Island 05/2016

  • 29.05.2016
  • Throttur Reykjavik – IBV Vestmannaeyjar 0:1
  • Urvalsdeild (I)
  • Throttarsvöllur (Att: 681)

Als der französische Verband mit der EM 2016 betraut wurde, dachte ich mir zunächst, dass man das Turnier ruhig mal besuchen könnte. Immerhin das vorerst letzte große Turnier vor der Haustür, bevor die Weltmeisterschaften 2018 in Russland (eigentlich ein ganz interessantes Ziel, aber nicht für ein großes Fußballturnier) und 2022 in Katar stattfinden, sowie 2020 die nächste EM ohne echtes Turnierfeeling in halb Europa ausgetragen wird. Doch irgendwie habe ich mich in den letzten Jahren zu weit vom großen Fußball entfernt (der ganze Kommerz, die ganzen Skandale…). Außerdem kann ich mit der Nationalelf schon ewig nichts mehr anfangen und erst recht nicht mit deren Publikum (Fahnenmafia, Fanclub Nationalmannschaft, Anjas, Tanjas & Ingos…). Da wurde die schon in den buntesten Farben ausgemalte Tour durch das Land der Gallier immer unattraktiver, je näher das Jahr 2016 rückte. Die Verkaufsphasen für Tickets ließ ich unbeteiligt verstreichen und als ich meinen Sommerurlaub 2016 beantragen musste, wählte ich doch nicht drei Wochen im Juni, sondern zwei Wochen Ende Mai. Die künstliche aufgeblähte Europameisterschaft mit 24 Mannschaften und überzogenen Preisen sollen sich andere anschauen. Ich würde lieber irgendwo den kleinen Fußball genießen wollen. Echtes Kontrastprogramm im Baltikum, Finnland, Island oder sonstwo, wo die Saison nicht Mitte Mai endet und ein anderes Land seine Schönheiten offenlegen darf als das schon oft bereiste Frankreich.

IS statt EM

Da ich im Gegensatz zur etwaigen EM-Tour solo unterwegs war, bekam Island letztlich den Zuschlag. Als jemand, der bisher selten allein gereist ist, stellte ich mir Island mit seinen Naturwundern und seiner fremdenfreundlichen Bevölkerung als sinnvollstes Ziel für einen Singletrip vor. Air Berlin und Eurowings kombiniert ergab eine günstige Flugverbindung von und nach Hamburg (zusammen 160 €) und die hochtrabenden Hotelpreise in Reykjavik wurden durch ein Bett im Hostel umschifft (20 € pro Nacht). Wenn man alleine reist, ist so ein Hostel doch nicht mal das Schlechteste, redete ich mir diesen sozialen Abstieg schön. Für den Transfer von Hannover nach Hamburg wählte ich den Flixbus (für 9 €) und auf der Rückreise bekam der InterCity den Zuschlag (19 €), da der Fernbus-Fahrplan nicht so schön mit meiner Landezeit in Hamburg harmonierte.

Hotel & Hostel Hlemmur Square

Ich landete mitten in der Nacht am internationalen Flughafen Keflavik (40 km entfernt von Reykjavik) und hatte von dort einen Bustransfer ins Zentrum Reykjaviks gebucht (27 € hin- und zurück). Der Bus klapperte alle gebuchten Unterkünfte der Insassen ab und meine war erfreulicherweise schon der zweite Stopp auf der Route. Ich konnte nun für ein paar Stunden im Hostelbett liegen und bei der Geräuschkulisse eines vollbesetzten Schlafsaals mehr schlecht als recht ruhen. Nach kurzer Nachtruhe hieß es nochmal ordentlich am üppigen Frühstücksbuffet des Hotel- und Hostelkombinats Hlemmur Square zuschlagen (für umgerechnet 9 € pro Tag) und gut gestärkt wurden die ersten Naturwunder Islands angesteuert.

Kleiner Ausschnitt aus dem abwechslungreichen Frühstücksprogramm

Bevor in Island der Ball rollte, hatte ich genug Zeit, um einige faszinierende Orte rund um Reykjavik zu besuchen. Es stand vor ein paar Jahren in etwa so im hochgeschätzten Fachmagazin RIport: „Wer Natur nicht komplett zum Kotzen findet, muss unbedingt mal nach Island.“ Ich finde Natur bekanntlich ganz okay und kann dem Redakteur nur beipflichten. Ich würde sogar so weit gehen, dass Islands Natur vielleicht sogar Olbert gefallen hätte, der ansonsten nichts mehr hasst, als sich im Urlaub außerhalb von Kneipen und ähnlichen Etablissements aufzuhalten. Aber beweisen kann ich es natürlich nicht. Ich versuche jetzt mal Bilder sprechen zu lassen und beschreibe die besuchten Orte mit ein paar Worten.

Der See Thingvallavatn

Der Thingvellir Nationalpark liegt 40 km östlich von Reykjavik. Dort ist der See Thingvallavatn beheimatet, der, sieht man vom Stausee Thorisvatn ab, Islands größter See ist.

Die Schlucht des Thingvellir

Thingvellir bedeutet übersetzt Ebene der Vollversammlung, denn an diesem Ort trafen sich ab 930 (bis 1798) jährlich die 36 (später 39) Goden Islands (Islands Fürsten, wenn man so will) mit ihrem Gefolge. Jenes bestand aus allen freien und volljährigen Männern ihres Godentums. Zwei Wochen ging das Gelage, welches nicht nur parlamentarische und gesetzgebende Vollversammlung war, sondern auch den Charakter eines Volksfests und eines Heiratsmarkts hatte.

Der Fluss Öxarar im Thingvellir

Der Ort wurde gewählt, weil Wasser und Fische vorhanden waren, man gut in der Schlucht kampieren konnte und der Ort von allen Godentümern relativ gut zu erreichen war. Das frische Wasser spendet seit jeher der Fluss Öxara, der im Thingvellir-Tal auch einen schönen Fall hat.

Der Öxararfoss

Darüberhinaus treffen in Thingvellir die Eurasische und die Nordamerikanische Platte aufeinander. Konnten die Wikinger damals noch nicht wissen, profitierten aber von der schönen Schlucht. Dort sollen übrigens auch Teile der mir unbekannten, aber sehr populären Serie „Games of Thrones“ gedreht worden sein.

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Der Gulfoss

Außerdem steuerte ich den Gulfoss an. Das ist ein beeindruckender Wasserfall, der 110 km östlich von Reykjavik liegt. Bei ihm fällt der Fluss Hvita zweistufig insgesamt 33 Meter in die Tiefe.

Oberer Teil des Gulfoss

Der Hvita wird von Islands zweitgrößtem Gletscher, dem Langjökull, gespeist. Bei Gletscherläufen füllt sich zuweilen die ganze Schlucht mit Wasser, so dass der untere Teil des Wasserfalls Gulfoss regelrecht verschwindet.

Unterer Teil des Gulfoss von oben betrachtet

Es gab mehrere Anläufe die unglaubliche Wasserkraft an diesem Ort wirtschaftlich nutzbar zu machen, doch seit der Gulfoss unter Naturschutz steht (seit 1979) hat sich dieses Ansinnen zur Freude jedes Naturfreunds erledigt.

Eine der heißen Quellen im Haukadalur

Das Heißwassertal Haukadalur (unweit des Gulfoss) ist die Heimat des Großen Geysirs. Namenspatron aller Geysire und mit dereinst 122 Meter hoher Fontäne auch der größte der Welt.

Der Geysir Strokkur

Leider bricht der Große Geysir nur noch sehr selten aus. Die Touristenattraktion von Haukadalur ist daher der Geysir Strokkur (deutsch: Butterfass), der regelmäßig alle sieben bis acht Minuten seine bis zu 35 Meter hohe Wassersäule empor schießt.

Blick auf’s Tal Haukadalur

Wie gesagt, Haukadalur ist ein Tal und dementsprechend gibt es ein paar felsige Hügel drumherum, die mit dem richtigen Schuhwerk schnell erstiegen sind und mir einen fantastischen Ausblick boten. Trotz des trüben Wetters.

Alle bisher genannten Highlights gehören zum Golden Circle. Sie lassen sich ideal als Tagesrundreise oder in mehreren Etappen von Reykjavik ansteuern. Dafür gibt es auch organisierte Busreisen. Perfekt für Leute, die entweder keine Fahrerlaubnis haben oder denen ein Mietwagen zu teuer ist. Günstig sind die dort nämlich nicht. Ab 50 € aufwärts pro Tag sollte man schon kalkulieren, plus Sprit und Versicherungsschutz. Ich hatte einen Ford Fiesta für günstige 46 € pro Kalendertag (war allerdings noch Nebensaison). Die Bustouren sind dann minimal günstiger und man muss nicht selbst fahren, aber man verliert wiederum natürlich auch Flexibilität. Ich jedenfalls war froh, dass ich außer am Thingvellir Nationalpark überall vor den Buskolonnen da war und somit die Natur besser auf mich wirken konnte. Außerdem kann man auch mal ein paar Meter mehr gehen oder ein paar Minuten länger bleiben, als wie bei den eng getakteten Bustouren.

Der Esja-Gebirgszug von Reykjavik aus gesehen

Außer den Pflicht-Tourispots des Golden Circles, habe ich dann noch einige andere schöne Plätze erkundet. 10 Kilometer nördlich von Reykjavik ragt der Gebirgszug Esja in den Himmel. Er ist bis zu 914 Meter hoch, schenkt der Hauptstadt jeden Tag sein Panorama und ist von dort für Fahrzeuglose alternativ auch mit dem Bus erreichbar (Linie 51 bringt einen an den Fuße des Bergmassivs).

Ranpirschen an den Esja

Ich war zwar gut ausgerüstet, aber das Wetter war am ausgewählten Bergsteiger-Tag so schlecht geworden, dass ich nur auf einen Vorgipfel auf ca. 700 Meter stieg. Die Hauptgipfel waren wolkenbehangen und die Orkanböen ziemlich uncool. Dazu gab es nur wenig Sichtweite. Das Wetter ist und bleibt leider die große Unkonstante auf Island, egal zu welcher Jahreszeit.

Die Kirche von Seltjarnarnes

Etwas besseres Wetter hatte ich im Westen Reykjaviks, wo sich die besuchenswerte Halbinsel Seltjarnarnes befindet. Sie lässt sich in zwei, drei Stunden wunderbar an der Küstenlinie zu Fuß umrunden und ist ein echtes Vogelparadies. Der Küstenpfad hat viele Infostelen zur dortigen gefiederten Fauna. Sehr hilfreich für jemanden wie mich, der Ornithologie nicht zu seinen Fachgebieten zählen darf.

Insel Grotta mit Leuchtturm

An Westspitze von Seltjarnarnes liegt die vorgelagerte kleine Insel Grotta mit ihrem Leuchtturm. Sie ist von Anfang Mai bis Mitte Juli aus Vogelschutzgründen nicht betretbar für Wanderer (es führt ansonsten ein Damm rüber), so dass ich auf eine Stippvisite des Turms leider verzichten musste. Im übrigen soll es auch ein toller Ort für Nordlichter sein, aber dafür war ebefalls nicht die passende Jahreszeit.

Die Küste von Seltjarnarnes

Ich erfreute mich stattdessen an den schönen Ausblicken des Küstenpfads. An der Nordküste der Halbinsel schaut man auf das Esja-Massiv und die Stadt Akranes, im Westen auf den offenen Ozean und im Süden auf die Halbinsel Reykjanes mit ihrem charakteristischen Palagonitkegel Keilir.

Kerid

Ein weiteres Ausflugsziel von mir war der Vulkan Kerid (70 km östlich von Reykjavik). Der ist schon lange nicht mehr aktiv und es hat sich dort ein schöner Kratersee gebildet. Man kann den Krater oben umrunden und auch zum See hinunter steigen.

Hinab zum Kratersee

Es war die einzige natürliche Sehenswürdigkeit, die Eintritt kostete. 400 ISK (also zum Reisezeitpunkt umgerechnet 3 €) wurden aufgerufen. Das ist schon in Ordnung und wird wohl bald auch für andere Sehenswürdigkeiten Schule machen. In Island wächst das Geld bekanntlich auch nicht auf Bäumen (wie auch bei deren baumarmer Flora?) und die Touristenströme nehmen immer weiter zu. Das bringt natürlich Kohle ins Land, aber viele tausend Füße kosten auch viel Aufwand, um die Natur so zu erhalten wie sie ist.

Unten am Kratersee

Und wo ich gerade von Bäumen sprach. Am Kerid gibt landesuntypisch einen schönen Nadelwald. Natürlich künstlich angelegt, um die Gegend weiter aufzuwerten. Dort haben viele Reykjaviker ihre Wochenendhäuser und fahren bei gutem Wetter raus ins Grüne. Das Klima ist dort nicht so rau, wie direkt an der Nordatlantikküste.

Der Ellidaar

Auch dem Ellidaardalur, dem Tal des Flusses Ellidaar, widmete ich einen meiner Ausflüge. Es ist ein kleines Wanderparadies nicht weit vom Zentrum der Hauptstadt entfernt (ca. 8 km).

Schöner Wasserfall im Ellidaardalur

Dort gibt es auch ein paar kleine und mittelgroße Wasserfälle und der fischreiche Fluss lockt zahlreiche Angelfreunde aus Reykjavik an.

Wildgänse am Fluss Ellidaar

Beim Wandern am Flusslauf entlang, der teilweise durch Aufforstung von Nadelbäumen umsäumt ist, fiel mir besonders der Vogelreichtum der Gegend auf. Und leider auch der Mückenreichtum. Aber gut, damit musste ich, genau wie mit dem unerwarteten Sonnenbrand (es war eigentlich den ganzen Tag Regen angesagt), eben leben.

Reykjaviks Skyline

Nachdem das Thema Natur abgehakt war, widmete ich die verbleibende Zeit ausgiebig meiner Basis; 101 Reykjavik. Eine Stadt so groß wie Hildesheim und daher wie Hildesheim mit einem überschaubaren Stadtzentrum. Ergo ist grundsätzlich alles gut zu Fuß erreichbar. Aber dann hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Reykjavik ist Hauptstadt und zugleich das urbane Zentrum Islands. Pubs, Bars, Cafés und Restaurants gibt es hier in Hülle und Fülle und das Nachtleben pulsiert für so eine kleine Großstadt ordentlich. Zumindest am Wochenende. Die Alkoholpreise waren natürlich exorbitant hoch (sonst würde das Volk vielleicht zu weiten Teilen an der Flasche hängen), aber die acht, neun oder noch mehr Euro für ein Bier konnten am frühen Abend fast überall dank Happy Hours umgangen werden. Ich hatte mir dazu die App Appy Hour installiert, die mir stets zielsicher den Weg zum nächstgünstigsten Pub wies. Und Sonderpreise von vier bis fünf Euro waren schon okay für ein Bier (0,5 l) in Gesellschaft. Denn die Pubs sind fast alle gut besucht und wenn man nicht total schüchtern ist, kommt man auch schnell mit den kontaktfreudigen Isländern ins Gespräch. Englisch jedenfalls beherrschen sie alle sehr gut.

Ein Pint Viking Stout

Essenstechnisch war ich wirklich froh über mein Frühstücksbuffet. Für die 9 € wären in der überall präsenten Kette 10-11 (Minimärkte mit vielen Ready to eat Snacks im Sortiment) gerade mal ein Doppelpack Sandwiches, ein Becher Coffee to go und ein Apfel drin gewesen. Halbwegs preiswert konnte man sich dagegen in den Supermärkten mit Nahrung versorgen, allen voran in denen der Kette Bonus. Dort gab es Softdrinks, Süßkram, Skyr (isländischen Quark), Flatkökur (Roggenpfannkuchen) u. v. m. zu humanen Preisen. Selbst Südfrüchte waren bezahlbar. Aber Obacht, während die teuren 10-11 Shops meist 24 Stunden geöffnet sind, haben Supermärkte nur begrenzte Öffnungszeiten. Der Bonus in der Innenstadt Reykjaviks z. B. nur von 10 bis 19 Uhr. Werktags wohlgemerkt!

Bunte Fassaden in Reykjavik

Wirklich richtig Essen gehen ist dagegen schon Luxus. Kleinigkeiten wie ein guter Burger kosten 15 € (ein bescheidener / kleiner Burger die Hälfte) und ein Steak (ich rede nicht von Roastbeef, Filet o. ä.) wandert nicht für unter 30 € in den Tourimagen. In einem mittelklassigen Restaurant wurde ich für Vorspeise-Hauptgang-Dessert-Getränk meine 50 € los. Hätte ich das jeden Abend gemacht, wäre das wahrscheinlich mein letzter Urlaub des Jahres 2016 geworden. Stattdessen gönnte ich mir hauptsächlich warme Snacks, wie z. B. Hot Dogs bei Baejarins Beztu. Der Guardian behauptete es sei Europas bester Hot Dog und sowohl Bill Clinton, als auch die Band Metallica stellten sich schon wie täglich Tausende Isländer bei Baejarin an, um binnen 6 Sekunden einen frisch zusammengebastelten Hot Dog auf die Hand zu bekommen. Ich muss sagen, er ist wirklich gut und umgerechnet 3 € sind fair.

Mixed Grill bei Mandi

Wer dagegen Mc Donald’s sucht, wird diese Kette auf ganz Island vergeblich suchen. Auf der Nordatlantikinsel hat das Goldene M (wie auch Burger King) keine Filiale. Lediglich Yum Foods versucht sich mit seinen Franchises KFC und Taco Bell auf Island (jedoch nicht im Zentrum Reykjaviks) und wie fast überall auf der Welt gibt es Subway (kleines Sub ca. 4 €, großes Sub so ungefähr 7,50 €). Das Fast Food machen die Einheimischen ansonsten lieber selber. Gibt genug Imbisse oder Gastropubs, wo man Burger & Co bekommt, allerdings wie erwähnt nicht ganz billig. Ebenso haben es der Döner und das Shawarma auf die Insel geschafft. Acht, neun Euro werden aufgerufen für die orientalischen Klassiker. Ist in der Schweiz ja auch nicht billiger. Ich empfehle besonders den auf den ersten Blick wie einen Kiosk wirkenden Imbiss Mandi im Stadtzentrum Reykjaviks. Saulecker und etwas günstiger als die Wettbewerber. Shawarma hätte mich 7,50 € gekostet und für meinen kleinen Grillteller mit Lamm, Huhn und Kabeljau habe ich 11,50 € bezahlt.

Hallgrimskirkja

In Sachen Sightseeing ist Reykjavik natürlich schnell abgefrühstückt. Besonders alt ist die Stadt schließich nicht und besonders groß ebenfalls nicht. Die Sakralbauten sind, abgesehen von der Hallgrimskirkja, klein und bescheiden. Die Hallgrimskirkja ist übrigens eine der wenigen expressionistischen Kirchen, die ich kenne. Spontan fällt mir nur die Grundtvigskirke in Kopenhagen ein. Es ist nicht meine Lieblingsarchitektur, aber die Kirche ist zweifelsohne ein Blickfang und dominiert das Stadtbild Reykjaviks. Und vor der Kirche grüßt Islands Entdeckersohn Leif Eriksson heroisch als Statue.

Reykjaviks ältestes Haus

Von dem Hügel, auf dem die Hallgrimskirkja thront, kann man gemütlich ins Stadtzentrum spazieren (am besten nachdem man bei gutem Wetter den Ausblick vom Kirchturm genossen hat). Da das älteste Haus dort von 1762 ist, kommen Freunde uralter Architektur nicht auf ihre Kosten. Island ist zwar seit über 1000 Jahren besiedelt, aber Reykjavik war bis vor rund 250 Jahren nicht mehr als ein größerer Bauernhof. Erst 1786 wurde dem damals rund 200 Einwohner zählenden Ort das Stadtrecht verliehen. 1801 siedelte Islands Bishof (Oberhaupt der evangelish-lutherischen Isländischen Staatskirche) von Skálholt nach Reykjavik über und 1845 folgte das Althing (Parlament), was Reykjavik de facto zur Hauptstadt machte.

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Konzerthaus Harpa

Nichtsdestotrotz sind die vielen bunten Stein- und Holzhäuser der Innenstadt aus dem 19. und 20.Jahrhundert nett anzuschauen. Für Freunde zeitgenössischer Bauwerke hält Reykjavik seit 2011 außerdem sein Konzerthaus Harpa bereit (ein gemeinsamer Entwurf des dänischen Architektenbüros Henning Larsen, des isländischen Architektenbüros Batteríið und des isländischen Künstlers Ólafur Elíasson). Dessen Fassade aus dichroitischem Glas ist wirklich atemberaubend. Kann man fotografisch gar nicht wiedergeben, wie dieses Farbeffektglas bestimmte Wellenbereiche des Lichts reflektiert und so ein permanentes Farbspiel bietet. Je nach Witterung und Blickwinkel. Auf dieses Schmuckstück sind die Einheimischen zurecht sehr stolz.

Die Skulptur Sun Voyager

Ansonsten sind das Meer und der Hafen (wie eigentlich in jeder Hafenstadt) einen Besuch wert. Schiffe gucken und Streit mit Möwen anfangen, ist doch immer und überall schön. Und an der Küstenlinie gibt es selbstverständlich einen Fußweg zum Spazieren, Joggen und Flanieren. An dem Weg sind hin und wieder Skulpturen wie der Sun Voyager (ein stilisiertes Wikingerschiff aus V2A) platziert. Insgesamt lernte ich Reykjavik als liebe und lebendige Stadt kennen, doch Urlaub nur dort würde natürlich schnell langweilig werden. Aber als Basis für den ausgedehnten Urlaub auf Island (zumindest für Südwest-Island) ist 101 ideal. Außerdem hatte ich wie fast überall noch einen speziellen Programmpunkt, den nicht jeder Tourist anstrebt und für den die Hauptstadt am besten geeignet war.

Im Stadtkern von Reykjavik

Am letzten Mai-Wochenende sollte der Fußballsport den Trip noch abrunden. Um 14 Uhr sonnabends spielte KF Berserkir gegen Hördur Isafjördur in der 4.Deild (5.Liga). Berserkir ist im Prinzip das Reserveteam des Erstligisten und fünfmaligen Landesmeisters Vikingur und sollte laut einschlägiger Quellen auch in deren schönem Stadion spielen. Als ich ankam, war aber nichts von Fußball zu sehen. Ich knipste ein paar Bilder vom Stadion Vikingsvöllur und dabei huschte das Schiedsrichtergespann an mir vorbei. Ich folgte unauffällig und wir kamen zum etwas versteckten Neben- bzw. Trainingsplatz. Hierbei handelt es sich um einen eingezäunten 3G Pitch und ich war sage und schreibe der einzige Zuschauer. Ich beschloss mir das Ganze ein paar Minuten zu geben, um zu reflektieren. Dann brach ich wieder auf. Isländische 5.Liga auf einem Kunstrasen-Trainingsplatz, ohne Zuschauer! Hätte ich das geschaut, hätte ich beim zukünftigen Lästern über Groundhopper sämtliche Glaubwürdigkeit verloren.

Vikingsvöllur

Die gewonnene Zeit nutzte ich stattdessen für Islands erste und einzige Shopping Mall namens Kringlan. Sieht aus wie jede andere Mall der westlichen Hemisphäre und hatte ergo Boutiquen, Modeketten, Cafés, Restaurants und einen Supermarkt zu bieten. Ich gönnte meinem seit 8 Uhr nicht mehr versorgten Magen indisches Streetfood für ca. 15 € (auch hier galt wieder, alles in etwa doppelt so teuer wie in Deutschland) und dann spazierte ich die 200 Meter vom Kringlan zum Stadion Framvöllur, denn im Windschatten der Mall sollte um 16 Uhr ein Punktspiel der 3.Liga stattfinden.

  • 28.05.2016
  • IF Grotta – IF Völsungur 4:0
  • 2.Deild (III)
  • Framvöllur (Att: 48)

Auf dem schwarzgrünen Kunstrasen maßen sich Grotta aus Seltjarnarnes (einem Vorort von Reykjavik) und Völsungur aus dem über 400 Kilometer entfernten Husavik. Vierter (Grotta) gegen Zehnter (Völsungur) in der noch jungen Saison (4.Spieltag). Das Spiel interessierte wenigstens handgezählte 48 Zuschauer (inklusive 5 Gästefans) und ich steckte am Eingang meine Kreditkarte in den Geräteschlitz. Was der Spaß gekostet hat, werde ich erst mit der Abrechnung erfahren, da der Ordner und ich (vorwiegend der Ordner) nur auf Isländisch kommunizierten. Kann doch wirklich keiner bei so einem Kick mit Ausländern rechnen und Hallo, Bitte, Danke bekomme ich auch noch akzentfrei auf Isländisch hin.

Framvöllur

Das mir Dargebotene hatte vielleicht deutsches Bezirksliganiveau. Grotta hatte eine sehr junge Truppe, die so spielte, als seien alle gut ausgebildet worden. Vielleicht waren einige in der Jugend bei den Topclubs gewesen, aber im Herrenbereich hat es nicht für die 1. oder 2.Liga gereicht. Völsungur hatte dagegen eine heterogene Altersstruktur. Halt die elf besten Kicker, die ein 2.200-Seelen-Ort hergibt, ungeachtet von Alter oder Perspektive. Und der etwas adipöse Gästetorwart bewies eine alte Bolzplatzregel: Der Dicke muss ins Tor. War auf vielen Positionen ein ungleiches Duell. War aber schön anzusehen, wie der Rechtsverteidiger von Völsungur (Typ nordischer Krieger) dem ca. zwölfjährigen Flügelstürmer von Grotta (der sah wirklich nicht älter aus) nach einem Zweikampf aufmunternd durch die Haare streichelte. „An mir kommst du so schnell nicht vorbei, kleiner Racker“, wird er wohl gesagt haben.

Platzerneuerung in Grottas Stadion Vivaldivöllur

Der Spielverlauf ist dann auch schnell erzählt. Das fußballerisch beschlagenere Team ging in der 17.Minute mit 1:0 in Führung, weil bei einer Flanke die Zuordnung nicht stimmte. Ansonsten bestach die Abwehr der Gäste durch gute Defensivarbeit und nutzte beim Verteidigen die körperlichen Vorteile. Das Spiel fand zu 90 % in Völsungurs Hälfte statt, aber zu Torschüssen kam Grotta dennoch kaum. Das 2:0 in der 69.Minute war dann die überfällige Vorentscheidung zugunsten der Hausherren. Das 3:0 in 87.Minute (schönes Solo von der Mittellinie) und 4:0 in 90.Minute (Torschuss aus der zweiten Reihe, hätten sie in den 90 Minuten zuvor mal öfters probieren sollen) setzten die Schlusspunkte beim verdienten Heimsieg.

Gespielt wurde übrigens nur ausweichsweise in diesem Stadion, da Grottas schöner Vivaldivöllur gerade einen neuen Kunstrasen bekommt. Hätten sie in Seltjarnarnes gespielt, wären vielleicht noch ein paar mehr Zuschauer da gewesen.

  • 29.05.2016
  • Throttur Reykjavik – IBV Vestmannaeyjar 0:1
  • Urvalsdeild (I)
  • Throttarsvöllur (Att: 681)

Auch am Sonntag sollte es Knattspyrna, wie der Isländer den Fußballsport nennt, zu sehen geben. Aus der reichlichen Auswahl von drei Erstligaspielen in Reykjavik (ein Doppler wäre nur mit für mich unverhältnismäßig viel Aufwand möglich gewesen) pickte ich mir Throttur Reykjavik heraus. Die hatten IB Vestmannaeyjar zu Gast, dreimaliger Meister Islands und viermaliger Pokalsieger. Ferner Heimatverein von Asgeir Sigurvinsson, Islands erstem großen Fußballexport, und kurzzeitig sportliche Heimat von David James in dessen Spätherbst der Spielerkarriere. Aktuell außerdem Arbeitgeber von Ex-96er Gunnar Heidar Thorvaldsson, was hauptsächlich den Ausschlag für dieses Spiel gab. Dass ausgerechnet die T(h)orwalze verletzt fehlte, war dann Künstlerpech.

Blick ins Nationalstadion

In der Nachbarschaft des Nationalstadions gelegen, mit dem wunderbaren Panorama des Esja im Hintergrund, erwartete mich ein sehr neu wirkender Kunstrasenplatz mit einer großen betagten Tribüne an der Längsseite. Steh- und Sitzplätze dieses Bauwerks fassen in Summe ungefähr 3.000 Zuschauer. Heute zahlten 681 Menschen entweder 0 ISK (Kinder bis 12), 500 ISK (12 bis 16jährige Heranwachsene) oder 1700 ISK (ca. 12 €) Eintritt.

Der Ball rollt

Was nach dem Passieren der Stadiontore als Erstes auffiel, waren die obligatorischen deutschen Groundhopper. Sie sind einfach überall. Danach die Kinder, die auf den Stehtraversen des Stadions Skateboard fuhren. Da kann man aber auch ganz geil grinden, von daher ein nachvollziehbares Vergnügen. Einige andere Fans supporten im Sitzen mit Trommeln und Gesängen. Nett, aber näturlich nichts Weltbewegendes. Gästefans waren ebenso da, aber die machten sich nicht so bemerkbar.

Die Tribüne des Throtturvöllur

Ich sah diesmal zwei körperlich robuste Teams. Throttur (11. und somit Vorletzter) war zu Beginn am Drücker, aber erste Torschüsse verfehlten das Gehäuse der Gastmannschaft knapp. IBV (Siebter), heute in hässlichen blauen Trikots mit orangefarbenen Elementen und dem rosafarbenen Schwein der Supermarktkette Bonus auf der Brust, kam ab der 15.Minute immer besser ins Spiel. Zur Pause waren Chancenverhältnis und Ballbesitz in etwa ausgeglichen, aber ein Tor war mir noch nicht vergönnt.

Blick von der Tribüne

IBV kam schwungvoller aus der Pause und nutzte nach 10 Minuten das Momentum. Eine kurze Ecke wurde als Doppelpassvariante ausgespielt und die Flanke, die dann halbhoch in den Strafraum segelte, fand einen Abnehmer und jener die Lücke in der Abwehrreihe. Mikkel Maigaard, 20jähriger dänischer Legionär, verbuchte somit in der 55.Minute sein zweites Saisontor. Ein Spielstand, der die Hausherren wieder aktiver werden ließ. In der 61.Minute wollte Throtturs brasilianische Offensivspieler Borges einen Elfmeter bekommen. Leichter Kontakt war da, aber dem Schiedsrichter reichte das zurecht nicht aus. In der 70.Minute wurde ein vermeintlicher Handelfmeter für Throttur nicht gegeben und eine Minute später bekam Throttur nach hartem Foulspiel von IBV einen Freistoß in 30 Meter Torentfernung zugesprochen. Der Ball flog in den Strafraum und ein Verteidiger mit dem Schweinchen auf der Brust schubste einen Spieler Throtturs um, aber wieder kein Pfiff. Ganz schön hektisch alles.

Arne Bergers isländischer Cousin

Danach passierte bis in die Schlussminuten nicht mehr viel, ehe Throttur nochmal seinen dritten Frühling bekam und zugleich offen für gefährliche Konter war. Doch einnetzen konnte weder die gastgebende Mannschaft, noch der Gast von den Westmänner-Inseln. Aber auch mit nur einem Tor war es ein interessantes Spiel. Wie das Land, so der Fußball. Beides geprägt von einer archaischen Schönheit. Die Fußballbesuche hatten den Trip in meinen Augen nochmal abgerundet.

Mein Fazit von Island ist durchweg positiv. Mit dem nötigen Kleingeld kann man dort fantastische Sachen machen, aber auch die Low-Budget-Touris müssen keinen Bogen mehr um Island machen. Flüge gibt es regelmäßig für um die 150 € return, 20 € pro Nacht für ein Hostelbett sind auch bezahlbar und inklusive Flughafentransfer kommt man für eine Woche auf ca. 300 € Grundkosten. Der Rest ist dann Sache seiner persönlichen Ansprüche. Mein Kumpel Felix Supertramp schaffte es 2014 zum Beispiel fünf Tage lang mit insgesamt 20 € auszukommen. Dem vorzüglichen Leitungswasser Islands, dem Discounter Bonus und seiner Leidenschaft für’s Trampen sei Dank. Bei mir waren es am Ende ein paar Hundert Euro mehr, aber Island war jeden Euro sowas von wert. Man überlegt schon während des ersten Aufenthalts, wann kann ich wiederkommen?

Die Last des Tourismus wiegt schwer auf Island

Nur kommt dann die Krux an der Sache. Denn was immer wieder in Gesprächen mit Einheimischen durchkam und mir im Vorfeld noch nicht so bewusst war; Island ist mittlerweile ziemlich überlaufen. Jetzt, ganz kurz vor der Hauptsaison, war es schon gut von Touristen besucht. Gefühlt jeder zweite Mensch in Reykjaviks Zentrum schien Tourist zu sein. Auch die Sehenswürdigkeiten des Golden Circle waren schon gut besucht, aber für mich noch im erträglichen Rahmen. Doch ab Mitte Juni soll es regelrecht eskalieren. Über eine Million Menschen besuchen Island mittlerweile jährlich. Tendenz dank billiger Flüge und stark gefallener isländischer Krone weiterhin steigend. Prognosen für 2016 gehen von 1,5 Millionen Touristen in diesem Jahr aus. Das wäre in etwa das Fünffache der Einwohnerzahl des Landes. Das ist schon enorm und infrastrukturell kaum zu bewältigen. Dementsprechend sah ich einige Baustellen für neue Hotels. Aber nur mit ausreichend Betten ist es ja nicht getan, zumal dem Reykjaviker auch der Gedanke missfällt, dass seine beschauliche Stadt bald den Bettenburgen an der europäischen Mittelmeerküste gleichen könnte. Und bei aller Weltoffenheit der Gesellschaft dort, auch die Isländer möchten nicht von Fremden überrannt werden.

Immer schön auf den ausgewiesenen Pfaden bleiben

Dazu kommt das größte Problem: Der Umweltschutz! Die Touris kommen wegen der fantastischen Natur, gefährden sie aber zugleich oft sehr arglos. Die Urlauber erhöhen den Straßenverkehr auf Island enorm, sie produzieren neben viel CO2 auch viel Müll, campieren wild, lassen ihren Müll all zu oft in der Natur zurück und zertrampeln abseits der Pfade die Flora der Insel, die sich aufgrund der klimatischen Bedingungen nur sehr langwierig regenerieren kann. Der Tourismus ist zwar eine der wichtigsten Einnahmequellen des Landes geworden und hat Island aus der Finanzkrise von 2008 geholfen, aber seine Eskalation könnte dramatische negative Folgen haben. Und so wird Island bald Antworten auf die Frage finden müssen, wie man den Tourismus kontrollieren kann. Das wird wohl auf höhere Steuern und / oder Gebühren für Strassen und Nationalparks hinauslaufen. Ich kann mir vorstellen in absehbarer Zeit wiederkehren, um dann am liebsten nochmal die ganze Insel zu umrunden, aber danach werde ich sie wohl wieder dauerhaft in Ruhe lassen. Massentourismus ist einfach nichts für mich und eben auch nicht im Sinne der einzigartigen Insel Island.

Song of the Tour: Wer noch erfolgreicher als Björk ist, muss natürlich verlinkt werden.