Lübeck 09/2022

  • 22.09.2022
  • VfB Lübeck – 1.FC Phönix Lübeck 1:0
  • SHFV-Pokal (Quarter-finals)
  • Stadion an der Lohmühle (Att: 2.665)

Nachdem ich in meiner zweiten Urlaubswoche aus gesundheitlichen Gründen zunächst ein paar Tage daheim bleiben musste und leider gebuchte Zugtickets und Eintrittskarten für die Partien Rot-Weiß Erfurt – FC Carl Zeiss Jena und Rot-Weiss Essen – 1.FC Saarbrücken verfielen, zog es mich am Donnerstag wieder in die Ferne. Ich hatte zig Optionen für ein langes Wochenende mit Auslandsanteil geprüft, aber fußballerisch haute mich in den Spielplänen unserer Nachbarländer wenig vom Hocker. Dank eines bzw. zwei Spieltagen der UEFA Nations League gab es in Europa quasi keinen professionellen Vereinsfußball. Da am Donnerstag das einzig halbwegs brauchbare Fußballspiel auf deutschem Boden in Lübeck stattfand, drängte sich nun eine hanseatisch-skandinavische Tour regelrecht auf. Zumal der Bahngutschein, den ich jüngst von guten Freunden in Bayreuth geschenkt bekam, meinen Fahrpreis für das Routing Hildesheim-Lübeck-København-Malmö-København-Hildesheim von 170 € auf 70 € senkte.

Lübeck – Eine Stadt nah am Wasser gebaut

Am Donnerstagmorgen startete ich um 8:44 Uhr in Hildesheim. Mit Umstiegen in Hannover und Hamburg ging es in die Hansestadt Lübeck. Diese erreichte ich kurz vor 12 Uhr und deponierte schon mal das Gepäck im für eine Nacht gebuchten Ibis (***) unweit des Hauptbahnhofs. Mit leichten Schultern ging es nun auf Entdeckertour. Als erstes lag natürlich das Holstentor auf meiner Route (siehe Titelbild). Mit dem wohl berühmtesten Stadttor Deutschlands kam ich bereits als Kind in Berührung. Es zierte zwischen 1960 und 1991 den 50-DM-Schein, der an Geburtstagen oder Weihnachten gerne von Oma & Co entgegengenommen und anschließend im Fachhandel gegen Spielwaren eingetauscht wurde.

Die Stadtseite des Holstentores

Sogar Andy Warhol erwählte das 1478 vollendete spätgotische Stadttor zum Motiv einer Siebdruckserie. Aber jenem Kunstwerk begegnete ich erst, als alles bereits in Euro bezahlt werden musste und Spielwaren eher nicht mehr auf meiner Einkaufsliste standen. Nebenbei schaffte es das Holstentor 2006 im Rahmen der Bundesländerserie auf die 2-Euro-Münze. Seinerzeit konnte man “Holstentore” somit immerhin in der Kneipe gegen ein frisch gezapftes Pils oder eine Knolle Holsten Edel eintauschen. Die berühmte Hamburger Biermarke und das noch berühmtere Lübecker Stadttor erinnern übrigens beide an den germanischen Volksstamm der Holsten bzw. Holsaten, dem auch das Bundesland Schleswig-Holstein 50 % seines Namens verdankt.

Kaufmannshäuser in der Wahmstraße

Bevor nun die weiteren Kleinodien der Königin der Hanse inspiziert wurde, musste jedoch erstmal ein Mittagessen her. Jawed’s Remise warb auf dem Trottoir der Wahmstraße mit preiswertem Mittagstisch, ohne jedoch Speisen und Preise konkret auszuschreiben. Aber schien ein Restaurant mit afghanischer Küche zu sein und darauf hatte ich durchaus Bock. Im gemütlichen Hinterhoflokal wurden mir nun Manti mit Käse-Spinat-Füllung oder pikante Lammhacksteaks als Mittagstisch à 9,50 € offenbart. Ich votierte für letzteres, war jedoch enttäuscht, dass Pommes frites anstatt Basmatireis mit Rosinen und Möhrenstiften die Sättigungsbeilage waren. Aber vielleicht hätte man da vorab auch eine Änderung erwirken können. Selbst Schuld, Herr Snepanović!

Afghanische Hacksteaks mit eher weniger afghanischen Beilagen

Lecker war es dennoch und auch die Mangoschorle, die mit 5 € für 0,4 l zu Buche schlug, war ein Genuss. Der gute Service bekam seine Würdigung und 16 € ärmer verließ ich das alte Gemäuer einer ehemaligen Kaffeerösterei wieder, um nun noch ältere Gemäuer in Augenschein zu nehmen. Nächstes Ziel war dabei der historische Marktplatz samt Rathaus. Da heute Markttag war, versperrten allerdings Buden die freie Sicht bzw. die optimale Fotoperspektive auf das seit dem 13.Jahrhundert bezeugte Bauwerk. Damals war es zunächst ein spätromanischer Gruppenbau aus drei Giebelhäusern. Doch nach Beschädigungen durch einen großen Stadtbrand im Jahr 1251 kam es beim Wiederaufbau zu frühgotischen Umbauten und Erweiterungen. In den folgenden Jahrhunderten sollten renommierte Baumeister sprichwörtlich immer wieder einen draufsetzen. Lübecks Reichtum durfte sich schließlich ruhig im wichtigsten Profanbau der Stadt widerspiegeln.

Renaissancetreppe des Rathauses von 1594 (rechts im Hintergrund ist ein Teil des Ursprungsbaus aus dem 13.Jahrhundert zu sehen)

Es ist schon eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte, die sich nach der Stadtgründung durch Graf Adolf II. von Schauenburg und Holstein im Jahre 1143 zutrug. Wobei Stadtgründung auch relativ ist, da hier bereits eine slawische Burg und Siedlung seit dem 9.Jahrhundert bezeugt waren. Allerdings führten innerslawische Machtkämpfe zu einer vollständigen Zerstörung des ursprünglichen Lübecks (Liubice) im frühen 12.Jahrhundert. Bereits 1158 überließ der Stadtgründer seine junge Ansiedlung auf der Halbinsel zwischen Trave und Wakenitz dem sächsischen Herzog Heinrich (Heinrich der Löwe). Als sozusagen erste deutsche Stadt an der Ostsee, zog Lübeck rasch etliche Händler an. Herzog Heinrich verbriefte dabei Rechte und Privilegien für die Kaufleute. Das Lübecker Stadtrecht (Lübisches Recht) wurde fortan zu einem „Exportschlager“ und fand u. a. in Rostock, Danzig, Reval, Stolp und Riga seine Anwendung.

Dom zu Lübeck

Ferner sorgte Heinrich dafür, dass Lübeck Bischofssitz wurde und legte dazu im Jahre 1173 den Grundstein für den 1247 geweihten Dom. Dieses wichtige Bauwerk hatte ich natürlich auch auf meinem Laufzettel und vollzog in einer dortigen Ausstellung die Baugeschichte und die heutige Restaurationsarbeit nach. Da der hiesige Untergrund für ein Bauwerk dieser Dimension – 131 m lang, bis zu 53 m breit und mit 115 m Turmhöhe versehen – nicht geeignet ist, gibt es eigentlich immer was zu tun und aktuell müssen wieder einmal die mächtigen Doppeltürme des Westwerks stabilisiert werden. Damit Lübeck auch weiterhin die Stadt der sieben Türme bleibt (die sieben Türme der fünf mittelalterlichen Altstadtkirchen prägen bis heute die Silhouette Lübecks).

Dieser Löwe im Dom erinnert an den Stifter des Bauwerks

Im Jahr 1226 erlangte Lübeck die Reichsfreiheit von Kaiser Friedrich II. (HRR), was selbstredend nochmal einen enormen Machtzuwachs für den von Patrizierfamilien kontrollierten Rat der nun reichsunmittelbaren Stadt bedeutete. Aus den Handelsbeziehungen der Lübecker mit den Kaufleuten anderer Städte an Nord- und Ostsee entwickelte sich nun die Hanse, für die es kein konkretes Gründungsdatum gibt. Lübeck stieg jedoch zur führenden Macht des kaufmännisch orientierten Städtebunds auf. Es galt als caput et principium omnium (Haupt und Ursprung aller) und führte die Hanse ab dem 14.Jahrhundert auch militärisch an. Damals führte man Krieg gegen Dänemark und konnte diesen 1370 mit dem Frieden von Stralsund siegreich beenden. Fortan kontrollierte und regulierte die Hanse den Ostseehandel nahezu vollständig und Lübecker Münzen wurden dabei zur Leitwährung.

1477 fertiggestellter Lettner im Dom (mit Uhr von 1628)

Auch im 15.Jahrhundert gab es Konflikte, die militärisch ausgefochten werden mussten. König Erik VII., der Dänemark, Norwegen und Schweden in Personalunion regierte (Kalmarer Union), erhob ab 1429 einen Zoll für die Durchfahrt des Öresunds. Doch der gute Erik wurde in den nächsten Jahren von der Kriegsflotte der Hanse eingenordet und musste 1435 im Frieden von Vordingborg dem Rivalen wieder die alten Privilegien einräumen. Auch gegen die aufstrebenden Handels- und Seemächte England und Niederlande wurde im 15.Jahrhundert Krieg geführt. Der Hansisch-Niederländische Krieg (1438 – 1441) ging dabei nicht so gut für den Städtebund aus. Im Frieden von Kopenhagen musste der Ostseehandel für die Niederlande geöffnet werden. Im Hansisch-Englischen Krieg (1469 – 1474) war man jedoch erfolgreicher und konnte die englischen Schiffe vom Ostseehandel fernhalten und zugleich die eigene Niederlassung in London (den Stalhof) versichern.

Das 1286 vollendete Heiligen-Geist-Hospital

Im frühen 16.Jahrhundert musste sich die Hanse abermals mit den Dänen auseinandersetzen. Weil die Kalmarer Union mit Hilfe der Niederländer die Vormachtstellung der Hanse in der Ostsee brechen wollten, befand man sich in einer Dauerfehde, die immer wieder eskalierte. Der vorläufige Friede von Malmö (1512) brachte auch keine dauerhafte Lösung, aber die Lübecker stärkten fortan die Unabhängigkeitsbestrebungen Schwedens, welches sich wieder aus der Union mit Dänemark lösen wollte. Als die Schweden einen Sezessionskrieg begannen, stellte Lübeck dem späteren schwedischen König Gustav I. Wasa mehrere Kriegsschiffe zur Verfügung und unterstützte dessen Ambitionen auf den schwedischen Thron. Lübeck war somit durchaus wichtiger Geburtshelfer des neuzeitlichen Königreichs Schweden.

Lübecker Salzspeicher (Salz war ein hanseatischer Exportschlager)

Der Beginn der Neuzeit war allerdings auch von der Reformation bestimmt. 1531 berief der Rat den Reformator Johannes Bugenhagen nach Lübeck. Zugleich trat die Stadt dem Schmalkaldischen Bund bei (einem Bündnis aus protestantischen Fürstentümern und Reichsstädten, welches in Opposition zum katholischen Kaiser stand). Die folgenden Religionskonflikte und darauf fußenden Territorialkriege des 16. und 17.Jahrhunderts gingen nun einher mit dem Niedergang der Hanse. Zum einem gab es innerhalb des Bundes ebenfalls den religiösen Gegensatz, zum anderen schränkten die Kriege natürlich die Handelswege ein. Dazu waren die Königreiche Portugal, Spanien, England, Schweden und die Niederlande zu großen Seemächten aufgestiegen, welche die Hanse im Handelsvolumen bald übertreffen sollten. Insbesondere durch interkontinentalen Handel.

Das Neue Gemach (ein spätgotischer Rathausanbau)

1669 fand der letzte Hansetag in Lübeck statt und der Bund wurde formell gelöst. Allerdings blieben Hamburg, Bremen und Lübeck Verwalter der Liegenschaften (Handelshöfe) und des Vermögens der Hanse. Ferner kam es 1669 zu einer Reform der seit über 500 Jahren gültigen Stadtverfassung, bei der die Macht der Patrizierfamilien ein Stück weit beschnitten wurde. Trotz der Umbrüche blieb Lübeck jedoch eine wichtige deutsche Handels- und Hafenstadt, die weiterhin ihre Unabhängigkeit als Freie Reichsstadt wahren konnte. Selbst in den Napoleonischen Kriegen (1792 – 1815) sollte Lübeck zunächst seine Autonomie behalten. Doch die von den Franzosen durchgesetzte Kontinentalsperre (1806 -1813) brachte den lukrativen Handel mit England zum Erliegen und von 1811 bis 1813 wurde die Stadt doch noch zeitweilig von Frankreich annektiert.

Die Breite Straße mit Blick auf St. Jakobi

1815 wurde Lübeck auf dem Wiener Kongress als Freie und Hansestadt Lübeck völkerrechtlich souverän und zugleich Mitglied des Deutschen Bundes. Außenpolitisch agierte man fortan in enger Abstimmung mit den beiden weiteren Freien und Hansestädten Hamburg und Bremen und unterhielt im Ausland in der Regel gemeinsame Gesandtschaften. 1871 wurden alle drei jedoch Gliedstaaten des frisch nach dem Deutsch-Französischen Krieg (1870/71) ausgerufenen Deutschen Reichs, womit die völkerrechtliche Souveränität Lübecks wieder endete. Außerdem setzte in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts auch in Lübeck die Industrialisierung ein. Die Bevölkerungszahl stieg rapide und jenseits der mittelalterlichen Stadtmauer wuchsen die Vorstädte. Schiffbau, Maschinenbau und eine großes Hüttenwerk machten die Schwerindustrie neben dem Handel zu einer zweiten wichtigen Säule der hiesigen Wirtschaft. Dazu kam mit dem Tourismus ein weiterer Zweig hinzu, von dem neben der Kernstadt besonders der Stadtteil Travemünde als Seebad profitierte.

Unterwegs in den Gassen der Altstadt

Im Zweiten Weltkrieg (1939 – 1945) wurde Lübeck leider Opfer eines massiven Luftangriffs in der Nacht vom 28. auf den 29.März 1942. Es war das erste große Flächenbombardement einer deutschen Stadt durch die Royal Air Force, welches neben einer physisch zerstörten Stadt (15.000 Lübecker wurden obdachlos) auch eine zunächst verunsicherte Bevölkerung bewirkte. Thomas Mann, berühmter Sohn der Stadt, der seit 1940 monatlich Radiobotschaften aus dem US-Exil an seine Landsleute richtete, kommentierte wie folgt:

Hat Deutschland geglaubt, es werde für die Untaten, die sein Vorsprung in der Barbarei ihm gestattete, niemals zu zahlen haben? Es hat kaum zu zahlen begonnen. […] Beim jüngsten britischen Raid über Hitlerland hat das alte Lübeck zu leiden gehabt. Das geht mich an, es ist meine Vaterstadt. […] Und lieb ist es mir nicht zu denken, dass die Marienkirche, das herrliche Renaissance-Rathaus oder das Haus der Schiffergesellschaft sollten Schaden gelitten haben. Aber ich denke an Coventry und habe nichts einzuwenden. Gegen die Lehre, dass alles bezahlt werden muss.

Thomas Mann im April 1942

Gewissermaßen hatte der Literaturnobelpreisträger, dessen Elternhaus in der Bombennacht ebenfalls bis auf die Fassade ausgebombt wurde, sich prophetisch geäußert. Denn Lübeck war wirklich nur der Anfang eines gnadenlosen Bombenkriegs, der fast alle großen deutschen Städten in Schutt und Asche legen sollte. Ab 1944 wurde Lübeck jedoch von weiteren Angriffen verschont. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz erwirkte, dass Lübeck zum Versorgungshafen des Roten Kreuzes erklärt wurde und damit eine Art humanitäre Schutzzone darstellte. Über Lübeck wurden fortan auch die alliierten Kriegsgefangenen vom Roten Kreuz mit Hilfsgütern und Post aus der Heimat in ihren deutschen Gefangenenlagern versorgt.

Lübeck in der Abendsonne

Nach dem Kriegsende widmete man sich in der alten Hansestadt endgültig dem Wiederaufbau und war damit relativ erfolgreich. Zwar kam es teilweise auch zu eher zweckmäßigen Neubauten, aber mit 1.800 denkmalgeschützten Gebäuden zählt die Lübecker Altstadt heute als Gesamtensemble zum UNESCO Welterbe. Entsprechend hat sich auch der Tourismus schnell wieder zu einer wichtigen Einnahmequelle jener Stadt gemausert, die in der Bundesrepublik übrigens gerne wie die alten Weggefährten Bremen und Hamburg ein teilsouveräner Stadtstaat geworden wäre. Stattdessen musste man sich in das Bundesland Schleswig-Holstein eingliedern lassen und obendrein ertragen, dass auch noch Kiel zu dessen Hauptstadt erklärt wurde. Wenn ich an die schweren und bis heute spürbaren Komplexe in einer anderen eng mit Heinrich dem Löwen verbundenen Stadt denke (die 1946 ein ähnliches territoriales Schicksal erfuhr), hoffe ich natürlich, dass die Lübecker nicht genauso leiden. Aber im Gegensatz zum Schicksalsgenossen aus Niedersachsen haben sie wenigstens eine schöne Stadt und sind außerdem durch ihr Marzipan, ihre Bauwerke, ihre reiche Geschichte und ihren Thomas Mann und dessen Buddenbrooks viel bekannter in aller Welt.

Die Türme der Marienkirche

Als die schöne Stadt gegen Ende meiner Erkundungstour in ein angenehmes Abendlicht getaucht wurde, war das zum einen nochmal sehr fotogen, zum anderen jedoch auch das Signal, dass der Anpfiff des heutigen Kicks nicht mehr fern war. Doch zuvor musste noch ein Abendessen her. Da ich als letztes die Marienkirche – übrigens die „Mutterkirche der Backsteingotik“ – besichtigt hatte, kehrte ich der Einfachheit halber in den benachbarten Ratskeller zu Lübeck ein. Der befindet sich im Kellergewölbe des Rathauses und dazu fällt mir doch glatt noch ’ne kleine Sage aus der Stadtgeschichte ein:

Der Teufel auf seinem Teufelsstein vor der Marienkirche

Als man im 13.Jahrhundert die Grundmauern der Marienkirche neben dem Rathaus legte, glaubte der wahrscheinlich selbst ziemlich zugezechte Teufel, dass die Lübecker dort eine Weinstube planen würden. Gerne half er bei der Errichtung eines Ortes des Lasters und der Sünde und ward fortan der fleißigste Arbeiter auf dem Bau. Doch eines Tages, wahrscheinlich wieder nüchtern, erkannte der Teufel, was hier wirklich entstehen sollte. Voller Wut fing er an die Kirche mit einem riesigen Felsbrocken zu zertrümmern. Doch ein Baugeselle rief ihm zu: „Haltet ein, Herr Teufel! Laßt stehn, was steht! Wir bauen Euch dafür neben der Kirche ein Weinhaus!” Mit dem Kompromiss konnte der Fürst der Finsternis leben und ließ den Brocken vor die Mauern der Kirche fallen. Dort liegt er noch heute und zeigt die Spuren der Teufelskrallen, während gleich neben der Marienkirche der Ratskeller zu Lübeck erbaut wurde… (falls der Teufel mal am Ende eines Podcasts nach einer lustigen Anekdote gefragt wird, würde er bestimmt jene zum Besten geben)

Im Ratskeller zu Lübeck

Das Ambiente in jenem historischen Gewölbe ist wirklich top. Viel Heraldisches und Maritimes erwartet den neugierigen Besucher an den Decken und an den Wänden. Obendrein speist man in Séparées, die jeweils einer großen Persönlichkeit der Lübecker Stadtgeschichte gewidmet sind. Mir wurde die Schriftstellerin Ida Boy-Ed zugewiesen, die mir bis dato zugegebenermaßen kein Begriff war. Mit meiner Speise war ich allerdings nicht zufrieden. Kaum bestellt, war das mit Spiegeleiern garnierte und von Bratkartoffeln begleitete Schnitzel auf dem Tisch und schon beim ersten Bissen bestätigte sich meine Vorahnung, dass es mir nicht munden wird. Die geschmacksneutrale Panade haftete am ebenfalls faden Schweinefleisch. Nie im Leben wurde das händisch und frisch paniert. Für diese Schnellimbissqualität – wobei ich wirklich guten Imbissbuden damit Unrecht tue – waren 17,50 € deutlich überambitioniert. Aber gut, hier zahlen Touris eben in erster Linie für’s Ambiente. Ich hatte natürlich auch die entsprechende Vorahnung. Nur fehlte die Zeit, um großartig wählerisch zu sein.

Schnitzel mit Bratkartoffeln und Spiegeleiern im Ratskeller

Nach dem Essen waren um 18:30 Uhr immerhin die Verkaufswagen des Markttages verschwunden und ich bekam noch meine ungetrübten Fotos vom Rathaus und dem Marktplatz. Dann orientierte ich mich langsam gen Lohmühle. Gute drei Kilometer ist das Stadion des VfB Lübeck von der Altstadt entfernt. In der Abendsonne legte ich auch diese mit Wonne zu Fuß zurück und stand um 19:20 Uhr vor der ursprünglichen Haupttribüne des 1929 eröffneten Stadions. Seit 1996 steht ihr allerdings die neue und zeitgemäße Haupttribüne gegenüber, auf der ich zuletzt 2011 beim Pokalspiel von Anker Wismar gegen Hannover 96 saß. Übrigens neben Dieter Schatzschneider und Martin Kind. Hätte ich damals gewusst, wie unerträglich es mit den beiden noch wird, hätte ich natürlich gehandelt und alles unternommen, um das Duo davon zu überzeugen, dass ihr Leben ohne Hannover 96 viel schöner wäre. Chance vertan.

Die Renaissancelaube vor der gotischen Schildwand des Rathauses im Abendlicht

Ganz anders ging der VfB heute mit der Chance um, sich über den Landespokal für den DFB-Pokal zu qualifizieren. Dazu brauchte es noch drei Siege und der erste sollte gegen den Lokalrivalen 1.FC Phönix gelingen. Übrigens unter Einbeziehung der jeweiligen Vorgängervereine schon das 143.Duell der beiden Clubs. Ich hatte gar nicht auf dem Schirm, dass dieses Derby schon so eine reiche Tradition hat. Ich dachte erst seit 2021, als der 1.FC Phönix in die Regionalliga Nord einzog und der VfB in eben jene Spielklasse aus der 3.Liga abstieg, begegnet man sich auf Augenhöhe. Aber der Lübecker Ballspielverein Phönix, aus dem die Fußballer sich 1971 als 1.FC Phönix ausgliederten, wurde bereits 1903 gegründet. In den 1920er Jahren war man gar die sportliche Nr. 1 in der Marzipanstadt, während die 1920 gebildete Sportvereinigung Polizei (Vorgängerverein des VfB) dem Phönix im folgenden Jahrzehnt so langsam den Rang ablief. Als einziger Verein aus Lübeck qualifizierte sich die SV Polizei dann 1933 für die neu geschaffene und erstklassige Gauliga Nordmark. 1935 zog der Phönix jedoch nach und es gab wieder Lokalderbys in Lübeck.

Blick zur modernen Haupttribüne

Wir sind die Stadt der sieben Türme,

Perle am Ostseestrand.

Wir überstanden alle Stürme,

halten auf ewig stand.

Wir sind in all den schweren Jahren,

bei Regen und Schnee,

in jedes Dorf mit Dir gefahren,

für unsren VfB.

Allez, allez, allez, allez, VfB allez…

Gesang der Pappelkurve
Die Pappelkurve

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde 1945 der neue Großverein VfB gegründet, in den die Substanz der SV Polizei und des 1919 gegründeten, aber 1933 von den Nazis verbotenen BSV Vorwärts Lübeck einging (deshalb gibt der VfB ebenfalls 1919 als Gründungsjahr an). Der eher proletarische VfB rang nun mit dem als bürgerlich geltenden LBV Phönix um die fußballerische Vormachtstellung in der Stadt. Die Derbys in den 1950er und 1960er Jahren stießen dabei auf reges Zuschauerinteresse und lockten gerne mal fünfstellige Besucherzahlen an die Lohmühle oder an den Flugplatz. Allerdings schloss der Verein für Bewegungsspiele fast durchgängig besser als der Phönix ab bzw. spielte meist höherklassig. In den letzten 90 Jahren konnten die Phönix-Fußballer lediglich sechs Spielzeiten besser als der VfB abschließen (zuletzt 1985/86). 1989 und somit fast zeitgleich mit dem Beginn meiner Fußballsozialisation, trennten sich die Wege schließlich sogar für über 30 Jahre am Stück. So kam es, dass der VfB mir dauernd über den Weg gelaufen ist, während mir der 1.FC Phönix erst seit dem Regionalligaaufstieg 2021 ein Begriff ist.

Der spärlich gefüllte Gästesektor

Der VfB hatte in den letzten drei Jahrzehnten zwar auch viele Täler zu durchschreiten, aber zugleich mehrere Höhenflüge gehabt. So nahm man von 1995 bis 1997 und von 2002 bis 2004 an der 2.Bundesliga teil. In der Saison 2003/04 erreichte man außerdem unter Trainer Dieter Hecking das Halbfinale des DFB-Pokals (2:3 nach Verlängerung bei Werder Bremen). Kein Wunder also, dass sich heute auf Heimseite eine lebhafte Fanszene tummelte, während im Gästeblock nur ein kleines Häufchen stand. Aber solche Vereine wie Phönix werden bekanntlich gerne von Fans mit politischem Geltungsbewusstsein entdeckt und so war dieser Sektor des Stadions etwas bunter als der Rest beflaggt.

Die altehrwürdige Tribüne, auf der ich für 18 € Platz nahm

Außer sich selbst, konnten die Gäste jedoch nichts feiern. Der VfB, der auch erst jüngst in der Liga mit vier Toren Unterschied beim 1.FC Phönix gewann, machte von Beginn an Druck und spielte sich etliche Chancen heraus. Dass der Treffer von Felix Drinkuth in der 23.Minute der einzige Torerfolg der Grün-Weißen am heutigen Abend bleiben sollte, kam fast schon einem Fußballwunder gleich. Allein im ersten Durchgang knallte der Ball drei- oder viermal gegen das Aluminium des Gästetores und mehrfach musste sich Tormann Andrea Hoxha zwischen den Pfosten auszeichnen.

Der Vorsänger animiert die Pappelkurve

Wir kommen aus Lübeck,

Zusammenhalt ist unser Ziel.

Wir hassen Pauli!

Wir hassen Braunschweig!

Und wir hassen Holstein Kiel!

Olé, olé… Olé, olé…

Wen die Pappelkurve wirklich hasst

Dieser Spielverlauf war der Stimmung im VfB-Lager durchaus zuträglich. Während die so genannte Pappelkurve kontinuierlich ihre Lieder und Schlachtrufe darbot und auch ein- oder zweimal den 1.FC Phönix schmähte, war auf den Geraden mitunter guter Pöbelfaktor. Weil der Schiedsrichter auch mal strittig gegen den VfB gepfiffen hatte, wurde aus diesen Sektoren u. a. “Schieber, Schieber” skandiert und in die Pause wurde das Gespann der Unparteiischen mit einem soliden Pfeifkonzert verabschiedet.

Ein Feuerchen aus dessen Asche wohl kein Phönix hinaufsteigen wird

Auch im zweiten Durchgang hatte der VfB alles im Griff, bekam jedoch weiterhin kein zweites Tor zustande. Fast musste man ein bißchen Angst haben, dass dem Gast von der Travemünder Allee an der Lohmühle noch ein Lucky Punch gelingt. Man kennt ja die alten Fußballweisheiten. Aber das Abschlusspech der Herren in den grünen Dressen sollte nicht bestraft werden und am Ende hatte nur die Pappelkurve was zu feiern. Franz Beckenbauer wäre gerührt gewesen, hätte er wie ich den Fans beim Trällern von „Gute Freunde kann niemand trennen“ lauschen dürfen (siehe Video). Doch die diversen Anhänger im Gästeblock feierten ihre zumindest dem Ergebnis nach nur knapp unterlegenen Kicker ebenfalls. Dabei wurde sogar noch ein pyrotechnischer Gegenstand entflammt. Vielleicht aus Kalkül erst nach Abpfiff, um einer Geldstrafe zu entgehen. Aber auch da kann man sich nicht sicher sein. Wenn heute so’n Ittrich-Verschnitt gepfiffen hat, taucht das bestimmt trotzdem im Spielberichtsbogen auf. Weil ein Stadion darf kein rechtsfreier Raum sein!

Adieu, Stadion an der Lohmühle

Im Halbfinale des SHFV-Pokals tritt der VfB nun am 8.April im Halbfinale beim Husumer SV an, während zwei Tage später der TSV Büsum und Weiche Flensburg den weiteren Endspielteilnehmer ermitteln. Ich ermittelte dagegen nur noch den schnellsten Weg vom Stadion zum Hotel und lag gegen 22 Uhr im Bett. Dank 29.513 Schritten ging es mit dem Einschlafen auch ganz schnell.

Song of the Tour: Marzipan wurde irgendwie zu wenig gewürdigt im Bericht