- 19.06.2021
- KKS 1925 Kalisz – Skra Częstochowa 0:3
- II Liga (III)
- Stadion Miejski w Kaliszu (Att: 2.028)
Matchday in Kalisz! Heute ging es um die Kiełbasa. Der Gewinner des Entscheidungsspiels würde in die 2.Liga aufsteigen und der Verlierer würde auch in der kommenden Saison drittklassig bleiben. Ich war ja fast ein bisschen aufgeregt und freute mich regelrecht, als um 6:30 Uhr der Wecker klingelte. 20 Minuten später brach ich zum Bahnhof Łódź-Kaliska auf und nahm diesmal die Tram zur Überwindung der Distanz. Denn 0,35 € ist eigentlich günstiger, als die Abnutzung der Schuhsohlen in Kauf zu nehmen.

So war ich schon überpünktlich am Bahnhof und lernte noch alle Mitglieder der Schnorrerfrühschicht kennen. Tolle Truppe! Allerdings auch wirklich nicht aufdringlich. “Nie kolega, przepraszam” reichte zum Abwimmeln immer aus und alsbald rollte eh mein gebuchter Zug ein. Der Regionalexpress kostete umgerechnet 5,50 € und erreichte Kalisz (Kalisch) pünktlich um 9:07 Uhr. Ergo noch 158 Minuten bis Spielbeginn und ich entschloss mich zunächst einmal die Stadionkasse aufzusuchen. Es war ein unschöner Fußweg an einer Schnellstraße ohne Schatten. Hin und wieder stieß ich einen landestypischen Fluch aus, aber nach 45 Minuten hatte ich mein rund vier Kilometer vom Bahnhof entferntes Ziel vor Augen.

Ich stellte mich brav am Kassenhäuschen an und obwohl nur ca. 10 Kunden vor mir in der Reihe standen, musste ich eine gute Viertelstunde warten. Als ich endlich dran war, erschloss sich mir die heutige Problematik. Der anscheinend einzige Ticketdrucker war defekt. An der Tageskasse wurden nun alle Daten aus den Ausweisdokumenten abgetippt und im System ein Ticket gebucht. Später würde man entweder sein Papierticket bekommen, sofern der Drucker zwischenzeitlich wieder laufen sollte, oder anhand seines Ausweisdokuments eingelassen werden. So habe ich es jedenfalls mit meinen rudimentären Sprachkenntnissen verstanden.

Nachdem ich mein Wunschticket gebucht hatte, blieben noch 90 Minuten bis zum Anpfiff. Ich beschloss zwei Drittel davon für einen ersten Altstadtspaziergang zu investieren. Denn die war nur durch einen Seitenarm des Flusses Prosna vom Stadion getrennt. Wie nach Drehbuch kam mir Alex auf der Brücke entgegen. Er hatte seinen Altstadtbummel gerade abgeschlossen und war recht angetan. Ich sollte seine Einschätzung in Kürze teilen.

Kalisz hat im Stadtkern einige Sehenswürdigkeiten zu bieten und gilt als Polens älteste Stadt. Sie wurde bereits im Jahre 150 n. Chr. vom antiken Gelehrten Ptolemäus als Kalisia erwähnt und lag an einer alten Handelsroute, wo der Fluss Prosna eine Furth zur Überquerung bot. Im Hochmittelalter hatte Kalisz natürlich auch wie das gestern bereiste Sieradz eine Erwähnung in der päpstlichen Bulle Ex commisso nobis aus dem Jahre 1136. Der Papst spricht dabei von einer der wichtigsten Städte auf polnischem Boden, was die Bedeutung der Stadt im hochmittelalterlichen Polen unterstreicht.

Kalisz war zunächst Residenz eines Piastenherzogs und 1305 Hauptstadt einer Woiwodschaft. Abgesehen von den Kirchen waren damals alle Häuser der Stadt aus Holz und entsprechend überdauerte davon nichts bis in die Neuzeit. 1343 schlossen das Königreich Polen und der Deutsche Orden den Frieden von Kalisch, der einige Grenzstreitigkeiten zwischen den Staaten in Pommern und Kujawien klärte. Im 14.Jahrhundert erbaute man außerdem aus Ziegeln eine Stadtmauer. Dabei entstanden Vorstädte vor den Toren der Kernstadt. Auch wurden neue Kirchen und Klöster aus Stein und ein Palais für den Gnesener Erzbischof errichtet, der regelmäßig in Kalisz residierte.

Die steinernen Gebäude überstanden als einzige den großen Stadtbrand von 1656. Der Wiederaufbau danach war längst noch nicht abgeschlossen, als 1700 der Große Nordische Krieg über das Land hereinbrach und auch Kalisz in Mitleidenschaft zog. Beim schwedischen Einmarsch 1707 zählte die Stadt kaum mehr als 1.000 Einwohner. Zwar konnten die Schweden mit der Hilfe Russlands aus Polen vertrieben werden, doch das Land geriet nach dem Großen Nordischen Krieg ab 1721 erheblich unter russischen Einfluss und wurde durch die Blockadehaltung von Teilen des Adels im Sejm (dem polnischen Adelsparlament) nahezu unregierbar.

Die Schwäche Polens konnten sich die Großmächte Preußen, Russland und Österreich im ausgehenden 18.Jahrhundert mit den berühmten drei polnischen Teilungen zu Nutze machen. Bei der Zweiten Polnischen Teilung 1793 fiel Kalisz an das Königreich Preußen. Durch einen weiteren Großbrand im Vorjahr, erhielten die neuen Herrscher jedoch eine stark zerstörte Stadt. Aufbau preußischer Verwaltungsstrukturen und Wiederaufbau der Stadt waren längst noch nicht abgeschlossen, als 1806 französische Truppen Kalisz im Rahmen der Napoleonischen Kriege besetzten. Nach Napoleons endgültiger Niederlage 1815 wurde die Stadt wieder polnisch, wenn auch de facto Russland den neuen polnischen Staat kontrollierte.

Das war jedoch für die Entwicklung der Stadt gar nicht schlecht. Zum einen war die neue Grenze zu Preußen nur wenige Kilometer entfernt und man profitierte vom grenzübergreifenden Personen- und Warenverkehr. Darüberhinaus beschloss die Regierung Kalisz zu einem Industriezentrum zu entwickeln. Im Wesentlichen wurde wie im nahen Łódź auf die Textilindustrie gesetzt. Die Stadt wuchs bis Ende des 19.Jahrhunderts auf über 20.000 Einwohner an und bekam 1902 endlich einen Eisenbahnanschluss, was für einen weiteren Wachstumsschub sorgte.

Dann begann 1914 der Erste Weltkrieg und Kalisz wurde von den Deutschen zu Beginn der Kampfhandlungen großflächig zerstört und besetzt. Die Einwohnerzahl sank während des Krieges auf rund 5.000 und große Teile der Bausubstanz waren unbewohnbar geworden. Der ab 1918 wieder restaurierte polnische Staat ging den Wiederaufbau möglichst nach historischem Vorbild an. Dabei entstanden u. a. das klassizistische Rathaus und die gegenwärtige Bebauung am Rynek (Marktplatz). Neue Wohnquartiere folgten dagegen stilistisch dem Modernismus.

Zum Zweiten Weltkrieg und der Nachkriegsgeschichte könnte ich nun fast das Geschriebene aus dem vorigen Reisebericht zu Sieradz wiederholen. Also fassen wir uns kurz; Kalisz wurde im September 1939 von der deutschen Wehrmacht erobert und gehörte zu den vom Deutschen Reich direkt annektierten polnischen Gebieten. Die polnische Bevölkerung wurde einer brutalen Besatzungs- und Germanisierungspolitik ausgesetzt, wobei die Juden von Kalisz fast alle durch die Shoah ihr Leben verloren. Allerdings blieb die Stadt fast vollständig von Zerstörungen verschont und wurde so nach Kriegsende neue oder vorübergehende Heimat für ausgebombte Familien aus anderen Teilen Polens.

Bis heute profitiert Kalisz touristisch von seinem „altpolnisch“ wirkenden Stadtbild. Obwohl viele Bauwerke, abseits der alten Kirchen, tatsächlich erst im frühen 20.Jahrhundert entstanden. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs im Jahre 1989 wurde die Stadt 1992 Bischofssitz (Papst Johannes Paul II. ordnete damals die fast gesamte polnische Kirchenkarte neu). Nach wirtschaftlich schweren ersten Jahren im Transformationsprozess vom Realsozialismus zum Kapitalismus wurde eine großflächige Restauration der Altstadt vorgenommen. Besonders zum Papstbesuch 1997 sollten alle Häuserfassaden wieder strahlen. Zwar verlor Kalisz bei der Gebietsreform 1998 den Status als Woiwodschaftshauptstadt und gehört nun zur Województwo wielkopolskie (Großpolen), aber der positiven Entwicklung der Stadt tat das keinen Abbruch.

Der zweitgrößten Stadt der Woiwodschaft nach Poznań (Posen) stünde natürlich auch ein Zweitligist gut zu Gesicht, was KKS Kalisz heute ab 11:45 Uhr verwirklichen wollte. Ich war 20 Minuten vor Anpfiff wieder am Stadion und weil der Drucker immer noch nicht funktionsunfähig war, bekam ich nun geben Vorlage meines Ausweises eine händisch ausgestellte Eintrittskarte, bzw. eine dafür zweckentfremdete Karta kibica. Egal, Hauptsache pünktlich drin und mit einem Platz direkt gegenüber vom Heimfanblock war ich auch sehr gut platziert. Gästefans waren keine anwesend. Aber selbst wenn die erlaubt gewesen wären, eine Szene hat Skra Częstochowa nicht vorzuweisen.

Zu Spielbeginn hatte ein mit Jugendspielern besetzter Block eine kleine Fähnchenchoreografie in den Vereinsfarben geboten, während der etatmäßige Fanblock optisch blank blieb. Aber Polen ist bekanntlich nicht unbedingt das Land der optischen Intros. Ich war guter Dinge, dass im Spielverlauf noch die beliebte Reihenfolge Blockfahne – Präsentation der neuesten Sturmhaubenkollektion – Pyrotechnik geboten werden würde. Außerdem war es mein zweites Spiel auf dieser Reise mit Catering. Leider gab es neben Getränken keine ersehnte Kiełbasa, sondern nur Popcorn, welches mir natürlich nicht als Mittagessen in die Tüte kam.

Zusammen mit geschätzt 50 deutschen Hoppern durfte ich nun der veritablen akustischen Unterstützung der Fans des Kaliski Klub Sportowy von 1925 lauschen. Leider ging das Gästeteam durch ein Eigentor der Blau-Weiß-Grünen in der 13.Minute in Führung und konnte diese nach der Pause noch weiter ausbauen. In der 65.Minute fiel das 0:2 durch Maciej Kazimierowicz. Dabei war KKS eigentlich ebenbürtig, nur katastrophal im Abschluss. Bezeichnend war auch, dass der Kaliszer Mateusz Majewski in der 85.Minute noch einen Strafstoß zum Anschlußtreffer vergab. Aber da Skra zwischenzeitlich (81.Minute) bereits auf 0:3 erhöht hatte (Dawid Niedbała), war der Drops eh gelutscht und die ersten Fans verließen vorzeitig das Stadion.

Entsprechend des Spielverlaufs ließ auch die Unterstützung von den Rängen etwas nach. Der große Traum vom erstmaligen Einzug in die 2.Liga war geplatzt und Pyrotechnik oder andere Akzente gab es keine mehr für meine gierigen Augen. Eine Erwähnung ist höchstens noch wert, was so an Bannern zu sehen war und welche befreundeten Szenen zur Unterstützung angereist waren. An der Brüstung vor’m Fanblock hingen Kaliski Klub Sportowy, Duma Kalisza, RK’97 und ONG. Zu Gast waren sehr viele Fans von Widzew Łódź, denn KKS ist einer von deren Juniorpartnern und Widzew hat wiederum in und um Kalisz viele Anhänger. Über die Freunde aus Łódź ist möglicherweise auch der freundschaftliche Kontakt von KKS zu Elana Toruń entstanden. Neben Widzew und Elana war außerdem noch eine sichtbare Abordnung von Kotwica Kołobrzeg anwesend.

Wirklich schade, dass KKS & Friends heute nichts zu feiern hatten. Ich habe es ja schon beim Halbfinale der Aufstiegsrunde erwähnt, Skra Częstochowa hat in der 2.Liga nichts zu suchen. Keine Tradition, keine Fans und kein brauchbares Stadion. Einfach nur ein Sinnlosclub, in den mutmaßlich irgend jemand zu viel Geld steckt (in Częstochowa nur Raków!). Jetzt feierten sie auf fremden Felde den Aufstieg und bekannte deutsche Hoppernasen schossen noch ca. 96 Abschiedsfotos vom Stadion aus jeder Perspektive. Dabei wartete für einige im PKW angereiste Quantitätshopper um 15 Uhr im 60 km entfernten Konin schon der nächste Ground, weshalb der Chef des Teams sie irgendwann zur Hurtigkeit mahnte.

Ich hatte dagegen nach Abpfiff nun nochmal 90 Minuten bis zur Zugabfahrt um 15:23 Uhr. Ideal für einen zweiten Altstadtbummel. Dort verbrachte ich wie vor dem Spiel eine gute Stunde und schaute mir diesmal die Kirchen auch von innen an (mittags hatten dort Kulthandlungen stattgefunden, die ich nicht stören wollte). Was zum Snacken wollte ich mir dann to go auf dem Food Court der bahnhofsnahen Shopping Mall holen (Anm. d. Lektorats: Wow, welch Feuerwerk der Angliszismen!). Aber nachdem ich die 3,5 Kilometer aus der Altstadt absolviert hatte, freute ich mich erst einmal über die Sprühnebeldusche vor der Mall. Mit benetzter Haut fühlte man sich bei 36° C gleich viel besser.

Sprühnebelduschen sind auf jeden Fall bald Teil meiner Anlagestrategie. Der Klimawandel ist leider nicht mehr zu stoppen. Dann will ich wenigstens Geld daran verdienen. Ich hab nämlich das Gefühl, dass auch viele von den geistig Gesunden, die den wissenschaftlichen Konsens eines anthropogenen Klimawandels nicht anzweifeln, die Dimensionen der globalen Erwärmung nicht begreifen können. Die denken, wenn wir das 1,5-Grad-Ziel erreichen, bleibt alles „cool“ bzw. das Klima ziemlich so wie aus den letzten Jahrzehnten gewohnt. Und wenn es am Ende 2 Grad mehr werden, was gegenwärtig eh realistischer als 1,5 Grad ist, kommen wir damit schon irgendwie klar. Wird es eben ein bißchen wärmer, soviel Unterschied können 0,5 Grad schließlich nicht ausmachen. Äh, nö… Eher doch!

Damit nun nicht der schreckliche Verdacht aufkommen kann, ich sei so ein Öko-Fundi (oder gar, dass ich Passagen dieses Blogs irgendwo abgeschrieben habe und mein Lebenslauf geschönt ist), möchte ich natürlich mein anschließendes Essen beim sehr nachhaltigen und Tierwohl fördernden Unternehmen Kentucky Fried Chicken erwähnen. Auf dem Food Court gab es eh nur Mist, da sorgte letztlich ein spontaner Anflug von Panadebegierde für den Zuschlag. Acht dick panierte Hähnchenfiletstreifen und eine große Portion Pommes durften es sein. Dazu Eistee. Weil Free Refill war, wurde der erste Becher in einem Zug geleert und die zweite Zapfung nahm ich wie das Essen mit in den Zug. Musste mich sogar noch sputen, da das Zeitfenster rapide geschmolzen war. Doch eine Minute vor der fahrplanmäßigen Abfahrt stand ich am Gleis.

Die Bahn (wieder ein Regionalzug für ca. 5,50 €) kam tatsächlich pünktlich, stand aber noch rund 15 Minuten außerplanmäßig in Kalisz rum, weil noch ein verspäteter InterCity vorgelassen werden musste. Das fettige Fast Food war entsprechend verputzt, noch bevor der Triebwagen wieder Fahrt aufnahm. In Sieradz stand der Zug dann erneut fast 30 Minuten, weil anscheinend der Gleisabschnitt Richtung Łódź noch belegt war. So langsam schmolz mein Zeitpuffer in Łódź dahin. Ja, Puffer… Keine gemütliche Rückreise, es herrschte Zeitdruck! Denn es griff schon wieder eine kurzfristige Planänderung und ich würde doch nicht bis Sonntagmorgen in Łódź bleiben.

Max hatte Freitagnachmittag mitbekommen, dass ich in Polen bin (hm, dabei bin ich bei Instagram mit Reisefotos immer so zurückhaltend) und fragte ob ich über’s Wochenende in Warszawa weilen würde. Er war dort nämlich mit drei weiteren Kumpels, um einen dort studierenden Freund zu besuchen. Sie hatten eine große Bude im Stadtzentrum angemietet, wo noch ein Schlafsofa für mich frei wäre. Mein Hotel in Łódź war zwar nicht mehr stornierbar, aber die 37,50 € für die letzte Nacht waren natürlich zu vernachlässigen, wenn ich in Warszawa Couchsurfing betreiben würde. Ja gut, wenn die unbedingt noch einen sechsten Mann zum Zechen brauchen? Ich buchte nun kurzfristig einen Zug von Łódź nach Warszawa, der um 19:05 Uhr starten sollte und umgerechnet nur 6,30 € kostete.

Letztlich war ich mit +45 in Łódź Kaliska, hatte aber immer noch fast 90 Minuten, um zum Ibis zu kommen, dort zu duschen und schließlich zum fast noch fabrikneuen zukünftigen Hauptbahnhof Łódź Fabryczna zu gehen. Lief zunächst nach Plan und nach dem Check-out hatte ich 25 Minuten für die 1,8 km zum Bahnhof. Weil ich noch nie am Bahnhof Fabryczna war, folgte ich der Beschilderung und landete auf einer Baustelle, deren Zäune den Weg zur Brücke zum Bahnhof absperrten. Super, die Zuwegung aus meiner Richtung war zwar schon ausgeschildert, aber noch nicht fertig. Jetzt musste ich noch einmal um den Pudding (knapp 1.000 Meter extra) und verpasste meinen Zug nach Warszawa denkbar knapp. Kurwa!

Durch meine fruchtlose Laufeinlage bei 34° C war ich 30 Minuten nach dem Duschen auch schon wieder komplett durchgeschwitzt und hatte eine Laune wie Kalle Grabowski, nachdem er seine Olle mit dem Pornowichser auf Video gesehen hatte. Die Option erst mit dem nächsten Zug in zwei Stunden nach Warszawa zu fahren war uncool. Die Option jetzt doch in Łódź zu bleiben noch uncooler. Also buchte ich mir ein neues Zugticket in die Hauptstadt für abermals umgerechnet 6,30 € und tat nun etwas, was höchst selten vorkommt. Ich holte mir ein paar Dosen Bier zum Soloverzehr.

Damit spazierte ich in den Park am Bahnhof und ich hatte schon so meine Bedenken, dass die nicht gerade kleine Trinkerszene mich anlungert. Allerdings saß ich hier nur in Sporthose und neben mir trocknete Unterwäsche auf der Bank (ich hatte im Hotel noch eine Garnitur mit Rei in der Tube gewaschen, da meine Kleidungskalkulation hitze- und schwitzebedingt doch nicht aufging). Mehr Clochard geht wohl kaum. Fehlte nur noch, dass ich mich im Brunnen wasche. Während nun der ein oder andere Normalo angeschnorrt wurde, blieb ich tatsächlich unbehelligt. Außerdem gelang es mir etwas Promille aufzubauen. Meine baldigen Trinkbrüder waren bereits seit mittags am kacheln, da konnte ich gegen 22:30 Uhr nicht komplett nüchtern auflaufen. Man will sich schließlich vernünftig unterhalten können.

Dann ging es überpünktlich zurück in den fast menschenleeren und noch nicht wirklich mit Ladenlokalen gesegneten Bahnhof. Aber schick ist er schon. Meine schon vor Jahren geäußerte Kritik an den vielen Łódźer Bahnhöfen stieß also nicht auf taube Ohren. In den letzten Jahren wurde mit Fabryczna der zentralste der hiesigen Bahnhöfe enorm ausgebaut und wenn die Tunnelstrecke unter der Innenstadt zum Bahnhof Łódź Kaliska fertig ist, wird der einstige Kopfbahnhof endlich ein Durchgangsbahnhof sein, den Züge aus mehreren Himmelsrichtungen passieren. Außerdem wird man von hier in sehr überschaubarer Zeit zum geplanten neuen Großflughafen (CPK) zwischen Warszawa und Łódź kommen. Als Y-Hochgeschwindigkeitsstrecke sollen ferner Poznań (Posen) und Wrocław (Breslau) über Łódź mit der Hauptstadt und dem Hauptstadtflughafen neu angebunden werden.

Bis 2034 will Polen eh das Bahnnetz grundlegend modernisiert und ausgebaut haben, so dass alle Ballungszentren des Landes besser miteinander verbunden sind. Von Poznań wird man dann anstatt 3h22 nur noch 1h55 in die Hauptstadt benötigen. Zwischen Wrocław und Warszawa verkürzt sich die Fahrzeit ebenfalls von 3h35 auf 2h00. Aus Szczecin halbiert sie sich gar von 6h32 auf 3h15. Auch von Gdańsk und Gdynia wird man in Zukunft eine gute Stunde Fahrzeit einsparen und fortan binnen zwei, bzw. zweieinhalb Stunden die Hauptstadt erreichen. Aus Katowice oder Kraków soll man 2034 nur noch 90 Minuten bis Warszawa benötigen. Das werden goldenen Zeiten für Bahnreisende und der öffentliche Inlandsflugverkehr soll entsprechend komplett entfallen.

Als ich gegen 22:30 Uhr endlich die Hauptstadt erreichte, stand mir der Sinn aber nicht nach weiteren Bahnfahrten, sondern nach goldenem Gerstensaft (für Kultur und Sehenswürdigkeiten war bei diesem Kurzaufenthalt natürlich nicht wirklich Zeit, weshalb ich auf den Reisebericht Warszawa 08/2018 verweise). Zum Glück befand sich in der nahen „Ferienwohnung“ einiges davon im Kühlschrank. Max hatte mich unter der ikonischen Gitarre eines bei Groundhoppern beliebten T-Shirt-Händlers (mit angeschlossener Gastronomie) eingesammelt und von dort zu der abgerockten Bude in einem Plattenbau geführt. So konnte ich mein Gepäck loswerden und Kraft tanken, ehe es mit weiteren Kannen auf der Hand zu den anderen ging.

Die waren aus dem Kneipenumfeld des Kulturpalastes schon mal zur Partymeile Nowy Świat (Neue Welt) weitergezogen. In einer Nebenstraße hatten sie sich bei der Gastwirtschaft Meta niedergelassen. Hier gab es 0,03 l Wodka für 5 Złoty (ca. 1,10 €) und 0,5 l Bier für 7 Złoty (ca. 1,55 €). Da waren wir genau richtig für die nächsten Stunden, so dass wir gar nicht mehr weiterziehen brauchten. Obwohl es in der Gegend noch viele weitere vielversprechende Lokale gegeben hätte. Ich muss demnächst nochmal ein richtiges Partywochenende in Warszawa verbringen oder hier den nächsten runden Geburtstag in ein paar Jahren feiern.

Aus der Truppe kannte ich zwar eigentlich nur Max, aber ich wurde aufgenommen wie ein verlorener Sohn. Es wurde auf jeden Fall viel gelacht. Ich musste ein bisschen über meine bisherige Reise berichten und die Jungs erzählten von ihrer Anreise am Freitag und dem heutigen Spielbesuch bei Polonia Warszawa. Ich hatte zwar meinen Geheimtipp Ząbkovia Ząbki pflichtschuldig weitergeleitet, aber ich konnte auch verstehen, dass eine Reisegruppe, die nicht zuvorderst zum Fußball schauen in Polen war, lieber zu Polonia fährt. Ich ärgerte mich vielmehr ein wenig, dass ich meine Planung umgeschmissen hatte und in Kalisz anstatt Ząbki war. Denn bei Ząbkovia wurde wie von mir prophezeit etwas für’s Auge geboten.

Außerdem wussten Max und Co zu berichten, dass nachmittags tatsächlich eine Pride Parade in Warszawa stattgefunden hat. Das erklärte mir nun den bunt angestrahlten Kulturpalast am heutigen Abend. Der Bürgermeister von Warszawa ist auch nicht von der PiS und mehr so der weltoffene Typ. Hier im Zentrum waren die Bars zwar nicht von Regenbogen-Publikum frequentiert, aber sie sollen tatsächlich ungestört ihren nachmittäglichen Marsch vollzogen haben. Das war in Polens Hauptstadt auch schon anders. Nichtsdestotrotz waren die einschlägigen Kneipenmeilen wahrscheinlich trotzdem ungeeignet für eine bunte Anschlussparty. Mit den tausenden Fans der polnischen Nationalmannschaft (Polen hatte heute 1:1 gegen Spanien gespielt) hätte es teilweise vielleicht doch Reibungspunkte gegeben.

Als der spätabendliche Hunger einsetzte, organisierten wir uns noch gegen 1:30 Uhr Falafelrollen aus der Nachbarschaft und gute 60 Minuten später machte Meta leider dicht. Mit vier Sechsteln der Reisegruppe ging es nun ins Apartment, während zwei Mitstreiter meinten, dass man durchaus noch weiterziehen könnte. Für die beiden wurde es noch ein teurer Abend, denn leider gibt es auch in Warszawa miese Gauner, die es auf das Geld von betrunkenen Touristen abgesehen haben. Der Rest trank noch gemütliche Biere im Wohnzimmer des Apartments, ehe einer nach dem anderen wegknackte. Womit dann diverse Betten leer blieben, aber das Wohnzimmer überbelegt war.

Sonntagmorgen wachte ich das erste Mal gegen 7 Uhr auf, weil die Sonne brutal in die Platte schien. Also Vorhänge zu und nochmal drei weitere Stunden geschlafen. Ab 10 Uhr kam langsam wieder Leben in die Bude und wir rekapitulierten nochmal den witzigen Vorabend. Da das Apartment nur 500 Meter vom Hauptbahnhof entfernt war, hatte ich auch nicht so den Zeitdruck und erreichte meinen Zug um 12:06 Uhr sorgenfrei. Der EuroCity nach Berlin war erwartbar gut ausgelastet und um so mehr freute ich mich über mein großzügiges Abteil in der 1.Klasse. Eine Investition (74,90 €), die sich gelohnt hatte.

Die lange Rückfahrt wurde mit Podcasts hören und Arbeit an den Reiseberichten sinnvoll gestaltet, ehe ich um 21 Uhr wieder daheim war. Es waren neun abwechslungsreiche Tage in Polen, mit vielen Höhepunkten und ganz wenigen Enttäuschungen. Vor allem war diese Tour nach 15 Monaten Reisemoratorium Balsam für die Seele. Schauen wir mal was der Restsommer noch so bringt. Zwar sieht die Pandemiesituation in weiten Teilen Europas zur Zeit etwas entspannter aus. Aber der Impfmotor fängt langsam an zu stottern und Delta ist bereits auf dem Vormarsch. Wahrscheinlich steht sogar schon Epsilon irgendwo in den Startlöchern, so dass keine seriöse Prognose für die nächsten Monate möglich ist. Also einfach mal abwarten und spontan bleiben.

Immerhin habe ich schon früher als gedacht eine Impfung erhalten und obwohl der Impfstoff maßgeblich in Deutschland entwickelt wurde, hat Dietmar Hopp daran Gott sei Dank keine Aktien. Meine Hochachtung an dieser Stelle an Ugur Sahin, Özlem Türeci und ihr Team. Hopps Unternehmen CureVac hat dagegen in den klinischen Studien enttäuscht. Von 48 % Wirksamkeit war in den Medien die Rede und eine Zulassung der EMA wäre objektiv nicht nachvollziehbar. Wir haben in der EU bereits vier zugelassene Impfstoffe, die deutlich wirksamer sind und die Vakzine von Novovax und Sanofi mit jeweils über 90 % Wirksamkeit in den klinischen Studien stehen ebenfalls kurz vor der Zulassung. Da ist kein Bedarf für den Impfstoff des H… (Anm. d. Red.: Hopp ist das gesuchte Wort). Natürlich müssen in dieser Pandemie persönliche Animositäten hinten anstehen und wenn der Impfstoff von CureVac einen Beitrag hätte leisten können, wäre das zu begrüßen gewesen. Dann hätte Hopp eben noch ein paar Milliarden mehr an Vermögen und diverse Speichellecker würden Hagiografien schreiben. Aber so wie Hopp sich inszeniert hat, mit vermeintlicher Abfuhr an Trump und großen Wohltäterworten (“Wenn es uns hoffentlich bald gelingt, einen wirksamen Impfstoff gegen das Coronavirus zu entwickeln, soll dieser Menschen nicht nur regional, sondern solidarisch auf der ganzen Welt erreichen, schützen und helfen können.”), ist es vielleicht doch begrüßenswert, dass er nicht noch weiter an seinem Heiligenschein basteln kann. Genug entblödete Journalisten findet er schliesslich immer, die willfährig seine Narrative unter’s Volk bringen und damit Totschlagargumente gegen jegliche Kritik liefern.

Eigentlich ist dieser Feind des Fußballs, der übrigens ohne ladungsfähige Meldeadresse in Deutschland lebt, nicht würdig die Schlußzeilen einer so gelungenen Reise zu bekommen. Allerdings war Hopp, der Heilige, dem Rolex-Kalle das Händchen halten wollte und der in den Diffamierungen seiner Person Rassismus sah, das Thema meiner letzten großen Reise im März 2020. Hat mich einfach interessiert wie es mit Hopp weiterging und wo eigentlich „sein“ Impfstoffgeschenk an die Menschheit bleibt. Daher ein bißchen das Schließen eines Kreises. Außerdem gab es zwischenzeitlich eine ausgewogene ZDF-Reportage zur Hopp-Fankurven-Problematik und interessante Artikel zu fragwürdigen Transfermodellen mit Hoffenheimer Beteiligung. Doch kein Heiliger?