Gdańsk, Sopot & Gdynia (Danzig, Zoppot & Gdingen) 06/2021

  • 16.06.2021
  • Arka Gdynia – Łódźki KS 0:1
  • I Liga (II)
  • Stadion Miejski w Gdyni (Att: 3.462)


Diesen Bericht hätte ich auch Trójmiasto (Dreistadt) taufen können. Denn ich war an einem Tag in allen drei Städten, die gemeinsam diese Agglomeration mit ca. 750.000 Einwohnern bilden. Dabei ist Gdańsk (Danzig) mit ungefähr 470.000 Menschen die bevölkerungsreichste Stadt, während im noblen Seebad Sopot (Zoppot) nur rund 35.000 Bürger gemeldet sind. Allerdings besuchen Sopot geschätzt zwei Millionen Touristen pro Jahr. Das ist nochmal eine halbe Million mehr Besucher als Gdańsk vorweisen kann. Gdynia (Gdingen) ist dagegen eher wirtschaftsorientierte Hafenstadt, denn Touristenmagnet und zählt annähernd eine Viertelmillion Einwohner.

Dezent dejeunieren

Mein Tag startete in Gdańsk natürlich wieder mit dem Hotelfrühstück. Dann beschloss ich wieder ein paar touristische Meter durch den Stadtkern zu machen und tauchte um 10 Uhr beim Muzeum II Wojny Światowej (Museum des Zweiten Weltkriegs) auf. Da ich die Debatte über die Ausrichtung des 2008 von der liberal-konservativen Regierung unter Donald Tusk in Auftrag gegebenen Museums interessiert aus der Ferne verfolgt hatte, war dies natürlich ein Pflichtbesuch. Geplant war den Krieg aus einer gesamteuropäischen Perspektive beleuchten. Doch nachdem 2015 die rechtskonservative PiS an die Macht kam, wurde das ursprüngliche Museumskonzept als zu unpatriotisch angesehen. Die Regierung berief die führenden wissenschaftlichen Köpfe des Weltkriegsmuseums ab und ersetzte sie durch linientreue Historiker des Instytut Pamięci Narodowej (Institut für Nationales Gedenken). Ich war nun sehr gespannt, wie viel PiS-Handschrift man im letztlich 2017 eröffneten Museum erkennen würde.

Das Museum des Zweiten Weltkriegs

Zunächst einmal wird der Besucher mit der Weltlage zwischen den beiden Weltkriegen vertraut gemacht. Es geht um die Folgen der Pariser Vorortverträge, Europas Neuordnung mit vielen neuen Grenzen und Polens Wiedergeburt als Nationalstaat. Sowie um Krisen und die Ausbreitung des Totalitarismus in etlichen Ländern (wie in Italien, Deutschland, Spanien oder auch Polen). Dann nehmen die wachsenden Spannungen in Europa und die entsprechenden Versuche den Frieden zu retten – vulgo die Appeasementpolitik gegenüber Hitler – viel Raum ein. Natürlich bekommt auch der Konflikt der Deutschen und Polen um Danzig und letztlich der deutsche Angriff auf die Danziger Westerplatte am frühen Morgen des 1.Septembers 1939 seine gebotene Tiefe. Markiert dieses Ereignis doch den faktischen Beginn des Zweiten Weltkriegs. Nur einen Steinwurf vom Museum entfernt befindet sich übrigens das ehemalige polnische Postamt der Freien Stadt Danzig. Dieses Postamt gehörte wie die Westerplatte zu den exterritorialen polnischen Sondergebieten im Freistaat und wurde am 1.September über 14 Stunden von seinen (teilweise militärisch ausgebildeten und bewaffneten) Postbeamten gegen die deutschen Angreifer verteidigt.

Denkmal der Verteidiger des polnischen Postamts

Auf den Einmarsch des Deutschen Reichs (und der Sowjetunion) in Polen, folgen Darstellungen zum Winterkrieg der Sowjetunion gegen Finnland und zu den deutschen Blitzsiegen an der Westfront. Gefolgt von Hitlers Bruch mit Stalin und dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion, sowie der erbarmungslosen Kriegsführung an der Ostfront. Auch die weitere Entwicklung an den anderen Fronten wird beleuchtet. Dabei richtet sich der Fokus immer wieder auf die exilpolnischen Streitkräfte, welche nach 1939 fortgesetzt gegen das Deutsche Reich und dessen Verbündete kämpften. Nach Polens Niederlage dienten immerhin zwei polnische Armeekorps mit rund 250.000 Soldaten auf europäischen und nordafrikanischen Schlachtfeldern unter alliiertem Oberkommando. Dazu stellte auch Stalin polnische Divisionen auf, getragen und geführt von polnischen Kommunisten, die in den letzten zwei Kriegsjahren an der Seite der Sowjetunion fochten. Für diese der PiS ideologisch nicht genehmen polnischen Soldaten, war jedoch kein Ausstellungsraum vorgesehen.

Sturzkampfflugzeug Ju 87

Doch nicht nur die Kämpfe an europäischer West- und Ostfront sind im musealen Fokus. Auch bekommen der asiatische Kriegsschauplatz oder Jugoslawien und die dortigen Gräuel ihren Raum. Detailliert wird obendrein geschildert, wie die Sowjetunion ab 1939 ihre Expansion in Osteuropa vorangetrieben hat, mehrere souveräne Staaten überfiel und diese annektierte. Dabei werden die Verbrechen der Sowjets in Polen und anderswo, insbesondere das Massaker von Katyn, detailliert aufbereitet. Für mich war nun besonders interessant, wie sich die sowjetische Besatzungs- bzw. Okkupationspolitik in Ostpolen zwischen 1939 und 1941 gestaltete. Ein Thema zu dem ich bisher wenig gelesen habe. Aus in die Sowjetunion deportierten Polen (ca. 1 Mio Menschen, die als potentiell illoyal und als nicht sowjetisierbar galten) und polnischen Kriegsgefangenen hatte Stalin übrigens schon 1941 versucht eine eigene polnische Armee namens Armia Andersa aufzustellen. Jedoch konnte die Rote Armee dieses nach seinem General Władysław Anders benannte polnische Korps im Winter 1941/42 weder ausrüsten, noch ausreichend verpflegen. Daher führte man die Polen via Persien den britischen Streitkräften im Nahen Osten zu.

Graffiti zu Ehren des Polnischen Widerstands

Noch mehr Raum als die sowjetische, nimmt allerdings die deutsche Okkupation im Westteil Polens ein. Welche sich ab 1941, nach dem Überfall des Deutschen Reiches auf die Sowjetunion, schon bald auf ganz Polen erstreckte. Eingebettet in diesen Museumsabschnitt sind auch eindrucksvolle Ausstellungsräume zur Shoah. Besonders ein großer Stapel leerer Koffer und ein Gang mit Tausenden von Porträtfotos der Opfer verfehlen ihre Wirkung nicht.

Über das verbrecherische deutsche Besatzungsregime und den polnischen Widerstand habe ich bereits etliche Publikationen gelesen und teilweise auch ein paar Zeilen in meinen Tourberichten geschrieben (z. B. Warszawa 08/2018). Ich lernte in diesem Ausstellungsteil ergo nicht mehr viel Neues. Ein prominent platziertes Zitat über das polnische Volk blieb jedoch besonders hängen:

“Die Bevölkerung ist ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk, welches sich nur unter der Knute wohlfühlt.”

(Claus Schenk Graf von Stauffenberg)

Erinnerte mich ans Studium, als ich mich akademisch mit der Frage auseinander setzte, wie man Stauffenberg und die Verschwörer des 20.Juli 1944 ideologisch einordnen kann. Gerade weil mir im Schulunterricht nur ein Heldenbild vermittelt wurde, fand ich das Thema interessant. Widerstand gegen Hitler und die unbedingt notwendige Beseitigung von dessen Regime ist die Seite der Medaille, die in der deutschen Erinnerungskultur auf Hochglanz poliert ist. Inwiefern rassistische Weltsicht und Demokratiefeindlichkeit am Vorbildcharakter der Verschwörer kratzen, ist dagegen (bisher) nur eine Debatte für die Nische.

T-34 in nachgestellter Kriegskulisse

Letztlich hat es Deutschland bekanntermaßen auch nicht geschafft sich selbst vom Nationalsozialismus zu befreien. Es waren fremde Armeen und erheblicher Widerstand in den besetzten Territorien notwendig. In Polen war dieser Widerstand besonders ausgeprägt, so dass im Musuem der polnische Untergrundstaat und die polnische Untergrundarmee umfangreich dargestellt werden. Auch gibt es einen separaten Ausstellungsteil zur Entschlüsselung der deutschen Chiffriermaschine Enigma. Alle Fans des oscarprämierten Hollywoodstreifens „The Imitation Game“ werden hier aufgeklärt, dass Alan Turing ohne polnische Vorarbeit durch Marian Rejewski wohl niemals hätte Enigma knacken können. Aber gut, der Film mag dramaturgisch und schauspielerisch herausragend sein. Aus Historikersicht ist er dagegen an mehreren Stellen zum Kopfschütteln.

Little Boy

Die letzten Museumsbereiche widmen sich den alliierten Erfolgen in der letzten Kriegsphase. Ergo dem D-Day und dem Sieg über Deutschland, der erzwungenen Kapitulation Japans durch die Atombombenabwürfe der USA, sowie der Nachkriegsordnung, bis hin zum Fall des Eisernen Vorhangs. Im allerletzten Raum wird die nachträgliche PiS-Handschrift nochmal unverkennbar. Ein Animationsfilm hat die den polnischen Rechtskonservativen wichtigen Narrative parat. Dass Polen zunächst 1939 im Stich gelassen wurde, trotzdem einen heroischen Beitrag im weiteren Kriegsverlauf lieferte und gegen die Besatzer erbittert Widerstand leistete. Doch es wurde bereits 1943 auf der Konferenz von Teheran von den westlichen Alliierten hintergangen und 1945 nach Kriegsende endgültig von den USA und Großbritannien verraten, so dass es noch bis 1989 sowjetisch besetzt blieb. Das polnische Volk leistete jedoch auch gegen die Kommunisten unermüdlich Widerstand, bis Polen endlich befreit war und der Krieg somit eigentlich erst vor rund 30 Jahren für sie endete. Aber seht selbst: http://www.theunconquered-movie.com

Trailer „The Unconquered“

Da war ich doch froh, dass in den Ausstellungsräumen zuvor viel polnischer Fokus, aber nur wenige historisch streitbare Darstellungen geboten werden. Sogar polnische Verbrechen, insbesondere Pogrome, oder die Beteiligung an der Zerschlagung der Tschechoslowakei, werden zumindest gestreift. Wenn ich auch glaube, dass die PiS bzw. das vor ihr betraute Institut noch nachträglich eingriff, um die Polen da zuvorderst als von den Nazis verführte und aufgestachelte Täter darzustellen. Während polnische Hilfe für verfolgte Juden, z. B. durch die Untergrundorganisation Żegota, wesentlich großflächiger vermittelt wird. Der latente Antisemitismus, der in der polnischen Bevölkerung sehr weit verbreitet war, wird nicht ernsthaft thematisiert. Genauso wenig die polnischen Pogrome nach 1945 (Buchtipp: „Angst – Antisemitismus nach Auschwitz in Polen“ von Jan Tomasz Gross).

Bahnhof Sopot

Nach über drei Stunden im Museum, bestieg ich um 13:55 Uhr einen Zug nach Sopot. Gute 20 Minuten später erreichte ich das Seebad und spazierte über die Flaniermeile Ulica Bohaterów Monte Cassino zur Strandpromenade. Warum heißt die Straße, welche die Sopoter meist nur abgekürzt Monciak nennen, übersetzt Helden von Monte Cassino? Weil eine polnische Division 1944 nach vier Monaten erbitterten Kämpfen das italienische Kloster Monte Cassino befreite. Hier hatte die deutsche Wehrmacht ihren wichtigsten Stützpunkt innerhalb ihrer quer durch Italien verlaufenden Verteidigungslinie (Gustav Linie). Nach der Einnahme von Monte Cassino stand den alliierten Verbänden endlich der Weg nach Rom und Norditalien offen. Anscheinend soll mich der Zweite Weltkrieg auch nach dem Museumsbesuch noch verfolgen…

Die Garnisonskirche

Gleich an der neogotischen Kościół garnizonowy św. Jerzego (Garnisonskirche St. Georg) von 1901 ging es damit weiter. Hier kreuzte ich ein Denkmal für Wojtek den Bären. Die Huldigung dieses tierischen Kriegshelden habe ich im Museum am Vormittag vermisst (oder übersehen). Gut, dass Sopot diese Lücke schließen konnte. Ich war eigentlich der Meinung, ich hätte Wojtek schon in irgend einem Bericht gewürdigt (mutmaßlich aus Edinburgh, da ich ihn dort mittels eines weiteren Denkmals überhaupt erst kennen gelernt habe). Beim Durchsuchen dieser Seite fand ich allerdings nichts. Vermutlich habe ich dereinst doch nur einen Text über Wojtek an Jan Böhmermann und Olli Schulz geschickt, damit die beiden ihn im Podcast Fest & Flauschig in der Kategorie Tiere, die es geschafft haben vorstellen.

Polens größter Kriegsheld

Denn Wojtek hatte es zweifelsfrei zu etwas gebracht. Er war ein syrischer Braunbär, den das spätere 2. Polnische Korps (die bereits erwähnte Armia Andersa) 1942 in Persien adoptierte. Der tierische Gefährte hatte sich schnell an die Menschen gewöhnt, wurde handzahm, trank mit ihnen Wodka und steigerte die Moral der Truppe. Er begleitete die Soldaten fortan auf den Schlachtfeldern des Krieges und wurde sogar ab 1944 als regulärer Soldat mit eigenem Soldbuch geführt. Besonders in Monte Cassino, als er kistenweise schwere Mörsergranaten an die Frontlinie schleppte, machte Wojtek sich verdient. Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs; Wojteks gesamte Bärenbiographie ist großartig. Recherchebefehl!

Unterwegs in der Sopoter Bohaterów Monte Cassino (kurz Monciak)

Auf Wojtek folgten in der Ulica Bohaterów Monte Cassino zahlreiche Restaurants, deren Speisekarten den Passanten von motivierten Mitarbeiterinnen in die Hand gedrückt wurden. Daran merkte man schnell, dass dies einer von Polens meistbesuchten Urlaubsorten ist. Es passte nun ins Bild, dass für die längste Seebrücke Europas (511,5 Meter lang) eine Zugangsgebühr von 10 Złoty (ca. 2,20 €) erhoben wurde. Aber was soll’s? Ist schließlich Urlaub und irgendwie konnte ich die paar Kröten noch im Portemonnaie zusammenkratzen.

Es ist zwar etwas teurer, dafür ist man unter sich

Anstatt am sandigen Strand, konnte ich mir auf der Seebrücke außerdem viel angenehmer für 30 Minuten die Sonne auf den Wohlstandsbauch scheinen lassen. Mehr lässt mein Teint bekanntlich nicht zu, ohne von Kajmak auf Ajvar zu wechseln. Unterdessen schweifte mein Blick abwechselnd hinaus auf’s Meer und zur Strandpromenade, wo die Luxushotels und Villen einen mondänen Charme versprühen. Wer braucht schon Biarritz oder Cannes, wenn er auch Sopot haben kann? Kein Wunder, dass unser östliches Nachbarland auch bei deutschen Touristen immer beliebter wird. Sechs Millionen pro Jahr waren es vor der Pandemie. Davon der Großteil Ostseeurlauber.

Das Grand Hotel

Als nächstes stand eine bereits virtuell vorbereitete Wanderung am Strand und auf den Küstenklippen an, die mich von Sopot nach Gdynia führen sollte. Je weiter man sich dabei vom Sopoter Seesteg entfernte, desto einsamer wurde es. Das Wasser hatte eine tolle Farbe und der Blick reichte bis zur Półwysep Helski (Halbinsel Hela). Ich steuerte auf die weithin sichtbare Klif Orłowski (Orlower Klippe) zu, welche ich nun für tolle Ausblicke erklomm. Oben erwartete mich ein naturbelassenen Klippenweg, auf dem ich meine Wanderung im Schatten der Bäume fortsetzte.

Offiziell war ich jetzt schon in Gdynia, aber bis zur Kernstadt musste ich noch ein paar Kilometer zurücklegen. Dabei stoppte ich auch nochmal am Standort von Arkas einstigem Stadion in der Ulica Ejsmonda. Gut 80 Jahre wurde hier seit der Vereinsgründung im Jahre 1929 gekickt. Bis das städtische Stadion in Gdynia-Redłowo (Hohenredlau) für Arka zur modernen Arena mit über 15.000 Sitzplätzen umgebaut wurde (2011 eröffnet). Mittlerweile hat Arkas Tennisabteilung auf dem alten Stadiongelände mehrere Plätze und ein Clubheim errichtet. Aus nostalgischen Gründen ist jedoch die alte Fankurve Górka, nebst Gedenktafel, für die Nachwelt erhalten worden.

Die Überreste von Arkas einstiger Heimstätte

Vom alten Stadion flanierte ich fortan auf Gdynias Strandpromenade Richtung Zentrum. Dabei sah ich neben Bikinischönheiten auch etliche Muskelpakete mit Arka-Tattoos. Das hat natürlich Stil, wenn man sich vor einem Heimspiel im Sommer noch am Strand sonnen kann. Doch auch abseits der schlagkräftigen Fanszene versprüht Gdynia eher einen rauen Charme. Es ist keine wirklich alte Stadt, sondern sie wurde nach dem Ersten Weltkrieg relativ schnell aus dem Boden gestampft. Polen bekam in den damaligen Friedensverträgen einen Zugang zum Meer zugesprochen, jedoch fehlte es bisher an einem Überseehafen an diesem Küstenstreifen.

Städtischer Strand Gdynia

An jenem schmalen Korridor fiel die Wahl nun auf das Dorf Gdingen vor den Toren Danzigs. Der Ort wurde binnen weniger Jahre planmäßig zu einem Handels-, Passagier-, Militär- und Fischereihafen ausgebaut. 1939 lebten hier bereits rund 115.000 Menschen und die Architektur der 1920er und 30er Jahre (Modernismus) beherrscht das Stadtbild. Dann kamen die Deutschen zurück und vertrieben rund die Hälfte der polnischen Bewohner der Stadt. Über 10.000 Polen, die man als Angehörige der polnischen Intelligenz einordnete, wurden in den Wäldern der Umgebung von der SS und deren Helfern aus der deutschen Minderheit in Polen ermordet (Volksdeutscher Selbstschutz, vgl. Grudziądz 10/2019).

Denkmal der im Zweiten Weltkrieg vertriebenen Polen aus Gdynia

Trotz abermals neuer polnischer Grenzziehung nach dem Krieg, womit nun auch große Ostseehäfen wie Stettin und Danzig polnisch wurden, erreichte Gdynia nach 1945 schnell wieder seinen alten Rang als wichtigster Hafen des Landes. Ungefähr 245.000 Menschen leben gegenwärtig hier, was Gdynia zur zwölftgrößten Stadt Polens macht. Entsprechend war es auch nicht schwer eine Möglichkeit zur Einkehr für das Abendessen zu finden. Auf dem Hinweg hatte ich schon mal eine Gastwirtschaft im Internet ermittelt, die Shakshuka im Angebot hat. Nur hatte diese bereits um 18 Uhr ihre Pforten geschlossen. Kurwa!

Sauersuppe im Brotlaib

Nun denn, ging es eben in das nächstbeste Restaurant namens Manekin, welches sich auf Pfannkuchengerichte spezialisiert hatte. Ich entschied mich zunächst für eine Żurek im Brot und anschließend für die Lasagne des Hauses. Die hatte alle hochgeschätzten Zutaten der italienischen Pastaspezialität. Bis auf die Pasta an sich. Denn die Nudelplatten wurden durch dünne Pfannkuchenschichten ersetzt. Es gab in der Welt der Kulinarik sicherlich schon schlechtere Ideen.

Pfannkuchisierte Lasagne

Der Pott Limonade mit frischen Früchten darin, war wiederum eine gute Idee meinerseits. Fand auch meine kurzfristig erschienene Gesellschaft am Tisch. Kollege Alex hatte zwar schon gegessen, schaute aber mal kurz zur Begrüßung vorbei. Denn da wir aufgrund der heutigen Ticketknappheit Plätze auf zwei verschiedenen Tribünen hatten, würden wir das Spiel nicht gemeinsam verfolgen können (bei Buchung gab es nur noch neun freie Plätze im System, die dramatischen Szenen bei der Ticketbeschaffung sind im Bericht Gdańsk & Chojnice 06/2021 festgehalten). Aber das sollte bei den kommenden Begegnungen dieser Tour, die wir uns gemeinsam rausgepickt hatten, natürlich noch anders aussehen.

Fruchtige Erfrischung für Freunde des guten Geschmacks

Alex brach bereits frühzeitig zum Stadion auf, weil er nach der langen Zugfahrt aus Hannover unbedingt noch Meter zu Fuß machen wollte. Ich hatte dagegen bereits genug Kilometer in den Beinen und wollte Bahn fahren. Blöd nur, dass ich später die von mir anpeilte Bahn zum Stadion verpassen sollte und der nächstmögliche Zug erst 10 Minuten vor Anpfiff am Stadionbahnhof eingetroffen wäre. Anscheinend fuhren die Bahnen in den Abendstunden nur noch stündlich. Aber okay, im Umkehrschluss hatte ich jetzt noch eine gute Stunde Zeit bis Spielbeginn. Musste ich die 3,5 km Distanz eben doch mit meiner Muskelkraft überwinden. Wird anscheinend ein richtiger Sporturlaub…

Grüßt euch, Gästefans

Auf dem Weg zur Spielstätte erspähte ich außerdem noch sportlichere Typen als mich, die auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums von der Polizei eingekesselt waren. Hm, die konnten doch nur aus Łódź sein. Wahrscheinlich ohne Eintrittskarte angereist, aber kurz vor’m Stadion doch noch ins Visier der Gesetzeshüter geraten. Am Eingang wurde ich jedoch eines Besseren belehrt. Als ich gerade durch das Drehkreuz wollte, wurde der Mob an der Haupttribüne in Richtung Heimkurve vorbeigeführt. Hm, doch Arka? Nee, jetzt aus der Nähe erkannte ich, dass bei vielen ŁKS-Insignien auf den Shirts prangten. Kaum saß ich auf meinem Platz, enterte der ŁKS-Mob schließlich den Eckblock neben mir. Der gehört eigentlich zur Heimkurve, während im etatmäßigen Gästekäfig heute Heimfans saßen. Denn Gästefans waren heute bekanntlich verboten.

Schon das Banner war eine Verheißung

Tja, da hatte Arkas harter Kern wohl Karten aus seinem Bereich für die Gäste aus Łódź abgezwackt. Noble Geste, die schon fast nach Freundschaft klingt. Meines Wissens steht man sich allerdings lediglich neutral gegenüber bzw. respektiert sich gegenseitig. Sicher auch begünstigt dadurch, dass beide Szenen unabhängig voneinander mit Lech Poznań freundschaftlich verbunden sind. Im Stadion kam es nun auch nicht zu irgendwelchen Verbrüderungsgesten zwischen Arka und ŁKS, sondern man ignorierte sich weitgehend. Ich freute mich auf jeden Fall, dass auch ein Gästemob vorhanden war.

Endlich wieder Fußball in etwas größerem Rahmen

Als die Vorfreude so langsam ins Unermessliche stieg, wurde der Anpfiff nochmal um 15 Minuten verschoben. Lag allerdings nicht an noch zu bewältigenden Fanmassen am Einlass, sondern am anderen Aufstiegssemifinale des Tages. Das Duell GKS Tychy gegen Górnik Łęczna (Anstoßzeit 18 Uhr) war ins Elfmeterschießen gegangen. Dabei setzte sich das Team aus Łęczna durch und somit war schon mal klar mit wem es Arka oder ŁKS im Endspiel dieser Aufstiegsrunde zu tun bekommen würden. Da Górnik als am schlechtesten platziertes Team (6.) in diese Runde einzog, stand außerdem fest, dass Arka oder ŁKS das Heimrecht am kommenden Sonntag zustand.

Die Gästefans

20:45 Uhr wurde schließlich die Ermittlung des zweiten Finalisten angepfiffen. Arka wollte den Heimvorteil nutzen und kam zu den ersten Torchancen des Spiels. Bei diesen Offensivaktionen fiel mir immer wieder der Akteur mit dem Trikotflock Aléman auf. Kurze Recherche; Ah, ein Ecuadorianer, den es im Januar 2021 aus seinem Heimatland in die polnische 2.Liga verschlagen hat. Ansonsten gab es in der Abwehr der Arkowcy noch einen bei CD Numancia ausgebildeten Spanier. Ich finde solche „exotischen“ Legionäre in unterklassigen osteuropäischen Ligen immer kurios. Globalisierung par excellence.

25% der Stadionkapazität durften ausgelastet werden

ŁKS hatte beispielsweise vier Spanier und einen Portugiesen im Kader. Aus diesem iberischen Quintett standen drei Spieler in der Startelf. Man of the Match wurde jedoch der Brasilianer Ricardinho in Diensten von ŁKS. Er schoss in der 64.Minute das einzige Tor des Abends. Witzigerweise war der Mittelstürmer dereinst im Februar 2011 aus dem sonnigen Brasilien ins kalte Polen gewechselt und schnürte zunächst für den kommenden Aufstiegsendgegner Górnik Łęczna die Stiefel. Dann begann eine kleine Osteuropatournee mit u. a. Stationen in Moldawien, respektive Transnistrien (FC Sheriff Tiraspol), Serbien (FK Crvena zvezda) und Russland (FK Tosna). Dazu weitere Engagements in Polen und auf der arabischen Halbinsel, ehe es vor vier Monaten zu ŁKS ging (in Polen hat er sich anscheinend einen guten Namen gemacht).

Im Gästeblock erfreut man sich an der Führung

Aber war ich wirklich für ein spannendes Fußballspiel und noch spannendere Biografien hier? Jein…. Noch mehr freute ich mich auf eine geile Stimmung und optische Akzente in den Fanblöcken. Denn trotz Methadon auf ein paar Dorfplätzen und in kleinen Amateurstadien, richtige Stadionstimmung hatte ich wirklich extrem vermisst in den letzten 15 Monaten. Zum Glück wurde wie gewünscht abgeliefert. Arka war brachial laut und als sie in der 10.Spielminute eine Blockfahne über ihre Köpfe zogen, kamen erstmals meine Grübchen zur Geltung. Vorfreude ist doch die schönste Freude.

Banner: „Zur Ehrensalve, drei Ladungen…“

Fünf Minuten später war die Fahne wieder verschwunden und auffällig viele Blockinsassen hatten nun eine Mund-Nase-Bedeckung im Gesicht. Gut so, wurden in diesem Stadionbereich doch tatsächlich kaum die empfohlenen Abstände eingehalten. Als sie jedoch gemeinsam von 10 auf 1 runterzählten, schwante mir Übles. Diesen Fans ging es offenbar gar nicht um die AHAL-Regeln und Pandemieprävention, sondern stattdessen wollten sie die Premiumplattform Ekstraklasa-Aufstiegsrunde für ihre pervertierte Form der Fankultur missbrauchen.

„Salve – Feuer frei!“

Aber jetzt wieder ernsthaft; wie mich einfach seit einem Vierteljahrhundert doch immer wieder diese Pyroshows in Fußballstadien erfreuen können. Die Kurve voller Nicos, T.I.F.O.s und Wecos. Ich weiß, dies war nie das was zählt, aber irgendwie lieb‘ ich das… Selbst eine einzelne Fackel kann bei einem ansonsten tristen Kick etwas Freude spenden. Hat halt jeder so seinen persönlichen Fetisch. Nur gehört meiner natürlich besser nicht ins Schlafzimmer 😉

Der zweite Streich

Im Wohnzimmer der Arkowcy war das Zeug dagegen ganz gut aufgehoben. Deshalb war ich sehr erfreut, dass in der 30.Minute gleich noch ein zweites Mal gezündet wurde. Diesmal schön im Block verteilt, anstatt in Reih‘ und Glied wie beim ersten Mal (was natürlich seinen Sinn hatte, da man bei der ersten Aktion militärische Salutschüsse imitieren wollte). Gefiel mir rein optisch noch besser. Waren obendrein schönere Fackeln mit anderer Leuchtfarbe und größerer Flamme. Da ich jedoch nur Fan und kein Fachmann bin, kann ich jetzt leider kein Fabrikat für Nachahmer empfehlen.

Leider war es nicht das erhoffte friedliche Fußballfest

Ferner war die akustische Unterstützung beider Fanlager ebenfalls ein schönes und lange vermisstes Erlebnis. Auch wenn das Stadion nur zu 25 % ausgelastet werden durfte, wurde es dennoch oft beeindruckend laut. Es saßen sicher auch die richtigen Leute im Stadion. Ist zwar nett, wenn da noch 10.000 weitere Zuschauer sind, die man hin und wieder mitreißen kann. Aber entscheidend ist selbstredend, dass die lautstärksten und sangesfreudigsten Typen alle dabei sind. Man hat nach dem Rückstand auch gemerkt, dass der Mannschaft das Pushen von den Tribünen gut getan hat. Wenngleich das ersehnte Ausgleichstor trotz zahlreicher Chancen ausblieb.

Hm, warum steht hier eigentlich sonst keiner am Bahnhof?

Aber wie bereits gestern in Chojnice fand ich ganz okay, dass es nicht mehr in die Verlängerung ging. Der letzte Zug am Stadionbahnhof sollte schließlich schon um 22:57 Uhr fahren und ich wollte nicht nochmal 3,5 km bis ins Zentrum (zum Hauptbahnhof) latschen. Denn ich habe tatsächlich erst nach Spielende, als ich fast allein am Bahnsteig auf den besagten letzten Zug des Tages wartete, gerafft, dass es in Stadionnähe auch noch einen Bahnhof an der Hauptlinie der Gdańsker Vorortbahn gibt (Station Gdynia-Redłowo). Da wären auch vor dem Spiel alle 10 Minuten Bahnen hingefahren und nicht wie beim offiziellen Stadionbahnhof, der an einer Nebenlinie liegt, nur stündliche Züge.

Ich bringe halt die Spitzenleistungen

Dass ich das im Vorfeld nicht hinreichend geprüft habe, beschäftigt mich sicher noch Wochen (mindestens). Wäre dieser Urlaubstag nicht so unfassbar gut gewesen, hätte mich das wahrscheinlich sogar um den Schlaf gebracht. Es wäre für einen Profi definitiv angezeigt gewesen zu prüfen welcher Bahnhof an der Hauptlinie Gdańsk – Gdynia dem Stadion am nächsten ist, um ggf. weitere An- und Abreiseoptionen zu haben. Ich schieb‘ das jetzt einfach auf die Temperaturen von bis zu 36° C am heutigen Reisetag und nicht auf mein fortgeschrittenes Alter. Zum Glück ist mir trotz dieser Nachlässigkeit kein Schaden entstanden und ich war wie gewünscht um 23:49 Uhr zurück in Gdańsk. Außerdem machten sich die (unnötigen) Kilometer vor dem Spiel gut in der Tagesstatistik. Sonst wären es an diesem Mittwoch nur 30.000 und nicht über 35.000 Schritte geworden. So!

Song of the Tour: Arkas Hymne