Nordhausen 10/2023

  • 29.10.2023
  • FSV Wacker 90 Nordhausen – BSV Eintracht Sondershausen 3:1
  • Thüringenliga (VI)
  • Albert-Kuntz-Sportpark (Att: 1.302)

Für die letzten beiden Oktoberwochenenden hatte ich mir eigentlich einiges vorgenommen. Den gelungenen Auftakt markierte dabei das Duell des Hannoverschen SV mit dem 1.FC Magdeburg am 20.Oktober. Doch an jenem nasskalten Freitagabend konnten die unzähligen Feuer in der Kurve nur mein Herz, aber nicht meinen Hals erwärmen. Ich hatte ab dem kommenden Morgen doch tatsächlich mit einer hartnäckigen Atemwegserkrankung zu kämpfen. Wie auf Knopfdruck, als hätte jemand einen Fernentzünder für meine Bronchien gehabt. Spieglein, Spieglein an der Wand, wer hat die entzündetsten Schleimhäute im ganzen Land?

Kann eine Kurve schöner leuchten?

Weder an Feierlichkeiten, noch an Fußballspiele war die nächsten sieben Tage zu denken. Einen geplanten Trip ins Ruhrgebiet am Folgewochenende musste ich mir ebenfalls abschminken. Doch am Sonntag den 29.Oktober hatte ich nach acht Tagen die Atemwege wenigstens wieder ähnlich frei wie die Gedanken. Durch die Zeitumstellung war ich außerdem bereits besonders früh woke und bereit mich endlich gegen diese virale und bakterielle Cancel Culture zur Wehr zu setzen. Wenigstens für einen Kurztrip mit dem Deutschlandticket nach Nordthüringen fühlte ich mich wieder fit genug.

Willkommen in der Doppelkornstadt

Um 11:15 Uhr erreichte ich die bereits im Jahre 927 erstmals urkundlich erwähnte Stadt. Knapp drei Stunden später sollte hier das Derby zwischen dem FSV Wacker 90 Nordhausen und dem BSV Eintracht Sondershausen angepfiffen werden. Entsprechend hatte ich noch genug Zeit für etwas Sightseeing und schlenderte sogleich vom Bahnhof hinauf zum Marktplatz. Auf halber Strecke passierte ich dabei die Brennerei Nordbrand, deren Premiumprodukt Nordhäuser Doppelkorn wahrscheinlich das berühmteste Kind dieser Stadt ist. Selbstbewusst hat man vor gut 20 Jahren die zwei Schlote der altehrwürdigen Spirituosenfabrik in überdimensionierte Schnapsflaschen verwandelt und dominiert nun zusammen mit den Türmen der mittelalterlichen Kirchen die Silhouette der 42.000-Einwohner-Stadt.

Der Dom zum Heiligen Kreuz

Bei besagten Kirchen stellte der Dom zum Heiligen Kreuz einen Pflichtbesuch für mich dar. Diese Kirche hat ihren Ursprung in der Errichtung eines Damenstiftes durch die ostfränkische Königswitwe Mathilde im Jahre 961. Vom ersten Bau ist nichts mehr vorhanden, aber vom romanischen Neubau im 12.Jahrhundert existieren Überreste des Kreuzgangs, die unteren Teile der Türme und die Krypta. Nachdem das Damenstift 1220 in ein Chorherrenstift umgewandelt wurde, erfolgte schließlich ein großer Umbau im Stile der Gotik, der im Wesentlichen bis heute erhalten wurde. Bischofssitz war diese Kirche zwar nie, aber der Name Dom war im Mittelalter auch für bedeutende Kloster- und Stiftskirchen üblich, denen ähnlich wie in einer Diözese noch diverse Pfarrgemeinden unterstanden (Vgl. Quedlinburg 10/2020).

Das Kreuzreliquiar in der Krypta des Nordhäuser Doms

Sein Patrozinium hat dieser Dom übrigens einer Schenkung von Kaiser Otto III. (HRR) um das Jahr 1000 herum zu verdanken. Der Urenkel von Mathilde überließ dem Damenstift damals eine Kreuzreliquie, welche wiederum in ein Goldkreuz mit Edelsteinen eingearbeitet wurde. Das Stückchen Holz von dem vermeintlichen Kreuz, an jenem Jesus Christus 1.000 Jahre zuvor den Grundstein für seine posthume Weltkarriere gelegt haben soll, sorgte in der Folgezeit für ordentlich Wallfahrtstourismus nach Nordhausen. Leider musste das nach Reformation und Dreißigjährigen Krieg (1618 – 1648) verarmte Stift sein Kreuzreliquiar 1675 nach Duderstadt verkaufen (wo das Nordhäuser Kreuz bis heute Teil des Kirchenschatzes der Basilika und Propsteikirche St. Cyriakus ist). Aber Nordhausen erhielt 1927 anlässlich des tausendjährigen Stadtjubiläums vom Apostolischen Nuntius immerhin eine neue und ebenfalls sehr schicke Kreuzreliquie.

Das Pfarrhaus und die Doppeltürme von St. Blasii

Anschließend stattete ich auch der protestantischen Hauptkirche Nordhausens einen Besuch ab. Die Stadtpfarrkirche St. Blasii wurde zwischen 1487 und 1490 als spätgotische Hallenkirche erbaut und ihr größter Blickfang sind natürlich ihre markanten Doppeltürme. Dabei wirken die Türme nicht nur durch ihre unterschiedlichen Turmhelme etwas kurios. Vor allem hat der Südturm mit der Zeit eine starke Neigung bekommen. Der Untergrund aus Gipskarst war / ist mit der Last etwas überfordert. Zuletzt musste das Bauwerk 2004 stabilisiert werden, während der Innenraum zehn Jahre später renoviert wurde und ebenfalls einen Blick wert ist.

Das Alte Rathaus

Auch ein paar schöne Profanbauwerke, wie das zwischen 1608 und 1610 im Renaissancestil erbaute Alte Rathaus mitsamt hölzernen Roland, hat Nordhausens Altstadt zu bieten. Aber die Lücken, die der Zweite Weltkrieg ins einst geschlossene mittelalterliche Stadtbild gerissen hat, sind unübersehbar. Nur eine Woche bevor die US Army in Nordhausen einmarschierte und dabei auch das hiesige Konzentrationslager Mittelbau-Dora befreite, fanden am 3. und 4.April 1945 zwei massive Luftangriffe der britischen Royal Air Force statt. Ca. 75 % der Bausubstanz und über 8.000 Menschenleben fielen den Bomben zum Opfer. Nach 1945 musste schnell wieder neuer Wohnraum hochgezogen werden, aber wenigstens einige Straßenzüge konnten im historischen Zustand erhalten werden und erfuhren in den letzten drei Jahrzehnten großflächige Sanierungen.

Der Nordhäuser Roland, der an Nordhausens Reichsfreiheit von 1220 bis 1802 erinnert

Gegen 12:45 Uhr hatte ich vorerst genug touristische Eindrücke gesammelt und kehrte zum Mittagessen in die Gaststätte Alt Nordhausen ein. Rustikales Ambiente und bodenständige Küche könnte man hier wohl als Schlagwörter in den Raum werfen. Ich entschied mich für ein großes Schwarzbier (4,50 €) und die Rinderroulade (18,90 €), die genau wie die begleitenden Klöße und die Sauce ganz hervorragend war. Lediglich der Apfelrotkohl hatte mir zu viel Zucker abbekommen. Das war für meinen Geschmack einen Tick über der angemessenen Süße.

Alte Bausubstanz in der Domstraße

Von der Gaststätte stand mir anschließend noch ein zwanzigminütiger Spaziergang zum Albert-Kuntz-Sportpark bevor. 13:45 Uhr kam der Stadioneingang in Sicht und trotz zu erwarteter vierstelliger Zuschauerzahl hielt sich der Andrang an den Kassenhäuschen zum Glück in Grenzen. Die meisten der über 1.300 zahlenden Zuschauern waren zu meiner Ankunftszeit bereits drin und meine zwischenzeitlichen Bedenken, dass der wahre Preis des Mittagessens ein verpasster Anstoß sein würde, lösten sich sofort auf. Nur fünf Minuten Anstehen und ich war auf der ersehnten anderen Seite des Stadiontores.

Ein richtig schönes Sonntagsessen

Ebenfalls bereits drin war der in hannoverschen Hoppingkreisen bestens bekannte Halter des Fahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen HOL-** **. Ich hatte seinen PKW bereits auf dem Stadionparkplatz erspäht und betrat den Sportpark nun mit der Gewissheit, dass für meine Beschallung nicht nur die beiden Fanszenen zuständig sein werden. Ich wurde auf der Gegengerade prompt freundlich begrüßt und wies nun ebenso freundlich darauf hin, dass bei mir gerade erst eine Virusinfektion abgeklungen ist und ich im schlimmsten Fall vielleicht doch noch ansteckend bin. Aber störte mein Gegenüber nicht und wirkliches Risiko von zu vielen infektiösen Aerosolen hätte wahrscheinlich nur bestanden, wenn ich derjenige mit der Polyphrasie gewesen wäre.

Das Intro der Nordhäuser Ultras

Ebenfalls nicht wortkarg sollten sich die Fanlager in den kommenden 90 Minuten zeigen. Nordhausen und Sondershausen trennen nur 18,96 km und seit Jahrzehnten pflegt man die regionale Rivalität auch auf dem Rasen. Bereits zu DDR-Zeiten gab es denkwürdige Derbys, als sich die Vorgängervereine BSG Motor Nordhausen und BSG Glückauf Sondershausen in der zweithöchsten Spielklasse vor tausenden Zuschauern gegenüber standen. Auch nach der Wende konkurrierte man weiter um die Vorherrschaft in Nordthüringen und manches Duell war nicht nur auf dem Platz hart umkämpft. Zwischenzeitlich schienen Nordhäuser zwar sportlich enteilt, doch man verhob sich am Südharz in den 2010er Jahren finanziell. Damals hatte sich der FSV Wacker 90 in der Regionalliga etabliert und kratzte zwischenzeitlich gar an der Pforte der 3.Liga. In der Saison 2019/20 kam es jedoch erst zur Insolvenz und schließlich zum Abstieg in die Oberliga. Diese verließ man diesen Sommer in die sechstklassige Thüringenliga, in jener der BSV Eintracht bereits seit ein paar Spielzeiten zuhause ist.

Der Gästeblock zu Spielbeginn

Begrüßt wurde der Oberligaabsteiger zu Spielbeginn von seinen Fans mit der auf ca. 30 Metern Stoff gepinselten Losung „Wacker 90 mein Verein, du sollst heute Sieger sein“ und mächtig viel blauem Rauch. Die etwa 120 Fans im Gästeblock hatten dagegen lediglich ein paar Schwenkfahnen in ihren Vereinsfarben dabei und die Parole „Egal was kommt – Eintracht!“ am Zaun befestigt. Unterstützt wurden die Sondershäuser heute übrigens von einigen Fanfreunden aus Gera (BSG Wismut Gera), während die Nordhäuser etliche Mitglieder der befreundeten Badkurve Plauen (VFC Plauen) in ihrem Sektor begrüßen durften.

Die so genannte Rolandstadtkurve

Man ist aus Sondershausen zwar leider als Tabellenletzter angereist, hatte jedoch überraschenderweise als Erster etwas zu bejubeln. Es waren nicht einmal zwei Minuten gespielt, als ein gewisser Marcel Börold den BSV Eintracht im Feindesland in Führung schoss. Nach diesem Schockmoment musste sich die Wacker-Elf erstmal neu sortieren und versuchte fortan über die Zweikämpfe ins Spiel zu finden. Die dabei gebotene Aggressivität wurde einerseits schon im ersten Durchgang mit vier Gelben Karten geahndet, schien andererseits aber auch Eindruck beim Gegner zu machen.

Hin und wieder brannte auch mal eine Fackel

Ausgerechnet der besonders bissig wirkende Felix Schwerdt (Wacker-Urgestein) erzielte in der 44.Minute den mittlerweile verdienten Ausgleich und ließ sich gebührend vom Heimanhang feiern. Freudenfeuer inklusive. Damit sich alle FSV-Fans in der Halbzeitpause halbwegs beruhigt Bier und Bratwurst holen konnten, sorgte Nordhausens Hendrik Kuhnhold in der Nachspielzeit des ersten Durchgangs außerdem noch für den Führungstreffer. Siegesgewiss wurde die Heimmannschaft anschließend in die Kabine verabschiedet.

Stadionwurst in Thüringen enttäuscht selten, so auch in Nordhausen

Nach dem Seitenwechsel wurde die 2.Halbzeit mit einer sehenswerten Aktion der Ultras Nordhausen unter dem Motto „Scheiss SDH“ eingeläutet (siehe Titelbild) und wenig später sorgte u. a. das Abbrennen von Eintracht-Fanartikeln in der Heimkurve für eine weiterhin hitzige Atmosphäre. Ich bin sicher, insgeheim malte sich der ein oder andere Wacker-Fan aus, dass der abgeschlagene Tabellenletzte (erst 5 Punkte in 9 Spielen) noch standesgemäß abgeschossen und somit auch sportlich gedemütigt wird. Aber den Gefallen tat die Mannschaft aus der Kalistadt dem Rivalen nicht. Torgefahr ging zwar kaum vom Ballsportverein aus. Doch solange es nur 2:1 stand, lebte im blau-gelben Lager die Hoffnung auf einen schmeichelhaften Punktgewinn weiter.

Blau-gelbe Textilien werden verbrannt

Aber die Uhr lief gegen den BSV Eintracht und nach nochmals 45 Minuten intensiven Derbyminuten bekam der FSV Wacker obendrein einen Strafstoß zugesprochen. In der 1.Minute der Nachspielzeit machte Publikumsliebling Felix Schwerdt nun wirklich den Deckel drauf und wenig später durfte sich die siegreiche Elf in der Rolandstadtkurve von den Ultras Nordhausen und Co feiern lassen. Der Derbysieg ist zugleich der sechste Saisonsieg der Nordhäuser und sorgt dafür, dass die Spitzengruppe der Thüringenliga dem gegenwärtig Tabellensechsten nicht gänzlich enteilt. Teile des BSV-Anhangs malträtierten dagegen nochmal den Zaun, ehe sie fluchend und gestenreich das Stadion verließen. Schon nach einem Drittel der Saison scheint für den Klassenerhalt ein echter Kraftakt erforderlich zu sein.

Die Abneigung war keine Einbahnstraße

Nach Abpfiff hatte ich üppig Zeit bis zu meiner Abreise und verbrachte jene mit dem redseligen Holzmindener vor’m Stadion. Der Mob aus Sondershausen machte hier etwas Terz, aber seitens Wacker war das richtige Klientel noch nicht auf der Straße. Wir vermuteten richtig, dass die eine Blocksperre erdulden mussten. Die Nordhäuser Szeneleute konnten erst hinaus, als die Gäste bereits von der Staatsmacht in ihre zwei Busse komplimentiert waren. Ob NDH nach Rängen und Rasen auch noch auf der Straße gegen SDH triumphiert hätte, bleibt daher ungeklärt. Oder vertagt. Denn das Rückspiel dürfte wohl ebenfalls hitzig werden. Zum Glück ist die Modernisierung des Stadions am Göldner in Sondershausen mittlerweile abgeschlossen, so dass es hoffentlich nicht wie in der Vorsaison zu einem geheimen Geisterspiel kommen muss (damals unterlag Sondershausen mit 1:4 in der 2.Runde des Thüringenpokals). Ich war nebenbei im November 2019 beim letzten Spiel im alten Göldner und wer etwas mehr über den BSV Eintracht und dessen Heimat aus meiner Feder lesen will, kann sich gerne den Bericht Sondershausen 11/2019 zu Gemüte führen.

Der Endstand

Kurz nach 17 Uhr fuhr ich schließlich von der nächstbesten Haltestelle mit der Tram zum Hauptbahnhof, wo mich um 17:39 Uhr eine Regionalbahn gen Niedersachsen als Fahrgast begrüßen durfte. War ein netter Tagesausflug, an dessen Ende ich nochmal beide Fanszenen loben möchte. Respekt, wenn in Kleinstädten selbst in wirklich unterklassigen Ligen noch etwas auf die Beine gestellt wird. Da auch in Nordhausen gerade am Stadion gebaut wird (neue Haupttribüne), hab ich vielleicht einen Grund in naher Zukunft nochmal wiederzukommen. Das Rückspiel in Sondershausen behalte ich ebenfalls im Auge. Vielleicht passt es ja.