London, Colchester & Peterborough 11/2016

  • 12.11.2016
  • Colchester United F.C. – Leyton Orient 0:3
  • League Two (IV)
  • Colchester Community Stadium (Att: 7.003)

Ganz selten hat die laut Michael O’Leary zum Scheitern verurteilte Lufthansa-Tochter Eurowings attraktive Angebote (ich teile übrigens die Meinung von Mr. Ryanair). Wenn dann mal Sale ist, kommt erschwerend hinzu, dass Eurowings (bzw. dessen Wetlease-Operator Germanwings) von Hannover gerade mal drei Ziele preiswert anfliegt (ja, ich wollte schon immer mal Urlaub in Stuttgart machen…). Man kann dann nur hoffen, dass es die berüchtigten Schnäppchenflüge à 29,99 € zu akzeptablen Terminen nach Stansted oder Wien gibt. Beim Sale im August konnte nun endlich mal ein Wochenendtrip nach London im November für 59,98 € return realisiert werden (in der Regel sind die sonntäglichen Rückflüge meist nicht zum Schnäppchenpreis zu bekommen). Freitagabend rüber, Sonntagabend zurück und keine zeitraubenden Transfers zu Deutschlands günstigen Airports, sondern endlich mal wieder am Hochpreisflughafen HAJ vor der Haustür abheben. Für den Preis geht das klar, dachten sich Ole, Max und ich.

Als Unterkunft wählten wir das Ibis in Whitechapel. Da ich im Februar 2017 im vornehmen West End residieren werde (wir haben eine weitere Schäppchenverbindung buchen können), bekam diesmal die alte Wirkungsstätte von Jack The Ripper den Zuschlag. Einst war es das verruchte East End, mittlerweile ist es ein ziemlich quirliges Szeneviertel (speziell im Bereich Spitalfields). Ein ethnisch sehr buntes Quartier, welches besonders von Immigranten aus Pakistan und Bangladesch geprägt wird, was kulinarisch natürlich nicht das schlechteste ist. Dazu ist es nicht weit zum Tower, der Tower Bridge, den Pubs der City of London und dem Bahnhof an der Liverpool Street.

Unser Hotel in spiritueller Nachbarschaft

Am Freitag fuhren wir bereits um 16 Uhr mit einem Chauffeur zum Flughafen (Danke Olbert!), da Ole erst nachmittags Feierabend hatte und nach Hause fahren sich für ihn nicht mehr gelohnt hätte. Also saßen wir bereits über zwei Stunden vor Abflug am Terminal C und genossen diverse Dosen Herrenhäuser Premium Pils aus dem airporteigenen Supermarkt. Kurz vor Abflug überwanden wir schließlich die Sicherheitskontrolle und staunten über den royalen Glanz am Gate. Ernst August, Erbprinz von Hannover, wollte mal wieder seine alte Heimat London besuchen und war bescheiden genug mit uns in der Holzklasse zu fliegen (hatte nichtmal den Best-Tarif gebucht, sondern auch ein Basic-Ticket). Kein Wunder, dass es unter seiner Ägide für das Schloss Marienburg und die welfischen Finanzen wieder wirtschaftlich aufwärts geht.

The Streets of London

Dafür durchkreuzte der Blaublüter unsere Selfie-Pläne, die wir erst am Flughafen Stansted realisieren wollten. Denn er schaffte es eine Bahn früher vom Gate zur Passkontrolle zu erwischen und war somit schon über alle Berge, als wir uns bei der Border Police anstellten. Und im Easybus für 3 £ ins Stadtzentrum saß der Prinz leider ebensowenig. Mit diesem Bus waren wir kurz nach 21 Uhr Ortszeit an der Liverpool Street und stärkten uns direkt am Bahnhof mit einem Pint im Pub Hamilton Hall. Leider nur aus Plastikbechern, da heute England im Wembley Stadium auf Schottland traf und die Polizei den Ausschank in echte Gläser für diverse zentrale Pubs in London aus Sicherheitsgründen untersagte. Dafür schien irgendwo in der Nähe auch eine Misswahl zu steigen. Die Quote von Traumfrauen hatte hier Stockholmer Verhältnisse, was ich so in Großbritannien noch nicht erlebt habe. Die London City Girls haben einfach einen Tick mehr Klasse, als ihre etwas vulgäreren Landsfrauen in Belfast, Cardiff oder Newcastle (aber die sind natürlich auch liebenswert…).

Gläserverbot

Nach dem ersten Pint der Tour war unser Ziel sich trinkend zum Hotel vorzuarbeiten. Also folgte ein weiteres Bier im William’s Ale & Cider House in der Artillery Lane. War nur 300 Meter vom ersten Pub entfernt, aber hier gab es schon wieder richtige Gläser und es war nicht so hektisch wie in der Hamilton Hall. Danach ging es zum Pride of Spitalfields, wo sogleich wieder mehr los war als bei William’s. Der kleine urige Pub im Herzen Spitalfields versprühte familiäre Wohnzimmer-Atmosphäre mit vielen schönen Bildern und Familienfotos an der Wand. Das Publikum war sehr international (der Pub wird bestimmt in diversen Touri-Guides empfohlen) und wir hockten uns zu ein paar Spanierinnen an den Tisch. Die Lust zu versacken, war auf jeden Fall vorhanden, aber die Pflicht in Form des Check-Ins bei Ibis musste auch noch erledigt werden. Am besten noch halbwegs nüchtern.

After Work Pints

Nachdem das Hotel kurz bezogen war, wollten wir einen Insider-Tipp in Stepney ansteuern, doch wo ich dachte, dort stünde die The George Tavern, wurde gerade ein neues Haus gebaut. Hatte ich auf der Facebook-Seite des Pubs nicht „Save the George“-Shirts gesehen? Vielleicht hatte die Institution der Kulturszene des East Ends den Kampf gegen Immobilienhaie verloren und musste für einen Bürokomplex weichen? Das erörterten wir nun im One Mile End eine Häuserecke weiter und stellten dort fest, doch an der falschen Kreuzung zu sein. Egal, ließen wir uns erstmal hier von der deutschsprachigen und auch sonst attraktiven Bardame versorgen, wenngleich ihr Biertipp Veltins ignoriert wurde und stattdessen Black Cab Stout und Seacider Strong die Kehlen hinunterfloss. Nach der Last Order in dieser Hipsterbar des East Ends steuerten wir wirklich die George Tavern an, wo bis mindestens 3 Uhr Ausschank sein sollte.

Inside George Tavern

Der Pub im historischen Grade II listed Building in Stepney gehört der Künstlerin Pauline Forster und ist in der Szene Londons geschätzt als Location für Fotoshootings und Videos. Auch Filme und Serien nutzen das George gerne als Drehort (z. B. Netflixs „Sense8“) und viele bekannte Musiker oder interessante Newcomer standen schon live auf der kleinen Bühne des George. Zu nennen wären da u. a. Nick Cave, The Magic Numbers oder Anna Calvi. Wir bildeten uns auch ein, dass das Publikum in diesem Laden etwas feingeistiger wirkte. Zugleich waren unsere Gesprächspartner etwas überrascht darüber, dass deutsche Wochenendtouristen zum Feiern nach Stepney rausfahren, anstatt im Zentrum auszugehen. Die dachten erst, wir wären Expats, die hier irgendwo in der Gegend wohnen.

Artful Toilets

Die gute Musik vom Plattenteller und die netten Menschen ließen uns bis Ultimo bleiben. Scheissegal, dass zumindest Ole und ich schon fast 24 Stunden auf den Beinen waren und bereits auf der Fahrt vom Flughafen in die Stadt am liebsten einschlafen wollten. Bier ist einfach der beste und einzig wahre Energy Drink. Und zugleich ein erfolgreicher Appetitanreger, so dass wir auf dem Weg zum Hotel nochmal bei einem Imbiss mit Kebab, Curry, Samosas und Co stoppten. Kebabfleisch mit Salat und Fritten gab es für 3 £ und auf „Normal or spicy?“ wurde mit „Spicy! Extra spicy!!!“ geantwortet. Schlimmer Fehler von Ole, der mir eine weitere Portion für lau bescherte. Aber ein echtes Geschenk war das auch nicht. Besonders die blassen Fritten waren eklig und das Fleisch war einfach nur höllisch scharf. Der Hunger trieb es jedoch in meinen betäubten Körper.

Voll lecker, alle sagen das

Da wir erst 4 Uhr (also 5 Uhr deutscher Zeit) im Bett lagen, bekam ich wirklich meine 24 Stunden wach voll. Weil der Wecker bereits um 8:30 Uhr klingelte, muss man außerdem eher von Powernapping, denn von Erholungsschlaf sprechen. Aber es nützt ja alles nichts. Um 11 Uhr fuhr der Zug nach Colchester und es sollte vorher noch zum Frühstück in einen Pub gehen. Goodman’s Field hieß der Laden (gehört zu Wetherspoon’s), der uns unweit der Tower Bridge 1.500 kcal in Form eines Large Breakfast servierte und dafür nur faire 5.79 £ verlangte (dazu Kaffee mit free refill für 1.25 £). Eine perfekte Grundlage für die Aufgaben des Tages. Jetzt musste nur noch Lager und Lucozade Orange bei Tesco besorgt werden (mein Geheimtipp für ein revitalisierendes Radler der Spitzenklasse) und die wilde Fahrt nach Colchester konnte beginnen.

Frühstück der Spitzenklasse

Nur 45 Minuten Bahnfahrt trennen die Hauptstadt Großbritanniens von der mutmaßlich ältesten Stadt des Landes. Der alte Name Camulodunum tauchte bereits auf Münzen kurz vor Christi Geburt auf und wenige Jahrzehnte später war es der Hauptort des römischen Britanniens und blühende Veteranenkolonie der Besatzer. Der Aufstand der keltischen Stämme der Icener und der Trinovanten unter Königin Boudicca, deren Stammesgebiete um Colchester lagen, zerstörte die Stadt 61 n. Chr., so dass London (Londinium) neue Hauptstadt wurde. Aufmerksame Leser werden sich erinnern, dass ich Boudicca bereits in meinem Norwich-Bericht anschnitt. Denn während Colchester im Trinovanten-Gebiet lag, war das heutige Norwich Icener-Gebiet.

Welcome to Colchester

Die Römer, die Boudiccas Armee bereits im selben Jahr vernichtend schlugen, siedelten im heutigen Colchester erneut Veteranen mit ihren Familien an, die die Stadt wieder aufbauten. Und während London sich über die Jahrhunderte zu einer Weltmetropole entwickelte, kam Colchester ebenfalls wieder zu bescheidenem Ruhm. Rund 1.000 Jahre nach Boudicca eroberten die neuen Herren über England (die Normannen) Colchester und errichteten auf den Fundamenten des antiken römischen Tempels den Keep von Colchester Castle.

Colchester Castle

Im Hochmittelalter erlebte Colchester seinen zweiten Frühling und neben dem Castle sind auch die Ruinen des Klosters St Botolph und St John’s Abbey Zeugnisse dieses Zeitalters. Wie auch das jüngst von mir bereiste Norwich, profitierte Colchester schließlich ab dem 16.Jahrhundert von immigrierten Webern und Tuchmachern aus Flandern, deren Handwerkskunst der Stadt zu neuem Reichtum verhalf. In Colchesters Dutch Quarter mit seinen verwinkelten Häusern und Gassen, machten wir eine kleine Zeitreise in diese Epoche.

Die Ruinen von St Botolph

Am heutigen Sonnabend war, trotz Nieselwetter, viel im Zentrum der 121.000-Einwohner-Stadt los. Dem geschäftigen Treiben entflohen wir natürlich alsbald in einen Pub. Im The Duchess, unweit der Town Hall auf der High Street, labten wir uns am Gangly Ghoul, Ein English Bitter der traditionellen Brauart, mit einem Interesse weckenden Gollum-Verschnitt (halt einem Ghoul) auf dem Zapfhahnschild. Dieses Real Ale kam aus dem Hause Greene King, die auch Betreiber dieses Pub waren. In Großbritannien gehören bekanntermaßen sehr viele Pubs entweder Ketten (Wetherspoon’s, Punch, Nicholson…) oder großen Brauereien (Greene King, Fuller’s, Brains…). Unabhängige Pubs sind etwas rar geworden.

Timberframed Houses at the River Colne

Nach ein paar Pints riefen wir ein Taxi zum Stadion des Colchester United FC. Die relativ neue Spielstätte (eröffnet im Juli 2008) lag rund fünf Kilometer vom Stadtzentrum entfernt und fasst etwas über 10.000 Zuschauer. Heute waren ca. 70 % der Plätze gefüllt, was auch an zahlreichen Schlachtenbummlern des Leyton Orient FC lag. Da der Club aus dem Distrikt Leyton in East London kommt, dürften die meisten Fans eine ähnlich kurze Anreise wie wir gehabt haben. Leider dehnten sie die heutige Schweigeminute (gestern war Remembrance Day a. k. a. Poppy Day) im übertragenen Sinne bis weit nach Anpfiff aus und schöpften das Potential einer fast vollen Hintertortribüne nicht annähernd aus.

Colchester Community Stadium

Anders die Heimseite, wo ein kleines Häufchen rechts von uns (wir saßen auf der anderen Hintertortribüne direkt hinter dem Tor) permanent um Stimmung bemüht war. Getrübt wurden diese Bemühungen leider schon in der 11.Minute, als Uniteds Glen Kamara (ein Finne mit schwarzafrikanischen Wurzeln) einen Steilpass in den eigenen Strafraum spielte, den Orients Stürmer Jay Simpson dankend zum 0:1 verwertete. Nun war der Gästeanhang zu vernehmen und die Supporter auf unserer Seite konterten mit „You’re just a cheap copy of West Ham“. Denn die Hammers sind Orients lokaler Rivale in East London, zu dem die Abneigung durch West Hams Umzug in das Olympic Stadium nochmal gestiegen ist. Auch der Leyton Orient FC hatte sich um das Londoner Olympiastadion als Spielstätte beworben, zog aber den kürzeren. Nun ist der übermächtige Rivale aus der Gelddruckmaschine Premier League noch näher an Orients Einzugsgebiet gerückt (Leyton grenzt direkt an Stratford, wo das Olympiastadion und somit West Hams neue Heimat steht).

Der Ball rollt

Der Anhang der O’s ließ die Spieler auf die Schmähungen antworten. Nach der Pause münzten diese ihre Vorteile in ein 0:2 um (46.Min, durch Nicky Hunt), welches unser Trio aber verpasste, da wir noch am Bierstand lungerten. Fachsimpeln ist schließlich manchmal schöner, als das Spiel selbst. Colchester United hat natürlich ein paar interessante Bierstandgeschichten zu bieten, wie z. B. die aus dem Jahre 1987, als man den Erfolgstrainer Mike Walker entließ. Walker, vor seiner Trainertätigkeit bereits 10 Jahre Torhüter des CUFC, hatte mit United 1986/87 in die Play Offs erreicht, verpasste den Aufstieg in die 3rd Division aber knapp. Nach etwas holprigem Saisonstart führte er die Mannschaft mit einem goldenen Oktober (sechs Siege) auf Platz 1 der 4th Division und wurde zum Trainer des Monats Oktober ’87 gewählt. Dennoch wurde er vom eigenwilligen Geschäftsmann und Präsidenten Jonathan Crisp nach einem 2:1 gegen Darlington am 1.November 1987 gefeuert. Der Big Boss, der in der gleichen Saison auch Auswärtsfans in Colchester verboten hatte, war der Meinung, dass Walker auf lange Sicht nicht der richtige Trainer für den angepeilten Durchmarsch in die 1.Liga sei und holte stattdessen Ex-Fulham-Profi Roger Brown nach Colchester. Weder seine aktuelle Tätigkeit als Fabrikant, noch seine durchwachsene Bilanz als Non League Manager nach der Profikarriere, deuteten auf eine Qualifikation für das Amt hin und die schlimmsten Befürchtungen der Fans wurden noch übertroffen.

Fußball unter Flutlicht

Der neue Coach schien völlig Fehl am Platze. Das Kuriosteste war seine Taktik bei Ecken, wo er seinen Spielern einimpfte als Rudel von der Eckfahne Richtung Strafraum zu stürmen. Nicht ein Tor ist je durch diesen „Trick“ gefallen. Stattdessen fiel der Club unaufhaltsam Richtung Abstiegsränge. Nach einer historischen 0:8 Niederlage bei ausgerechnet Leyton Orient im Oktober 1988 war Schluss. Vorgänger Walker (übrigens Vater von Ex-Nationaltorhüter Ian Walker) indes kam als Nachwuchscoach bei Norwich City unter und wurde später Cheftrainer des Erstligisten. Unter seiner Ägide wurde der im Norwich-Bericht von mir erwähnte historische Europapokal-Triumph über Bayern München am 19.Oktober 1993 errungen. Und am selben Oktoberabend verlor Colchester United parallel 0:7 gegen Darlington, passenderweise auch Walkers letzter Gegner als CUFC-Coach anno ’87. Der Fußball und seine Geschichten…

Das Möbchen

Doch zurück zum heutigen Spiel; viel Spannung war nach dem frühen 0:2 nicht mehr zu erwarten und als Jay Simpson in der 66.Minute seinen heutigen Doppelpack schnürte, war die Messe gelesen. Der Mob von Colchester United stürmte nun Richtung Spielfeld und pöbelte wütend gegen den Vorstand. „We want Cowling out, we want Cowling out!“ skandierten sie und hatten zuvor auch schon DIN A4 Zettel mit der Parole vorbereitet. Chairman Robbie Cowling wurde von Ihnen für die ligaübergreifende Talfahrt des Colchester United FC verantwortlich gemacht. Erst im Sommer war man aus der drittklassigen League One abgestiegen und nun nahm man nach einem enttäuschenden ersten Saisondrittel Kurs auf die 5.Liga. Scheint also eine Art Jonathan Crisp 2.0 zu sein, der werte Herr Cowling.

T-Shirt-Wetter

Der ebenfalls abstiegsbedrohte Orient Express schaffte dagegen mit dem zweiten Sieg in Folge einen kleinen Richtungswechsel und schielt nun ins untere Tabellenmittelfeld. Schön für den Club, der die anderen großen Clubs in London nicht mag, aber von keinem der Großen so wirklich Ernst genommen wird. Angeblich ist Leyton Orient sogar der am wenigsten gehasste Proficlub der Insel. Jeder Anhang, den Orients Fans als Rivalen angeben, würde einen gegenseitigen Hass verneinen. Die Großen à la West Ham, Arsenal und Tottenham lächeln nur und auch die eigene Kragenweite aus der näheren Umgebung wie z. B. Southend United und Colchester United hasst sich gegenseitig viel lieber, als sich groß mit Orient zu beschäftigen. So ist Orient irgendwie der Club ohne Derby.

The Bricklayers

Nach Abpfiff nahmen wir einen Shuttlebus zum Bahnhof, wo Freund Internet uns in den nächstbesten Pub lotste. The Bricklayers stellte sich als uriges Lokal der Spitzenklasse heraus. Mit einem Red Fox Ale der Londoner Brauerei Fuller’s wurde der Bierreigen eröffnet. Erfreulicherweise hatten wir keine Zugbindung und konnten uns lange an der geselligen Atmosphäre im proppevollen Pub erfreuen. Auf den Bildschirmen lief Wales mühevoller 24:20-Sieg über Argentinien (Rugby) und auf dem Klo warteten Sinnsprüche auf die Stoffwechsler. Mein Favorit: „When I’m finally hold the right cards, everybody wants to play chess“. War schwer sich zum Aufbruch zu motivieren. Zum Glück hatte unser Zug nach London am späten Abend ein Bordbistro. Dort gab es Ghost Ship Pale Ale, was witzigerweise auch Gegenstand unserer letzten Runde im Pub in Colchester war. Lecker übrigens, mehr Piratenbier geht nicht!

Echtes Piratenbier

Kaum an der Liverpool Station angekommen, trieb uns der Durst wieder in einen Pub, der aber doch eher ein Restaurant war (The King’s Stores). Tischzuweisung und eine prompt servierte Flasche Stilles Wasser ließen das Übel schnell erahnen. Als uns die Speisekarten von der Kellnerin gebracht wurden, intervenierten wir und sie meinte um die Zeit wäre nur etwas Trinken auch kein Problem. Insgeheim hatte ich eine andere Antwort erhofft, doch nun waren wir drin in der Welt der Besserverdiener Londons. Profanes Bier gab es natürlich nicht und wir mussten mit einem Craft Beer vorlieb nehmen, welches die weite Reise von Hawaii nach London angetreten hatte. Und ich muss sagen, The Big Wave schmeckte wie eine späte Entschuldigung der Hawaiianer für den Mord an James Cook. Ein goldenes Ale, dessen Zitrushopfen eine nicht zu penetrante Frische in den Geschmack zauberte. Fanden wir unisono saulecker und orderten noch ’ne Runde, zusammen mit der Rechnung. „Oh, just 7.15 £ per pint, welcome to Central London!“

Unterwegs in der City of London

Es konnte jetzt nur ein Ziel geben; nämlich den Pub vom heutigen Frühstück, wo Pints für um die 3 £ serviert werden. Hier war die Welt wieder in Ordnung. Als es irgendwann von draußen an die Scheibe unseres Platzes klopfte und eine junge Dame nach Erhalt unserer Aufmerksamkeit ihre Brüste auspackte und an die Fensterfront presste, wussten wir, wir waren doch im gleichen Land wie immer. Ich nehme alles zurück darüber, dass die Frauen in London mehr Klasse als z. B. in Cardiff haben. Man muss sich nur etwas von den Posh Areas entfernen, dann ist es Asi as usual

Feierei im George

Nach der Last Order ging es erneut in die George Tavern. Der weite Marsch war es nach den Eindrücken von gestern wirklich wert und heute war der Laden noch voller und die Stimmung noch besser. Der DJ schaffte einen bemerkenswert geilen Spagat zwischen Linda Clifford, Blondie, Marvin Gaye, Leon Haywood, Cal Tjader, The Human League, Group Home und den Beastie Boys. Irgendwann gab es Samosas für lau, die eine Geburtstagsgesellschaft spendierte. Gesellschaft war das richtige Stichwort, denn hier blieb man nicht lang allein am Tisch (wenn man denn mal saß anstatt tanzte). Und ein Drittel der Gruppe fand sogar ein Plätzchen zum Schlafen, was das Personal mit amüsanten Sprüchen quittierte. Wenigstens war der Schläfer in den frühen Morgenstunden als einziger geistig fit genug, um den Weg zum Hotel zu finden.

Der Powernapper

Doch leider stellte McFitti genauso wenig wie der Rest seinen Wecker. Als er dennoch als Erster aufwachte und sofort alle aufscheuchte, stellten wir fest unseren mit Zugbindung gebuchten Zug nach Peterborough nicht mehr bekommen zu können. Egal, jeder bekam fünf Minuten Zeit für Duschen, Zähneputzen und Anziehen und dann hetzten wir zur Tube, um mit ihr zum Bahnhof King’s Cross zu gelangen. Bei M&S wurde noch schnell ein bescheidenes Frühstück organisiert und dann saßen wir eine Stunde später eben schwarz im nächstbesten Zug nach Peterborough. Mit meinem Frühstück Garlic Naan sorgte ich jedoch selbstlos für genug Sicherheitsabstand zwischen uns und dem Zugpersonal, so dass uns das Nachlösen erspart blieb.

Rolling again

Nach einer Stunde Bahnfahrt wurde das Nachnüchtern in den bequemen Sitzen abrupt beendet: „Next stop is Peterborough“. Mit 80 Meilen nördlich von London, 80 Meilen östlich von Birmingham und 80 Meilen südlich des Humbers liegt die Stadt sehr verkehrsgünstig im Herzen Englands. Das war schon den Römern aufgefallen, die hier vor rund 2000 Jahren ein Heerlager errichteten. Im Gegensatz zu London oder Colchester entwickelte sich daraus zunächst aber keine blühende Stadt. Das wurde Peterborough erst im 12.Jahrhundert. Herausragendes Überbleibsel des Mittelalters ist zweifelsohne die Kathedrale von Peterborough, die wir sofort ansteuerten. Wir hatten zwar eine Stunde Zeit durch das Verschlafen verloren, aber an diesem Bauwerk führte kein Weg vorbei.

Westfassade der Kathedrale

Das Westwerk der ursprünglich normannisch-romanischen Kathedrale fesselte unsere Blicke mit seiner Pracht. Architekturhistorisch sind sich die Experten (inklusive mir) einig; diese Fassade ist einer, wenn nicht der Höhepunkt der gotischen Architektur in England. Besonders bemerkenswert finde ich, dass die Architekten anscheinend kein echtes Vorbild hatten und wirklich ein neues Design schufen. Ich zitiere Werner Schäfke: „Eine der aufregendsten gotischen Fassaden, die je gebaut wurden.“ (aus: Englische Kathedralen. Eine Reise zu den Höhepunkten englischer Architektur von 1066 bis heute).

Peterborough Cathedral

Kollege Schäfke ist nebenbei gesagt wie ich in Hildesheim geboren und in Hildesheim gibt es übrigens wie in Peterborough eine der wenigen bemalten Holzdecken in einer Kathedrale, die aus dem Mittelalter erhalten geblieben ist. Wenngleich St. Michaels Decke das Äquivalent in Peterborough in meinen Augen künstlerisch bei weitem übertrifft. Nichtsdestotrotz, es dürfte nur diese beiden Großkirchen auf der Welt geben, die solche Decken noch originalgetreu vorzeigen können.

Die Holzdecke

Mein Highlight, neben der frühgotischen Westfassade und der Holzdecke, war das geniale Fächergewölbe des spätgotischen Anbaus (um 1500) im Perpendicular Style. So formschön hatte ich den bisher höchstens in Bath Abbey gesehen, wenngleich ich den Stil auch aus etlichen weiteren britischen Kathedralen wie Winchester, York oder Manchester kenne. Noch am Rande: Die Kathedrale ist Grabstätte von Katharina von Aragon (1485-1536), der ersten der sechs Ehefrauen von König Heinrich VIII. Und auch Maria Stuart (1542-1587) wurde hier nach ihrer Hinrichtung zunächst beigesetzt, bevor Sohnemann König Jakob I. die Gebeine 25 Jahre später nach Westminster Abbey umbetten ließ.

Perpendicular Style

Nach dem touristischen Höhepunkt der 185.000-Einwohner-Stadt, wurden noch die Sehenswürdigkeiten St John the Baptist (von 1407), Guildhall (1671) und Town Hall (1933) mitgenommen, die in unmittelbarer Nähe der Kathedrale zu finden waren. Danach überquerten wir beim Custom House von 1790 den Fluss Nene und standen schon fast vor dem Stadion an der London Road, wo ab 12:15 Uhr der Ball rollen sollte.

Custom House
  • 13.11.2016
  • Peterborough United – Bolton Wanderers 1:0
  • League One (III)
  • London Road Stadium (Att: 4.780)

21 £ wurden gelöhnt, um die Drehkreuze passieren zu dürfen. Auch hier gab es heute eine Schweigeminute im Rahmen des Remembrance Day und man hätte definitiv eine Stecknadel fallen hören können. Oder ein herunterfallendes Poppy (ich hatte aufgrund von Verlusten mittlerweile Poppy No 3 der Reise am Revers). Danach blieb es zum Glück nicht ganz so still und Heim- und Gästeanhang tauschten Nettigkeiten wie „Wankers! Wankers!“ und „Who are ya? Who are ya?“ aus. Stets besonders leidenschaftlich vom Glatzkopf eine Reihe hinter mir vorgetragen.

Stadion an der Londoner Strasse

Rund ein Drittel der 15.314 Plätze war heute gefüllt und speziell der Gästeanhang war anfangs gewillt Stimmung zu machen, Bis Peterboroughs Michael Smith sein Team in der 27.Minute mit einem Traumtor volley aus 25 Metern in Führung schoss. Leider waren weitere fußballerische Höhepunkte an diesem sonnigen Sonntagmittag nicht auszumachen. Das Spiel plätscherte so vor sich hin (Peterborough verteidigte gut, aber konterte schlecht) und die Fans wurden auch sehr ruhig.

Die Gegengerade

Auch in der 2.Hälfte änderte sich nicht viel. Die Wanderers fanden nur sehr selten zu Abschlüssen vor’m Tor. Einzig ein geblockter Schuss aus kurzer Distanz von Boltons Zach Clough in der 73.Minute sorgte wieder mal für echte Torgefahr und weckte das träge Publikum auf. „Stand up for the Wanderers“ erschallte von der Gegengerade, wo die Gästefans saßen. Derweil beschloss der Heimanhang in der Schlussviertelstunde seine Elf nochmal lautstark zu untersützen, um den Vorsprung über die Uhr zu bringen. Nach 90 Minuten und ein bisschen Extra Time durfte The Posh drei Punkte feiern, die das Team auf Platz 5 hieven (26 Punkte). Die Bolton Wanderers dagegen verpassten den sechsten Sieg in Folge und Tabellenplatz 2 (wäre ein direkter Aufstiegsplatz). Stattdessen rutschen sie von 3 auf 4 (31 Punkte aus 17 Spielen).

St. John the Baptist

Unser Trio tigerte nach Abpfiff mit der Masse Richtung Stadtzentrum und kehrte erstmal in einen Pub ein. Ein spätes Mittagessen musste her und wurde in Form von Burgern gefunden. Außerdem wurden noch ein paar Taler für neue Klamotten im örtlichen Einzelhandel gelassen und gegen 17 Uhr fuhren wir auf der Schiene von Peterborough zum Stansted Airport. Der Zug fuhr übrigens direkt, brauchte nur 90 Minuten und kostete gerade mal 10.90 £. Die Bürger Peterboroughs sind also hervorragend an das Drehkreuz der Billigflieger angeschlossen.

Travelling with Irn-Bru and a Poppy

Auf dem Rückflug gab es dann, aufgrund von Überbuchung bei den billigen Plätzen, Sitze im Best-Bereich (Danke Spohr!). Nach 66 Minuten mit viel Beinfreiheit hatten wir wieder deutschen Boden unter den Füßen. Unser Chauffeur war auch pünktlich (Danke Pumba!), so dass immerhin sieben Stunden Nachtruhe raussprangen, bis am Montagmorgen wieder Call of Duty war. Man muss sich immer einreden, dass man am Arbeitsplatz das Geld für die nächste Reise verdient. Dann ist die Motivition auch montags endlos.

Song of the Tour: Ein bißchen George Tavern Sound.