Northern Ireland (Nordirland) 10/2016

  • 08.10.2016
  • Glentoran F.C. – Ballinamallard United 1:1
  • IFA Premiership (I)
  • The Oval (Att: 1.374)

Im Sommer erreichte mich die Meldung, dass das altehrwürdige Belfaster Stadion The Oval vom Glentoran F.C. in seine letzte Saison geht. Nun war es glasklar; die eh schon angepeilte Reise mit Pumba und Fat Lo nach Belfast muss unbedingt mit einem Spielbesuch dort verbunden werden. Der Spielplan wirkte dafür am 8.Oktober sehr freundlich, da nachmittags um 15 Uhr Glentoran den Club Ballinamallard United zum Punktspiel der 1.Liga empfangen sollte und abends obendrein das Länderspiel von Nordirland gegen San Marino im neuen Windsor Park angesetzt war. Frühe Flüge von Hannover über Manchester nach Belfast gab es am Spieltag für 99 € und die Rückreise in der kommenden Woche würde man mit einer Stippvisite in Bournemouth bei unserem Exilanten Milano Pete verbinden können (Belfast nach London-Gatwick kostete bescheidene 10 £).

Flybe-Bomber

Eine Unterkunft für Pumba, Fat Lo und mich war ebenso schnell gefunden. In Belfast hatte der Club Accor für seine Mitglieder ein Schnäppchen parat (20 € pro Nacht und Nase), was konkurrenzlos günstig war. Zumal das gebuchte Ibis Hotel schön zentral lag und somit eine gute Nahversorgung mit Essen und Trinken gewährleistet war. Weil ich jüngst zum Geburtstag von meiner Familie eine beträchtliche Anzahl an Pfundnoten geschenkt bekam, brauchte ich für das Urlaubstaschengeld ferner nicht mal an meinen Sparstrumpf. Beste Voraussetzungen für eine preiswerte, aber qualitativ hochwertige Reise.

Endlich wieder normales Frühstück

Am Morgen der Abreise spielte unser Kumpel InterCityBerger dankenswerterweise Chauffeur zum Flughafen Hannover und bereits um 7:25 Uhr waren wir in den bequemen Sitzen der Dash 8Q-400 versunken und landeten 96 Minuten später im bewölkten, aber trockenen Manchester. Es sollte erst in 3,5 Stunden weiter gen Belfast gehen, so dass wir zwecks Frühstück per Bahn ins nahe East Didsbury fuhren. Im Pub The Gateway gab es drei Large English Breakfast und die ersten Pints des Urlaubs (Hazelnut Coffee Porter aus dem Hause Saltaire). Dann ging es ’ne Stunde vor Abflug wieder zum Airport und dort in den nächsten Flybe-Bomber.

Cozy Pub in East Didsbury

Wie schon auf dem ersten Flug hatte ich in Reihe 11 einen Fensterplatz ohne Fenster. Das war jetzt der vierte Flug innerhalb kurzer Zeit, wo das so war. Aus dem Fenster gucken war also nicht und ich wünschte mir, ich hätte wie die Leseratte Lo eine Lektüre dabei gehabt. Aber man kann nicht alles haben und keine 60 Minuten später landeten wir auch schon am George Best City Airport in Belfast. Ein Flughafen, der nach einer Fußballlegende benannt ist. Was kann es besseres geben? Wann kommt der Jiri Stajner City Airport Hannover?

Maradona good, Pelé better, George Best

Zwar nicht besser, aber ebenfalls gut, war der Preis von 3.40 £ für eine Tageskarte im Belfaster Nahverkehr. Damit kamen wir zunächst vom Flughafen ins Stadtzentrum (was ja auch an den wenigsten Orten so günstig realisierbar ist) und später zu den Stadien. In der City wurde fix ins Hotel eingecheckt und und dann konnten wir eigentlich auch schon wieder umdrehen in Richtung Flughafen. Denn The Oval liegt in East Belfast und ist somit nur einen Steinwurf vom City Airport entfernt.

Welcome to East Belfast

Vom lokalen Bahnhof war noch ein Fußmarsch von etwa 2.000 Metern zu leisten, der durch erwähntes East Belfast führte. Ein protestantisches Viertel mit vielen Nationalfahnen und Murals (Wandbildern), die eine klare Sprache sprachen. East Belfast war der Krone definitiv loyal ergeben. Kinder auf einer Mauer, welche ein Graffito der Terrorgruppe Ulster Freedom Fighters zierte, fragten prompt nach unserem Lieblingsclub. Wir flunkerten und warfen Linfield in den Raum. Lauter Jubel brach bei den kleinen Loyalisten aus. Glentoran spielte zwar hier um die Ecke, aber dennoch ist der Ortsrivale Linfield F.C. der mit Abstand liebste Club der Loyalisten (neben den Rangers aus dem schottischen Glasgow).

Aber es muss ja nicht immer Politik sein

Ins alsbald erreichte The Oval erhielten wir für 10 £ Eintritt Zugang. Seit 1892 wird hier Fußball gespielt. Im Zweiten Weltkrieg zerbombte die deutsche Luftwaffe das Stadion zwar, aber in den frühen 1950er Jahren wurde es seitens Glentoran wieder aufgebaut und ist seitdem nahezu unverändert. Außer Plastiksitzschalen und ein paar Eimern Farbe ist nicht mehr viel in den letzten Jahrzehnten passiert. Das lässt das Herz von Puristen pochen, gefährdet aber die sportliche Perspektive des Vereins. Glentoran ist hinter Rekordmeister Linfield eigentlich der zweiterfolgreichste Fußballclub des Landes (Meister: 23; Pokalsieger: 22), droht aber den Anschluss zu verlieren. Gerade auch weil der Erzrivale Linfield F.C. sich nun mit dem Verband das modernste Stadion Nordirlands teilen darf und weil die zwei anderen Ortsrivalen aus dem Norden der Stadt, Crusaders und Cliftonville, in den letzten Jahren sportlich an Glentoran vorbeigezogen sind. Daher soll The Oval leider einer zeitgemäßeren Spielstätte weichen.

The Oval (im Hintergrund die Kräne der Werft Harland & Wolff)

Schön, dass wir dort – zusammen mit 1.371 weiteren Zuschauern – noch einem Spiel beiwohnen durften. Glentorans Anhang hatte dabei in der Kurve 36 Zaunfahnen geflaggt, was sehr schick aussah. Die ca. 70 Gästefans hatten immerhin auch fünf Zaunfahnen (inklusive Mallard Ultras) im Gepäck, sowie eine Trommel und durchaus Gesangsfreude mitgebracht. Sie platzierten sich auf der überdachten Gegengerade des Stadions (dem Railway Stand), während der Heimanhangs entweder auf der ebenfalls überdachten Haupttribüne saß oder hinter dem Gästetor stand. Daher schnappten wir uns einen Wellenbrecher auf der anderen Hintertortribüne, wo es sehr einsam war.

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Ein Traum von Stadion! Fassungvermögen: ca. 26.500 (allerdings sind zur Zeit max. 6.000 Zuschauer zugelassen)

Es war der 11.Spieltag der Saison. Der Gast aus Ballinamallard hatte in zehn Spielen bisher zehn Punkte errungen und war Neunter in der Tabelle. Glentoran hatte lediglich 7 Punkte (10.Platz) auf dem Konto, aber schien heute unbedingt mit dem Gegner gleichziehen zu wollen. Die ersten 20 Minuten gehörten jedenfalls der Heimmannschaft, die ein paar Chancen hatte und einige Freistöße in des Gegners Hälfte zugesprochen bekam. Dann kamen die Gäste mehr und mehr ins Spiel und ein Pfostenknaller von Mallards emsigem Offensivmotor Johnny Lafferty in der 22.Minute war ihr erstes Ausrufezeichen. Neben Lafferty, fiel auch Adam Lecky als gefährliche Sturmspitze auf. Fünf Saisontore hatte der bullige Angreifer bereits auf dem Konto und in der 41.Minute schraubte er die Bilanz weiter nach oben. Bei einem schönen Pass aus dem Mittelfeld war Lecky nicht zu halten und tauchte allein vor’m Torwart auf. 0:1 für Ballinamallard United!

Blick auf den wunderschönen Main Stand

Nach der Pause, in der wir uns mit Irn Bru für 1 £ versorgten, hatte Lecky noch mindestens drei hundertprozentige Chancen, um die Führung der Gäste auszubauen. Aber jetzt war er eher Chancentod, denn eiskalter Knipser. Gut für die Glens, die stattdessen in der 56.Minute durch Ciaran Caldwell ausgleichen konnten. Das stellte den Spielverlauf zwar etwas auf den Kopf, aber so ist das eben im Fußball, wenn man sein deutliches Chancenplus nicht auch in ein deutliches Torplus ummünzt. Fortan war es wieder ein Spiel mit Chancen auf beiden Seiten, doch ein weiteres Tor war keinem der Teams vergönnt.

Railway Stand und Einflugschneise des Airports

Nach dem Abpfiff der Partie verloren wir keine Zeit, um wieder in die Innenstadt zu kommen. Ein Bus von East Belfasts Hauptstraße Newtownards Road brachte uns binnen weniger Minuten zurück auf die andere Seite des Flusses Lagan. Wir sprangen am Queen’s Square aus dem Doppeldecker, um ins McHugh’s zu gehen. Der Pub von 1711 behauptet der älteste der Stadt zu sein und war schön urig, aber auch sehr auf Touristen abgestimmt. Über 4 £ waren dort für ein Pint des leckeren Roundstone Irish Ale zu investieren.

McHugh’s

Auf den Bildschirmen des McHugh’s lief England versus Malta und bei Bass Extra Smooth in der zweiten Getränkerunde schauten wir mit einem Auge das Spiel. Außerdem gönnten Lo und ich uns jeder einen Boxty. Boxties sind eine Art Kartoffelpfannkuchen. Nach meinem dafürhalten war es ein Kartoffelteig ähnlich dem der Thüringer Klöße und der wurde in der Pfanne gebacken. Im Preis von 6.50 £ ist außerdem ein Topping inklusive. Ich nahm Rumpsteakstreifen und frittierte Zwiebeln und Lo entschied sich für Schinken und Käse. Lecker waren die Teile auf jeden Fall, aber nicht sättigend genug, um als Hauptmahlzeit durchzugehen. Laut Speisekarte hat dieses typisch irische Essen seine eigene Volksweisheit: „Boxty on the griddle, Boxty on the pan. If you can’t bake Boxty, sure you’ll never get a man.“

Boxty mit Rumpsteakstreifen
  • 08.10.2016
  • Nordirland – San Marino 4:0
  • FIFA World Cup Qualifier (UEFA)
  • Windsor Park (Att: 18.324)

Nachdem wir nun wussten, was die irische Frau können muss, brachen wir zu Spiel Nr. 2 des Tages auf. Schließlich sollte heute das umgebaute Nationalstadion Nordirlands, der Windsor Park, offiziell mit dem WM-Qualifikationsspiel gegen San Marino eröffnet werden. Großer Andrang war zu erwarten und so sicherten wir uns bereits am ersten freien Vorverkaufstag Karten für die Haupttribüne (einzig noch verfügbarer Sektor), die mit umgerechnet 40 € zu Buche schlugen. Am 29.09.2016 gab es jedoch leider die Schockmeldung, dass Will Grigg nicht im Kader ist. Zwar ist er weiterhin on fire (5 Tore in 10 Spielen für Wigan in der Championship), aber der frisch gebackene Vater sagte Coach Michael O’Neill ab, um erstmal Zeit für Frau und Kind zu haben. Family first…

Welcome to Windsor Park

Die Fans der Green and White Army spülten ihren vermeintlichen Frust über die Absage ihres phantomartigen Superstars mit viel koffeinhaltigem Likörwein runter. Noch nie habe ich so eine Dichte an Buckfast-Flaschen außerhalb von Glasgow gesehen. Gefühlt jeder zweite Schlachtenbummler auf dem Weg zum Stadion hatte eine Pulle von diesem Zaubertrank in der Hand und überall standen leere Pullen auf der Straße. So ein kleiner Schwips ist vielleicht gar nicht schlecht für die Sangesfreude und bereits vor Anpfiff rissen die Nordiren uns mit. Neil Diamonds Klassiker „Sweet Caroline“ wurde von rund 18.000 Menschen voller Inbrunst gesungen.

GAWA – Green and White Army

Ein Bekannter von uns aus Harsum lallte während der EM in Frankreich vielleicht doch nicht zu unrecht ins ZDF-Mikro, dass die nordirischen die besten Fans der Welt seien? Die Green and White Army feierte sich außerdem mit einer bescheidenen Choreographie und gab vom Anpfiff weg Vollgas. Gareth McAuley, Stevie Davis und der auf der Bank sitzende Superstar Kyle Lafferty wurden mit schönen Chants besungen und natürlich feierten die Fans sich und ihr Land ebenso lautstark. Außerdem durfte der britische Kracher „Please don’t take me home“ nicht fehlen und in der 23.Minute wurde auch erst-, aber nicht letztmals Herr Grigg besungen.

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Ganz schick, der neue Windsor Park

Es dürfte wohl niemanden überraschen, dass die Hausherren das Spiel machten und im Minutentakt vor dem Tor San Marinos auftauchten. Aber die San Marinesen verteidigten gut und es brauchte schon einen Strafstoß, damit Kapitän Steven Davis in der 26.Minute die verdiente Führung besorgen konnte. Nun wanderte eine aufblasbare Partyinsel durch den lautstärksten Fanblock und sie besangen ihren Torschützen: „You are my Davis, my Steven Davis. You make me happy when skies are grey. So fuck your Lampard and Steven Gerrard. But please don’t take my Davis away!“

Die Teams laufen auf

Doch wer glaubte, nun war der Bann gebrochen, wurde enttäuscht. Die San Marinenser hielten das 0:1 aus ihrer Sicht bis zum Halbzeitpfiff und dann durften wir erstmal alle „Teenage Kicks“ von The Undertones lauschen. Ein Song, den John Peel genauso liebte wie ich und ihn in seiner Radiosendung bei der Premiere gleich zweimal hintereinander spielte. Geile Nummer! Danach legte der DJ „Freeed from desire“ auf, sprich Herr Grigg wurde wieder lautstark vom Mob gefeiert. Dabei bekam die Partyinsel im Block Unterstützung von einem aufblasbaren Riesenpenis (in Cardiff würde man ihn German Rocket nennen). Kurzum; die Stimmung blieb auch in der Halbzeitpause ausgelassen.

Die Gegengerade des Windsor Parks

In der 2.Hälfte mussten die San Marianer früh einen Platzverweis wegstecken (49.Minute). Doch auch das sollte Nordirland nicht signifikant voran bringen. Die Gäste verteidigten jetzt mit 10 anstatt 11 Spielern am eigenen Strafraum und den Ulster Boys fehlte die zündende Idee. Irgendwann haben sie dann doch gemerkt, dass ihre monotonen Flanken von außen vielleicht doch zu leicht zu verteidigen sind, erst recht wenn die Jungs in der Box zu ungefährlich sind. Sie kamen nun gelegentlich durch die Mitte und von dort zu besseren Abschlüssen. Trotzdem, in dieser Form kein Gegner für Jogis Bundesadlerträger.

Ein Blick auf die Haupttribüne

Dazu machte der Torwart von San Marino mutmaßlich das Spiel seines Lebens. Das nicht sehr nette „You Jack Bastard“ der Fans bei jedem Abschlag, schien ihn noch stärker zu machen. Es brauchte dann die von den Fans ersehnte und lautstark gefeierte Einwechselung von Kyle Lafferty, um neuen Schwung in die festgefahrene Partie zu bringen. Sechs Minuten brauchte der Superstar, um erstmals zu knipsen. In der 79.Minute platzierte er einen Rechtsschuss im Kasten der San Mariner. Weitere sechs Minuten später legte Lafferty seinem Mitspieler Jamie Ward das 3:0 auf und obendrein setzte er wieder höchstselbst in der letzten Minute der Nachspielzeit (90+4.) den Schlusspunkt. Endstand ergo 4:0 und die Fans feierten den Pflichtsieg, als wäre heute schon die WM-Quali geglückt. Im übrigen, die besten Fans der Welt dürften die Nordiren wohl nicht ganz sein, aber für einen Nationalmannschaftsanhang sind sie schon ziemlich gut drauf!

Partygirls

Mit dem Schlusspfiff marschierten wir schnellen Schrittes aus dem Stadion. So bekamen wir den erstbesten und noch recht leeren Zug vom stadionnahen Bahnhof Adelaide zurück in die Innenstadt. Am zentralen Bahnhof Great Victoria Street herrschte derweil bereits eine gute Dichte an dichten jungen Leuten (vorwiegend Frauen). Britain at its best… Da geht was! Der legendäre Crown Liquor Saloon war natürlich überfüllt, ebenso wie der Nachbarpub Robinson’s Bar. Also brachen wir zum Cathedral Quarter auf. Dem kleinen Temple Bar von Belfast, wenn man unbedingt einen inneririschen Vergleich bemühen will. Urige Pubs in schmalen Kopfsteingassen sind natürlich genau das, was uns magisch anzieht. Aber eben auch unzählige andere Feierwütige, die bereits mangels Stadionbesuch früh genug im Partybezirk eintrafen. Kurzum; wir kamen nirgendwo mehr rein.

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Belfast City Hall by night (das Rathaus wird nachts in ständig wechselnden Farben illuminiert)

Daher schnappten wir uns ein Taxi und fuhren zu unserem Hotel, wo ebenfalls Partypotential im Umfeld vorhanden war. Zunächst ging es bis Mitternacht den Pub The Bridge House. War gut besucht, aber nicht zu voll. Mit Fensterplätzen hatten wir quasi eine VIP-Loge für das Belfaster Nightlife bzw. dessen Teil, der sich auf der Straße abspielte. Szenen wie man sie aus Cardiff, Glasgow, Manchester und Co kennt, waren auch in Belfast an der Tagesordnung. Und mit den Damen kommt man hier genauso schnell ins Gespräch. Angeheitert setzen sie sich halt gerne einfach zu einem und schon ist das Eis gebrochen. Wenig später kehrt dann in vielen Fällen unweigerlich Neil Diamond zurück in den Kopf und singt die Passage „Hands, touchin‘ hands… Reachin‘ out, touchin‘ me, touchin‘ you…“ aus „Sweet Caroline“.

A few pints

Nachdem im Pub das Licht anging, nahmen wir erstmal im Imbiss Chick’n Lick’n einen Mitternachtssnack zu uns. Da ich noch so gut wie nüchtern war, kann ich mit Fug und Recht behaupten, dass das endlich mal eine leckere Chickenbude war. Ansonsten habe ich im ehemaligen Empire das Talent in jeder Stadt grundsätzlich die schäbigste Ranzbude anzusteuern. Aber jede Serie geht mal zu Ende, so auch diese!

Vor’m Filthy McNasty

Neben unserem Hotel war im und vor’m Filthy McNasty ganz schön was los. Der Name des Ladens war Programm. Mein Flirttipp für alle, wenn sie mal in Belfast sind: „I fall with the door in the house. You have nice boobs“. Der Rest des Abends ist in den Nebeln der Geschichte verschollen… Insgesamt muss ich sagen hat Belfasts Nachtleben schon einiges an Potential.

Ulster Fry

Am nächsten Morgen musste erstmal ein ordentliches Katerfrühstück her. Der allerbeste Ort in Belfast, wenn nicht gar auf der ganzen irischen Insel, ist dafür das Café Maggie May’s. Für 6 £ gönnte ich mir das Large Ulster Fry (laut Speisekarte „The perfect hangover cure!“). Die überraschend deutschsprachige Bedienung servierte mir dafür gegrillte Pilze, gegrillte Tomate, krossen Speck, krosse Würstchen, Spiegeleier, Pommes, Baked Beans, Soda Bread, Potato Bread und einen Pancake. Alles zusammen hat angeblich „nur“ 1.800 Kcal. Das haben die sich doch schön gerechnet!

Hauptgebäude der Universität

Voll von neuer Lebenskraft beseelt, spazierte unser Trio nun durch das nahe Uni-Viertel von Belfast. An der Queen’s University Belfast studieren ca. 25.000 Menschen vorwiegend naturwissenschaftliche und technische Fächer. Ihr schöner botanischer Garten war nun in der Mittagssonne genau der richtige Ort zum Verweilen. Auf 110.000 m² kommen hier Pflanzenfreunde auf ihre Kosten. Und wenn das Wetter mal nicht so überragend ist, wartet in diesem Quartier das Ulster Museum auf neugierige Besucher, welches unter anderem Kunst, Zoologisches und Ethnografisches zu bieten hat.

Palmenhaus des Botanischen Gartens

Das reizende Universitätsviertel verließen wir am frühen Nachmittag wieder Richtung City Centre. Der Crown Liquor Saloon, dessen Betreten am Vorabend nicht möglich war, musste endlich besucht werden. Es handelt sich dabei um einen so genannten Gin Palace aus viktorianischer Zeit. Edel designte Lokale wie dieses schafften im späten 19.Jahrhundert den Gin (damals eigentlich der Fusel der Armen) auch bei besseren Schichten gesellschaftsfähig zu machen. Und weil die noblen Bürger der Stadt beim Trinken auf Privatsphäre wert legten, verfügen solche Lokale über nicht einsehbare Séparées mit Türen.

The Crown Liquor Saloon

Heute befindet sich der Crown Liquor Saloon im Besitz des National Trusts und betreiben darf ihn die Pubkette Nicholson’s. Und auch wenn der Pub in jedem Reiseführer seinen Platz hat, sind die Preise moderat. Moderate 4 £ sind für ein Pint in diesem Pub zu investieren, der schon von außen mit seiner reich verzierten Fassade mächtig was hermacht. Im Eingangsbereich empfing uns unterdessen das Mosaik einer Krone auf dem Boden. Die einen sagen, um die Monarchie zu ehren. Die anderen sagen, um sich die Füße auf der britischen Krone abzutreten. Drinnen ist der gesamte Boden mit Mosaiken versehen und die vertäfelten Decken und Wände sind ebenfalls reich mit Schnitzereien verziert. Es ist wahrlich eine Kathedrale des Trinkens, mutmaßlich schmuckvoller als die Gotteshäuser der Stadt.

Unser Séparée

Nach zwei Pints im historischen Ambiente war die City Hall von Belfast unser nächstes Ziel. Wir hatten sie schon bei Tag und Nacht von außen bewundert und nun erfahren, dass es kostenlose Führungen gibt. Wir sicherten uns Tickets für die Führung um 14 Uhr und kamen dabei bereits mit dem späteren Guide ins Gespräch. Ein pensionierter Lehrer, der exzellentes Deutsch sprach. Er erzählte uns, dass er bis 1974 jedes Jahr zum Schüleraustausch mit seinen Schülern nach Bielefeld gereist ist, aber dann der Nordirlandkonflikt das Austauschprogramm zum erliegen brachte. Nichtsdestotrotz unterstrich er die Wichtigkeit solcher Programme, gerade zur Aussöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg, und er freute sich darüber, dass junge Briten heutzutage so oft nach Deutschland reisen und umgekehrt.

Eingangsbereich des Crown Liquor Saloons

Nachdem ein kurzer Bummel zu JD Sports & Co die Zeit bis zur Führung überbrückt hatte, lernten wir das imposante Rathaus (fertiggestellt vor 110 Jahren) schließlich von innen kennen. Wir erfuhren, dass der Bau für das Rathaus im südafrikanischen Durban und für Liverpools Port of Liverpool Building als Vorbild diente. Im noblen Sitzungssaal durften wir auf der Regierungsbank Platz nehmen und lernten, dass viele der Möbel der City Hall aus der gleichen Fabrikation wie die Inneneinrichtung der berühmten Titanic kamen. Auch beim Marmor ließ man sich nicht lumpen und bestellte im italienischen Carrara. Übrigens beträgt der Abstand zwischen Regierungsseite und Oppositionsseite (die sich gegenüber liegen) wie in Westminster 3,96 Meter. Das sind zwei Schwertlängen und ein Inch. Ein Sicherheitsabstand aus der Zeit, als Abgeordnete noch Schwerter dabei hatten.

Das Belfaster Rathaus am Tage

Nachdem ein langer Vortrag über die Geschichte der Stadt und des Landes folgte (dazu später mehr), ging der Rundgang weiter und wir schauten uns die Galerie des Rathauses an. Jeder scheidende Lord Mayor darf dort ein Gemälde von sich aufhängen und hat dabei freie Hand, was den Künstler angeht (dafür muss er es auch selbst bezahlen). Uns gefiel das von Nichola Mallon am besten (Bürgermeisterin von 2014 bis 2015), die mittlerweile als Abgeordnete im nordirischen Parlament sitzt. Außerdem sahen wir das angeblich beste Gemälde der Schlacht an der Somme. Eine Schlacht im Ersten Weltkrieg (vor ziemlich genau 100 Jahren), die sehr im kollektiven Bewusstsein der kronloyalen Nordiren verankert ist. Der Blutzoll der Freiwilligen aus Ulster im Ersten Weltkrieg trug dazu bei, dass der vorwiegend protestantische Teil Irlands nach dem Krieg wunschgemäß im Vereinigten Königreich blieb.

Zu Gast im Rathaus

Nach unserer Führung stand wieder ein Pflichttermin an, denn an einer Black Taxi Tour kommt der Belfast-Tourist nur schwer vorbei. Von einem Zeitzeugen in einem klassischen schwarzen Taxi zu den Schauplätzen des Nordirlandkonflikts gefahren zu werden, ist eine sehr interessante Angelegenheit. Vorausgesetzt man versteht den Fahrer. Unser Guide hat sich natürlich bemüht seine Vorträge verständlich zu halten, aber immer wenn wir in den Small Talk abglitten, war es selbst für mich mit meinen C2 Sprachkenntnissen schwierig alles zu verstehen. Zum Glück gehört die Geschichte Großbritanniens im Allgemeinen und der Nordirlandkonflikt im Besonderen zu meinen Kernkompetenzen. Daher nimmt Schneppe Tours jetzt endlich mal seinen Bildungsauftrag ernst und gibt einen kurzen historischen Abriss über Belfast und Nordirland:

UVF Mural in East Belfast

Ich denke mal vielen, die noch nie in Belfast waren, ist unbekannt, dass die Stadt immer noch von hohen Mauern (Peace Walls) durchzogen ist, um die Konfliktparteien zu trennen (insgesamt rund 21 km Mauer durchziehen Belfast). Trotz Karfreitagsabkommen von 1998 und der Entwaffnung und Auflösung der paramilitärischen Organisationen auf beiden Seiten, empfindet die Bevölkerung solch scharfe Trennlinien immer noch als notwendig. Die beiden Konfliktparteien sind vereinfacht irisch-nationalistische Katholiken, die sich eine Vereinigung mit der Republik Irland wünschen, sowie sich dem Vereinigten Königreich zugehörig fühlende unionistische Protestanten. Auch wenn der Konflikt deshalb gerne als ein religiöser gesehen und verbalisiert wird, hat er dennoch in erster Linie einen nationalistisch-imperialistischen Hintergrund.

Peace Line in Belfast

Die Wurzeln dieses Konflikts liegen dabei bereits rund 800 Jahre zurück. Seit dem Mittelalter erhob Englands Krone Anspruch auf die irische Insel und versuchte diesen auf vielen Wegen durchzusetzen. Eine Segregation zwischen Engländern und Iren wurde dabei erstmals 1366 in den 35 Statutes of Kilkenny festgeschrieben, welche zuvorderst eine familiäre Vermischung des anglo-normannischen „Herrenvolks“ mit der als barbarisch abgewerteten gälisch-irokeltischen Urbevölkerung unterbinden sollten. Die irische Bevölkerung setzte dem Kolonialismus wiederum diverse Rebellionen entgegen. Hinsichtlich des zeitgeschichtlichen Nordirlandkonflikts waren die Folgen der neunjährigen Tyrone’s Rebellion (1594 – 1603) besonders bedeutend. Das elisabethanische England, unter dessen direktem Einfluss seinerzeit nur Teile Irlands standen, versuchte damals seinen Machtbereich auf die ganze Insel auszubreiten, wogegen die irischen Grafen (angeführt vom Grafen von Tyrone) militärischen Widerstand leisteten.

Mural zur Plantation

Nach dem endgültigen Sieg der Engländer 1603 begann die Plantation of Ulster. England, welches nun unter Jakob I. mit Schottland in Personalunion regiert wurde, siedelte vorwiegend Schotten (aber auch Engländer und Waliser) in der irischen Nordprovinz Ulster an (insgesamt rund 80.000 Siedler in dieser ersten großen Welle). Fortan gab es in Ulster die besitzende Bevölkerungsgruppe schottischer und englischer Protestanten und die bäuerliche irische Bevölkerungsgruppe, die zugunsten der neuen protestantischen Siedler enteignet wurde (der Grundbesitz in irischer Hand schrumpfte binnen 100 Jahren von 90 % auf 10 %). Das könnte man als die Wurzel des bis heute anhaltenden Konflikts bezeichnen.

Mural zu Ehren Cromwells

Es folgten vier bewegte Jahrhunderte im Norden Irlands. Schon die irische Rebellion von 1641 zerstörte nachhaltig den Frieden zwischen den Iren und den Neusiedlern. Es gab etliche Massaker an den Protestanten, wovon das Portadown massacre das bekannteste ist. Insgesamt sollen ungefähr 12.000 protestantische Siedler bei dieser Rebellion ihr Leben gelassen haben. Diese Gräuel haben sich tief im Bewusstsein der nordirischen Protestanten verankert und als in den kommenden Jahren im Rahmen des englischen Bürgerkriegs der nächste bewaffnete Konflikt über das Land zog, kam es zu vielen Racheakten an katholischen Iren. Ferner sorgte Cromwells Sieg im Bürgerkrieg für die weitere Entrechtung der Iren. Zumindest für jene Iren, die diesen für Irland besonders schrecklichen Krieg überhaupt überlebten (fragt mal einen Iren nach Oliver Cromwell…).

Battle of the Boyne 1690

Die Briten siedelten nun in einer zweiten großen Welle vorwiegend Bürgerkriegsveteranen aus Cromwells New Model Army in Irland an und manifestierten im Nachgang die Zwei-Klassen-Gesellschaft nochmals. Wer das vertiefen möchte, sollte sich mal u. a. mit den Penal Laws auseinandersetzen, die im späten 17.Jahrhundert erlassen wurden. Zwischen dem Bürgerkrieg und den Penal Laws gab es außerdem ein weiteres einschneidendes Ereignis in Ulster, nämlich den Krieg der zwei Könige. Jakob II. (katholisch) und Wilhelm III. (protestantisch) stritten nach der Glorious Revolution um die Krone. Der Sieg Wilhelms (William the Orange) über Jakob bei der Schlacht an der Boyne am 12.Juli 1690 wird noch heute an jedem Jahrestag groß von der protestantischen Bevölkerungsgruppe gefeiert. Riesige Leuchtfeuer (vergleichbar mit unseren Osterfeuern) erhellen die Nacht und die feiernden Menschen singen nationalistische und katholikenfeindliche Lieder. Einer der Tage, an denen es noch heute zwischen den beiden Lagern in Nordirland extrem knistert.

Mural von König Wilhelm lll.

Die Revolutionen und der Nationalismus des 18. und 19.Jahrhunderts gingen natürlich auch an Irland nicht spurlos vorbei. Da half es wenig, dass Irland anno 1801 als Antwort auf die irische Rebellion von 1798 mit dem Königreich Großbritannien zum Vereinigten Königreich von Großbritannien und Irland uniert wurde. Der Unabhängigkeitswille der Iren war nicht totzukriegen und der Osteraufstand von 1916 wird von den republikanischen Iren als Wendepunkt der Geschichte ihres Landes angesehen. Der Aufstand in Dublin scheiterte zwar, aber danach bekam die legale nationalistische Partei der Iren namens Sinn Fein (irisch-gälisch für „Wir selbst“) regen Zulauf und gewann bei den britischen Unterhauswahlen 1918 über 80 % der irischen Mandate. Doch anstatt ihre Plätze in Westminster einzunehmen, bildeten sie ein eigenes illegales irisches Parlament. Es folgte der irische Unabhängigkeitskrieg, der 1921 in der Teilung Irlands mündete. Die sechs mehrheitlich protestantischen, der insgesamt neun Grafschaften Ulsters, verblieben als Staat Nordirland im Vereinigten Königreich, der Rest der Insel (Munster, Leinster, Connacht und ein Drittel von Ulster) spaltete sich als Irischer Freistaat von Großbritannien ab (ab 1932 Republik Irland).

Mural zum Osteraufstand

Damit war der Konflikt aber keineswegs gelöst. Die Republik Irland vertrat weiterhin den Anspruch die komplette Insel als irische Republik zu vereinen und Nordirland war kein rein protestantischer Staat, sondern bei Gründung lebte dort auch rund ein Drittel katholische Iren. Diese große Minderheit gleichberechtigt in den nordirischen Staat zu integrieren war allerdings überhaupt kein Anliegen der protestantischen Mehrheit. Anstatt eines Verhältniswahlrechts führte man das Mehrheitswahlrecht ein und mittels Gerrymandering wurden die Wahlkreise so gezogen, dass katholische Mehrheiten kaum zustande kommen konnten. Auch nicht in den Gemeinden mit katholischer Bevölkerungsmehrheit. Ebenso war das Wahlrecht an Besitz gebunden. Reiche Protestanten hatten bis zu sechs Stimmen, Katholiken in der Regel eine oder manche auch gar keine Stimme. So konnte die protestantische Ulster Unionist Party (UUP) jahrzehntelang ohne nennenswerte Opposition regieren.

Ulster to Britain

Dazu wurden die Katholiken auch in allen anderen Bereichen des öffentlichen Lebens diskriminiert und litten in der Wirtschaftskrise nach dem Zweiten Weltkrieg unter besonders hoher Arbeitslosigkeit. Ende der 1960er Jahre versuchte man mit friedlichen Protesten auf die Situation aufmerksam zu machen (wer das vertiefen möchte, recherchiert mal NICRA), aber die Exekutive antwortete mit Gewalt. Es setzten sich die Hardliner unter den Protestanten durch, die jedes Zugeständnis an die katholische Minderheit als Schritt in Richtung Erosion des protestantischen Staates sahen. Als Wendepunkt werden die Unruhen in Nordirlands zweitgrößter und überwiegend von Katholiken bewohnten Stadt Londonderry (Derry) im Jahre 1969 angesehen. In Londonderry – wo übrigens dank des erwähnten Wahlrechts die protestantischen Parteien i. d. R. mit 33 % der Wählerstimmen 60 % der Mandate errangen – eskalierte die Gewalt zwischen den Konfessionen endgültig, als Protestanten in den katholischen Stadtteil Bogside zogen, um dort die Befreiung der Stadt von den Katholiken vor 280 Jahren zu feiern. Die katholische Bevölkerung lieferte sich nun mehrere Tage Straßenschlachten mit den militanten Protestanten und der Polizei (die landesweit fast ausschließlich aus Protestanten bestand). Unruhen, die sich schnell auch auf die anderen Städte des Landes ausbreiteten, vor allem auf die Hauptstadt Belfast!

Bogside ’69 (Skulptur in Hannover)

Kurzer Einschub: In Hannover gibt es übrigens die Skulptur Bogside 69, die der Künstler Hans-Jürgen Breuste in Erinnerung an die Ereignisse von 1969 schuf. Sie steht in der Osterstraße, mitten in der City. Eine weitere Skulptur Breustes namens Derry, die mutmaßlich ebenfalls vom Nordirlandkonflikt inspiriert ist, steht unweit des Niedersachsenstadions in der Culemannstraße. Wenn ihr das nächste Mal daran vorbeischlendert, denkt ihr vielleicht an Nordirland und diesen Reisebericht.

Skulptur Derry in Hannover

Den Unruhen des Jahres 1969 – bei denen acht Menschen starben, hunderte verletzt wurden, ganze Straßenzüge niederbrannten und durch beiderseitige Vertreibungen endgültig 100 % religiös homogene Wohnviertel geschaffen wurden – wurde die nordirische Polizei nicht mehr Herr. Der nordirische Premier bat daher in Westminster um Hilfe und Großbritannien entsandte das Militär, welches zunächst als neutrale Macht auch von den Katholiken positiv empfangen wurde. Eine Stimmung, die nicht lange anhielt, da die British Army logischerweise mit der bei den Katholiken verhassten lokalen Polizei zusammenarbeiten musste und bald nicht mehr als neutral angesehen wurde. Auf beiden Seiten gewannen fortan die paramilitärischen Gruppen an Bedeutung. Auf irisch-katholischer Seite die Irish Republican Army, die fortan in die Official Irish Republican Army (OIRA) und in die Provisional Irish Republican Army (PIRA) gespalten war. Auf britisch-protestantischer Seite die Ulster Volunteer Force (UVF) und weitere Kommandos (z. B. UDA und UFF).

Gedenken an zwei 1973 von der Army getötete IRA-Terroristen

In Belfast eskalierte der Konflikt Anfang der 1970er Jahre völlig, wo sich die IRA (sowohl PIRA als auch OIRA) einen Guerillakrieg mit dem britischen Militär lieferte, welches wiederum durch seine Gegenmaßnahmen weiter in den Konflikt hineingezogen wurde. Große Razzien des Militärs in katholischen Vierteln, auf der Suche nach Waffen und Terroristen, mit unmittelbaren Toten und Verletzten, spülten den IRA-Gruppen (besonders der radikaleren und jüngeren PIRA) weitere Freiwillige zu. Und auf protestantischer Seite rüsteten die Terrorgruppen ebenfalls auf, um unabhängig von offiziellen Organen, ergo terroristisch, gegen die Katholiken vorzugehen. Teilweise arbeiteten die protestantischen Terroristen sogar heimlich mit dem Militär und der Polizei zusammen, obwohl offiziell auch sie von der Exekutivgewalt verfolgt wurden. Ein wirklich gut gemachter Film über die Situation in Belfast zu jener Zeit ist „71 (Hinter feindlichen Linien)“ von Yann Demange aus dem Jahre 2014. Kann ich jedem nur empfehlen, sich den Streifen mal anzuschauen.

Loyalistisches Mural in East Belfast

Großbritanniens Antwort auf die zunehmende IRA-Macht war das Internment (Operation Demetrius) ab 1971, wodurch zahlreiche Terrorverdächtige ohne Gerichtsverfahren interniert wurden. Das heute als Museum genutzte ehemalige Belfaster Gefängnis in der Crumlin Road kann dem Besucher der Stadt anschaulich von dieser Zeit erzählen. Trauriger Höhepunkt jener Konfliktphase war der Bloody Sunday in Londonderry, respektive Derry am 30.Januar 1972. Das Militär eröffnete an diesem Tag das Feuer auf einen großen Protestzug gegen die Internment-Politik. 14 demonstrierende Katholiken starben durch Kugeln britischer Fallschirmjäger. Die Vergeltung der IRA folgte mit einer Welle von Anschlägen. 1972 wurde nun das blutigste Jahr des ganzen Konflikts. Es starben bis Jahresende 479 Menschen im Rahmen dieses Bürgerkriegs (davon 247 Zivilisten).

Ulster Freedom Fighters (est. 1973)

Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung wurde der Stormont, Nordirlands Parlament, aufgelöst und die Region fortan von London direkt regiert (durch den Nordirlandminister). Eine als Übergangslösung gedachte Maßnahme, die aber bis in die späten 1990er Jahre der Status Quo blieb. Auf den weiteren Konfliktverlauf ging unser Guide besonders ein. Im protestantischen Shankill Viertel hielten wir zum Beispiel an einem Denkmal für die Opfer eines Bombenattentats auf einen Fish Shop in der Shankill Road. Eine Passantin stoppte und fragte unseren (katholischen) Führer nach seinem Namen und forderte ihn auf ja die Wahrheit zu erzählen. Dann ergriff sie uns gegenüber das Wort und redete darüber wie der katholische Terror ihrer Familie geliebte Menschen entriss und dass ihre verwitwete Schwester immer noch nicht über den Verlust ihres Mannes hinweg ist. Es war ein krasser Moment dieser Tour. Sie sagte, in ihrer Generation wird echte Versöhnung noch nicht möglich sein, nur friedliche Koexistenz.

Unser Guide an der Peace Line

Man muss die Geschichte des Landes kennen und verstehen und die Geschichte der Leute vor Ort hören (von beiden Seiten), um Belfast und Nordirland zu begreifen. Um zu verstehen woher der Hass kommt und wieso das Land immer noch, trotz Frieden, durch Mauern in den Städten und in den Köpfen geteilt ist. Jene Mauern, die so genannten Peace Lines schauten wir uns natürlich auch an. Dort sorgte unser Guide, wie immer Mal zwischendurch, für einen heiteren Moment. Wir sollten uns doch gerne mit einem Edding auf der mit Graffiti übersähten Mauer verewigen. Davor fragte er, ob wir schon deutsche Botschaften an der Mauer entdeckt hätten. „Alles für FC Köln is written there.“ „Oh, what does it mean?“ „Oh, it’s just a Football Club from Cologne“ „Do you hate them?“ „Yes, of course!“ „Okay, wait a moment…“ Dann notierte er „Shit Team“ mit einem Pfeil unter „FC Köln“ und war sich unseres Beifalls sicher.

FC Köln = Shit Team

Danach ging es ins katholische Falls Road Viertel, dass nur einen Steinwurf (selten hat diese Metapher besser gepasst) vom protestantischen Shankill Viertel entfernt war. Dazu fuhren wir durch eines der Tore der Mauer (welche über Nacht immer noch verschlossen werden) und steuerten eine Gedenkstätte auf der anderen Seite an. Der Guide erzählte wie Protestanten 1969 (die erwähnten Unruhen, die von Londonderry nach Belfast überschwappten) hier die katholische Bombay Street niederbrannten. Auf den Gedenktafeln der Katholiken wurde zwischen Zivilisten und IRA-Terroristen unterschieden, wenngleich sie dort natürlich nicht als Terroristen bezeichnet wurden. Auch hier fiel auf; es traf hauptsächlich Unschuldige anstatt Kombattanten.

Katholische Gedenktafel für die Opfer aus der Clonard Area

Ich musste wieder unweigerlich an eines der ersten Wandbilder der Tour im Shankill Viertel denken. Auf jenem wurde Stephen Top Gun McKeag geehrt. Der Mann bekam seinen Beinamen, weil er Anfang der 1990er Jahre mehrmals die gleichnamige unrühmliche Trophäe für die meisten Morde an irisch-republikanischen Menschen im Jahr erhielt. Zu seinen Opfern gehörten neben republikanischen Terroristen auch viele Zivilisten, die einfach nur kaltblütig aufgrund ihrer Religion bzw. ihrer Ethnie ermordet wurden. Mutmaßlich um diese verdammte Trophäe zu bekommen. Doch in der protestantischen Community scheint er für viele ein Kriegsheld und kein Verbrecher zu sein.

Stephen McKeag Mural

Zum Abschluss unserer Rundfahrt fuhren wir zu einem großen Mural an der Falls Road. Die dortigen Bilder und Ausführungen des Guides passen perfekt in die Chronologie meines geschichtlichen Abrisses, denn es ging hier vorwiegend um den Blanket Protest 1976, den Dirty Protest 1978 und den Hungerstreik von 1981. Der Blanket Protest folgte auf die britische Statusänderung der inhaftierten Terroristen von politischen Gefangenen zu gewöhnlichen Kriminellen. Sie hätten nun Gefängnisuniformen tragen müssen und verweigerten sich durch Nacktheit bzw. durch das Einhüllen der nackten Körper in Decken (Blankets). Es gab dann einen fließenden Übergang zum Dirty Protest, bei dem sich die IRA-Terroristen weigerten die sanitären Anlagen aufzusuchen, da sie angaben auf dem Weg dorthin von den Wärtern misshandelt zu werden. Man verlegte die Protestierenden nun in Zellen ohne Toiletten und Wasseranschluss, so dass sie fortan in ihren Exkrementen lebten.

Blanket Protest

Beide Proteste blieben erfolglos und die nächste und drastischte Maßnahme wurde mit den Hungerstreiks von 1980 und 1981 eingeleitet. Der Streik von 1980 wurde beendet, weil die Regierung ihnen ein Entgegenkommen in Sachen Status zusicherte. Am Ende wurden alle Forderungen bis auf eine erfüllt, denn das Tragen von Zivilkleidung blieb weiterhin untersagt. Die inhaftierten Terroristen begannen nun einen zweiten Hungerstreik, währenddessen obendrein der Streikende Bobby Sands ins britische Unterhaus gewählt wurde. Der Druck auf die Regierung war enorm und die Streikenden waren entschlossen bis zum Äußersten zu gehen. Doch Großbritannien unter Premierministerin Margaret Thatcher blieb hart. 10 Streikende, darunter Bobby Sands, ließ man verhungern.

Terrorist und MP Bobby Sands

Innenpolitisch wurde der Thatcher-Regierung mehrheitlich für die Härte gegenüber den Terroristen applaudiert, außenpoltisch wuchs jedoch der Druck auf Großbritannien. Außerdem bekam die (P)IRA soviel Zulauf wie seit Beginn der 1970er Jahre nicht mehr. Deshalb fegte in den 1980er Jahren eine neue Welle des Terrors über Nordirland und Großbritannien. Gleichzeitig errang der legale politische Arm der irischen Nationalisten, die Partei Sinn Fein mit ihrem zwielichtigen Führer Gerry Adams, mehr und mehr Stimmen und Mandate.

UFF Mural in East Belfast

In den 1990er Jahren war dieser Konflikt auch für mich als Kind noch sehr präsent und ich entwickelte dafür von kleinauf großes Interesse. Gerade weil sich The Troubles nicht irgendwo weit weg, sondern quasi vor der eigenen Haustür abspielten. Belfast war zu meiner Schulzeit noch eine No Go Area, kein Ziel für Urlaub oder Klassenfahrten. Ein beliebter Scherz war frei übersetzt: „Nach Belfast kann man nicht hinfliegen. Der Jet Lag macht einen fertig. Man muss seine Uhr nämlich 350 Jahre zurückstellen.“ Gerade die Geschichte der Guildford Four und der dazugehörige Kinofilm „In the Name of the Father“ haben sich aus dieser Zeit in meinem Gedächtnis verankert. Bei einem Aufenthalt in Glasgow war der Konflikt für mich in den 1990er Jahren auch indirekt spürbar (gerade im Fussballkontext). Die Anhänger der Rangers und des Celtic F.C. führen ja bekanntermaßen eine Art Stellvertreterkrieg um Nordirland bzw. um katholisch versus protestantisch und  irisch-republikanisch versus britisch-loyalistisch.

Protestantische Nordiren lieben die Rangers aus Glasgow

1996 kehrte die IRA während der EM nochmal eindrucksvoll in mein Gedächtnis zurück. Die Bombe in Manchester, einen Tag vor dem Gruppenspiel Deutschland gegen Russland im Old Trafford, war die größte Detonation auf britischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg. Gott sei dank bekam der Konflikt schon zwei Jahre später (für mich damals durchaus überraschend) seine entscheidende Wende in Richtung Frieden. Das Karfreitagsabkommen von 1998 überführte den gewalttätigen Konflikt in eine Phase der politischen Lösungsfindung. Die Republik Irland gab ihren konkreten Anspruch auf Nordirland auf, Großbritannien wiederum schloss die Wiedervereinigung nicht mehr aus, sollte sich in Nordirland die Bevölkerung eines Tages dafür aussprechen. Die Paramilitärs legten nun ihre Waffen nieder, England verringerte seine Truppenpräsenz, die nordirische Polizei wurde reformiert u. v. m.

Die B-Specials, eine legale Miliz protestantischer Unionisten

Der Terror ist vorbei, aber der Konflikt ist dennoch weiter am Lodern und Gewalt flammt immer wieder auf. Wie z. B. 2012, als beschlossen wurde, dass der Union Jack nicht mehr täglich auf dem Belfaster Rathaus wehen soll. Und bis heute sind natürlich die Märsche des Orange Order (Oranier-Orden) im Sommer jeden Jahres, zur Erinnerung an den weiter oben aufgeführten Sieg von William the Orange über Jacob II. (1690), ein Konfliktherd. Die Protestanten wollen wie eh und je auch durch die Viertel der Katholiken paradieren. Bekommen sie die Provokation genehmigt, eskaliert es zwischen ihnen und den Katholiken. Bekommen sie ihre Route nicht genehmigt, eskaliert es zwischen ihnen (bzw. vor allem den Massen, die sich der Parade anschließen) und der Polizei, welche die Katholiken-Viertel dann absichert.

Trotz „Peace Line“ schützen die Anwohner ihre Häuser seperat

Doch trotz allem, die Zeiten des schwerbewaffneten Konflikts sind hoffentlich unwiderruflich Vergangenheit. Heute jedenfalls ist Belfast alles andere als eine No Go Area, sondern ein sicheres und vor allem sehr sehenswertes Reiseziel. Gerade in der Innenstadt ist die Segregation nicht spürbar präsent. Beim Einkaufen, Feiern oder Essen gehen fragt keiner nach deiner Religion, aber am Ende des Tages gehen alle wieder in ihre Viertel zurück und bleiben dort unter sich. Liebesbeziehungen entwickeln sich selten zwischen den Gruppen und wenn, werden sie meist nicht von der Familie toleriert. Außerdem gehen über 90 % der Kinder in konfessionell homogene Schulen und schon bald wird Prognosen zufolge die irisch-katholische Bevölkerungsgruppe in der Mehrheit sein. Man muss abwarten, wie eine etwaige Koalition aus Sinn Fein und SDLP damit politisch umgehen wird und wie die Protestanten auf eine Machtverschiebung reagieren. Aber das ist noch Zukunftsmusik.

No more (hopefully)

Nach einem ganzen Nachmittag voll von Geschichte, hatten wir noch nicht genug und ließen wir uns vom Taxifahrer ins Titanic Quarter fahren. Dabei plauderte er nochmal aus dem Nähkästchen wie die IRA damals de facto in seinem Viertel das Gesetz war (die Polizei traute sich gar nicht in die Viertel und niemand wäre auf die Idee gekommen bei einer Straftat die Polizei anstatt die IRA zu rufen). Eines Tages fand er abends eine Patrone auf dem Fernseher. Die hatte die IRA dort platziert und das hieß vorstellig werden oder andernfalls als vogelfrei zu gelten. Jemand hatte ihn eines Verbrechens bezichtigt, aber das IRA-Tribunal entschied nach seiner Vorsprache zu seinen Gunsten.

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Hier lag mal die Titanic. Im Hintergrund das futuristische Titanic Museum und die Kräne der Titanic-Werft Harland & Wolff (90m hoch)

Dann war erstmal Schluss mit den Troubles und ein anderes tragisches Kapitel der Stadtgeschichte (im weitesten Sinne) wurde aufgeklappt. Die Geschichte der Titanic ist natürlich eng verbunden mit seiner Produktionstätte Belfast. Die Werft Harland & Wolff, allein schon durch die riesigen Kräne Samson und Goliath aus dem Stadtbild Belfasts nicht wegzudenken, hatte mit der Titanic das seinerzeit größte Schiff der Welt vom Stapel gelassen. Die weitere Geschichte sollte wohl jedem bekannt sein und kann in Belfast hervorragend aufbereitet nachvollzogen werden.

Munchie Box (im Bild fehlt der Berg Dönerfleisch und die gesunde Salatbeilage)

Nach dem Overkill an Geschichte und Politik hatten wir uns redlich was zu essen verdient. Und siehe da; die Munchie Box hatte den Weg über den kleinen Teich von Schottland nach Nordirland geschafft. Kein Jahr ist es her, als ich mit der Munchie Box in Edinburgh die Liebe meines Lebens fand. Umso schöner, dass unsere heiße Affäre in Nordirland in die nächste Runde ging. Vollgefressen wurden die Impressionen des Tages im Pub bei ein paar Pints rekapituliert. Dieser schloss um Mitternacht und das war unser Signal zu Bett zu gehen. Denn für den nächsten Tag hatte ich erneut ein strammes Programm vorgesehen.

Schwarzes irisches Gold

Montagmorgen ging es um 8 Uhr zur Autovermietung Hertz am Hauptbahnhof von Belfast und dort wurde für 28 € ein Ford Focus bis Betriebsschluss (17 Uhr) gemietet. Natürlich wurde an der ersten Kreuzung der Rechtsverkehr eingeführt (Klassiker!), aber spätestens als wir aus dem morgendlichen Stadtverkehr raus waren und auf Carrickfergus zusteuerten, wurde es ein ganz gemütliches Cruisen entlang der Causeway Coastal Route.

Carrickfergus Castle

Erster Stopp war erwähntes Carrickfergus. Ein nette Kleinstadt am Belfast Lough (der Bucht von Belfast). Neben der Altstadt, inklusive mittelalterlichem Pranger, ist natürlich das Castle der Blickfang dieser Gemeinde. Direkt am Ufer ist es seit ca. 1180 ein zinnenbewehrter Fels in der Brandung. Es war die Phase, als die Engländer (Normannen) begannen ihre Herrschaft auf Irland auszudehnen und ihnen dies vor allem an der Küste gelang. Carrickfergus war im Mittelalter die wichtigste Festung der Anglonormannen in Ulster, während die heutige Hauptstadt Belfast noch Marschland war. Hier landete 1690 Wilhelm III. (William of Orange) und begann seinen siegreichen Feldzug in Irland gegen den katholischen König Jakob II. von England (übrigens sein Schwiegervater). Aber das Thema hatten wir ja schon…

Seaside Resort Whitehead

Nachdem gerade so eine Überdosis Geschichte in Carrickfergus abgewendet werden konnte (ich redete mich wieder in einen Rausch und bildete mir ein, die Mitreisenden würden nur ob der frühen Tageszeit gähnen), ging es die Küste weiter nach Whitehead. Ein beliebtes Urlaubsziel der Belfaster in viktorianischer Zeit, wovon die schönen Häuser an der Uferpromenade zeugen. Der namensgebende Felsen hatte außerdem einen weißen Leuchtturm zu bieten, aber uns zog es schnell wieder auf die Straße. Zuviel stand noch auf dem Programm.

The Glens of Antrim

Wir cruisten wieder die Küstenlinie entlang und irgend einer fing dabei immer an „Sweet Caroline“ zu summen oder zu pfeifen (verdammter Ohrwurm!). Wo immer es uns gefiel (also circa alle 2 km), hielten wir kurz für schöne Anblicke und entsprechende Fotos. Nächstes richtiges Ziel war das Hinterland der Küste, genauer gesagt die Glens of Antrim (die Täler von Antrim). Dafür verließen wir bei Waterfoot die Küstenstraße und steuerten eine Logde in den Bergen an. Ganz in der Nähe warteten dann mehrere Wasserfälle auf den Besucher.

Wasserfall Ess-na-Crub

Der Umweg lohnte, denn die Wasserfälle der Flüsse Inver und Glenariff (allen voran Ess-na-Crub und Ess-na-Larach) waren wirklich sehenswert und mal in den Bergen ein paar Kilometer die Beine vertreten ist ja auch nicht schlecht bei der ganzen Autofahrerei. Also wanderten wir ein bisschen durch den Naturpark, der mich etwas an das Bodetal im Harz erinnerte und neben den Wasserfällen für seine Roten Eichhörnchen (Red Squirrels) berühmt ist.

Wandern im Glenariff Forest Park

Back on the road war das Wetter mittlerweile so gut, dass man bis rüber nach Schottland gucken konnte. Die Mull of Kintyre, einst von Paul McCartney besungen, zeichnete sich deutlich am Horizont ab. Dann kamen wir etwas von der Küste ab und durchfuhren den Ballypatrick Forest. Dieser Nadelwald wirkte zusammen mit einer Moor- und Heidelandschaft schon wieder fast skandinavisch. Nordirland hat wirklich eine abwechslungsreiche Natur zu bieten.

Die malerische Küste des County Antrim

Dann erspähte ich irgendwann ein unscheinbares Schild mit der Aufschrift „Kinbane Head (No Coaches)“. Wir bogen in die schmale Straße ein und steuerten auf den Geheimtipp der Tour zu; Kinbane Castle. Am Ende der Straße parkte man auf einer hohen Klippe und sah erstmal nichts Spektakuläres. Doch der Pfad, der sich am Ende des Parkplatzes den Felsen hinunter schlängelte, offenbarte das eigentliche Ziel: Die Ruine von Kinbane Castle auf einem vorgelagerten Felsen im rauschenden Meer. Ein Wahnsinnsaus- und anblick! Und dazu auch noch gänzlich tourifrei, da die Bustouren es nicht ansteuern können und die Standardreiseführer dieses Kleinod meist verschweigen.

Kinbane Head

Keine Frage, wir mussten unser Cliff zum Meer hinabsteigen und dann das Kalksteinsteinkap erklimmen. In unserem Rücken lag nun die stark zerklüftete Küste Nordirlands und vor uns das Meer und die Insel Rathlin. Schönheit in jeder Himmelsrichtung!

Die Ruine von Kinbane Castle

Es war wirklich ausschließlich der Anglitz dieses Ortes, und nicht der drohende steile Wiederanstiegs zum Parkplatz, der uns lange verweilen ließ. Damit am Ende aber kein Spot auf meiner Liste hinten runterfiel, musste es irgendwann weitergehen und wieder auf dem Parkplatz waren wir fertiger als nach 90 Minuten Fußball. Hier hat der Herr Gott den Schweiß nach den Erfolg gestellt. Zum Glück hatten wir genug zu trinken dabei, sowie Cashewkerne als kleine Energielieferanten.

Die zerklüftete Küste Nordirlands

Nach wenigen Kilometern zwang ich der Gruppe einen weiteren Stopp auf. Eine weiße mittelalterliche Kirche war einfach nicht gut genug aus dem fahrenden Auto zu fotographieren. Und danach gab es noch einen Foto-Stopp an der Ruine von Dunseverick Castle. Auch wieder ein atemberaubender An- und Ausblick. Ich freue mich schon tierisch darauf irgendwann wieder herzukommen und noch mehr zu sehen. Denn die Küste hier hat Potential für ’ne ganze Woche und nicht nur einen Tag.

Parish Church in Ballintoy

Nun wollten wir den Pflichtbesuch der Hängebrücke von Carrick-a-Rede realisieren, aber wir beließen es beim Anblick der mit Touris überfüllten Brücke. Bis auf die zugegeben spektakuläre Hängebrücke, war das jetzt nicht soviel anders als am Kinbane Head. Da sparten wir uns die 5.90 £ Eintritt und steuerten auf den Namensgeber unserer Route zu; den Giant’s Causeway, Nordirlands UNESCO World Heritage Site. Viele Besucher glauben, dass man gezwungen ist durch das kostenpflichtige Besucherzentrum zu diesem Naturwunder zu gehen. Aber wenn man sich bereits mittels anderer Quellen über die naturwissenschaftlichen Hintergründe des Damms des Riesen und ebenso über die Foklore dazu informiert hat, kann man sich die 9 £ auch sparen und außen um das Gebäude herumgehen.

Auf dem Weg zum Giant’s Causeway

Nach wenigen hundert Metern bergab, die Menschen mit Mobilitätsproblemen auch mit einem Shuttlebus zurücklegen können, erreicht man die eindrucksvolle Felsformation Giant’s Causeway. Es handelt sich um etwa 40.000 meist sechseckige Basaltsäulen unterschiedlicher Höhe, die wie ein Damm ins Meer hineinragen. Vor etwa 60 Millionen Jahren bildete sich dieser Damm aus Basalt durch die langsame Abkühlung sehr heißer Lava auf dem Gestein.

Der Damm ins Meer

Bevor die Wissenschaft diese Erklärung lieferte, hatte sich natürlich die Folklore der Sache angenommen. Der Sage nach wollte ein aufgepumpter Riese aus Irland namens Finn McCool in seiner Massephase unbedingt eine Munchie Box essen. Doch jene gab es seinerzeit nur in Schottland. Damit ein befreundeter schottischer Riese namens Benandonner ihm regelmäßig Boxen aus Glasgow liefern konnte, baute Finn McCool einen Damm nach Schottland, den Giant’s Causeway. Eine Zeit lang lief das Geschäft prima und die fettigen Pizzakartons mit frittierten Delikatessen wanderten täglich von Schottland nach Ulster rüber. Als Benandonner jedoch die Preise anhob, gerieten die beiden Riesen in Streit und der Schotte zerstörte den Damm wieder.

Die höchsten Säulen des Basaltdamms

Finn McCool war nun stinksauer und riss ein riesiges Stück Erde aus Irland heraus (das heutige Lough Neagh) und warf es Richtung Schottland, um Benandonner zu erschlagen. Doch ohne seine Munchie Box calories war der Riese schwach geworden und der riesige Brocken bewachsenes Gestein landete auf halber Strecke in der irischen See (die heutige Isle of Man). Schließlich siedelte er in Belfast seine eigenen Pakistaner an, die Finn McCool fortan in ihren Take Aways mit frischen Munchie Boxes versorgten. Ein Damm nach Schottland war somit überflussig geworden und die Reste davon bewundern wir noch heute als UNESCO Welterbe.

Finn McCool

Vor Ort erzählen sie zwar eine leicht abgewandelte Variante der Geschichte von Finn McCool und Benandonner, aber meine ist zumindest die Version, die ich für am plausibelsten halte. Anschließend widmeten wir uns nach dem Ausflug in die vermeintliche Welt der Riesen wieder einem Bauwerk von Menschenhand. Nur wenige Kilometer östlich vom Giant’s Causeway erhebt sich Dunluce Castle über dem Meer.

Dunluce Castle

Dunluce Castle gehört übrigens zum Städtchen Bushmills. Ein Ort, der Whiskeyfreunden sicher geläufig ist. Dort kann man die Old Bushmills Distillery besuchen, eine der ältesten Brennereien der Welt. Ein Programmpunkt für ein andern Mal, denn wir mussten nun den Rückweg nach Belfast antreten. Das Zeitfenster war aber wenigstens noch komfortabel genug, um auch auf der Rückreise hier und da zu stoppen, z. B. an der traumhaften Bucht von Ballycastle. Dazu servierte BBC 2 Hits von Blondie, David Bowie, Amy Winehouse und natürlich „Sweet Caroline“ von Neil Diamond. Zufälle gibt’s!

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Die Bucht von Ballycastle

Nachdem der Mietwagen unversehrt wieder bei Hertz abgegeben war, rief uns der freundliche Mitarbeiter ein Taxi und beglückwünschte uns zur Destination Wetherspoon’s. Dort war heute Mexican Monday und auf deftige Burritos hatten wir jetzt derbe Bock. Es war die erste Mahlzeit des Tages und wir waren bereits 11 Stunden auf den Beinen. Folglich war es erstmal mehr schlingen, denn geniessen. Aber man kann sich natürlich noch eine zweite warme Speise bestellen. Also verweilten wir noch ein wenig bei Pints und Snacks im Pub und schauten uns die Fotos der Tour an. Was war das nur für ein geiler Tag!

Burrito Time!

Am Dienstag gab es nun nichts mehr in Belfast zu sehen, was ein (sehr) frühes Aufstehen gerechtfertigt hätte, so dass wir halbwegs ausgeschlafen am Vormittag auscheckten und mit dem Bus zum Belfast International Airport fuhren, der aber wie der George Best City Airport ein kleiner Vertreter seiner Zunft ist. Gefühlt war unsere Maschine nach Gatwick gerade die einzige Maschine, die in naher Zukunft abheben sollte, denn der Flughafen war mittags beinahe menschenleer. Mit einem späten Frühstück im Magen nahmen wir Abschied von Belfast. Eine Stadt, wo ich lieber „Auf Wiedersehen“ anstatt „Tschüß“ sage.

Song of the Tour: Nordirlands größtes musikalisches Geschenk an die Welt.