Berlin 10/2016

  • 16.10.2016
  • 1.FC Union Berlin – HSV von 1896 2:1
  • 2.Bundesliga (II)
  • Alte Försterei (Att: 22.012)

Beim 1.FC Union Berlin war ich zuletzt 2001 zu Gast. 15 Jahre sind eine lange Zeit, in der sich auch das Gesicht des Stadions an der Alten Försterei etwas gewandelt hatte. Daher führte kein Weg daran vorbei Hannover 96 zum Auswärtsspiel nach Köpenick zu begleiten. Wie auch in den letzten 15 Jahren, als der HSV von 1896 ca. 96 x beim BSC von 1892 gespielt hat, fährt man als echter Touri natürlich nicht nur für 90 Minuten Fußball in die Bundeshauptstadt. Dachten sich auch El Glatto, Fat Lo, Ole und InterCityBerger, womit wir zu fünft bereits am Sonnabend nach Berlin aufbrachen.

Pfannkuchen „Calzone“

Wir trafen uns zum Mittagessen bei meinem Vater, wo uns leckere Speckpfannkuchen mit Pfifferlingen serviert wurden. Nach der letzten knoblauchfreien Mahlzeit des Tages legten wir InterCityBergers Auto tiefer und brausten bis kurz vor Helmstedt mit hohem Tempo ostwärts. Irgendwo zwischen Königslutter und dieser ehemaligen innerdeutschen Grenzstadt sahen wir ein Auto mit einem im Lankreis Helmstedt ausgegebenen Kfz-Kennzeichen, welches man heute aus gutem Grund nicht mehr bekommen würde, selbst wenn man Ingeborg Lubinski heißt und anno ’88 geboren ist.

Kaum war das mutmaßliche Fascho-Mobil von der Autobahn abgefahren, landeten wir auch schon an einem Stauende. Ein LKW, mit Frostschutzmittel beladen, war kurz zuvor umgekippt und die A2 wurde vollgesperrt. Gemeinsam mit dem Mannschaftsbus des morgigen Gegners 1.FC Union steckten wir vor Helmstedt-West fest und kamen nur mühsam bis zur Abfahrt voran. Unser Fahrer zitierte nun seinen Chef: „Bei Stau ist der Standstreifen grundsätzlich für Mitarbeiter unserer Firma freigegeben!“ Aber es war ja keine Geschäftsreise. Deshalb wurde sich zäh bis zur Abfahrt rangetastet, wo sich die Automassen die Abfahrt herunter schlängelten.

Stau vor Helmstedt

Danach stand man fröhlich auf der offiziellen Umleitungsstrecke im Stau, so dass wir uns von dem Chemnitzer Fahrzeughalter vor uns inspirieren ließen und auch einfach mal links in die Stadt abbogen. Spitzenidee, denn wenige Minuten später waren wir auf der nahezu komplett leeren A2 und 90 Minuten später am ehemaligen Checkpoint Bravo. Nun quälten wir uns noch ewig durch den Berliner Verkehr und saßen dann tatsächlich fast pünktlich um 19 Uhr an unserem reservierten Tisch im Knofel. Jenes Restaurant im Ortsteil Prenzlauer Berg hat sich ganz der aromatischen Knoblauchknolle verschrieben und von der Vorspeise bis zum Dessert gibt es glaube ich nichts ohne Knoblauch auf der Speisekarte. Bereits beim Betreten der Gastwirtschaft stieg der Duft dieser edlen Gewürz- und Heilpflanze in unsere Riechkolben. Das Lokal war wirklich gut besucht und die Reservierung tatsächlich notwendig.

Das Knofel

Nach kurzer Akklimatisierungsphase nahm eine Kellnerin unsere Getränkebestellung auf. Vier große Pils wurden bestellt, die fassfrisch entweder aus dem Hause Radeberger oder Berliner Pilsener kommen. Nur El Glatto war das zu ordinär, er orderte lieber 0,5 l Knoblauchbier und ließ alle anderen freundlicherweise davon kosten. Joar, ganz interessant. Schmeckte deutlich nach Knoblauch, diese naturtrübe Bierspezialität. Dazu gab es als bierbegleitenden Snack Knoblaucherdnüsse, die wirklich sehr geil schmeckten.

Grillteller mit janz viel Knofi

Bei den Speisen entschieden sich fast alle für den Grillteller bzw. für die Grillplatte für zwei. Nur Ole musste hier aus der Reihe tanzen. Er wählte das Vierzig-Zehen-Hähnchen Skunky. Was da schließlich auf Tisch kam, waren keine kleinen Röstkartoffeln als Beilage zu einem halben Hahn, sondern vierzig im Ofen geröstete Knoblauchzehen. Da konnten unsere Grillteller mit in Knoblauch marinierten Filets von Rind und Schwein, sowie Pommes Macaire (delikat!) nicht mithalten. Also zumindest von der Knoblauchdosis, denn geschmacklich waren alle servierten Speisen alles top.

40 Zehen Hähnchen „Skunky“

Nach einer weiteren Schale Knoblaucherdnüsse und einem Knoblauchschnaps auf’s Haus, schieden wir gegen 21 Uhr Richtung Hostel. Unser Check-In war eigentlich vor dem Essen geplant, aber der Helmstedt-Zwischenfall hatte die Agenda dahingehend durcheinander gewirbelt. Zum Glück war die Unterkunft nicht sehr weit vom Knofel entfernt. Zu dritt stiegen wir preiswert im Simon-Dach-Kiez ab (Privatzimmer für drei Gäste mit eigenem Bad im All In Hostel für 33 €), während zwei aus der Gruppe ihren sozialen Abwärtstrend fortsetzten und tatsächlich im Auto schlafen wollten. Wie kann man sich nur so wenig gönnen? Wurden sie vielleicht jüngst im August in Cardiff von den Osnabrückern gebissen oder wieso rutscht man so tief in den Hoppersumpf rein? Ich weiß es nicht!

Welcome to East Berlin

Im Simon-Dach-Kiez brauchten wir dann nicht weit spazieren und schon sahen wir etliche bekannte Gesichter aus Hannover, die vor und in der Kürbishütte a. k. a. Simon-Dach-Schaden lungerten. Waren wir also nicht die einzigen Hannoveraner, die gedachten einen Tag früher anzureisen. Aber, dass es ausgerechnet in Berlin der gleiche Kiez ist, war schon ein interessanter Zufall. Hatten wir wohl alle die offizielle Touri-App der Stadt Berlin studiert. Obwohl, halt, da steht der Simon-Dach-Kiez mittlerweile gar nicht mehr drin, weil er bei den ganzen Touris zu hip geworden ist und einige Anwohner die Schnauze voll haben. Wir, als Touris, haben eigentlich auch keinen Bock auf andere Touris, doch nach Weltreisen durch Berlin stand uns der Sinn spätabends noch weniger.

Der Hirsch

Und es gibt auch im hippen Teil von Friedrichshain ein paar Bars, wo man es aushalten kann. Zum Beispiel Paule’s Metal Eck. Oder etwas abseits den Hirsch. Eine Bar von süddeutschen Dullies für süddeutsche Dullies. Vielleicht der Ort, um am Abend seine Spätzleprinzessin kennenzulernen. Eine Schwabenfee, die nur darauf wartet, dass auf hochdeutsche Liebesschwüre wilde Knoblauchküsse folgen. Oder man trinkt halt einmal die Karte voller süddeutscher Bierspezialitäten von oben bis unten durch. Das funktionierte, im Gegensatz zur Anbahnung von Liebesbeziehungen mit Frauen aus Nürtingen, Esslingen oder Backnang, vortrefflich.

Zirndorfer Kellerbier

Etliche Stunden später gab es nur noch Peter (Stammgast, original Friedrichshainer), Fränky (Stammgast, zugezogen aus Rostock), Harry (Barkeeper, zugezogen aus Australien) und uns in der Pinte. Um die Musik kümmerte sich nun InterCityBerger und wir philosophierten so vor uns hin. Der Australier hatte natürlich die exotischste Vita. Gekommen war er vor fünf Jahren, um Europa kennenzulernen. Geblieben ist er wegen der Liebe. Neben der Barkeeperei singt Harry auch und wir durften seine erste professionell produzierte CD hören.

Tequila Sunrise

Gegen 4 Uhr gönnten wir Harry in der längst abgeschlossen Bar den verdienten Feierabend und zogen mit Peter weiter zur EscoBar. Einer Cocktailbar, die für Fans der Serie Narcos dem Namen nach ganz sympathisch klang. Na ja, besonders toll war es da nicht und nach diversen Mexikanern wurde mein Tequila Sunrise zum Scheidebecher. Irgendwann muss der Mensch halt auch mal ruhen.

Hipster Brause

Nach wenigen Stunden Schlaf und einer heilsamen Dusche wurde ausgecheckt. Dann die Überraschung, die eigentlich keine war; der so genannte Mob aus Hannover hatte auch im riesigen All In Hostel genächtigt und die Polizei hatte das Gelände abgesperrt, um die rund 100 Schlachtenbummler aus geschlossen zum Stadion zu begleiten. Für Bürger des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland war es allerdings kein Problem das Hostelgelände zu verlassen, so dass ich im Gegensatz zu meinen beiden Mitreisenden und den restlichen Niedersachsen nun tun und lassen konnte was ich wollte.

Morgens um 10 in Friedrichshain

Erstmal frühstücken und dann ’ne Limo kaufen waren meine ersten Handlungen in der süßen Freiheit. Danach ließ ich mir vom mittlerweile in Marsch gesetzten Mob und seinen uniformierten Begleitern den Weg zum Ostbahnhof zeigen. Von dort fuhr ich mit der S-Bahn nach Köpenick, wo auch zwei Stunden vor Spielbeginn schon reichlich was los war. Ich beschloss nun Sightseeing in Alt-Köpenick als Lückenfüller bis zum Anpfiff.

Rathaus Köpenick

Köpenick besaß seit 1232 Stadtrecht und wurde kurz vor der 800-Jahr-Feier (1920) im Rahmen des Groß-Berlin-Gesetzes Teil Berlins. Die Altstadt besitzt, begrenzt durch Spree, Dahme und Kietzer Graben, eine Insellage. Bereits die Slawen hatten hier vor der deutschen Ostkolonisation gesiedelt und eine Burg errichtet. Köpenick a. k. a. Copnic (zu deutsch: Inselort) war also schon bedeutend, als Berlin und Cölln sich noch nicht aus dem märkischen Sand erhoben hatten.

Köpenicker Schloss

Nochmals auf einer separaten Insel, ist das Schloss Köpenick zu finden. Es ersetzte in der Renaissance die alte Burg und wurde im Stile des Barock zwischen 1680 und 1690 um- und ausgebaut. Diese Gestalt als Barockschloss wurde bis heute erhalten und damit ist es Berlins einziges originales Barockschloss. Heute beherbergt das Schloss das Museum für Raumkunst mit Exponaten aus Renaissance, Barock und Rokoko. Aber für einen Besuch dieses Museums hatte ich heute keine Zeit. Denn König Fußball rief aus wenigen hundert Metern immer lauter. Daher schlenderte ich vom Schloss wieder durch die Altstadt zurück Richtung Stadion. Aber nicht ohne wenigstens noch dem Hauptmann von Köpenick meine Ehre zu erweisen. Das gleichnamige Werk von Zuckmeyer ist natürlich untrennbar mit Köpenick verbunden und der Hauptmann steht in Bronze gegossen vor dem Alten Rathaus. Es bleibt zu resümieren, dass Köpenick ein schöner Flecken Berlin ist und bei gutem Wetter sicher noch netter daherkommt.

Haupttribüne Alte Försterei

Am Stadion gab es dann einen sehr zähen Einlass. Offenbar wurden alle mitgereisten Fans aus Hannover penibelst kontrolliert. Als die Glocken halb Zwei schlugen, war ich immer noch nicht im Stadion. Trotz zeitiger Ankunft. Na ja, die Atmosphäre war auch vor den Toren halbwegs aufzusaugen und bei ihrer von Nina Hagen gesungenen Hymne waren die Unioner schon mal verdammt laut. Die Choreo zum zehnten Geburtstag der Gruppe Teen Spirit Köpenick verpasste ich allerdings.

Choreographie der Unioner, leider verpasst

Als ich, nach mittlerweile Larifari-Kontrolle, auch endlich drin war, grüßte am Gästeblock ein bekanntes Zitat von Nick Hornby aus „Fever Pitch„. „Ich verliebte mich in den Fußball, wie ich mich später in Frauen verlieben sollte: plötzlich, unerklärlich, unkritisch und ohne einen Gedanken an den Schmerz und die Zerrissenheit zu verschwenden, die damit verbunden sein würden“, stand da an die Fassade gepinselt. Und ein paar Meter daneben: „Willkommen im Stadion an der Alten Försterei – Dem Fußball gewidmet.“

Ein Tip Top Stadion, diese ALte Försterei

Ja, es war war wirklich ein Stadion mit Charakter. Und heute pickepackevoll, inklusive über 2.000 Hannoveranern. Die meisten davon sahen im Gegensatz zu mir das vermeintliche frühe Führungstor von 96 in der 1.Minute. Aber da es durch Foulspiel entstand, wurde es nicht gegeben. In den ersten 45 Minuten gab es ansonsten wenig Torchancen auf beiden Seiten, was ich als ein wenig einschläfernd empfand. Partien mit starkem Pressing und hoher Zweikampfsintensität hatte ich zuletzt genug gesehen, so dass ich schon mehr Bock auf Action in den Strafräumen gehabt hatte. Stattdessen ging es völlig zurecht mit 0:0 in die Pause.

Die einzigen Sitzplätze des Stadions sind auf der Haupttribüne zu finden

In den zweiten 45 Minuten gab es zum Glück gleich die gewünschte Action, die ich zum Wachwerden brauchte. Die Stendel-Elf schien in der Pause eine neue Marschroute auf den Weg bekommen zu haben und kam schon in den ersten 10 Minuten der 2.Hälfte zu einigen gefährlichen Abschlüssen. Dann brachten in der circa 55.Minute zahlreiche mitgereiste Malergesellen Farbe ins Spiel. Vermummt und in weiße Schutzanzüge gehüllt, zündeten sie schwarzen, weißen und grünen Rauch und ließen auch noch etliche Fackeln dazu leuchten. Sah megagut aus, aber es war ein schlechter Zeitpunkt. Ich vermute, dass die Aktion eigentlich schon vor Spielbeginn starten sollte oder spätestens zu Beginn der 2.Halbzeit, aber logistisch zu diesen logischen Zeitpunkten nicht klappte. Da der Ultra, der nun seine Pyrotechnik einfach für’s nächste Mal aufhebt, erst noch erfunden werden muss, wurde eben in der 55.Minute gezündet. Schiedsrichter sind allerdings dazu angehalten auf Pyrotechnik während des Spiels sehr kleinlich zu reagieren. Muss man wissen! Daher wurde das Spiel für ca. 5 Minuten unterbrochen.

Schon schön anzuschauen

Unions Trainer Keller hatte nun die Gelegenheit, um seine in den vergangenen 10 Minuten überforderte Mannschaft nochmal an der Seitenlinie besser auf die veränderte Taktik von 96 einzustellen. Danach hatten die Köpenicker den Gast aus Niedersachsen wieder besser im Griff und zu allem Überfluss hatte der Coach der Eisernen auch noch das richtige Händchen bei einem Spielerwechsel. In der 74.Minute brachte er Collin Quaner, der zum Matchwinner avancieren sollte. Schon in der 75.Minute besorgte der deutsch-ghanaische Stürmer das 1:0 für die Hausherren. Und in der 79.Minute legte Quaner Sturmpartner Hosiner das 2:0 auf. 96 blieb dem eine direkte Antwort schuldig und ich war mir sicher, hier ist der Zug abgefahren. Da half auch der späte Anschlusstreffer durch Felix Klaus in der 96.Minute nichts mehr (insgesamt ließ Referee Hartmann acht Minuten nachspielen). Nur bei Ole zeigte die Ergebniskosmetik eine nachhaltige Wirkung. Er bekam beim Torjubel einen Ellenbogen ungünstig und wuchtig ins Gesicht, was ihm eine Platzwunde zauberte. Schönes Souvenir!

Stadtrundfahrt im trüben Berlin

Nach dem Schlusspfiff hielt uns nichts mehr in Berlin und mit einem Taxi (etwas über 30 Taler) ließen wir uns von Köpenick nach Friedrichshain bringen. Dort war das Arme-Leute-Hotel a. k. a. Bergers Auto noch immer geparkt und das Navi spendierte uns nun eine 1a-Stadtrundfahrt. Zunächst ging es über die Karl-Marx-Allee zum Alex und von dort, vorbei am Berliner Dom und am Stadtschloss, weiter auf die Allee Unter den Linden. Wir verneigten uns dort vor Friedrich II. und fuhren Richtung Brandenburger Tor. Dabei passierten wir diverse ausländische Botschaften und das Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Dann ging es durch den Tiergarten (vorbei an der Siegessäule) und das Hansaviertel auf der B2 zur Avus und von da endlich mit Dampf westwärts. Na denn ma bis denne Berlin!

Song of the Tour: Berlin ist schon ganz okay.