Verden 06/2022

  • 25.06.2022
  • SV Werder Bremen – VfB Oldenburg 1:3
  • Friendly (I/III)
  • Stadion am Berliner Ring (Att: 3.335)

Deutschland, wir müssen mal wieder reden. Bereits häufig wurde thematisiert, dass man in deinen Grenzen für einen guten Haarschnitt meistens in die Wortspielhölle hinabsteigen muss. Nur notdürftig können Shampoo oder parfümierte Haarpflegelotionen jenen Schwefelgeruch übertünchen, der entstanden sein muss, als sich der Eigentümer des Salons den Namen Haarmonie, Haircules oder Lock ’n‘ Roll ersann. Doch mittlerweile habe ich auch Angst, dass das Wasser in den meisten Spaß- und Erlebnisbädern der Republik kochend heiß ist und mir Schwefel anstatt Chlor in die Nase steigt. Als jemand, der sein ganzes Leben hauptsächlich in einer JoWiese, einem Wasserparadies oder dem Freibad X und dem Waldbad Y geplanscht hat, war ich einfach nicht ausreichend sensibilisiert.

Es gibt mittlerweile mehr wortspielbelastete Spaßbäder als Bremer Ultragruppen

Doch seit mir vorletztes Jahr in Bamberg das Bambados untergekommen ist, bin ich woke geworden. Jüngst in Oldenburg liefen meine Freunde und ich am OLantis vorbei und in Rotenburg an der Wümme steht das Ronolulu. Watt’n Bad staunt der Nordseeurlauber in Dorum und in Filderstadt findet man nicht Nemo, sondern das Fildorado. Beim GochNess im niederrheinischen Goch sinkt das Niveau dann endgültig auf die Tiefe des Marianengrabens. Nur warum gerade jetzt mein Rant? Ich bin nach Verden gefahren, um endlich das Stadion am Berliner Ring abzuhaken. Und was entdecke ich neben dem Stadion? Das Erlebnisbad Verwell… Normalerweise finde ich im Hochsommer ein Schwimmbad neben einem Stadion super, aber diesmal war ich einfach nur glücklich trotz 32° C keine Badehose eingepackt zu haben. Nicht einen Cent möchte ich solchen Wortspielhöllenhunden in den Schlund werfen.

Dieser Pferdefreund war von 1837 bis 1851 auch Landesvater der Verdener

Nennt mich ruhig Haarspalter, aber mein Stammfriseur ist auch mein Stammfriseur, weil er einfach nur das Wort Salon vor seinen bürgerlichen Namen gesetzt hat, anstatt auf eine vermeintlich originelle Wortkrehairtion zu setzen. Zum Planschen fühle ich mich deshalb auch weiterhin in der JoWiese am besten aufgehoben (das ist einfach nur die volksmundliche Verkürzung von Freibad Johanniswiese). Aber vielleicht tue ich der Kreativität der Schwimmbadbetreiber Unrecht und diese Welle von spritzigen Wortspielen ist doch irgendwo evolutionär wertvoll. In jedem Schwimmbad hat die Scham bekanntlich eine Jahreskarte. Aber wenn schon für etwas schämen, dann schämen wir uns doch einfach für den fürchterlichen Namen des Schwimmbades (fremd), anstatt für unsere Problemzonen am Körper. Schwimmen wir uns gemeinsam in der Wortspielhölle vom Body Shaming frei.

Die ersten Biere des Tages

Passenderweise trat ich meine Reise nach Verden mit dem langjährigen Bademeister Johnny Power an, der als ehemaliger Angestellter der Schwimmhalle Harsum ebenfalls über den Trend zum Wortspielwahn den Kopf schütteln konnte. Ich schlug deshalb besser kein Rebranding der Schwimmhalle als Harsumatra vor. Wir starteten übrigens um 10:44 Uhr von Hildesheim nach Hannover und wollten um 11:20 Uhr per RegionalExpress die Reise nach Verden fortsetzen. Doch der proppenvolle Zug machte keine Anstalten loszurollen und als um 11:27 Uhr die Durchsage kam, dass zunächst noch ein technischer Defekt an der Lok behoben werden muss, tauschten wir unsere Stehplätze im Zug gegen eine Bierzeltgarnitur vor dem Bahnhof ein. Dort stand nämlich ein Bierwagen mit entsprechenden Sitzgelegenheiten drumherum gruppiert.

Willkommen in der Pferde- und Reiterstadt Verden

Nachdem wir unsere Krüge mit Herrenhäuser Premium Pils (0,5 l für 5 €) geleert hatten, ging es zurück zum von einer Tausendschaft bevölkerten Bahnsteig. Weil der Zug um 11:20 Uhr letztlich komplett ausfiel, musste der Folgetakt um 12:20 Uhr auch einen Großteil der Reisenden der kurzfristig gestrichenen Verbindung transportieren. Entsprechend steuerten Johnny und ich bei Bereitstellung des Zuges gleich die 1.Klasse an, die erwartungsgemäß wenig später per Durchsage auch für zweitklassig Reisende freigegeben wurde. Weil die Entlastung für das Gesamtfahrgastaufkommen dadurch aber nur marginal war, dauerte es dennoch eine Weile, bis die Zugbegleiter und ihre Unterstützer von der DB Sicherheit alle Konflikte gelöst hatten und am Ende waren wir mit +20 um 13:35 Uhr in Verden. Aber immer noch genug Zeit für die angedachte Visite des Doms und der Altstadt vor dem heutigen Fußballspiel um 16 Uhr.

Romanisches Kapitell im Kreuzgang des Verdener Doms

Denn die Kleinstadt Verden beruft sich auf eine große Geschichte. Sie selbst sehen sich bereits 150 n. Chr. als Tulifurdum in der Geographike Hyphegesis von Claudius Ptolemäus erstmals historisch erwähnt. Nur aus geschichtswissenschaftlicher Sicht können wir das den Verdenern leider nicht verifizieren. Fakt ist jedoch, dass sich an der hiesigen Allerfurt in der Antike germanische Stämme niedergelassen haben und Verden spätestens unter den Sachsen eine wichtige Siedlung war. In den Sachsenkriegen ließ Karl der Große anno 782 beim Verdener Blutgericht angeblich 4.500 Sachsen hinrichten. Auch über diese Zahl wird in der Forschung gerne gestritten, aber es existiert eben nur eine historische Quelle (Annales regni Francorum) und die nennt 4.500 Hingerichtete. In jedem Fall unterstreicht die Gründung des Bistums Verden um das Jahr 800 nochmal die Wichtigkeit des Ortes im sächsischen Siedlungsgebiet, die sich Karl nun zu Nutze machen wollte. Von hier wollten die fränkischen Eroberer die Christianisierung der Sachsen zwischen Weser und Elbe weiter vorantreiben.

Im Inneren des Domes

810 taucht erstmals Ferdi in Saxonia in einer Urkunde von Kaiser Karl dem Großen auf und 985 wurden dem Verdener Bischof Markt-, Münz-, Zoll- und Bannrecht im Sturmigau verliehen. Aus jenem altsächsischen Sturmigau ging im 12.Jahrhundert das Hochstift und Herzogtum Verden hervor, was die Verdener Bischöfe endgültig auch zu weltlichen Herrschern im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation (HRR) machte und ihnen Einfluss und Wohlstand verschaffte. Ab 1290 wurde unter Fürstbischof Konrad von Braunschweig-Lüneburg der ursprünglich romanische Dombau durch eine gotische Hallenkirche ersetzt, deren Gestalt im Wesentlichen bis heute erhalten wurde (siehe Titelbild). Mitte des 16.Jahrhundert nahm das Bistum Verden die Reformation an und wurde nur nochmal im Dreißigjährigen Krieg (1618 – 1648) kurzzeitig rekatholisiert.

Renaissancefassade der ehemaligen Domschule am Lugenstein

Das säkularisierte Hochstift und Herzogtum Verden fiel nach dem Dreißigjährigen Krieg mit dem Westfälischen Frieden an Schweden. Die Schweden taten längst Überfälliges und vereinigten 1667 die Domstadt im Süden (Süderstadt) mit der Norderstadt (die rund um den Marktplatz im Mittelalter als Kaufmannssiedlung entstanden war und ein eigenes Stadtrecht besaß). 1719 erwarb das Kurfürstentum Hannover (ab 1814 Königreich Hannover) die schwedischen bzw. dänischen Herzögtümer Bremen und Verden, um sein Territorium bis an die Nordseeküste auszudehnen. Als das Königreich Hannover 1866 an Preußen fiel, wurde Verden samt Umland entsprechend preußisch. Kurz zuvor (1847) bekam Verden Anschluss an die Eisenbahnstrecke Bremen – Hannover und die Stadtmauer war auch bereits Geschichte, was das Wachstum der Stadt im 19.Jahrhundert begünstigte und Bevölkerungszahl binnen 100 Jahren von ca. 3.000 auf über 10.000 Menschen ansteigen ließ.

Das Ackerbürgerhaus von 1577

Dazu begann 1891 mit dem ersten Pferderennen auf den Wiesen der Maulohe die bis heute anhaltende Tradition als Zentrum des niedersächsischen Reit- und Pferdesports. Für die Turniere wurde in den 1920er Jahren ein großes Reiterstadion gebaut, in dessen Mitte auch das heute besuchte Mehrzwecksportstadion entstand. Bis in die Gegenwart richtet Verden große Pferdeauktionen, Reitsportturniere, Pferderennen und mit dem Verdiana ein jährliches Freizeit- und Breitensportfestival rund ums Pferd aus. Es wundert daher auch kaum, dass das Deutsche Pferdemuseum in den ehemaligen Stall- und Mannschaftsgebäuden der einstigen Kavalleriekaserne am Verdener Holzmarkt seine Heimat gefunden hat. Denn militärgeschichtlich war Verden lange Garnisonsstadt von Ulanen- bzw. Kavallerieregimentern. Aber auch wenn sich der Verdacht langsam aufdrängt; Verden leitet sich etymologisch wirklich nicht von Pferden ab, sondern von der hiesigen Furt des Flusses Aller.

Das barocke Rathaus aus dem 18.Jahrhundert (mit neobarockem Turm von 1905)

Doch an diesem Samstag stand das Pferd mal nicht im Mittelpunkt, sondern alles drehte sich um Fische. Denn nicht nur Werder Bremen gastierte für ein Fußballspiel in der Stadt, zugleich war auf dem Marktplatz ab 11 Uhr Matjesfest. Nach unserer gut einstündigen Dom- und Altstadttour ließen sich Johnny und ich dort nieder und neben dem Marzipan des Meeres, wurden natürlich auch kühle Getränke angeboten. Bei frisch gezapften Bieren (0,2 l für 2 €) wurden wir fortan von den Musikern Lui & Fiete unterhalten. Zwei spaßige Herren aus Schleswig-Holstein, die ihre maritimen Klassiker mit viel Charme vortrugen und zwischendurch immer einen lustigen Schnack auf den Lippen hatten. Das Publikum, dessen Altersschnitt auch Johnny und ich nicht auf unter 60 zu drücken vermochten, war entsprechend angetan und kam kaum aus dem Klatschen und Schunkeln heraus. Doch nach einer Zugabe und unerfüllten Entkleidungswünschen aus dem Auditorium, räumten Lui & Fiete um 15 Uhr endgültig das Feld für die Formation Club Vulcano.

Die nächsten Pils beim Matjesfest

Ob dieses musikalische Quartett den Hit „Tanze Samba mit mir“ („Du bist so heiß wie ein Vulkan und heut‘ verbrenn ich mich daran“) im Repertoire hatte, konnten Johnny und ich leider nicht abwarten, da wir alsbald gen Stadion aufbrachen. Dort freuten wir uns einerseits, dass man mit Stehplatzkarten (à 9 €) problemlos auf die doppelt so teuren (und schattigen) Sitzplätze des offiziell 9.000 Zuschauer fassenden Stadions gelangen konnte (wir haben erst später gemerkt, dass überhaupt zwei Preiskategorien verkauft wurden). Andererseits wurden die Bierpreise mit 4,50 € für 0,4 l Haake Beck nochmal auf ein neues Level gehoben. Aber wir waren durstig und die ersten zwei (von vier) Runden gingen dank der Sitzplatzerschleichung irgendwie ja auch auf des Veranstalters Nacken.

Das Stadion am Berliner Ring

Apropos Veranstalter; auf Einladung des FC Verden 04 gastiert der SV Werder in schöner Regelmäßigkeit zu Saisonvorbereitungsspielen im Stadion am Berliner Ring und präsentiert sich so der großen grün-weißen Fanbase in Verden. Oft gegen internationale Gegner, heute jedoch gegen einen Lokalrivalen, zu dem man keine wirkliche Rivalität pflegt. Der frischgebackene niedersächsische Drittligist VfB Oldenburg (dieses Medium berichtete) reiste nach Verden, um sich mit dem Bremer Bundesligisten zu messen. Werder ist bekanntlich just in die 1.Bundesliga zurückgekehrt, vom Klassenunterschied war in den kommenden 90 Minuten allerdings nichts zu sehen.

Die Teams präsentieren sich dem Publikum

Die 1.Halbzeit war auf Augenhöhe und Werder konnte in der 30.Minute glücklich durch einen abgefälschten Torschuss von Benjamin Goller in Führung gehen. In der Halbzeitpause tauschten beide Trainer ihr Team einmal komplett aus und die neue Elf des VfB war der zweiten Werder-Garnitur überraschend überlegen. Ein Doppelpack des aus Bremen stammenden Mittelstürmers Affamefuna Ifeadigo in der 53. und 61.Minute drehte das Spiel und in der 80.Minute machte Marco Schulz alles klar für die Jungs aus der OLantis-Stadt. Werders viel gerühmte Offensive um Füllkrug (1.Halbzeit im Einsatz) oder Ducksch und Bittencourt (2.Halbzeit) blieb dagegen heute blass und die Defensive sah bei allen drei Gegentoren schlecht aus.

Die Gegengerade

Aber beim ersten Test der Saisonvorbereitung darf die Aussagekraft natürlich noch angezweifelt werden. Der VfB Oldenburg wird jetzt nicht anfangen vom Durchmarsch in die 2.Bundesliga zu träumen und Werder wird auch nicht vor Saisonbeginn vom Spielbetrieb abmelden. Aber sollten die Kicker mit dem W auf dem Trikot ihren Fans eine knüppelharte Saison bescheren, wird sich mein Mitleid natürlich in Grenzen halten. Die heute anwesenden Fans nahmen die deutliche Niederlage gegen einen unterklassigen Gegner auch nur achselzuckend zur Kenntnis und überrannten nach Abpfiff ihre Stars für Autogramme und Selfies.

Wenn Liebe unter die Haut geht

Herr Power und ich hatten derweil gute 45 Minuten bis zur Abfahrt des nächsten RE gen Hannover. Da der bahnhofsnahe ehemalige Holzmarkt nicht nur das Deutsche Pferdemuseum, sondern auch ein großes E-Center beherbergt, organisierten wir uns noch feste und flüssige Nahrung für die Rückfahrt. Leider verlor der Zug unterwegs seine Pünktlichkeit, so dass wir unseren Anschluss in Hannover verpassten. Also nochmal raus zum bereits vormittags erprobten Bierstand am Ernst-August-Platz und dort um 20 Uhr noch kurz vor Toreschluss einen weiteren Liter Bier erstanden. 20:44 Uhr ging es schließlich weiter nach Hildesheim und wir ließen den Sommerabend 45 Minuten später im Biergarten der Schankwirtschaft Huckebein bei diversen Härke und Šljivo, sowie mit Pide mit Sucuk vom benachbarten Oststadt Grill ausklingen.

Pidericus Rex

Zum Schluss noch meine Top 3 für weitere potentielle Spaß- und Erlebnisbäder in Deutschland:

  • Ta-HI-Ti (ihr Südseetraum in Hildesheim)
  • Santo DOMingo (Karibikflair in Köln)
  • Playa del Kamen (Deutschlands zukünftig größtes Spaßbad, verkehrsgünstig an der Zusammenkunft von A1 und A2 gelegen)
Song of the Tour: Lui & Fiete haben sich natürlich qualifizieren können