Beograd (Belgrad) 09/2017

  • 01.09.2017
  • FK Sinđelić– TSC Bačka Topola 0:0
  • Prva Liga (II)
  • Stadion FK Sinđelić (Att: 150)

Die Balkantour 2017 sollte zwar nicht dort enden wo sie begann, aber es gab trotzdem kurz vor Schluss ein großes Comeback. Nach vier Tagen Montenegro ging es zurück nach Belgrad, wo wir bekanntlich bereits zur Tourmitte weilten. Von dort gab es am 2.September brauchbare Rückflüge nach Hannover und wir beschlossen schon einen Tag früher zu erscheinen, um nochmal einen ordentlichen Hieb Belgrader Luft zu atmen und gegebenenfalls noch ein, zwei Fußballspiele mitzunehmen.

Abfahrt in Bar

Um von Bar zurück nach Belgrad zu kommen, entschieden wir uns diesmal für den Nachtzug. Eine in meinen Augen ganz tolle Form zu reisen. Erst recht, wenn sie wie auf dem Balkan auch noch so günstig ist (19 € für’s Ticket, 6 € für die Liege). Da wir die malerische Zugstrecke ja nun schon bei Tage kannten, verloren wir keinen weiteren Urlaubstag und sparten uns eine Nacht in einem Hotel oder einer anderen Art von Herberge. Wir hatten wie auf der Hintour zu fünft ein 6er-Abteil und nachdem die Betten bezogen waren, gab es noch ein paar Schlummertrunke. Dabei freundete man sich auch mit ein paar Mitreisenden im selben Waggon an. Zum Beispiel dem montenegrinischen Rentner, der 40 Jahre in Franken gearbeitet hat und dementsprechend perfekt Deutsch sprach. Nun lebt er wieder in Montenegro und pöbelte auch nochmal gegen den polnischen Touristen, der das Feuer am Dienstag gelegt hatte.

Das Schlafgemach

Auch mit den jüngeren montenegrinischen Mitreisenden im Nachbarabteil wurden Worte und Genussmittel ausgetauscht, so dass der Beginn der Fahrt entsprechend heiter war. Sogar der Schaffner zechte sich ordentlich zu, nachdem alle Tickets kontrolliert waren. So gegen Mitternacht (Abfahrt war 19 Uhr) waren beide Passkontrollen an der serbisch-montenegrinischen Grenze überstanden und danach schliefen wir tatsächlich alle ein, sowie durch, bis der freundliche Rentner uns 30 Minuten vor Belgrad weckte. Nach der um 90 Minuten verspäteten Ankunft in Belgrad (gegen 8:30 Uhr) steuerten wir als erstes die Zvezda Lounge Bar zum Frühstücken und Abhängen an.

Omelette zum Frühstück

Da wir erst um 12:30 Uhr ins Appartement konnten (immerhin nach Rücksprache 90 Minuten vor offizieller Check-In-Zeit. Hvala Ivan!), brauchten wir für ein paar Stunden eine gute Basis in Belgrad und da gibt es für mich nichts Besseres als die Lounge im Stadion Rajko Mitić. Zur Stärkung gab es Omelette mit Schinken und Käse und diverse Cappuccini. Von hier war es dann auch nur ein Katzensprung zum Appartement (wir hatten wieder die Wohnung am Slavija, wie schon in der Europapokalnacht in der Vorwoche), wohin wir kurz nach 12 Uhr aufbrachen. Nach dem freundlichen Wiedersehen mit Vermieter Ivan und der ersehnten Körperpflege, ging es schließlich an die Umsetzung der in der Lounge geplanten Aktivitäten des Nachmittags.

Die Bude am Slavija

Ich war ganz klar für einen Spielbesuch bei FK Sinđelić (2.Liga), jedoch damit allein auf weiter Flur. Seeigel-Ole, die Krake und Fat (schwimmt oben) Lo wollten bei 35° C unbedingt wieder zur Ada Ciganlija zum Planschen, während Milano Pete sich offenbar von den Gaben montenegrinischer Zugmitreisender den Magen verdorben hatte. Eigentlich war ich auch geil auf schwimmen (und das hübsche Drumherum auf der Ada), aber es war auch schon 13 Uhr durch. Das wären effektiv zwei Stunden am Wasser gewesen und dazu noch ca. 1.000 allein zu zahlende Dinar (8 €) für’s Taxi von der Ada zum Stadion (dass noch irgendwer spontan Bock auf Fußball bekommen würde, war zu 96 % ausgeschlossen). Dann lieber mal runterkommen, damit beginnen Reiseberichte zu schreiben und gemütlich um 15 Uhr einen Stadtspaziergang vom Appartement zum Stadion starten. Einen Spaziergang, der zur Auseinandersetzung mit der serbischen Geschichte verleitete.

Sveti Sava

Als erstes ging es vom Slavija hoch zum Hügel Vračar. Hier steht der Hram svetog Save (Dom des Heiligen Sava). Sveti Sava war erster Erzbischof der Serben und ist bis heute ihr Nationalheiliger. Der ihm geweihte Dom ist eine von Belgrads bedeutensten Sehenswürdigkeiten. Optisch klar von der Hagia Sophia inspiriert. Ergo eine riesige Kreuzkuppelkirche, jedoch erst im frühen 20.Jahrhundert entworfen und begonnen zu bauen. Da in Konstantinopel bekanntlich schon etwas länger der Halbmond das Kreuz verdrängt hatte und in Moskau damals atheistische Kommunisten herrschten, sollte Belgrad das neue „Rom“ der christlichen Orthodoxie werden. Der Überfall von Nazi-Deutschland riss Jugoslawien 1941 allerdings in den Zweiten Weltkrieg und danach herrschten auch hier die Kommunisten, so dass der Bau über vier Jahrzehnte zum Erliegen kam. Seit 1986 wird wieder gearbeitet und 2004 wurde zumindest schon mal die erhabene äußere Gestalt der Großkirche vollendet. Im Inneren wird dagegen aktuell immer noch fleißig gewerkelt.

Die serbische Provinz Kosovo-Metochien

Dort, wo der Dom heute thront, haben die Osmanen 1594 mutmaßlich Sveti Savas exhuminierten Leichnam verbrannt (Sava starb bereits 1236). Folglich können Savas Gebeine nicht in der Krypta des Doms ihre letzte Ruhe finden. Stattdessen wird es nun die Begräbniskirche vom ebenfalls als Heiligen verehrten Lazar Hrebeljanović. Dieser Großfürst hatte die Serben 1389 in die Schlacht auf dem Amselfeld (Kosovo polje) geführt und ließ dort, wie auch sein türkischer Gegenüber Sultan Murad I., sein Leben. Neben der von Sveti Sava etablierten serbisch-orthodoxen Kirche, ist nichts identitätsstiftender für das serbische Nationalbewusstsein, als diese heroisierte Schlacht gegen die Osmanen. Daher wird der Anspruch Serbiens auf die postulierte Wiege ihrer Nation und die dortigen Heiligtümer ihrer Kirche auch nie erlischen. So ist auch der nominelle Sitz des serbischen-orthodoxen Kirchenoberhaupts im Kosovo (im Patriarchenkloster Pećka patrijaršija). Egal wie viele Staaten die von albanischen Terrorgruppen forcierte und von der NATO erzwungene Sezession der serbischen Region Kosovo-Metochien als Republik Kosovo noch anerkennen werden.

Kritik an der UEFA-Anerkennung der Kosovo-Sezession

In den Krieg zog das transatlantische Bündnis damals offiziell (erster Angriffskrieg mit deutscher Beteiligung seit dem Zweiten Weltkrieg), um ethnische Säuberungen und gar einen gezielten Völkermord an den Albanern im Kosovo zu verhindern (sogar mit Ausschwitz-Analogien rechtfertigten die rot-grünen Regierenden damals ihre Beteiligung). Ein schrecklicher Verdacht, der sich nicht erhärten ließ. Stattdessen produzierte der Krieg ca. 800.000 albanische (die meisten davon erst während der NATO-Intervention) und ca. 200.000 serbische Flüchtlinge aus dem Kosovo. Nachdem die Bombardements serbisches Kriegsgerät (das vorgebliche Ziel) in niedriger zweistelliger Anzahl vernichtet hatten, jedoch die Infrastruktur und Industrie Serbiens erheblich zerstört wurde (inklusive geschätzt 2.500 zivilen und 1.000 nicht-zivilen serbischen Todesopfern), lenkte Serbiens autokratischer Präsident Slobodan Milošević ein und die KFOR-Truppen der UNO übernahmen die Kontrolle im Kosovo.

Kritische Banner vorm Parlament

Nun kehrte sich die Situation um – zweifelsfrei war Belgrad vor dem Krieg dabei eine Art Apartheidssystem zu Lasten der Albaner im Kosovo zu installieren und serbische Nationalisten träumten von einem rein serbischen Kosovo – und die Serben wurden zur bedrohten Minderheit. Die KFOR-Soldaten mussten fortan vorwiegend die Serben und alle anderen Minderheiten (auch Roma, Juden, Türken, Goranen etc.) vor den ethnischen Säuberungen der Albaner schützen und mit ansehen wie albanische Extremisten serbisch-orthodoxe Kirchen und Klöster (teilweise UNESCO Weltkulturerbe) anzündeten.

Aber geht es den Albanern denn wenigstens besser? Leider haben sich im Gegenzug kaum Hoffnungen erfüllt, welche die Albaner des Kosovos in die Unabhängigkeit von Serbien gesetzt hatten. Der 2008 einseitig proklamierte Staat Republik Kosovo wäre ohne westliche Hilfsgelder nicht überlebensfähig. Um nur ein paar Parameter zu nennen: 60 % Jugendarbeitslosigkeit, 30 % Arbeitslosigkeit insgesamt, ein Außenhandelsdefizit von 45 % des BIP und 35 % der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. Das Staatswesen und die Gesellschaft sind durchsetzt von Clanstrukturen und organisierter Kriminalität, was zu hoher Korruption und einer Paralleljustiz der Kriminellen führt (und zu Wahlbeteiligungen von gerade mal knapp über 40 %). Bisher erfüllt die Republik Kosovo leider nahezu alle Merkmale eines Failed State und leidet nachvollziehbar unter starker Emigration. Die Angst irgendwann vom Boden Kosovo-Metochiens vertrieben zu werden (ohne die Rückkehroption, wie bei einer mehr oder weniger freiwilligen Wirtschaftsemigration), dürfte aber gewichen sein und nun sind es eben Albaner (also Landsleute) anstatt Serben, die der breiten Masse die Perspektive auf ein besseres Leben in ihrer Heimat rauben.

Wappen FK Obilic

Allerdings ist dieser Konflikt so alt und vielschichtig, dass ich dem niemals hier gerecht werden kann. Da kann ich nur jeden, der sich für das Thema interessiert, anregen eine Internetsuchmaschine oder eine gut sortierte Bibliothek aufzusuchen. Gerade die Vorgeschichte bis 1998/99 kann Bücher füllen und ist eigentlich unerlässlich für eine objektive Beurteilung der Ereignisse der jüngeren Vergangenheit. Zum Kosovokrieg selbst kann ich zwei etwas konträre Nachbetrachtungen bieten, auch völlig willkürlich aus der Masse herausgepickt: „Kosovokrieg – Als die Menschenrechte schiessen lernten (sz)“ und „Zehn Jahre Kosovokrieg – Es musste sein (taz)“. Wer bewegte Bilder will, kann mal Altmeister Peter Scholl-Latour lauschen: „Die NATO in der Balkanfalle“.

Dass der Kosovokrieg und seine weiterhin spürbaren Folgen den Serben sehr bewusst sind, zeigte sich auf meinem Spaziergang durch die vielen themenbezogenen Graffiti im Stadtbild Belgrads und große Plakatkampagnen an Hauptstraßen oder auch vor dem serbischen Parlamentsgebäude. Und passend zum kleinen Schwenk in Serbiens ältere und jüngere Geschichte, passierte ich auf dem weiteren Weg zur heutigen Spielstätte auch noch das Stadion des FK Obilić. Der Name des serbischen Fußballmeisters von 1998 ist ebenfalls untrennbar mit dem Mythos vom Amselfeld verbunden. Er ist nämlich nach dem serbischen Adligen Miloš Obilić benannt und trägt dessen Konterfei als Vereinswappen. Dieser Ritter war es, der Sultan Murad I. 1389 in der epischen Schlacht auf dem Kosovo polje getötet haben soll.

Stadion FK Obilic

Auch in Sachen neuzeitlicher Geschichte ist der FK Obilić ein hochinteressanter Verein. Sein kometenhafter Aufstieg im serbischen Fußball ist unzertrennlich mit der Person Željko Ražnatović, besser bekannt als Arkan, verbunden. Ražnatović gründete im dem Zerfall preisgegebenen Jugoslawien bereits 1990 die Srpska Dobrovoljačka Garda (zu deutsch: Serbische Freiwilligengarde), die als Arkans Tiger während der Bürgerkriegshandlungen im heutigen Kroatien und heutigen Bosnien-Herzegowina berühmt und berüchtigt wurden. Arkan, der damals bereits auf eine beachtliche Unterwelt-Karriere zurückblicken konnte, rekrutierte seine Paramilitärs vorzugsweise in der Fankurve von Crvena zvezda (Roter Stern Belgrad) und er blieb auch nach dem Bürgerkrieg fußballaffin. 1996 übernahm er den Zweitligisten FK Obilić und führte ihn, angeblich nicht nur mit legalen Mitteln, an die nationale Spitze. Zum einen soll die finanzielle Ausstattung des Clubs aus halbseidenen Geschäften gestammt haben, zum anderen sollen regelmäßig gegnerische Spieler und Schiedsrichter bedroht worden sein.

Ein Arkan-Graffito an der Stadionfassade

Als die UEFA drohte den Verein wegen Ražnatovićs internationalen Haftbefehl des Haager Kriegsverbrechertribunals zu sperren, zog sich Arkan offiziell zurück und seine Frau Svetlana Ražnatović übernahm das Zepter. Die Dame wiederum ist besser bekannt unter ihrem Künstlernamen Ceca und war Serbiens größtes Popsternchen in den 1990er Jahren. Die Traumhochzeit der beiden wurde 1995 live im serbischen Fernsehen übertragen und die Formel Bis dass der Tod euch scheidet griff bereits im Jahr 2000, als Arkan im Belgrader Hotel Intercontinental von Unbekannten mit mehreren Kugeln bedacht wurde und auf dem Weg ins Krankenhaus in den Armen seiner Frau starb.

Arkan & Ceca heiraten

Nach dem Tod ihres Mannes gehörte Ceca endgültig der Verein und zumindest bis 2003 hielt sich die Mannschaft in der nationalen Spitze. In diesem Jahr wanderte die beliebte Turbofolk-Sängerin wegen illegalem Waffenbesitz für mehrere Monate in U-Haft, nachdem man Verstrickungen von ihr zum tödlichen Attentat auf den serbischen Reform-Präsidenten Zoran Đinđić vermutete. Diesbezüglich wurden bei einer Durchsuchung ihrer Villa keine Beweise gefunden, aber ein ganzes Arsenal an illegalen Waffen wurde stattdessen sichergestellt. Da Ceca jene jedoch ihrem verstorbenen Mann zuwies und jedes vorherige Wissen über das Arsenal abstritt, kam es damals zu keiner Verurteilung. Stattdessen wurde Ceca im Jahr 2011 für circa 5 Millionen veruntreute Euro bei Spielertransfers juristisch belangt. Urteil: 18 Wochen Hausarrest und 1,5 Mio € Strafe. Der FK Obilić spielt mittlerweile in der untersten serbischen Spielklasse und Ceca konzentriert sich wieder ganz auf das Singen und ihren Juryplatz beim serbischen X-Factor.

Wilkommen beim FK Sindelic

Kleine Beobachtung am Rande: Der Nachbar des Stadions vom FK Obilić , welches immer noch einen sehr gepflegten Eindruck macht, ist das Hauptquartier der Hell’s Angels Serbia. Aber nun genug von einem Fußballclub, von dem ich nicht mal ein Spiel sah und hin zum tatsächlichen Ziel meines Ausflugs; dem FK Sinđelić. Die empfingen heute den TSC Bačka Topola zum Zweitligaduell am 3.Spieltag. Wer jetzt aber glaubt, damit endet auch mein Ausflug in die serbische Geschichte, irrt leider. Denn zufällig hat auch dieser Club sich nach einer historischen serbischen Figur benannt. Stevan Sinđelić war serbischer Heerführer im Ersten Serbischen Aufstand gegen die Osmanen, der 1804 begann und 1813 endete. 1809 sprengte er in der aussichtslos gewordenen Schlacht von Čegar (vor den Toren von Niš) sich und fast seine gesamte verbliebene Truppe (über 900 Mann) in die Luft, um sich und seine Getreuen vor dem Foltertod zu bewahren. Die Osmanen errichteten aus den Totenschädeln der Serben den Ćele Kula (Schädelturm) in Niš als Abschreckung für die serbische Bevölkerung. Eine Sehenswürdigkeit, die ich bekanntlich letzte Woche verschmähte und die vor rund 200 Jahren ihre Wirkung verfehlte. Denn schon 1815 kam es zum Zweiten Serbischen Aufstand, der im Ergebnis weitgehende Autonomie für Serbien brachte (1878 wurde Serbien dann endgültig ein souveräner Nationalstaat). Finde ich immer hervorragend, wenn ich über den Fußballsport beiläufig auch meinen historischen Horizont erweitern kann.

Nettes kleines Stadion

Jetzt aber wirklich zum Fußball, auch wenn das Gebotene nicht im Ansatz so spannend wie die serbische Geschichte war. Dem Gast aus Bačka Topola (Stadt in der Vojvodina mit ungarischer Bevölkerungsmajorität) gehörten die ersten 20 Minuten, ohne jedoch wirklich gefährlich zu werden. Dazu muss man sagen, dass Sinđelić gut verteidigte. Die Mannschaften hatten taktisch und technisch erwartungsgemäß etwas mehr drauf als die montenegrinischen Zweitligisten zwei Tage zuvor. Und wesentlich mehr Tempo war zunächst auch im Spiel. Dafür war die Abschlußqualität grauenhaft. Bei Freistößen in Strafraumnähe oder Eckstößen witterte ich Gefahr, aber die Freistöße gingen in schöner Regelmäßigkeit in die heute imaginären Wolken und Torschüsse oder Kopfbälle aus kurzer Distanz immer in die Arme der Torhüter. Kurz vor’m Halbzeitpfiff sah ich endlich den ersten guten Torschuss der Partie. Doch der Volleyschuss von TSC-Stürmer Tendai Chitiza (aus Simbabwe) wurde von Torwart Simić mit einem enormen Sprung aus der Gefahrenzone gefaustet.

Keine Sorge, der geht 7 Meter über das Tor

Torwart Simić war übrigens auch der einzige Spieler, der in den 90 Minuten eine Karte vom Schiedsrichter sah. Es war einfach harmloser Sommerfußball, bei dem in der 2.Halbzeit auch das anfangs hohe Tempo raus war (irgendwo verständlich bei mittlerweile 37° Celsius). Daher konnte es nur ein Ergebnis geben und das war ein weiteres „fantastisches“ 0:0. Nun das dritte Mal nacheinander auf dieser Reise. Fußball kann so grausam sein und ich malte mir zurecht den Spott meiner Freunde aus. „Wie geil es an der Ada war… blabla“ „Mensch Snepi, da haste ja ein Topspiel gesehen… blabla“. Egal, ich genoss meinen Rückweg in der Abendsonne, erfreute mich daran von serbischen Belgrad-Touristen nach dem Weg zum Hram svetog Save gefragt zu werden und überhaupt mal über vier Stunden lang nicht eine Sekunde als Tourist aufgefallen zu sein. Quasi richtig in eine fremde Stadt eintauchen, anstatt nur als Fremdkörper auf ihrer Oberfläche zu schwimmen, ist genau mein Ding.

Die Markuskirche im Tašmajdan

Wenn ich alleine unterwegs bin, kriege ich immer ein Auge für den Rhythmus einer Stadt. Dann nehme ich die gemütlichen Rentner im Park wahr, die Hausfrauen, die auf der Treppe vor’m Hauseingang sitzend miteinander schwatzen, die Berufspendler an den Bushaltestellen oder die im Hinterhof kickenden Kinder. Daher ist es immer cool, wenn einen ein Fußballspiel in einen Vorort oder Randstadtteil führt, in den man sich sonst nie verirrt hätte. Außerdem lernt man natürlich auch bei einem Fußballspiel in jedem Land viel über die Mentalität der Menschen. Wenn du nur die Top 10 Sehenswürdigkeiten jeder Stadt abgrast und die in den Guides empfohlenen Bars und Restaurants mit 50 bis 100 % Touriquote besuchst, lernst du keine Stadt der Welt wirklich kennen. Und egal wie günstig Taxis oder Öffis sind, einfach mal ein paar Kilometer zu Fuß gehen lässt einen natürlich immer mehr von der Stadt wahrnehmen, als im Vorbeifahren zu erkennen ist.

Meine drei Freunde Ole, Fat Lo und die Krake suchten nach ihrem Badespass auf der Ada noch ein Casino auf und nachdem sie jeder ein paar tausend Dinar beim Roulette verloren hatten, konnten wir endlich Essen gehen. Für den letzten Abend hatte ich mir nochmal eine besonders gute Kafana abseits der Innenstadt rausgesucht. Das Trešnjin Hlad war bis auf unseren Tisch komplett in serbischer Hand und sowohl drinnen, als auch draußen urgemütlich eingerichtet.

Ein letztes Mal Kafana

Neben den flächendeckenden Fleischklassikern der Balkanküche gibt es auch viele Spezialitäten des Hauses, die sicher alle einen Versuch wert wären. Größte Spezialität ist wohl Lamm in Milch, allerdings wäre ich dafür fast meine kompletten restlichen Devisen los geworden (Kostenpunkt 2.800 Dinar). Da ich nicht nochmal zur Bank wollte, investierte ich ein 750 Dinar für Schweineschnitzel im Speckmantel und mit Schinken-, Käse- und Gemüsefüllung. Dazu wurde frisches selbstgebackenes Brot gereicht und Balkankäse mit Chili und Knoblauch mariniert gönnte ich mir auch noch. Die Krake und Lo hatten ähnliche Gerichte wie ich, während Ole sich an den größten Grillteller der Reise wagte (so 750 bis 800 Gramm Fleisch). Er hat seinen Endgegner auch tatsächlich bezwungen. Respekt!

Die Schweinerei des Hauses

Es gab dann noch ein paar Runden Nikšicko und Rakija Dunja, sowie ein Ständchen der Kafana Band an unserem Tisch. Das war nochmal ein authentisches serbisches Restauranterlebnis, wie es sich für den letzten Abend gehört. Es folgte ein strapaziöser Verdauungsspaziergang (bergauf kann man leider nicht rollen) und nach einer Orange-Maracuja-Limo am Slavija beschloss ich dem kränkelnden Milano sein gewünschtes Mineralwasser zu besorgen und rüber in die Wohnung zu gehen, während die anderen Drei nochmal (erfolglos) zocken gingen. Hm, ab wann sollte man sich an die Suchtberatung wenden?

  • 02.09.2017
  • FK GSP Polet Dorćol – FK Sopot 2:0
  • Srpska Liga (III)
  • Stadion FK Dorćol (Att: 125)

Am nächsten Morgen gingen die Glücksspielunglücksraben erstmal zum Friseur. Da ich aber nicht wirklich Veränderungen auf ihren Köpfen feststellen konnte, waren sie wahrscheinlich in Wirklichkeit wieder im Casino. Anscheinend ist bereits jetzt die Phase des Lügens und Leugnens erreicht und dem Glücksspiel wird heimlich gefrönt. Ich werde schon bald eine Intervention machen müssen. Aber zunächst entriss ich lieber Ole diesem schlechten Umgang und nahm ihn mit zum nächsten und letzten Fußballkracher dieser Reise. Im Schatten der Belgrader Festung empfing der FK GSP Polet Dorćol den FK Sopot Beograd.

Schnuckelige Tribüne im Nachbarstadion

Die GPS-Navigation führte uns über Bahnschienen zum Stadion. Durch diesen Schleichweg hatten wir auch noch unfreiwillig das Eintrittsgeld von mutmaßlich 100 Dinar gespart und neben uns führte justement (Punkt 11 Uhr) eine sehr attraktive Schiedsrichterin 22 Fußballer aus den Kabinen zum Feld. Leider wurde nicht auf dem von uns angesteuerten Platz mit der schnuckeligen Tribüne gespielt, sondern auf dem Platz daneben, der nur unüberdachte Stehtraversen auf der einen Seite und eine Vormauer der Belgrader Festung auf der anderen Seite bot. Nichtsdestotrotz eine betagte, aber sehr schöne Anlage.

Stadion FK GSP Polet

Irgendwie wirkte das wie eine Zeitreise in die 1980er Jahre. Die Teams trugen ganz schlichte Trikots (ohne Sponsoren), die von 1 bis 11 durchnummeriert waren. Die Heimmannschaft war himmelblau-weiß gestreift und die Gäste waren ganz in rot aufgelaufen. Gekickt haben sie unterdessen mit einem klassischen Adidas Tango. Dazu trug das Gros der älteren Zuschauer zeitlos schöne Mode, die in Westdeutschland in den 1980ern bereits en vogue war. Gespielt wurde allerdings ohne Libero und Vorstopper, sondern mit Viererketten und auch gar nicht mal so schlecht. Bereits in der 4.Minute prüfte der Mittelstürmer (Nr. 9) der Gäste erstmals den Heimkeeper und in der 12.Minute gab sein Sturmpartner (Nr. 10) den nächsten guten Flachschuss ab (wieder gehalten). Dann sahen wir in der 19.Minute einen Freistoß aus 18 Metern vom hochgewachsenen und schussgewaltigen 9er in die Mauer, auf den ein Nachschuss vom knapp neben das Tor folgte.

Der Ball rollt im Schatten der Festung

Erst in der 32.Minute hatten die Hausherren ihre erste richtige Chance. Einen Schuss ihres Außenbahnspielers mit der Nr. 7 hätte ein Sopot-Verteidiger fast ins eigene Tor abgefälscht. Kurz vor der Pause (43.Min) köpfte Sopots 10er schließlich ins gegnerische Tor, nur die Unparteiische hatte eine Abseitsposition gesehen. Ich zweifelte natürlich nicht an ihrer Expertise. Also ging es leider trotz roter Dominanz und einigen guten Chancen mit 0:0 in die Halbzeit (ich habe aus Platzgründen selbstverständlich nicht alle Torschüsse erwähnt, ist auch so schon uninteressant genug 😉 ). Ergo hatte ich schon weit über 300 Minuten kein Tor mehr gesehen.

Für unfertige Häuser fallen keine Steuern an

Nachdem beim fliegenden Händler Wasser gekauft wurde, wechselten wir mal die Seite und schauten die zweiten 45 Minuten von der Vormauer der Festung. Und es schien Glück zu bringen. Fünf Minuten nach Wiederanpfiff haut die eingewechselte Nr. 17 von Dorćol einfach mal aus 20 Metern in den Winkel. Gott sei Dank kein viertes torloses Spiel in Folge! Die 2.Hälfte gehörte jetzt komischerweise fast komplett der Heimmannschaft. Unglaublich wie die Vorteile gewechselt waren. Schon in der 58.Minute konnte ein schöner Schuss von der Nr. 4 aus 25 Metern gerade so vom Gästekeeper über die Latte gefaustet werden. Der Fusionsverein aus FK GSP Polet und FK Dorćol hatte nun erkannt, dass Distanzschüsse das Mittel zum Erfolg sind und in der 66.Minute besorgte die Nr. 8 das 2:0 aus ca. 23 Metern. Kurz danach war nochmal Trinkpause (war schon wieder sehr heiß geworden) und die letzten 20 Minuten flachte die Partie ziemlich ab. Folglich blieb es beim 2:0, einem Ergebnis mit wir gut leben konnten.

Lohnender Perspektivwechsel

Nach dem Spiel spazierten Ole und ich via Festung, Kalemegdan-Park und Prachtstrasse Knez Mihailova zum Trg Republike (Platz der Republik) und von dort runter zum Slavija. Die Stadt füllte sich langsam mit serbischen Fußballfans, die um 18 Uhr zum Qualifikationsspiel von Serbien gegen Moldawien wollten (im Stadion Partizana). Für diesen wenig Spannung versprechenden Ländervergleich ging unser Flug allerdings zu früh. Serbien gewann später auch mit 3:0 und kann damit schon mal über ein Mannschaftsquartier im Bruderstaat Russland für kommenden Sommer nachdenken, während das heute spielfreie Wales sich hoffentlich noch Platz 2 in Gruppe D hinter Serbien krallen kann. Die walisische WM-Mission wird demnächst Gegenstand einer weiteren Schneppe Tour, doch jetzt neigte sich erstmal die sommerliche Balkantour mit großen Schritten dem Ende entgegen.

Festung Belgrad von Norden

Nach dem späten Check-Out bei Ivan um 14 Uhr gönnten wir uns gegenüber vom Appartement noch ein letztes Mal Punjena Pljeskavica beim Grill Ranković. Dann war es auch schon 15 Uhr und unser Bus zum Airport fuhr ab. Kostet 300 Dinar und schlägt somit das Taxi (1.800 Dinar) deutlich. Die Fahrdauer vom Slavija zum Airport betrug bei wenig Verkehrsaufkommen auch nur 20 Minuten, so dass wir schon über 2,5 Stunden vor Abflug am Flughafen waren. Also fix das Gepäck aufgegeben und die letzten Dinar in kohlensäurehaltige Softdrinks und Milchspeiseeis investiert (unselige Mischung im Magen). Wir waren schließlich kurz vor Abflug am Gate und bekamen da die frohe Kunde, dass sich der Start um 60 Minuten verzögert. Die gute Laune aus zwei geilen Wochen Balkan schien temporär wie weggeblasen.

Not a healthy drink

Nach 75 Minuten Warterei begann das Boarding und als alle im Flugzeug waren, kam der nächste Gute-Laune-Killer. Der Start wurde wegen eines angeblich aufgezogenen Unwetters auf unbestimmte Zeit verschoben. Immerhin war neben Fat Lo und mir ein Serbe aus Höxter in der Sitzreihe, mit dem wir sofort ins Gespräch kamen. „Kann es sein, dass ihr Freitag im Roter Stern Café ward?“ „Jo!“ War er nämlich auch und wir konnten gleich ’ne Stunde über Zvezda quatschen. Dann hob der Vogel endlich ab und ging schon in Budapest wieder runter. Hier wurde der kreidebleich aus dem Cockpit torkelnde Pilot ausgetauscht und nach 30 Minuten am Boden ging es weiter nach Hannover, wo wir letztlich drei Stunden zu spät landeten.

Lektüre darf auf langen Reisen nicht fehlen

Das wirkte schon arg unseriös. Entweder der Pilot war flugunfähig oder nicht. Dass er nur für 30 Minuten anstatt 120 Minuten tauglich war, kann ich mir irgendwie schwer vorstellen. Dazu die mangelhafte Informationspolitik und das Vorschieben von schlechtem Wetter. Aber gut, „Unser Pilot ist krank und fliegt euch daher nur bis Budapest“, hätte die Passagiere wohl über Gebühr beunruhigt. Dann vielleicht doch lieber Informationspolitik à la Thomas de Mazière. Und wenigstens konnten unsere freundlichen Abholer Languste und Olbert auf dem Laufenden gehalten werden und sind dementsprechend erst 30 Minuten vor geschätzter Landezeit losgefahren. Auf jeden Fall nochmal großen Dank an Bene und den Holzmichel für’s Hinbringen und an Languste und Olbert für’s Abholen! Bei uns war die stressige Rückreise am nächsten Morgen verarbeitet und es bleiben die großartigen Erinnerungen an zwei der schönsten Wochen unserer immer noch recht jungen Leben. Ich „fürchte“ nächsten Sommer geht es wieder auf den Balkan.

Song of the Tour: Cecas Liebeserklärung an Belgrad.