Budapest 10/2022

  • 13.10.2022
  • Ferencvárosi TC – FK Crvena zvezda 2:1
  • UEFA Europa League (Group Stage)
  • Albert Flórián Stadion (Att: 20.675)

Nachdem ich in dieser Saison bereits je einer Partie der UEFA Champions League und der UEFA Europa Conference League beigewohnt habe, sollte nun der dritte große internationale Vereinswettbewerb auf dem europäischen Kontinent folgen. Für dieses Unterfangen ließ der Dienstplan nur noch einen Urlaub Mitte Oktober zu und erfreulicherweise sollte in jener Woche der FK Crvena zvezda in Budapest bei Ferencváros gastieren. Als sich am Monatsanfang obendrein ein Türchen für ein Ticket öffnete, buchte ich eine Zugreise von Hildesheim via München nach Budapest (75 € in der 1.Klasse), um diesem Kracherspiel beizuwohnen. Zunächst hatte ich überlegt Mittwoch in einem Rutsch bis Budapest durchzufahren, aber letztlich fand ich es doch entspannter einen Stopp in München einzulegen. Zumal Mittwochabend bestimmt irgendwo der Ball in der bayrischen Landeshauptstadt oder deren Umland rollen würde.

Schnitzel mit Brezelpanade

So kam es dann auch. Nachdem ich Quartier in einem Unterklassehotel in Bahnhofsnähe bezogen hatte (EZ für 62 €), ging es raus nach Garching, wo der FC Türk Sport Garching die DJK Pasing im Rahmen des Münchner Kreispokals empfangen sollte. Doch vorher musste ein Abendessen her und meine Wahl fiel auf das Garchinger Augustiner. Ich gönnte mir nun ein formidables Schnitzel mit Brezelpanade, süßem Senf und Bratkartoffeln (17,50 €). Das panierte Stück Fleisch in Topqualität kam frisch aus der Pfanne auf den Tisch und wurde noch mit Salzkristallen aus der Mühle verfeinert. Die Bratkartoffeln hätten noch einen Tick krosser sein können, aber waren dafür ebenfalls gut gewürzt und mit frischen Kräutern garniert. Dazu ein fassfrisches Helles (0,5 l für 3,90 €) und ich war sehr zufrieden, als ich meine Rechnung beglich.

  • 12.10.2022
  • FC Türk Sport Garching – DJK Pasing 3:0
  • Kreispokal München (Quarter-final)
  • Stadion am See (Att: 101)

Gegen 19 Uhr ging es weiter zum ca. 1,5 km entfernten Stadion am See. 5 € Eintritt verlangte Türk Sport und einen Becher Çay gab es für 2 €. Ich befand mich nun in einem Sportstadion aus dem Jahre 1980, welches eine offizielle Kapazität von 4.000 Plätzen ausweist. Gut, das hölzerne Tribünendach muss mittlerweile von Metallstützen stabilisiert werden, aber insgesamt ist die Anlage gut in Schuss und besonders die Biergartenterrasse am Rand der Haupttribüne hat Charme. In den warmen Monaten des Jahres lässt sich von dort sicher besonders gemütlich ein Spiel verfolgen.

Stadion am See in Garching

Eigentlicher Platzhirsch ist der VfR Garching von 1921, der an dieser Stätte schon seit über 40 Jahren kickt und das gegenwärtig in der fünftklassigen Bayernliga (Südstaffel) tun darf. Nebennutzer Türk Sport (1983 gegründet) ist zur Zeit in der Kreisklasse (9.Liga) unterwegs, während der heutige Gegner DJK Pasing eine Etage höher in der Kreisliga München mitmischt. Ein Klassenunterschied war am heutigen Abend jedoch nicht auszumachen. Die Garchinger hatten sogar etwas mehr vom Spiel und der Führungstreffer per Strafstoß kurz vor’m Halbzeitpfiff war nicht unverdient (44.Min, Armin Krndzija).

Großzügige Graswälle säumen das Areal

Im zweiten Durchgang nahmen die Nickligkeiten verbal und nonverbal zu, aber in den Strafräumen passierte leider wenig Aufregendes. Erst in der 90.Minute sorgte Türk Sport mit dem 2:0 (Torschütze: Christinel Tudoran) schließlich für klare Verhältnisse. Die Spieler lagen nun alle feiernd auf einem Haufen und die Bank war ebenfalls jubelnd auf den Rasen gerannt. Weil der vom TSV 1860 gestellte Unparteiische nochmal anstoßen ließ, konnte sich Onur Cetin in der Nachspielzeit auch in noch die Liste der heutigen Torschützen eintragen. Dann war Feierabend für die Feierabendfußballer und Türk Sport darf sich auf das Halbfinale freuen. Es wird an gleicher Stelle am 26.Oktober steigen und Gegner ist der FC Schwabing München.

Türk Sport Garching freut sich auf das Halbfinale im Münchner Kreispokal

Für mich ging es unter dem Garchinger Nachthimmel zurück zum U-Bahnhof der Vorstadt und gegen 22:15 Uhr war ich wieder im Münchner Hotel. Es folgte eine halbwegs erholsame Nachtruhe (Matratze war dünn, aber wenigstens hart) und anschließend die Feststellung, dass niemand, der noch fetter als ich ist, in den Eckeinstieg der Duschkabine passen würde. Frisch geduscht ging es um 7 Uhr rüber zum Bahnhof, wo noch Zeit für den Erwerb einer Butterbrezel mit Schnittlauch und einer Pfefferbrezel mit Camembert blieb. Da in der 1.Klasse der ÖBB wie bei der DB am Platz serviert wird, ließ ich mir noch eine Wiener Melange aus dem Bordrestaurant kommen und später einen Almdudler. 14:19 Uhr und somit knapp sieben Stunden nach Abfahrt in München, setzte ich dann wieder mal einen Fuß auf das Budapester Trottoir.

Back in Budapest

Die Formulierung “wieder mal” impliziert es vielleicht schon; ich hatte heute keine großartige touristische Agenda und auch gar nicht das Zeitfenster dafür. Allerdings hatte ich für eine Nacht das Ibis Hotel (***) am Hősök tere (Heldenplatz) gebucht (65 € inklusive Frühstück), welches taktisch klug zwischen meinem heutigen Ankunftsbahnhof Keleti und meinem morgigen Abfahrtsbahnhof Nyuati zu finden war. Besagter Heldenplatz ist natürlich sehenswert und das sich anschließende Városliget (Stadtwäldchen) ebenfalls. Bei herrlicher Herbstsonne machte ich zwischen 15 und 16 Uhr einen Spaziergang in dieser Ecke der ungarischen Hauptstadt und dadurch kam es zwangsläufig zu etwas städtetouristischem Content (wer mehr davon will, liest am besten Budapest 04/2022).

Der Heldenplatz

Den Heldenplatz kannte ich bereits illuminiert bei Nacht (siehe Budapest 02/2020), aber tagsüber macht er ebenfalls eine gute Figur. 1896, als die Magyaren das tausendjährige Jubiläum ihrer Landnahme in Ungarn feierten, beschloss man am östlichen der Ende der Pester Prachtstraße Andrássy út ein Denkmal für die Helden der ungarischen Nation zu errichten. Im Zentrum des Ganzen erhebt sich eine 36 Meter hohe Säule, die mit einer Darstellung des Erzengels Gabriel abgeschlossen wird. Der himmlische Typ hält die ungarische Krone und das apostolische Doppelkreuz in den Händen. Zu Füßen der Säule befinden sich wiederum Reiterstatuen der Stammesfürsten zur Zeit der Landnahme. Angeführt vom Fürsten Árpád, der die Stämme der Magyaren vereint und nach Ungarn geführt hatte. In den Kolonnaden des Monuments findet man ferner 14 weitere Nationalhelden. Angefangen vom ersten König Szent István (Stephan I.) bis zu Lajos Kossuth (Anführer während der Revolution 1848/49).

Denkmal für den Ungarischen Volksaufstand von 1956

Außerdem sind am Nord- und Südende des Heldenplatzes bedeutende Museen beheimatet. Zum einen die 1896 fertiggestellte Műcsarnok (Kunsthalle), zum anderen das 1906 eröffnete Szépművészeti Múzeum (Museum der Schönen Künste). Auch das Néprajzi Múzeum (Etnographische Museum) ist nur einen Steinwurf vom Heldenplatz entfernt. Und wenn wir schon bei Steinwürfen sind, erwähne ich doch gleich noch den einstigen Felvonulási tér (Paradeplatz). Dort stand ab 1951 ein Stalin-Denkmal, welches 1956 beim Volksaufstand gegen die kommunistische Diktatur von der Bevölkerung zerstört wurde. Zum 50.Jahrestag des Volksaufstands wurde der Platz in Ötvenhatosok tere (’56-Platz) umbenannt und ein Denkmal für die Aufständischen enthüllt. Dessen Metaebene: Vereint wird aus rostigen Individuen ein leuchtender und unbezwingbarer Keil, der die bisherige Ordnung durchbricht.

Burg Vajdahunyad

Etwas tiefer im Stadtwäldchen erwartete mich anschließend noch die Burg Vajdahunyad (ein zwischen 1901 und 1907 errichtetes Märchenschloss, welches architektonisch Elemente diverser historischer ungarischer Burgen und Schlösser aufgreift und heute das Landwirtschaftsmuseum beherbergt), sowie das berühmte Széchenyi gyógyfürdő (Széchenyi-Heilbad). Die Heilbäder und Museen Budapests sind auf jeden Fall etwas für meinen nächsten und hoffentlich wieder etwas längeren Aufenthalt in Budapest. Aber heute war zeitlich nur eine Betrachtung von außen drin.

Széchenyi-Heilbad

Zumal gegen 16 Uhr die Wirkkraft meines Brezelfrühstücks nachließ und endlich wieder etwas in den Magen musste. Wenig wählerisch nahm ich mein verspätetes Mittagessen in einem Kellerrestaurant namens Páter Bonifác gegenüber vom Hotel ein. Nach schlechten Erfahrungen in der jüngeren Vergangenheit checkte ich sogar ausnahmsweise die Bewertungen vorab. Gerade noch akzeptable 4,1 von 5 Sternen, allerdings hatte mit Oidgiasinger immerhin einer der besten Esser Deutschlands volle 5 Sterne vergeben. Die Bude sah im Tresenbereich und Gastraum zwar so aus, dass man die Küche als Gast auf keinen Fall zu Gesicht bekommen sollte, aber Imre, Zóltan und Attila aus der Nachbarschaft schlürften zufrieden ihre Suppen. Und wenn die es überleben und mutmaßlich immer wieder hier einkehren, wird mein stählerner Magen mit der hiesigen Kost auch fertig.

Bestimmt die einstige Fastenspeise von Pater Bonifatius

Dem Ausländer sollte nun das Tourist Menu für 3.000 HUF aufgeschwatzt werden. Alternativ könnte ich aber auch à la carte bestellen (ab 2.000 HUF für ein Hauptgericht). Doch in den modernen Zeiten, deren Zeuge wir sein dürfen, konnte ich mittels Applikation auf meinem Smartphone natürlich auch den Teil der Speisekarte übersetzen, der ausschließlich auf ungarisch vorlag. Das war nämlich der preiswerte Mittagstisch und jetzt bekam der gute Saša wie Imre & Co zunächst eine Hühnersuppe mit Nudeln vorgesetzt und anschließend folgte ein Schnitzel mit Pommes. Beides zusammen für 1.700 HUF (ca. 3,80 €). Es war essbar, aber definitiv kein Hochgenuss. Zum Glück hatte ich Dreher zum Nachspülen (ca. 1,90 € für 0,5 l). Doch was soll man für 3,80 € auch erwarten? Die Zeiten, wo man für den Preis in Budapest was Tolles serviert bekommen hat, sind sicher schon ein paar Jahre her.

Für dieses Schnitzel hätte sich Fastenbrechen nicht gelohnt

Nun war es 17 Uhr und ich musste mich so langsam mal um meine Zugangsberechtigung zum heutigen Fußballspiel bemühen (mangels Fancard war der Erwerb im Vorfeld nicht möglich). Dank des ebenfalls anwesenden DWIDSWOCH-Tim gab es zumindest schon mal das eingangs erwähnte Türchen. Denn Tims Kumpel Ferenc studiert in Budapest und hat Kontakte zu Szeneleuten bei Ferencváros. Diese magyarischen Freunde von Kraft- und Kampfsport versicherten ihm, sie würden ihn und seine Gäste aus Deutschland zum regulär aufgerufenen Ticketpreis von 20 € in ihre Kurve schleusen und von dort könnten wir versuchen auf die Gegengerade zu gelangen. Im Zweifelsfall würden wir aber auch keine Probleme bekommen, wenn wir uns in der Fankurve irgendwo an den Rand stellen.

Ist das Kunst oder kann das weg?

Der gute Tim, ein weiterer Gast aus NRW und ich sahen jedoch unisono zwei Fallstricke. Vertrauen in die Zuverlässigkeit der ungarischen „Problemfans“ hatte wir ohne Ende, aber unseren Helfern könnte bei so einem brisanten Spiel natürlich kurzfristig etwas dazwischen kommen. Dann stünden wir dumm da. Ebenfalls war die Aussicht das Spiel in der Heimkurve zu verfolgen nicht so prickelnd (falls der Wechsel auf die Gegengerade scheitern würde). Da für das eigentlich ausverkaufte Spiel kurzfristig noch eine Hand voll Tickets im Onlineshop verfügbar war, beschlossen wir uns zeitnah am Stadion anstatt in der Stadt zu treffen. Dort würden wir uns eine Szurkolói kártya (Fancard) ausstellen lassen und uns anschließend die Restplätze auf der Gegengerade für umgerechnet 40 € sichern.

  • 13.10.2022
  • Ferencvárosi TC – FK Crvena zvezda 2:1
  • UEFA Europa League (Group Stage)
  • Albert Flórián Stadion (Att: 20.675)

Während die anderen pronto vom Ufer der Donau am Stadion waren und bereits Tickets auf ihre druckfrischen Fancards geladen hatten, stand ich erstmal 20 Minuten an der Tramstation hinter dem Stadtwäldchen rum, obwohl die Taktung alle drei bis vier Minuten war und in Gegenrichtung auch in diesen Intervallen verkehrt wurde. Wird wohl einen Zwischenfall auf der Strecke gegeben haben. Also zum Dienstleister Bolt gewechselt, nochmal 10 Minuten auf den gebuchten Taxler gewartet und nach weiteren 10 Minuten Fahrzeit bin ich gegen 17:50 Uhr endlich am Stadion angekommen. Um 18:01 Uhr konnte ich den anderen schließlich die Daten meiner Szurkolói kártya übermitteln, damit die final den Platz neben sich auf meine Fancard buchen konnten (den hatten sie freundlicherweise seit fast einer Stunde lang alle paar Minuten wieder neu im Onlineshop reserviert).

Viel Polizei an jeder Ecke

Nun stieß ich endlich (und dankbar) zu den anderen und wir gingen nochmal auf ein, zwei Bier in die nahe Wohnung von Ferenc (wo anders, als in Ferencváros soll so’n Ferenc schließlich auch wohnen?). Denn zurück in die Stadt hätte sich nicht mehr gelohnt und im Stadionumfeld hielt sich die Gemütlichkeit in Grenzen. Auch bei unserer Rückkehr um 20:00 Uhr war der Wohlfühlfaktor nicht gestiegen. Wobei das nur der Versuch ist die Atmosphäre objektiv zu beschreiben. Subjektiv gefiel mir die knisternde Stimmung mit Nebelschwaden, detonierenden Böllern und einer leichten Restnote Reizgas in der Luft natürlich außerordentlich. Lauter schwarz gekleidete Mobs und alle sahen so aus, als hätten sie ihre Gesichtsmuskeln noch nie zum Lächeln benutzt. Dafür waren die Muskelpartien vom Nacken bis zu den Waden umso ausgeprägter. Einer dieser Muskelberge verschaffte nach Anlaufschwierigkeiten nun auch Ferenc und seiner Freundin Zugang zur Heimkurve, während wir anderen uns in die lange Schlange an der Gegengerade einreihten.

Am Eingang werden Fancard und Handfläche des Stadionbesuchers gescannt

Nachdem unsere Szurkolói kártya und unsere biometrischen Daten gescannt waren (es ist ein perverses System, aber ich will an dieser Stelle nicht ausholen), durften wir durch’s Drehkreuz und nahmen unsere Plätze ein. Ferenc und seine Freundin schafften es vorerst leider nicht rüber auf unsere Tribüne, so dass wir mit der Entscheidung für Fancard und reguläre Tickets auf der Gegengerade nicht mehr ganz so haderten. Die vollbesetzte Heimkurve schmetterte unterdessen schon mal etliche Schlachtrufe. Der Gästeblock war um 20:30 Uhr jedoch erst spärlich gefüllt. Allerdings hatten die Serben alle 1.050 ihnen zugestandenen Tickets an den Mann gebracht. Die hätten auch tausende Karten mehr abgenommen, aber das Stadion von Fradi fasst bekanntlich nur ca. 21.000 Zuschauer und mehr als 5 % muss man dem Gast als Heimverein laut Statuten nicht zur Verfügung stellen. Obwohl im Gästeblock sogar Platz für 1.500 Menschen ist und Fradi dementsprechend 450 Plätze lieber leer ließ, als sie dem Anhang des FK Crvena zvezda zu überlassen.

Maximaler Geschmack, Zero Zucker

Jene, die heute (oder gestern) die kurze Distanz nach Budapest überwunden hatten – am Vorabend waren bereits ca. 350 Delije in der Stadt, ohne jedoch von den Green Monsters & Co behelligt zu werden – und zugleich eines der begehrten Tickets ihr Eigen nannten, mussten offenbar penible Einlasskontrollen über sich ergehen lassen. Entsprechend war der Gästeblock erst in etwa zur Hälfte gefüllt, als die Mannschaften um 20:58 Uhr den Rasen betraten und die Heimkurve ihre Choreographie präsentierte. Das Logo eines global erfolgreichen Konzerns im Bereich der alkoholfreien Erfrischungsgetränke war auf Fradi getrimmt worden und die Banderole am Zaun besagte “Maximum erő, zéró félelem” (Maximale Kraft, keine Angst).

Fradi lieferte heute akustisch eine Glanzleistung

Nachdem man in der Vorwoche eine deftige Niederlage in Beograd kassierte (Zvezda siegte mit 4:1), nahm sich der ungarische Rekordmeister (33 Titel) die Botschaft aus der Kurve zu Herzen. Das von der russischen Torwartlegende Stanislaw Tschertschessow trainierte Team befand sich in der Anfangsphase hauptsächlich im Ballbesitz und spielte sich einige Tormöglichkeiten heraus. Der Norweger Kristoffer Zachariassen war nun in der 23.Minute als erster für die Zöld Sasok (Grünen Adler) erfolgreich. Das Stadion bebte und die ersten Freudenfeuer des Abends leuchteten in der Heimkurve auf. Inzwischen waren auch alle Schlachtenbummler aus Serbien im Block und als einzige Zaunfahne hing heute ein Exemplar von Delije. Die dahinter versammelten Mannen machten ebenfalls gut Lärm. Doch sobald Fradi etwas intonierte, waren die Serben auf unseren Plätzen nicht mehr zu hören. Erst Recht nicht, wenn auf der Gegengerade mit in die Gesänge oder Schlachtrufe eingestiegen wurde.

Die Freudenfeuer nach dem 1:0

Eine bisher relativ chancenarmes Duell der Donaumetropolen ging mit der knappen Führung der Franzstädter in die Pause und der zweite Durchgang wurde von einer schönen Pyroshow der Green Monsters eingeläutet. Quantitativ war es gar nicht so wild, aber die grünen und roten Fackeln waren ganz gut im Sektor verteilt worden, so dass es ein nettes Gesamtbild wurde (siehe Titelbild). Wir Stadiontouristen hatten uns natürlich erhofft, dass der Gästeblock die zweiten 45 Minuten ebenso mit einer optischen Aktion einläutet, aber entweder haben die Crveno-beli (Rot-Weißen) ihre Utensilien dafür tatsächlich nicht ins Stadion bekommen oder es wurde bewusst darauf verzichtet.

Die Gäste endlich vollzählig im Block

Dafür durften die Serben in der 55.Minute endlich jubeln. Bereits kurz nach Wiederanpfiff hatte der VAR den vermeintlichen Ausgleichstreffer von Pešić kassiert und einen ersten Freudenausbruch abrupt beendet. Doch knappe 10 Minuten später gab es am Torerfolg von Stefan Mitrović nichts zu beanstanden. Als kurz darauf Katai das 1:2 auf dem Fuß hatte, drohte das Spiel sogar zu kippen. Doch stattdessen sortierte sich Ferencváros wieder und Samy Mmaee erzielte in der 61.Minute nach einem Eckstoß per Kopf das 2:1 für die Mannschaft aus dem IX.Bezirk der ungarischen Hauptstadt. Abermals loderte es im Fanblock und siegesgewisse Grußbotschaften wurden in Richtung Gästekurve gesendet. Der sowohl serbische, als auch jugoslawische Rekordmeister versuchte anschließend viel. Doch ein erneuter Ausgleich sollte dem Team mit dem rotem Stern auf der Brust anscheinend nicht vergönnt sein.

Fackelei nach dem 2:1

Als Zvezda nur noch eine Viertelstunde blieb, schafften es Ferenc und seine Freundin für die Schlussphase doch noch rüber zu uns. In der Kurve hatten sie erfahren, dass die Serben vergangenen Sonntag mit einem kleinen Kommando beim Ligaspiel von Ferencváros gegen den Debreceni VSC aufgetaucht waren und nach dem Spiel wohl den richtigen Moment erwischten, um an die Fahne der Gruppe Új Generáció 2002 zu gelangen. Der Fahnendiebstahl war letztlich auch der Hauptgrund der ausufernden Einlasskontrollen am Gästesektor vor dem Spiel. Laut Ferenc trugen diverse Szeneleute heute Ordnerleibchen und filzten die Gäste gründlichst, jedoch ohne das gestohlene Banner zu entdecken.

Die Új Generáció braucht nun ’ne új zászló

Kaum war die interessante neue Information verarbeitet, meinte Tim auch schon zu mir: “Guck mal, da über dem Mundloch”. Garniert mit verbalen Grüßen wurde die Zaunfahne der Új Generáció von den Crveno-beli präsentiert und die dazu entzündeten zwei Signalfackeln sollten höchstens im Nebeneffekt die Aufmerksamkeit auf diese Stelle des Gästeblocks lenken. Denn nach wenigen Sekunden hatte das Stück Stoff einen Kontakt mit den ca. 1.000° C heißen Flammen (siehe Video). Dank Johannes B. Kerner und einer Kinderpuppe in Polyesterklamotten, wissen wir spätestens seit 2012 natürlich alle welche physischen Folgen so etwas für Textilien hat. “Drei Sekunden, dann steht das Kind [oder die Zaunfahne] in Flammen!!!”

So genannte Fans wollen Theater machen

Wutentbrannt ist nun wahrscheinlich das ideale Attribut zur Beschreibung der Gemütslage in der Heimkurve. Ein paar Vermummte sprangen sogar über die Bande, ließen sich jedoch umgehend vom Ordnungspersonal zurück in den Block komplimentieren. Stattdessen flogen Fackeln auf das Spielfeld und ein paar Motivierte der Új Generáció hatten wohl den Plan den langen Weg über die Gegengerade zum Gästeblock anzutreten. Aber auch dieser Versuch scheiterte. Diesmal hauptsächlich an baulichen Hindernissen (siehe Video). Aber damit da ernsthaft was hätte passieren können, hätte schon der ganze harte Kern den Sektor verlassen müssen. Während wiederum mindestens 1.312 Polizisten in den Zufahrten der Stadionecken Position bezogen hatten, um sofort einzuschreiten.

Pyro auf dem Platz

Die Verantwortlichen von Ferencváros wird es auf jeden Fall gefreut haben, dass die UEFA nun im Nachgang kein ganz großes Fass aufmachen wird. Klar, man wird für die Pyroaktionen und die Unruhe auf den Rängen belangt werden. Aber ein Platzsturm während des Spiels wäre disziplinarisch noch ein ganz anderes Kaliber gewesen. Dazu kann ich mir vorstellen, dass es auch im Binnenverhältnis zwischen Fanszene und Verein zu neuerlichen Verwerfungen gekommen wäre. Das Momentum gehörte nun auf jeden Fall den Delije. Sie haben einer Topgruppe aus Budapest das Banner gezockt und vor deren Augen in deren Wohnzimmer abgefackelt. Obendrein folgten zumindest im Stadion nur Alibiaktionen der Gedemütigten. Im Kräftemessen der Fanszenen sah es heute lange nach einem Punktsieg für die Kurve um die Green Monsters aus, doch kurz vor Spielende plötzlich der Technische Knock-out.

Grüne Mannschaft und grüne Monster feiern den heutigen Sieg

Derweil versuchte es die Mannschaft aus Belgrad mit der Brechstange, um auf dem Rasen ebenfalls noch einen Wirkungstreffer zu erzielen. Der Sturmlauf dauerte bis in die 7.Minute der Nachspielzeit an. Doch nachdem Dénes Dibusz einen letzten gefährlichen Freistoß von Kangwa weggefaustet hatte, blieb den Serben dieses Sahnehäubchen verwehrt. Trost für die Fans von Fradi war nun, dass ihr Team durch diesen Sieg definitiv in der K.O.-Phase eines europäischen Wettbewerbs teilnehmen wird. Mit bereits neun Punkten sind sie gegenwärtiger Tabellenführer und dürfen sich berechtigte Hoffnungen machen die Gruppe H als Erster oder Zweiter abzuschließen. Maximal können sie noch auf Platz 3 hinabrutschen, der immerhin zur Teilnahme an der K.O.-Phase der UEFA Europa Conference League berechtigen würde. Ich hab’s extra nachgeschlagen, das letzte Mal durfte Fradi 1972/73 europäisch überwintern. Im Frühjahr 1973 erreichte man dann sogar das Endspiel im einstigen UEFA Cup Winners‘ Cup (Europapokal der Pokalsieger), unterlag im Basler St.-Jakob-Park jedoch Dynamo Kyiv mit 0:3.

Nach Spielende bedankte sich auch die Gastmannschaft bei ihren Fans für den Support

Der FK Crvena zvezda bleibt dagegen Vierter der Gruppe H und muss in den beiden ausstehenden Partien unbedingt punkten, damit es auf europäischer Ebene nach der Winterpause weitergeht. Wer nun als fairer Sieger noch dem unterlegenen Gegner alles Gute für dieses Unterfangen wünschen wollte, hatte allerdings schlechte Karten. Ferenc zeigte uns den Weg zum Gästeblock und wir konnten uns dabei versichern, dass genügend Polizei diesen Bereich weiträumig abschirmte. Etwaige Rachefeldzüge im Stadionumfeld für die verlorenen Fahne dürfte die Staatsmacht also mühelos unterbunden haben. Kurz vor Mitternacht bestieg ich dann eine Tram gen Hotel und läuterte eine knapp siebenstündige Nachtruhe ein.

Auch nach dem Spiel standen die Cops an jeder Ecke

Am Freitagmorgen wurde sich nach der Körperpflege natürlich noch dem Frühstücksbuffet des Hotels gewidmet. Die Warmtheke überzeugte mit Rührei, Wiener Würstchen und Spirellis in Tomatensauce zwar nur so semi, aber in Sachen Salamiauswahl machte man Ungarn wenigstens keine Schande. Analog hoffe ich die Marke Schneppe Tours mit diesem Bericht ebenfalls nicht in Verruf gebracht zu haben. Denn es handelt sich tatsächlich schon um den 250.Tourbericht auf dieser Internetpräsenz. Irgendwie wünscht man sich, es bei so einem Jubiläum besonders gut zu machen. Aber Mühe habe ich mir natürlich wie immer keine gegeben ;-). Einfach wie immer lieblos in irgend einem Zugabteil einen Bericht zusammengeschustert. Diesmal im EuroCity zwischen Budapest und Opava (Troppau), wohin ich meine kleine mitteleuropäische Herbstreise an diesem Freitagmorgen um 8:28 Uhr fortsetzte.

Song of the Tour: Das Schreiben von mittlerweile 250 Berichten war mir eine echte Freude