Rhône, Ain & Loire 10/2016

  • 29.10.2016
  • AS Saint Etienne – AS Monaco 1:1
  • Ligue 1 (I)
  • Stade Geoffrey Guichard (Att: 35.890)

„Jemand Bock auf ein paar Tage Frankreich Ende Oktober?“ Das war in meinem Freundeskreis eher eine rhetorische Frage. Doch aufgrund viel zu vieler Urlaubstage war ich bereit der Grande Nation die gefühlt 96.Chance zu geben, um mich als Urlaubsland zu überzeugen. Schließlich ist Lyon zur Zeit eines der wenigen Ziele, die man von HAJ zu akzeptablen Preisen anfliegen kann. Flybe brachte mich direkt von Hannover mit guten Flugzeiten dorthin (60 € return) und von Lyon aus sollten auch noch ein paar andere Orte erkundet werden. Dafür besorgte ich mir für insgesamt 53,30 € diverse Zugtickets auf der sehr guten deutschsprachigen Internetpräsenz der staatlichen französischen Eisenbahngesellschaft SNCF und buchte mir verschiedene Unterkünfte über eine bekannte Internetplattform.

Diverse Zugtickets

Dafür war der Transfer vom Flughafen Lyon in die Stadt sauteuer. Für die ach so tolle Express-Straßenbahn (30 Minuten bis ins Zentrum) wurden bei einem Kauf im Voraus knapp 15 € one way und über 25 € return verlangt. Die wohl teuerste Straßenbahn der Welt! Bis Sommer 2016 gab es noch einen Bus vom Flughafen ins 10 km entfernte Meyzieu, wo man dann in die reguläre Tram T3 einsteigen konnte. Die Fahrzeit ins Zentrum war zwar insgesamt doppelt so lang, aber dafür kostete der Transfer nur rund ein Drittel. Schon gleich zum Start wieder ein fetter Minuspunkt für das Urlaubsland Frankreich.

Bahnstation am Airport Lyon (designed by Santiago Calatrava)

Am Tag der Abreise packte ich zum ersten Mal seit Ewigkeiten einen Rucksack als Reisegepäck. Denn es sollte zwischen den Hotels A, B und C der Reise auch vieles zu Fuß erkundet werden, wobei mein geliebter Trolley ein sehr unpraktischer Begleiter gewesen wäre. Am Hauptbahnhof erwarb ich noch schnell die Magazine 11Freunde und Transparent als Reiselektüre und war dann, um nicht lange am Terminal gammeln zu müssen, 50 Minuten vor Abflug am Flughafen Hannover. Dort erwartete mich der nächste Gute-Laune-Killer in Form eines Delays von 30 Minuten. Entschädigt wurde ich 90 Minuten nach Abflug mit der butterweichsten Landung in der Geschichte der Luftfahrt. Und bei der Straßenbahnfahrt zum Gegenwert von aktuell 90 King Nuggets bei Burger King traf ich auf einen Fahrkartenkontrolleur, dessen Freundlichkeit und Lächeln fast schon ansteckend waren. Unglaublich, ein freundlicher Franzose! Sollten sich die Wucherpreise wenigstens zu einem Bruchteil in seinem Gehalt niederschlagen, aber auch kein Wunder.

Typische Bebauung im 3.Arrondisement von Lyon abseits der Hochhäuser

Natürlich hätte bei dem preiswerten Tarif *hüstl* der Anschluss im ÖPNV Lyons nochmal extra gekostet. Daher wählte ich vom Bahnhof Part-Dieu – der am Rande von Lyons Zentrum liegt und Endpunkt der Wuchertram vom Flughafen ist – den kostenlosen Fußweg zu meiner Herberge. Auf den rund fünf Kilometern konnte man schließlich schon einige Sehenswürdigkeiten mitnehmen. Aber zunächst brauchte ich was zu trinken und die große Mall am Bahnhof hatte an der Fassade eine Leuchtreklame von Carrefour installiert. Beim Einlass dann die erste Überraschung. Der Mann im Anzug im Eingangsbereich wollte mir nichts verkaufen, sondern meinen Rucksack kontrollieren, weshalb er jenen von hinten griff, als ich ignorierend an ihm vorbei marschierte. Ach ja, das Nachbarland ist verständlicherweise etwas empfindlicher, was die öffentliche Sicherheit angeht. Am Flughafen waren mir auch schon verhältnismäßig viele Soldaten mit Maschinengewehren aufgefallen, doch mit Taschenkontrollen an Einkaufszentren habe ich außerhalb von Israel nicht gerechnet.

An der Rhone

Nachdem ich im Labyrinth der Mall den Carrefour entdeckt hatte, war ich um 1,49 € ärmer und einen Liter Orangerina reicher. Jetzt konnte der Trek durch Lyon beginnen und letztlich spazierte ich über vier Stunden durch die Stadt. Durch das bevölkerungsreiche 3e arrondissement (knapp 100.000 Einwohner), wo der Bahnhof Part-Dieu lag und auch Lyons Hochhäuser neben schicken Altbauten in den Himmel ragten, marschierte ich recht schnellen Schrittes bis zum Ufer der Rhône. Dort verweilte ich erstmals. War nett da mit den kleinen Booten (die teilweise bewirtet waren) und den schönen Promenaden. Erinnerte an Paris. Mit dem Riesenvorteil, dass es nicht Paris war.

Einkaufsstraße im 2.Arrondisement

Am anderen Ufer der Rhône erwartete mich das 2e arrondissement. Es war das eigentliche Zentrum der Stadt und reich an repräsentativen Bauwerken. Dort findet man viele begutachtenswerte Kirchen (u. a. Saint-Nizier, Saint-Martin d’Ainay und die Chapelle de la Trinité), die große Synagoge von Lyon, viele wunderschöne Stadthäuser aus dem 17., 18. und 19.Jahrhundert und natürlich ebenso das beeindruckende Hôtel de Ville (Rathaus, 17.Jahrhundert). Auch einige schöne Plätze wie der Place des Jacobins, Place d’Ampère oder der Place des Terreaux luden zum Verweilen ein.

Place des Jacobins

Vor allem darf ich aber nicht den Place Bellecour unterschlagen. Er ist der größte autofreie Platz Europas (62.000 m²) und in der Mitte befindet sich ein Reiterstandbild von Ludwig XIV. (dem so genannten Sonnenkönig). Dort trifft sich der Lyoner hanoverlike unter’m Schwanz, wenn er in der Stadt verabredet ist. Der Place Bellecour zählt, wie so einiges im 2e arrondissement, zum UNESCO Welterbe. Ansonsten gehört zu den Charakteristika des Stadtbezirks seine hohe Dichte an Restaurants (von Mittelklasse bis sehr exklusiv) und der blühende Einzelhandel. Besonders auf dem Boulevard de la République sind die großen Designer und Labels mit Boutiquen und Modekaufhäusern vertreten.

Auch in Lyon trifft man sich unter’m Schwanz

Nachdem das 2e arrondissement auf der langgezogenen Halbinsel zwischen Rhône und Saône ausgiebig erkundet war, überquerte ich auch letzteren Fluss und war nun in Vieux Lyon, der Altstadt Lyons. Nach Venedig, aber noch vor meinem geliebten Florenz, ist Lyon die Stadt mit den zweitmeisten erhaltenen Gebäuden aus der Renaissance. In der Altstadt sind sie quasi komplett erhalten, so dass der Ortsteil als Gesamtheit ins UNESCO Welterbe gewandert ist. Es war wirklich ’ne Pracht durch die Gassen dieses Viertels am Fuße des Berges Fourvière zu spazieren.

Auf nach Vieux Lyon

Hauptbauwerk des Viertels ist natürlich die mittelalterliche Cathédrale Saint-Jean-Baptiste de Lyon (siehe Titelbild), deren Bau im 12.Jahrhundert begonnen und im 15.Jahrhundert vollendet wurde. Sie ist der Sitz des Erzbischofs von Lyon und im Inneren kann man unter anderem eine der ältesten astronomischen Uhren der Welt bewundern (14.Jahrhundert). Neben der Kathedrale beherbergt das Viertel viele Museen und Hungrige und Durstige kommen natürlich auch auf ihre Kosten. Den großen Touri-Nepp gibt es eigentlich nicht, aber Frankreich ist bekanntlich generell teurer als Deutschland oder auch Spanien, Italien, Griechenland u. v. m.. Daher genug Geld einpacken für Speis und Trank.

In den Gassen von Vieux Lyon

Charakteristisch für Vieux Lyon sind außerdem die Cours Renaissance (Renaissance-Innenhöfe). Ich habe mir u. a. die Höfe der Maison du Chamarier, der Maison du Crible (mit dem Tour Rose) und des Hôtel Bullioud angeschaut. Wer in Lyon ist, sollte einfach jeden offenen Zugang von den Altstadtgassen zu den Innenhöfen nutzen und wird jedes Mal etwas Neues entdecken. Sollte der Zugang offen sein, es gewöhnlich auch geduldet auf die Grundstücke vorzudringen.

La Tour Rose

Die Innenhöfe bilden zusammen mit den Les Traboules (altstädtische Verbindungsgänge) ein regelrechtes Labyrinth. Auch die Durchgänge sind vielerorts frei zugänglich für Besucher. Gleichwohl handelt es sich um Privatgrundstücke, die auch allesamt bewohnt sind. Daher ist natürlich Rücksicht auf die Anwohner zu nehmen, worauf die Stadt Lyon auf Schildern in französischer und englischer Sprache extra nochmal hinweist. Sollte am besten noch um diverse ostasiatische Sprachen ergänzt werden. Weil das bisher ausgeblieben ist, will ich mit der lärmenden Horde nicht zu hart ins Gericht gehen, die mir brüllend und Selfiestangen schwingend im längsten Traboule (54 rue Saint-Jean – 27 rue du Bœuf) entgegen kam.

Herrlicher Renaissance-Hof

Nach meiner Expedition in die Renaissance fasste ich mir ein Herz und bestieg die Treppen zum Hügel Fourvière (der rund 150 Meter höher als die Stadt lag). Dort warteten schließlich neben meiner Herberge auch die Basilique Notre-Dame de Fourvière, der Tour métallique de Fourvière (kleiner Bruder vom Pariser Tour Eiffel) und diverse antike Ausgrabungsstätten (hier liegt der Ursprung Lyons). Über zunächst schier endlose Treppen und danach durch die schönen Gärten am Hang, ging es in die Höhe. Oben angekommen, wog der Ausblick auf Lyon die Strapazen wieder auf. Dass es auch einen Fahrstuhl und Öffis hinauf gab, ignorierte ich gekonnt und fühlte mich durch die zwickenden Muskeln in den Beinen mal wieder so richtig lebendig.

Basilika Notre-Dame de Fourvière

Die Basilika hatte ihre Konsekration im Jahre 1896 und ein Jahr später wurde sie von Rom bereits zur Basilica minor erhoben. Der Architekt Pierre Bossan hatte neben romanischen und gotischen auch byzantinische Vorbilder für seinen Sakralbau. Durch den weißen Stein und die vielen Verzierungen an der Fassade, wirkt sie von außen schon sehr erhaben. Im Inneren wird man dann regelrecht von ihrer Pracht erdrückt. Bunte Fenster, ebenso farbenfrohe Mosaike und viel Gold verleihen der Kirche eine Dekadenz, die mich in ihren Bann zog. Die Bögen, die Säulen, die Kapitelle, die Simse… überall wartete Detailreichtum auf den Besucher. Es überrascht nicht, dass die UNESCO diese Kirche zum Welterbe erklärt hat.

Das Innere der Basilika

Wieder auf dem Vorplatz, wollte mich ein bronzener JP2 regelrecht in seine Arme schließen, aber ich schaute nochmal nach rechts, wo der Tour métallique empor ragte. Die prachtvolle Basilika war die Antwort der katholischen Kirche auf ein säkulares Frankreich und dieser Eiffelturm-Verschnitt wiederum war die Replik einer modernen und laizistischen Republik auf den prunkvollen Kirchenbau. Es handelt sich um einen Nachbau der dritten Etage des Eiffelturms und der Turm überragt die kurz zuvor entstandene Basilika nebenan bewusst um ein paar Meter. Außerdem betonen die Lyoner, dass ihr Turm dank des Hügels eigentlich auch höher als das Pariser Vorbild ist. Die Spitze ist dadurch ein paar Meter mehr über NN als in der französischen Kapitale.

JP2, quasi der CR7 der katholischen Kirche

Von der Basilika und dem tagsüber ziemlich hässlichen Metallgerüst (halt wie der Eiffelturm) war es nur ein Katzensprung zum Centre Jean Bosco. Gehört zu katholischen Universität und war meine fromme Unterkunft für eine Nacht. Die betagten Glaubensbrüder an der Rezeption beherrschten natürlich nur Französisch (und vielleicht noch Latein) und meinen Namen konnten sie ebenso nicht aussprechen, aber einer erzählte sofort, dass er Freunde in Mulhouse hat, die auch so heißen. Und dann erzählten sie noch viel mehr über das Haus, Lyon, die Kirche usw.. Hat ein bisschen gedauert, bis ich endlich in mein Zimmer konnte.

Nice lounge with a view

Das Zimmer war an Einfachheit kaum zu schlagen. Ein Bett, ein Schrank, ein Tisch, ein Stuhl und ein Kreuz (alles biblischen Alters), das war’s. Aber mehr brauchen Geistliche oder Pilger natürlich auch nicht zum glücklich sein. Dafür war die Nasszelle auf jeden Fall aus diesem Jahrhundert und sauber war ebenfalls alles. Auf den Fluren hatten sie außerdem schöne Lounges mit Panoramafenstern auf jeder Etage. Dazu ein Garten, der bei gutem Wetter zum gemütlichen Zusammensitzen einlud. Halt eine christliche Begegnungsstätte wie aus dem Bilderbuch (natürlich gab es auch einen großen Speisesaal, Tagungsräume, eine Bibliothek etc.).

Blick zur archäologischen Ausgrabungsstätte

Von meiner Etage (3.Stock) hatte ich übrigens einen tollen Ausblick auf das römische Amphitheater des einstigen Lugdunums und weitere Ausgrabungen aus römischer Zeit. Mein nächstes Ziel stand damit fest und keine 15 Minuten nach dem Check.In turnte ich schon wieder in 2000 Jahre alten Gemäuern rum, während die Worte von Mommsen, Bleicken und Heuß das gleiche in meinem Kopf taten. Das angeschlossene Museum war leider schon im Inbegriff zu schließen, aber das Theater und das Odeon blieben frei zugänglich.

Das Amphitheater

Danach machte ich mich auf zu „One of the hidden gems of Lyon“. Der Jardin des Curiosités sollte der Geheimtipp in Lyon für den Sonnenuntergang sein, da dort, im Kontrast zur Basilika auf dem Fourvière-Hügel, nicht alles mit Touris geflutet war, die den Sonnenuntergang über Lyon fotografieren wollen. Ich genoss das Panorama und spazierte danach wieder runter in die Altstadt. Auch nach Einbruch der Dunkelheit macht dieser Teil der Stadt mächtig was her.

Ausblick über Lyon

Doch nun war Essen fassen das Gebot der Stunde. Der Magen konnte seit dem Frühstück keinen festen Neuzugang mehr vermelden und dementsprechend ungeduldig gebar er sich. Ich entschied mich für den Königstransfer und suchte ein(e?) Bouchon lyonnais auf. Lyon ist definitiv die kulinarische Hauptstadt der Gourmet-Nation Frankreich (who the fuck is Paris?) und wer nicht das Kleingeld für den Besuch bei Paul Bocuse himself übrig hat, sucht sich eines der zahlreichen Bouchons aus, in denen auch die Kochkoryphäe Bocuse sein Handwerk lernte, und speist dort traditionell und in der Regel vorzüglich.

Aux Trois Maries

Ich entschied mich für Aux trois Maries, wo das Tagesmenü 25 € kostete. Als Entrée gab es eine klassische französische Zwiebelsuppe mit Emmentaler Käse gratiniert. Der Hauptgang war ein Lammsteak mit Gemüse und statt eines süßen Desserts wählte ich Käse (die lokale Spezialität Cervelle de Canut). War schon formidable, aber satt fühlte ich mich noch nicht und suchte im Nachgang einen Gourmix auf. Die kleine Kette offeriert an mehreren Standorten in Lyon rustikale belegte Brötchen für kleines Geld (auch empfehlenswert!).

Lecker Lamm

Danach genoss ich den Anblick von Basilika und Metallturm bei Nacht und nahm noch ein Pint Guinness als Absacker im Pub Fleming’s. Lyon ist übrigens reich an Pubs britischer / irischer Art, aber 6 € muss man für ein Pint schon einplanen. Da gewann das aufgesuchte Exemplar den Wettbewerb um meine Gunst doch glatt mit einer Happy Hour (bis 21 Uhr), in jener das Pint für 3,50 € gereicht wurde und um 20:57 Uhr meine Kehle hinunterfloss. Die letzte Stärkung vor dem erneuten Anstieg zum Fourvière-Hügel (ich ignorierte immer noch die Existenz technischer Hilfsmittel).

Lyons kleiner Eiffelturm

Bilanz des Tages: 18,3 km zu Fuß zurückgelegt (12,2 km davon mit 7,8 kg Gepäck), mit vielen Höhenmetern dabei. Ratet mal wer heute gut schlafen konnte…

Am Freitagmorgen verließ ich die Herberge zeitig. Ich wollte mir noch ein paar Ecken der Altstadt und vom 2e arrondisement anschauen, die am Vortag auf der Strecke geblieben waren. Aber zunächst organisierte ich mir Frühstück im schönen Quartier Ainay. In einer Boucherie kaufte ich Original Lyoner Salat. War schon was anderes, als der in Mayo getränkte deutsche Fleischsalat Lyoner Art. Erinnerte stark an Regensburger Wurstsalat, denn es handelte sich um recht sauer marinierte Wurstscheiben, ergänzt mit Gurken und Zwiebeln. Außerdem probierte ich noch einen Nudelsalat (auch mayofrei) mit gegrilltem Gemüse und Trauben. Der war noch leckerer. Zusammen (je rund 200 gr.) allerdings auch fast 8 €. Das hätten zwei belegte Baguette-Brötchen bei der Boulangerie gegenüber übrigens auch gekostet. Wie gesagt, billig ist es nicht in Lyon.

Wurstsalat

Danach spazierte ich wieder fleißig durch die Straßen der Stadt und hatte am Mittag bis auf das hippe Viertel Croix-Rousse alles auf meiner Liste geschafft. Der Hunger war nun zurück und bevor ich meine Reise fortsetzte, wollte ich noch schnell mit Fast Food Abhilfe schaffen. Heute gab es in der Shopping Mall am Bahnhof Part-Dieu komischerweise keine Taschenkontrollen und ich bestellte bei Mc Donald’s den Charolais Burger im rustikalen Brötchen mit Salat, Ziegenkäse und Röstzwiebeln. Dazu schmackhafte Kräuter-Pommes. Kostenpunkt für das Menü (Maxi) war 8,50 €, also von Deutschland gewohntes Preisniveau. Bin ja eigentlich kein Freund dieser und ähnlicher Ketten, aber der Burger war wirklich lecker. Das Rindfleisch hatte einen intensiveren Geschmack als das der normalen Burger Pattys. Hoffen wir mal, dass es wirklich an den Charolais-Rindern lag und nicht an irgendwelchen Lebensmittelzusätzen.

Das 2.Arrondisement am Ufer der Saone

Um kurz nach 12 Uhr bestieg ich meinen Zug nach Meximeux, einer 30 km von Lyon entfernten Kleinstadt im Département Ain. Die Stadt war nicht wirklich interessant, aber ihr Bahnhof war für mich das Tor zu einem Kleinod der Region; dem mittelalterlichen Bergdorf Pérouges. In unserem Nachbarland mit dem Prädikat Les plus beaux villages de France ausgezeichnet, ergo eines der schönsten Dörfer Frankreichs.

Auf nach Pérouges!

Bergdorf… Die Bezeichnung verriet ja schon eine gewisse Höhenlage und Bahnhöfe sind selten auf Bergen. Also hieß es vom Gare Meximeux erneut viele Höhenmeter mit Gepäck machen. Meter, die sich allerdings mehr als lohnten. Pérouges ist ein Traum von einem mittelalterlichen Dorf bzw. einer mittelalterlichen Stadt! Sein Prädikat hatte es sich redlich verdient.

Stadttor von Pérouges

Das Städtchen wurde Legenden zufolge in grauer Vorzeit von gallischen Heimkehrern aus dem umbrischen Perugia gegründet. Bis 1601 konnte man seine Unabhängigkeit gegenüber Frankreich bewahren und lebte ganz gut von den hiesigen Textilmanufakturen. Doch während der Industrialisierung verlor der Ort den Anschluss und die Bevölkerung sank von über 1.500 auf rund 400 Menschen (heute übrigens wieder 1.200 Einwohner, inklusive neuem Dorf vor den Stadtmauern).

In den Gassen des Ortes

Damit einher ging natürlich auch der Verfall der Siedlung. Erst im frühen 20.Jahrhundert wurde der Ort in Zeiten des aufkommenden Tourismus aus seinem Dornröschenschlaf befreit und wieder restauriert. Neben der Tourismusbranche, war es die Filmindustrie, die Pérouges für sich entdeckte. So diente es als Drehort für viele alte Mantel- und Degenfilme (u. a. die drei Musketiere) und Ritterfilme des französischen Kinos.

Malerisch!

Mich erinnerte der Ort an Mdina auf Malta. Nur das beide Orte sich natürlich architektonisch unterscheiden. Aber Lage (auf einem Berg) und Struktur (befestigtes Dorf aus dem Mittelalter) sind sehr ähnlich. Beide Orte profitieren davon ein paar Jahrhunderte mehr oder weniger ignoriert worden zu sein und leben heute sehr gut von den Tagestouristen, die nun die alten Stadttore passieren.

Place de la halle

Ich hatte Glück, denn heute war nicht viel los in den Gassen von Pérouges, so dass meine Zeitreise das richtige Flair hatte. An Wochenenden oder in den Ferien wird es dort nicht so beschaulich zugehen. Da würde ich einen Besuch früh morgens oder spät abends empfehlen. Und die dortigen Musiktage und Ritterfeste, die regelmäßig im Kalender auftauchen, sind bestimmt reizvoll, aber sicher sehr überlaufen.

Es war wie eine Zeitreise

Nach zwei Stunden in Pérouges fuhr ich mit dem Zug weiter nach Ambérieu-en-Bugey und von dort mit dem Bus nach Bourg-en-Bresse, der Hauptstadt des Départements Ain. Ich hatte für Ambérieu noch optional die Burg Les Allymes auf dem Plan, aber da jener Ausflug mangels Öffi-Anbindung ein Zeitfenster von drei Stunden erfordert hätte, verstrich die Option. Gelatscht war ich schon genug und mein eigentliches Tagesziel hatte ebenso reichlich Sehenswertes zu bieten.

Mach’s gut, zauberhaftes Pérouges!

In Bourg-en-Bresse stellte ich erstmal fest, dass der Bus (übrigens ein 1a-Bus mit bequemen Ledersitzen) mein Hotel passierte. Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich den Busfahrer gefragt, ob er mich dort raus lässt. So hieß es leider Durchfahren bis zum Bahnhof und die zwei Kilometer von dort zum Hotel zu Fuß ableisten. Aber immerhin passierte ich dabei zufällig eine schöne Basilika. Es war die Basilique du Sacré-Cœur de Bourg, die ich da en passant begutachten konnte. Mutmaßlich eine der größten Kirchen des Ortes und rund 130 Jahre alt.

Basilique du Sacré-Cœur de Bourg

Mein Hotel, das Appart’City, offerierte mir ein Dopelzimmer mit Bad und Kochnische für 40 €. Geboten wurde solide Mittelklasse und das DZ hatte natürlich den Vorteil, dass ich zwei Kopfkissen hatte. Na ja, lange genoss ich den neuen Luxus nicht, denn nachdem ich mich wieder frisch gemacht hatte, rief das nahe Kloster Monastère royal de Brou. Ein überragendes Bauwerk der Spätgotik in Bourg-en-Bresse.

Hauptportal Klosterkirche Brou

Als Philibert II., Herzog von Savoyen, anno 1504 mit nur 24 Lenzen starb, ließ seine fast gleichaltrige Gattin Margarete von Österreich das Kloster zu seinem Andenken und als seine letzte Ruhestätte errichten. Es handelt sich übrigens um die Margarete, die nach dem Frieden von Arras (1482) eigentlich als Gattin von Karl VIII. und somit als Königin von Frankreich vorgesehen war (sie war damals zwei Jahre alt, Karl dagegen immerhin schon zwölfjährig). Nach einer symbolischen Eheschließung wurde Margarate die nächsten Jahre am französsichen Hof großgezogen und auf ihre Rolle als Königin vorbereit. Aber Karl entschied sich nochmal um und heiratete 1491 mit 21 Jahren lieber die damals 14jährige Anne de Bretagne. Daher war Margarete von Österreich zurück auf dem Heiratsmarkt des Hochadels. Sie ehelichte nun 1497 den spanischen Thronfolger Juan, der aber bereits kurz nach der Hochzeit starb. Damals trug Anne bereits die Frucht seiner Lenden in sich, gebar jedoch wenige Wochen später ein totgeborenes Kind. 1501 kam es zu ihrer dritten Ehe (der mit Philibert), womit wir wieder die Brücke zum Kloster Brou schlagen können.

Schicke Ziegel

Dieses Kloster wurde in einer Zeit errichtet, als eigentlich schon der Stil der Renaissance en vogue wurde. Deshalb ist es eines der letzten großen Bauwerke der Spätgotik. Manche nennen den Baustil der Anlage daher auch Renaissancegotik. Margarete – übrigens nach drei tragischen Ehen fortan nicht mehr für die Heiratspolitik ihres Vaters zur Verfügung stehend – ließ die Fassade der Klosterkirche reich mit Flamboyant-Ornamenten zieren. Sich und ihren verstorbenen Gatten, den sie im Gegensatz zu den Ehemännern 1 und 2 sehr geliebt haben soll, ließ sie am Hauptportal zu Füßen des Heilands verewigen. Besonders auffällig ist ferner das Dach der Kirche. Es ist im burgundischen Stil mit bunt glasierten und gemusterten Ziegeln gedeckt. Insgesamt eine wunderschöne Anlage und ich wunderte mich, warum die UNESCO sie noch nicht in ihren Welterbe-Kanon aufgenommen hat.

Eines der Fenster der Klosterkirche

Nach ausreichend Kloster-Impressionen setzte ich meinen Spaziergang durch die 40.500-Einwohner-Stadt fort. Auf dem Weg vom Monastère royal de Brou zum Stadtkern lag zunächst einmal das Hôtel Dieu. Ein Hospital aus dem 18.Jahrhundert (Renaissance-Baustil) mit angeschlossener historischer Apotheke. Von dort war es nur noch ein Katzensprung in die Altstadt von Bourg-en-Bresse, die mir eine interessante Architektur-Mixtur bot.

Altstadtgasse in Bourg-en-Bresse

Am auffälligsten ist natürlich die Ko-Kathedrale Notre-Dame de l’Annonciation. Fast 200 Jahre wurde daran gewerkelt (1505 bis 1695), so dass der Sakralbau Elemente der Gotik und Renaissance miteinander verquickt. Aus der Renaissance gibt es ebenso einige Stadthäuser in der Altstadt zu bestaunen, die natürlich denen im 60 km entfernten Lyon sehr ähnlich sehen. Auch sie sind mit schönen Höfen und Treppenhäusern ausgestattet.

Maison Gorrevod

Dazu existieren noch einige ältere Häuser mit Fachwerkfassaden. Zu nennen sind vor allem die Maison du Bois und die Maison Gorrevod. Darüberhinaus sieht man viele schöne Fachwerkhäuser in der Rue de la République und den von ihr abzeigenden Gassen. Gastronomie gibt es ebenfalls reichlich, aber nach Einbruch der Dunkelheit sorgte der Carrefour für mein Abendessen: Pita mit Curryhuhn (aus der Kühltheke) und ein grüner Salat mit Nudeln und Speck (ebenfalls aus der Kühlung). Kostete zusammen etwas über 5 €.

Doch nun vorerst Schluss mit dem ganzen Touri-Quatsch. Auch in diesem Urlaub muss irgendwann der Ball rollen und deshalb ging es nach dem abendlichen Snack ins örtliche Fußballstadion!

  • 28.10.2016
  • FBBP 01 – Gazélec Ajaccio 1:0
  • Ligue 2 (II)
  • Stade Marcel-Verchère (Att: 2.284)

12 € Eintritt musste ich für einen Sitzplatz auf der Gegengerade im zentrumsnahen Stade Marcel Verchère investieren. Die Bude war recht behelfsmäßig mit Stahlrohr, Wellblech und Holzplatten auf 2.Liga getrimmt worden. In jene Profiliga stieg man 2015 als erster Club des Départements Ain überhaupt auf und konnte die Klasse mit einem hervorragenden 11.Platz souverän halten. Auch im zweiten Jahr des Abenteuers Profifußball hält man sich bisher im unteren Mittelfeld auf und hoffte mit drei Punkten gegen den Erstliga-Absteiger Gazélec Ajaccio den Abstand zum Tabellenende weiter zu vergrößern.

Provisorische Tribüne

Eine fanatische Fanszene hat FBBP01 leider nicht zu bieten, obwohl der Club – der 1942 aus einer Fusion der besten Fußballvereine aus Bourg-en-Bresse und der Nachbargemeinde Péronnas hervorging – lange eine Größe im semiprofessionellen Amateurfussball war und im Coupe de France gegen Profiteams so manche Sensation schaffte. Stattdessen sorgten ungefähr 10 singende Fans und eine Trommelgruppe mit bunten Perücken für Stimmung. Letztere waren mutmaßlich vom Club, der seit 2015 eine reine Kapitalgesellschaft ist, gegen Entgelt engagiert. Als kurz vor Spielbeginn aber der passende Song für die Blauen aus Bourg-en-Bresse lief („Blue“ von Eiffel 65), kam ich langsam in Stimmung.

Die Trommelgruppe

Die Hausherren begannen auf dem Grün gefällig und hatten in der ersten Viertelstunde bereits ein paar gute Szenen. In der 22.Minute sah ich den Ball dann schon im Netz zappeln, als der Toptorjäger Lakdar Boussaha nach einem Steilpass allein vor dem Gästetorwart auftauchte. Doch Gazélecs Schlussmann parierte den unplatzierten Abschluss. Die verdiente Führung gab es nun fünf Minuten später zu beklatschen. Bei einer flachen, eigentlich ungefährlichen Hereingabe, trifft der Verteidiger, der klären will, den Ball nicht richtig. Die Kugel kullert keine 10 Meter aus dem Strafraum heraus und landet vor den Füßen von FBBPs Mittelfeldspieler Kevin Hoggas, der gefühlvoll aus ca. 25 Metern in den Torwinkel schlenzt.

Die Gegengerade war gut gefüllt

Es blieb bis zum Seitenwechsel bei diesem Spielstand und in der Halbzeitpause setzte nun die große Völkerwanderung zu den Imbissbuden ein. Auch ich schaute in das große Zelt neben der Tribüne namens La Bodega. Pommes (große Portion) gab es für faire 2 €, ein riesiger Hot Dog hat 3 € gekostet. Lediglich der recht kleine Hamburger war mit 4 € überteuert. Außerdem kostete Wein (rot, weiß oder rosé) nur 1 €, Bier dagegen 3 €. Das ist Frankreich! Nun fiel mir auch auf, dass es keine Polizei weit und breit gab. Stattdessen nur eine Handvoll Ordner. Aber wozu auch? Es gab die 10 wenig gewaltbereit wirkenden Typen auf Heimseite und einen Kerl mit korsischer Fahne als Gästesympathisanten auf der Haupttribüne. Da ist es in der deutschen 2.Liga selbst bei Sandhausen gegen Würzburg brisanter.

La Bodega

Nach der Pause begannen die Gäste von der Mittelmeerinsel engagierter, aber zündende Ideen hatten sie nicht. Ab und an probierten sie einen Distanzschuss und einmal traf ein Stürmer nach einer Flanke das Außennetz. Das war’s dann aber auch. Von FBBP kam leider gleichermaßen nicht mehr viel. Ihre Konter schlossen sie all zu fahrig ab und insgesamt war die zweite Hälfte von viel Mittelfeldgeplänkel dominiert. Stimmung, um mich bei Laune zu halten, gab es natürlich auch wenig. Irgendwas sangen die Supporter zwar immer, es klang nach „Lalalalalala… UEFA-Cuuup“, aber das hatte eben das Niveau deutscher Dorfultras. Dazu wirbelten hin und wieder die Trommelpeter (und Petras) am anderen Ende der Gegengerade, aber das riss auch keinen der 2.284 Zuschauer von den Sitzen. Irgendwie wirkte das wie TSV Havelse gegen Drochtersen/Assel (auch sportlich). Nur, dass das hier ein Spiel der 2.Liga einer UEFA-Topnation war und nicht 4.Liga in Norddeutschland.

Stade Marcel-Verchère

Es blieb beim 1:0 der Bourger über Gazélec, die übrigens nach dem SC Bastia und dem Ortsrivalen AC Ajaccio Korsikas historische Nr. 3 sind und seit über 50 Jahren von der staatlichen Gas- und Elektrogesellschaft gefördert werden (daher der Name Gazélec). Der Sieg war aufgrund der 1.Hälfte verdient, doch wie gesagt, hohes Niveau hatte das heute weder auf, noch neben den Platz. Und mit diesem Resümee ging es bei 6° Cfrierend die zweieinhalb Kilometer zum Hotel zurück, wobei immerhin nochmals die Klosterkirche von Brou für eine schöne letzte Impression des Tages sorgte.

Kloster Brou bei Nacht

Bilanz des Tages: 22,7 km marschiert. Davon 15,3 km (inklusive den Höhenmetern) mit 7,8 kg Gepäck. Ratet mal wer gut schlafen konnte.

Am Sonnabend hatte ich bereits früh morgens einen Zug gebucht, der mich über Lyon nach Saint-Étienne (die Stadt heißt ja wie eine bekannte Band!) führen sollte. Während in Bourg-en-Bresse und Lyon vormitags trübes Wetter herrschte, strahlte in Saint-Étienne die Herbstsonne. Da machte der Marsch zum 3 km vom Bahnhof entfernten Hotel gleich doppelt so viel Spaß und auf dem Weg lag auch noch ein Lidl, der das Preisniveau von Carrefour deutlich unterschreiten konnte (aber immer noch etwas teurer als in Deutschland).

Welcome to Saint-Étienne – Host of the UEFA EURO 2016

Dort deckte ich mich mit diversen Getränken und Snacks ein, denn im F1 Hotel Saint-Étienne sollte ich ganze zwei Nächte am Stück bleiben. Ich habe dort für ein DZ 26 € pro Nacht zahlen müssen. Dementsprechend schlicht war die Bude natürlich, die noch unterhalb von Ibis Budget in der Hotelhierarchie der Accor Group angesiedelt ist. Großer Unterschied zu Ibis Budget: Man hat kein eigenes Bad und WC, sondern muss sanitäre Anlagen auf dem Flur nutzen. Genau dafür hatte ich meine Desinfektionstücher im Gepäck. Mir fiel dann ein, dass ich tatsächlich schon in einem F1 genächtigt hatte. Nämlich 2007 beim DFB-Fankongress in Leipzig, wo 96 seinen Fanvertretern natürlich die billigste mögliche Unterkunft zur Verfügung stellte.

Piece der Magic Fans nahe meines Hotels

Riesenvorteil meiner Bude war auf jeden Fall, dass sie nur fünf Fußminuten vom Stade Geoffrey-Guichard der AS Saint Étienne entfernt war. Das hieß nach dem abendlichen Spiel jener Equipe konnte ich schnell ins Bett fallen. Nachteil war natürlich, dass ich nach dem Check-In wieder in die Stadt latschen musste und von da am Abend zum Stadion. Aber dann fiel mir beim Mittagessen ein, dass ich ja noch ein weiteres Spiel auf dem Schirm hatte. In einer Stadt in der Peripherie von Saint-Étienne namens Andrézieux-Bouthéon sollte um 16 Uhr Viertligafussball steigen und das Bahnticket kostete one way nur 3 €. Abfahrtsbahnhof war La Terrasse, 1,8 km von meinem Hotel entfernt. Und das Stade Geoffrey-Guichard lag praktischerweise auf dem Weg zur Station, so dass ich mir gleich das Ticket für das fußballerische Filetstück der Reise (ASSE vs. ASM) kaufen konnte (18 € für den Oberrang der Kop Sud wurden investiert).

Schon mal ein Billet kaufen

Am Bahnhof La Terrasse stellte ich fest, dass von hier kein Zug, sondern ein Bus nach Andrézieux fahren sollte. Merkte ich zum Glück rechtzeitig, als ich nochmal auf die Tafel blickte und bei fast allen Verbindungen Gleis A stand und bei meiner stattdessen CAR. Also wurde ich erneut in einem schnieken Reisebus der Région Rhône-Alpes kutschiert und erreichte rund 20 Minuten nach Abfahrt mein Ziel; das Zentrum von Andrézieux-Bouthéon. Mich erwartete ein klassischer Vorort einer französischen Großstadt, d. h. Trabantensiedlungen und Gewerbegebiete. Außerdem war hier der Regionalflughafen Saint-Étienne zu finden und dazu tatsächlich noch ein Kleinod aus vergangenen Epochen.

Auch Saint-Étienne hat Murals

Nur für Fußball wäre ich wohl nicht nochmal aus Saint-Étienne rausgefahren, aber in Kombination mit dem Château de Bouthéon war der Ausflug reizvoll, wenngleich der Schlossbesuch 6 km Umweg zum Stadion bedeutete. Es lohnte, da das Schloss aus dem 14.Jahrhundert später Erweiterungen in Renaissance und Neogotik bekam und so eine interessante Mischung bot. Die Um- und Ausbauten gingen meist mit Besitzerwechseln einher. So gehörte es bereits den La Fayettes, den Herzögen von Bourbon und der Familie Gadagne aus Florenz. Heute gehört es der Stadt und es hat sich zu einer der meistbesuchten Sehenswürdigkeiten im Département Loire entwickelt.

Château de Bouthéon

Nach meinem Abstecher rief das Stadion der ASF Andrézieux. Es muss ziemlich neu sein, da das Navi weder Stadion noch Straße kannte. Aber Google Maps kannte es und führte mich an diversen Schnellstraßen entlang zur Sportstätte. Eine Möglichkeit zu Fuß dahin zu kommen gab es eigentlich nicht, aber die Straßen hatten einen schmalen Grünstreifen am Rand. Sagen wir es so, ich hatte schon schönere Spaziergänge in meinem Leben. Und als an einem der letzten, der rund 10 zu passierenden großen Kreisverkehre eine Bushaltestelle auftauchte, die heute sogar stündlich bedient wurde, war auch ich etwas bedient (Recherche ist alles!). Aber das war nun wenigstens eine Option für die Rückreise.

Anreise zum Stadion nur bedingt fußgängertauglich
  • 29.10.2016
  • ASF Andrézieux – Stade de Reims II 1:1
  • CFA Groupe C (IV)
  • L’Envol Stadium (Att: 700)

Wie vermutet, erwartete mich ein fast fabrikneues Stadion. Die dem Navi nicht bekannte Rue Dorine Bourneton wurde laut Plakette zusammen mit dem Stadion im Mai 2016 feierlich vom lokalen Bürgermeister eingeweiht. Die Spielstätte des Viertligisten hatte zwei baugleiche leicht trapezförmige Tribünen auf den Geraden zu bieten (Kenner werden jetzt gleich an das Dantestadion in München denken). Hinter den Toren gab es dagegen nur Graswälle und keinen richtigen Ausbau, was eine Kapazität von 5.000 Plätzen ergab. Ansonsten hat der Architekt das Spielfeld optisch reizvoll mit Gabionen begrenzt. Häuslebauer und -besitzer oder Werktätige aus dem GaLaBau kennen diese Steingitterwände bestimmt, ich dagegen wusste den Fachbegriff bis vor kurzem nicht. Bei einem Pub Quiz wurde jüngst danach gefragt und unsere Gruppe (nur Wohnungsmieter bzw. WG-Bewohner) war ratlos. Es war unsere einzige falsch beantwortete Frage an dem Abend und seitdem denke ich nun immer, wenn ich diese Steingitterwände sehe: „Ah, Gabionen! Verdammte Gabionen!“

Der Ground endlich in Sichtweite

Nun zum Geschehen auf dem (Kunst)Rasen. Es drückte zunächst der Gast aus Reims. Passenderweise stand ich bei meinem obligatorischen Stadionrundgang gerade hinter dem ASF-Tor, als die Gäste zurecht einen Strafstoß zugesprochen bekamen. Oudin verwandelte in der 7.Minute platziert zum 0:1. Obwohl der Torwart die Ecke ahnte, war da nichts zu halten. ASF versuchte den Spielstand so schnell wie möglich zu egalisieren, hatte es aber mit einem starken Gegner zu tun, der ebenfalls weiterhin seine Tormöglichkeiten hatte. Man merkte schon, dass Stade Reims II im Tabellenmittelfeld steht, denn sie hatten die höhere Qualität. Und ASF Andrézieux logiert zwar am Tabellenende, aber sie hatten den Kampfgeist und die Laufbereitschaft, um dem stärkeren Gegner Paroli zu bieten. Schön daher, dass es in der 90.Minute noch zum Ausgleich durch Chapuis reichte. Gibt den Rot-Blauen vielleicht Auftrieb für die kommenden Aufgaben.

Zur richtigen Zeit am richtigen Platz, das 0:1 per Strafstoß in der 7.Minute. Markut wusste alles, nur halten konnte er ihn nicht.

Ich stand beim Ausgleich bereits am Ausgang, denn 18:04 Uhr sollte ca. 10 Fußminuten entfernt mein Bus zum Bahnhof fahren. Und siehe da, er fuhr tatsächlich und chauffierte mich für 1,50 € die 5 km zum Bahnhof. Diesmal fuhr auch ein Zug anstatt ein Bus, so dass ich auf Frankreichs erster Bahnstrecke (seit 1827) zurück nach La Terrasse kehrte. Nun ging ich wieder den Kilometer zum Stadion und sah eine endlose Kolonne von Fanbussen am Straßenrand. Vor jenen Bussen schmierten sich die Fans von ASSE auf Tapeziertischen Baguettes mit Salami oder Schinken. Es scheint a) sehr viele Fans von weiter weg zu geben und b) ist der Bus zu 96 % das Transportmittel der Wahl gegenüber Zug oder PKW. Da wunderte es auch nicht, dass der riesige PKW-Parkplatz am Stadion kaum gefüllt war.

L’Envol Stadium
  • 29.10.2016
  • AS Saint Etienne – AS Monaco 1:1
  • Ligue 1 (I)
  • Stade Geoffrey Guichard (Att: 35.890)

Im Stadion war dagegen schon gut was los. Bereits eine Stunde vor Anpfiff hallten erste Gesänge nach draußen und ich tat gut daran frühzeitig reinzugehen. Die Schlangen an den Drehkreuzen wurden nach mir jedenfalls nicht kürzer und drinnen gab es ein paar mitreißende ASSE-Songs vom Band und ein nettes Warmsingen der Fans. Der Kop Nord, Heimat der Magic Fans Saint-Étienne und vieler weiterer Ultrà-Gruppen, war schon ziemlich vollbesetzt. Und unter mir standen auf der Südtribüne die Green Angels, die zweitgrößte Fangruppe von ASSE.

Mächtig Andrang

Die erwähnten Magic Fans wurden 1991 gegründet und ratet mal wer heute sein 25jähriges Jubiläum feiern wollte. Oui, c’est vrai, ce sont les Magic Fans! Das obere Viertel der Nordtribüne zierte zum Intro dauerhaft die Stadtsilhouette Saint-Étiennes als Blockfahne und im Rest wurden wechselnd immer neue Blockfahnen präsentiert. Diese ließen die letzten 25 Jahre aus Gruppensicht Revue passieren, wobei jedes halbe Jahrzehnt eine eigene Blockfahne bekam. Sehr aufwendig und langwierig!

Blockfahne 1

Zwischendurch vernebelten die Bengalos der Green Angels im Unterrang meiner Tribüne meine Sicht auf das Spektakel. Danke Merkel!!! Als sich der Nebel lichtete, lief das Spiel bereits und die Fans auf der Nord konnten noch weniger als ich davon sehen, da bei Anpfiff erst 15 von 25 Jahren Gruppengeschichte aufgearbeitet waren.

Blockfahne 2

Die ersten sechs Spielminuten verpassten die dortigen Fans durch die weiteren Blockfahnen und sahen deshalb nicht das 0:1 für Monaco in der 5.Minute durch den bulligen polnischen Verteidiger Kamil Glik. Da hatten wir etwas gemeinsam, denn ich hatte die ersten Minuten selbstredend lediglich Augen für die Show auf den Rängen (ich glaube, ich war da kein Einzelfall) und nicht für das Spielgeschehen. Die kläglichen rund 150 mitgereisten Monegassen (bzw. ASM-Fans aus Frankreich) schafften es natürlich auch nicht, mich akustisch auf das Tor aufmerksam zu machen.

Blockfahne 3

Daher steht in meinen Notizen zum Spiel auch: „Guter Start ASSE. Verdientes 1:0 in der 18.Min durch Perrin.“ Ja, die 10 Minuten vor dem vermeintlichen 1:0, welches nun doch ein 1:1 war, waren die Grünen wirklich deutlich überlegen. Doch nach dem Ausgleich kam der Gast aus dem wohlhabenden Zwergstaat wieder zurück ins Spiel und prüfte den ASSE-Keeper mehrfach. Les Verts hatten Glück, dass sie nicht abermals in Rückstand gerieten.

Bengalos auf der Südtribüne

Es entwickelte sich eine gute Partie, die von fantastischer Stimmung auf den Rängen begleitet wurde. Der Kop Nord war topmotiviert und servierte abwechslungsreiches Liedgut mit hoher Mitmachquote. Die letzte Aktion vor dem Pausenpfiff war dann noch ein Freistoß für ASSE aus 20 Metern, der aber leider in die Mauer gesemmelt wurde. Schade, ich hätte das Stadion gerne nochmal ausrasten gesehen.

Blockfahne 4

In der Halbzeit prüfte ich zunächst das Angebot an Essen und Trinken. Doch obwohl das Bild einer Pommestüte den Weg zu den Imbissständen wies, gab es nichts Warmes, sondern nur Baguettes, Chips, Popcorn und Schokoriegel. Dafür gab es von mir weder Applaus, noch Geld. Stattdessen schweifte mein Blick nochmal durch das Stadion. Es erinnerte mich im Inneren an den Betzenberg in Lautern. Drei Tribünen waren ziemlich zusammenhängend, während die Haupttribüne durch verglaste Trakte in den Ecken etwas vom Rest separiert war.

Blockfahne 5

Vielleicht kann man auch sonst Parallelen finden? Saint-Étienne hat ebenso Strukturprobleme, liegt auch nett von Bergen umrahmt und in der Nachbarschaft eines wirtschaftsstarken Ballungsgebiets, ohne jenem jedoch so wirklich zugehörig zu sein. Ferner ist die Stadt keine Schönheit, wenngleich da der Vergleich mit Kaiserslautern zu hart für Santé (Kosename für Saint-Étienne) wäre. Und wie auch Kaiserslautern 2006, bekam die kleine Großstadt Saint-Étienne aufgrund ihrer Fussballtradition 1998 zur WM den Zuschlag als Spielort (ebenso 1984 und 2016 zur EM). Trotz eines gesetzten weiteren Spielorts in der Nähe (hier war es Lyon, bei Lautern war es Frankfurt).

Blick auf die Haupttribüne

Sportlich dagegen ist die Association Sportive de Saint-Étienne Loire noch eine andere Hausnummer als der 1.FC aus Kaiserslautern. Die ASSE ist mit 10 Titeln der französische Rekordmeister und dominierte ab Mitte der 1960er Jahre mehr als ein Jahrzehnt den französischen Fußball. (Tragischer) Höhepunkt dieser Epoche war sicherlich das unglücklich verlorene Europapokalfinale 1976 (0:1 gegen Bayern München im Europapokal der Landesmeister). Dass die letzte Meisterschaft auf 1981 datiert ist, tat der Beliebtheit des Clubs nur wenig Abbruch. Vielleicht sind sie da am ehesten mit Borussia Mönchengladbach zu vergleichen, die auch trotz längst vergangener Triumphe eine große und loyale Fanbasis in weiten Teilen der Republik haben.

Stade Geoffrey-Guichard

Mit dem Niedergang der Bergbaustadt Saint-Étienne, dem Zechensterben, setzte auch wenig später die Talfahrt des Clubs ein, der zunächst noch der Stolz und Bindeglied der arg gebeutelten Stadt sein konnte. Doch die großen lokalen Sponsoren brachen alsbald weg und der Club machte fortan zuvorderst durch Skandale und Abstiege Schlagzeilen. Im aktuellen Jahrzehnt haben sich die Grünen zum Glück wieder gefangen und spielen momentan in der UEFA Europa League. Auch konnte 2013 mit dem Ligapokal endlich mal wieder ein Titel nach Saint-Étienne geholt werden und gegenwärtig kann man einem finanziell auf Rosen gebetteten Club wie der AS Monaco (letzte Saison Dritter und aktuell Tabellenzweiter) ernsthaft Paroli bieten, wie zumindest die 1.Hälfte bewiesen hatte.

Stadion bei Nacht von außen

Zur 2.Hälfte hatten die Magic Fans sehr zu meiner Freude abermals etwas auf der Kop Nord vorbereitet. Tausende grüne Glitzerfolien wurden in die Höhe gereckt und als die Mannschaften wieder aus den Katakomben kamen, war auch der riesige Totenkopf, ihr Gruppenlogo, im Zentrum der Tribüne entrollt. Nun gingen noch dutzende Pyro-Blinklichter an und nahezu das ganze Stadion stand auf und spendete Applaus. Dabei ist das gefährlich und verboten! Lesen die alle keine deutschen Zeitungen?

Die nächste Choreo

Wenigstens verpasste diesmal niemand was Spannendes auf dem Rasen, denn die Partie wurde sehr zerfahren fortgesetzt. Das dritte Viertel der Begegnung war sehr arm an Torchancen und reich an Zweikämpfen im Mittelfeld. Dann ließ in den letzten 20.Minuten immer wieder ASM seine Klasse aufblitzen und hatte die besseren Torchancen auf der Habenseite. Gleichwohl hatten die Monegassen 10 Minuten vor Schluss Glück, dass der Brasilianer Jemerson bei seiner Notbremse an Nolan Roux nur Gelb sah. Der kurz zuvor eingewechselte Stürmer der Grünen wäre sonst allein vor dem Tor gewesen.

Es blinkt rund um den Totenschädel

Pünktlich zur 90.Minute kam der letzte Akt zur Feier des Tages von den Magic Fans. Sie tauchten den ganzen Kop Nord in bengalische Lichter und somit fand die letzte gefährliche Aktion des Spiels vor einer lodernden Wand statt. Doch ASSE vergeigte einen zugesprochenen Freistoß in Strafraumnähe leider kläglich. Danach wurde abgepfiffen und ich denke sportlich gesehen war die Punkteteilung angemessen. AS Monaco habe ich in Summe etwas stärker gesehen, aber sie waren nicht überlegen genug, damit es für drei Punkte reichte und fanden letztlich im ASSE-Keeper Stéphane Rouffier immer wieder ihren Meister.

Der letzte Akt am heutigen Abend

Kleine Notiz am Rande: Beide Torschützen des heutigen Abends schafften es in die Elf des Spieltags der Fachzeitschrift L’Equipe, wie ich am Montag lesen durfte.

Bilanz des Tages: 19,6 km marschiert. Davon Gott sei Dank nur 6,5 km mit 7,8 kg Gepäck. Und diesmal konnte ich nicht sofort im Hotel einpennen. Die Eindrücke des Spiels mussten noch verarbeitet werden. Außerdem war das ganze Hotel voll mit feiernden ASSE-Supportern von weiter weg. Am nächsten Morgen fiel mir in der Dusche auch gleich eine mutmaßliche Hinterlassenschaft der Fans auf. Da lag doch tatsächlich so eine halb gerauchte Haschzigarette auf der Ablage. War jemand wohl zu faul vom 3.Stock hinunter vor die Tür zu gehen.

Football Streetart in Saint-Étienne

Frisch geduscht turnte ich bereits um 8 Uhr (eigentlich 9 Uhr, dernachts war Zeitumstellung) draußen rum und erkundete nun die Stadt Saint-Étienne etwas intensiver. Auf dem Weg in die Innenstadt kreuzte ich erstmal den sonntäglichen Basar am Bahnhof Carnot. Sowohl die feilgebotenen Waren (Elektroramsch, Obst & Gemüse, die neuesten Verschleierungsmoden, Viande halal, Gewürze und lauter Nippes), als auch das Publikum waren sehr orientalisch. Hätte mir jemand gesagt, ich befände mich irgendwo zwischen Marrakesch und Osch, ich hätte es ihm geglaubt. Klar, dass der Basar mich als Freund des Orients lange fesselte. Doch ein schönes Andenken fand ich nicht, nur frisch gepresster Granatapfelsaft für meine durstige Kehle erleichterte das Portemonnaie.

Sonntäglicher Basar

Nach dem Basarbummel kam die Innenstadt an die Reihe. Touristen sind ihr abseits der großen Fußballevents eher fremd, aber sie hat schon ihren Charme. Ein riesiger Platz im Zentrum hat hat nicht nur Brasserien und Cafés, sondern mit dem Rathaus, der Präfektur des Départements Loire und der Kathedrale der Stadt auch etwas für die Kameralinse zu bieten.

Die Kathedrale der Stadt

Die Stadt weist eine Mischung von Häusern vieler Epochen auf, die teils schön saniert, teils sehr heruntergekommen sind. In der Altstadt stechen besonders die Maison François Ier und die Drougerie de la Tour mit dem benachbarten Fachwerkhaus heraus. Dass die Stadt von der US Airforce im Zweiten Weltkrieg großflächig bombardiert wurde, sah man ihr nicht an. Es blieb viel alte Bausubstanz erhalten oder wurde wieder rekonstruiert. Die Bausünden der Nachkriegskriegszeit waren dagegen in allen Himmelsrichtungen am Stadtrand zu verorten.

Drougerie de la Tour

Und da ich mich heute für Wandern in den Bergen entschieden hatte, musste ich zwangsläufig zu diesem Stadtrand. Auf meinem Weg in die Berge kreuzte ich dabei so einen Ihme-Zentrum-Verschnitt und eine weitere große Hochhaussiedlung. Der Stadtrand war schon verdammt räudig.

Du bist keine Schönheit

Dafür ist der Naturpark Pilat vor den Toren der Stadt echt sehr schön. Es handelt sich um ein Teilgebirge des französischen Zentralmassivs mit dem namensgebenden Berg Pilat als höchstem Punkt (1432 m). Angesagt war am Vortag noch Sonnenschein, weshalb ich mich auf Wandern fixierte, aber am Morgen waren die Berghänge leider alle von Nebelschwaden verschleiert. Doch umdisponieren wollte ich auch nicht mehr und marschierte einfach mal los. In der Hoffnung, dass es bis zum Mittag aufklart.

Das Wandern ist des Schneppes Lust

Die Hoffnung war leider vergeblich. Nach drei Stunden Wanderung war ich gegen 12 Uhr mittags auf 800 Höhenmetern und hatte eine Sichtweite von ca. 18,96 Metern. Auch als ich wenig später das Ziel der Wanderung erreicht hatte, die Höhenburg Rochetaillée, war das Wetter kein Stück besser. Die herrliche Aussicht über Saint-Étienne (Höhe 788 m ü. NN) und den Naturpark konnte ich vergessen. Ein wenig frustiert aß ich nun meine mitgebrachten Erdnüsse und Käsewürfel.

Gipfelstürmer

Das hatte ich mir anders ausgemalt, aber egal, Wandern ist immer schön. Und so eine Burgruine im Nebel hat auch was Mystisches. Überhaupt ist es eine interessante Ruine aus dem 12.Jahrhundert. Der Baustil erinnerte mich stark an Castell Coch bei Cardiff, welches ja wiederum eine idealisierte Burg aus dem Hochmittelalter darstellen soll (gebaut wurde Castell Coch erst im 19.Jahrhundert). Man konnte auf dem Burghof schön picknicken und mittels Metallwendeltreppe sogar auf die Reste des höchsten Turms gehen. Bilder aus dem Internet ließen mich erahnen, was ich für eine Aussicht verpasste.

Die Burg Rochetaillée

Nachdem die Kalorien von Käse und Nüssen meine Akkus wieder aufgeladen hatten und Grapefruit-Limo mit viel Zucker für den letzten Kick sorgte, suchte ich mir eine neue Route für den Abstieg nach Santé. Anstatt des breiten, fahrzeugtauglichen Weges der Hintour, nahm ich nun einen reinen Wanderpfad über Stock und Stein. Mir begegneten deutlich mehr tierische Waldbewohner als Menschen und das Gejaule von mutmaßlich großen Hunden im nebligen Wald sorgte für das richtige Flair.

Wenn man vor lauter Nebel den Wald kaum sieht…

Zurück in Santé, schlenderte ich nochmals durch die Innenstadt. Einen Teil davon hatte ich morgens ausgelassen und fand nun noch einen gemütlichen Teil mit vielen Bars und Pubs in den Gassen, sowie ein Viertel in Bahnhofsnähe mit schönen Häusern aus Gründerzeit und Jugendstil. Auch gedachte ich nochmal einen Hügel der Stadt zu besteigen, aber nach einem Drittel der Treppe überlegte ich es mir doch wieder anders. Das hätte auch nur bei gutem Wetter Sinn gehabt, um dann die schöne regelmäßige Struktur der Saint-Étienner Innenstadt aus der Höhe zu beschauen.

Altstadt Santé

Stattdessen sagte ich nach einer Pizza Prosciutto zum Abendessen Adieu zum Centre de Saint-Étienne und marschierte die 3 km zum Hotel als letzte Amtshandlung des Tages. Dabei kam ich auch an der futuristischen Veranstaltungshalle Zenith vorbei, wo mächtig was los war. Schlange stand vorwiegend weibliches Publikum (junge Damen unter 30). Da musste ich natürlich fragen, wen man hier heute außer Saint-Étiennes schönste Frauen erleben konnte. „Keen’V“ war die Antwort einer Gruppe euphorisierter Girls. Sie merkten, dass ich ihn nicht kannte und waren etwas irritiert, bis ich offenbarte Ausländer zu sein. Ich müsse den unbedingt hören, am besten noch versuchen ’ne Karte für heute zu bekommen. Scheint ziemlich angesagt in Frankreich zu sein, dieser Keen’V. Ich befürchtete eine französische Entsprechung von Tim Bendzko oder Bosse und machte mich nicht auf die Suche nach dem Schwarzmarkt. Stattdessen ging es hundemüde ins Bett.

Mit Treppen überwindet man die Höhenunterschiede in Santé

Bilanz des Tages: 23,3 km per pedes mit etlichen Höhenmetern. Diesmal alle Meter ohne Gepäck, aber ich konnte trotzdem gut schlafen.

Am Montagmorgen hieß es endgültig Abschied nehmen von Santé. In eineinhalb Tagen hatte ich alles gesehen, außer die für mich zu vernachlässigenden Museen für Industrie- und Bergbaugeschichte (Rammelsberg und Zeche Zollverein reichen mir). Es war ganz nett, aber unbedingt muss ich hier nicht wieder hin. Highlight war ganz klar das Fussballspiel, der Rest war Durchschnitt.

Nun ging es wieder nach Lyon. Eigentlich erwartete ich um 7:13 Uhr auf einem Montag einen proppenvollen Zug mit Schülern, Studenten und Pendlern, aber er war fast menschenleer. Wahrscheinlich sind alle gerade am Streiken. So wie auch die Schaffner der SNCF. Ich wurde bei insgesamt sieben Zugfahrten nicht einmal kontrolliert.

Back in Lyon

Bei meinem Comeback in Lyon hatte ich zwei Optionen. Entweder ich besuche eines der vielen Museen der Stadt oder ich gehe in den Parc de la Tête d’Or. Da es nicht regnete, entschied ich mich für den riesigen Park. Ich fand dort tropische Gewächshäuser, einen großen Rosengarten, ein noch größeres Arboretum, einen schönen See und einen kostenlosen Zoologischen Garten. Im Zoo schliefen aber außer ein paar Bären und Affen, plus den ganzen Flamingos, Enten, Schwänen usw. noch alle Tiere um 9:30 Uhr.

Der Frühaufsteher unter den Zootieren

Um 11 Uhr stieg ich wieder in die beste und schnellste Straßenbahn der Welt (wo heute nicht mal das WLAN funktionierte) und erreichte eine Stunde vor Abflug den internationalen Flughafen von Lyon. Auf meinem Rückflug war ich einer von 14 Passagieren und hatte genug Zeit das Personal in Form von Gemma und Danica näher kennenzulernen. Einer musste ja wieder für gute Laune sorgen, nachdem Gemma sich erstmal bei einer betagten Französin dafür rechtfertigen musste, dass sie und Danica beide kein Französisch sprechen konnten. Geht ja auch überhaupt nicht!

Flybe flies me back home

Fazit: Es war ein interessanter und preiswerter Trip mit einigen Höhepunkten. Aber mein Herz werden Frankreich und die Franzosen wohl nie erobern können. Immerhin ließ mich ihre konsequente Unkenntnis der englischen Sprache (bzw. ihr Unwille eine Fremdsprache zu sprechen) merken, dass meine sieben Jahre Schulfranzösisch immer noch nachwirken. Ich komme mir beim Sprechen zwar vor wie Henry V. in der gleichnamigen Shakespeare-Verfilmung von 1989, als dieser versucht mit seiner zukünftigen Gattin Catherine de Valois Französisch zu sprechen, doch wir schmeicheln wollende Mithörer behaupten regelmäßig, ich spräche es so gut wie Hans Landa in „Inglourious Basterds“. Mein Problem ist wahrscheinlich, dass ich mich im Englischen und Deutschen sehr wortreich auszudrücken pflege und dagegen auf Französisch mit sehr schlichten Satzkonstruktionen kommunizieren muss. Da fühle ich mich einfach unwohl beim Sprechen und rede viel weniger mit den Menschen, als ich es in anderen Ländern tue, wo Englisch entweder Landessprache oder weit verbreitet ist. Daher war Island alleine auch total super und Frankreich ohne Begleitung eben nur so lala. Schauen wir mal, welches Land als nächstes von Schneppe Tours auf seine Solotriptauglichkeit geprüft wird… Geplant sind vorerst allerdings nur Gruppenreisen mit den Jungs.

Song of the Tour: Selbsterklärend oder?