Wernigerode 06/2022

  • 11.06.2022
  • Germania Wernigerode – SV Darlingerode/Drübeck 5:0
  • Landesklasse Sachsen-Anhalt, Staffel 4 (VIII)
  • Kunstrasenplatz im Sportforum Kohlgarten (Att: 152)

Trotz all der zurück gewonnenen Reisefreiheit, möchte ich auch weiterhin regelmäßig durch den Harz touren. Dieses magische Mittelgebirge begleitet mich schließlich schon das ganze Leben als Freizeit- und Erholungsort und vor zwei Jahren habe ich bekanntlich das Sammeln der dortigen Wanderstempel begonnen. Davon hatte ich jahrelang abgesehen, weil ich dachte, dass ich bei meinen zwei oder drei Harztouren im Jahr frühestens im Rentenalter Wanderkaiser sein würde. Aber die Pandemie hat die Karten neu gemischt und jetzt könnte das Stempelheft der Harzer Wandernadel in den nächsten Jahren bereits voll werden. Am Ende dieses Jahres will ich wenigstens mit 111 von insgesamt 222 Stempeln das buchstäbliche Bergfest feiern. Für den 11.Juni hatte ich eine Tour mit weiteren fünf Stempelstellen ausgearbeitet und bekam Gesellschaft von Ole, Kim, Max und einem verdammt alten Mann namens Acker.

Wir parkten an diesem Modell des Wernigeröder Rathauses

Dieser Fucking Old Man regte sogleich an die 9 € Tickets daheim zu lassen und uns stattdessen mit seinem so genannten Mogel-Hybrid nach Wernigerode-Hasserode zu fahren. Was natürlich die Flexibilität erhöhte. Klar, ein reinrassiges Elektroauto wäre begrüßenswerter gewesen. Aber weil keiner von uns ’nen Nagel oder gar ’ne Schere im Kopf hat, haben wir unserem freundlichen Fahrer keine Predigt im Stile eines fanatischen Eiferers der Elektromobilität gehalten oder ihn mit Schmähungen überzogen. Wir tauschten uns in den 90 Minuten Fahrzeit von Hildesheim nach Wernigerode lieber ganz sachlich über Mobilität im Angesicht der Klimakrise aus. Dazu wurden sich gegenseitig vegane Lieblingsprodukte empfohlen und die Standardthemen Reisen und Fußball durften ebenfalls nicht fehlen.

Der Ausblick vom Elversstein

In Hasserode parkten wir gegen 9:30 Uhr in einer Straße namens Freiheit und starteten dort unsere 16 km lange Tour. Zu Beginn war ein Anstieg zum Elversstein zu meistern. Die ersten rund 200 Höhenmeter der Tour, die sich auf 2,5 km Wegstrecke verteilten. Auf dem Elversstein wurde nun in 499 Metern ü. NN einer Zuggarnitur der Harzer Schmalspurbahn beim Dampfen zugeschaut und außerdem der erste Stempel der Tour ins Sammelheft gedrückt. Anschließend stiegen wir noch auf 530 Meter ü. NN, ehe es sehr steil ins Thumkuhlental hinunter ging.

Wir überqueren das Drängetalwasser

Die digitale Begleitapplikation Komoot hatte mal wieder einen ganz exquisiten Weg vorgeschlagen, der uns auf 0,75 km über Wurzeln, Stämme und Steine ca. 150 Höhenmeter hinabsteigen ließ. Im Tal ging es über die Bachläufe Drängetalwasser und Braunes Wasser zur Wasserkunst Thumkuhlental. Denn im Thumkuhlental wurde vom Mittelalter bis ins 18.Jahrhundert Bergbau betrieben. Hier im Hasseröder Revier wurden Kobalt, Kupfer, Silber und Blei abgebaut, woran die Wasserkunst mit ihrem großen Wasserrad und ihren Pumpen erinnerte. An dieser montantechnischen Konstruktion befand sich nun auch der zweite Stempelkasten unserer heutigen Tour, sowie eine gute Gelegenheit für eine Rast.

Wasserkunst Thumkuhlental

Fortan ging es auf unserer Route wieder gute 3 km bergauf, wobei bis zum Ottofelsen weitere 270 Höhenmeter überwunden wurden. Leider sehr viel Kahlschlag links und rechts des Weges, aber der Ottofelsen, benannt nach Fürst Otto zu Stolberg-Wernigerode, war dennoch eine imposante Erscheinung. Nachdem der hiesige Stempel im Heft war, wurde der 36 m hohe Felsbrocken über Eisenleitern erklommen. Der Ex-Wald in der Nachbarschaft war von oben zwar nicht weniger trostlos, aber die Fernsicht in Richtung Brocken auf der einen Seite und in Richtung Wernigerode und Harzvorland auf der anderen Seite war top.

Der Ottofelsen

Bald nach dem Ottofelsen erwartete einen der nächste nicht massenkompatible Trampelpfad, der uns auf kürzesten Wege (ca. 1,5 km) hinunter zum Gasthaus Steinerne Renne bringen sollte. Einige Bäume waren auf diesem Pfad von der Vertikale in die Horizontale gewechselt und mussten über- oder unterwunden werden. Der wunderschöne Flecken Erde an der Steinernen Renne entschädigte jedoch prompt für die Müh‘ (siehe Titelbild). Leider wird das 1886 eröffnete Gasthaus gegenwärtig nicht bewirtschaftet, aber der Blick in die Schlucht war wunderschön. Die am Brockenmassiv entspringende Holtemme hat hier in Millionen von Jahren eine bizarre Schlucht aus Granitgestein geformt, in welcher zahlreiche Wasserfälle und Stromschnellen zu bewundern sind.

Ausblick vom Ottofelsen

Mit ein paar weiteren, aber moderaten Höhenmetern ging es als nächstes zu den Renneklippen (auch Wodansklippen genannt). Über einen nicht beschilderten Pfad durch dichten Hochwald und über eine Halde aus Granitblöcken hinweg, kann man das Plateau oberhalb der Renneklippen erreichen. Hier fällt nun eine Felswand steil ins Rennetal ab. Wer Höhenangst hat, guckt lieber nicht hinunter und genießt stattdessen den tollen Fernblick nach Wernigerode mit dem Schloss als besonderem Blickfang. Zwar gibt es hier keinen Stempel zu erbeuten, aber der Spot ist den Aufwand trotzdem wert.

Die Holtemme

Den fünften und letzten Stempel des Tages holten wir uns stattdessen auf dem Rückweg nach Hasserode an der Mönchsbuche (übrigens mein insgesamt 94.Stempel). Hier befindet sich an einer Wegkreuzung ein kleiner Rastplatz, den angeblich schon zwischen den Klöstern Himmelpforte und Ilsenburg verkehrende Mönche im Mittelalter zur Rast nutzen. Da König Fußball rief, war für uns jedoch nicht an eine weitere Pause zu denken. Stattdessen ging es einen extrem steilen Pfad mit bis 24 % Gefälle hinunter nach Hasserode, wo wir pünktlich zum Anpfiff der auserkorenen Partie das Auto erreichten. Jetzt mussten wir noch quer durch die Stadt zum Sportforum Kohlgarten und waren dementsprechend leider erst ab der 20.Spielminute beim letzten Heimspiel der Saison von Germania Wernigerode zugegen.

Hinab nach Hasserode

Der Tabellenführer der Landesklasse (Staffel 4) führte bereits erwartungsgemäß mit 1:0 gegen den Tabellenletzten und wahrscheinlich hatte keiner der Akteure oder der 152 Zaungäste einen Zweifel daran, dass heute der Aufstieg in die Landesliga gefeiert wird. Der Verfolger aus Oschersleben hätte drei Punkte und 11 Tore aufholen müssen. Mit zwei weiteren Toren in der 30. und 45.Minute waren wirklich die allerletzten Zweifel ausgeräumt. Oschersleben führte parallel zwar auch zur Pause, aber nie im Leben würden die Rot-Weißen das noch aus der Hand geben.

Mit dem Pausenpfiff durfte dieser Ehrenamtliche das dritte Mal an der Tafel tätig werden

Der Stadionsprecher kündigte nach dem Seitenwechsel entsprechend auch die letzten 45 Minuten in der Landesklasse an und ein Karton mit Aufstiegsshirts wurde bereits aus dem Funktionstrakt geholt. Man spielt also in Kürze wieder siebtklassig, was seit der Wiedergründung der Germania im Jahre 2002 auch schon zwischen 2005 und 2009 den sportlichen Zenit darstellte. In den 1990er Jahren bot dagegen der Fusionsverein 1.FC Wernigerode – Germania und Einheit hatten zwischenzeitlich die Kräfte gebündelt – viertklassigen Fußball mit “germanischem” Zutun und im DDR-Fußball waren die Kicker vom Kohlgarten als BSG Motor Wernigerode sogar mal drittklassig.

Zu Gast im Sportforum Kohlgarten

Auf der mit ein paar Stehstufen und Sitzgelegenheiten ausgestatteten Sportanlage kontrollierte Germania natürlich auch im zweiten Durchgang das Geschehen. Noch zweimal (67. und 84.Minute) durften die Spieler und ihr skandierungsfreudiger Anhang („Schali-Schala-Germania“) ein Tor bejubeln. Wir schoben dagegen Frust, weil der Grill heute kalt blieb. Ergo schauten wir nach Abpfiff auch nur im Vorbeigehen den feiernden Aufstiegshelden zu und waren bereits zwei Bierduschenlängen später zurück am Auto. Das hatten wir ohne Parkschein auf einem kostenpflichtigen Parkplatz abgestellt, aber in den letzten 1,5 Stunden hatte sehr zu unserer Freude kein Inkassotrupp einen Rundgang gemacht. Acker wollte sogar ein Ticket ziehen, aber wie viele aus seiner Generation überforderte ihn der Automat mit seiner überfrachteten Software. Er kam im Menü einfach nicht bis zur Bezahlfunktion durch.

Die so genannte Red Wall durfte heute mit Mannschaft den Aufstieg in die Landesliga feiern

Das auf dem Parkplatz und an Germanias Grillbude gesparte Geld wurde 96 Minuten später im Hildesheimer Oststadtgrill investiert. Als wir uns an Lahmacun, Pide und Pizza labten, realisierte ich, dass ich Germania am Anfang (Testspiel gegen Stahl Thale im vergangenen Juli) und am Ende ihrer Erfolgssaison gesehen habe. Ich finde neben einer weiteren Wandernadel, habe ich mir damit auch eine Vereinsnadel verdient. Ich bitte die Verantwortlichen von Germania Wernigerode zeitnah auf mich zuzukommen. Ansonsten gehe ich das nächste Mal wieder zu Einheit Wernigerode. Aber Spaß beiseite und viel Erfolg in der Landesliga!

Song of the Tour: Gilt für Berggipfel, die Harzer Wandernadel und die deutsche Ligapyramide gleichermaßen (und obendrein lädt Acker sein Auto wenigstens hin und wieder mit AC oder DC)