Halberstadt 06/2023

  • 03.06.2023
  • FC Einheit Wernigerode – Hallescher FC 0:1
  • Sachsen-Anhalt-Pokal (Final)
  • Friedensstadion (Att: 2.714)

Am Finaltag der Amateure war mein Favorit eigentlich das sächsische Pokalendspiel zwischen dem 1.FC Lokomotive und dem Chemnitzer FC in Leipzig. Allerdings war am Austragungsort zugleich der Tag X und die Gefahr, dass einem die Polizei durch umfassende Maßnahmen zur „Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit“ den Ausflug versaut, empfand ich als hoch. Wenn es nach den Behörden gegangen wäre, hätte das Spiel auch aus Sicherheitsgründen verlegt werden müssen. Aber der sächsische Verband und die Vereine sträubten sich. Stattdessen wurde die in Leipzig angemeldete Solidaritätsdemo für Lina E. („United we stand – Trotz alledem, autonomen Antifaschismus verteidigen!“) erwartungsgemäß verboten. Aber jenes Demoverbot würde natürlich null am geplanten Großeinsatz der Polizei ändern und möglicherweise wäre ich bereits auf der Anreise ins von der Bundespolizei definierte Raster der verdächtigen Personen gefallen?

„Laut Bundespolizei sind linke Personen an folgenden Merkmalen bzw. Aussehen zu erkennen: Alternatives Auftreten bzw. Aussehen, evtl. mit Dreadlocks, links orientiert, besonders häufig auch Studenten, Personen, die der ‚Öko-Szene‘, ‚Grünen-Szene‘ oder Generation-Z zuzuordnen sind.“

Wie ein privates Eisenbahnunternehmen ein Hilfsersuchen der Bundespolizei an seine Mitarbeiter kommuniziert…

Ich sehnte mich nach einem friedlicheren Ort und da fiel mir buchstäblich das Friedensstadion zu Halberstadt ins Auge. Dort sollte am Finaltag der Amateure das zwischen Sachsen und Niedersachsen gelegenen Bundesland sein Landespokalfinale austragen und in jenem standen sich um 12:15 Uhr der FC Einheit Wernigerode (5.Liga) und der Hallesche FC (3.Liga) gegenüber. Halberstadt ist nicht mal zwei Zugstunden von Hildesheim entfernt und dank Deutschlandticket kostete mich die Anreise quasi nichts. Nun bastelte ich mir ein schönes Tagesprogramm um das Fußballspiel herum, welches eine Ankunft um 8:55 Uhr am Austragungsort erforderte. Doch leider fiel der entsprechende Zug von Goslar nach Halberstadt aus. Der Zug eine Stunde später kam obendrein nicht planmäßig um 9:55 Uhr, sondern mit 13,12 Minuten Verspätung am Zielbahnhof an. Dadurch verpasste ich die Tram um 10:06 Uhr, die mich binnen 12 Minuten in die Klusberge transportieren sollte.

Die Teufelskanzel von unten

Dort wollte ich vor’m Spiel eigentlich eine rund 10 km lange Wanderung absolvieren, die ich auf der Anreise bereits notgedrungen auf 5 km halbiert hatte. Hätte ich nun auf die nächste ÖPNV-Verbindung gewartet oder wäre die 4,5 km zum Startpunkt zu Fuß gegangen, wäre gar keine Zeit mehr zum Wandern geblieben. Also habe ich am Bahnhof einen Taxler von seiner Kaffeetasse weggeholt und dieser war sogar so freundlich sein Taxameter bei 16,10 € auszuschalten, als wir am zwangsläufig zu passierenden Friedensstadion in einen von der Polizei verursachten Stau fuhren. Gemäß Tariftabelle (3,80 € Startpreis und je 3,20 € pro Kilometer) wären wir so oder so bei über 18 € gelandet, von daher bekam er am 10:40 Uhr erreichten Ziel wenigstens noch 1,90 € Trinkgeld.

Der Klusfelsen von der Teufelskanzel betrachtet

Wie jemand aus der Generation Z wie zügig startete ich nun am Fuße der Klusberge meine kleine Runde. Via Nordhangweg erklomm ich zunächst die so genannte Teufelskanzel. Von dort hatte ich schon mal einen tollen Ausblick auf den Klusfelsen und den Fünfingerfelsen. Zwei bizarre Sandsteinfelsformationen, die in vorchristlicher Zeit wahrscheinlich als heidnische Kultstätten dienten. Beide Felsen sollte ich mir auf meiner Route alsbald aus der Nähe anschauen und auch ein bisschen auf ihnen herumklettern. Am Klusfelsen beeindruckten dann besonders die von Menschenhand in den Sandstein gearbeiteten Hohlräume, die früher angeblich Schäfern Schutz vor Unwettern boten (früher waren die Klusberge unbewaldet) und im Mittelalter außerdem von Mönchen als Einsiedelei bewohnt waren.

Der Fünffingerfelsen

Nach gut 3 km Rundweg war ich um 11:30 Uhr schließlich wieder dort, wo mich der Taxler abgesetzt hatte. In der Ursprungsplanung wären nun die benachbarten Spiegelsberge ebenfalls wandertechnisch fällig gewesen. Aber wie eingangs erwähnt, hatte die Bahn morgens nicht mitgespielt und nun drängte die Zeit. Mal wieder dem strengen Diktat von König Fußball unterworfen, ging es also auf kürzestem Wege zum nahen Friedensstadion, wo meine insgesamt 5,03 km lange Wanderung um 11:51 Uhr endete.

Klettern auf dem Klusfelsen

Praktischerweise kam ich aus meiner Richtung direkt vorne am Stadiontor an und wie so’n dreister Wessi reihte mich nicht am über 100 Meter entfernten Ende der Warteschlange ein, sondern huschte gleich von der Seite durch. Belohnt wurde diese mir durch die Sozialisation im Kapitalismus innewohnende Ellbogenmentalität auch noch mit einer Stehplatzkarte zum Schnäppchenpreis von 10 €. Eigentlich gab es nur noch Sitzplätze für 25 €, aber ein netter Schlachtenbummler aus Wernigerode hatte noch einen Steher zum Freundschaftspreis übrig (kosteten eigentlich auch 12 €).

Im Hintergrund grüßt die Stadtsilhouette von Halberstadt

Nun war ich fünf vor zwölf drin und im auf meinem Ticket aufgedruckten Block D bereiteten die Fans aus dem lediglich 25 km entfernten Wernigerode gerade ihre Choreographie vor. Ruckzuck hatte auch ich ein Fähnchen in der Hand und realisierte, dass ich im Block A am anderen Ende der Hauptgerade wahrscheinlich besser aufgehoben bin. Zumal in Block D der ein oder andere Typ dabei war, der sonst seine Stimmbänder oder auch seine Schlagkraft der Fanszene des 1.FC Magdeburg zur Verfügung stellt. Diese Gemengelage sorgte sowieso für eine besondere Brisanz bei diesem Endspiel, da die Hallenser bekanntlich eine innige Feindschaft mit den Magdeburgern verbindet.

Von der Wernigeröder Choreographie bekam ich wenig zu sehen

Jene Hallenser arrangierten auf der Gegengerade ebenfalls eine Choreographie, die ich im Gegensatz zum Wernigeröder Machwerk auch vernünftig wahrnehmen konnte. Denn das Friedensstadion ließ seine heute insgesamt 2.741 Zuschauer (darunter 1.312 Hallenser) lediglich auf den Geraden Platz nehmen, da nur diese über richtigen Ausbau verfügen (die Stehwälle in den Kurven sind mittlerweile renaturiert). Erst auf Fotos sah ich später, dass die Harzer außer Folienfahnen in rot und weiß auch ein Vereinswappen und eine lange Banderole mit dem Motto „Man ruft es über Stadt und Land: Der Pokal gehört in Einheit Hand !!!“ präsentiert hatten. Für einen überregional eher unbekannten Fünftligisten sah das top aus. Aber wie gesagt, da haben viele ihr eigentliches Habitat in der Fankurve des 1.FCM und konnten heute ihr entsprechendes Knowhow beim Lokalverein einbringen.

Choreo im Halle-Sektor

Gegenüber war das Bild noch imposanter. Die HFC-Szene hatte großflächig „Titelträger“ auf ein Banner gepinselt und im Zentrum dieser Textilie ragte sprichwörtlich die heute im Fokus der sportlichen Bemühungen stehende Trophäe heraus. Dazu wurden Luftschlagen und Rauchsäulen gen Himmel gejagt. Ferner prangten auf neun Doppelhaltern die Jahreszahlen der bisherigen neun Landespokalsiege und auf einem zehnten Doppelhalter war selbstsicher schon mal die Jahreszahl 2023 aufgetragen worden. Dreist! Doch so wie meine Dreistigkeit am Eingangstor belohnt wurde, sollte anscheinend auch diese arrogante Siegesgewissheit der halleschen Fans nicht bestraft werden. Bereits in der 2.Spielminute ließ Halles Sturmspitze Erich Berko die Verteidigung der Harzer alt wie einen besonders aromatischen Käse aussehen. Er setzte sich in des Gegners Strafraum gegen drei FCE-Verteidiger durch und versenkte das Leder im linken Toreck.

Nach dem frühen 0:1 fühlten sich die Gäste dem Pokal bereits zum Greifen nah

Ich rechnete nun damit, dass der Drittligist einen ungefährdeten Sieg einfahren würde. Aber gute Prognosen gebe ich immer nur ab, wenn es um Geld geht und daher überraschte mich die Mannschaft des FC Einheit. Bereits 96 Sekunden nach dem frühen Nackenschlag musste das Aluminium die Hallenser vor dem postwendenden Ausgleich retten. In der 10.Minute wiederum kassierte die Fahne des Linienrichters das vermeintliche 1:1 (Abseits). Fast die gesamte 1.Halbzeit stellte der FCE tendenziell das aktivere und torgefährlichere Team. Von einem Klassenunterschied war jedenfalls wenig zu sehen und so blieben auch die rund 500 FCE-Fans in Block D enthusiastisch und wollten ihren verbalen Anteil an einer neuerlichen Pokalsensation haben. Denn im Vorjahr hatte ihr FC Einheit am Wernigeröder Mannsberg die Profis vom HFC im Halbfinale aus dem Wettbewerb gekegelt (2:1) und sich dadurch obendrein erstmals für den DFB-Pokal qualifiziert (Finalgegner 1.FC Magdeburg war durch den Aufstieg in die 2.Bundesliga bereits für den DFB-Pokal gesetzt).

Der Liedvortrag wird mit Leuchtfeuern untermalt

Gleichwohl ließ der HFC hin und wieder doch seine Klasse aufblitzen und in der 36.Minute hielt nur eine starke Fußabwehr vom routinierten Tormann André „Bärchen“ Helmstedt die Brockenkinder im Spiel. Mit zunehmender Spieldauer hatte ich außerdem das Gefühl, dass bei den echten Amateuren so langsam die Kräfte schwanden. Insbesondere bei den Abschlüssen fehlte es nun an Kraft und Präzision. Die Profis aus der 3.Liga verpassten allerdings den Sack frühzeitig zuzumachen und ließen das Publikum lediglich mit einem Pfostenschuss in der 68.Minute aufhorchen. Da bot ihre Anhängerschaft definitiv den sehenswerteren Auftritt, bei dem ab Mitte der 2.Halbzeit auch immer mal wieder ein paar Fackeln entzündet wurden.

Der Pokalsieg wird zunächst im Block zelebriert

Entscheidend war am Ende wohl, dass zumindest in der Defensive die höherklassige Qualität beim Halleschen FC sichtbar war und auch die mit frischen Kräften gestartete Schlussoffensive des Underdogs relativ souverän vom eigenen Tor ferngehalten wurde. Lediglich ein-, zweimal segelte der Ball in den letzten Minuten nochmal halbwegs gefährlich durch den HFC-Strafraum, ehe der für den Favoriten erlösende Schlusspfiff ertönte. Kurz nach dem Klassenerhalt in der 3.Liga wurde mit dem Pokalsieg (und der damit verbundenen Teilnahme am DFB-Pokal) also auch das zweite Saisonziel erreicht.

Ach du Heilig’s Dachblechle

Das entfachte trotz der wenig erbaulichen Darbietung große Feierlaune im HFC-Lager. Der Fanblock präsentierte nun ein Pokalsieger-Banner, welches mit etlichen Signalfackeln garniert wurde. Derweil fluteten hunderte Fans aus der Saalestadt den Rasen und ein Teil nahm sofort Block D ins Visier. Eine hastig aufgestellte Polizeikette hielt die Hallenser jedoch auf Distanz. Wobei ein mutmaßlicher Magdeburger sich durch die Reihen wieselte und tatsächlich wagemutig den Infight mit ein paar Hallensern suchte. Aus den Blöcken rechts und links der Haupttribüne ertönten nun „Alle gegen Halle“-Schlachtrufe und auch die HFC-Fans ließen verbale Provokationen vom Stapel.

Die Hallenser bauen sich vor den Wernigerödern auf

Als es wenig später zur Siegerehrung vor der Haupttribüne kam, gingen weitere Scharmützel auf der Tartanbahn hinter dem Tor los, da die Polizei einfach nicht in der Lage war die rivalisierender Fanlager vernünftig zu trennen. Wahrscheinlich waren alle kognitiv halbwegs brauchbaren Gruppen- und Zugführer heute in Leipzig im Einsatz und so wusste die Truppe in Halberstadt sich nur mit Reizstoffsprüherei aus der Nahdistanz zu helfen, um Durchbrüche durch ihre löchrigen Kordons zu verhindern.

Tartan Army…

Nachdem sich die Tumulte gelegt hatten und das Gros der Hallenser so langsam die Heimreise antrat, spazierte ich gemütlich in die Halberstädter Altstadt. Die soll sich 1990 baulich in einem fürchterlichen Zustand befunden haben, aber über 30 Jahre nach der Wende kann man wieder durch wunderschöne Straßenzüge mit sanierter Fachwerkbebauung schlendern. Rosenwinkel (siehe Titelbild), Westenhof, Steinhof, Grauer Hof, Grudenberg oder Bakenstraße seien da mal exemplarisch genannt.

Das Kloster St. Burchardi (11.Jahrhundert)

Dazu hat die Altstadt zahlreiche im wahrsten Sinne des Wortes herausragende mittelalterliche Kirchen zu bieten. Allen voran natürlich der Halberstädter Dom St. Stephanus und St. Sixtus, dessen Ursprung auch zum Beginn der aufgezeichneten Stadtgeschichte führt. Wie in den nahen Großstädten Halle (Vgl. Halle 05/2023) und Magdeburg (Vgl. Magdeburg 02/2020) geht die Stadtgründung auf die fränkische Ost-Expansion im späten 8.Jahrhundert zurück. Um das Jahr 800 wurde hier ein fränkischer Missionsstützpunkt zur Christianisierung der unterworfenen sächsischen Stämme im Harzgau errichtet.

Die romanische Liebfrauenkirche (12.Jahrhundert)

Bereits wenige Jahre später dürfte Karl der Große das Bistum Halberstadt gestiftet haben, dessen Gebiet sich von der Oker bis zur Elbe und Saale erstreckte. Für das Jahr 859 ist dann die Weihe eines ersten karolingischen Doms belegt, dessen 1236 begonnener und 1491 geweihter gotischer Nachfolgebau bis heute die Stadtsilhouette prägt. Auf dem Hochplateau um den Dom herum entstand außerdem bereits im Frühmittelalter eine rund 600 m lange und 150 m breite Domburg, an deren Fuße sich Handwerker und Kaufleute ansiedelten.

Der Dom St. Stephanus und St. Sixtus

968 verlor das Bistum Halberstadt zwar einen großen Teil seines Territoriums an das vom ostfränkischen König Otto I. (Otto der Große) gestiftete Erzbistum Magdeburg, aber zumindest im Nordharz blieb der Halberstädter Bischof ein mächtiger Mann und war im Hochstift Halberstadt noch bis 1648 als Fürstbischof zugleich der weltliche Herrscher. Außerdem bekam der Bischof 989 von König Otto III. für Halberstadt das Markt-, Münz-, Zoll- und Bannrecht verliehen, was das städtische Wachstum in den folgenden Jahrzehnten anstieß. Die sich immer weiter ausdehnende zivile Stadt wurde schließlich im frühen 13.Jahrhundert mit einer 5 m hohen und 4 km langen Mauer eingefriedet.

Der Halberstädter Roland

Den Bürgern der Stadt gelang es sich mit der Zeit weitgehend von der bischöflichen Herrschaft zu emanzipieren und der 1433 am Rathaus errichtete steinerne Roland ist Symbolfigur für die städtischen Rechte und Freiheiten im Spätmittelalter. Jene Bürgerschaft sympathisierte ab 1521 auch mit der Reformation und erwarb 1540 gegen eine Zahlung von 200.000 Gulden an den Bischof die Religionsfreiheit. Am Ende des Dreißigjährigen Kriegs (1618 – 1648) wurde das Bistum Halberstadt schließlich säkularisiert und sein weltliches Territorium als Fürstentum Halberstadt mit dem Kurfürstentum Brandenburg vereinigt.

Die zwischen 1591 und 1611 erbaute Dompropstei

Im Kurfürstentum Brandenburg (bzw. ab 1701 im Königreich Preußen) begünstigte die relative religiöse Toleranz nun zum einem die Ansiedlung von französischen Religionsflüchtlingen (Hugenotten) in Halberstadt, welche vor Ort ab 1685 eine kleine Textilindustrie aufbauten und die 1712 geweihte Franzosenkirche errichteten. Zum anderen wuchs die hiesige jüdische Gemeinde im 18.Jahrhundert enorm. Ebenfalls 1712 wurde daher eine große barocke Synagoge in Halberstadt eröffnet und zugleich ein Rabbinerseminar eingerichtet. Circa 10 % der Stadtbevölkerung waren damals Juden, was Halberstadt zu einem Zentrum jüdischen Lebens in Mitteldeutschland machte.

Im Inneren der zwischen 1646 und 1648 errichteten Fachwerkkirche St. Johannis

Bereits 1843 erhielt Halberstadt Anschluss an das Eisenbahnnetz und wie vielerorts begünstigte das die Industrialisierung. Die damals 16 Handschuhfabriken (Erbe der Hugenotten) und fünf Zigarrenfabriken konnten nun neue Absatzmärkte erschließen. 1868 wurde obendrein ein neuer Bahnhof eröffnet und diesem eine königlich-preußische Eisenbahnwerkstatt angeschlossen (das spätere Reichsbahnausbesserungswerk Halberstadt). Besonders für Halberstadts überregionale Bekanntheit sorgte ferner die 1883 gegründete Wurstfabrik Heine & Co. Diese bot ab 1896 als weltweit erstes Unternehmen Brühwürste in Konservendosen an. Die 1912 in Halberstadt angesiedelten Deutschen Bristol-Werke machten Halberstadt wiederum zu einem wichtigen Standort der aufstrebenden Luftfahrtindustrie.

Pittoreskes Fachwerk im Westen der Altstadt

Aus den Bristol-Werken ging zur Zeit des Nationalsozialismus das Halberstädter Zweigwerk der Junkers Flugzeug- und Motorenwerke hervor, welches Tragflächen für deutsche Bomber produzierte. Als Rüstungsstandort (und zugleich Luftwaffenstützpunkt) stand Halberstadt im Zweiten Weltkrieg (1939 – 1945) natürlich im Fokus alliierter Luftangriffe. Zunächst galten die Luftangriffe zuvorderst den militärischen Zielen, wenngleich Wohngebiete in Mitleidenschaft gezogen wurden und erste Zivilisten den Tod fanden. Bei Flächenbombardements am 7. und 8.April 1945 wurde jedoch bewusst die Altstadt ausradiert. Über 80 % der rund 700 teilweise architektonisch sehr wertvollen Fachwerkhäuser wurde zerstört und schätzungsweise 1.500 Menschenleben waren zu beklagen.

Die Alte Post (1897 eröffnet)

Drei Tage nach dem Fanal marschierten us-amerikanische Bodentruppen in Halberstadt ein und vier Wochen später war der Krieg endgültig vorbei. Es brachen über vier Jahrzehnte Sozialismus an und zu DDR-Zeiten lag den Behörden wenig am Erhalt der noch verbliebenen historischen Bausubtanz. Die Trümmer der Totalverluste wurden wiederum abgetragen und Zweckbauten nach sozialistischen Bauvorgaben sollten die Lücken schließen. Wie bereits erwähnt, kam es erst ab 1990 zu einer großflächigen Sanierung der erhaltenen Vorkriegsbebauung. Zwar kann man dem Besucher kein so geschlossenes historisches Bild wie die Nachbarstädte Wernigerode (Vgl. Wernigerode 09/2020) oder Quedlinburg (Vgl. Quedlinburg 10/2020) bieten, aber schöne Ecke hat auch Halberstadt allemal.

Überrest der 1938 von den Nazis zerstörten Synagoge

Außerdem sollte sich kein kunstsinniger Tourist den Halberstädter Domschatz entgehen lassen. Dieser gilt als einer der wertvollsten und reichhaltigsten in ganz Europa. Da das Museum nur bis 17 Uhr geöffnet hatte, sparte ich mir den allerdings für einen weiteren Besuch der Stadt auf. Stattdessen musste am Nachmittag endlich mal etwas Nahrung in den Körper und dazu suchte ich das ebenfalls nur bis 17 Uhr geöffnete Restaurant & Café Hirsch auf. Angrenzend an die letzten Ruinenreste der 1938 von den Nazis während der Reichspogromnacht zerstörten Synagoge, werden den Gästen dort süße wie auch herzhafte jüdische Spezialitäten geboten.

Blintsches im Café Hirsch

Ich entschied mich zunächst für Blintsches (Buchweizenpfannkuchen) mit deftiger Pilzfüllung und saurer Sahne (9,90 €) und eine Rhabarberschorle (3,90 €). Weil der heutige Kalorienverbrauch hoch und der Hunger entsprechend groß war, warf ich anschließend noch einen Blick in die Kuchenvitrine und ließ mir weiters ein Stück Schokokuchen (3,80 €) servieren.

Eine der zum heutigen Jubiläum eingesetzten Museumsbahnen

Nachdem die schönsten Straßenzüge der Altstadt und die wichtigsten Kirchen bereits vor meiner Gastropause abgearbeitet waren, widmete ich mich vor der abendlichen Abreise noch dem Kloster St. Burchardi (11.Jahrhundert) und dem teilrekonstruierten historischen Rathaus mit dem bereits erwähnten Roland. Von dort ging es dann um 17:37 Uhr per Tram – die übrigens dieses Wochenende ihren 120.Geburtstag feierte und mit historischen Sonderwagen die Nerds aus der Spotterszene angelockt hatte – zurück zum Hauptbahnhof. Es blieb noch Zeit die aktuelle Erlebnis Fussball und ein mitteldeutsches Erfrischungsgetränk in der Bahnhofsbuchhandlung zu erstehen, ehe 18:04 Uhr via Goslar die Heimreise nach Hildesheim angetreten wurde.

Song of the Tour: „Du wolltest schon geh’n, doch in diesem Moment hat’s geknallt […] Randale und Liebe, es hat so oft gekracht…“ (singt Halberstadts Sternchen Linda Hesse hier prophetisch über das heutige Sachsen-Anhalt-Pokalfinale?)