Thale 03/2024

  • 23.03.2024
  • SV Stahl Thale – Hallescher FC 1:5
  • Sachsen-Anhalt-Pokal (Viertelfinale)
  • Sportpark Thale (Att: 1.723)

Am 23. März hatte die Nationalmannschaft die Aufgabe endlich EM-Euphorie in Deutschland zu entfachen. Entsprechend ruhte der professionelle Ligabetrieb in der Republik und stattdessen boten sich großartige Optionen in den Landespokalwettbewerben. Borussia Neunkirchen empfing den 1.FC Saarbrücken, Preußen Münster gastierte bei Arminia Bielefeld und Stahl Thale sollte sich mit dem Halleschen FC messen dürfen. Allein diese drei Ansetzungen wären allesamt einen Besuch wert gewesen. Aber man kann sich nun mal nicht zerteilen. So fiel meine Wahl letztlich auf das attraktivste Viertelfinale des Sachsen-Anhalt-Pokals. Ergo hieß es am Samstagmorgen: Auf nach Thale!

Kleiner Abstecher zur Teufelsmauer

Eigentlich ideal, um das Fußballspiel mit einer Wanderung zu verbinden. Aber einerseits habe ich rund um Thale bereits alle Wanderstempel der Harzer Wandernadel eingesackt, andererseits war das Wetter ziemlich beschissen. Ich entschied mich deshalb nur für einen besseren Spaziergang, der mich von Neinstedt an einem Teilstück der Teufelsmauer entlang zum bis Thalenser Sportpark an der Neinstedter Straße führte. Dort traf ich gegen 13:30 Uhr zeitgleich mit dem HFC-Mob ein, der eigentlich deutlich früher in dem 16.000-Einwohner-Städtchen erwartet wurde. Aber ihr Zug hatte circa 45 Minuten Verspätung. Angriff von rivalisierenden Fans an einem Unterwegsbahnhof? Erneut auf einer Bahnfahrt Stress mit dem Anzeigenhauptmeister gehabt? Oder doch nur ein banale technische Störung? Ich kann nur spekulieren…

Die Gäste von der Saale erreichen Thale

Am Stadiontor zahlte ich gerne 10 € Eintrittspreis für diesen von insgesamt 1.723 zahlenden Zuschauern besuchten Pokalkracher, ärgerte mich aber doch schnell, dass ich mich nicht akkreditiert hatte. Denn die kleine Choreographie der Thalenser wäre nur von der Laufbahn aus gut zu sehen und zu fotografieren gewesen. Zumal man hinter den Toren extra noch Bauzäune mit Werbebannern aufgestellt hatte, die mir auf meinem angedachten „Premiumplatz“ in der Kurve die Sicht verleideten. Aber sogar der MDR war da und übertrug das Spiel partiell live in seiner großen Pokalkonferenz. Da wollte man einfach noch zwei, drei Taler mehr einnehmen. Es sei einem Achtligisten gegönnt.

Die Einlaufkinder

Besagte Choreographie griff übrigens die lokale Sprungsage von der Roßtrappe auf. Die Roßtrappe ist ein 403 m hoher Granitfels über dem Bodetal bei Thale. Weil im Fels ein vermeintlicher Hufabdruck zu sehen ist, ersann sich jemand die Sage vom Ritter Bodo, der dereinst gitterig auf die Königstochter Brunhilde war. Die fand Bodo aber wohl nicht so geil und entfloh dem riemigen Ritter auf ihrem weißen Ross gen Harz. Doch plötzlich tat sich vor der schönen Bruni der tiefe Abgrund des Bodetals auf. Im kühnen Sprung überwand ihr Ross allerdings die Schlucht, während der nachsetzende Bodo in die Tiefe stürzte.

Die Blockfahne beim Einlaufen der Mannschaften

Die Thalenser hatten nun von dieser Sage inspiriert die Roßtrappe nebst springendem Ross auf eine Blockfahne gepinselt. Ferner war der Satz “Kein Sprung zu gross” auf dem Stück Stoff zu lesen und am Geländer vor ihrem Fanblock hing ein Banner mit dem Schriftzug: „Ab in’s Halbfinale!“ Als die Teams um 14 Uhr den Rasen betraten, feuerten ein paar Fans obendrein Konfetti in grün und weiß ab. Durchaus nett anzusehen.

Konfettifontänen

Auf der als Gästesektor fungierenden Gegengerade beflaggte der HFC-Mob derweil noch in Ruhe die Bauzäune. Die ca. 700 Schlachtenbummler von Saale waren zu 96 % schwarz gekleidet und fast alle hatten ein rotes Schlauchtuch am Hals. Für fixe Vermummung im Bedarfsfall… Denn heute hatte der Landespokal den Titelverteidiger mal wieder in Feindesland geführt, wo mit einer FCM-Bande aus dem Spielort und dessen Umgebung zu rechnen war. So wie letzten Sommer, als das Pokalfinale zwischen dem Halleschen FC und Einheit Wernigerode unweit von Thale ausgetragen wurde und es handfeste Auseinandersetzungen gab (siehe Halberstadt 06/2023).

Der schwarze Block

Während der Stahl-Fanblock fortan hin und wieder einfache Anfeuerungsrufe zum besten gab, spulten die Hallenser bald ihr Standardprogramm mit ordentlicher Lautstärke und guter Mitmachquote ab. Das war nichts Weltbewegendes, aber ich muss die Szene dennoch allgemein für ihr Auftreten im Landespokal loben. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Doch obwohl es sich um Pflichtspiele handelt, handhaben das beispielsweise die Szenen vom DSC Arminia oder der SG Dynamo anders. Ich kann zwar Motivationsprobleme für Touren auf Dorfplätze nachvollziehen, aber auf die DFB-Pokal-Teilnahme sind die jeweiligen Gruppen sicher trotzdem so scharf wie Bodo auf Bruni. Warum also die rauen Pfade zu den Sternen nur passiv beschreiten?

Da standen trotzdem auch ein paar Mädchen

In Thale wird unterdessen kaum jemand ernsthaft vom Einzug in den DFB-Pokal geträumt haben. Aber als Achtligist im Viertelfinale des Landespokals zu stehen und mit dem HFC dabei zugleich das Toplos des Wettbewerbs gezogen zu haben, machte das heutige Spiel wahrscheinlich zu einem der größten seit der Saison 1990/91. Denn bis zur Wende war die Neinstedter Straße tatsächlich noch eine überregional renommierte Fußballadresse. So gewann Stahl 1950 mit dem FDGB-Pokal das DDR-Pendant des DFB-Pokals und spielte von 1950 bis 1954 erstklassig in der Oberliga der Deutschen Demokratischen Republik. Zwar war man danach nur noch zweit- und drittklassig unterwegs, aber gerade Ende der 1980er Jahre zeigte die Erfolgskurve wieder nach oben. 1990/91, sprich in in der letzten Saison des DDR-Fußballs, belegte man in der zweitklassigen NOFV-Liga gar noch einen guten 3.Platz. Übrigens hinter dem FSV Zwickau und Wismut Aue, die später im bundesdeutschen Fußball ebenfalls Zweitligaluft schnuppern durften.

Auch der Landespokal verdient Tifo

Die Thalensern waren solche Höhenflüge im gesamtdeutschen Fußball leider nicht vergönnt. Sie wurden zunächst in die drittklassige Oberliga einsortiert, stiegen aus dieser jedoch 1993 nach nur zwei Spielzeiten ab. Den Rest der 1990er Jahre verbrachte man auf Verbandsebene, während ab 2000 höchstens noch Landesligafußball drin war. Aktuell führt man die Staffel 3 der Landesklasse an und ist damit nichtsdestotrotz fünf Klassen tiefer als der heutige Gast aus Halle unterwegs.

Heimsupport im Sportpark

Der eklatante Klassenunterschied war von Beginn an auf dem Rasen sichtbar, aber immerhin hielt man sich fast eine halbe Stunde schadlos. Erst in der 28.Minute konnte Lofolomo den Favoriten und nebenbei zweifachen FDGB-Pokalsieger (1956, 1962) nach einem Eckstoß in Führung köpfen. Kurz vor dem Seitenwechsel (40.) sorgte außerdem Niklas Kreuzer per direkt verwandelten Freistoß für ein vermeintlich beruhigendes Polster, so dass ich beim Pausensnack höchstens noch Hoffnungen auf eine möglichst moderate Niederlage vom Heimpublikum vernahm. Übrigens war das am Clubhaus erworbene Schnitzelbrötchen (5 €) ganz gut, während die Bratwurst von der Bude hinter der Tribüne (3 €) die wahrscheinlich schlechteste meines bisherigen Lebens war.

Hui

Ich war dem Gastgeber eigentlich sehr wohlgesonnen, da mein Verein SC Schwarz-Gelb Asel während meiner aktiven Zeit eine lebendige Vereinsfreundschaft zum SV Stahl unterhielt und ich mehrmals selbst in und gegen Thale gekickt habe. Aber bei schlechter Bratwurst hört die Freundschaft wirklich auf. Jetzt durfte es gerne zweistellig werden 😉

Pfui

Doch kaum hatte auch ich sprichwörtlich die Seiten gewechselt, trat die Stahl-Elf plötzlich viel forscher auf. Esdras Dos Santos eroberte in der 50.Minute den Ball an Mittellinie und sah, dass Tormann Müller weit draußen stand. Hätte sich der HFC-Keeper in der Rückwärtsbewegung nicht noch ganz lang gemacht, hätte der freche Distanzschuss gesessen. Dos Santos ist übrigens einer von drei Brasilianern im Kader der Harzer. Sie arbeiten alle in Thale in der Altenpflege und in ihrer Freizeit tragen sie maßgeblich zum gegenwärtigen Erfolg des hiesigen Sportvereins bei. Während Christiano De Jesus Barros Matos als Verteidiger eher für’s Tore verhindern zuständig ist, haben Esdras und sein Cousin Yuri Alef Dos Santos Souza den SV Stahl mit zusammen bereits über 40 Saisontoren an die Tabellenspitze geballert.

Hallesche Grüße an die niedersächsische Innenministerin

Aber auch der Anteil des Stahl-Urgesteins Glebs Zavjalovs soll nicht unterschlagen werden. Der aus Lettland stammende Angreifer hat ebenfalls bereits 16 Saisontore erzielt und sollte in der 52.Minute gegen den Drittligisten sein nächstes Erfolgserlebnis haben. Das Publikum war ob des Anschlusstreffers genauso wie die Mannschaft aus dem Häuschen und begann vielleicht doch wieder das Träumen. Bis Halles Behrendt in der 61.Minute aus 18,96 Metern einen Schuss wie einen Weckruf abfeuerte. Der beruhigende Zwei-Tore-Vorsprung war zurück und obwohl die Freizeitfußballer sich weiter tapfer wehrten, erreichten viele mit zunehmender Spieldauer ihre persönlichen Grenzen.

Thalenser Torfreude

So wunderte es nicht, dass Wolf (90.) und Kreuzer (90+2.) den Pflichtsieg für den insgesamt zehnfachen Sachsen-Anhalt-Pokalsieger kurz vor’m Ende noch etwas veredeln durften. Für Spielführer und Doppelpacker Kreuzer war es nebenbei das erste Pflichtspiel nach seiner überstandenen Hodenkrebserkrankung und der damit verbundenen Zwangspause. So gab es im sagenumwobenen Thale am Ende zwar keine Harzer Neuauflage vom David-gegen-Goliath-Mythos, aber immerhin kein kleines persönliches Fußballmärchen für einen der Hallenser.

Hallesche Schalparade

Nachdem der Schiedsrichter den Kick um 15:55 Uhr schließlich beendete, kam es allerdings noch zu eher düsteren Geschichten. Die Polizei hatte eigentlich den Plan, dass die Hallenser nun rasch abmarschieren und alle 16:19 Uhr im Zug gen Halberstadt bzw. Halle sitzen. Solange sollte die Heimseite wiederum im Stadion verbleiben. Während die Beamten jetzt die Ausgänge und den Vorplatz absicherten, kam es drinnen am Trennzaun zum Austausch von Nettigkeiten von HFC- und FCM-Anhängern. Der Bauzaun war dabei in Windeseile beseitigt und die Bereitschaftspolizei bildete mühsam einen Kordon, während von allen Seiten Verstärkung heran eilte. Derweil flogen zwischen den Lagern so Sachen wie Getränkekisten, Plastikstühle und Leuchtspur durch die Luft.

Bambule, Randale… sie kommen von der Saale

Der HFC-Mob erkannte wenig später, dass man durch’s Clubhaus nochmal an die Gegner rankommen könnte. Plötzlich hatte der Zugführer neben mir jedenfalls die Meldung im Ohr, dass die Hallenser von der anderen Seite die Vereinsgaststätte gestürmt haben. Sofort schickte er einen Teil seiner Männer und Frauen stadionseitig ins Gebäude, wohingegen weitere Kräfte die Harzer Radaubrüder am Zugang zum Clubhaus hindern mussten. Dabei wurden die Einsatzkräfte zur Zielscheibe sämtlicher Außenbestuhlung. Der Mehrzweckeinsatzstock musste mächtig geschwungen werden, um die rivalisierenden Fangruppen weiterhin erfolgreich zu trennen.

Tief im Thale fliegen die Plastikmöbel niedrig

Gegen 16:10 Uhr gab es dann eine spontane Planänderung bei der Polizei. Es wurde durchgesagt, dass doch die Stahl-Fans zuerst und vor allem umgehend das Stadion verlassen sollen. Stattdessen wurden die Hallenser auf dem Gelände festgehalten, bis das Gros der Harzer auf dem Heimweg war. Ich verließ die Szenerie ebenfalls, doch leider war der Zug um 16:19 Uhr nicht mehr zu bekommen. So ging es zwecks Zeitvertreib direkt zum Hauptbahnhof und von dort eine Stunde später via Halberstadt in Richtung Heimat. Ich dachte zwar, dass am Musestieg noch schön der HFC-Zugmob zusteigt, aber es gesellten sich nur ein paar gut angekachelte Nachzügler in die Bahn. Denn laut DB App hatte die Polizei den Zug um 16:19 Uhr noch ca. 30 Minuten auf die Hallenser warten lassen, so dass die doch schon aus Thale weg waren. Na ja, meinen Anschluss um 17:04 Uhr in Halberstadt hätte ich trotzdem nicht bekommen. Ergo alles richtig gemacht.

Bestes Fußballwetter an der Hildesheimer Pottkuhle

Am nächsten Tag hatte ich zunächst vor erneut in den Harz zu düsen und in Wernigerode einem weiteren Viertelfinale des Sachsen-Anhalt-Pokals beizuwohnen. Vorjahresfinalist FC Einheit sollte ein Nachbarschaftsduell mit dem VfB Germania Halberstadt austragen. Aber irgendwie war’s im Bett doch zu bequem, um für den Revisit am Mannsberg früh aufzustehen. Stattdessen ließ ich mich von meinem Kumpel Milano Pete überzeugen, dass eine Visite beim Verein für Volkssport meinen Sonntag enorm aufwerten würde. Um 15 Uhr sollte der VfV Borussia 06 den FSV Schöningen zum Oberligapunktspiel empfangen und ich spazierte nun nach dem Mittagessen mal wieder zur Pottkuhle. Es war nass, es war kalt, aber wenigstens erzielte der Platzhirsch doppelt so viele Tore wie der Gast (Endstand 4:2) und darf sich mittlerweile wieder Hoffnungen auf eine Rückkehr in die Regionalliga machen. Außerdem ist die Bratwurst im Friedrich-Ebert-Stadion weiterhin genießbar. Aber viel mehr gibt es zu diesem Kick vor angeblich 405 Zuschauern eigentlich nicht zu schreiben.

Schäufele in Meyer’s Treppchen

Da erwähne ich lieber noch, dass die Karwoche mit guten Freunden bei einem zünftigen Mal in der Gastwirtschaft Meyer’s Treppchen am Moritzberg eingeläutet wurde. Dort waren gerade fränkische Wochen, so dass u. a. das verlockende Wort Schäufele auf der Kreidetafel zu lesen war. Eigentlich ist zwar gerade Fastenzeit, aber für gutes Essen sind wir gerne schlechte Katholiken.