- 11.03.2023
- VfL Osnabrück – VfB Oldenburg 2:0
- 3.Liga (III)
- Bremer Brücke (Att: 15.741)
Eigentlich hatte ich für den 11.März einen Ausflug nach Emden ins Auge gefasst. Schön ein vormittäglicher Bummel durch Ostfrieslands größte Stadt und nachmittags mit BSV Kickers vs. Hannover 96 II ein interessantes Pflichtspiel der Regionalliga Nord besuchen. Doch am Vortag meldeten die Kickers eine Spielabsage, weil der Rasen im Ostfriesland-Stadion unbespielbar war. Die winterlichen Niederschläge unter der Woche hatten dem Grün wohl ordentlich zugesetzt und als dann auch noch eine Herde ausgebüchster Ottifanten über das Spielfeld trampelte…

Da der Zustand der Sportfelder zwischen Dollart und Jadebusen wahrscheinlich überall schlecht war, musste für euren Blödelblogger wohl oder übel eine außerfriesische Alternative her. Viele interessante Optionen gaben die Spielpläne auf den ersten Blick zwar nicht her, doch kurz nach der Emdener Absage fand ich mein ganz großes Glück im Ticketshop des VfL Osnabrück. Eigentlich war das Duell gegen den VfB aus Oldenburg ausverkauft, aber gucken kostet ja nichts. Und siehe da, just war ein Rückläufer in der Buchungsmaske aufgetaucht. Der kostete 31 € mehr als gucken, doch für einen guten Sitzplatz auf der Haupttribüne investierte ich diese Summe natürlich gerne.

Samstagmorgen ging es um 9:09 Uhr von Hannover per Niedersachsenticket mit der Westfalenbahn in die größte westfälische Stadt auf niedersächsischem Boden. Warum Osnabrück und seine ca. 169.000 Einwohner im “falschen” Bundesland gelandet sind, recherchierte ich gleich mal auf der Anreise. Da sich die Bahnfahrt obendrein von 96 auf 131,2 Minuten verlängerte, wusste ich bei der Ankunft am Bahnhof Osnabrück-Altstadt um 11:20 Uhr eigentlich schon „alles“ über meinen Zielort. Aber das hielt mich natürlich nicht davon ab, nun die auf der Hinreise studierte Stadtchronik zu visualisieren.

Unweigerlich hatte ich zunächst Heinos Interpretation des Niedersachsenliedes im Ohr. Denn als diese dereinst im Niedersachsenstadion vor den 96-Spielen dröhnen durfte, hätte man die Zeile „Wo fiel’n die römschen Schergen?“ wahrscheinlich mit „Bei Osnabrück!“ beantworten müssen. Schließlich soll die berühmte Varusschlacht, auf die das 1926 von Hermann Grote gedichtete Niedersachsenlied in seiner zweiten Strophe anspielt, mutmaßlich im Jahre 9 n. Chr. bei Kalkriese stattgefunden haben. Somit ließen Publius Quinctilius Varus und seine drei römischen Legionen wenige Kilometer entfernt von der späteren Stadt Osnabrück ihr Leben. Diese greift die Varusschlacht im heutigen Stadtbild u. a. mit der mit der Installation Battle Drums vor dem Hauptbahnhof auf. Aber im heutigen Fußballkontext denke ich natürlich besonders an die Osnabrücker Violet Crew, die eine bei Kalkriese gefundene römische Gesichtsmaske als Gruppenlogo verwendet.

Bei der späteren Stadtgründung Osnabrücks können wir gleich beim Niedersachsenlied bleiben. Denn das Bistum Osnabrück wurde ca. 780 n. Chr. im Zuge der Sachsenkriege von Karl dem Großen zur Missionierung der sächsischen Stämme gestiftet. Unweit des späteren Bischofssitzes schlug der Frankenkönig im Jahre 783 außerdem den Sachsenherzog Widukind in der dreitägigen Schlacht an der Hase entscheidend. Die Sachsenkriege und jener Widukind kommen ebenfalls prominent im Niedersachsenlied vor. Dass bei der immer wiederkehrenden Zeile „Heil Herzog Widukinds Stamm!“ einige Faschos im Niedersachsenstadion regelmäßig den rechten Arm gehoben haben, war der Grund, warum das Niedersachsenlied vor knapp einem Vierteljahrhundert aus dem 96-Stadionprogramm verschwand. Hatte übrigens der damalige 96-Spieler Mirko Baschetti angeregt, der wiederum fußballerisch beim VfL Osnabrück groß geworden ist.

Zwei Jahre nach Schlacht an der Hase wurde die erste Bischofskirche und somit der Vorgängerbau des heutigen Doms St. Peter in Osnabrück geweiht. Durch die günstige Lage an einer Furt der Hase, konnte sich um den Dom herum eine prosperierende mittelalterliche Stadt mit Handwerkern und Händlern entwickeln, die später insbesondere mit Leinenhandel zu Wohlstand kommen sollte. Um 900 bekam Osnabrück das Marktrecht und 1171 schließlich auch das Stadtrecht respektive das Gerichtsrecht vom Kaiser verliehen. Jenes Gerichtsrecht mitsamt der Vogtei fiel im 13.Jahrhundert an den Osnabrücker Bischof. Dieser und dessen Nachfolger waren deshalb fortan als Fürstbischöfe auch die weltlichen Herrscher ihrer Diözese. Nachdem das Fürstbistum (auch Hochstift Osnabrück genannt) sein existenzielles Ende 1803 im Reichsdeputationshauptschluss fand, sollte sein Territorium im Wiener Kongress (1814/15) letztlich dem Königreich Hannover zugeschlagen werden, was bereits die spätere Zugehörigkeit des eigentlich westfälischen Osnabrücker Landes zum Bundesland Niedersachsen vorzeichnete.

Allerdings hatten die Welfen durch die Capitulatio Perpetua Osnabrugensis bereits vor 1815 Fuß im Fürstbistum fassen können. Denn nachdem der in den Rathäusern von Münster und Osnabrück geschlossene Westfälische Friede den Dreißigjährigen Krieg (1618 – 1648) beenden konnte, hatte das Fürstbistum Osnabrück einen reichsweit einzigartigen Sonderstatus erhalten. Der Friedensschluss hatte nämlich festgelegt, dass die konfessionelle Mehrheit des Stichjahres 1624 entscheidet, ob ein deutsches Fürstentum in der Nachkriegsordnung einem katholischen oder einem lutherischen Landesherrn untersteht. Im nur teilweise reformierten Osnabrück herrschte 1624, soweit man es feststellen konnte, allerdings Parität bei den Konfessionsangehörigkeiten. Die Capitulatio Perpetua Osnabrugensis schrieb daher fest, dass sich in Zukunft katholische und lutherische Fürsten als Landesherren abwechseln müssen.

Vorerst blieb der 1625 eingesetzte katholische Bischof Franz Wilhelm von Wartenberg der Fürst des Hochstifts Osnabrück. Nach seinem Tod 1661 folgte jedoch mit Ernst August von Braunschweig-Calenberg ein lutherischer Landesherr. Der Welfe ließ nun Schloss Osnabrück als neue Residenz errichten (siehe Titelbild), verließ Osnabrück allerdings bald nach der Fertigstellung des barocken Schlosses, da er 1679 das Fürstentum Calenberg erbte und später (1692) obendrein erster Kurfürst von Hannover werden sollte. Formell blieb er allerdings bis zu seinem Tod im Jahre 1698 auch Fürstbischof von Osnabrück und wurde in dieser Würde anschließend von Karl Joseph von Lothringen beerbt. Bei diesem konfessionellen Ping-Pong sollten bis 1803 noch Ernst August II. von Hannover (lutherisch), Clemens August I. von Bayern (katholisch) und Friedrich August von Hannover (lutherisch) folgen.

Nach 1815 musste sich die bisherige Residenzstadt nun mit dem Status einer Provinzhauptstadt zufrieden geben. Aber das tat der Entwicklung Osnabrücks keinen Abbruch. 1843 wurde das Festungsgebot aufgehoben, womit die Stadt fortan jenseits ihrer historischen Befestigungsanlagen wachsen konnte. 1855 wurde Osnabrück außerdem an das Eisenbahnnetz angeschlossen. Das wiederum gab der Industrialisierung einen großen Schub, so dass im 19.Jahrhundert zahlreiche Fabriken in Osnabrück errichtet wurden, während am Piesberg und im Umland der Stadt (Hasbergen, Georgsmarienhütte) Kohle und Erz industriell abgebaut wurden.

Der Erste Weltkrieg (1914 – 1918) und die Wirtschaftskrisen der 1920er Jahre setzten dem Wachstum der Stadt jedoch vorerst ein Ende. An dieser Stelle muss ich natürlich Osnabrücks berühmten Sohn Erich Maria Remarque erwähnen, der die Schrecken des Ersten Weltkrieg sehr erfolgreich und zeitlos in seinem 1928 erschienenen Roman Im Westen nichts Neues verarbeitet hat. Die neueste filmische Adaption des Stoffes sollte just an diesem Märzwochenende vier Academy Awards in Los Angeles einheimsen, so dass Remarque und sein Antikriegsroman gegenwärtig wieder in aller Munde sind.

Den kriegsgeilen Nazis waren Werk und Autor natürlich ein Dorn im Auge. Nach ihrer Machtergreifung 1933 gehörten Exemplare von Im Westen nichts Neues zu jenen Büchern, welche die Nazis öffentlich verbrannten. Um es mit den Worten von Dr. Henry Walton Jones Jr. zu sagen: Die im Stechschritt marschierenden Idioten, hätten die Bücher lieber lesen sollen, anstatt sie zu verbrennen. Haben sie jedoch nicht und entfesselten stattdessen den nächsten Weltkrieg. Als Konsequenz des Zweiten Weltkriegs (1939 – 1945) sollte Osnabrück wie etliche andere deutsche Städte regelrecht ausradiert werden. 1945 waren 64 % der gesamten städtischen Bausubstanz zerstört, die historische Altstadt lag gar zu über 90 % in Schutt und Asche.

Nach 1945 musste Osnabrück nicht nur schnellstens wiederaufgebaut werden. Administrativ stellte sich auch die Frage, ob man weiter mit dem Land Hannover vereint bleiben möchte oder vielleicht doch in den Schoß der westfälischen Brüder und Schwestern zurückkehren will. Hätte es ein separates Bundesland Westfalen gegeben, wäre der Anschluss daran für das Emsland, das Oldenburger Münsterland und das Osnabrücker Land wahrscheinlich interessant gewesen. Allerdings favorisierte die britische Besatzungsmacht den Zusammenschluss der ehemaligen preußischen Provinz Westfalen und des Nordteils der ehemaligen preußischen Rheinprovinz zu einem Bundesland namens Nordrhein-Westfalen. Die Randlage in jenem Großgebilde, welches zwangsläufig von den Ballungsgebieten an Rhein und Ruhr dominiert werden würde, war für Osnabrück ziemlich unattraktiv. Nachdem die Briten der Vision eines separaten Bundeslandes Weser-Ems ebenfalls eine Abfuhr erteilten, war die niedersächsische Option wahrscheinlich die beste.

Mal abgesehen davon, dass Niedersachsen oder so etwas wie eine niedersächsische Identität prinzipiell nur Konstrukte der jüngeren Vergangenheit sind, fühlen sich die Westfalen aus Osnabrück bei den Ostfalen, Engern und Friesen des restlichen Niedersachsens mittlerweile glaube ich ganz gut aufgehoben. Dass man das heutige Duell mit dem VfB Oldenburg – der übrigens erstmals seit 1999 wieder an der Bremer Brücke gastierte – als Niedersachsenderby vermarkten kann, ist dabei ein netter Nebeneffekt. Neben der gegenwärtigen Erfolgsserie des VfL Osnabrück, dürfte der Derbycharakter seinen Anteil am erstmals seit November 2019 ausverkauften Osnabrücker Stadion gehabt haben.

Gegen 13:00 Uhr wollte ich nun auch zur nach der benachbarten Eisenbahnbrücke benannten Spielstätte aufbrechen. Doch am Neumarkt tauchte der erstbeste Bus zur Bremer Brücke (13:10 Uhr) nicht auf. Als auch der nächste planmäßige Bus (13:25 Uhr) nicht in Sicht kam, verließ ich exakt 13:30 Uhr die violette Menschentraube an der Bushaltestelle und absolvierte die 1,896 km zum Stadion schnellen Schrittes zu Fuß. Letztlich war ich um 13:45 Uhr an der Bremer Brücke und hatte mich dort auf großen Andrang eingestellt. Doch der herrschte höchstens noch am Gästeblock. Offenbar hatten die Oldenburger bei ihrer Schienenanreise mit Verzögerungen im Betriebsablauf zu kämpfen gehabt. Ich kam dagegen ohne Wartezeit durch den Einlass und rund 96 % der Stadionbesucher schienen bereits ihre Plätze eingenommen zu haben.

Nichtsdestotrotz ließ man die Partie 10 Minuten später anpfeifen und die Fanlager hatten noch mehr Zeit ihre Choreographien vorzubereiten. Die Oldenburger outeten sich dabei als Hörer von Rihanna. „Shine bright like a Diamond“ war am Zaun zu lesen, während glitzernde Folienfähnchen ein zum Diamanten stilisiertes VfB-Wappen umrahmten. Da ich bei Entourage Ultras & Co einen anderen Erwartungshorizont als bei größeren und gerühmteren Szenen habe, würde ich sagen, dass sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Aufgabe „Erstellen sie eine den gesamten Gästesektor umfassende Choreographie für ihr Auswärtsderby, versuchen sie dabei mehrere optische Elemente zu kombinieren und mindestens ein Identitätsmerkmal ihrer Fankultur möglichst kreativ herauszustellen“ befriedigend umgesetzt haben. Der Seminarleiter bewertet die erbrachte Leistung mit 8 von 15 Punkten.

Die Osnabrücker hatten im Prinzip die gleiche Aufgabe für ihren Heimsektor, setzten sie allerdings etwas aufwändiger um. Auf eine große Blockfahne im Zentrum ihrer Tribüne hatten sie ihr Stadion an der Bremer Brücke gemalt. Links und rechts davon wurden nun nicht nur Papptafeln in den Vereinsfarben in die Höhe gereckt, sondern auch auf Textil gepinselte und in ihren Umrissen ausgeschnittene berühmte Brücken aus aller Welt. Den Spruch auf der riesigen Banderole vor der Ostkurve konnte ich nun ganz ohne Insiderwissen bereits vor dem Ausrollen vorwegnehmen: „Es gibt viele Brücken auf der Welt – doch nur eine, die für uns zählt!“ Für die Gesamtleistung gibt es von mir 11 Punkte im fankulturellen Studienseminar.

Bei den Oldenburgern hatte ich im Anschluss an die Choreographie eigentlich noch eine größere Pyroshow erwartet. Doch obwohl etliche Maskierte zwischen den 1.500 mitgereisten Fans auszumachen waren, sollte der ganz große Kostenbescheid aus der DFB-Zentrale nicht provoziert werden. Wie auch gegenüber auf der Heimseite, wurde nur hin und wieder mal eine Signalfackel entflammt, um damit Gesänge zu begleiten oder – zumindest im Falle der Osnabrücker – ein Tor zu feiern.

Denn jubeln durfte im 1933 eröffneten Stadion am heutigen Nachmittag nur der formstarke Gastgeber. Zwar hielt der akut abstiegsgefährdete Aufsteiger aus der Huntestadt zunächst gut mit, doch in der 43.Minute knipste Ba-Muaka Simakala sein zwölftes Saisontor. Dass kurz nach der Halbzeitpause durch Omar Traoré auf 2:0 erhöht wurde (52.Min), sorgte für erste Siegesgewissheit bei den Fans und wahrscheinlich auch bei der Mannschaft. Man nahm nun etwas Tempo aus der Partie und die Oldenburger fanden weiterhin kein Mittel die violett-weiße Verteidigungsreihe zu knacken. Dieses Osnabrücker Bollwerk dürfte auch dem heute anwesenden Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius gefallen haben, der bekanntlich in Osnabrück verwurzelt ist und sich seit Jahrzehnten zum VfL bekennt.

Der Verein für Leibesübungen von 1899 bleibt mit dem heutigen Heimsieg ein heißer Aufstiegskandidat und wurde nach Abpfiff entsprechend euphorisch vom Publikum gefeiert. Nach durchwachsenem Saisonstart (das Hinspiel hatte beispielsweise der VfB Oldenburg mit 4:3 für sich entscheiden können), markierte anscheinend der Sieg im anderen Niedersachsenderby gegen den SV Meppen den Wendepunkt für die Osnabrücker (siehe Meppen 11/2022). Zuvor hatte man aus 16 Spielen lediglich mäßige 19 Punkte geholt (1,1875 Punkte im Schnitt), doch zum Triumph in Meppen sollten sich acht weitere Siege in den kommenden neun Spielen gesellen (Punkteschnitt: 2,7). Da der gegenwärtige Tabellenzweite Freiburg II nicht aufstiegsberechtigt ist und der aktuell drittplatzierte SVWW nur einen Punkt mehr als der VfL auf dem Konto hat, dürfen die Osnabrücker sich durchaus Chancen auf einen direkten Aufstiegsplatz ausrechnen.

Die Oldenburger, die sich erst unter der Woche von ihrem Aufstiegstrainer Dario Fossi getrennt hatten, rutschen dagegen durch die heutige Niederlage auf den letzten Platz im Tableau. Ausgerechnet der SV Meppen, der ebenfalls vor wenigen Tagen die Trennung vom bisherigen Trainer vollzog und jetzt von keinem geringeren als dem mittlerweile ziemlich betagten, aber gut in der Welt herumgekommenen Ernst Middendorp gecoacht wird, hatte heute beim unangefochtenen Tabellenführer SV Elversberg einen Punkt erkämpft und konnte so am VfB vorbeiziehen.

Nachdem im Gästeblock nach Abpfiff noch eine Dankestapete für Fossi entrollt wurde, ließen dann ein paar Oldenburger ihren Frust am Trennzaun zum Heimbereich aus und einige Bierbecher flogen auch hin und her. Aber nichts, was die zahlreich anwesende niedersächsische Polizei vor Herausforderungen stellte. Das offenbar aufgehende Sicherheitskonzept schnitt mir anschließend leider noch den kürzesten Weg zum Hauptbahnhof ab. Aber trotz verpasstem erstbesten Zug, war ich noch vor 20 Uhr wieder daheim. Ist schließlich nur ein Kurzausflug im eigenen Bundesland gewesen.