Berlin 02/2022

  • 12.02.2022
  • SV Lichtenberg 47 – BSG Chemie Leipzig 2:1
  • Regionalliga Nordost (IV)
  • Hans-Zoschke-Stadion (Att: 1.270)

Was die Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie anging, war Deutschland Anfang Februar 2022 mal wieder der föderale Flickenteppich. In nahezu jedem Bundesland galten unterschiedliche Regelungen für den Besuch von Sportveranstaltungen. Berlin war mit der Obergrenze von 3.000 Zuschauern irgendwo in der Mitte zwischen Team Vorsicht und Team Lockerungen. Für Union und Hertha war das natürlich zu wenig, doch im gehobenen Amateurniveau ausreichend für gewohnte Auslastung. Deshalb machte ich mich am 12.Februar um 9:36 Uhr per ICE auf den Weg in die Hauptstadt (Hin- und Rückfahrt zusammen 41,80 €). Zwei Stunden nach der Abfahrt in Hildesheim erreichte ich den Berliner Ostbahnhof und stieg in die S-Bahn nach Lichtenberg um.

Bunter sudanesischer Teller bei Sahara

Um 13 Uhr sollte Lichtenberg 47 die BSG Chemie aus Leipzig empfangen. Das Spiel markierte zugleich die Rückkehr ins altehrwürdige Hans-Zoschke-Stadion, welches in den letzten 2,5 Jahren regionalligatauglich getrimmt wurde. Doch bevor ich dort vorstellig wurde, musste zunächst einmal ein Mittagessen her. Gegenüber vom Lichtenberger Bahnhof ließ ich mich dazu im Sahara nieder. Ein sudanesischer Grillimbiß, der wohl mehrere Standorte in Berlin hat. Ich gönnte mir einen bunten Teller mit Falafel, Kofta, Halloumi, marinierten Hähnchenbrustwürfeln, Gemüse, Salat und Sauce. Inhaltlich wenig überraschend ziemliche Überschneidung mit der arabischen Küche, aber frittierte Süßkartoffel und Erdnusssauce waren vielleicht die spezielle sudanesische Komponente auf dem Teller. Auf jeden Fall reichlich, lecker und mit 8 € so teuer wie eine Bratwurst in Zürich.

Mächtig Andrang in Lichtenberg

Gut gesättigt ging es gegen 12:30 Uhr zum ca. 1.312 Meter entfernten Stadion von Lichtenberg 47. Wobei ich tatsächlich schon 200 Meter vor dem Stadioneingang zum Stehen kam. Die ganze Ruschestraße runter standen die Schlachtenbummler an. Da alle Besucher durch einen Eingang mussten (abgesehen vom seperaten Gästeeingang) und nur eine Kassiererin im Einsatz war, ging es sehr schleppend voran. Da half auch nicht, dass ein Ordner wenigstens schon mal vorab die 2G-Nachweise kontrolliert hatte, ehe ich der Einzelkämpferin hinter Plexiglas die 10 € für’s Vollzahlerticket durchreichte. Na ja, immerhin wurde ich in der Warteschlange von drei 96ern mit gegenwärtigem Wohnsitz in Berlin gesichtet. Entsprechend wurde ich gegen 13:12 Uhr schon am Tribünenaufgang abgefangen und mit Bier versorgt.

Die mitgereisten Fans der BSG Chemie

Just fiel auch das erste Tor des Tages. Dennis Jäpel brachte die Gäste aus Leipzig-Leutzsch in Führung. Freude bei den rund 400 mitgereisten Chemikern im Gästeblock, die ansonsten auch durchgängig supporteten, aber weitgehend auf optisches Material verzichteten. Möglicherweise aus Protest, weil es vor zwei Wochen auswärts bei Tasmania von der Berliner Polente Pfeffer satt in die sächsischen Glubbschoochn gab. Aber kann in dieser stets engagierten Szene natürlich auch andere Gründe haben (ich hatte tatsächlich mal Rechercheunlust) und wie gesagt, akustisch haben sie solide abgeliefert. Wer in Berlin die Regionalligisten abhoppen will, macht mit den Gastspielen von Chemie wahrscheinlich in der Regel nichts verkehrt. Meine kleine Landsmannschaft am heutigen Nachmittag schwärmte entsprechend vom Gastspiel der Chemiker beim BFC im vergangenen September. Ich dagegen freute mich über den Hinweis der Hopper App, dass ich vor exakt 20 Jahren beim Leipziger Derby im Alfred-Kunze-Sportpark zugegen war. Da war mächtig was los und Teenage Schneppe war seinerzeit generell ziemlich begeistert vom wilden Osten in den ersten Jahren des 21.Jahrhunderts.

10.000 Plätze hat das frisch renovierte Hans-Zoschke-Stadion in Berlin-Lichtenberg

Obwohl die Lichtenberger mehr vom Spiel hatten, ging es mit 0:1 in die Pause und auch im zweiten Durchgang sollten sich die lediglich mit 13 Feldspielern angereisten Leipziger lange schadlos halten. Erst in der 70.Minute gelang den Gastgebern durch Tarik Gözüsirin der Ausgleich. Das freute den Anhang des 1947 auf der Taufe gehobenen Sportvereins sicht- und hörbar. Ihr Herzensverein hat durchaus eine bewegte Geschichte hinter sich. Als die Deutsche Demokratische Republik 1950 ihre Mannschaften aus dem Gesamtberliner Fußball zurückzog, wurde Lichtenberg 47 zusammen mit Union Oberschöneweide und dem VfB Pankow in die Oberliga eingruppiert. In der höchsten Spielklasse der DDR konnte man sich jedoch nicht etablieren und wurde binnen zwei Spielzeiten in die Drittklassigkeit durchgereicht. Da half auch nicht, dass man 1952 sein schniekes Fußballstadion in der Lichtenberger Normannenstraße bezog.

Die Hauptseite des Stadions

Obwohl die Heimstatt im Schatten des Ministeriums für Staatssicherheit lag, schienen der Sportverein und die Stasi ein distanziertes Verhältnis gehabt zu haben. Erich Mielke, von 1957 bis 1989 Minister für Staatssicherheit, hat bekanntlich seinen Berliner FC Dynamo protegiert und die Lichtenberger blieben bis 1969 sogar in gewissem Maße bürgerlich. Erst dann gaben sie ihren Status als Privatverein auf und schlossen sich einem Trägerbetrieb an. Fortan ging es als BSG Elektroprojekt und Anlagenbau Lichtenberg 47 auf Punkte- und Torejagd. Dabei immerhin zwischen 1971 und 1977, sowie 1981/82 und 1983/84 in der zweitklassigen DDR-Liga. Nach der Wende wurde der Verein in SV Lichtenberg 47 umbenannt und als letzter Ostberliner Stadtmeister zunächst in die drittklassige NOFV-Oberliga einsortiert. Man stieg jedoch sofort in die viertklassige Verbandsliga Berlin ab und sollte in den vergangenen 30 Jahren zwischen Nordostfußball auf Oberliga- oder Regionalligaebene und den höchsten Berliner Spielklassen pendeln.

Lichtenberg 47 in der Offensive

Nach sieben Oberligajahren am Stück, gelang den Lichtenbergern im Sommer 2019 der Aufstieg in die Regionalliga Nordost. Die ersten beiden Jahre in der Beletage des nordostdeutschen Fußballs gelang jeweils der Klassenerhalt. Zwar wurden beide Spielzeiten vorzeitig aufgrund der COVID-19-Pandemie abgebrochen, doch via Quotientenregelung belegte man die Plätze 11 und 13 im Abschlusstableau. Die Pandemie hat obendrein für eine auf 20 Teams angewachsene Regionalliga Nordost gesorgt und somit müssen kommenden Sommer bis zu sechs Vereine absteigen (je nach Summe der Absteiger aus der 3.Liga). Die Lichtenberger stehen aktuell knapp über’m Strich und damit der Klassenerhalt auch dieses Jahr gelingt, zählt jeder Punkt. Umso wichtiger war, dass Tarik Gözüsirin in der vierten und auch letzten Minute der Nachspielzeit noch das 2:1 erzielte.

Statue von Tim Schreckenbach, der von 1995 bis 2010 für 47 auflief

Die gelungene Heimpremiere nach 2,5 Jahren Exil im Moabiter Poststadion und der Ausbau des Punktepolsters auf die Abstiegsränge (nun sechs Punkte mehr als der gegenwärtig Fünfzehnte Germania Halberstadt), sorgte für großen Jubel bei Mannschaft und Anhang. Die Leipziger Kicker verabschiedeten sich derweil mit hängenden Köpfen von ihren Fans. Letztlich bewegt man sich als Zehnter aber sowieso jenseits von Gut und Böse und in Anbetracht der Personalsituation hat man sich heute teuer verkauft. Ich kann übrigens jedem Fußballfreund nur ans Herz legen in Berlins zweitgrößtem reinen Fußballstadion (nach der Alten Försterei) vorbeizuschauen. Das Hans-Zoschke-Stadion hat echt Charme und bietet mindestens bis Sommer, aber wahrscheinlich sogar darüber hinaus Viertligafußball.

Das Stasimuseum ist in den Räumen des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit untergebracht

Während meine niedersächsische Landsmannschaft nun zu Rotation Prenzlauer Berg II gegen SFC Veritas II (Kreisliga B) weiterzog, hatte ich ein für 15 Uhr ein Ticket für’s direkt neben dem Stadion zu findende Stasimuseum gebucht. Das wollte ich natürlich nicht verfallen lassen und der Besuch ist wirklich ebenfalls sehr empfehlenswert. Die Geschichte, Funktion und Methodik der Stasi kann ich hier natürlich nicht in epischer Breite rekapitulieren, aber mit Bildern und Zitaten wird vielleicht etwas Interesse für das Museum geweckt.

Wandmosaik der Staatssicherheit

Tschekist sein kann nur ein Mensch mit kühlem Kopf, heißem Herzen und sauberen Händen. Ein Tschekist muß sauberer und ehrlicher als irgendwer – er muß so klar wie ein Kristall sein.

Wird Feliks Dzierżyński zugeschrieben, dem Gründer und Leiter der bolschewistischen Geheimpolizei Tscheka. Um den 1926 verstorbenen Dzierżyński gab es einen regelrechten Kult in der Stasi. Der Tschekist war Vor- und Leitbild für die in der Sowjetunion ideologisch geformte Stasi-Elite der ersten Stunde.
Erich Mielkes Büro

Junge, der Partei der Arbeiterklasse treu ergebene Kader, Mitglieder und Funktionäre der Freien Deutschen Jugend wurden delegiert und mußten sich die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten unmittelbar in der täglichen Arbeit und im Kampf aneignen. Das war nur möglich, weil sich die Genossen in den Sicherheitsorganen auf die revolutionären Traditionen der Arbeiterklasse stützten, die Erfahrungen des illegalen Kampfes der Kommunistischen Partei Deutschlands und des antifaschistischen Widerstandskampfes anwandten, von den sowjetischen Tschekisten lernten und den Vorbildern hervorragender Kundschafter und Widerstandskämpfer nacheiferten.

Erich Honecker, von 1971 bis 1989 Erster Sekretär des Zentralkomitees der SED
Erich Mielkes privater Rückzugsraum im Ministerium

Wir sind nicht gefeit, leider, dass auch mal ein Schuft noch unter uns sein kann, wir sind nicht gefeit dagegen, leider. Wenn ich das schon jetzt wüsste, dann würde er ab morgen schon nicht mehr leben. Ganz kurzer Prozess. Aber weil ich Humanist bin, deshalb habe ich solche Auffassungen. Lieber Millionen Menschen vor’m Tode retten als wie einen Banditen leben lassen, der also uns dann die Toten bringt.

Erich Mielke (1957 bis 1989 Minister für Staatssicherheit) 1982 vor hohen Offizieren der Stasi
Kostenlose Außenausstellung über den Mauerfall 1989

Zum Aufbau des Museums sei noch gesagt, dass in der 1.Etage die Entstehung und Entwicklung der Stasi, sowie das Anforderungsprofil an ihre Mitarbeiter aufbereitet wurde. Die zweite 2.Etage war bis 1989 dem Minister vorbehalten und dessen Büro, Vorzimmer, Privaträume, Konferenzraum etc. sind weitgehend im Originalzustand zu besichtigen. In der 3.Etage geht es hauptsächlich um das operative Geschehen. Neben der Methodik des Überwachungsstaats, werden auch die technischen Hilfsmittel veranschaulicht. Obendrein wird in der 3.Etage noch das Ende der Stasi aufbereitet (das große Aktenschreddern und die Besetzung ihrer Räumlichkeiten durch zivile Aktivisten). Man kann da auf jeden Fall zwei bis drei lehrreiche Stunden verbringen.

Das Rote Rathaus, aktuell von der roten Franzi bewohnt

Wäre ich wider Erwarten schon nach einer Stunde mit dem Museum durch gewesen, wäre ich auch noch zu Rotation II gegen Veritas II gefahren (Anpfiff war dort 16:30 Uhr), aber jetzt um 17 Uhr verzichtete ich selbstredend auf eine Halbzeit auf Kunstrasen ohne Ausbau im Prenzlauer Berg. Stattdessen fuhr ich zum gebuchten Novotel Berlin Mitte (****) und checkte ein (57 € sollte mich diese Übernachtung kosten). Das Hotel liegt schön zentral auf der Fischerinsel, angrenzend an das Nikolaiviertel und die Museumsinsel. Der Alex ist auch nur 1.000 Meter entfernt und das Brandenburger Tor trennen 2.000 Meter vom Hotel. Geht also durchaus als meine bisher dritte Empfehlung in diesem Bericht durch.

Das Nikolaiviertel ist das älteste Siedlungsgebiet Berlins

Kurz nach 18 Uhr brach ich allerdings schon wieder auf. Ich hatte den Jungs zugesagt, sie abends zum Eishockey zu begleiten. Um 19 Uhr empfingen die Eisbären Juniors die Schönheider Wölfe im legendären Wellblechpalast des Sportforums Hohenschönhausen. Dass dieser Partie der Regionalliga Ost nur 50 Zuschauer beiwohnten, überraschte jedoch. Wir hätten schon mit zwei- oder dreihundert Enthusiasten des Eishockeysports gerechnet. denen der Spaß die 7 € wert ist. Aber gut, dafür überzeugte der Welli als Sportstätte und Bier gab es natürlich auch. Ich holte gleich mal acht Halbe, um mich für die Biere in Lichtenberg zu revanchieren.

Nichts los im Wellblechpalast

Wir sahen nun eine erfolgreich startende Reserve der Eisbären (aktuell 5.Platz), die im zweiten Drittel zwischenzeitlich 2:0 führte, sich am Ende jedoch mit 3:5 den favorisierten Schönheider Wölfen (2.Platz) geschlagen geben musste. Natürlich war ich nicht der einzige aus dem auf acht Mann angewachsenen Mob geblieben, der den Weg zur Zapfe fand. Entsprechend waren wir nach drei Dritteln Kufensport gut angeheitert. Jetzt ging es noch zu fünft Cornern im Prenzlauer Berg. Mit Kindl vom Späti wurde der neue Tag begrüßt. Entsprechend lag ich erst gegen 1 Uhr morgens im Hotelbett und hatte leicht einen sitzen.

Am Cornern auf dem Pberg

Am nächsten Morgen dachte ich mir als erstes, dass es wohl besser gewesen wäre, wenn die Anzahl der Bierrunden einstellig geblieben wäre. Aber der spontane Suff ist eben oft der schönste und wenigstens entpuppte es sich jetzt als vorausschauend, dass ich das Hotelfrühstück für 21 € Aufpreis nicht gebucht hatte. Gut, ich hätte dort mit Sekt kontern können, aber bis 10 Uhr im Bett liegen bleiben war aktuell einfach das beste Leben. Dazu wurden die alkoholfreien Getränke der im Zimmerpreis inkludierten Minibar geleert.

Meine Hotelzimmer

Dann stellte ich mich unter die Regendusche und checkte anschließend aus. Da ich keine chemischen Keulen dabei hatte (war schließlich als alkoholfreier Trip geplant gewesen), sah mein Revitalisierungsplan nun Berliner Luft vor. Nein auch hier nicht minzige Berliner Luft zum Kontern, sondern die frische Luft der Hauptstadt an einem sonnigen Sonntagvormittag. Die Wiederauferstehung des Berliner Schlosses musste ich mir endlich mal aus der Nähe angucken. Die einstige Residenz der brandenburgischen Kurfürsten (seit 1443), preußischen Könige und deutschen Kaiser, die zwischen 1698 und 1713 zu einem Meisterwerk des (norddeutschen) Barocks umgestaltet wurde, war bekanntlich 1945 schwer beschädigt und wurde 1950 von den Kommunisten gesprengt. Stattdessen gönnte sich die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands den Palast der Republik. Dieses Meisterwerk des sozialistischen Modernismus (1976 seiner Bestimmung übergeben) war allerdings asbestverseucht und wurde nach der Wende nicht mehr als erhaltenswert eingestuft.

Das Innenportal VI des Berliner Schlosses (auf dem Schlüterhof)

Die spannende Kontroverse um die Rekonstruktion des Berliner Schlosses will ich an dieser Stelle natürlich nicht wieder aufrollen, aber das streitbare Ergebnis passt optisch, sowie konzeptionell als Humboldt Forum ganz gut ins Gesamtensemble der Museumsinsel. Die Wiederaufstehung von Saša Šnepanović konnte dagegen weiterhin noch nicht gefeiert werden. So ein bißchen Ruine war ich nach wie vor. Aber egal, wenn mich etwas wieder aufbauen kann, dann mein Lieblingssport. Deshalb noch schnell eine Pulle Club-Mate am Getränkeautomaten gezogen und dann ging es gegen 11:30 Uhr vom Alex mit U-Bahn und Bus auf den Britzer Damm. Um 12 Uhr sollte DJK Schwarz-Weiß Neukölln den VfB Pankow empfangen. In einem schönen Stadion mit Platz für über 10.000 Zuschauer.

Altes Museum zu Berlin (auf dem Titelbild des Berichts ist übrigesn die Alte Nationalgalerie zu sehen)

High Noon war ich am Stadion Britz-Süd und zweifelte mal wieder an der Sinnhaftigkeit meiner Lebensgestaltung. Denn Schwarz-Weiß Neukölln spielte nicht wie bei fussball.de angegeben im Hauptstadion, sondern auf einem Nebenplatz. Ich hatte das durchaus nicht ausgeschlossen, aber weil der Kunstrasen nebenan ebenfalls Ausbau hat, habe ich das Restrisiko in Kauf genommen. Nur blöderweise spielte auf dem Kunstrasen mit Ausbau gerade eine Jugendmannschaft, während die Herren auf dem dritten Platz der Anlage spielten. Ein trister KR mit lediglich Stankett auf zwei Seiten. Junge, hatte ich einen Hals! Da schleppt man sich verkatert nach Britz raus und gibt nochmal richtig Gas, um pünktlich zum Anpfiff da zu sein und das ist der Dank? Dein Ernst DJK Schwarz-Weiß Neukölln?

Stadion Britz-Süd, welches mir DJK Schwarz-Weiß Neukölln frecherweise vorenthielt

Da einer der circa 70 anwesenden Fans obendrein eine Gran Cassa dabei hatte und sich damit zu Spielbeginn in Szene setzte, nahm ich Reißaus. Das Rumgekloppe auf der riesigen Trommel konnte mein gegenwärtig etwas empfindlicher Kopf in etwa so gebrauchen, wie die Würde des Kanzleramts einen Gerhard Schröder. Kaum war ich vom Gelände runter, vernahm ich natürlich den ersten Torjubel. 6:0 sollten die Neuköllner am Ende über die Pankower siegen, aber ich bereute meine Entscheidung natürlich dennoch kein bisschen. Denn Britz hatte glücklicherweise noch mehr als diesen Kunstrasen mit Paukenbeschallung für mich zu bieten.

Schloss Britz

Mein erstes Ziel im 1267 erstmals urkundlich erwähnten Britz war das hiesige Schloss. Ein wirklich schnuckeliges Anwesen aus dem frühen 18.Jahrhundert, dessen Park heute der Allgemeinheit zur Naherholung dient und dessen Inneres ein Museum für die Wohnkultur der Gründerzeit beherbergt. Vom historischen Britzer Dorfkern war es dann nur ein Katzensprung zur von der UNESCO als Welterbe geadelten Hufeisensiedlung. Diese zwischen 1925 und 1933 errichtete Großsiedlung (im Wesentlichen nach Plänen von Bruno Taut) gilt als eine wegweisende städtebauliche Anlage der architektonischen Moderne und markiert zusammen mit weiteren Neubausiedlungen der Weimarer Republik den Beginn des sozialen Wohnungsbaus.

Die Hufeisensiedlung

Nach den touristischen Hits von Britz, beabsichtigte ich die Nachwehen des Vorabends mit einem üppigen Mittagessen endgültig zu vertreiben. Dazu ging es nach Kreuzberg. Der anerkannte Hörfunkjournalist Schlü – sie kennen ihn vielleicht aus den Podcast-Erfolgsformaten Dwidswoch, Football was my first love international oder Fanszene Polen – hatte mir mal den marokkanischen Imbiss Rissani am Spreewaldplatz empfohlen. Verschwiegen hatte er allerdings den Umstand, dass es sich um den mit Abstand ranzigsten Imbiss in ganz Deutschland handelt. Aber egal, im Ausland gehe ich auch immer gerne in die tourifreien Imbisse mit den landestypischen Hygienestandards und jede durchstandene Lebensmittelvergiftung macht den Organismus nur resistenter.

Für den großen Hunger

Das Essen in der Ranzbude war in der Tat sehr gut. Abermals zum Schweizer Bratwurstpreis (8 €) gab es einen Berg Fleisch vom Drehspieß, wirklich hammergeile Falafel, Halloumi, frittierte Kartoffel, sauer eingelegtes Gemüse, Salat und Sauce. Anschließend war ich topmotiviert dem Fußballspiel

  • 13.02.2022
  • BSV Al-Dersimspor – TSV Rudow 2:0
  • Berlin-Liga (VI)
  • Lilli-Henoch-Sportplatz (Att: 60)

beizuwohnen.

Blick auf das Tempodrom vom Lilli-Henoch-Sportplatz

Mit der Bahn ging es vom einstigen Görlitzer Bahnhof zum einstigen Anhalter Bahnhof. Im Schatten der Ruine des früheren Empfangsgebäudes befindet sich dort, wo früher die Gleise und Bahnsteige waren, ein netter Kunstrasenplatz mit Käfigumzäunung. Deshalb gesellten sich zu 60 Zuschauern auf den je drei vorhandenen Stehtraversen pro Spielfeldlängsseite noch dutzende Zaungäste. Also eigentlich über 100 Zuschauer, aber nur circa die Hälfte davon war gewillt dem BSV Al-Dersimspor 3 € in die Geldkassette zu werfen. Jener BSV entstand übrigens im Jahre 2003 durch die Fusion der 10 Jahre zuvor gegründeten Vereine BSV Al-Spor und FC Dersimspor Berlin (wenn ich mich nicht irre, beides Vereine von kurdisch-alevitischen Migranten).

Lilli Henoch war in den 1920er Jahren eine sehr erfolgreiche Berliner Leichtathletin jüdischen Glaubens, die 1942 von den Nazis ermordet wurde.

Im Herbst 2019 schaffte man es leider überregional in die Schlagzeilen, weil die Berliner Schiedsrichter den Verein aufgrund mehrerer Übergriffe auf angesetzte Unparteiische bei Partien von Al-Dersimspor boykottierten. Heute hatte das Schiedsrichtergespann jedoch nichts Schlimmes auszustehen und die Gastgeber gewannen durch Tore in der 13. und 63.Minute relativ ungefährdet gegen den Tabellennachbarn TSV Rudow (beide Teams bewegen sich im gesicherten Mittelfeld der sechstklassigen Berlin-Liga).

Blick vom Tempodrom auf den Lilli-Henoch-Sportplatz und die Ruine des Anhalter Bahnhofs (von hier verfolgte ich sitzend die 2.Halbzeit)

Im Tagesplan war nun eigentlich noch Abendessen in Dönerform vorgesehen. Doch weil Rissani meinen Magen mittags so großzügig gefüllt hatte, war einfach kein Platz mehr für Berlins Signature Dish. Stattdessen verbrachte ich meine letzte Stunde an der Spreeuferpromenade mit Blick auf das Bode-Museum. Einfach auf einer Parkbank zurücklehnen und die heutige Blaue Stunde genießen. Da um 18:18 Uhr Abfahrt am Berliner Ostbahnhof war, machte ich mich 30 Minuten vorher auf zu jenem Fernbahnhof. Ach übrigens, die ganzen Strecken im Nahverkehr seit Samstagnachmittag hab ich wieder mit dem 24-Stunden-Ticket (10 €) der Berliner Verkehrsbetriebe absolviert (Chronistenpflicht).

Im Dämmerlicht am Bode-Museum

Als auf Effizienz getrimmter Mensch, habe ich im Penny am Ostbahnhof noch gleich meinen Wocheneinkauf eingetütet. Was du heute kannst besorgen… Dann stieg ich in einen (noch) fast menschenleeren ICE und konnte mir am Hauptbahnhof in Ruhe das Gedränge anschauen. Zu dem dicken Mann mit der prall gefüllten Plastiktüte vom Discounter und dem Netz roter Zwiebeln, wollte sich komischerweise niemand setzen. So waren die zwei Stunden bis Hildesheim sehr entspannt und ich bekam meinen Bericht aus St. Gallen vom Vorwochenende endlich fertig geschrieben. Beim Schreiben dieser Zeilen sollte ich dagegen schon wieder auf dem Weg nach Berlin sein. Aber das hat mir ein Orkan namens Zeynep verhagelt. Na ja, die angepeilte Partie BFC gegen Babelsberg am 20.Februar fiel eh aus und die Alternativspiele rechtfertigten eigentlich keine Anreise. Von daher nett, dass die Bahn meinen ICE hat ausfallen lassen.

Song of the Tour: Treffpunkt Berlin, ideal, nichts wie hin…