Erfurt 10/2023

  • 01.10.2023
  • FC Rot-Weiß Erfurt – FC Carl Zeiss Jena 1:1
  • Regionalliga Nordost (IV)
  • Steigerwaldstadion (Att: 14.750)

Am 1.Oktober lockte mich das Derby zwischen Rot-Weiß Erfurt und Carl Zeiss Jena nach Thüringen. Dank Deutschlandticket sollte es ein preiswerter Trip werden, der im Anschluss an’s Sonntagsfrühstück um 10:34 Uhr seinen Anfang nahm. Nach Umstiegen in Nordstemmen und Göttingen erreichte ich um 13:46 Uhr die Landeshauptstadt Thüringens. Da der Anstoß des Thüringenderbys um 16 Uhr erfolgen sollte, war allerdings kein großartiges touristisches Programm drin. Ich konnte nur ein bisschen durch die stets sehenswerte Erfurter Altstadt flanieren und gedachte außerdem dort ein Mittagessen zu schmausen. Wer meine gewohnten Ausführungen zu den Sehenswürdigkeiten und der Stadtgeschichte tatsächlich vermisst, darf sich gerne den Bericht Erfurt 12/2022 (noch)mal zu Gemüte führen.

Mein Mittagessen im Pier 37

Nach rund 45 Minuten Spaziergang ließ ich mich schließlich am Ufer der Gera auf der Terrasse des Restaurants Pier 37 nieder. Erst einmal orderte ich eine große Apfelschorle (4,70 €) und dann entschied ich mich für die Ochsenbäckchen an Rotweinsauce mit glasiertem Karotten-Pastinaken-Gemüse und Thüringer Klößen (26,60 €). Sollte ich nicht bereuen, denn alles auf dem Teller entpuppte sich als hervorragend zubereiteter Genuss. Was meine flüchtigen Blicke auf den Nachbartischen erspähten, sah ebenfalls gut aus. Dieses Restaurant kommt daher für definitiv für einen Zweitbesuch in Betracht.

Um 15:15 Uhr brach ich dann zum Steigerwaldstadion auf und sollte die 1931 eröffnete und zwischen 2015 und 2017 umfangreich modernisierte Heimstätte des FC Rot-Weiß Erfurt knapp 25 Minuten später erreichen. Da der Großteil der heute anwesenden 14.750 Zuschauer (darunter ca. 2.000 Gästefans) bereits im Stadion war, gab es am Eingang nicht mal eine richtige Schlange. Also war ich umgehend drin und schaute ich mir interessiert an, wie die Kurven in den kommenden 15 Minuten ihre Choreographien vorbereiteten.

Es kann nur einen geben…

Bereits während dieser Phase gab es einen Gruß der Ultras aus Jena zu den heute räumlich und auch ansonsten rechts von ihnen stehenden Hooligans des FC Rot-Weiß. „Blut + Ehre“ stand auf einen Fetzen geschrieben und war mit einem Pfeil in Richtung Kategorie EF & Co versehen worden (könnte was damit zu tun haben, dass gewisse Erfurter Hooligans was mit Blood & Honour zu tun haben sollen). Doch bald wich diese Botschaft dem großen Banner der Choreographie. „ES KANN NUR EINEN GEBEN“ war zu lesen und weckte natürlich sofort Assoziationen mit einem Fantasy-Actionfilm der 1980er Jahre. Tatsächlich tauchte pünktlich zu Spielbeginn ein riesiger schottischer Krieger mit Kilt und Schwert auf, um den herum es knallte, rauchte und leuchtete.

Geschmiedet aus Blut und Schweiß

Auf der Heimseite war das Intro unterdessen nicht minder eindrucksvoll. Bereits lange vor Anpfiff hatte alle Erfurter in der Kurve Leibchen in den Vereinsfarben über die Oberbekleidung gezogen. Kurz vor Spielbeginn wurde vor dieser rot-weißen Wand das Bildnis eines Schmieds hochgezogen. Er schlug mit seinem Hammer auf einen blutigen Amboss und auf seiner Latzschürze war das Kürzel der Erfordia Ultras (EFU) zu lesen. Vor dem Block stand ferner „GESCHMIEDET AUS BLUT UND SCHWEIẞ“ geschrieben. Nachdem der Schmied wieder verschwunden war, wurde ein großes RWE-Wappen hochgezogen. Diese Insigne des 1966 gegründeten FC Rot-Weiß sollte offenbar das Ergebnis des zuvor angedeuteten Schmiedeprozesses darstellen und wurde stilisiert von zwei übergroßen Händen in die Höhe gereckt. Dieser zweite Akt der Choreographie wurde mit „DIE REPUBLIK STEHT ZU ROT-WEISS“ untertitelt und mit etlichen goldenen Sprühfontänen garniert (siehe Titelbild).

Die Republik steht zu Rot-Weiß

Beide Kurven hatten für ihre Bildgewalt definitiv Höchstnoten verdient. Allerdings muss ich mir bei den Erfurtern doch eine kleine Stilkritik erlauben. Wenn ihr bei Versalschrift aus Rot-Weiß wie eh und je ROT-WEISS macht, dann lasst Schweiß doch bitte auch zu SCHWEISS werden. Zwar hat der Rechtschreibrat das ẞ als Versalform des ß vor sechs Jahren in das Amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung aufgenommen (hauptsächlich zur Ermöglichung einer korrekten Versalschreibweise von Eigennamen in Pässen und Ausweisen), aber eine einheitliche Anwendung der möglichen Schreibweisen wäre ästhetisch durchaus wünschenswert.

Die Zeisser in Aktion

Aber genug der Pedanterie, denn ansonsten ließ das heutige Derby auch bei mir wenige Wünsche offen. Durch die notwendigen Pufferblöcke konnte RWE heute mit 14.750 zahlenden Zuschauern ein prinzipiell ausverkauftes Haus vermelden. Dazu die tollen Kurvenshows zu Spielbeginn und fortan 90 Minuten lang ansprechender Tifo der beiden Fanszenen. Selbst die 22 Kicker auf dem Rasen leisteten einen guten Beitrag zum Gesamterlebnis. Zwar wie zu erwarten keine hohe Fußballkunst, aber die Leidenschaft stimmte und es blieb spannend bis zum Schluss.

Die Jenenser blickten heute auch ein paar tausend Kilometer über den Tellerrand

Einen Sieg hätten beide Teams heute unabhängig vom Prestige gut gebrauchen können. Die Rot-Weißen, die in der Vorsaison um die Meisterschaft mitgespielt hatten, waren stark in die neue Spielzeit gestartet, verzeichneten zuletzt aber Punkte gegen Meuselwitz und Eilenburg liegen (aktuell Dritter mit 15 Punkten). Bleibt man im Derby sieglos, gerät der Anschluss an die Tabellenspitze in Gefahr. Der FCC ist dagegen nach einem klassischen Fehlstart vorerst im Tabellenkeller einsortiert. Würden aus den bisherigen sechs Punkten heute immerhin neun Punkte werden, könnten die Fans sicher wieder etwas ruhiger schlafen.

Schalparade im mit Unterstützung aus München und Lausanne versehenen Gästesektor

Die von ihrem Trainer Fabian Gerber auf’s Feld geschickte RWE-Elf nahm zunächst die Favoritenrolle an und kombinierte sich in der Anfangsphase ein paar Mal zum FCC-Strafraum. Dort war die Abwehrreihe jedoch stets auf Zack und sorgte zugleich für Kontermöglichkeiten. Bei einer davon konnte Gipson seinen Erfurter Gegenspielern bis zur Grundlinie enteilen und fand nun den im Strafraum frei stehenden Mitspieler Joel Richter. Der durfte nach sicherem Zuspiel in der 18.Minute unbedrängt aus kurzer Distanz für das 0:1 sorgen. Die Mannschaft rannte sogleich geschlossen in die Kurve und wurde mit offenen Armen und vereinzelten Freudenfeuern empfangen.

Der FCC scheint nur noch die Nr. 2 zu sein

Der FC Rot-Weiß fand vorerst keine passende Antwort und beide Teams fielen fortan vor allem durch harte Zweikämpfe, Rudelbildung und weitere Hitzigkeiten auf. Diese Aufreger hielten in jener sportlich mauen Phase immerhin das Publikum bei der Stange, bis kurz vor dem Pausenpfiff endlich nochmal Torchancen zu sehen waren. Erst verpasste Richter für den FCC das 0:2 (45.Minute), im Gegenzug hatte Seaton das 1:1 auf dem Fuß, schoss jedoch knapp am Gehäuse der Blau-Gelb-Weißen vorbei. In den letzten Wirbel des ersten Durchgangs war abermals Joel Richter involviert. Er ging bei einem Zweikampf in der Nachspielzeit im Erfurter Strafraum zu Boden, aber der Unparteiische Philipp Vierock hatte kein Foulspiel erkennen wollen.

Die 31 – entlehnt vom §31 BtMG – steht im Szenejargon für einen Verräter

Auf den Rängen klang die 1.Halbzeit ebenfalls berichtenswert aus. Offensichtlich auf die jüngsten Wohnungsdurchsuchungen* unter der Woche gemünzt, hatten die Erfurter das Spruchband „Bullenschweine – Feinde Nr.1!“ in ihrem Sektor präsentiert. Die Gäste schmähten sogleich ebenfalls die Polizei mit Sprechchören, hatten dann aber noch Vorwürfe gegenüber der Erfurter Fanszene im Gepäck. Auf einer ausgerollten Tapete war „Yo St31gERwaldkurve: Wir waren schon Herrscher in diesem Lande, als von euch noch keiner zu den Bullen rannte!“ zu lesen, während am Zaun ein Banner darstellte, wie sich ein Erfurter bei einem Polizisten ausheult und ein weiterer Uniformierter einen maskierten Jenenser verfolgt. Dazu der Spruch: „Das Thüringer Land in rot-weisser Hand? Nicht mal die eigene Kurve im Griff!“.

Kleine Pyroshow um die 55.Minute herum

Nach dem Seitenwechsel blieb das Spiel zunächst zäh und nicklig. Allerdings zündete die Heimkurve in der 55.Minute einige Fackeln und parallel hatte Til Linus Schwarz die bisher beste Chance zum Ausgleich. Nur der Pfosten rettete die Zeisser bei dessen Torschuss von der Strafraumgrenze. In der 81.Minute sollte es der gebürtige Erfurter aber besser machen. Per Kopf sorgte Schwarz nach einem Freistoß für den ersehnten Ausgleich. Jetzt war das Steigerwaldstadion natürlich nochmal richtig in Wallung und der FC Rot-Weiß drängte davon getragen auf ein zweites Tor. Doch gegen Elvas Schuss half nochmal das Aluminium (85.) und bei Seatons Kopfball aus kurzer Distanz war Jenas Schlussmann Kunz auf dem Posten (87.).

Freude über den späten Ausgleich

Als die Stadionuhr bereits bei 90 Minuten gestoppt war, holte sich obendrein Jenas Grimm eine Rote Karte bei einem überharten Einsteigen ab. Doch ein, zwei Minuten Überzahl in der Nachspielzeit gereichten RWE nicht mehr zum Vorteil. Um 17:55 Uhr beendete Vierock schließlich das Prestigeduell ohne einen Sieger. Ein Ausgang, der beiden Teams zwar tabellarisch wenig hilft, aber dennoch einen Gang in die jeweilige Kurve erlaubte. Der FCC hat nach dem miesen Saisonstart wenigstens das Derby nicht verloren und die Erfurter haben sich nach dem Rückstand ordentlich zurück ins Spiel gekämpft. Das gehörte ebenfalls goutiert.

Der FCC-Anhang wirkte nach Abpfiff relativ zufrieden

Wenn das Thüringenderby schon ohne Sieger endet, wollte ich wenigstens noch zu einem Gewinner werden. Ich nahm nach Abpfiff ein gnadenloses Rennen mit der Uhr auf und schaffte tatsächlich noch den RE nach Göttingen um 18:09 Uhr. Nun würde ich voraussichtlich 21:25 Uhr, ergo eine früher Stunde als gedacht, zurück in Hildesheim sein. Doch in meiner Siegerstimmung checkte ich sogleich die Kosten einer spontanen ICE-Fahrt von Göttingen nach Hildesheim und die DB verlangte tatsächlich nur 7,40 € für Kurzentschlossene mit BC25. Das war mir weitere 45 Minuten Zeitersparnis wert und auf den Metronom verzichtete ich ebenfalls gern. So war ich letztlich um 20:40 Uhr in Hildesheim und hatte mir eine unerwartet lange Nachtruhe erlaufen und erkauft.

Song of the Tour: Was man so vor dem Spiel akustisch aufschnappt

*Am 26.September 2023 wurden von der Polizei zwölf Wohnungen in Jena, Erfurt, Weimar, Arnstadt, Eisenach und Naumburg durchsucht und dabei digitale Speichermedien und andere potentielle Beweismittel sichergestellt. Grundlage sind laufende Verfahren wegen Landfriedensbruch, nachdem es am Vorabend des letzten Thüringenderbys (3. März 2023) in Bad Berka zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen den verfeindeten Fangruppen gekommen war.