Magdeburg 02/2020

  • 15.02.2020
  • 1.FC Magdeburg – Chemnitzer FC 1:1
  • 3.Liga (III)
  • Heinz-Krügel-Stadion (Att: 16.578)

Seit der UK Tour zum Jahreswechsel passierte wenig Berichtenswertes im Hause Schneppe Tours. Testkicks auf Kunstrasen, Hallenfußballturniere und regionale Kulturausflüge prägten die Wochenenden zwischen intensiven Arbeitswochen. Am 15.Februar lag nichts vor der Haustür an und ich prüfte die Ansetzungen in einem Radius von 300 km (Sonntag hatte ich schon wieder Termine, so dass nur ein Tagesausflug infrage kam). Die Wahl fiel auf 1.FC Magdeburg versus Chemnitzer FC. Der passende Fahrschein der DB kostete mich nach Einsatz von fünf Verspätungsgutscheinen à 5 € nur noch 1,80 € und für das Zehnfache konnte ich ein Ticket für die Gegengerade des Magdeburger Stadions erstehen.

Die Ronny-Balboa-Statue am Elbufer

Der IC 2035 warf mich 10:57 Uhr in der Elbestadt raus und so blieben mir bis Spielbeginn noch drei Stunden für Sightseeing. Magdeburg hatte ich bereits mehrmals betreten und ich habe sogar (vor langer Zeit) zeitweilig in der Nähe der Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts gearbeitet. Doch auf Schneppe Tours hatten Stadt und Stadion noch keine Würdigung erfahren. Ich war zwar einen Tag nach dem 106.Geburtstag des Hannoverschen SV von 1896 im alten Ernst-Grube-Stadion (1.FCM – VfB Lübeck 2:3) und im Zuge eines Gastspiels der 2.Mannschaft von eben jenem HSV von 1896 im neuen Stadion zugegen, doch das war beides bevor ich begann meine Erlebnisse niederzuschreiben und öffentlich zu teilen.

St.-Johannis-Kirche (erste urkundliche Erwähnung 941)

Heute spazierte ich auf den Spuren der bewegten Stadtgeschichte die Elbe entlang und als Höhepunkt wartete vor dem Spielbesuch der Magdeburger Dom auf mich. Damit wären wir eigentlich auch gleich bei der historischen Keimzelle dieser Stadt. Im Jahre 805 wurde der Ort erstmals urkundlich erwähnt. Es gab in der schon seit Urzeiten besiedelten Gegend sehr fruchtbare Böden und an der hiesigen Furt der Elbe bot sich im Mittelalter eine dauerhafte Ansiedlung an. Zumal hier die äußere Grenze des Frankenreiches verlief und am Ostufer des Flusses die Slawengebiete begannen. Mit den Slawen trieb man florierenden Handel und besonders unter Kaiser Otto I. (Otto der Große) erlebte Magdeburg seine erste Blüte.

Die romanische Klosterkirche Unserer Lieben Frauen von 1015

Otto, aus dem sächsischen Adelsgeschlecht der Luidolfinger und ab 936 König des Ostfrankenreiches, hatte hier 937 das St.-Mauritius-Kloster gegründet und machte Magdeburg außerdem zur Morgengabe seiner ersten Frau Edgitha (929 hatte Otto diese Tochter des angelsächischen Königs von Wessex geheiratet und damit erstmals bewiesen, dass er politisch in größeren Zusammenhängen denkt). König und Königin sollen, trotz der damals unabdingbaren häufigen Reisetätigkeit eines Herrschers, für ihren höfischen Lebensmittelpunkt die Pfalz in Magdeburg gewählt haben. Ferner ließ Otto in Magdeburg seinerzeit die Sachsenpfennige prägen. Eine Währung insbesondere für den Handel mit den benachbarten Slawen, in deren ostelbischen Gebieten man auch teilweise zu missionieren und zu kolonisieren begann (948 wurden zwischen Elbe und Oder die Bistümer Havelberg und Brandenburg an der Havel gegründet).

Das Grab von Otto dem Großen im Magdeburger Dom

Edgitha starb bereits 946 und wurde im Mauritiuskloster beigesetzt. 951 heiratete Otto schließlich erneut. Diesmal Adelheid von Burgund, ihres Zeichens seit kurzem Königswitwe in Italien. Diese Liaison vereinigte das ostfränkische Reich und das langobardisch-italienische Reich unter Otto und legte das Fundament für seine Kaiserwürde. Im Jahre 962 wurde Otto zum römisch-deutschen Kaiser gekrönt und gilt damit als Begründer des bis 1806 währenden Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (HRR). Ottos Einfluss trug nun dazu bei, dass sein geliebtes Magdeburg 967 zum Erzbistum erhoben wurde. Erster Erzbischof war Adalbert von Magdeburg und die Klosterkirche St. Mauritius diente als erster Dom. Als Otto der Große 973 starb, wurde er neben seiner ersten Ehefrau Edgitha beigesetzt. Beide Sarkophage sind heute im Magdeburger Dom zu sehen.

Die romanische Kirche St. Sebastian aus dem 11.Jahrhundert (heute Kathedralkirche des katholischen Bistums Magdeburg)

Sohnemann Otto II., bereits seit 967 Mitkaiser, übernahm 973 achtzehnjährig die Thronfolge und somit die Alleinherrschaft über das HRR. Bereits ein Jahr zuvor hatte Otto II. die byzantinische (oströmische) Kaisernichte Theophanu geheiratet. Das war ein Meisterstück der mittelalterlichen Heiratsdiplomatie, sorgte es doch für die Anerkennung des deutschen (weströmischen) Kaisertums durch Byzanz (welche sich bisher als einzige legitime Kaiser von Gottes Gnaden sahen). Otto II. war ebenfalls Freund und Förderer des Erzbistums Magdeburg und eine der ersten Amtshandlungen als alleiniger HRR-Kaiser war die urkundliche Bestätigung der Besitzungen und Priviliegien des Erzbistums. Gleichwohl war seine Regentschaft von Unruhen geprägt. So verlor er bei einem Slawenaufstand (983) die ostelbischen Besitzungen und Magdeburg war wieder Grenzstadt. Die Eroberung der Stadt konnte jedoch von einem Heer unter Führung des zweiten Magdeburger Erzbischofs Giselher durch einen Sieg bei der Schlacht an der Tanger (Nebenfluss der Elbe im heutigen Sachsen-Anhalt) verhindert werden.

Das mittelaterliche Ensemble aus Magdalenenkapelle (von 1315), Petrikirche (1150) und Wallonerkirche (1285) am Elbufer

Unter Kaiser Konrad II. bekam Magdeburg dann 1035 das Privileg Handelsmessen ausrichten zu dürfen. Es wurde Knotenpunkt des Ost-West-Handels auf dem Landweg und des Nord-Süd-Handels auf der Elbe. Mit dem Stapelrecht von 1260 wurde der Reichtum der Stadt noch weiter befördert. Stapelrecht bedeutete, dass alle durchziehenden Händler gezwungen waren ihre Waren in Magdeburg zu offerieren. Man kam also die Elbe nicht rauf oder runter, ohne in Madgeburg anzulegen und seine Waren am Stapelplatz feilzubieten. Dieses Privileg, welches auch Städten wie Groningen, Köln, Lübeck, Hamburg, Wien oder Tallinn zu Reichtum und Macht im Mittelalter verhalf, ließ die Magdeburger Wirtschaft weiter florieren. Ferner verfügte die Elbmetropole seinerzeit über ein vorbildliches und fortschrittliches Stadtrecht (Magdeburger Recht), welches von vielen Städten, insbesondere im östlichen Mitteleuropa, übernommen wurde.

Die ab 1315 errichtete gotische Magdelenenkapelle diente der Sühne einer an dieser Stelle weggeworfenen und somit entweihten Hostie

Einher ging die Ausbreitung des Magdeburger (Stadt)Rechts mit jener des vorwiegend landrechtlichen Sachsenspiegels, den Eike von Repgow (mutmaßlich in seiner Adoleszenz Domschüler in Magdeburg) zwischen 1220 und 1235 verfasste. Dieser war teilweise noch bis zur Einführung des BGB im Jahre 1900 maßgeblich in der deutschen Rechtsprechung und Sätze aus dem Sachsenspiegel wie „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ begegnen uns noch heute redensartlich. Nach Eike von Repgow ist übrigens das Magdeburger Justizzentrum (Heimat diverser Gerichte) in der Nachbarschaft des Doms benannt. Und apropos Dom… Der wurde im 13. und 14.Jahrhundert nach dem verheerenden Stadtbrand von 1207, der auch die Kaiserpfalz und fast die ganze Stadt niederbrannte, als gotische Kathedrale neu errichtet. Vom romanischen Vorgängerbau bzw. vom Mauritiuskloster finden sich allerdings noch Spuren im Kreuzgang des Doms.

Die Lukasklause (ein in Teilen aus dem Spätmittelalter stammender Wehrturm)

Nachweislich seit 1295 (aber wahrscheinlich schon früher) war Magdeburg Mitglied der Hanse. Durch seine besondere Stellung im elbischen Getreidehandel galt es als Brothaus der Hanse und unterhielt Handelsbeziehungen zu zahlreichen Städten in West-, Nord-, Mittel- und Osteuropa (und vereinzelt auch darüberhinaus). Die mittelalterliche Blüte konnte die Stadt allerdings nicht in die Neuzeit überführen. Bereits im 15.Jahrhundert kam es zu langwierigen Auseinandersetzungen zwischen dem Bistum und der reichen Bürgerschaft, die sich von der Bevormundung durch den Klerus lösen wollten. Die Reformation befeuerte die bestehenden Konflike im 16.Jahrhundert dann noch weiter. Martin Luther hatte mehrmals in Magdeburg (in der Wallonerkirche) gepredigt und 1524 nahmen die Bürger der Stadt die lutherische Lehre an. Die Kirchen wurden reformiert und lediglich der Dom und die Klöster blieben vorerst katholisch.

Letztes erhaltenes mittelalterliches Stadttor Magdeburgs an der Möllenvogtei von 1493)

Die Reformation sorgte im 16.Jahrhundert für schwere Auseinandersetzungen im HRR. Kaiser Karl V. wollte die religiöse Spaltung seines Reiches wieder überwinden und der Schmalkaldische Krieg (1546 – 1547) zwischen dem katholischen Kaiser und einem Bund protestantischer Fürsten und Städte war eine Art Prolog für den Dreißigjährigen Krieg (ich schrieb jüngst bereits ein paar Zeilen dazu im Sondershausen-Bericht). Der Kaiser war siegreich und zwängte den protestantischen Städten und Fürstentümern 1548 das Augsburger Interim auf. Eine Verordnung, um die Glaubensgemeinschaften wieder kirchenrechtlich anzunähern und eine Wiedereingliederung der Protestanten in die römisch-katholische Kirche vorzubereiten. Da Magdeburg sich weigerte das Interim einzuführen, verhängte der Kaiser die Reichsacht über die Stadt und sie wurde vom Spätsommer 1550 bis zum Herbst 1551 von kaisertreuen Truppen unter Georg von Mecklenburg erfolglos belagert.

Der Lieblingsantisemit von vielen Deutschen (hier als Bonzedenkmal von 1886 vor der Magdeburger St.-Johannis-Kirche)

Der Durchhaltewillen der Magdeburger Protestanten brachte der Stadt den Ruf eines Bollwerks der Reformation ein. Neuer Beiname: Unseres Herrgotts Kanzlei (unter diesem Titel verarbeitete Wilhelm Raabe 1862 die Belagerung Magdeburgs übrigens auch prosaisch). Schließlich übernahm 1563 sogar der Erzbischof von Magdeburg die lutherische Lehre. Der Dom, den die selbstbewussten Protestanten bereits 1545 kurzerhand einfach geschlossen hatten, wurde 1567 wieder geöffnet und am 1.Advent jenes Jahres gab es den ersten evangelischen Gottesdienst in der Kathedrale des „ruhenden“ Bistums. Der Ruf als Bollwerk der Reformation wurde Magdeburg allerdings im Dreißigjährigen Krieg (1618 – 1648) zum Verhängnis. Monatelang wurde die Stadt von den kaiserlichen Truppen unter Graf von Tilly belagert. Im Mai 1631 konnte Tilly Magdeburg einnehmen und seine Truppen plünderten die Stadt nicht nur, sondern massakrierten auch die Bevölkerung und brannten fast alle Häuser nieder. Nur wenige hundert Menschen überlebten das Fanal, welches als die größte Katastrophe des Dreißigjährigen Kriegs gilt (Schätzungen gehen von ca. 500 Einwohnern in den 1630er Jahren aus, während zuvor über 20.000 Menschen in der Stadt gelebt haben sollen).

Otto von Guericke

1648 beendete der Westfälische Friede den Dreißigjährigen Krieg und Magdeburg fiel an das protestantische Kurfürstentum Brandenburg. Seinerzeit (von 1646 bis 1678) war ein gewisser Otto von Guericke Bürgermeister der Stadt. Nach den mittelalterliche Ottonen der nächste große Otto in Magdeburgs Stadtgeschichte. Denn von Guericke war nicht nur geschätzter Politiker, sondern auch Physiker. Er erfand die Kolbenluftpumpe und 1657 präsentierte er mittels seiner Magdeburger Halbkugeln spektakulär die Kraft des Vakuums. Von Guericke legte zwei Halbkugelschalen aus Kupfer (ca. 0,5 m Durchmesser) zu einer Kugel aneinander und dichtete diese mit Leder, Terpentin und Wachs ab. Anschließend entzog er dem Inneren der Kugel mit seiner Kolbenpumpe über ein Ventil die Luft. Der nun von außen auf die Kugel wirkende Luftdruck drückte diese so stark zusammen, dass sich diese selbst mit zwei Gespannen à acht Pferden nicht mehr auseinanderziehen ließ. Die Halbkugeln konnten erst wieder getrennt werden, als von Guericke der Kugel über das Ventil erneut Luft zuführte. Jene berühmten Halbkugeln finden sich heute als Skulpturen vielerorts im Stadtgebiet.

Das Alte Rathaus (erste urkundliche Erwähnung 1244, zwischen 1691 und 1698 nach dem Dreißigjährigen Krieg im frühbarocken Stil neu errichtet)

Ab 1680 war Magdeburg ein brandenburg-preußisches Herzogtum (der Besitz des Erzbistums war im Zuge dessen säkularisiert worden) und ging 1701 im Königreich Preußen auf. Zu jener Zeit erschien eine weitere interessante Figur in der Stadtgeschichte. Aber diesmal kein Otto. Es handelt sich um den aus der Oberpfalz stammenden reisenden Arzt Johann Andreas Eisenbarth. Bis heute volkstümlich als Doktor Eisenbart bekannt, obwohl er nie einen Doktortitel verliehen bekam. Eisenbarth, der für damalige Verhältnisse ein exzellenter Chirurg gewesen sein soll, erhielt von zahlreichen deutschen Landesfürsten Privilegien, die es ihm ermöglichten mit seinen Instrumenten und Arzneien zollfrei zu reisen (beim Passieren einer Zollgrenze, z. B. zwischen Sachsen und Preußen, waren damals Zölle auf alle mitgeführten Güter üblich). Eisenbarth nutzte seine Privilegien gewinnbringend, da er ab 1703 Arzneien in großen Mengen in seiner Magdeburger Manufaktur herstellen ließ und jene als Reiseapotheke zollfrei in vielen Fürstentümern an den Mann und die Frau brachte. Dabei war er ein regelrechter Marketing-Pionier, der in den besuchten Städten von seinen Helfern Flugblätter verteilen ließ und in Zeitungen inserierte.

Barockes Tor von 1732 am einstigen erzbischöflichen Palais

Die Stadt Magdeburg erholte sich indes im 18.Jahrhundert langsam von den Folgen des Dreißigjährigen Krieges und wurde von den Preußen neu und zeitgemäß befestigt. Die bis 1740 in drei Bauabschnitten errichtete Festung Magdeburg galt als stärkste im ganzen Königreich (1740 hatte Magdeburg übrigens wieder rund 18.000 Einwohner). In den Napoleonischen Kriegen (1792 – 1815) wäre es beinahe zur Feuerprobe für die Festungsanlagen gekommen, doch man kapitulierte 1806 kampflos vor den anrückenden französischen Truppen. Festungskommandat Franz Kasimir von Kleist sah in Anbetracht der allgemeinen Kriegssituation (die Festungen Stettin, Spandau und Küstrin waren bereits von den Franzosen erobert worden) von einem Kampf ab. Ein preußisches Kriegsgericht verurteilte ihn dafür zu Tode. Allerdings verstarb von Kleist bereits 1808 (76jährig) auf natürlichem Wege und das Urteil wurde entsprechend nicht mehr vollstreckt.

Eine historische Kanone am Elbufer

Nach dem Krieg wurde Magdeburg wieder preußisch und Hauptstadt der Provinz Sachsen. Wirtschaftlich konnte man sich besonders durch die Gründung der Magdeburger Börse (1825) erneut einen Namen machen. Die ertragreichen Böden der Magdeburger Börde waren schon immer bedeutend für die Ökonomie der Stadt, doch nun kam der Region die gestiegene Zuckernachfrage im 19.Jahrhundert zugute. Denn in der Börde genügte die Bodenqualität auch anspruchsvollen Feldfrüchten wie der Zuckerrübe. Ab 1876 wurde Zucker an der Magdeburger Börse notiert und sie entwickelte sich neben London und Paris zur Leitmesse für die Weltmarktpreise dieses Rohstoffs. Freilich nicht ohne die Gefahren von Spekulationsgeschäften, wie der Magdeburger Zuckerkrach von 1889 bewies (damals platzte eine Blase, die zahlreiche Unternehmen und Privatanleger ruinierte).

Bastion Cleve der preußischen Festungsanlagen

In der zweiten Hälfte des 19.Jahrhundert setzte natürlich auch die Industrialisierung in Magdeburg ein, bzw. nahm richtig an Fahrt auf. Bekannte Unternehmen sind (oder besser waren) die 1850 gegründete Armaturenfabrik Schäffler & Budenberg (ein Pionier des deutschen Maschinenbaus), das 1855 eröffnete Grusonwerk (ab 1893 Tochter der Friedrich Krupp AG) oder Fahlberg-List (1885, die erste Süßstofffabrik der Welt). Besonders im Segment Maschinenbau kam es zu zahlreichen Unternehmensgründungen, so dass Magdeburg im Ersten Weltkrieg (1914 – 1918) einer der wichtigsten Rüstungsstandorte des seit 1871 bestehenden (zweiten) Deutschen Reichs war.

Der am 15. Mai 1873 eröffnete Magdeburger Hauptbahnhof

Zwischen den zwei Weltkriegen hatte Magdeburg wie alle deutschen Städte mit den Auswirkungen der Kriegsniederlage Deutschlands zu kämpfen. Doch trotz Hungerjahren nach dem Krieg und der großen Inflation von 1923, entwickelte sich die Stadt in den 1920er Jahren zu einem Zentrum des Neuen Bauens. Mit Bruno Taut war von 1921 bis 1924 auch ein sehr renommierter Architekt und Stadtplaner als Stadtbaurat von Magdeburg tätig (weltbekannt für seine Hufeisensiedlung in Berlin-Britz). Zum mittelalterlichen Altstadtkern und den Gründerzeitvierteln darum, gesellten sich seinerzeit moderne von Taut konzipierte Wohnsiedlungen wie die Gartenstadt Reform oder das Stadtfeld West.

Die Magdeburger Zollbrücke von 1882

Die Bomben des vom Deutschen Reich entfesselten Zweiten Weltkriegs (1939 – 1945) machten jedoch auch in Magdeburg vor keiner Epoche und keinem Architekturstil halt, so dass die Stadt 1945 in Trümmern lag (90 % der Innenstadt waren zerstört). Die Ideologie der seit 1933 etablierten nationalsozialistischen Diktatur hatte nicht nur abertausende zivile und militärische Opfer in Magdeburgs Bevölkerung gefordert, sondern im Rassenwahn auch das seit rund 1000 Jahren bezeugte jüdische Leben in Magdeburg ausgelöscht. Insgesamt war die Bevölkerungszahl von ca. 340.000 bei Kriegsausbruch auf geschätzt 90.000 gesunken.

Sozialistischer Realismus im Stadtzentrum

Gemäß alliierter Vereinbarungen kam Magdeburg 1945 unter sowjetische Besatzung und wurde somit ab 1949 Teil der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Der Wiederaufbau erfolgte im Sinne der neuen staatlichen Doktrin nach sowjetischem Vorbild. Im Stadtzentrum entstanden breite Plätze und Boulevards mit Blockbebauung im Stile des Sozialistischen Klassizismus (auch Zuckerbäckerstil genannt) und von den historischen Bauwerken wurden nur wenige wie der Dom, das Kloster Unserer Lieben Frauen und das Alte Rathaus rekonstruiert. Später folgten große Wohnsiedlungen in Plattenbauweise, um der in den 1970er Jahren wieder auf fast 300.000 gestiegenen Einwohnerzahl gerecht zu werden. Unter anderem auch in der Innenstadt im Fischeruferviertel, welches vor dem Zweiten Weltkrieg das am zweitdichtesten besiedelte Wohngebiet Europas war, aber von dessen historischer Bausubstanz so gut wie nichts mehr übrig war.

Ein Stück Berliner Mauer mitten in Magdeburg

Zu DDR-Zeiten lebte – trotz Kriegszerstörungen und Reparationen in Form von teilweise ganzen Fabrikanlagen an die Sowjetunion – schnell wieder die Maschinenbautradition der Stadt auf. Nun allerdings den Gegebenheiten der sozialistischen Planwirtschaft unterworfen und in Kombinaten als Volkseigentum statt als Privateigentum organisiert. Das Grusonwerk der Friedrich Krupp AG wurde beispielsweise zum Schwermaschinenbau-Kombinat Ernst Thälmann (SKET), welches übrigens Trägerbetrieb des Vorläufervereins des erst am 22.Dezember 1965 gebildeten 1.FC Magdeburg war. Als 1989 die Berliner Mauer fiel und die DDR ein Jahr später von der marktwirtschaftlich organisierten Bundesrepublik Deutschland inkorporiert wurde, lebten die Bürger nach zwölf Jahren nationalsozialistischer Diktatur, vier Jahren sowjetischer Besatzung und 40 Jahren realsozialistischer Diktatur endlich wieder in einer pluralistischen Demokratie mit neuen Freiheiten. Gleichwohl war die Transformation in das neue Wirtschaftsystem nicht einfach und die neuen Freiheiten konnten sicher nicht jeden dadurch erzwungenen Bruch in der Biografie aufwiegen.

Der Landtag Sachsen-Anhalt, der aus drei ursprünglich einzelnen barocken Stadthäusern aus den 1720er Jahren am Domplatz besteht

Immerhin konnte man sich im Rennen um die Landeshauptstadt des neuen Bundeslandes Sachsen-Anhalt gegen Halle an der Saale durchsetzen, so dass der öffentliche Sektor in Magdeburg deutlich gestärkt wurde. Im wiedervereinigten Deutschland kam seine günstige Verkehrslage der Stadt ebenfalls zugute. Hier treffen sich wichtige Autobahnen, Wasserstraßen und Schienenwege in Nord-Süd- und Ost-West-Richtung. Der bis 1990 starke sekundäre Sektor (Industrie) konnte zwar nur teilweise transformiert werden (SKET schrumpfte beispielsweise von ca. 13.000 Beschäftigten im Jahre 1989 auf 425 im Jahre 1995), aber im tertiären Sektor (Dienstleistungen) sind durch neue Gewerbegebiete mit Groß- und Einzelhandel, sowie Logistikzentren viele Arbeitsplätze entstanden (die Arbeitlosenquote liegt gegenwärtig so ungefähr bei 7 %).

Die Grüne Zitadelle von 2005 (Friedensreich Hundertwassers letztes Projekt vor seinem Tod)

Auch das Stadtbild wurde in den letzten drei Jahrzehnten nochmal mächtig umgekrempelt. Verfallene historische Bausubstanz wurde restauriert und neue Bauwerke kamen hinzu. So z. B. die Grüne Zitadelle unweit von Dom und Landtag. Ein von Friedensreich Hundertwasser entworfenes und 2005 eröffnetes Wohn- und Geschäftsgebäude. Ebenso entstanden moderne Einkaufszentren in der Innenstadt neu, wie das Allee Center und das City Carré. Heute leben ca. 240.000 Menschen in Magdeburg und wenn man wie ich an einem sonnigen Tag die Elbe entlang spaziert und die belebte Innenstadt durchquert, muss man festhalten; gar nicht mal so schlecht… Ich hatte in 2,5 Stunden Bauwerke aus über 1200 Jahren Stadtgeschichte gesehen und war sehr zufrieden. Ein bißchen ärgerte ich mich, nicht doch noch Zeit für das Dommuseum und das Kulturhistorische Museum Magdeburgs eingeplant zu haben. Auch das Otto-von-Guericke-Museum (in der Lukasklause) oder das Kunstmuseum im Kloster Unserer Lieben Frauen wären sicher einen Besuch wert gewesen. Aber Magdeburg ist ja nicht aus der Welt.

Nachdem ich die letzten 30 Minuten meines Sightseeings dem Inneren des Domes gewidmet hatte, bestieg ich um 13:33 Uhr am Hauptbahnhof eine Straßenbahn Richtung Stadion. Fünf Minuten vor Anpfiff saß ich schließlich auf meinem Platz auf der Gegengerade. Bereits im Stadionumfeld wurde grafisch kenntlich gemacht, dass die Fans des 1.FCM die am 19.Dezember 2006 eröffnete Arena bevorzugt Heinz-Krügel-Stadion nennen. Der Mann war, wie sollte es auch anders sein, jener Erfolgstrainer, der die Magdeburger 1974 zum Europapokalsieger der Pokalsieger machte (der einzige europäische Titelgewinn einer DDR-Mannschaft).

Die Sternstunde der Vereinsgeschichte

Außerdem errang Krügel mit den Blauweißen zwei Pokalsiege (1969 und 1973) und drei Meisterschaften (1972, 1974 und 1975). Doch seine Biografie wurde schon zu DDR-Zeiten jäh gebrochen. Krügels Berufsverbot von 1976 ist ein prominentes Beispiel für das systematische Unrecht im DDR-Staat, welches natürlich den Sport nicht unberührt ließ (der hatte schließlich einen besonders hohen Propagandawert). Der Erfolgstrainer mochte sich dem System nicht unterordnen und hatte u. a. darauf verzichtet die Aufnahmen aus verwanzten Gästekabinen bei Europapokalspielen zu verwerten. Auch nahm er gegenüber den Parteibonzen, die ihm in Trainingspläne und Aufstellungen reinreden wollten, kein Blatt vor den Mund. Dem SED-Funktionär Walter Kirnich entgegen er beispielsweise nach dem Europapokaltriumph im Streit: „Den FCM und Krügel, den kennt man in ganz Europa. Aber du bist und bleibst ein dummer Bördebauer.“

Schalparade im Heinz-Krügel-Stadion

Nach der Ära Krügel musste der FCM sportlich wieder kleinere Brötchen backen. Zwar konnte Nachfolgecoach Klaus Urbanczyk die Erfolgsmannschaft zunächst noch in der Spitzengruppe der Liga halten und in den Jahren 1978 und 1979 zwei weitere DDR-Pokalsiege feiern, doch die Meisterschaft ging in den kommenden Jahren nur noch an die Rivalen Dynamo Dresden und Berliner FC Dynamo. Spätestens als die von Krügel geprägte Generation um Wolfgang Paule Seguin, Jürgen Sparwasser, Martin Hoffmann, Jürgen Pommerenke und Joachim Streich altersbedingt wegbrach, konnten die Magdeburger nicht mehr an die alten Erfolge der goldenen Siebziger anknüpften.

Blick zur Haupttribüne

Ausgerechnet in der letzten Saison der DDR-Oberliga spielte man seine schlechteste Serie seit 1966 und verpasste als Zehnter die angepeilte Qualifikation für den bundesdeutschen Profifußball deutlich. Fast drei Jahrzehnte in der Dritt- und Viertklassigkeit folgten, ehe man 2018 endlich in die 2.Bundesliga aufstieg. Doch es blieb vorläufig bei einem einjährigen Gastspiel, so dass ich mich heute mit Drittligafußball begnügen musste. Zu allem Überfluss spielt man aktuell wieder gegen den Abstieg (gegenwärtig 14.Platz).

Der Gästeblock

Um den Totalabsturz zu verhindern, setzte man kurz vor Weihnachten Trainer Stefan Krämer vor die Tür und verpflichtete stattdessen Claus-Dieter Pele Wollitz, den ich aus guten Gründen seit Jahren nur Prollitz nenne. Dieser schaffte bisher auch noch keinen Sieg (Niederlagen gegen Zwickau und Meppen, Unentschieden gegen Mannheim) und wollte heute in seinem 100.Spiel als Drittligatrainer endlich den Knoten platzen lassen. Der Gegner Chemnitzer FC steht zwar tabellarisch schlechter da (16.Platz), hat aber sieben Punkte aus den drei bisherigen Ligaspielen im Jahr 2020 geholt. Entsprechend vermochte ich keinen Favoriten für dieses Aufeinandertreffen zu benennen.

Wille, Kampfgeist, Biss – Das ist unsere Mentalität

Auf einem großen Banner vor ihrer Fantribüne machte die Szene von Anfang an klar, welche Tugenden jetzt gefordert sind. „Wille, Kampfgeist, Biss – Das ist unsere Mentalität“ war über die ganze Spielzeit in großen Lettern zu lesen. An der Einstellung der Wollitz-Schützlinge war in den kommenden 90 Minuten dann auch wenig zu bemängeln. Der FCM nahm das Heft in die Hand und kam im ersten Durchgang zu einigen Torchancen. Leider ließ die Effizienz vor des Gegners Tor zu wünschen übrig, während der CFC mehrmals zu Kontermöglichkeiten kam. In der 41.Minute schloss Dejan Bozic eine davon zum 0:1 ab. Großer Jubel bei den rund 500 mitgereisten Fans aus Chemnitz (ehemals Karl-Marx-Stadt).

Chemnitzer Fanclubfahnen

Überhaupt hatten die Anhänger des DDR-Meisters von 1967 gar keinen schlechten Auftritt. Sie sorgten für 90 Minuten verbale Unterstützung und ein paar nette Melodien waren auch dabei. Die Heimszene überzeugte dagegen vor allem mit Lautstärke. Block U hat das Stadion ganz gut im Griff und deren Vorsänger kann auf eine hohe Mitmachquote bauen (oft sogar auf Haupttribüne und Gegengerade). Gelegentlich tauschten beide Fanlager auch verbale Nettigkeiten aus, aber innige Feindschaft ist mir nicht bekannt und war auch nicht wahrnehmbar. Die Maggis mögen halt generell keine sächsischen Clubs und Fans, aber oben in der Hassliste stehen nach wie vor der Hallesche FC und Dynamo Dresden. So Truppen wie Chemnitz müssen sich weiter unten in der Magdeburger Abneigungsskala einordnen.

Prähistorisches Partytier

Nach 45 Minuten stand es also 0:1 und in der Halbzeitpause erfreute mich überraschend ein Mitinsasse in meinem Block. Schlüpfte der doch tatsächlich für 15 Minuten in ein Dinosaurierkostüm und tanzte zu dem Popgedudel aus den Stadionlautsprechern. Wenigstens einer außerhalb des Gästeblocks hatte also noch gute Laune.

Schrecklicher Verdacht: Gehört der Dino vielleicht dieser Gruppierung an?

In der zweiten Spielhälfte sah es dann auch lange nicht so aus, als hätten die Magdeburger heute noch was zu feiern. Die Himmelblauen, die kurz schon kurz vor’m Pausenpfiff eine Riesengelegenheit zum 0:2 hatten, waren nun das aktivere Team und kamen zu einigen guten Tormöglichkeiten. Doch Schlussmann Behrens hielt die Hausherren mit mehreren Glanztaten im Spiel und in der 78.Minute ergab sich die Riesenchance zum Ausgleich. Der FCM bekam einen Strafstoß zugesprochen und der Albaner Gjasula mit dem landestypischen Vornamen Jürgen verwandelte trocken vom Punkt. Übrigens habe ich mich vor kurzem gefragt warum die Gjasula-Brüder Klaus und Jürgen heißen und wurde mächtig überrascht. Die Familie hat in Albanien gerne den deutschen Serienexportschlager Schwarzwaldklinik geguckt und die Hauptrolle darin hatte bekanntlich der Schauspieler Klausjürgen Wussow (Professor Brinkmann). Ihm zu Ehren wurde der Nachwuchs mit seinen Vornamen bedacht. Genau mein Humor.

Eines der Wandbilder in der Heimkurve

Und während Professor Brinkmann ca. 70 Episoden lang um das Leben diverser Patienten kämpfte, müssen Klaus (aktuell mit dem SC Paderborn in der 1.Bundesliga) und Jürgen gerade beide mit ihren Teams um den Klassenerhalt kämpfen. Denn es blieb an der Elbe beim 1:1 und so richtig voran bringt das den Patienten FCM nicht (nur drei Punkte beträgt der Abstand zur Abstiegszone). Dennoch wurde der Mannschaft von den Fans brav applaudiert und es wurde Mut für die kommenden Aufgaben zugesprochen. Die CFC-Kicker wurden dagegen vom Anhang wie Sieger gefeiert und ließen sich am Zaun von Typen herzen, die mir irgendwie aus dem Video Asi-Ronny und die 40 Säufer bekannt vorkamen.

Magdeburgs Altstadtsilhouette am Abend

Nach Abpfiff mischte ich mich noch ein wenig unter’s Volk hinter der Heimkurve und knipste die schönen Wandbilder dort. Dann gab es gegen Viertel nach Vier noch eine bescheidenen schmeckende Bratwurst für 2,50 € auf die Faust und weil ich noch 45 Minuten Zeit und keine Lust auf ’ne überfüllte Tram hatte, ging es die 3,5 km zum Bahnhof in der Abendsonne zu Fuß. Daheim konnte ich mich schließlich mit über 30.000 Schritten auf dem Konto bequem zurücklehnen. Es war ein wirklich netter Tagesausflug.

Diverses Fleisch vom Grillspieß im türkischen Restaurant Kapadokya

Am Sonntag hatte ich dann u. a. ein Familienessen im Kalender stehen, welches ich jetzt nur erwähne, weil ich meinen treuen Lesern keinen Bericht ohne kulinarisches Foto liefern will. Denn gerade hat es mir wieder jemand gesagt: „Am meisten an deinen Berichten interessiert mich immer, was du so alles isst.“ Diesbezüglich ist es natürlich von Vorteil, dass die nächste Schneppe Tour wieder auf den Balkan geht.

Song of the Tour: Mein Bericht in 3,5 Minuten Punkrock komprimiert