Oldenburg & Bremen 06/2022

  • 04.06.2022
  • VfB Oldenburg – BFC Dynamo 1:2
  • Aufstiegsspiele zur 3.Liga (IV)
  • Marschwegstadion (Att: 12.000)

Hip Hip Hurra, endlich ist der Juni da. Denn alles neu macht in diesem Jahr nicht der Mai, sondern der Juni. Am 1.Juni 2022 startete nicht weniger als die Revolution des deutschen ÖPNV. Das 9-Euro-Ticket hatte seinen ersten Geltungstag und schuld an seiner Geburt hatte ausgerechnet das große Herz der FDP für Mineralölkonzerne. Die Partei, die staatliche Eingriffe in den Markt ansonsten für sozialistisches Teufelszeug hält, wollte unbedingt die irre Preistreiberei der letzten Monate belohnen und Milliarden aus der Staatskasse auf die Konten der Konzerne transferieren. Ging nur leider nicht direkt per Überweisung, weshalb man sich einen staatlichen (und stattlichen) Tankrabatt von 35,2 Cent pro Liter Benzin und 16,7 Cent pro Liter Diesel zur Cofinanzierung der Rekordgewinne der Mineralölkonzerne erdachte.

Groundhopper, packt die Frischeiwaffeln ein; so günstig war Hoppen noch nie

Problem war allerdings, dass der grün etikettierte Koalitionspartner mit einer gigantischen Subvention von fossilen Brennstoffen ein nicht minder großes Problem an der Partei- und Wählerbasis bekommen würde. Doch mit einer Beharrlichkeit, die vielleicht sogar jener der prominentesten Klimaaktivisten unserer Zeit das Wasser reichen kann, kämpfte die FDP weiter für die Mineralölkonzerne und deren beste Kunden an der Zapfsäule. Kann man als Kompromiss nicht einfach um das gelbe Geschenkpapier des Tankrabatts eine grüne Schleife binden? In einer langen Verhandlungsnacht sorgte der Bundesminister für Digitales und Verkehr schließlich für den Durchbruch. Volker Wissing (FDP) schlug vor den ÖPNV ebenfalls in gigantischem Maße zu subventionieren. Parallel zum Tankrabatt sollten alle Bundesbürger drei Monate lang für einen symbolischen Preis die Öffis nutzen können. Die Gelben und Grünen reichten nun einander die Hand und die dritte Regierungspartei hob ebenfalls den Daumen. Die SPD scheint bisher eh nicht groß programmatisch in der Regierung mitmischen zu wollen. Hauptsache Kanzlerpartei…

Deutsche Kleinstaaterei im 18.Jahrhundert [ © ziegelbrenner / CC BY-SA 3.0 ]

Sogleich wurde dem Volk die Vision vom 9-Euro-Ticket verkündet und die Bahn und die Verkehrsverbünde mehr oder weniger damit überrumpelt. Alle Bedenken wurden wegmoderiert und die Bundesbürger durften tatsächlich im Juni, Juli und August für 9 € pro Monat bundesweit den Nahverkehr nutzen. Abokunden des ÖPNV werden entsprechend von ihrem Vertragspartner in jenen Monaten nur mit 9 € auf dem Konto belastet. Damit war der Regierung ein echter Coup gelungen und das revolutionäre 9-Euro-Ticket bestimmte in den kommenden Wochen die Schlagzeilen. Wobei die Berichterstattung meines Erachtens schnell falsche Schwerpunkte setzte. Der Boulevard titelte reißerisch über die Angst der noblen Ferieninsel Sylt vor den Billigurlaubern und viele vermeintlich seriösere Medien degradierten das Ticket hauptsächlich zum Ferienticket und suchten die tollsten Reiseziele und die schönsten Bahnstrecken für ihre Leser heraus. Dazu immer wieder Schlagzeilen über das befürchtete Chaos und am 1.Juni war gefühlt eine ganze Berufsgruppe im Außeneinsatz, um aus Zügen und von Bahnhöfen über das ausgebliebene Chaos zu berichten.

Deutsche Kleinstaaterei im 21.Jahrhundert [ © Maximilian Dörrbecker / CC BY-SA 2.5 ]

Abseits von Chaos und Urlaub (und Chaostagen auf Sylt als medial generierter Symbiose daraus) kamen wesentlichere Punkte in meinen Augen zu kurz. Für mich wichtig: Dieser Flickenteppich der Tarifverbünde, der kartografisch irgendwie immer an das Heilige Römische Reich Deutscher Nation im 18.Jahrhundert erinnert, kann tatsächlich überwunden werden. Wir sind einem bezahlbaren bundesweiten Nahverkehrstarif vielleicht ein bißchen näher bekommen. Außerdem werden mehrere Millionen Bundesbürger (Berufspendler im ÖPNV) für drei Monate massiv entlastet und können dadurch den inflationär gestiegenen Kosten an anderer Stelle, z. B. bei der Energieversorgung des Haushalts oder an der Supermarktkasse, besser begegnen. Ich bekomme beispielsweise in den drei Monaten rund 250 € aus meinem ÖPNV-Abo erlassen und kann das Ticket nun auch für ein paar überregionale Freizeitausflüge an den Sommerwochenenden nutzen. Ein Trip in den Harz kostet mich beispielsweise je nach Zielort und trotz BahnCard25 immer so zwischen 20 und 30 € mit den Öffis, jetzt ist er mit meiner GVH-Monatskarte möglich.

Das erste Ols des Tages im Außenbereich des Brauhauses am Oldenburger Hafen

Doch am ersten Geltungswochenende des 9 € Tickets war für mich erstmal Hunte statt Harz angesagt. Auf dem Tableau lagen am 4.Juni in gesunder Reichweite im Wesentlichen zwei Highlights. Das Rückspiel des VfB Oldenburg gegen den BFC Dynamo um den Aufstieg in die 3.Liga im Oldenburger Marschwegstadion und das mutmaßlich allerletzte Spiel im Schweriner Sportpark Paulshöhe (Dynamo Schwerin gegen Anker Wismar). Da mir beide Stadien bereits bekannt sind (im Marschwegstadion war ich schon fünf- oder sechsmal und die Paulshöhe wurde auf den Tag genau vor fünf Jahren besucht), ließen sportlicher Wert und Reisedauer das Pendel gen Oldenburg ausschlagen. Zusammen mit Max, Sören und Jan stieg ich um 9:20 Uhr in Hannover in einen gut gefüllten, aber nicht übervollen RegionalExpress (normales Pfingstniveau). Technische Probleme am Zug ließen uns Oldenburg zwar verspätet, aber immer noch mit genug Zeitpolster für ein Bier am Hafen und einen Snack auf die Faust erreichen.

Anatolian Fitness Wrap to go

Vorbei am Oldenburger Schloss und anschließend durch den Schlossgarten am Ufer der Hunte, ist der Fußweg vom Stadtzentrum zum Stadion sicher einer der schöneren auf diesem Himmelskörper. Erst recht wenn alles blüht und die Sonne scheint. Am Stadion war es dann aber vorbei mit der Idylle. Die Menschenmassen drängten sich an den Eingängen und die Polizei sorgte für strikte Fantrennung. 10 Minuten vor Anpfiff waren wir drin und nach dem Schock über die Bierpreise (5 € für 0,4 l) konnten wir uns im Kurvenblock H3 alsbald an den Choreografien der beiden Fanlager erfreuen. Die ca. 1.500 mitgereisten Fans aus Berlin hatten ein Banner mit der Aufschrift „Alles für Dynamo“ vor den Zaun gespannt und mit der gleichen Parole bedruckte Folienschals in weinrot und weiß im Block verteilt. Dazu stieg Qualm in der gleichen Farbkombination gen Himmel und auch die erste von mehreren Leuchtkugeln durfte über dem Spielfeld ihren Schweif ziehen.

Der BFC-Anhang begrüßt seine Mannschaft

Die Ultraszene der Oldenburger hatte derweil am rechten Rand der Haupttribüne eine Blockfahne mit dem Vereinswappen zwischen Himmel und Hölle präsentiert und das Bild mit „Mal Himmel, mal Hölle – Ich bin für dich geboren“ betitelt. Untermalt wurde das Ganze mit diversen Signalfackeln in der ersten Reihe des Blocks. Außerhalb machte ein weiterer Block mit aktiven Fans auf der Gegengerade mit einer Wurfrollenaktion auf sich aufmerksam. Im ausverkauften Haus – aus Sicherheitsgründen waren heute nur 12.000 statt 15.000 Zuschauer zugelassen – ging es also stimmungsvoll los.

Rauchschwaden in den Vereinsfarben

Sportlich war die Ausgangslage klar. 0:2 ging das Hinspiel vor sieben Tagen im Sportforum Hohenschönhausen aus. Der Rekordmeister der DDR musste also binnen 90 Minuten zwei Tore auf fremdem Platz egalisieren, um wenigstens eine Verlängerung zu erzwingen. Allerdings waren die Berliner wie bereits im Hinspiel in der 1.Halbzeit ziemlich ideenlos und überließen den Oldenburgern das Spiel. Der einstige Zweitligist – vor genau 30 Jahren fehlte dem VfB sogar nur ein Punkt zum Aufstieg in die 1.Bundesliga – kam in den ersten 30 Minuten bereits mehrfach zum Abschluss, ehe Max Wegner in der 33.Minute einen sehenswerten Sololauf startete, am Ende noch den Gästetorwart umdribbelte und zum 1:0 einschob.

Auch beim VfB brennt man auf die 3.Liga

„Nie mehr 4.Liga“ schallte es durch das 1951 eröffnete Rund und nur die größten Optimisten dürften jetzt drei Berliner Tore innerhalb einer guten Stunde für möglich gehalten haben. Erst recht nicht in Anbetracht des im Hinspiel und des bisher heute Dargebotenen. Doch Niklas Brandt rettete mit seinem überraschenden Ausgleichstreffer in der 44.Minute einen Hoffnungsschimmer in die insgesamt vierte Halbzeit der beiden Aufstiegsspiele rüber. Begrüßt mit einem kleinen choreografischen Hinweis ihrer Fans, dass sie sich bei Aufstieg in FIFA 23 selbst spielen könnten, kam eine hochmotivierte Gastmannschaft zurück auf den Platz. Der BFC zeigte ein neues Gesicht und übte fortan enormen Druck auf die VfB-Defensive aus. Ein zeitnahes 1:2 und hier würde vielleicht doch noch was gehen.

Ausverkauftes Haus am Marschweg

Insbesondere Dynamos Toptorjäger Christian Beck hatte den wichtigen Führungstreffer mehrfach auf dem Fuß bzw. genauer gesagt auf der Stirn. Doch der Pfosten (56.Minute), die Latte (57.) und ein Verteidiger als letzter Mann (67.) verhinderten denkbar knapp, dass Becks Kopfbälle im Netz zappeln durften. Der Gästeblock fackelte derweil Mitte der 2.Halbzeit auch nochmal mit Bengalos und Rauchpulver rum, in der Hoffnung dass der Funke für die Schlussoffensive auf die Mannschaft überspringen möge. Aber die ganz gefährlichen Aktionen blieben erstmal wieder aus und als die Polizei schon mal vor dem Gästeblock aufmarschierte, wurde es nochmal unruhig bei den mitgereisten Fußballrockern aus Ostberlin.

Manege frei für ganz großen Zirkus

Der martialische Aufzug wurde mit Knallkörpern auf der Tartanbahn begrüßt und ein paar Leuchtkugeln hatte man sich anscheinend noch für besondere Momente wie diesen aufgehoben. Jetzt unterbrach der Schiedsrichter die Partie erst einmal aus Sicherheitsgründen und während die Berliner ein wenig am Zaun rüttelten, vertrauten einige Oldenburger auf die Stabilität jener Stahlkonstruktion und den Polizeikordon, so dass forsch gegen den BFC gepöbelt und gestikuliert wurde. Vis à vis mit dem ein oder anderen Kaliber aus dem Gästeblock wäre das sicher eine schöne Mutprobe geworden, die im Vorfeld viel Kornbrand benötigt hätte. Doch unter diesen Umständen war es natürlich ein gefahrloses Unterfangen. Bis auf für jene unter den Nordlichtern, die sich an den Zaunkronen ihre Handflächen blutig rissen.

Gestik mit verborgener Mimik

Als der Ball wieder rollte, näherten wir uns rapide Spielminute 90 und rund 10.000 Kehlen verbalisierten ihre Aufstiegseuphorie. Auch brachten sich bereits etliche Fans für den obligatorischen Platzsturm in Stellung (auch wenn der Stadionsprecher flehte davon abzusehen). Doch der Unparteiische ließ aufgrund von Unterbrechungen nochmal acht Minuten nachspielen und in der 6.Minute jener Extra Time fiel doch tatsächlich noch das 1:2. Aus heiseren Kehlen wurden nochmal Dynamo-Schlachtrufe gen Spielfeld geschmettert und für so ungefähr drei Minuten packte der BFC nochmal die Brechstange aus. Doch der Verein für Bewegungsspiele von 1897 brachte den Spielstand über die Ziellinie und war damit trotz Niederlage mit einem Gesamtresultat von 3:2 in die 3.Liga aufgestiegen.

Obszöner Oldenburger

Tausende heranstürmende Fans herzten nun auf dem Rasen ihre Aufstiegshelden und sicherten sich teilweise im Stile ihrer Torfstechervorfahren ein Erinnerungsstück vom Untergrund, während der Einsatzleiter der Polizei es doch tatsächlich für geboten hielt nochmal die Pferdestaffel durch die Fans pflügen zu lassen. Als hätten die massiven Polizeiketten, inklusive Hundestaffel, nicht schon ausgereicht, um weiterhin für Fantrennung und Sicherheit zu sorgen. Aber es ließ sich davon keiner die Stimmung an diesem wirklich historischen Tag verderben. Nach 25 Jahren Abstinenz kehrt der VfB in den bezahlten Fußball zurück und darf endlich wieder Pflichtspiele außerhalb der Grenzen der norddeutschen Verbandsgebiete bestreiten. Mal nach Dresden, Saarbrücken oder München, statt schon wieder nach Rehden, Jeddeloh II oder Drochtersen tingeln zu müssen.

Mensch und Tier stürmen den Platz

Für den BFC dagegen natürlich ein maximal ärgerlicher Ausgang einer Saison, in welcher man mit 82 Punkten souverän Meister der Regionalliga Nordost wurde und am Ende trotzdem nicht aufsteigen darf. Aber es ist die alljährliche Problematik bei vier Aufstiegsplätzen für fünf Regionalligen. Für den VfB wäre das Scheitern genauso tragisch gewesen. Jetzt muss man in Ostberlin schauen, dass man in der nächsten Saison wieder eine schlagkräftige Truppe aufbieten kann. Aber die Konkurrenz aus u. a. Chemnitz, Cottbus, Jena oder Leipzig träumt ebenfalls von der 3.Liga. Und während aufgrund des Rotationsprinzips Oldenburgs Nachfolger als Nordmeister direkt hoch darf, muss der Nordostmeister 2023 gegen den Bayernmeister in die Aufstiegsspiele (erst 2024 stellt der Nordosten wieder einen direkten Aufsteiger).

Unterwegs im Schlossgarten

Als neutrale Zaungäste hatte unsere kleine Reisegruppe natürlich auch nichts zu feiern und wir verließen zeitnah das Marschwegstadion. Zumal die Stadionregie nach Abpfiff mit nur zwei Ballermannhits in Endlosschleife massiv alle Menschen mit Geschmack provozierte. Dann lieber schnell weg von diesem kulturlosen Ort und stattdessen nochmal einen Spaziergang durch den Schlosspark und den historischen wertvollen Stadtkern des im Jahre 1108 erstmals urkundlich erwähnten Oldenburg machen. Der Namensbestandteil -burg geht dabei auf eine von den Grafen von Oldenburg errichtete erste Wasserburg zurück. Doch erst am 6.Januar 1345 bekam die Siedlung vom Grafen Konrad I. von Oldenburg die Stadtrechte verliehen. Es bildeten sich anschließend zahlreiche Handwerkszünfte und die neue Rechtssicherheit machte Oldenburg für auswärtige Kaufleute interessant. Der Hafen der Stadt wurde ausgebaut und bald pflegte man internationale Handelsbeziehungen, die in den kommenden Jahrhunderten für Wachstum und Wohlstand sorgten. Zwar stand man in Sachen Handel immer im Schatten der nahen Hansestadt Bremen, aber dafür profitierte die Huntestadt in gewissem Maße vom Aufstieg des Hauses Oldenburg in den europäischen Hochadel.

Der Lappan (Glockenturm aus dem 15.Jahrhundert)

Denn 1448 wurde Christian I., der älteste Sohn des Grafen Dietrich von Oldenburg, zum König von Dänemark und 1457 zum König von Schweden und Norwegen gekrönt. Er begründete damit die bis heute in Dänemark und Norwegen regierende Linie. Im Laufe der Geschichte sollte Oldenburger Blut noch durch zahlreiche weitere gekrönte europäische Häupter fließen. Am prominensten sicher mit den Linien Romanow-Holstein-Gottorp auf dem russischen Zarenthron (1792 – 1917) und Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg auf dem griechischen Königsthron (1863 – 1967), während in der jüngsten Vergangenheit Prince Philip, Duke of Edinburgh (1921 als Prinz Philipp von Griechenland und Dänemark auf Korfu geboren) der wohl berühmteste Blaublüter mit Oldenburger Wurzeln war. In Deutschland ist die Politikerin Beatrix von Strolch (AfD), die geborene Herzogin von Oldenburg ist, außerdem eine relativ präsente und weiterhin halbwegs gut Durchblutete aus diesem Clan.

Degodehaus (um 1500 errichtetes Patrizierhaus)

Doch zurück in die Stadt Oldenburg, in der im 17.Jahrhundert ein rühmlicher Ahne der unrühmlichen Beatrix wirkte. Erst ließ Graf Anton Günther anstelle der alten Wasserburg ab 1607 ein schmuckes Schloss im Stile der Renaissance errichten, dann hielt er sein Land durch geschickte Diplomatie aus dem Dreißigjährigen Krieg (1618 – 1948) heraus. Verschont von den Kriegswirren, war Oldenburg eine der wenigen Städte im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation (HRR), die in der ersten Hälfte des 17.Jahrhunderts ein weiteres Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum verzeichnen konnte. Dafür kam es nach Graf Anton Günthers Tod dicke für die Huntestadt. Der Graf starb 1667 ohne männlichen Sproß und die Erbfolge brachte Oldenburg nun unter dänische Herrschaft. Jetzt residierte hier kein Graf mehr, sondern nur noch ein dänischer Statthalter. Dazu wütete 1667 obendrein die Pest mit hunderten Todesopfern und 1676 zerstörte der größte Brand der Stadtgeschichte nahezu jedes Haus innerhalb der Stadtmauern.

Ensemble aus Graf-Anton-Günther-Haus und Hof-Apotheke (17.Jahrhundert)

Der Wiederaufbau Oldenburgs war auf der Prioritätenliste des dänischen Königs seinerzeit wohl nicht ganz oben angesiedelt und viele Jahrzehnte ging es der Stadt wirtschaftlich schlecht. Erst als die Regentschaft in Oldenburg 1773 vom Haus Holstein-Gottorp, einer Seitenlinie der dänischen Oldenburger, übernommen wurde und die Grafschaft zum Herzogtum aufgewertet wurde, ging es wieder aufwärts. Die neuen Herrscher hatten ein großes Interesse daran, dass ihre Residenzstadt ökonomisch und architektonisch wieder aufblüht. Viele repräsentative Bauwerke im Stile des Klassizismus entstanden im späten 18. und frühen 19.Jahrhundert. Bald begann auch die Industrialisierung und die Großherzogliche Oldenburgische Eisenbahn verband Oldenburg ab 1867 mit der Bremen und Wilhelmshaven. Güter (und Personen) konnten nun schneller und umfangreicher transportiert werden. Als große Industriebetriebe waren in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts u. a. mehrere Tabakfabriken, Textilfabriken, Brennereien, Druckereien, eine Eisengießerei und eine Glashütte in Oldenburg ansässig.

Das Oldenburger Schloss

Wie überall im Reich ging der Aufschwung dieser mit rasantem Bevölkerungswachstum und dem entsprechenden Bau von neuen Wohnquartieren einher. Hatte Oldenburg Mitte des 19. Jahrhunderts gerade mal 9.000 Einwohner, waren es im Jahr 1910 bereits über 30.000. Doch die Menschen hatten nun mehrere von Kriegen und Krisen geprägte Jahrzehnte zu durchstehen. Insbesondere die Terrorherrschaft der Nationalsozialisten ab 1933 und der Zweite Weltkrieg (1939 – 1945) forderte wie überall im Reich viele Menschenleben. Ca. 2.500 Oldenburger starben an der Front und mehrere hundert Bürger fielen der ideologisch motivierten Mordlust der Nazis zum Opfer. Darunter natürlich die jüdischen Mitbürger, deren Leben im Rahmen der Shoah systematisch ermordet wurden.

Am Oldenburger Hafen

Immerhin vom Bombenhagel des Luftkriegs blieb Oldenburg seinerzeit weitgehend verschont. Da die meisten anderen deutschen Städte dagegen in Schutt und Asche lagen, suchten sehr viele Vertriebene in der Nachkriegszeit an der Hunte eine neue Heimat. Rund 40.000 Flüchtligen aus Ost- und Mitteldeutschland machten Oldenburg sprungartig zu einer Großstadt mit über 100.000 Einwohnern. Auf die Herausforderung der Zuwanderung folgte jene des Strukturwandels. Viele Industriebetriebe mussten in den 1970er und 1980er Jahren ihre Tore für immer schließen. Dafür enstanden im öffentlichen Bereich (u. a. durch die Gründung der Universität im Jahr 1973) und im Bank- und Versicherungswesen neue Arbeitsplätze. Als nunmehr Universitätstadt mit über 15.000 Immatrikulierten pro Semester, hat das zeitgenössische Oldenburg nebenbei eine halbwegs ausgeprägte Kneipen- und Gastroszene, der wir uns natürlich auch noch widmen mussten.

Auf einen gelungenen Auftakt der 9-€-Sommerfrische

Durstig stolzierten wir am frühen Abend durch die für ihre Kneipedichte bekannte Wallstraße und kehrten auf mehrere Rutschen Bier und Schnaps bei Frau Gunstmann ein. Diese Gastwirtschaft würde ich spontan mit studentisch, alternativ und weltoffen attributierten und entpsrechend wohl fühlten wir uns dort. Also wurde es nichts mit der geplanten Abreise um 18:35 Uhr, sondern wir hingen nochmal zwei Stunden dran und bestiegen erst den RegionalExpress um 20:35 Uhr. Wie schon vor dem Spiel ließen wir lokale Brauerzeugnisse aus dem Hause Ols die Kehle hinunterlaufen. Außerdem durfte Frau Gunstmann uns auch den Kornbrand von Herrn Hullmann servieren. Weil um 20:15 Uhr schließlich auch noch Wegbier gekauft wurde, sah ich die geplante Tour von Max und mir am Folgetag etwas wackeln. Aber eine Nachtruhe von rund acht Stunden war dann doch ausreichend, um sich am nächsten Morgen fit zu fühlen.

  • 05.06.2022
  • Bremer SV – Wandsbeker TSV Concordia 3:1
  • Aufstiegsspiele zur Regionalliga Nord (V)
  • Stadion am Panzenberg (Att: 2.040)

Am Pfingstsonntag sollte Max und mich die große 9-€-Ticket-Sommerfrische eigentlich nach Wismar führen. Hauptsächlich aus städtetouristischen Motiven hatte die Partie von Anker Wismar II gegen den Grevesmühlener FC den Zuschlag bekommen. 8:40 Uhr war Abfahrt in Hannover, doch leider versaute die Eisenbahngesellschaft Metronom mit einer ordentlichen Verspätung schon den ersten Umstieg in Lüneburg. Nun wären wir statt 12:37 Uhr erst 14:37 Uhr in Wismar angekommen. Also im Zug sitzen geblieben und bis zur Ankunft in Hamburg nach Alternativen gesucht. Die sinnvollste Option war nun das entscheidende Spiel der Aufstiegsrunde zur Regionalliga Nord zwischen dem Bremer SV und dem WTSV Concordia Hamburg. Nach Bremen hätten wir theoretisch mit dem gegenwärtig besetzten Metronom durchfahren können, hätte der in Harburg nicht schon außerplanmäßig aufgrund eines technischen Defekts geendet. Also doch Umstieg in einen späteren Metronom, der obendrein wieder etwas Verspätung hatte. Doch gegen 13:30 Uhr und somit ’ne gute Stunde später als gedacht, betraten wir Bremer Boden (die Auslastung der Züge war übrigens auch heute in einem vertretbaren Rahmen und technische Defekte oder Personalausfälle kann man schlecht auf das 9 € Ticket schieben).

Wesentlich gefüllter als die Züge am heutigen Tag

Den Spaziergang durch die Schnoor und einen Mittagssnack am Weserufer mussten wir nun streichen und es gab stattdessen Gyrostaschen auf die Hand. Mit denen flanierten wir an den alten Wallanlagen der Hansestadt Bremen zum netten und betagten Stadion am Panzenberg. Dort mussten faire 6 € als Vollzahler am Kassenhäuschen entrichtet werden und ca. 45 Minuten vor Anpfiff wurde sich in die lange Schlange des Bierausschanks eingereiht. Da holten wir uns lieber jeder gleich zwei Becher mit Gerstensaft der Bremer Union Brauerei für 3,50 € pro Gebinde. Vielleicht waren zwei Getränkestände mit insgesamt vier Mitarbeitern etwas zu defensiv für über 2.000 Besucher kalkuliert worden. Aber gut, im wahrsten Sinne des Wortes nicht mein Bier.

Ein Bremer Pfingstpivo

Als Bierbecher Nr. 1 geleert war, ertönte auch schon der Anpfiff und der harte Kern des Bremer Anhangs hatte eine kleine optische Aktion mit Fähnchen in blau und weiß vorbereitet. War heute für hiesige Verhältnisse eine ansprechende Kulisse und ein paar Lieder und Schlachrufe hatten die treuesten Fans des BSV auch im petto. Die Publikumsstruktur dürfte typisch für eine klare sportliche Nr. 2 (oder in anderen Fällen auch Nr. 3 oder 4) einer westdeutschen Großstadt gewesen sein. Regelmäßig zum BSV gehen ein paar betagte Vereinsveteranen, sonstwie mit dem Verein langjährig Verbundene, Interessierte aus der Nachbarschaft und ein paar aktive bis exzentrische Fußballfans, die vom Platzhirsch (in diesem Fall natürlich der SV Werder) nicht richtig abgeholt werden. So’n Topspiel wie heute lockt natürlich obendrein etliche Schaulustige aus nah und fern an und schon hat der Kassenwart mal ein Lächeln auf den Lippen.

Tierisch was los beim BSV heute

Der Wandsbeker TSV Concordia brachte dagegen außer ein paar Angehörigen der Kicker und ein paar Vereinsoffiziellen nichts aus Hamburg mit. Concordia ist eben nochmal eine andere Nummer als der HSV Barmbek-Uhlenhorst, Victoria oder Altona 93 und deshalb sind die Wandsbeker aus fankultureller sicher kein Gewinn für die Regionalliga Nord. Apropos Altona; nicht nur, dass heute auch ein paar erkennbare Anhänger von Altona 93 anwesend waren (man spricht eben in seinen Einzugsgebieten ein ähnlich gesinntes Fanklientel an und versteht sich deshalb anscheinend), auch bestritt der BSV anno 1992 sein letztes Spiel in der damaligen Oberliga Nord (die man mit der heutigen Regionalliga Nord gleichsetzten könnte). Seitdem ist nur noch Lokalfußball in Bremen angesagt gewesen und insbesondere dass man in Jahren 2014, 2015, 2016, 2017 und 2019 als Staffelmeister der Bremen-Liga jedes Mal in der Aufsteigerunde scheiterte, brachte einem den Beinamen die Unaufsteigbaren ein (bzw. man verlieh sich diesen mit einer Portion Selbstironie).

Fans mit Fähnchen

Für die Bremen-Liga ist der BSV seit Jahren zu gut, aber Punkte- und Torrekorde auf Bremer Ebene sind nicht viel wert, wenn man regelmäßig im Nadelöhr der Aufstiegsspiele steckenbleibt. Doch dieses Jahr sah es am letzten Spieltag der Aufstiegsrunde gut für die Fußballer vom Panzenberg aus. Der Bremer SV ging mit drei Punkten auf dem Konto als Tabellenzweiter in die entscheidende Partie. Mit einem Sieg wäre der Aufstieg perfekt, bei einem Unentschieden stünde man definitiv vor Concordia, muss aber schauen was der SV Todesfelde (aktuell ein Punkt) im Parallelspiel gegen den bereits als Aufsteiger feststehenden Tabellenführer Kickers Emden erreicht. Mit einem Sieg beim BSV könnte wiederum Concordia (ebenfalls ein Punkt) noch auf den Aufstieg hoffen, wenn Todesfelde kein besseres Ergebnis als sie erzielt.

Man liebt den Amateurfußball

Max, der Concordia diese Saison bereits gesehen hatte, glaubte jedoch nicht an eine Aufstiegschance der Wandsbeker. Ein Blick auf die Tabelle der regulären Spielzeit untermauerte seine Prognose. Die Gäste schlossen die Meisterrunde der Oberliga Hamburg lediglich als Fünfter ab, aber weil unisono keiner aus dem Quartett vor ihnen Interesse am Aufstieg hatte, durfte sich Concordia daran versuchen. Während man Todesfelde noch auf Augenhöhe begegnete und ein Remis erreichte, waren die Kickers aus Emden deutlich überlegen und gewannen 3:1 gegen den WTSV. Der BSV schnürte die Concorden die 1.Halbzeit auch nahezu komplett in der eigenen Hälfte ein, brachte allerdings nur einen seiner unzähligen Torschüsse im Netz unter. Mats Kaiser war in der 20.Minute nach einem Eckstoß für die Hausherren erfolgreich.

Der Kaiser jubiliert

Die mangelhafte Chancenauswertung schien sich in der 64.Minute zu rächen, als der mittlerweile etwas aktiver gewordene WTSV durch Sinisa Veselinovic zum Ausgleich kam. Jetzt war der BSV kurz verunsichert und Concordia kam in den nächsten Minuten zu weiteren Tormöglichkeiten. Da Todesfelde parallel hinten lag, war der Aufstieg für die Hamburger plötzlich greifbar geworden. Allerdings fing sich der am Neujahrstag 1906 aus der Taufe gehobene Bremer SV wieder und hatte das Spiel in den letzten 25 Minuten so gut im Griff wie im ersten Durchgang. Sebastian Kmiec brachte mit seinem Tor in der 83.Minute wieder Sicherheit und Lamine Diop mit seinem Treffer in der 87.Minute Gewissheit. Auf der Bank wurden bereits die Aufstiegsshirts verteilt und mit dem Schlusspfiff gab es kein Halten mehr. Der BSV ist also doch aufsteigbar und darf sich nach exakt 30 Jahren für mindestens eine Saison mal wieder außerhalb der Bremer Grenzen präsentieren.

Aufstiegsfreude auf dem Panzenberg

Den Feierlichkeiten wohnten wir allerdings nur wenige Minuten bei, da wir den RegionalExpress um 16:17 Uhr bekommen wollten und mit diesem Unterfangen auch Erfolg hatten. So waren wir bereits gegen 19 Uhr bzw. 19:30 Uhr daheim. Während es Max am Pfingstmontag zur Damenmannschaft seiner geliebten Rothosen nach Hamburg zog, durfte mein 9 € Ticket sich einen Tag in der Schublade ausruhen. Das soll schließlich nicht schon am Monatsanfang Eselsohren bekommen.

Song of the Tour: Drei Monate mit der Bimmelbahn durch Deutschland