesen: Hitlers Gangsterstück in der Reichskanzlei).

Pazifistisches Kunstwerk im Stadtbild

Bis 1945 blieb Prag vom Deutschen Reich besetzt und überstand den 1939 ausgebrochenen Zweiten Weltkrieg baulich relativ unbeschadet. Denn es gab kaum kriegsrelevante Industrie in Prag (die größte Waffenschmiede Böhmens war Pilsen). Lediglich 1945 kam es noch zu einem größeren und gezielten us-amerikanischen Luftangriff auf die Stadt, der 235 Menschenleben forderte und 90 Gebäude zerstörte, sowie 1.360 weitere Bauwerke stark beschädigte. Die Prager Bevölkerung hatte stattdessen das Terrorregime der deutschen Okkupanten wesentlich mehr zu fürchten. Besonders ab dem 27.September 1941, als Konstantin von Neurath von SS-Gruppenführer Reinhard Heydrich als Reichsprotektor für Böhmen und Mähren abgelöst wurde. Heydrich, der den systematischen Völkermord an den europäischen Juden wesentlich mitkonzipierte, ging mit äußerster Brutalität gegen jeden tatsächlichen und vermeintlichen Widerstand vor. Schon in den ersten Tagen seiner Amtsausübung rollte eine Verhaftungswelle durch Prag. Binnen acht Wochen wurden über 6.000 Menschen verhaftet und über 400 Todesurteile vollstreckt. So bekam Heydrich den Beinamen Henker von Prag und wurde zum Ziel eines erfolgreichen Attentats des Widerstands am 27.Mai 1942.

Friedhof auf dem Vyšehrad

Daraufhin fegte eine weitere Verhaftungs- und Mordwelle über das Land hinweg, die erneut über 1.300 Menschenleben forderte. Eines der vielen Todesopfer war übrigens der Leichtathlet und Widerstandskämpfer Evžen Rošický, nachdem das am heutigen Morgen von mir besuchte Stadion benannt ist. Als der Krieg im Mai 1945 endete, hatten Schätzungen zufolge 350.000 tschechische Bürger ihr Leben verloren, darunter ca. 270.000 Juden (womit auch die seit dem Hochmittelalter bezeugte jüdische Gemeinde Prags fast vollständig ausgelöscht war). Die Tschechoslowakei wurde nun in ihrer alten Form rekonstruiert, nur dass die rund drei Millionen Deutschen auf dem Staatsgebiet enteignet und fast vollständig vertrieben wurden (die ungarische Minderheit erlitt ein ähnliches Schicksal). Nach deutschen Quellen sind dabei bis zu 270.000 Schicksale ungeklärt (knapp 10 %), während ca. 150.000 Deutsche im Nachkriegstschechien geduldet blieben. Damit endete prinzipiell auch die Geschichte der seit dem 10.Jahrhundert existierenden deutschen Gemeinde Prags.

Das tschechische Nationaldenkmal von 1950 mit Jan-Žižka-Reiterstandbild

Unterstützt von der Sowjetunion, konnte die Kommunistische Partei 1948 die totale Macht in der Tschechoslowakei übernehmen (aus der ČSR wurde nun die ČSSR, offizielle Umbennenung allerdings erst 1960). Eine neue Terrorwelle gegen die Bevölkerung startete und ebbte erst nach Stalins Tod 1953 etwas ab. Nun begann die so genannte Tauwetterperiode. Als 1968 sogar der Reformer Alexander Dubček zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei und damit zum mächtigsten Mann im Land bestimmt wurde, kam es zum Prager Frühling. Dubčeks Reformziel war ein Sozialismus mit menschlichem Antlitz, der u. a. die staatliche Zensur aufhob, freie Gewerkschaften zuließ und marktwirtschaftliche Prozesse anstieß. Dem Großen Bruder in Moskau gefiel diese Entwicklung überhaupt nicht. Sie werteten den eingeschlagenen tschechischen Sonderweg als Vorstufe zur Konterrevolution und fürchteten einen Dominoeffekt in den anderen osteuropäischen Satellitenstaaten der Sowjetunion.

Nicht alles im Sozialismus war schlecht. Beispiel: Die 60er-Jahre-Erfindung Kofola als Surrogat für kapitalistische Colas

Vor fast genau 51 Jahren, am 21.August 1968, marschierten deshalb rund 500.000 Soldaten der Sowjetunion und verbündeter Armeen in die Tschechoslowakei ein, um Dubček zu stürzen und durch einen moskautreuen Mann zu ersetzen. Dubček wurde in Gewahrsam genommen, konnte sein Volk jedoch noch, weitgehend erfolgreich, zum gewaltlosen Widerstand mahnen. In Moskau erkannten Dubček und die weiteren führenden Köpfe des Reformflügels, dass ihre Idee nicht mehr auf friedlichem Wege umsetzbar ist. Somit unterschrieben sie das Moskauer Protokoll, welches alle Reformen aufhob und den Status Quo von 1967 wieder herstellte. Dubček und seinen Mitstreitern wurde aus polittaktischen Motiven nicht der große Prozess gemacht, allerdings wurden sie kaltgestellt und durch kommunistische Hardliner ersetzt. Der neue starke Mann Gustáv Husák brachte die Partei derweil durch eine halbe Million Parteiausschlüsse (u. a. auch von Dubček) wieder auf Kurs.

Denkmal für Jan Palach und Jan Zajic auf dem Wenzelsplatz

Ein verzweifeltes Zeichen gegen die Rückkehr zum totalitären Sozialismus setzte der Prager Student Jan Palach am 16.Januar 1969. Dieser verbrannte sich auf dem zentralen Wenzelsplatz in der Prager Neustadt, was die mittlerweile wieder zensierten Medien lediglich als Tat eines psychisch Kranken darstellten. Nichtsdestotrotz gedachten Tausende dem Toten öffentlich und mit Jan Zajic fand er am 25.Februar 1969, dem 21.Jahrestag der Machtergreifung der Kommunistischen Partei, noch einen Nachahmer. Es dauerte bis zur Sametová revoluce (Samtenen Revolution) von 1989, ehe den beiden Märtyrern wieder öffentlich gedacht werden durfte.

Die Botschaft der Bundesrepublik in Prag im Palais Lobkowicz

Für die Deutschen spielte Prag im Jahr 1989 übrigens auch eine wichtige Rolle. Nicht nur in der Tschechoslowakei, auch in der DDR (und in fast allen anderen so genannten Ostblockstaaten) ging das Volk damals für Reformen auf die Straße. Tausende ausreisewillige DDR-Bürger veschafften sich ab Sommer Zugang zum Prager Botschaftsgelände der BRD und hofften auf eine Übersiedlung nach Westdeutschland. Am 30.September 1989 kam der bundesdeutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher nach Verhandlungen mit seinen Amtskollegen aus der UdSSR, der DDR und der ČSSR in die Botschaft und konnte den DDR-Bürgern die frohe Kunde übermitteln, dass ihre Ausreise gestattet wurde. Nach dem Paneuropäischen Picknick an der ungarisch-österreichischen Grenze bei Sopron am 19.August 1989, sicher ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zum Mauerfall und zur Deutschen Wiedervereinigung. Der Eiserne Vorhang war 1989 erst in Ungarn und dann in der Tscheschoslowakei durchlässig geworden.

Sitz des Staatspräsidenten in der Prager Burg

Die Samtene Revolution wurde im Juli 1990 mit den ersten freien Wahlen seit 1946 abgeschlossen. Außerdem gingen der tschechische und der slowakische Landesteil im Jahre 1992 friedlich auseinander. Statt einer Sezession (Abspaltung), welche nicht immer, aber oft gewaltsam durchgesetzt werden (wie parallel im jugoslawischen Raum Anfang der 1990er Jahre zu beobachten), kam es in der Tschechoslowakei zu einer Dismembration, also einer Staatsteilung (die obendrein friedlich und einvernehmlich ablief). Und weil wir gerade so schön beim Völkerrecht sind und es in den zeitlichen Kontext passt; die Deutsche Wiedervereinigung von 1990 war eine Inkorporation (Eingliederung) der DDR in die BRD (die DDR trat der Bundesrepublik Deutschland mit Wirkung zum 3. Oktober 1990 bei, was das völkerrechtliche Ende des Staates DDR zur Folge hatte). Die Alternative zur Inkorporation wäre eine Fusion von BRD und DDR zu einem neuen gemeinsamen Staat gewesen, hatte damals aber nur wenige Anhänger.

Goldenes Gässchen voller Touris

Seit 1.Januar 1993 ist Prag somit Hauptstadt der Tschechischen Republik und entwickelte sich prächtig in der neuen europäischen Ordnung. 2004 wurde man Mitglied der Europäischen Union und das BIP nähert sich seitdem kontinuierlich dem Mittelwert der EU-28 an. Prag liegt sogar deutlich darüber. Die Haupstadt profitiert dabei auch seit drei Jahrzehnten von steigenden Übernachtungszahlen. 2018 zählte Prag 7,9 Millionen Touristen mit einer oder mehreren Übernachtungen und dieses Jahr wird bestimmt die Marke von 8 Millionen geknackt. Doch außer üppige Einnahmen, bringt diese Entwicklung auch gravierende Probleme mit sich. Schätzungsweise ein Drittel aller Wohnungen im zentralen Bezirk Praha 1 werden mittlerweile teilweise oder vollständig als Ferienwohnung vermietet. Die Geschäfte des täglichen Bedarfs müssen im Zentrum immer mehr Souvenirshops und Gastronomie mit touristischer Ausrichtung weichen. Eine Entwicklung, welche die Prager Bürger zu Leidensgenossen der Amsterdamer, Venezianer oder Barceloner macht.

Heuer ist Prag beliebt bei Touristen aus aller Welt

Toptouristen sind wenig überraschend die Deutschen, die rund ein Fünftel der Besuchermassen ausmachen. Die steilsten Zuwächse werden allerdings seit Jahren bei den Ostasiaten verzeichnet. Supranational gerechnet knacken die Gäste aus Fernost mittlerweile auch die Millionenmarke per anno. Das Geschäft mit dieser weit angereisten Gruppe, treibt irgendwie auch die buntesten Blüten. So können sich die Touristen aus Fernost (und theoretisch natürlich jeder andere interessierte Mensch) Braut- und Bräutigammode für entsprechende Fotoshootings in der Prager Altstadt leihen. Darüber hatte ich bereits gelesen und bekam nun sogar den leibhaftigen Beweis, dass es sich um keinen Hoax handelte.

  • 24.08.2019
  • SK Slavia Praha – Bohemians Praha 1905 4:0
  • 1. česká fotbalová liga (I)
  • Eden Aréna (Att: 16.243)

Na ja, ich hab bekanntlich auch einen besonderen touristischen Spleen und der heißt Fußball. Nach dem zweitklassigen Appetitanreger am Vormittag, sollte am Abend das Stadtderby zwischen Slavia und den Bohemians folgen. Genauer gesagt sogar ein Stadtteilderby, da beide Clubs ihre Stadien in Vršovice gebaut haben. Die Bohemians wurden dort 1905 als AFK Vršovice gegründet, während Slavia 1948 von den kommunisten Machthabern aus Praha-Letná (wo der Club 1892 gegründet wurde) nach Praha-Vršovice delegiert wurde.

Die Eden Arena

Eigentlich wollte ich so früh wie möglich im Stadion sein (Anpfiff war 19:30 Uhr), um die VIP-Karte durch mächtigen Konsum von fester und flüssiger Nahrung in eine befriedigende Investition zu verwandeln. Allerdings hatte das touristische Mammutprogramm, in Kooperation mit Temperaturen von ca. 30° C, noch die dringende Notwendigkeit eines Duschbads provoziert. Zum Glück lag das Hotel halbwegs auf dem Weg vom Hradschin zum Stadion und gegen 18:55 Uhr hatte ich endlich mein VIP-Bändchen um das frisch gewaschene Handgelenk fixiert. Nik und LMS traf ich wie verabredet hinter dem Drehkreuz und gemeinsam stürzten wir uns nun auf Würste, Steaks und Gulaschsuppen. Mittag- und Abendessen mussten schließlich nachgeholt werden.

Wurst und Bier, das lob ich mir

Wir hatten nur die günstigste VIP-Kategorie für knapp 60 € erworben und dementsprechend gab es für den niedrigsten Stand des Stadionadels keine kulinarischen Raffinessen. Aber ein paar deftige und bodenständige Klassiker der böhmischen Küche, sowie leckeres Lagerbier, reichten uns vollkommen. Kurz vor Anpfiff versanken wir schließlich mit Bier auf der Hand in unseren gepolsterten Sitzen hinter den Reservebänken der Teams. Leider gab es beim heutigen Derby einen Stimmungsboykott, so dass wir eigentlich hätten noch länger den Zapfhahn belagern können. Aber auch das wusste keiner von uns Amateuren vorher.

Die Teams betreten das Grün

Slavias Ultras befinden sich derzeit im Clinch mit den Oberen des zu 99 % in der Hand von chinesischen Investoren befindlichen Clubs. Vorläufiger Höhepunkt eines schon länger schwelenden Konflikts war der Pyroeinsatz beim Heimspiel gegen Sigma Olomouc vor rund vier Wochen (dabei warfen ein paar Vermummte ihre Fackeln in Richtung der Gästefans). Daraufhin führte der Club schärfere Kontrollen und eine strenge Sektorentrennung im Heimbereich ein, drohte mit lebenslangen Stadionverboten, sperrte die Lagerräume für Fanutensilien im Stadion und untersagte bis auf weiteres Fanchoreografien. Die führende Gruppe der Nordtribüne, die passenderweise Tribuna Sever heisst, reagierte nun mit dem erwähnten Stimmungsboykott und die Gästefans zeigten sich, trotz aller Rivalität, solidarisch.

Beste Sicht von unseren Plätzen

Dementsprechend drohte man also am Bierstand nichts Weltbewegendes auf den Rängen zu verpassen. Nichtsdestotrotz verbrachten wir doch die Mehrheit der 90 Spielminuten auf unseren Sitzen. Stattdessen wechselten wir uns als Laufjungen ab, um eine permanente Bierversorgung für unsere Kleingruppe sicherzustellen. Einen Beer Boy, mit Fass auf dem Rücken, hatte Slavia uns leider nicht zur Verfügung gestellt. So zwangen wir unsere tschechischen Sitznachbarn ständig zum Aufstehen (ich saß übrigens neben dem Dauerkarteninhaber Jiří Prib, der allerdings nicht wie eine Mischung aus Jiří Stajner und Edgar Prib aussah), was die spätestens ab dem dritten Mal richtig nervte.

Ich hielt Jiri Prib etwas auf Trab

Egal, der Hahn musste laufen und da außer dem 1:0 in der 9.Minute durch Josef Hušbauer nicht viel im ersten Durchgang zu bejubeln war, musste eben anderweitig für eine Art La Ola im VIP-Sektor gesorgt werden. Außerdem konnten wir mit Alkohol auch unseren Ärger über die Stadionauslastung überspülen. Da waren doch tatsächlich rund 5.000 Tickets nicht in den Verkauf gegangen (das Stadion fasst 21.000 Zuschauer, offiziell passierten heute 16.243 Besucher die Drehkreuze). Wer nur 75 % seiner Sitze veräußert, ist natürlich schnell ausverkauft und zwingt arglose Stadiontouristen zum Erwerb teurer VIP-Karten. Die Kartenpolitik ist laut Communiqué der Tribuna Sever übrigens auch ein Streitpunkt (Vermarktung über Dritte, zu große Pufferzonen bei Derbys, ungerechte Verteilung der Auswärtskontingente, Premiummitgliedschaften mit Vorkaufsrechten für begehrte Partien etc.).

Die (meisten) Fans bejubeln das 1:0

Als in der Nähe von Hannover wohnhafter Fußballfan, habe ich natürlich hinreichende Erfahrung mit Konflikten zwischen Fans und Vorstand. Mal sehen, ob man bei Slavia seinen Dissens auflösen kann. Dem Club geht natürlich gerade prächtig, da die Millionen aus China üppig fließen. Man hat den größten Prager Rivalen Sparta und ebenso die Viktoria aus Pilsen sportlich überflügelt. Seit dem Einstieg der CEFC China Energy im Jahre 2016 konnte man 2017 die Meisterschaft, 2018 den Pokalsieg und 2019 das Double feiern. Außerdem wurde eine internationale Duftmarke gesetzt, als man letzte Saison in der UEFA Europa League u. a. den den Sevilla FC ausschaltete und im Viertelfinale nur knapp gegen den späteren Titelgewinner Chelsea FC den Kürzeren zog. Aktuell steht Slavia kurz vor dem Einzug in die Gruppenphase der UEFA Champions League, wo man seit 2008 nicht mehr vertreten war. In solchen Zeiten meinen Clubs gerne mal, sie können auch auf den unbequemen Teil der Fanszene verzichten.

„Stimmung nach den neuen Regeln“

Bei den Bohemians sind die treuen Fans sicher ein größeres Kapital als bei Slavia. Während Sparta oder Sparta schon immer die Massen mobilisieren konnten und meist auf der sportlichen Sonnenseite standen, locken die Bohemians ein eher intellektuelles Tribünen- und ein eher linksalternatives Kurvenpublikum an (u. a. gibt es freundschaftliche Kontakte zu den Fans des FC Sankt Pauli). Schon in der sozialistischen Epoche fanden sich hier mehr als anderswo die Oppositionellen ein und durften 1983 den ersten und einzigen Meistertitel der Bohemians bejubeln. Den Namen und das Känguru im Wappen verdankt man übrigens einer Australienreise im Jahre 1927. Weil dort wohl niemand hätte AFK Vršovice aussprechen können, nannte man sich Bohemians (englisch für Böhmen) und absolvierte unter diesem Namen 20 Freundschaftschaftsspiele auf jener Tour. Am Ende bekam man noch ein Kängurupaar für den tschechoslawakischen Präsidenten überreicht, welches dieser letztlich dem Prager Zoo stiftete. An dem Namen Bohemians hatte man nun Gefallen gefunden und ebenso entschied man sich, als Erinnerung an das prägende Erlebnis der Australientournee, ein Känguru zum Wappentier zu erheben.

Der Gästeblock mit dem Spruchband „Derby ohne Choreo ist wie Twitter ohne Jardy“ (Jardy ist der auf Twitter sehr mitteilungsbedürftige Slavia-Präsident Jaroslav Tvrdik)

Doch zurück zum Tagesgeschehen; kurz vor der Halbzeitpause marschierten wir selbstredend geschlossen zum Bierstand und freuten uns, dass die Damen hinter dem Tresen bereits fleißig vorgezapft hatten. Also sofort ein Schnelles gegriffen und wenig später gleich die nächste Runde geholt. Übrigens waren die Biere aus dem Hause Pivovary Lobkowicz sehr wohlschmeckend, so dass die Mission deset piva überhaupt keine Quälerei war. Da die Mannschaft ihr Publikum auch nicht groß auf die Folter spannen wollte, stand es nach 49 Minuten nebenbei 2:0. Michal Frydrych hatte für seine Farben getroffen. Der Jubel war allerdings, wie schon nach dem ersten Tor, relativ verhalten. Drei Tribünen sprangen auf, wedelten ihre Schals und freuten sich, während auf der Fantribüne höchstens brav applaudiert wurde.

Pivo!

Der Meister und Pokalsieger der Vorsaison, der mit 16 Punkten aus 6 Spielen schon wieder gut auf Kurs ist, hatte das Spiel fortan voll unter Kontrolle. Schon in der 56.Minute legte Kudela für den Gastgeber nach. Der Jubel über das 3:0 war übrigens eine gute Gelegenheit, um wieder für Biernachschub zu sorgen. Jetzt standen schließlich alle unsere Sitznachbarn für einen Moment. Weil die atmosphärische Gegenleistung für den Ticketpreis heute so bescheiden war, musste eben der Gastroverzehr glücklich machen. Am Ende konnte man sich die Investition damit schönreden, dass man ja für circa 30 € gegessen und getrunken hatte und 30 € für Topsitzplätze in Ordnung sind. Mit Preisen aus der deutschen Stadiongastronomie gerechnet, dürften wir bei je zehnmal 0,5 l Bier, zweimal Wurst, einmal Steak und einmal Gulaschsuppe sogar mit +/- Null aus der Nummer rausgekommen sein. Milchmädchenrechnen leicht gemacht.

Jubel über das 3:0

Ab der 80.Minute ließen wir uns übrigens dauerhaft am Bierstand nieder. Denn es fehlten noch zwei Bier zur magischen Zehn und in der Halbzeitpause hatten wir bereits in Erfahrung gebracht, dass mit Spielende leider auch der Versorgungsstand der VIP-Unterschicht die Rollläden runterlässt (richtig zahlungskräftiges Publikum durfte dagegen noch im VVIP-Bereich weiterzechen). Durch unseren Pivo-Schlußspurt verpassten wir nun allerdings das vierte und letzte Tor des Tages (90.Minute durch Traore). Wie ärgerlich!

10 Halbe wurden es insgesamt pro Person

Dafür hatten wir Mitzecher gefunden. Ein englischer Junggesellenabschied aus dem Raum Manchester versuchte ebenfalls seine Investition via Gerstensaft zu rechtfertigen und eine deutsche Kleingruppe schwirrte auch noch bis Ultimo um den Zapfhahn. Logischerweise keine Hopper, die hätten schließlich niemals 60 € für ’ne Karte bei so einem Kick bezahlt. Nachdem die letzten Biere geleert waren und die Ordner höflich zum Abmarsch drängten, trennten wir uns jedoch wieder von den temporären Gefährten. Die wollten alle in die Innenstadt zum Feiern, während unser Trio nicht mehr so motiviert für einen großen Törn war.

Der Letzte macht das Licht aus

Stattdessen ging es in das nahe Viertel Flora, in dem auch die Unterkunft von Nik und LMS war. In der Bierpinte Pivnice U Bergnerů sollte erstmal ein schnelles Helles her. Mehr war nicht möglich, da der Wirt um 23 Uhr die Pforten schloss. Er empfahl uns nun die nahe Bar Infinity, die an Wochenendtagen bis 4 Uhr morgens geöffnet hat. Hier gab es noch zwei weitere Runden Bier und um Mitternacht wurde mit Moscow Mule auf mein angebrochenes neues Lebensjahr angestoßen. Danach wirkten wir unisono bettreif und schieden voneinander. Zum Glück war mein Hotel nur drei Tram-Stationen entfernt und kurz vor 1 Uhr lag ich nach einem anstrengenden Tag endlich in der Heier.

Moscow Mule
  • 25.08.2019
  • FK Viktoria Žižkov – FK Varnsdorf 3:0
  • Fotbalová národní liga (II)
  • Stadion Viktoria (Att: 1.328)

An meinem Geburtstagsmorgen konnte ich mir natürlich nichts Schöneres als einen Klobasa Brunch bei Viktoria Žižkov vorstellen. Nur einen Steinwurf von meinem Hotel entfernt sollte der FK Viktoria den FC Varnsdorf um 10:15 Uhr zum Zweitligamatch empfangen. Doch zunächst einmal wurde der Körper mit Wasser und Duschgel erfrischt, um ein paar böse Geister des Vorabends zu vertreiben. Anschließend schmauste ich ein bißchen was am Frühstücksbuffet des Hotels und um kurz vor 10 Uhr checkte ich aus. Das Stadion Viktoria war lediglich 5 Fußminuten vom Hotel entfernt und lag direkt auf dem Weg zum Bahnhof, mitten im Wohnviertel Žižkov.

Mein edler Geburtstagskuchen im Hotel

Jenes Žižkov war übrigens von 1881 bis 1922 eine eigenständige Stadt und ist nach Jan Žižka benannt (der bedeutendste Heerführer der Hussiten in den weiter oben erwähnten Hussitenkriegen des 15.Jahrhunderts). Aber Geschichte hatten wir schon ausreichend in diesem Bericht, widmen wir uns stattdessen lieber dem letzten Stadionbesuch der Reise. Denn Nik und LMS erwarteten mich bereits, verzichteten aber zunächst auf die von mir offerierte Geburtstagsrunde vom Grillrost. Stattdessen wurde eine recht flotte Partie Fußball – in einem optisch ausdrucksstarken Stadion (Eintrittspreis ca. 3,90€) – zunächst kulinarisch unbegleitet verfolgt.

Ein erstes Stadionbild kurz vorm Anstoß

Die Viktoria konnte bereits in der 10.Minute durch ein Tor ihres 33jährigen Sturmroutiniers Jaroslav Diviš in Führung gehen. Das freute den kleinen Fanmob auf der Stahlrohrtribüne hinter dem Tor. Ansonsten machten diese treuen Anhänger sich ab und an mit Fangesängen bemerkbar und außerdem gab es Viktoria-Žižkov-Wechselrufe mit der Gegengerade nach den Toren. Gästefans waren dagegen keine auszumachen. Gab es bei meiner letzten Auswärtspartie von Varnsdorf (beim FK Vitkovice in Ostrava) auch schon nicht.

Die Heimfans

Den fantechnischen Umständen entsprechend, gönnte ich den Hausherren gerne den Sieg und freute mich über das 2:0 in der 32.Minute. Der ecuadorianische Mittelfeldmotor Augusto Alexi Quintero Batioja hatte für die Rot-Weißen getroffen. Bei einem ecuadorianischen Legionär in der tschechischen 2.Liga schaut man natürlich mal in die Biographie und interessanterweise hatte der Mann 2010 beim serbischen FK Inđija sein europäisches Abenteuer begonnen (da bin ich bekanntlich auch gerade erst gewesen…). Über u. a. die Stationen OFK Beograd, FK Radnički Niš (war ich 2017 mal zu Gast) und FC Vysočina Jihlava landete er 2017 bei Viktoria Žižkov.

Eckfahnenperspektive

Nach den zwei Toren und einem Gäste-Platzverweis in der 42.Minute, war schon früh klar, dass hier außer Fettwürsten auf dem Grill nichts mehr anbrennen sollte. Neigen wir uns also kurz der Vereinshistorie zu: Die Viktoria ist nicht nur seit 1903 ein Stadtteilverein von Žižkov, sondern auch ein landesweit bekannter Traditionsverein. Schon in den Jahren 1913, 1914 und 1916 gewann man den Charity Cup (Vorläufer des tschechischen Fußballpokals) und 1928 errang man den tschechoslawakischen Meistertitel. Als Landesmeister durften sie im selben Jahr beim internationalen Mitropa Cup mittun. Dabei traf der FK Viktoria bezeichnenderweise auf zwei jüngst von mir ebenfalls besuchte Clubs, mit denen sie sich 10 Jahre zuvor noch das österreichisch-ungarische Staatsgebiet geteilt hatten. Im Halbfinale konnten die Kroaten von Građanski Zagreb (heute GNK Dinamo Zagreb) mit 8:4 Gesamtscore nach zwei Spielen ausgeschaltet werden und im Semifinale wartete anschließend der SC Rapid aus Wien. Hierbei stand es nach 180 Minuten 6:6, so dass ein drittes Spiel die Entscheidung bringen sollte. Dabei setzten sich die Wiener mit 3:1 durch (mussten sich jedoch im Endspiel ihrerseits Ferencváros aus Budapest geschlagen geben).

Wenn Vereinsliebe unter die Haut geht

Doch der FK Viktoria hat seine Meriten nicht nur in grauer Vorzeit gesammelt. 1994 und 2001 wurde man jeweils Pokalsieger, was zu den ersten Europapokalteilnahmen des Clubs führte. Außerdem konnte man sich 2002 und 2003 über die Liga erneut für den UEFA Cup qualifizieren. Über die 2.Hauptrunde (damals gab es noch keine Gruppenphase) kam man international allerdings bei keinem der vier Gastspiele hinaus. Ob man zu meinen Lebzeiten nochmal international spielen wird, ist fraglich. Aber der Wiederaufstieg in die 1.Liga wäre schon mal ein Schritt in die richtige Richtung und Varnsdorf war diesbezüglich keine Hürde. Folglich machte Josef Bazal in der 60.Minute durch ein schickes Volleytor mit dem 3:0 alles am heutigen Vormittag klar. Da die Spannung nun endgültig raus war, widmeten wir uns doch noch der Wurst und die war äußerst delikat. Fett ist eben der beste Geschmacksträger. Am Ende blieb es beim 3:0 und die Žižkover stießen damit Dukla vorerst vom 3.Tabellenplatz. Die Saison hat zwar noch stolze 24 weitere Spieltage parat, aber vielleicht können sie bis zum Ende um den Aufstieg mitspielen.

Traumhafter Wurstgenuss

Nach dem Abpfiff ging es zügig, aber ohne wirklichen Zeitdruck zum 1,5 km entfernten Hauptbahnhof. Hier trafen wir um 12:20 Uhr und somit gute 10 Minuten vor Abfahrt unseres Zuges ein. Ergo konnten wir noch in Ruhe die entsprechenden Waggons mit unseren Reservierungen suchen. Da alle unabhängig voneinander gebucht hatten, wurde es für jeden eine einsame Rücktour. Dafür hatte ich genug Zeit, um schon mal in die Tasten zu hauen und die ersten 1.896 Wörter dieses wieder mal ultralang gewordenen Reiseberichts zu verfassen. Beim abermaligen Durchqueren der Sächsischen Schweiz wurde nebenbei virtuell mit InterCityBerger der Entschluss gefasst, dass man in zwei Wochen dort mal wieder eine Wandertour veranstaltet. So einfach füllen sich manchmal die Terminkalender.

Song of the Tour: Post Punk Denkmal für den Auswärtsdress von Dukla.