Słupsk (Stolp) 06/2021

  • 13.06.2021
  • Gryf Słupsk – Wierzyca Pelplin 1:1
  • IV Liga pomorska (V)
  • Stadion „Gryf“ (Att: 102)

Am zweiten Reisetag meiner polnischen Sommerfrische wollte ich eigentlich Glogów (Glogau) ansteuern, dort mittags dem Zweitligaspiel Chrobry Głogów gegen Arka Gdynia (Anstoß 12:40 Uhr) beiwohnen und um 17 Uhr noch Odra Bytom Odrzański gegen Pogoń Przyborów (5.Liga) mitnehmen. Allerdings war die Bahnverbindung aus Słubice eine Katastrophe. Ich hätte 8:31 Uhr starten müssen, um ca. 15 Minuten vor Anpfiff den Bahnhof Glogóws zu erreichen. Den Ritt wollte ich mir nach der alkoholischen Galarevue am Vortag nicht zumuten. Da ich mich mittlerweile entschieden hatte von Montag bis Freitag in Gdańsk (Danzig) zu residieren, schaute ich stattdessen, welche Gemarkung auf dem Wege dorthin eine verkehrsgünstige Lage aufwies. Die Wahl fiel nun auf Słupsk (Stolp) in der Województwo pomorskie (Woiwodschaft Pommern), wo das fußballerische Aushängeschild Gryf um 18 Uhr ein Heimspiel austragen sollte.

Back on the track

Leider blieb mir auch nach Słupsk der frühe Zug um 8:31 Uhr nicht erspart. Doch Fat Lo schaute vorsorglich um 7:30 Uhr in meinem Hotelzimmer vorbei, damit ich bloß nicht verschlafe. Da ich 4,5 Stunden zuvor noch an der Schanktheke des Hotels saß, war das Aufstehen nun so angenehm wie eine Plauderrunde der hannoverschen Neuen Presse mit Christoph Dannowski, Andreas Willeke, Dieter Schatzschneider und Martin Kind. Ich kam nicht so richtig aus dem Knick und letztlich stand ich trotz rechtzeitigem Weckruf erst um 8:25 Uhr an der Rezeption. Nun musste ich mich tatsächlich sputen, um meine Bahn zu bekommen. Ich eilte auf eine geschlossene Schranke zu und mein Zug fuhr von rechts nach links an mir vorbei. Frustriert wollte ich sogleich meine Magensäfte auf dem Trottoir verteilen. Doch dann sah ich, dass der Perron nicht wie befürchtet rechts vom Bahnübergang lag, sondern links. Ergo stoppte das Schienenfahrzeug und als die Bahnschranke hochging, sprintete ich los und wedelte mit meinen Armen. Der Conducteur hob seinen Daumen und ich konnte das Tempo auf den letzten Metern zum Glück noch einmal drosseln.

Meine Einzelzimmer im Hotel Portus

Mit Umstiegen in Rzepin (Reppen) und Szczecin (Stettin) ging es nun für insgesamt 66 Złoty (ca. 15 €) nach Słupsk. Mein heutigen Zielort erreichte ich um 14:29 Uhr und bezog sogleich das bahnhofsnahe Hotel Portus (EZ für 33 € inklusive Frühstück). Ich machte mich nochmal frisch und fühlte mich erfreulicherweise nicht mehr so blümerant wie in den Morgenstunden. Um 15 Uhr startete ich schließlich einen Erkundungsspaziergang durch Słupsk. Unterdessen waren meine vier Mitstreiter vom Vortag alle heil in der Hildesheimat angekommen. Schade, dass keiner von ihnen noch ein paar Tage frei hatte, um weiter unter meiner Kuratel zu stehen. Aber nun gut, Polen als Solotrip ist mittlerweile schon ein regelrechter Klassiker bei Schneppe Tours geworden und ich vagabundiere wahnsinnig gerne durch unser östliches Nachbarland.

Alle lieben Słupsk

Es gibt hier einfach viel zu entdecken und einiges über deutsche und polnische Geschichte zu lernen. Auch Słupsk ist durchaus mal einen Tagesausflug wert. Die Stadt zählt ca. 90.000 Einwohner und ist damit zwischen Szczecin im Westen und der städtischen Agglomeration Trójmiasto (Gdańsk, Gdynia und Sopot) im Osten die zweitgrößte pommersche Stadt nach Koszalin (Köslin). Dabei blickt man auf rund 1.000 Jahre Geschichte zurück, die selbstredend nicht spurlos am Stadtbild vorbeigezogen sind.

Hier regiert offenkundig der Greif

An einer Furt des Flusses Słupia (Stolpe) errichteten die Kaschuben dereinst eine Siedlung, welche im Jahre 1013 das erste Mal urkundlich erwähnt wurde. Im 12.Jahrhundert fiel Stôłpsk (wie die Kaschuben den Ort nennen) an das Herzogtum Pommern. Wechselhafte Jahrhunderte, mit vielen verschiedenen herrschaftlichen Einflüssen, fanden vorerst mit dem Westfälischen Frieden im Jahre 1648 ihr Ende. Dieser markierte den Abschluss des Dreißigjährigen Krieges (1618 – 1648) und ganz Hinterpommern mitsamt Stolp wurde Teil Brandenburgs bzw. später Preußens. Diese deutsche Hoheit endete erst mit dem Zweiten Weltkrieg. Hinterpommern wurde 1945 Polen zugeschlagen und die deutschsprachige Bevölkerung in den nächsten Jahren vertrieben. Zwangsumgesiedelte Polen aus Ostpolen, welches Stalin als Kriegsbeute der Sowjetunion einverleibt hatte, wurden vorwiegend zu den neuen Bürgern der Stadt.

Nachkriegsbebauung mit stilisierten historischen Fassaden am Rynek

Sowjetische Soldaten waren es auch, die nach ihrem Einmarsch im Frühjahr 1945 in der Stolper Altstadt brandschatzten. Große Teile der Bausubstanz gingen verloren und die polnischen Behörden mussten sich um den Wiederaufbau der fortan offiziell Słupsk genannten Stadt kümmern. Bis auf ikonische Landmarken wie Stadttore, Kirchen und das Schloss, wurde nichts rekonstruiert. Stattdessen waren zweckmäßige Mehrfamilienhäuser das Gebot der Stunde. Entsprechend ist die Altstadt von Słupsk auch kein besonders schönes Gesamtensemble, doch viele Einzelbauwerke sind einen Blick wert.

Das Neue Tor

Von meinem Hotel steuerte ich auf das Nowa Brama (Neue Tor) zu. Ein spätgotisches Backsteintor, um ca. 1500 erbaut. Daneben befindet sich das ehemalige Kaufhaus Zeeck. Ein eleganter viergeschossiger Bau aus dem frühen 20.Jahrhundert, der immer noch ein Warenhaus beherbergt und mit einem über 100 Jahre alten Paternoster begeistert. Schräg gegenüber des Nowa Brama ragt wiederum das Ratusz (Rathaus) von 1901 empor (neogotischer Backsteinstil). Dessen Turm misst immerhin stolze 59 Meter vom Boden bis zur Spitze und ist somit weithin sichtbar.

Das Neue Rathaus von 1901

Anschließend passierte ich das Nowa Brama und lief direkt auf einen ausrangierten Straßenbahnwaggon zu, der heuer als kleines Lädchen dient. Hinter ihm erhebt sich auch schon der massive Turm der Kościół N. P. Marii (Marienkirche). Diese um 1400 errichtete Backsteinbasilika ist die Marktkirche der Stadt. An Orten wie diesem versprüht Słupsk noch ein wenig hanseatisches Fluidum. War Stolp doch ab 1380 Mitglied jenes handelsorientierten Städtebundes. Über den der Stadt vorgelagerten Ostseehafen Stolpmünde (heute Ustka) wickelte man dereinst regen Ostseehandel ab. Das sorgte für Prosperität im Spätmittelalter.

Die Hexenbastei (und ihre Plattenbaunachbarschaft)

Am anderen Ende der Altstadt erwartete mich die Hexenbastei mit Resten der mittelalterlichen Stadtmauer. Vor der Mauer floss die Słupia sanft und an deren Ufer wurde mit schwerem Gerät an einer neuen Flaniermeile gewerkelt. Ebenfalls am Flussufer findet man den Spichlerz Richtera (Richterspeicher). Ein großer Fachwerkspeicher von 1780, der gleich neben der Młyn Zamkowy (Schlossmühle) errichtet wurde. Zu Mühle und Speicher gesellen sich noch das Brama Młyńska (Mühlentor) und das Schloss der pommerschen Herzöge. Das ist vielleicht die schönste Ecke von Słupsk und hier traf ich auch tatsächlich auf weitere Touristen.

Der Richterspeicher

Der Schlossbau begann um 1507 (Spätgotik), erfuhr jedoch schon rund 80 Jahre später einen umfassenden Umbau im Stile der Renaissance. Durch einen Brand im Jahre 1821 weitgehend zerstört, dienten die Gebäudereste bis 1945 als Getreidespeicher. Die Polen rekonstruierten das Schloss schließlich nach Renaissancevorbild und heute beheimatet dieses Bauwerk das mittelpommersche Museum, welches auch die Mühle und den Richterspeicher als Magazin und zusätzliche Ausstellungsfläche mitnutzt.

Schloss und Schlossmühle

Zu einem Schloss gehört natürlich auch eine eigene Schlosskirche. Diese ist in Form der Kościół św. Jacka (St.-Hyazinth-Kirche) vorhanden. Ursprünglich beteten hier die Mönche des 1278 gegründeten Stolper Domikanerklosters. Im frühen 16.Jahrhundert wurde die backsteingotische Hallenkirche in den Schlosskomplex integriert und während der Reformation wurde sie schließlich evangelisch. Da das Bauwerk den Zweiten Weltkrieg (1939 – 1945) weitgehend unversehrt überstand, eignete sich Polens katholische Kirche dieses Gotteshaus an und stellte es 1946 wieder unter die Obhut des Dominikanerordens. Was lag da näher als die rekatholisierte Kirche dem heiligen Hyazinth zu weihen, dem ersten Dominikanermönch Polens?

Streetart und die einstige Schlosskirche

Relativ naheliegend war nun auch das Stadion Gryf. Von der einstigen Schlosskirche waren nur noch 1.500 Meter bis zum städtischen Areal für Leibesübungen abzuleisten. Dort durfte ich 15 Minuten vor Spielbeginn 10 Złoty (2,20 €) für ein Billet entrichten und anschließend wurde das elektronische Drehkreuz passiert. Das Stadion präsentierte sich in einem relativ modernen Zustand. Obwohl der Club gegenwärtig in der polnischen Ligapyramide nur fünftklassig einsortiert ist und auch in den vergangenen Jahren höchstens in der 4.Liga mittun durfte. Na ja, die öffentliche Hand in Polen ist seit Jahren investitionsfreudig. Sicher ein Eckpfeiler des kleinen ökonomischen Mirakels östlich von Oder und Neiße.

Das Stadion „Gryf“ (bis 1945 Heimstatt des SV Germania Stolp)

Die größten Erfolge von Gryf Słupsk liegen jedoch schon ein bisschen zurück. In der Saison 1976/77 erreichte man das Achtelfinale des polnischen Fußballpokals und von 1981 bis 1983 spielte man in der 2.Liga. Nichtsdestotrotz kann der 1946 gegründete Verein, zumindest besonderen Wettspielen, immer noch eine nennenswerte Anzahl von Getreuen mobilisieren. Wie in der Vorwoche, als der Erzrivale Pogoń Lębork in Słupsk zu Gast war. Aufgrund der Ranküne war an der Ulica zielona (Grüne Straße) mal wieder die Hölle losgebrochen. Verbale Unterstützung, optische Akzente – nebst Pyrotechnik – und Unruhe auf den Rängen wurden dem Auge des Besuchers geboten. Heute dagegen sprichwörtlich tote Hose. Der Gast Wierzyca Pelplin war nicht der Rede wert und es sammelten sich lediglich drei dutzend vierschrötige Kraftpakete vor der Kampfbahn, die selbige heute jedoch nicht betraten und stattdessen vom Gehsteig durch den Zaun lugten.

Zaungäste

Ab und zu gab es mal einen Schlachtruf von ihnen zu hören (mutmaßlich wurde gegen den Vorstand skandiert), während die etwa 100 Zuschauer im Stadionrund lediglich schweigende Beobachter der Fußlümmelei waren. Boykottiert wurde von den aktiven Anhängern laut Lokalmedien aufgrund der schwachen sportlichen Saisonleistung. Vorkommnisse beim Wettstreit gegen Lębork, wie ein hartes Vorgehen der armierten Schutzpolizei gegen die Schlachtenbummler, könnten aber vielleicht ebenfalls in die Boykottentscheidung eingeflossen sein.

Blick in die verwaiste Heimkurve

Die Gryf-Equipe spielte heute so mittelmäßig, wie von den Zaungästen kritisiert und trennte sich in einem fatiganten Fußballspiel 1:1 von Wierzyca (derzeit Sechster im Tableau). Mit nun neun Saisonsiegen, sieben Remis und elf Niederlagen steht die hiesige Körperschaft kurz vor Saisonende auf Rang 9. Da hatte ich mir wieder mal schönen Gammel rausgesucht. Aber gut, in Glogów wurde heute gegen Arka sogar ohne Zuschauer gespielt. Das wäre natürlich ein noch größerer Reinfall geworden. Wer gezielt nach Słupsk will, sollte einfach im Kalender nach einem Duell gegen Pogoń Lębork oder Gwardia Koszalin Ausschau halten. Da dürfte auf den Rängen Reputierliches geboten werden.

Allee, Allee… So langsam komme ich ins EM-Fieber

Nach dem Spiel ging es wieder zurück in die Innenstadt. Ich schlenderte in der Abendsonne noch saumselig durch nette Parkanlagen und die 600 Meter lange Allee Wojska Polskiego (ehemals Färberstraße), welche den Hauptbahnhof mit der Altstadt verbindet. In Bahnhofsnähe erspähte ich gegen 21 Uhr auch ein Speiselokal für das Abendessen. In einen alten Wasserturm war das Full Bull eingezogen. Ein so genanntes Steak- und Burgerrestaurant, dessen Kreation Pizzaburger beim Studium der Speisekarte mein Interesse weckte.

Der Bahnhof hat sich voll verändert; alle sagen das

Was soll ich sagen? Der Pizzaburger vereinte das beste aus zwei Welten. Die Brötchenhälften waren mit Tomatensauce, Chorizosalami und Käse im Ofen gebacken, während dazwischen 200 Gramm gewolftes Rindfleisch und marktfrischer Rucola den Gaumen poussieren durften. Begleitet wurde diese Ofenbarung von frittierten Erdapfelstäbchen und einer cremigen Weißkrautzubereitung. Ganz so, wie man es aus der Neuen Welt kennt. Noch ein Liter hausgemachte Ingwer-Pampelmusen-Limonade als Labsal und der Tag klang wesentlich erbaulicher aus, als er begonnen hatte. 49 Złoty, also rund 11 €, waren für den Genuss fällig, ehe ich berückt und gesättigt in meine Herberge zurückkehrte.

Wenn der Burger mit der Pizza eine Liaison eingeht

Am nächsten Morgen benötigte ich keinerlei Weckdienst. Inkommodierende Bauarbeiten in der Nachbarschaft sorgten für ein Ende der Nachtruhe um 7 Uhr. Dabei war ich insbesondere aufgrund der gegenwärtigen Großbaustelle neben meinem deutschen Domizil nach Polen geflüchtet. Baulärm und Baustaub hatten nämlich bereits meine erste Urlaubswoche, im Anschluss an die Mainz-Tour, zur reinen Qual werden lassen. Und das alles nur, damit neben mir hochwertige Eigentumswohnungen entstehen, die sich Lotterbuben wie meiner einer nie werden leisten können. Vermaledeite Gentrifizierung!

Frühstück, die wichtigste alkoholfreie Mahlzeit des Tages

Wohlan, wurde halt schon früher als geplant getafelt. Hotel Portus hatte das typische Dejeuner einer mediokren Herberge aufgetischt. Viktualien wie Brot, Brötchen, Wurst, Käse, Konfitüre, Rührei, Würstchen usw., sowie Orangensaft und Heißgetränke erwarteten den Gast. Ich nahm von allem etwas, damit ich hinreichend gestärkt für die Weiterreise nach Gdańsk war. Allerdings hatte ich danach noch über 120 Minuten bis zur Zugabfahrt zu überbrücken. Tja, eigentlich hätte ich mich jetzt erst aus den Federn erhoben…

Słupsk ist farbenfroh wie ein Regenbogen

Doch man kann natürlich noch ein zweites Mal durch die Innenstadt von Słupsk flanieren. Viel Neues entdeckte ich jedoch nicht mehr. Nun gut, ich hatte am Vortag auch wirklich das meiste der Sehenswürdigkeiten inspiziert. 11:18 Uhr ging es schließlich für umgerechnet 7,80 € mit dem Zug der Gattung TLK nach Gdańsk, wo ich gegen 13:30 Uhr ankam und bis Freitag mein Quartier beziehen sollte. Es wurde eine schöne und abwechslungsreiche Woche, deren Berichte sich in meinem virtuellen Diarium natürlich anschließen werden.

Song of the Tour: Der diesjährige polnische Sommerhit