Osnabrück, Hamburg & Hannover 04/2024

  • 20.04.2024
  • VfL Osnabrück – Eintracht Braunschweig 0:3
  • 2.Bundesliga (II)
  • Bremer Brücke (Att: 15.741)

Nachdem das Vorwochenende aufgrund einer Hochzeitsfeier frei von Stadionbesuchen blieb, sollte am 20. und 21. April die große norddeutsche Fußballdröhnung folgen. Die gegenwärtig sechs Zweitligisten aus dem Gebiet des Norddeutschen Fußball-Verbands (NFV) standen sich am 30.Spieltag der Saison 2023/24 allesamt in direkten Duellen gegenüber und keine der Partien sollte parallel angepfiffen werden. Den Anfang machte dabei das kleine Niedersachsenderby zwischen dem VfL Osnabrück und dem BTSV am Samstagmittag. Zugleich das Geburtstagsspiel des just unter der Woche 125 Jahre alt gewordenen Vereins für Leibesübungen von 1899.

Überall im Stadtbild waren Geburtstagswimpel auszumachen

Nach dem Frühstück brach ich um 9:09 Uhr am hannoverschen Hauptbahnhof in die Stadt des Geburtstagskindes auf. Meine Sorge, dass der Regionalzug voller unangenehmer Zeitgenossen sein würde, war zum Glück unbegründet. Denn der Anhang des heutigen Gastvereins reiste zu 96 % im Entlastungszug von Ost- nach Westniedersachsen. Ergo erreichte ich mein Etappenziel gegen 10:45 Uhr gut gelaunt und nutzte die Zeit bis zum Anpfiff für einen Museumsbesuch.

Das Wandgemälde „Hexenwahn“, welches Axel Gundrum 1998 in der Osnabrücker Altstadt zur Erinnerung an die Hexenverfolgung im 16. und 17. Jahrhundert schuf, enthielt schon mal eine Reminiszenz an Felix Nussbaum

Nachdem ich mich vor 13 Monaten bereits genauer mit der Stadtgeschichte und den Sehenswürdigkeiten beschäftigt hatte (siehe Osnabrück 03/2023), wollte ich mich heute mal einem besonderen Sohn der Hasestadt widmen. Der Maler Felix Nussbaum erblickte 1904 in Osnabrück das Licht der Welt und die größte Sammlung seiner Werke findet man seit 1998 in seinem Geburtsort. Genauer gesagt im vom renommierten Architekten Daniel Libeskind entworfenen Felix-Nussbaum-Haus (Teil des Osnabrücker Museumsquartiers gegenüber vom Heger Tor). Gegen ein geringes Entgelt (8 €) konnte ich dort einerseits viele berühmte Werke des zur Neuen Sachlichkeit gerechneten Malers bewundern und andererseits dessen dramatischen Lebensweg nachzeichnen.

Das Felix-Nussbaum-Haus ist zugleich interessantes Zeugnis der Architektursprache von Daniel Libeskind

Nussbaum wurde in eine gutbürgerliche Kaufmannsfamilie jüdischen Glaubens hineingeboren, in der seine Begabung bereits früh gefördert wurde. 1924 konnte der junge Maler ein Kunststudium an der Berliner Lewin-Funke-Schule aufnehmen, wo er auch seine spätere Ehefrau Felka Platek kennenlernte (eine jüdisch-polnische Malerin, von der ebenfalls ein paar Werke im Felix-Nussbaum-Haus ausgestellt werden). 1932 gingen Platek und Nussbaum gemeinsam für einen Studienaufenthalt nach Rom und sollten aufgrund der baldigen Machtergreifung der Nationalsozialisten (Januar 1933) nicht mehr nach Deutschland zurückkehren. Über Frankreich führte der Weg des Künstlerpaares nach Brüssel ins belgische Exil. Doch als das Deutsche Reich 1940 in Belgien einmarschierte und dem Land sein Besatzungsregime aufzwang, mussten Platek und Nussbaum untertauchen. Leider wurden sie wenige Wochen vor der Befreiung der belgischen Hauptstadt verraten und am 20. Juni 1944 von der Gestapo verhaftet. Platek und Nussbaum wurden kurz darauf von den Nazis ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet.

„Die beiden Juden“ (1926)

In seinen letzten Lebensjahren hatte Nussbaum wie kaum ein zweiter Künstler jener Zeit die Verfolgung und Vernichtung der Juden und weitere Verbrechen der Nationalsozialisten in seinen Werken aufgegriffen. Im Felix-Nussbaum-Haus erwarteten mich aus diesem Zyklus u. a. die Gemälde Der Flüchtling (1939), Selbstporträt mit Judenpaß (1943), Jaqui auf der Straße (1944) und Triumph des Todes (1944, wahrscheinlich sein letztes Werk). In jeder Hinsicht eindrucksvolle, aber vor allem bedrückende Zeugnisse der nationalsozialistischen Menschenverachtung und somit Nussbaums bildgewaltige Mahnung für die Nachwelt.

„Selbstporträt mit Judenpaß“ (1943)

In dieser mitunter geschichtsvergessenen Nachwelt machte ich mich gegen 12:15 Uhr vom Museum zur Bremer Brücke auf. Weil ein Großteil der Fans bereits um 9:30 Uhr aus der Innenstadt per Fanmarsch zum Stadion aufgebrochen war, war mein Expressbus leerer als gedacht und erreichte die traditionsreiche Spielstätte des VfL Osnabrück binnen weniger Minuten. Eine gute halbe Stunde vor Spielbeginn saß ich nun auf meinem Platz auf der Nordtribüne (33 €) und blätterte passend zum Vereinsjubiläum noch ein wenig virtuell in den Annalen. Nicht, dass ich hier gleich Fake News oder falsche Daten zum VfL verbreite…

Geburtstagsgraffiti an der Bremer Brücke

Unterdessen bereitete die Fanszene ihre Choreographie vor, welche den Betrachter kurz vor’m Anpfiff natürlich auch in Vergangenheit entführte und zunächst die Vereinsgründung des FC 1899 Osnabrück am 17. April 1899 visuell aufgriff. Bis zu jenem Datum hatten die Gründerväter in losen Zusammenschlüssen namens Germania, Minerva und Antipodia auf dem Klushügel gekickt und waren fast alle noch Schüler. Da das Archiv des Vereins im Zweiten Weltkrieg verloren ging, ist leider nicht viel über die Pionierzeit bekannt. Gesichert ist aber, dass August Wessel – ein wohlhabender Tabakfabrikant und zugleich väterlicher Freund der jungen Fußballer – erster Vorsitzender des Vereins wurde und man in den Stadtfarben schwarz und weiß auflief. Sehr wahrscheinlich ist außerdem, dass die Gründungsversammlung in Wessels Villa am Heger-Tor-Wall 26 stattfand. Würde die Villa heute noch stehen, wäre ihr direkter Nachbar das Felix-Nussbaum-Haus. Womit mich mein vormittäglicher Museumsbesuch also auch zufällig an den mutmaßlichen Gründungsort des VfL geführt hatte.

Gesprühter Geburtstagswimpel in Stadionnähe

Auf den FC 1899 folgten damals rasch weitere Vereine in der Hasestadt. Konkurrenz belebte offenbar das Osnabrücker Fußballgeschäft und insbesondere der 1902 gegründete FC Teutonia, aber auch der FC Olympia (von 1903) und der Osnabrücker Ballspielverein (1905) waren vor dem Ersten Weltkrieg prinzipiell erfolgreicher als der FC 1899. Nach dem Krieg führten die Verluste auf den Schlachtfeldern wiederum zu Bündelungen der Kräfte. Der FC Teutonia und der FC Olympia vereinigten sich 1919 zu Spiel und Sport Osnabrück und der FC 1899 gewann mit dem Ballspielverein ein Jahr später ebenfalls einen Fusionspartner (fortan firmierte man als BVO). Nachdem der BVO mit Spiel und Sport ein paar Jahre lang um die lokale Vorherrschaft rang, fanden 1924 schließlich auch diese beiden Clubs zusammen. 25 Jahre nach der Gründung des FC 1899 war somit der Verein für Leibesübungen von 1899 e. V. geboren.

Willkommen in der guten Stube des Osnabrücker Fußballs

Während der VfL nun zu einer festen Größe im westdeutschen Fußball aufstieg (zwar gehörte Osnabrück damals politisch zu Hannover, im Fußball wurde man jedoch Westfalen zugeordnet), wollten sich nicht alle Sportsfreunde mit der Fusion anfreunden. Ein paar Querköpfe spalteten sich 1925 als SC Rapid ab und machten dem VfL dreizehn Jahre arge Lokalkonkurrenz. Bis die Nazis 1938 anordneten, dass sich der SCR wieder beim VfL eingliedern muss. Die verlorenen Söhne verschafften dem Großverein nun einerseits ihre 1933 eröffnete Spielstätte an der Bremer Brücke und andererseits die Vereinsfarben lila-weiß (lila war Anfang der 1920er Jahre bereits die Trikotfarbe des BVO gewesen und wurde von Rapid fortgeführt).

Was ihr einst begannt, werden wir treu erhalten! Unser Blick geht nach vorn – Doch unser Dank gilt den Alten!

An der Bremer Brücke feierte der von der NSDAP protegierte VfL sogleich große Erfolge. In der Saison 1938/39 schlug man daheim u. a. den amtierenden Deutschen Meister Hannover 96 sensationell mit 3:0 und sollte in der Abschlusstabelle die punktgleichen 96er dank eines besseren Torquotienten auf Rang 2 verweisen. Als Meister der Gauliga Niedersachsen durften die Lila-Weißen nun erstmals in der Vereinsgeschichte an der Endrunde um die Deutsche Fußballmeisterschaft teilnehmen. In einer Gruppe mit dem Hamburger SV, Blau-Weiß 90 Berlin und dem SV Hindenburg Allenstein belegte der VfL Osnabrück dabei einen ehrenwerten 2.Platz hinter dem HSV.

„Da saßen und standen über 15.000 Osnabrücker wie eine Familie um das Spielfeld, betätigten Signalhörner, Autohupen, Trillerpfeifen und Glocken und vor allem ihre Stimmbänder, dass es wie ein einziger brausender Lärm zum Himmel stieg. Ein Lärm aber, der heiter und fröhlich war und beweisen sollte, wie fest man zu dem VfL in seinem schwersten Kampf stand.“

Osnabrücker Tageblatt vom 27. Februar 1939 im Spielbericht zum Sieg über Hannover 96

Nach dem Zweiten Weltkrieg baute man die bei Luftangriffen zerbombte Kampfbahn an der Bremer Brücke wieder auf und fand sportlich erneut Anschluss an die norddeutschen Spitzenvereine. In der Oberliga Nord konkurrierte man ab 1947 auf Augenhöhe mit Werder Bremen, Hannover 96 und dem Hamburger SV. In den Spielzeiten 1949/50 und 1951/52 gelang sogar abermals der Einzug in die Endrunde um die Deutsche Fußballmeisterschaft. Bis zur Einführung der Bundesliga 1963 blieb der VfL nun konstant erstklassig und belegte meist vordere Plätze.

Das erste Mannschaftsbild des FC 1899 Osnabrück wurde ein zentrales Element der Choreographie

Doch dann gehörten die Osnabrücker leider zu den Benachteiligten bei den Klüngeleien zur Bundesligagründung. Obwohl man in der sportlich relevanten Zwölfjahreswertung gemäß kompliziertem Berechnungsschlüssel hinter dem HSV (518 Punkte) und Werder (396) mit 313 Punkten auf Platz 3 lag, ging der dritte norddeutsche Startplatz nicht an den VfL. Denn die auch schon damals wenig honorigen Fußballfunktionäre hatten sich genug Hintertürchen gelassen, um die Zwölfjahreswertung im Zweifelsfall außer Kraft zu setzen. Neben der objektiv messbaren sportlichen Komponente, sollte bei allen Bewerbern auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und die Stadioninfrastruktur mit bewertet werden. Daher machte sich der mit dem riesigen, wie modernen Niedersachsenstadion und einer starken lokalen Wirtschaft gesegnete Hannoversche SV von 1896 – in der Zwölfjahreswertung Vierter mit 309 Punkten – berechtigte Hoffnungen den Osnabrückern vorgezogen zu werden.

Auf ewig Lila-weiß…

Aber nicht nur der VfL Osnabrück, sondern auch der zweifache Deutsche Meister (1938 & 1954) aus der niedersächsischen Landeshauptstadt wurde übergangen. Stattdessen ging der dritte Bundesligastartplatz des Nordens an den heutigen Gastverein aus Ostniedersachsen. Die waren in der Zwölfjahreswertung zwar nur das siebtbeste Team der Oberliga Nord (276 Punkte), hatten aber in Hinterzimmern gute Arbeit geleistet. Kurzfristig wurden die dritt- bis siebtplatzierten Vereine der Zwölfjahreswertung für sportlich gleichwertig erklärt und die Abschlusstabelle der Saison 1962/63 sollte maßgeblich werden. Jene Spielzeit schloss der Braunschweiger TSV Eintracht hinter dem Hamburger SV und dem SV Werder Bremen auf Rang 3 ab und war somit im wahrsten Sinne des Wortes der lachende Dritte.

Zwei historische Trikotmotive wurden im zweiten Teil der Choreographie präsentiert

Fortan war der VfL nur noch zweitklassig, schloss die Regionalliga Nord zwischen 1969 und 1973 jedoch jeweils als Meister oder Vizemeister ab. In jenen goldenen Jahren wurde dem Osnabrücker Publikum unter dem Leitspruch „VfL – steil und schnell“ mitreißender Angriffsfußball geboten. Dennoch scheiterten die Lila-Weißen fünfmal in Folge in der Aufstiegsrunde zur Bundesliga. Anschließend blieb Osnabrück – mit Ausnahme der Saison 1984/85 – noch zwei Jahrzehnte ein etablierter Zweitligastandort. Doch Mittelfeldplätze oder Abstiegskampf prägten jene Zeit, ehe es 1993 für sieben verflixte Jahre in die Drittklassigkeit hinunter ging und zwischenzeitlich sogar die Insolvenz drohte.

Schalparade in der Osnabrücker Fankurve

Aber die Lichter an der Bremer Brücke gingen nicht aus. Stattdessen schlüpfte der VfL im 21.Jahrhundert in die Rolle einer Fahrstuhlmannschaft zwischen 2.Bundesliga und 3.Liga. Im vergangenen Sommer durfte man den mittlerweile siebten Zweitligaaufstieg der Vereinsgeschichte feiern und in wenigen Wochen wird es wohl unweigerlich zum siebten Abstieg in die Drittklassigkeit kommen. Denn nach der gelungenen Choreographie war’s das heute mit den schönen Momenten für die VfL-Fans. Die Heimmannschaft lieferte eine katastrophale Vorstellung gegen den ebenfalls noch abstiegsbedrohten Gegner und lag bereits zur Pause verdient mit 0:2 hinten. Spätestens nachdem die 1.400 Gästefans in der 59.Minute noch ein drittes Tor bejubeln durften, schrieben auch die kühnsten Osnabrücker Optimisten einen Punktgewinn ab.

Okay, ein Foto vom Gästeblock aus Chronistenpflicht

Über die große Fanparty, die nach Abpfiff anlässlich des Vereinsgeburtstags im Stadion steigen sollte, legte sich nun der Schleier des quasi feststehenden Abstiegs. Das rettende Ufer ist mittlerweile stolze acht Punkte entfernt und vom Relegationsplatz trennen den VfL auch bereits sieben Punkte. Dazu hat die Konkurrenz deutlich bessere Torverhältnisse vorzuweisen. Bei lediglich vier verbleibenden Spieltagen, liegt die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Mission Klassenerhalt höchstens noch bei 0,96 %. Mich berührte das traurige Schicksal meiner Sitznachbarn zwar emotional nicht wirklich, aber ein Sieg des heutigen Gastes ist natürlich grundsätzlich schlecht für meine Stimmungslage. Erst recht, wenn er denen auch noch großen sportlichen Nutzen bringt. Dementsprechend unterschied sich meine Miene nicht sonderlich von den Einheimischen, als ich nach Abpfiff unverzüglich das Stadion verließ.

  • 20.04.2024
  • Hamburger SV – Kieler SV Holstein 0:1
  • 2.Bundesliga (II)
  • Volksparkstadion (57.000)

Über den Klushügel, ergo die erste Spielstätte des VfL bzw. FC 1899, ging es nun schnellen Schrittes von der Bremer Brücke zum Hauptbahnhof. Wenig später überquerte ich jene für das Stadion namensgebende Eisenbahnbrücke auf der Schiene und nach einem Umstieg in Bremen erreichte ich Hamburg um 18:26 Uhr.

Ab in den stets ausverkauften Volkspark

Leider verhagelten kurzfristig angesetzte Bauarbeiten die Weiterfahrt mit der S-Bahn zum Volksparkstadion. Stattdessen ging es mit der U2 zum Tierpark Hagenbeck und von dort hatte man heute einen Shuttlebusverkehr zum ca. 3,5 km entfernten Stadion eingerichtet. Letztlich war ich gegen 19:30 Uhr durch’s Drehkreuz und traf mich an einem Bierstand mit bekannten Hildesheimer Gesichtern wie Max, Ole und Jan (der mir freundlicherweise mein 54 € teures Ticket für Block 6C besorgt hatte).

Das Intro der Kieler

Kurz vor Anpfiff zog es mich schließlich auf meinen Platz, von wo ich beste Sicht auf die geschätzt 8.000 mitgereisten Kieler hatte. Die hatten in ihrer Stadionecke auf allen drei Rängen karierte Fähnchen in den Vereinsfarben verteilt und ein Banner mit der Aufschrift „Let’s go Holstein“ an die Brüstung geklatscht. Trotz der Masse und der glänzenden sportlichen Situation, war im Rest des Stadions anschließend aber nur sehr wenig von der Kieler Aufstiegseuphorie zu spüren. Auf die zumindest sichtbaren Bemühungen der aktiven Szene im A-Rang, stiegen im B- und C-Rang nur selten viele KSV-Fans ein.

Diese Hamburger Spruchband zu Spielbeginn sollte schlecht altern

So stand der zunächst sehr gut aufgelegte A-Rang der Nordtribüne vor keiner großen Herausforderung, um lauter als die Kieler bei mir in 6C anzukommen. Dazu wurden im Fanblock von Castaways, Clique du Nord & Co über die gesamte Spieldauer verteilt immer mal Fackeln entzündet, um die Gesänge buchstäblich noch etwas anzuheizen. Nebenbei war das Ultrà Kollektiv Lübeck in diesem Sektor heute besonders sichtbar anwesend. Dass die Erzfeinde der Kieler seit mittlerweile knapp zwei Jahren eine offizielle Freundschaft mit den Castaways pflegen, macht die Duelle zwischen dem HSV und der KSV auf den Rängen noch etwas konfliktgeladener.

Punktuelle Pyrotechnik

Auf mehr, als auf gute Freunde, durfte dieses hanseatische Bündnis heute allerdings nicht anstoßen. Der Tabellenführer aus der Fördestadt setzte den HSV von Beginn an unter Druck und traf bereits in der 2.Minute Aluminium. Zwar gelangen der Baumgart-Elf im Laufe der 1.Halbzeit auch ein paar gute Entlastungsangriffe, aber insgesamt hatten die Kieler bereits im ersten Durchgang mehr vom Spiel. Dazu hatte der Hausherr Glück, dass es den VAR gibt. Denn dessen Intervention sorgte in der 45.Minute für die Rücknahme eines Handelfmeters, welcher den Störchen möglicherweise kurz vor dem Seitenwechsel das Führungstor beschert hätte.

Ein bisschen Rauch, ein bisschen Licht

Die Pause nutzten die Kieler Ultras dann für Vermummungsmaßnahmen. Ein abendliches Spitzenspiel bei einem großen Rivalen darf einfach nicht ohne Pyroshow auskommen. Aber irgendwie wirkte das folgende Potpourri aus Feuerwerksraketen, Blinklichtern und Qualm etwas unkoordiniert und im Gesamtbild auch nicht so richtig stimmig. Es wirkte, als wäre Kiel so eine Art unterentwickelter Schurkenstaat, der zwar in Sachen Alphabetisierungsrate, Lebenserwartung und BIP deutlich unter dem OECD-Durchschnitt liegt, aber die Weltöffentlichkeit mit einem effekthaschenden Showmanöver und seinem noch nicht ganz ausgereiften Raketenprogramm beeindrucken will.

Nordkielrea schockt die Weltgemeinschaft mit neuen Raketentests

Auf dem Rasen war die Kieler Darbietung hingegen wesentlich ausgereifter. In der 59.Minute besorgte Rothe die Führung für den Deutschen Meister von 1912 und schraubte damit endlich mal die Dezibel beim Gästeanhang hoch. Ich verzog mich anschließend für einen weiteren Umtrunk zu meinen Kumpels in die Nordostecke des Stadions und verfolgte von dort mit ihnen, wie die Rothosen sich redlich um den Ausgleich mühten. Aber selbst ein Platzverweis in der 73.Minute für den Ex-Hamburger Holtby half nicht mehr. Die KSV Holstein sollte trotz Unterzahl auch im sechsten Spiel in Serie ohne Gegentor bleiben und hat nun nach 30 Spieltagen stolze 61 Punkte gesammelt. Damit sind sie dem viertplatzierten HSV mittlerweile zwölf Zähler voraus und auch auf die drittplatzierten Düsseldorfer sind es bereits sechs Punkte Polster.

Schalparade im Nordunterrang

Deutschlands Top 18 darf sich also sehr wahrscheinlich auf einen weiteren Mitstreiter mit kleiner Fanszene und kleinem Stadion freuen. Es wäre zugleich der erste Verein aus Schleswig-Holstein in der 1.Bundesliga. Dann würden in Sachen Bundesländer nur noch Thüringen und Sachsen-Anhalt fehlen. Nebenbei; kurioserweise wären nach der Wiedervereinigung mit dem FC Rot-Weiß Erfurt und dem Halleschen FC zwei Vereine aus genau jenen Bundesländern mit in die 1.Bundesliga eingegliedert worden, wenn deren Verband beim DFB vier anstatt zwei Ex-DDR-Oberligisten durchgesetzt hätte.

Abpfiff im Volkspark

Während aus unserer Runde nach Abpfiff fast alle unverzüglich den Heimweg antraten, wollte Max noch auf den Kiez und dort Freunde und Freundin treffen. Da der nächstbeste Metronom nach Hannover erst 0:33 Uhr fahren sollte, wäre ich unter normalen Verkehrsbedingungen noch auf ein, zwei Getränke mitgekommen. Aber mangels S-Bahnen benötigten wir doppelt so lange wie sonst in die Innenstadt. So stieg Max gegen 0 Uhr alleine am Schlump aus der U2, wohingegen ich gleich durch zum Hauptbahnhof fuhr und in besagten Zug stieg. Exakt drei Stunden nach dessen Abfahrt erreichte ich die Hildesheimat und gönnte mir wenigstens sieben Stunden Schlaf.

  • 21.04.2024
  • Hannover 96 – FC St. Pauli 1:2
  • 2.Bundesliga (II)
  • Niedersachsenstadion (Att: 49.000)

Sonntag ging es nach dem späten Frühstück um 11:43 Uhr zusammen mit Ole und Kim per Bahn nach Hannover. Die beiden hatten sowohl ihren Nachwuchs, als auch dessen Großeltern väterlicherseits dabei. So konnten die jungen Eltern gemeinsam ins Stadion, während der kleine Racker von Oma und Opa zwei Stunden im Kinderwagen um den Maschsee geschoben wurde.

Kurioserweise empfing mich heute an meinem Stammplatz auf der Ost dieser Aufkleber

Mit einem “Ausgesperrte immer bei uns!” verabschiedete ich mich von dem süßen Fratz, aber eigentlich hatte er Glück, dass er noch Stadionverbot hat. War alles in allem ein wenig mitreißender Fußballnachmittag, der nur der Vollständigkeit halber noch Erwähnung in diesem Bericht findet. Gab weder in der Nordkurve, noch in der Gästekurve besondere optische Aktionen. Obendrein blieb es akustisch ebenfalls auf beiden Seiten mau.

Ausverkauftes Haus, aber ausbaufähige Atmosphäre

Auf der Heimseite lag es vielleicht daran, dass das Derby in der Vorwoche weder Fisch, noch Fleisch war und zugleich nun endgültig nichts mehr in Sachen Aufstieg geht. Am anderen Stadionende war der Support der insgesamt an die 10.000 Gäste zwar phasenweise etwas lauter, aber da blieb ebenfalls noch viel Luft nach oben. Andererseits darf man nicht unerwähnt lassen, dass die aktive Szene der Braun-Weißen wenige Tage zuvor einen Todesfall zu beklagen hatte. Das Konterfei jenes verstorbenen Mitstreiters hing heute permanent über der USP-Zaunfahne.

Der Gästemob am heutigen Sonntag

Positiv im Gedächtnis bleibt mir vom heutigen Fußballnachmittag höchstens die Torpremiere des etatmäßigen U23-Stürmers Lars Gindorf (45.). Die hätte natürlich gerne schon einen Spieltag früher erfolgen dürfen, aber man kann nicht alles haben. Trotzdem schön, dass man offensichtlich einen zweitligatauglichen Profi aus der Regionalligamannschaft hochziehen konnte. Ist schließlich eh kein Geld für Neuzugänge da. Denn anders, als andere Clubs in Investorenhand, ist 96 bekanntlich einem ständigen Spardiktat unterworfen. Trotzdem gibt der Investor vor, dass nächste Saison mit nochmals verringertem Budget endlich die Rückkehr in die 1.Bundesliga gelingen muss. Klappt bestimmt!

Ultras

Wahrscheinlich wird der heute durch Treffer von Afolayan (41.) und Eggestein (65.) siegreiche FC St. Pauli kommende Saison nicht mehr zu den Konkurrenten gehören. Die Braun-Weißen (nun 60 Punkte) gehen mit ähnlich guter Ausgangsposition wie die Kieler Sportvereinigung Holstein in den Saisonendspurt. Nebenbei stieg mit dem heutigen Spielausgang die Chance, dass man den Aufstieg bereits in zwei Wochen im Derby beim Hamburger SV vorzeitig eintüten kann. Wäre für die Fans des HSV definitiv der Super-Gau und ließe die Brisanz bei diesem Prestigeduell nochmal exponentiell steigen. Aber anders als in der Vorsaison (siehe Hamburg 04/2023), werde ich leider nicht zugegen sein können.

St. Pauli hat im Derby am 3. Mai vielleicht eine einzigartige Möglichkeit

Während der ein oder andere Paulianer nach Abpfiff vielleicht ebenfalls mögliche Tabellenkonstellationen für’s Derby durchrechnete, machte ich schnell den Abflug. Ich hatte jetzt Bock auf Sofa! Das war im Resümee ein Fußballwochenende, von dem ich mir deutlich mehr erhofft hatte, als mir letztlich geboten wurde. Abgesehen von den aus meiner Sicht unschönen Ausgängen der Spiele, blieb es auf den Rängen auch eher lahm, bzw. deutlich hinter meinen Erwartungen. Aber egal, ob objektiv oder subjektiv betrachtet; es kann auch nicht immer ein Superlativ auf den nächsten folgen und hin und wieder schadet eine Rekalibrierung meiner zuweilen unverschämt hohen Erwartungshaltung sicher nicht.