Bergamo 12/2015

  • 20.12.2015
  • Atalanta B.C. – SSC Napoli 1:3
  • Serie A (I)
  • Stadio Atleti Azzurri d’Italia (Att: 15.100)

Wenn die Tage kürzer werden und die ersten Weihnachtsmärkte öffnen, weiß ich jedes Jahr, dass die traditionelle Weihnachtstour nicht mehr lange auf sich warten lässt. Nach Spanien, Frankreich und Benelux war dieses Jahr Italien das Land der Wahl, um das Fußballjahr mit guten Freunden ausklingen zu lassen. Bei diesem Reiseziel entschieden wir uns, nach zuletzt zwei vorweihnachtlichen Neuner-Touren, für das Flugzeug als Reisemittel. Am günstigsten war überraschenderweise wieder mal eine irische Airline, die nicht Air Lingus heißt. 40 € return von Köln nach Bergamo waren echt ein gutes Geschäft und die Deutsche Bahn bot für unsere 8er-Gruppe auch einen fairen Kurs von 19 € für den ICE zum Flughafen Köln-Bonn an.

Limbo Dance als Frühsport

Dementsprechend bestiegen El Glatto, Olberto, Milano Pete, Fat Lo, Ole, Pumba, Johnny Power und ich am Abflugtag zu unchristlicher Zeit einen InterCityExpress nach Köln. Durchgemacht hatte lediglich Ole, der uns von der Weihnachtsfeier des SC Itzum berichtete und stolz ein Foto von seiner Vertragsverlängerung auf Lebenszeit zeigte. Lieber SC Itzum, dieser Vertrag ist nicht den Bierdeckel wert, auf dem er unterschrieben wurde. Ich habe immer noch die Serviette auf der er für den SC Asel unterschrieben hat (komischerweise auch auf einer Weihnachtsfeier) und in Machtsum liegt auch noch ein rechtssicherer Spontanvertrag dieses Spielers.

Kölner Dom

Der Walter Frosch des Amateurfußballs gönnte sich dann erstmal eine Mütze Schlaf und der Rest widmete sich einer Palette Dosenbier aus belgischer Produktion. Zwei Stunden später war es zwar immer noch dunkel, aber die Palette leer. Der Mundschenk der DB wollte uns nun eine Kiste Bitburger verkaufen, aber bei 63 € („Hey, dann sind quasi drei Flaschen auf’s Haus“) für eine nicht mal gekühlte Kiste, lehnten wir dankend ab. Köln war nun auch nicht mehr weit und da lockte erstmal dieser Dom, der da irgendwo mitten in der Betonwüste aus dem Boden geschossen ist. Selten wirkte ein Bauwerk von Weltrang so deplatziert wie diese Kathedrale. Nach dem obligatorischen Touri-Foto ging es folglich auch sofort wieder in den Bahnhof und weiter zum Flughafen. Mit Köln werde ich wohl nie warm werden, eine wirklich hässliche Stadt. Dann lieber frühzeitig am Flughafen lungern und feststellen dass es keinen geschmacklichen Unterschied zwischen Sion und Gaffel zu geben scheint, wenn man bei den schalen Kölner Bieren überhaupt von Geschmack sprechen will.

Über den Alpen

Nach kurzweiligem Flug über die Alpen (wieder mal ein optischer Hochgenuss) erreichten wir gegen 12:30 Uhr Bergamo und machten uns per Bus in die Innenstadt auf, um unsere Appartements in der Unterstadt zu beziehen. Aber nicht ohne vorher schon mal in einem Supermarkt Lebensmittel einzukaufen. Am Angebot Birra Moretti für 41 Cent pro Dose kamen wir dabei natürlich nicht vorbei und die Kühlschränke der Wohnungen konnten sofort beim Bezug gefüllt werden. Wir zahlten übrigens pro Person und Nacht 23 € für unsere Appartements in bester Lage und mit bester Ausstattung. Da konnte man nicht knurren!

Lebensmittelkauf in Bergamo

Nachdem wir uns in den Wohnungen eingerichtet hatten, ging es sofort wieder los Richtung Altstadt. Es war ein herrlicher Sonnentag mit aktuell 15° C Lufttemperatur und das wollten wir nicht nur auf den Balkonen der Wohnungen genießen, sondern auch auf der historischen und imposanten Stadtmauer Bergamos. Fünf von uns entpuppten sich als faul und nahmen die Seilbahn, während ich mit Pete und Ole die rund 100 Höhenmeter zur Oberstadt per pedes überwand. Nach ein bißchen Anstrengung schmeckte das Bier oben natürlich nicht schlechter. Neben den italienischen Brauspezialitäten genossen wir außerdem den fantastischen Ausblick, sowie am späten Nachmittag den Sonnenuntergang über den Dächern Bergamos.

Nostro Quartiere

Als es kurz vor 17 Uhr dunkel geworden war, marschierten wir weiter zum The Tucans Pub, wo wir uns ein paar Pints à 5,50 € gönnten. Nicht ganz günstig, aber für die Gegend normal und der Pub in dem alten Gemäuer war urgemütlich. Dennoch wollten ein paar von uns sparsamer unterwegs sein und Olberts bergamaskische Lovoo-Kontakte hatten ihm ein paar Kneipentipps für die Unterstadt gegeben, wovon ihm die Euro Brasserie am attraktivsten klang. Mit Fat Lo, Pumba und Milano machte er sich wieder auf zur Seilbahn, die nur wenige Meter von Tucans Pub entfernt war. Glatto, Johnny, Ole und ich dagegen wollten noch weiter das Altstadtflair genießen. Nachts durch die mittelalterlichen Gassen der Città Alta zu ziehen, hat einfach was.

La Città Alta

Unser nächstes Ziel war der Fly Pub, der für 9 bis 10 € diverse lokale Craftbeer in Maßkrügen servierte (inklusive Probierschlücken à 5 cl vorweg) und musikalisch zu unserer Freude u. a. mit Joy Division, The Stone Roses und The Farm aufwartete. Zwei Maß später (einmal das belgisch inspirierte Blonde und einmal das rotblonde Ale namens Francy) wurde unser Pub Crawl im von vielen Seiten empfohlenen Pub dell’Angelo fortgesetzt. Der hatte eine breite Auswahl an internationalen und nationalen Bieren und hielt das Preisniveau der beiden Bars zuvor. Allerdings wurde hier reichlich Popcorn zu den Bieren gereicht und das Personal war ziemlich locker drauf. Hier blieben wir schließlich viel länger als geplant und verpassten dadurch die abgesprochene Wiedervereinigung mit den anderen in der Euro Brasserie.

Spaß nach Maß

Jene Bar war nämlich das nächste Ziel und die anderen leider schon weg, als wir dort spätabends auftauchten. Hier war das Publikum recht jung, aber die mutmaßliche günstige Bar war es trotzdem nicht. Vielleicht auch der Grund warum unsere Kumpels irgendwann ihren Umtrunk ins Appartement verlegten. Zu meiner Überraschung gab es in der Euro Brasserie das leckere Bombardier Ale aus England, aber der Zapfer im DDR-Retrotrikot zapfte jenes so langsam und schaumig, dass wir unser nächstes Bier lieber im nahen Ritual Pub bestellten.

Bier von Bombardier

Dieser Pub war noch voller als die Euro Brasserie und wir hatten Glück, dass uns Einheimische an ihren Tisch baten, als wir da etwas verloren im Gedränge standen. Die sprachen gutes Englisch und waren zwar keine ganz großen Fußballfans, aber hielten uns gleich für Frankfurter, als wir sagten, dass wir Morgen zu Atalanta wollen. Da sieht man, dass die Freundschaft der Ultras von Atalanta und Eintracht Frankfurt sehr etabliert ist. Nach zwei Runden Harp Lager für je 5 € pro Pint hatten wir auch endlich die nötige Bettschwere, um zum 200 Meter entfernten Appartement aufzubrechen.

Ritual Pub

Am Sonntagvormittag knallte die Sonne wieder in die Schlafzimmer und an der frischen Luft waren die leichten Nachwirkungen des urlaubstypischen erhöhten Alkoholkonsums zum Glück schnell verflogen. Schon der Marsch zum Stadion versprühte viel italienisches Fussballflair. Etliche Rollerfahrer in Atalanta-Parkas rollten Richtung Stadion und je näher wir dem 1928 eröffneten Stadio Atleti Azzuri d’Italia kamen, desto größer wurden die Mobs, die zu erspähen waren. Viele Stadionbesucher in Szeneklamotten waren schon ergraut und der blaue Parka im Camouflage Look das beliebteste Kleidungsstück am heutigen Matchday.

Spaziergang zum Ground

Wir hatten Sitzplätze im Oberrang der Gegengerade (32 € inklusive Gebühren und vor Reiseantritt online gebucht). Die waren ideal. Links von uns in der Südkurve standen erst die kleineren Ultragruppen Bergamos und ein paar Meter weiter die Gästefans aus Napoli, die erfreulicherweise zahlreich (ca. 800) angereist waren. Die prallgefüllte Curva Nord (und das schöne Bergpanorama im Hintergrund) hatten wir von hier natürlich ebenso bestens im Blick. Diese Curva wird gemeinhin zu den besten Italiens gezählt. Früher wurde sie von politisch teilweise links stehenden und legendären Gruppen wie den Nomadi, Wild Kaos bzw. der ersten Ultràgruppe Brigate Neroazzure von 1976 dominiert. 1998 schließlich formte Claudio Bocia Galimberti, die Überfigur der bergamaskischen Szene, die „neue“ Curva Nord (auch als dell’Atalanta Supporters bekannt), die alle Gruppen unter einem Dach vereinen sollte.

Curva Nord

Die neue Kurve trat weniger offen linkspolitisch auf. Eine Minderheit der Kurve wollte den Weg der Entpolitisierung allerdings nicht mitgehen sammelte sich unter dem Namen Forever Atalanta in der Südkurve neben dem Gästesektor. Sie unterhalten Kontakte zu den Freaks Brothers aus Terni (Ternana Calcio), die ebenfalls eine explizit linke Gruppe sind und heute auch mit einer kleinen Abordnung anwesend waren. Inneritalienisch ist das Bergamos einzige richtige Fanfreundschaft, ansonsten hasst man eigentlich alle anderen Clubs. Allen voran Brescia (eine historische Städterivalität mit Wurzeln im Mittelalter), die beiden großen Mailänder Clubs und dann kommt überraschenderweise schon Napoli, was für heute stimmungsmäßig natürlich gute Voraussetzungen waren. Das Stadion sah auch gut gefüllt aus, obwohl angeblich nur 15.000 Zuschauer ein Ticket erstanden hatten (bei einer Gesamtkapazität von 26.500 Plätzen).

Curva Sud

Doch die Szene hatte harte Jahre hinter sich. Der bereits erwähnte Bocia war dieses Jahr zu einer Haftstrafe verurteilt worden und viele weitere Stadionverbote wurden in den letzten Jahren verhängt. Es gab Stimmungsboykotte und massig Zündstoff in Bergamo. Die Kurve war nicht mehr der Hexenkessel von einst. Immer noch gut, aber es fehlen anscheinend aktuell Gruppen und Köpfe, die das Zepter in der Kurve sichtbar schwingen. Ein großes Intro gab es daher leider nicht in der Curva Nord. Dafür wenigstens ein Spruchband auf dem frei übersetzt stand „Du bist ein Geschenk und immer in unseren Köpfen“ und ein bisschen Konfetti. Anders dagegen das Bild in der Südkurve. Napolis Fans hatten zwar auch kein besonderes Intro, aber neben dem Gästeblock zog Forever Atalanta schwarze und blaue Stoffbahnen über den Sektor und auch in unserem Sitzplatzbereich war plötzlich eine Blockfahne über unseren Köpfen.

Blockfahne in unserem Block

Als die wieder verschwunden war, rollte der Ball und Atalanta (aktuell 6.Platz) machte gegen den Tabellendritten erstmal Dampf. Die Offensive der Bergamaschi, die heute aus drei Argentiniern bestand, war nicht schlecht. Allen voran der 10er Alejandro Gomez. Die ersten 15 Minuten hatte Pepe Reina im Kasten der Neapolitaner daher gut zu tun und dann flachte die Partie leider bis zur Pause ab.

Kleines Rauchzeichen der Gäste

Nach dem Seitenwechsel nahm das Spiel erfreulicherweise wieder an Fahrt auf. In der 52.Minute soll ein Bergamaschi den Ball per Hand im Strafraum gespielt haben, was wir nicht genau erkennen konnten. Dafür konnten wir auf unseren Plätzen auf Höhe der Torauslinie genau sehen, dass der Elfmeter von Hamsik, den er unter die Latte knallte, in vollem Umfang über die Linie war. Sah das Schiedsrichtergespann genauso und es stand somit 1:0 für die SSC Napoli. Die passende Antwort gab Bergamos Gomez, der nur zwei Minuten später mit einem schönen Schuss in die Torecke ausglich. Das wiederum ließ Napolis argentinischer Teilnehmer der Offensivabteilung, Superstar Gonzalo Higuain, nicht lange so stehen und köpfte eine Flanke von Jorginho in der 62.Minute zum 2:1 für die Gäste ein.

Bissel Unruhe in der Südkurve

Besonders schön nach allen drei Toren war das Ausrasten der Fans in der Südkurve. Jedes Tor verleitete die Fangruppen beider Mannschaften zum Austausch von noch mehr Nettigkeiten als eh schon. Und hier und da dampfte etwas Rauch. Als schließlich in der 85.Minute die Abseitsfalle von Atalanta mal nicht funktionierte und Hamsik Higuain mit einem tollen Steilpass auf die Reise schickte, machte der Argentinier sein 16.Saisontor und damit war das Spiel im Prinzip entschieden. Atalanta kam nicht mehr zurück, obwohl Napoli bereits seit der 73.Minute in Unterzahl spielen musste (Jorginho schaffte es sich zwei dumme Gelbe binnen drei Minuten abzuholen).

Das schöne Panorama hinter der Nordkurve

Stattdessen glich sich in der 90+1.Minute die Anzahl der Feldspieler noch aus und die Società Sportiva Calcio aus Napoli hatte die große Chance auf 4:1 zu erhöhen (Notbremse im Strafraum). Aber dieses Mal ballerte Marek Hamsik den Strafstoß über die Latte. Die Neapolitaner bekamen nun eine Blocksperre und wir verließen hungrig (das Stadioncatering sagte uns nicht so zu) und zügig das Stadion. Im Pulk mit Tausenden Bergamaschi spazierten in Richtung einer Trattoria, die uns auf dem Hinweg ins Auge fiel. Die hatte um 17:30 Uhr noch geschlossen und so musste ein überraschend leckerer Döner vom türkischen Grillimbiss die Mägen des Mobs füllen. Unser Alkoholbeauftragter Olbert nutzte inzwischen die Zeit für weitere Schnaps- und Bierkäufe im Supermarkt gegenüber, während die ganz Hungrigen nochmal drei Euro in eine zweite Dönertasche investierten.

Abendstimmung

Auf dem weiteren Weg zur Innenstadt fuhren anschließend noch die Busse der Neapolitaner in Begleitung von ganz viel Blaulicht an uns vorbei. Dass es hier einen fröhlichen Austausch mit international geächteten Handzeichen zwischen Businsassen und Passanten gab, versteht sich ja fast von selbst. Unsere kleine Gruppe ging unbeirrt ihres Weges und in den Appartements wurde die meine Bude erstmal zum Chillen genutzt, während bei Olbert und Co schon wieder Halligalli war. Es war nach dem Vorabend und den Strapazen des heutigen Tages nicht leicht sich zum Einstieg in das bunte Treiben dort drüben zu motivieren. Aber Weihnachtstour ist bekanntlich nur einmal im Jahr und allein schon, weil wir uns am Vorabend bereits gesplittet hatten, war es ein Muss nochmal die Donnerbüchsen klingen zu lassen.

Diverse Biere

Ziel war es keine Dose mit Inhalt zurückzulassen und das gelang auch fast. Im Umkehrschluss konnte man natürlich nicht von einer Nachtruhe sprechen, als wir gegen 4:30 Uhr mangels Alternativen mit dem Taxi zum Flughafen aufbrachen. Da halfen auch nicht Milano Petes superstarke Espressi; die Augen fielen am Flughafen beim Warten dauernd zu und in der Maschine gab es nochmal eine Mütze Schlaf. Im Halbschlaf wandelte ich anschließend am Flughafen Köln-Bonn mit den Jungs zum Taxistand. Denn da unsere Quer-durchs-Land-Tickets der DB erst ab 9 Uhr gültig waren, entschieden wir uns dem Großraumtaxi zum Kölner Hbf zu fahren (waren 5 € pro Person) und dort zu frühstücken.

Frühstück in Köln

Viel (mit warmer Küche) hatte noch nicht geöffnet, aber ein Imbiss servierte bereits um 8 Uhr Bratwurst mit Baked Beans und Pommes. Genau das Richtige, um sich wieder mit der Welt anfreunden zu können. Danach bestiegen wir einen RE von National Express nach Hamm. Es scheinen bundesweit so einige Strecken neu ausgeschrieben worden sein. Denn diese Linie wurde bis vor kurzem noch von der DB Regio bedient. Dazu verkehrt u. a. zwischen BI und BS fortan die Westfalenbahn und zwischen H und WOB der Enno). Ist auf jeden Fall bunter auf Deutschlands Schienen geworden und National Express bekam Pluspunkte für Steckdosen an den Sitzplätzen. Denn dank wieder aufgeladenem Mobiltelefon konnte die Fahrt halbwegs sinnvoll überbrückt werden. Es tat sich bekanntlich inzwischen so einiges bei Hannover 96. Trainer Frontzeck hatte seinen Rücktritt verkündet, dessen Umstände die Diskussionen in den Fanforen füllten.

„La Banda di Birra“ in Bergamo

Und natürlich wurde schon mal der zäh endete Trip resümiert. Der zweite Besuch Bergamos war auch wieder ein voller Erfolg für alle Beteiligten. Hatte sich gelohnt die Drohung aus dem vergangenen März wahr zu machen und die Stadt nochmals zu beehren. Da ihr Flughafen weiterhin von preiswerten Airlines angeflogen wird und es noch ein paar interessante Städte und Stadien in der Umgebung gibt (z. B. Brescia, Novara, Como oder gar Lugano), wird die Stadt mich wohl noch öfter sehen. Vielleicht das nächste Mal wirklich endlich mal im Sommer.

Song of the Tour: Dank der Hinreise darf endlich mal David Hasselhoff verlinken.