Lublin 10/2022

  • 29.10.2022
  • Motor Lublin – Polonia Warszawa 0:1
  • II Liga (III)
  • Arena Lublin (3.462)

Das lange Wochenende vom 28. bis 31. Oktober musste ich natürlich auf Tour. Geplant war eigentlich mit Freunden in die Republik Moldova (Moldawien) zu reisen und endlich mal wieder ein neues Land kennenzulernen. Doch WizzAir strich unsere für Montag gebuchten Rückflüge und verschob meinen Hinflug ungünstig auf Samstagmittag, so dass ich effektiv nur 1,5 Tage im Land gewesen wäre. Meine Freunde konnten immerhin bereits Freitagmorgen fliegen und kamen so auf ca. 72 Stunden in der Ex-Sowjetrepublik, während ich schweren Herzens passte. Moldova klappt bei mir also auch im zweiten Anlauf nicht (Vgl. Gubin 06/2019) und abermals wurde Polen die Ersatzdestination.

Kaffeepause in Berlin

Direkt nach Feierabend ging es Freitagnachmittag mit der Bahn für 65 € von Hannover via Berlin nach Warszawa (Warschau), wo ich mich für zwei Nächte à 48 € im altbekannten Ibis Warszawa Reduta (***) am Bahnhof Warszawa Zachodnia eingebucht hatte. Doch in der gegen 23:30 Uhr erreichten polnischen Kapitale gedachte ich lediglich zu nächtigen. Schon am Samstagmorgen ging es weiter nach Lublin, da sich das Aufeinandertreffen von Motor Lublin und Polonia Warszawa in meinem Auswahlprozess gegen Ruch Chorzów vs. GKS Katowice (leider Gästeverbot) und Jagiellonia Białystok vs. Legia Warszawa (ungünstige Anstoßzeit) durchgesetzt hatte.

Dieses Wandbild in Bahnhofsnähe zeigt das alte Lublin

Am Samstagmorgen fuhr mein 44,20 Złoty (ca. 9,30 €) teurer InterCity um 7:29 Uhr am Bahnhof Warszawa Zachodnia ab und zwei Stunden und zwanzig Minuten später erreichte ich meinen Zielbahnhof in der ostpolnischen 350.000-Einwohner-Stadt. Dieser wurde wie die Bahnstrecke zwischen Warszawa und Lublin im Jahre 1877 eröffnet und ist ein schönes Werk aus der Stilrichtung des Eklektizismus. Damals war die Gegend um den Bahnhof noch ländlicher Raum, ca. zwei Kilometer von der Stadt entfernt. Es entstand allerdings rasch ein Industrie- und Wohnquartier zwischen Bahnhof und historischem Stadtkern, welches ich heute zwangsläufig als erstes durchstreifte.

Die Brauerei Perła

Erster Höhepunkt dort war die Brauerei Perła. Diese entstand im 19.Jahrhundert auf dem Gelände eines ehemaligen Franziskanerklosters. Generell hatten etliche Ordensgemeinschaften im Mittelalter oder in der Frühen Neuzeit Klostergemeinschaften vor den Toren der Lubliner Altstadt gegründet. Insgesamt war Lublin bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts religiös unheimlich divers. Hier trafen katholische, protestantische und orthodoxe Christen auf eine große jüdische Gemeinde, die am Vorabend des Zweiten Weltkriegs ca. ein Drittel der Bevölkerung ausmachte. Denn 1453 hatte König Kazimierz IV Jagiellończyk (Kasimir IV. Andreas) den Juden in Lublin die Handelsfreiheit gewährt, wodurch sich die Stadt neben Vilnius und Kraków (Krakau) zu einem der Zentren jüdischen Lebens in Polen-Litauen entwickelte. Doch nicht nur ermordeten die deutschen Okkupanten bis 1945 fast alle Juden im Rahmen der Shoa, auch wurde das jüdische Viertel am Schlossberg in den Nachkriegsjahren vollständig abgerissen.

Trinitätsturm und Erzkathedrale

Heute sind 99 % der Einwohner römisch-katholische Christen und an der bald erreichten Altstadtgrenze erwartete mich deren ranghöchstes Gotteshaus in Lublin. Die Archikatedra św. Jana Chrzciciela i św. Jana Ewangelisty (Erzkathedrale des hl. Johannes des Täufers und des hl. Johannes des Evangelisten) wurde im späten 16.Jahrhundert für den Jesuitenorden nach dem Vorbild Il Gesù errichtet. Nach einem verheerenden Brand im Jahre 1752 musste die Jesuitenkirche jedoch grundlegend erneuert werden und die Fassade erinnert nur noch rudimentär an die römische Mutterkirche des Ordens. Das Innere durfte der aus Brno (Brünn) stammende Maler Joseph Mayer nach dem Brand neu gestalten. Mittels perspektivischer Darstellung täuschen Mayers Malereien Dreidimensionalität vor und lassen die dreischiffige Kathedrale noch größer als ohnehin schon wirken.

Die Deckenfresken von Joseph Mayer (18.Jahrhundert)

Mayer war damals Hofmaler des polnischen Königs August III (als Friedrich August II. zugleich sächsischer Kurfürst), womit ich erstmals am heutigen Tag auf Spuren der Wettiner in Lublin stieß. Historiker, Nerds und besonders aufmerksame Leser von Schneppe Tours erinnern sich; Friedrich August I. (August der Starke) sicherte der albertinischen Linie der Wettiner 1697 die polnische Krone und sein Sohn Friedrich August II. sollte ihm 1733 sowohl auf dem sächsischen, als auch dem polnischen Thron folgen (Vgl. Dresden 09/2019). Die den Prunk und die Kunst liebenden Sachsen stießen in den mehr als sechs Jahrzehnten auf dem polnischen Thron etliche Bauvorhaben an und scharrten große Baumeister und Künstler ihrer Zeit um sich.

Der barocke Hauptaltar (17.Jahrhundert) ist aus dem Holz libanesischer Birnbäume angefertigt worden

Nachdem der Jesuitenorden 1773 vom Papst aufgehoben wurde, gelangte das Bistum Chełm – zu dem Lublin damals administrativ gehörte – an das Jesuitenkolleg mitsamt der Kirche. Als Papst Pius VII. 1805 wiederum den Bischofssitz von Chełm (Cholm) nach Lublin verlegte, wurde die vormalige Jesuitenkirche zur Kathedrale des Bistums umfunktioniert. Unterdessen wurden weite Teile des restlichen Jesuitenkomplexes abgerissen. Erhalten geblieben, wenn auch nicht in seiner ursprünglichen Form, ist jedoch die Klosterpforte, die zum 60 m hohen Wieża Trynitarska (Trinitätsturm) aufgestockt wurde. Zusammen mit der Kathedrale bildet der Turm ein schönes Ensemble und ist eine der weithin sichtbaren Landmarken der Lubliner Altstadt.

Das Bürgerhaus der Familie Konopnica

Mein nächster Stopp war nun der Rynek (Ring bzw. Marktplatz) in der Altstadt. Der Platz wurde angelegt nachdem Lublin im Jahre 1317 durch Władysław I Łokietek (Władysław I. Ellenlang) die Stadtrechte nach Magdeburger Recht verliehen wurden. Im Jahre 1575 fackelte bei einem Brand die bisherige Holzbebauung ab und aus Schaden wurde man klug. Nun entstanden gemauerte Häuser am Rynek, die obendrein auch noch allesamt hübsch anzusehen waren bzw. immer noch sind. Besonders hervorheben möchte ich das Kamienica Konopniców (Konopnica-Haus), welches zu den schönsten Bürgerhäusern Lublins zählt. Besonders ins Auge fällt die Stuckverzierung der Renaissancefassade, die Anfang des 17.Jahrhunderts im Auftrag der bürgerlich-adligen Familie Konopnicki angefertigt wurde.

Der einstige königliche Gerichtshof (heute Standesamt)

Außerdem finden wir auf dem Rynek natürlich auch einen repräsentativen Rathausbau. Dessen gotischer Vorgänger aus dem 14.Jahrhundert verlor allerdings im Jahre 1578 seine Funktion als Rathaus und wurde stattdessen Sitz des Trybunał Koronny (Königlicher Gerichsthof). Das war zu Zeiten der Polnisch-Litauischen Union (1569 – 1795) der oberste Gerichtshof für Ostpolen. Es kam dabei in den folgenden Jahrhunderten noch zu weiteren Umbauten. Die bis heute konservierte klassizistische Gestalt bekam das Gebäude zwischen 1781 und 1787 von Domenico Merlini verpasst. Seines Zeichens der venezianische Hofbaumeister des letzten polnischen Königs Stanisław August Poniatowski (Stanislaus II. August Poniatowski), auf dessen architektonische Handschrift man insbesondere in Warszawa immer wieder trifft. Heute beheimatet das Bauwerk übrigens das Lubliner Standesamt und selbstredend begegneten mir mehrere frisch vermählte Paare auf dem Rynek. Die haben sogleich die perfekte Kulisse für schöne Hochzeitsfotos an diesem Platz.

Die Dominakerkirche

Vom Rynek spazierte ich nun weiter zur nahen Domikanerkirche Bazylika św. Stanisława Biskupa Męczennika (Basilika St. Stanislaus). Der Orden der Dominikaner hatte sich bereits im 13.Jahrhundert in Lublin angesiedelt und deren Klosterkirche musste nach dem Brand von 1575 ebenfalls von Grund auf neu errichtet werden. Es entstand eine wunderschöne Renaissancekirche mit einer Stufengiebelfassade, die von zwei kleinen Kirchtürmen eingerahmt wird. Hinter der Kirchenpforte erwartete mich schließlich ein prächtiges Interieur, welches im 18.Jahrhundert nochmals ein barockes Makeover bekam. Insbesondere der vergoldete Altar ist dabei ein Blickfang. Aber auch die Altäre der Seitenkapellen sind Meisterwerke des Barocks, die zum Zücken der Kamera verleiten.

Der Altar der Dominikanerkirche

Nach der Dominikanerkirche nahm ich das hiesige Schloss ins touristische Visier. Auf dem Weg dorthin musste ich jedoch noch das Brama Grodzka (Grodzka-Tor) durchschreiten, welches dereinst die christliche Altstadt vom jüdischen Viertel trennte und deshalb auch als Brama Żydowska (Jüdisches Tor) bekannt ist. Ursprünglich war es ein mittelalterliches Stadttor mit hohem Turm und Wehrgängen, doch als die Verteidigungsfunktion obsolet geworden war, gestaltete man das Tor im 18.Jahrhundert grundlegend um. Auch hier kam Domenico Merlini zum Zuge und versah seinen klassizistischen Entwurf altstadtseitig mit der Jahreszahl MDCCLXXXV und dem Monogramm SAR (was für Stanislaus Augustus Rex steht). In den Innenräumen des Bauwerks kann übrigens ein Modell des jüdischen Viertels in Augenschein genommen werden. Dieses vermittelt, wie das Quartier am Schlossberg vor dem Zweiten Weltkrieg aussah.

Das klassizistische Grodzka-Tor aus dem 18.Jahrhundert

Vom Brama Grodzka schritt ich nun zum erhaben über der Stadt thronenden Zamek Lubelski (Lubliner Schloss) hinauf. Dessen Anhöhe oberhalb der Flüsse Bystrzyca und Czechówka war strategisch günstig gewählt und bereits im 12.Jahrhundert mit Holzpalisaden befestigt worden. Im frühen 13.Jahrhundert wurde schließlich ein runder Wehr- und Wohnturm gemauert (siehe Titelbild), der bis heute erhalten geblieben ist und zugleich Lublins ältestes Bauwerk darstellt. Unter König Kazimierz III Wielki (Kasimir III.) wurde im 14.Jahrhundert um diesen Turm herum eine komplette steinerne Burganlage errichtet. Aus dieser Bauphase ist jedoch lediglich die Kaplica Trójcy Świętej (Dreifaltigkeitskapelle) erhalten. Die hat es allerdings im wahrsten Sinne des Wortes in sich. Gerne löste ich ein Ticket für 15 Złoty (ca. 3,20 €), um Zutritt zu bekommen. Denn im Inneren erwarteten mich die im Jahr 1418 fertiggestellten Wand- und Deckenmalereien im byzantinischen und somit christlich-orthodoxen Stil. Diesen Stil in einer römisch-katholischen Kapelle zu finden, ist bemerkenswertes Zeugnis der Koexistenz von West- und Ostkirche im spätmittelalterlichen Lublin.

Mit Ausnahme des Turmes und der Kapelle stammt die heutige Schlossgestalt jedoch aus den 1820er Jahren und dürfte am ehesten als neogotischer Baustil durchgehen. Das Schloss war seinerzeit nur noch eine Ruine und auf Initiative des einflussreichen Politikers, Philosophen und Schriftstellers Stanisław Staszic wurde der damalige Neubau realisiert. Interessanterweise war das neue Schloss nicht als Adelsresidenz o. ä. gedacht, sondern als Gefängnis konzipiert. In dieser Funktion wurde das Schloss mit kurzen Unterbrechungen von 1831 bis 1954 genutzt. Nach der endgültigen Schließung der Haftanstalt, welche zuletzt von sowjetischer und polnischer Geheimpolizei zur Inhaftierung von vermeintlichen und tatsächlichen Regimegegnern genutzt wurde, begannen umfangreiche Renovierungs- und Umbauarbeiten zu einem Museum. Als solches wird es bis heute genutzt und beherbergt u. a. eine bedeutende Gemäldesammlung. Zu jener zählt auch das berühmte Monumentalgemälde Unia lubelska (Lubliner Union) von Jan Matejko. Doch zur Union von Lublin später mehr…

Unterwegs in den Gassen der Altstadt

Nach meinem Schlossbesuch spazierte ich noch ein zweites Mal durch die Gassen der Altstadt, was bei herrlicher Herbstsonne und über 20° C Lufttemperatur natürlich eine Wonne war. Während ich heute bereits den Torbogen des Trinitätsturms und das Grodzka-Tor passiert hatte, durchschritt ich zum Verlassen der Altstadt endlich auch das imposante Brama Krakowska (Krakauer Tor). Dieses gotische Stadttor aus dem 14.Jahrhundert zählt ebenfalls zu den Wahrzeichen Lublins und verdankt seinen Namen der Handelsstraße zwischen Kraków und Lublin. Händler und Reisende aus Richtung Kraków betraten Lublin also stets durch dieses Tor. Trotz einiger Umbauten und der Barockisierung des Turmhelms im 18.Jahrhundert, bewahrte das Stadttor im Wesentlichen sein mittelalterliches Antlitz.

Teilansicht des Rynek mit dem Krakauer Tor

Vor dem Krakauer Tor entwickelte sich bereits im Spätmittelalter die Krakowskie Przedmiescie (Krakauer Vorstadt). Wie bereits erwähnt, ließen sich damals zahlreiche Ordensgemeinschaften vor den Toren der Stadt nieder und gründeten Kloster. Mit der Kościół Świętego Ducha (Kirche des Heiligen Geistes, einst Teil des Karmeliterklosters), der Kościół św. Piotra Apostoła (Apostel-Petrus-Kirche, einst die Kirche des Bernadinerklosters) oder der Kościół Nawrócenia św. Pawła (Kirche der Bekehrung des hl. Paul) fand ich nun bedeutende Sakralbauwerke auf meiner weiteren Route. Auch die Sobór Przemienienia Pańskiego, die orthodoxe Verklärungskathedrale, befindet sich in der Vorstadt. Genauer gesagt in der ul. Ruska (Ruska-Straße). Deren prächtiges Inneres mit einer Kopie der Gottesmutterikone von Jerusalem und einer Ikonostase aus dem frühen 17.Jahrhundert war definitiv ebenfalls einen Blick wert.

Neues Rathaus und Krakauer Tor

Die Hauptflaniermeile der Krakowskie Przedmiescie befindet sich wiederum zwischen dem Brama Krakowska und dem Plac Litewski (Litewski-Platz). Gleich zu Beginn ist das klassizistische Nowy Ratusz (Neue Rathaus) ein Blickfang. Dieses entstand in den 1820er Jahren auf dem Grund des einstigen Klosters der Unbeschuhten Karmeliten. Es folgt eine schöne geschlossene Wohnhausbebauung aus dem frühen 19.Jahrhundert, ehe man den großzügig angelegten Plac Litewski (Litewski-Platz) erreicht. Überlieferungen zufolge hatte der litauische Adel im Januar 1569 an diesem Ort sein Lager aufgeschlagen und eine polnische Delegation zu Vorverhandlungen empfangen, ehe im Lubliner Schloss der Sejm (das Adelsparlament) tagte und dabei die Union von Lublin besiegelt wurde.

Der Ziegenbrunnen in der Krakauer Vorstadt

Das Großfürstentum Litauen und das Königreich Polen wurden bereits seit 1386 in Personalunion von dem aus Litauen stammenden Adelsgeschlecht der Jagiellonen regiert. Doch deren männliche Linie drohte nun auszusterben und um das Großreich zusammenzuhalten, strebte der kinderlose König Zygmunt II. August (Sigismund II. August) eine Realunion zwischen Litauen und Polen an. Dabei sollte der König fortan vom Adel Polens und Litauens (und Preußens) gewählt werden. Die Befürworter von Realunion und Wahlmonarchie setzten sich am Ende durch, so dass Polen und Litauen noch bis 1795 verbunden blieben, wenngleich die Jagiellonen den Thron aufgeben mussten und der erste gewählte König Henryk III Walezy (Heinrich III.) aus dem französischen Adel (Haus Valois) stammte.

Dieser Obelisk erinnert an die Union von Lublin

An die Union von Lublin erinnert seit 1826 ein Obelisk auf dem Plac Litewski, dessen Errichtung ebenfalls von Stanisław Staszic angeregt wurde. Ferner säumen den Platz die Stadtpalais der Adelsfamilien Czartoryski und Lubomirski. In letzterem tagte im November 1918 übrigens die provisorische Regierung der am Ende des Ersten Weltkriegs rekonstituierten Republik Polen, was Lublin kurzzeitig zur polnischen Hauptstadt machte. Auch nachdem die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg die deutschen Besatzer zum Rückzug aus Polen zwang, wurde 1944 eine erste provisorische Regierung von Stalins Gnaden in Lublin eingesetzt. Durch das Wirken des Polski Komitet Wyzwolenia Narodowego (Polnisches Komitee der Nationalen Befreiung) wurde Lublin so nochmals für wenige Monate zur polnischen Hauptstadt.

Das Hotel Europa am Plac Litewski

Unweit des Plac Litewski beginnt schließlich der Ogród Saski (Sächsischer Garten). Dieser Stadtgarten wurde zwar erst nach der Zeit der Wettiner auf dem polnischen Thron angelegt, aber weil der Gartenplaner Feliks Bieczyński den tatsächlich von August dem Starken im frühen 18.Jahrhundert beauftragten Ogród Saski w Warszawie (Sächsischen Garten zu Warschau) als Vorbild hatte, kamen die Wettiner dennoch zu nominellen Ehren in Lublin.

  • 29.10.2022
  • KS Lublinianka – Podlasie Biała Podlaska 1:2
  • III Liga, grupa 4 (IV)
  • Stadion Lublinianka (Att: 210)

Meine bisherige Route vom Bahnhof bis zum Ogród Saski kann ich jedem Touristen zur Nachahmung anraten. Der Besuch im an den Park angrenzenden Stadion Lublinianki ist dagegen nur etwas für sehr spezielle Charaktere. Ich hatte noch ältere Bilder von einem richtig schön ruinösen Großstadion aus den 1950er Jahren im Kopf und der Blick durch eine Zufahrt im Tribünenwall ließ auch zunächst nichts Schlimmes vermuten. Doch nachdem ich 15 Złoty (ca. 3,20 €) am Stadiontor gelassen hatte, offenbarte sich mir das Ausmaß der jüngsten Bauarbeiten. Nicht nur hatte der Viertligist KS Lublinianka eine Stahlrohrtribüne an den Spielfeldrand gestellt, auch wurden die Steinstufen des u-förmigen Stadionwalls abgetragen und die Wälle mit Planen abgedeckt.

Ein erster Blick ins Stadion Lublianka

Hätte ich das gewusst, bzw. im Vorfeld nochmal nach Stadionfotos jüngeren Datums Ausschau gehalten, wäre ich nachmittags wohl lieber weiterhin touristisch unterwegs gewesen. Zum Beispiel hätte ich das ehemalige Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek besuchen können, welches sich auf Lubliner Stadtgebiet befand und heute eine entsprechende Gedenkstätte ist. Aber auch der Blick in die Historie des Stadion Lublinianka erinnerte zwangsläufig an die antisemitische Ideologie der Nationalsozialisten, welche in Lagern wie Majdanek zur Ermordung von Millionen Menschen jüdischen Glaubens führte.

Das Stadion war mal eine so genannte Groundperle

Denn der Ogród Saski und das Stadion Lublinianka befinden sich im Stadtviertel Wieniawa, dessen Einwohnerschaft 1939 ca. zu 75 % jüdischen Glaubens war. Nach ihrem Einmarsch deportierten die Deutschen die Juden Wieniawas zunächst ins Lubliner Ghetto. Man ließ die zumeist ärmlichen Holzhäuser und die Synagogen des Viertels abreißen und plante ein Wohn- und Erholungsquartier für Wehrmacht, SS und andere deutsche Staatsbürger in Lublin. Auch der jüdische Friedhof wurde zerstört und auf dessen Grund errichteten jüdische Zwangsarbeiter 1941 ein Sportstadion für die SS, welches nach dem Krieg als Stadion Lublinianka von den polnischen Kommunisten ausgebaut wurde. Zunächst spielte dort ab 1952 mit Gwardia Lublin ein Verein der Polizei bzw. Miliz. Später übernahm der Militärsportverein WKS Lublinianka das Stadion und trägt dort bis in die Gegenwart seine Heimspiele aus. Allerdings seit 1994 als ziviler KS Lublinianka.

Mittlerweile hat man die Perle leider vor die Säue geworfen

Für die höchsten Sphären des polnischen Fußballs reichte es in der 101jährigen Clubgeschichte leider nie und während man zwischen Vereinsgründung (1921) und Ausbruch des Zweiten Weltkriegs (1939) wenigstens die sportliche Nr. 1 Lublins war, zog in der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts der 1950 gegründete RKS Motor an WKS Lublinianka vorbei. Im 21.Jahrhundert pendelt man konstant zwischen vierter und fünfter Stufe der polnischen Ligapyramide und rangiert passenderweise gegenwärtig mit 10 Punkten aus 14 Spielen auf einem Abstiegsplatz der 4.Liga. Ein Heimsieg gegen den mit 15 Punkten im Tabellenmittelfeld logierenden Gegner aus dem 120 km entfernten Biała Podlaska wäre daher geboten gewesen. Nach einer torlosen 1.Halbzeit vor 210 Zuschauern gingen jedoch die Gäste in der 54.Minute in Führung. Zwar konnten die Lubliner 720 Sekunden später ausgleichen, doch das letzte und entscheidende Tor des Nachmittags war Podlasie Biała Podlaska in der 78.Minute vergönnt.

Chaczapuri

Ich sah leider keines der Tore, da mich eine Mischung aus Hunger und Enttäuschung über den Zustand des Stadions nach 45 Minuten zurück in die Altstadt trieb. Den Zuschlag am von Restaurants gesäumten Rynek bekam das Armenia, welches wenig überraschend kaukasische Spezialitäten auf der Karte hatte. Aus der Kategorie Starters wählte ich das Chaczapuri. Ein Teigschiffchen aus dem Steinofen, bei dem der Diminutiv eigentlich unangebracht ist. Allein ein halbes Pfund Käse dürfte an Deck Dienst geschoben haben. Entsprechend satt war ich nach dem Verkehr dieser angeblichen Vorspeise. Aber mein bestellter Hauptgang fand unweigerlich auch noch den Weg zum Tisch und zu 96 % verspeiste ich diesen ebenfalls. Es gab vier gegrillte Lammhackspieße nebst Röstkartoffeln, Brot und Salat. Zusammen mit einer hausgemachten Fruchtbowle kam ich auf faire 90 Złoty (19,11 €) Rechnungssumme.

Kebab ormiański

Nach dem Begleichen der Rechnungssumme war es exakt 16 Uhr und das Stadion von RKS Motor, wo um 17 Uhr angepfiffen werden sollte, gute 3 km vom Restaurant Armenia entfernt. Ideal für einen Verdauungsspaziergang.

  • 29.10.2022
  • Motor Lublin – Polonia Warszawa 0:1
  • II Liga (III)
  • Arena Lublin (3.462)

Um 16:35 Uhr erreichte ich schließlich die 2014 eröffnete und 15.500 Zuschauer fassende Arena Lublin. Im Jahr darauf gastierte übrigens Hannover 96 in dieser modernen Sportstätte und gewann damals durch Siege gegen AS Monaco und Lechia Gdánsk den LOTTO Lubelskie Cup. Leider konnte ich einen Polentrip im Juli 2015 nicht realisieren und so war das heute mein Erstbesuch. Meine Arbeitskarte lag am Presseingang bereit und 20 Minuten vor Anpfiff konnte ich Platz auf der Haupttribüne nehmen. Ein wenig ärgerte ich mich über den vollen Magen, da das kleine Buffet im Pressebereich Cebularz (Zwiebelkuchen) bereithielt. Zum Glück hatte ich diese Lubliner Gebäckspezialität bereits vormittags in der Altstadt probiert. Sonst hätte ich mir jetzt ein solches Küchlein aus kulinarisch-kultureller Neugier reinquälen müssen.

Freunde für’s Leben

Beinahe eine Qual war stattdessen der heutige Kick zwischen Motor und Polonia. Sportlich waren meine Erwartungen an eine polnische Drittligapartie natürlich erfahrungsgemäß niedrig. Allerdings hoffte ich auf eine gute Show auf den Rängen. Nur leider fehlten dazu die Gästefans. Ich hatte zwar ein Gästeverbot befürchtet und gezielt nach Meldungen im Internet gesucht, bin allerdings im Vorfeld der Begegnung nicht fündig geworden. Lediglich, dass auf einschlägigen Seiten von Polonia keine Aufrufe für das Auswärtsspiel zu finden waren, nährte den Verdacht, dass die Sicherheitskräfte für einen leeren Gästebereich sorgen würden. Beide Szenen sind sich nicht grün und beim vorerst letzten Aufeinandertreffen 2007 gab es Ausschreitungen im Stadion. Aber meine Güte, das ist 15 Jahre her…

Die Arena Lublin

Immerhin sorgten die knapp 3.500 Heimfans für gefällige und typische polnische Stadionstimmung. Aber mit einer Choreographie oder einer Pyroshow, um mein kleines Herz zu erfreuen, warteten sie leider nicht auf. Höchstwahrscheinlich wussten sie nicht, dass das heute mein 50.Spielbesuch in Polen war und entsprechende Würdigung verdient hätte (beim nächsten Jubiläumsspiel schreibe ich der gastgebenden Szene vorab eine Mail). Nichtsdestotrotz freute ich mich mit Motor eine weitere relevante Fanszene Polens abhaken zu dürfen und meine zuvorderst historische und touristische Motivation für den Trip nach Lublin wurde im Vorfeld der Partie ebenfalls vollends befriedigt.

Immerhin rund 3.500 Fans fanden Weg in die Arena

So zufrieden wie ich, dürfte heute kaum ein Stadionbesucher gewesen sein. Denn der 1950 gegründete RKS Motor verlor die Partie gegen den Aufsteiger durch das Tor des Tages von Marcin Kluska in der 69.Minute. Polonia macht sich bisher echt gut in der 3.Liga und verteidigt mit dem heutigen Auswärtssieg den 2.Platz im Tableau, welcher am Saisonende für einen Durchmarsch in die 2.Liga sorgen würde. Motor muss dagegen nach unten schauen. Nur einen Punkt Vorsprung hat man gegenwärtig zu den Abstiegsrängen. Dabei spielte man in der Vorsaison selbst noch um den Aufstieg mit, scheiterte in der Aufstiegsrunde jedoch an Ruch Chorzów. Ruch wiederum spielt jetzt in der 2.Liga eine gute Rolle und träumt vom Durchmarsch in die Ekstraklasa. So ist der Fußball manchmal.

Der Fanblock von RKS Motor

In jener Ekstraklasa durfte Motor Lublin übrigens gerade mal neun Spielzeiten mittun. 1980 stieg man erstmals in die Beletage des polnischen Fußballs auf und reüssierte dort für zwei Spielzeiten. Zwischen 1983 und 1987 und zwischen 1989 und 1992 kamen sieben weitere Saisons in der Ekstraklasa hinzu. Beste Platzierung war ein 9.Platz am Ende der Saison 1984/85. Beinahe schon unwürdig für das sportliche Flaggschiff einer der größten Städte des Landes. Zum Vergleich die Erstligajahre der anderen Topclubs aus den zehn größten Städten Polens: Legia Warszawa = 82 Jahre (und Polonia immerhin 31 Jahre), Wisła Kraków = 79 Jahre, ŁKS = 65 Jahre, Śląsk Wrocław = 40 Jahre, Lech Poznań = 58 Jahre, Lechia Gdańsk = 27 Jahre, Pogoń Szczecin = 46 Jahre, Zawisza Bydgoszcz = 14 Jahre und Jagiellonia Białystok = 16 Jahre. Andererseits, Rot-Weiss Essen kommt auch nur auf sieben Jahre 1.Bundesliga

Blick zur Gegengerade

Seit mittlerweile 30 Jahren ist Motor nur noch unterklassig unterwegs und rutschte zwischenzeitlich bis in die 4.Liga ab, wo es dann zu gut besuchten Derbys mit KS Lublinianka kam. Überhaupt ist der Zuschauerzuspruch gemessen an den Erfolgen der Vergangenheit und der bescheidenen sportlichen Situation der Gegenwart recht hoch. Auch genießt die Fanszene von Motor überall im Land großen Respekt und eine bereits ewig existierende Freundschaft mit den Fans von WKS Śląsk Wrocław kommt auch nicht von ungefähr. Vereinzelt trugen die Stadionbesucher auch Insignien von WKS Śląsk, aber da die Niederschlesier heute bei Wisła Płock antreten mussten, wird wohl kein Freund aus Wrocław in Lublin gewesen sein.

Der eine stimmt an, der andere gibt den Takt vor

Stattdessen waren die Alliierten von Górnik Łęczna mit kleinem Mob und Zaunfahne präsent (aber die haben auch nur 25 km Distanz zu überwinden und waren heute spielfrei). Bis vor wenigen Jahren existierte sogar ein regionales und schlagkräftiges Dreierbündnis aus Motor Lublin, Górnik Łęczna und Chełmianka Chełm, welches den Osten Polens beherrscht haben dürfte. Insgesamt ist das hier eine fantechnisch interessante Gegend mit vielen Szenen und entsprechenden Bündnissen und Feindschaften. Allerdings ist mein Wohnort bekanntlich nicht um die Ecke, so dass es wohl noch dauern wird, bis ich meine polnische To-Do-List südöstlich von Warszawa abgearbeitet haben werde.

Die Arena nach Einbruch der Dunkelheit

Nach Abpfiff ging es zeitnah zurück zum Bahnhof, da um 19:39 Uhr der letzte Zug nach Warszawa abfahren sollte. Jener InterCity kostete mich umgerechnet ebenfalls knapp über 9 € und brachte mich binnen zwei Stunden zurück in die Hauptstadt. So lag ich bereits gegen 22:15 Uhr im Hotelbett und mit knapp 30.000 Schritten in den Beinen war das Einschlafen auch nur eine Frage von Sekunden. Durch die frühe Schlafenszeit und die Zeitumstellung war ich am nächsten Morgen nach gut 9,5 Stunden Schlaf bereits um kurz vor 7 Uhr putzmunter, sollte diesen Umstand jedoch noch wortwörtlich teuer bezahlen. Wäre ich bloß länger im Bett geblieben… Mehr dazu dann im nächsten Bericht.

Song of the Tour: Still waiting for a trip to Moldova…