Linz 08/2023

  • 24.08.2023
  • Linzer Athletik-Sport-Klub – HŠK Zrinjski Mostar 2:1
  • UEFA Europa Conference League (Play-off)
  • Stadion auf der Gugl (Att: 8.300)

Am Mittwoch sollte es nach dem Frühstück von Ulm weiter nach Wien gehen. Jedenfalls hatte ich mir – wie im vorigen Bericht erläutert – ein Zugticket bis Wien gebucht. Denn eigentlich hätte ich Donnerstag am liebsten das Duell von Rapid gegen Fiorentina besucht. Doch bei dieser Partie wurde ein Gästeverbot ausgesprochen. So bekam die B-Lösung LASK vs. Zrinjski den Zuschlag und praktischerweise sollte mein Zug auf dem Weg nach Wien eh in Linz haltmachen.

Hotelfrühstück in Ulm

Ich überlegte sogar noch ganz spontan einen Spielbesuch bei Spartak Trnava gegen Dnipro am heutigen Abend einzuschieben, aber nur vier Minuten Umstiegszeit in Bratislava waren mir zu heikel. Da ging’s doch lieber nur bis Linz, wo ich nun gegen 14:30 Uhr aufschlug. In der Kapitale von Oberösterreich (ca. 210.000 Einwohner) hatte ich mich kurzfristig für zwei Nächte à 73 € ins Hotel Donauwelle (****) einquartiert. War pro Nacht rund 25 € günstiger als vergleichbare Hotels in der Innenstadt, allerdings auch drei Kilometer von jener entfernt.

Das neue Donauparkstadion

Vom Hauptbahnhof durfte ich gar vier Kilometer bei 32° C marschieren. Aber irgendwie muss das tägliche Bewegungsziel nun mal erreicht werden und immerhin ging es die letzten 2,5 km an der Donau entlang. Außerdem wurde das neue Donauparkstadion vom FC Blau-Weiß Linz passiert. Die Arbeiten sind noch nicht vollends abgeschlossen, aber der frischgebackene Bundesligaaufsteiger und Lokalrivale vom LASK kann seit diesem Sommer darin kicken.

Ein Sommerabend an der Donau

Mit meinem 1995 eröffneten und zuletzt 2017 modernisierten Hotel im Schatten der VÖEST-Brücke war ich trotz der Randlage prinzipiell zufrieden. Eine Flasche Wasser hätte ich allerdings schon auf dem Zimmer erwartet. Erst recht bei den heutigen Temperaturen. So oblag es einzig der Dusche mich zu revitalisieren und danach wagte ich mich wieder unter Menschen. Ich besorgte mir das ersehnte Wasser an einer nahen Tankstelle und genoss anschließend die Abendsonne am belebten Donauufer. Erst der Hunger trieb mich bei Sonnenuntergang wieder ins Stadtzentrum und ich hielt dort Ausschau nach einem netten Lokal.

Der Alte Dom am Linzer Hauptplatz

Das Wirtshaus Keintzel bot mir ein lauschiges Plätzchen im Arkadenhof des Alten Rathauses. Nach einem erfrischenden Gösser Naturradler vom Fass (0,5 l für 4,40 €) kam alsbald ein knuspriges wie köstliches Schnitzel Wiener Art mit Petersilienkartoffeln und gemischtem Blattsalat an den Tisch (16,90 €). Bei einem zweiten Radler recherchierte ich sodann die Geschichte des Rathauses. Es wurde im frühen 16.Jahrhundert nach dem großen Stadtbrand von 1509 neu errichtet und in den 1650er Jahren im Stile des Barocks umgebaut und erweitert. 1938 wird es jedoch unappetitlich in der Chronik. Denn am 12. März 1938 – jenem Tag, an dem die Wehrmacht widerstandslos in Österreich einmarschiert war – trat Adolf Hitler abends auf den Linzer Rathausbalkon vor eine jubelnde Menge. Ihr kündigte er ergriffen den Anschluss des Bundesstaates Österreich an das nationalsozialistische Deutsche Reich an.

Schnitzel Wiener Art

Hitler war bekanntlich nicht nur oberscheiße, sondern auch Oberösterreicher. Er ging in Linz zur Schule und blieb der Stadt zeitlebens sehr verbunden. Aber dazu später zwangsläufig etwas mehr. Ich kam bei meinem dritten Donauspaziergang nach dem Essen erstmal wieder auf andere Gedanken und nachdem an der bereits erwähnten Tankstelle noch diverse Kaltgetränke erworben waren, versank mein beleibter Leib gegen 23 Uhr ins Hotelbett.

Der Arkadenhof des Alten Rathauses

Am Donnerstag schlief ich einfach mal aus. Erst nach 9 Uhr gingen die Äuglein auf und Frühstück für 18 € pro Übernachtung hatte ich mir sowieso nicht dazu gebucht. Ich wollte lieber zum Leberkas Pepi und machte mich gegen 10 Uhr auf den Weg zur zentralsten Niederlassung dieser Linzer Institution. Für zusammen 5,40 € gönnte ich mir eine Semmel mit Pizzaleberkas und eine mit Chilileberkas. Insgesamt gab es glaube elf verschiedene Sorten und ich beschloss spätestens am nächsten Morgen noch zwei weitere zu testen.

Frühstück bei Pepi

Nun war es an der Zeit sich näher mit den Sehenswürdigkeiten und der Stadtgeschichte von Linz zu beschäftigen. Die alte Redensart In Linz beginnt’s ging mir dabei nicht aus dem Kopf. Sehr eingängig! Aber was genau beginnt hier oder hat hier begonnen? Am besten mal als erstes zum Beginn der Stadtgeschichte schauen. Dass sich hier im fruchtbaren Linzer Becken schon lange Menschen angesiedelt haben, war keine Überraschung. In Linz beginnt’s mit dem Homo sapiens also bereits in der Steinzeit. Wo die Donau einen großen Bogen macht, fanden’s auch die Kelten prima und deren Vokabel lentos, was so viel wie biegsam oder gekrümmt bedeutet, ist angeblich Schuld am Stadtnamen.

Ausblick vom Schlossberg

Die Römer machten daraus Lentia. Aber weil das im Mittelalter offenbar keiner mehr wusste, dachte sich irgendwer eine schöne Sage aus. Tassilo III., seines Zeichens der letzte bairische Herzog aus dem Geschlecht der Agilolfinger, soll die Stadt 784 lange vergeblich belagert haben. Eines Nachts träumte er der Sage nach, dass er auf der Jagd war. Erbittert setzte er einem Luchs nach, aber es gelang ihm einfach nicht die Raubkatze zu erlegen. Am nächsten Morgen deutete er das Geschehen des Traumes als Wink von oben. Im Luchs sah er eine Metapher für die belagerte Stadt und wollte von nun an seine Kräfte nicht mehr an ihr aufreiben. Beim Abzug rief er „Hinfüro sollst du Aurelium Lynx heißen!“ (Lynx = lat. Luchs).

Der Linzer Hauptplatz

Eine tatsächliche erste urkundliche Erwähnung von Linz als locus Linze datiert schließlich aus dem Jahr 799. Gut 100 Jahre danach wurde Linz als königlicher Marktort in der Zollordnung von Raffelstetten bezeugt und seinerzeit beginnt’s in Linz wohl auch mit dem Bau einer mittelalterlichen Höhenburg am Osthang des heutigen Schlossbergs. Im frühen 13.Jahrhundert fiel Linz dann an die Babenberger, die östlich von Burg und altem Markt den Linzer Hauptplatz anlegen. Bis heute Herz und Mittelpunkt der Stadt (siehe auch Titelbild). Fortan entwickelte sich Linz zu einer richtigen mittelalterlichen Stadt und wurde 1236 auch erstmals als solche in einer Urkunde bezeichnet.

Unterwegs in der Linzer Altstadt am Fuße des Schlossbergs

Im 15.Jahrhundert kam das mittlerweile habsburgische Linz endlich weltpolitisch zur Geltung. Kaiser Friedrich III. (HRR) ließ die Burg ab 1477 zu einem herrschaftlichen Schloss umbauen und zwölf Jahre später war er gezwungen dort zu residieren, da der ungarische König Hunyadi Mátyás (Matthias Corvinus) Wien und Wiener Neustadt besetzt hatte. 1493 starb Friedrich III. in Linz und sein Sohn und Thronfolger Maximilian I. (HRR) hatte die Ungarn bereits wieder aus dem habsburgischen Erblande vertrieben. Entsprechend war’s schnell vorbei mit der kaiserlichen Herrlichkeit in Linz. Maximilian meinte es dennoch gut mit der Stadt. Er erlaubte ihr 1497 eine Brücke über die Donau zu bauen (die seinerzeit dritte Donaubrücke in Österreich nach Wien und Krems) und diese sollte für enormen wirtschaftlichen Aufschwung sorgen.

Die Linzer Pfarrgasse

Ferner blieb das Linzer Schloss bevorzugte Ausweichresidenz der Habsburger, wenn in Wien Seuchen ausgebrochen waren oder die Stadt mal wieder militärisch bedroht wurde (Stichwort: Türkenkriege). Nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs (1618 – 1648) bekam Linz schließlich sein bis heute im Stadtkern weitgehend erhaltenes barockes Antlitz. Wenig später beginnt’s in Linz obendrein mit der österreichischen Industrialisierung. Die 1672 gegründete Linzer Wollzeugfabrik schwang sich im 18.Jahrhundert zu einem Protobetrieb des Industriezeitalters auf. Auf dem Höhepunkt waren dort im Jahre 1791 knapp 50.000 Arbeiter beschäftigt. Allerdings basierte das Firmenkonzept noch größtenteils auf dezentraler Heimarbeit. So richtig nahm die Industrialisierung in Linz auch erst in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts an Fahrt auf, nachdem ein Eisenbahnanschluss und die Dampfschifffahrt auf der Donau neue Perspektiven eröffneten.

Arkadenhof des zwischen 1568 und 1658 errichteten Linzer Landhauses

In Linz beginnt’s 1832 durch die Pferdeeisenbahn nach Budweis gar mit der Eisenbahngeschichte im deutschsprachigen Raum. Mit dem buchstäblich bahnbrechenden Zeitalter der von Dampflokomotiven gezogenen Personen- und Güterzüge beginnt’s in Linz dagegen erst 1860. Über die Kaiserin Elisabeth-Bahn (Westbahn) war die Stadt von jetzt an mit Wien, Salzburg und Passau verbunden. Mit dem entsprechenden Personenbahnhof entstand seinerzeit auch eines der größten Profanbauwerke Österreichs. Dazu ging die katholische Kirche 1862 ein zweites großes Bauprojekt des 19.Jahrhunderts an. Die Diözese Linz war 1785 geschaffen worden und fand zunächst in der barocken Jesuitenkirche von 1678 eine erste Bischofskirche (Alter Dom). Um dem rasanten Wachstum an Bevölkerung und somit auch an Kirchengängern Rechnung zu tragen, wurde eine neogotische Kathedrale für bis zu 20.000 Gläubige realisiert. 1924 erfolgte die Weihe, 1935 war der Mariä-Empfängnis-Dom (Neuer Dom) endgültig vollendet.

1935 wird der bereits 1924 geweihte Neue Dom endgültig fertiggestellt

Der Neue Dom wurde in politischen bewegten Zeiten fertiggestellt und wir kommen wir in der Stadtgeschichte des 20.Jahrhunderts leider nicht an Adolf Hitler vorbei. Hitler ging ab 1900 in Linz zur Realschule und tatsächlich beginnt’s hier nicht nur mit seiner Leidenschaft für Wagner und Bruckner, sondern auch mit seiner ideologischen Prägung. Linz war um die Jahrhundertwende eine Hochburg deutschnationaler Strömungen und Hitler fühlte sich bald den Alldeutschen zugehörig. Deren Galionsfigur Georg von Schönerer gilt dabei als sein erstes politisches Idol. Die alldeutsche Bewegung war völkisch, antiklerikal und antisemitisch. Sie träumte von einem Großdeutschen Reich, in jenem auch die deutschsprachigen Teile des Habsburgerreichs aufgehen sollten. Als Hitler schließlich als so genannter Führer der Deutschen im März 1938 nach Linz zurückkehrte, verwirklichte er mit dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich gewissermaßen eine ihm seit seinen Jugendtagen innewohnende Vision.

Der Hauptaltar des neogotischen Neuen Doms

Nach dem Anschluss übernahm Hitler die symbolische Patenschaft für Linz und unverzüglich begannen Planungen die Stadt seiner Jugend zu einer, bzw. der nationalsozialistischen Musterstadt umzugestalten. Dabei war es Hitlers Wille, dass Linz wirtschaftlich, politisch und kulturell zur neuen Metropole an der Donau aufsteigt. Monumentalbauwerke nach nationalsozialistischen Architekturvorstellungen sollten beiderseits der Donau auf mehreren Kilometern Länge entstehen. Es waren Hotels, Einkaufszentren, Universitäts- und Verwaltungsgebäude vorgesehen. Besonders herausstehen sollte eine gigantische Versammlungshalle mit einem Fassungsvermögen von 30.000 Besuchern und einem angeschlossenen 160 m hohen Glockenturm. Vor der Halle war wiederum ein Versammlungsplatz für über 100.000 Menschen geplant. Das Linzer Schloss sollte unterdessen Hitlers herrschaftlichem Altersruhesitz weichen, der so am Ende über allem thronen würde.

Blick auf’s Linzer Schloss

Besonders wichtig waren Hitler auch neue Museen und Kunsthallen. Der Diktator, der im Kunstgewerbe bekanntlich gern mehr als ein erfolgloser Postkartenmaler geworden wäre, veranlasste mit dem Sonderauftrag Linz das Zusammenraffen einer Sammlung von Weltrang. Für den legalen Erwerb von Kunstschätzen wurde ein enormes Budget zur Verfügung gestellt. Daneben sorgten die Enteignungen von jüdischen Kunstsammlern, sowie nach Kriegsausbruch auch Kunstraub in halb Europa, für ein rasches Anwachsen der Sammlung. Allerdings wurde das entsprechende Führermuseum nie gebaut und die Kunstschätze lagerten bis Kriegsende in einem Salzbergwerk. Von den hochtrabenden Plänen Hitlers konnten in Linz vor dem Untergang der Nazidiktatur lediglich ein paar neue Wohnsiedlungen, neue Industriegebiete mitsamt Hafenanlagen und die Nibelungenbrücke nebst ihren Brückenkopfgebäuden verwirklicht werden.

Die 1940 eröffnete Nibelungenbrücke

Noch im Frühjahr 1945 betrieb Hitler am mit in den Führerbunker genommenen Linzer Stadtmodell regelmäßig Realitätsflucht, ehe er sich bekanntermaßen am 30. April jenes Jahres eine tödliche Kugel in den Kopf jagte. Fünf Tage später rückten us-amerikanische Einheiten kampflos in Linz ein. In der Nachkriegszeit profitierte Linz nun vom industriellen Erbe der Nazizeit. Das 1938 mit dem sperrigen Namen Reichswerke Aktiengesellschaft für Erzbergbau und Eisenhütten „Hermann Göring“ Linz gegründete Stahlwerk firmierte ab 1946 als Vereinigte Österreichische Eisen- und Stahlwerke Aktiengesellschaft (VÖEST). Die VÖEST war Staatseigentum und revolutionierte 1952 mit dem Linz-Donawitz-Verfahren (LD-Verfahren) die weltweite Stahlproduktion. Jenes neue Verfahren sparte gegenüber der damals gängigen Stahlproduktion im Siemens-Martin-Ofen bis zu 50 % der Kosten ein.

Die zwischen 1969 und 1972 errichtete VÖEST-Brücke

Die Linzer Stahlindustrie schuf zehntausende Arbeitsplätze und war ein wichtiger Baustein des österreichischen Wirtschaftsaufschwungs in der Nachkriegszeit. Linz bekam seinerzeit den Beinamen Stahlstadt und wird diesen wohl auch nicht mehr los. Zwar hat sich die hiesige Wirtschaft seit den 1970er Jahren stark diversifiziert, aber noch heute beschäftigt allein die VÖEST, bzw. mittlerweile die voestalpine AG über 10.000 Mitarbeiter am Standort Linz. Die guten wirtschaftlichen Kennzahlen der Stahlstadt gingen jedoch mehrere Jahrzehnte mit Dreck, Gestank und katastrophaler Luftqualität einher. In Linz, da stinkt’s fand als neue Redensart weite Verbreitung. Zum Glück begann 1982 dank der Bürgerinitiative Linzer Luft ein Umdenken. Umweltschutz wurde ab Mitte der 1980er Jahre zu einem zentralen kommunalpolitischen Thema und man bewegte die Industrie zu umwelttechnischen Investitionen, die binnen weniger Jahre die Schadstoffbelastung deutlich reduzierten.

Kurt Cobain bzw. eigentlich David Spade an der Fassade der KAPU (in jenem Linzer Kulturzentrum spielten Nirvana 1989 ihr legendäres erstes Konzert in Österreich)

In den letzten drei Jahrzehnten positionierte sich Linz dann mehr und mehr als Kulturstadt. Das 1996 eröffnete Ars Electronica Center genießt Weltruf als Museum der digitalen Kunst und Medienkunst, während das 2003 eröffnete Lentos Kunstmuseum mit einer viel gerühmten Sammlung moderner und zeitgenössischer Kunst aufwarten kann. Seit 2009 macht außerdem die voestalpine Stahlwelt, ganz wie der Name erahnen lässt, die Welt des Stahls multimedial erlebbar. All diese jungen Museen sind in architektonisch ansprechenden Gebäudekomplexen untergebracht, die der Stadtsilhouette neue Landmarken verliehen haben. Alles drei gewiss einen Besuch wert. Doch ich entschied mich den Nachmittag einem weiteren kulturellen Leuchtturmprojekt der jüngeren Vergangenheit zu widmen, welches sehr gut die Symbiose aus Stahlstadt und Kulturstadt repräsentiert und zugleich Anknüpfungspunkte an die lokale Subkultur bot.

Leichte Kost in der Mittagshitze

Zuvor brauchte es nach dem ausufernden Sightseeing des Vormittags allerdings eine Pause und dafür hatte ich die Hofkneipe auserkoren. Diese lag für mich günstig und ist zugleich Nachbar der Tabakfabrik, welche wiederum zwischen 1929 und 1935 auf dem Gelände der erwähnten einstigen Linzer Wollzeugfabrik errichtet wurde. 2009 erwarb die Stadt den denkmalgeschützten Großkomplex und entwickelt ihn seitdem zu einem Zentrum der Kreativwirtschaft und der Digitalisierung. Auf u. a. die in der Tabakfabrik tätigen Kreativen abzielend, bietet die Hofkneipe werktags einen Mittagstisch an. Das Angebot kam mir auch entgegen und ich bestellte mir gegen 14 Uhr Schnitzel mit Reis und Preiselbeeren, nebst einem im Preis inkludierten Gemüsecremesüppchen vorweg (13,50 €). Konnte aber leider nicht mit dem Topschnitzel vom Vorabend mithalten, sondern war eher auf dem Niveau einer soliden Betriebskantine. Man kann halt nicht immer kulinarische Volltreffer landen.

Treffpunkt mit Flip an der Mural Harbor Gallery

Nach dem späten Mittagessen gönnte ich mir mal wieder ein Duschbad im Hotel und anschließend zog es mich zum von den Nazis ab 1938 angelegten Industriehafen an der Donau. Allerdings nicht, um die dunkelsten Kapitel der Stadtgeschichte nochmal zu vertiefen, sondern um Linz von seiner buntesten Seite kennenzulernen. Um 16 Uhr nahm mich dort Flip in Empfang. Jenes Urgestein der hiesigen Hip-Hop-Szene ist nicht nur seit mittlerweile 30 Jahren Produzent und MC bei der Formation Texta, sondern er engagiert auch sehr beim 2011 ins Leben gerufenen Kunstprojekt Mural Harbor Gallery. Damals gab die LINZ AG als Hafenbetreiber grünes Licht die Hallen, Silos und sonstigen Hafenanlagen mit Muralismo, Graffiti und Streetart zu adeln. Mittlerweile sind es rund 300 Bilder von Künstlern aus über 30 Ländern, die Linz einen festen Platz auf der Weltkarte der Sprühkunst verschafft haben.

Ein zur Ketchupflasche stilisiertes Streusalzsilo

Für Flip ist die Mural Harbor Gallery ein Herzensprojekt und er wusste zu allen Bildern und deren Schöpfern einiges zu erzählen. Einen besonderen persönlichen Bezug hat er dabei zu einem Wandbild des Künstlers Manuel Skirl. Das Kunstwerk erinnert an den 2018 verstorbenen Harald Huckey Renner. Huckey war wie Flip anno 1993 Gründungsmitglied von Texta und bei mir persönlich beginnt’s vier Jahre später durch deren Debütalbum Gediegen mit dem Interesse am deutschsprachigen Rap aus Österreich. Gediegen war die erste Scheibe aus der Alpenrepublik, die mir unterkam und das zweite Album Gegenüber avancierte 1999 bereits zu einem Pflichtkauf für mich.

Dieses Mural von Skirl erinnert an Huckey

Die fünf Jungs von Texta – neben Flip und Huckey in der Gründungsformation noch Laima, Skero und DJ Dan – leisteten obendrein eine Menge Pionierarbeit in Oberösterreich. Man stieß etliche lokale Projekte an, kollaborierte international und öffnete anderen Acts aus Linz die Türen. Viele davon wurden und werden auf dem 1998 von Texta gegründeten Plattenlabel Tontraeger Records produziert. Flip war übrigens gerade frisch aus der Bronx zurück nach Linz gekommen. Er hatte dort am 11. August Hip Hops 50. Geburtstag mitgefeiert und ich lauschte gern seinem kleinen Erlebnisbericht. Dass ihn diese Musik und Kultur nochmal loslässt, dürfte ausgeschlossen sein.

Eine Schlange von Nychos in seinem typischen „Translucent Style“

Flips Lieblingskultur begleitet mein Leben auch bereits über ein Vierteljahrhundert. Aber die Intensität ist natürlich bei mir eine ganz andere und parallel existiert genau so lange meine Faszination für Fankultur beim Fußball. Jener anderen Leidenschaft sollte der heutige Abend gewidmet werden. Deshalb verließ ich gegen 19 Uhr die Mural Harbor Gallery wieder und erfreulicherweise fuhr von hier Bus direkt durch zur 4,5 km entfernten Heimspielstätte des Linzer ASK. 96 Minuten vor Anpfiff stand ich nun vor dem 1952 eröffneten und zwischen Oktober ’21 und Februar ’23 grunderneuerten Stadion auf der Gugl (19.080 Plätze).

Tango auf Containern von Entes y Pesimo aus Peru

Bei diesem Spielbesuch muss ich leider mit der dazugehörigen Preispolitik des LASK anfangen. Im Fansektor hinter dem Tor verlangte der Club für Einzeltickets von seinen Anhängern 40 €. In Worten: Vierzig Euro! Eckblöcke oder der Familienblock hinter dem anderen Tor schlugen mit 50 € bis 60 € pro Ticket zu Buche. Auf den Längsseiten wurden gar zwischen 75 € am Rand und 110 € auf Höhe der Mittellinie aufgerufen. Wir reden dabei nicht von VIP-Tickets mit Gaumenfreuden usw., sondern der beste profane Sitzplatz auf der Gegengerade kostete tatsächlich unfassbare 110 €. Nicht im Halbfinale oder wenigstens in der Gruppenphase, sondern gegen Zrinjski Mostar in der Qualifikation…

Wenigstens die Leberkassemmel waren halbwegs bezahlbar (4,50 €)

Die Anhänger vom LASK nahmen diese ambitionierte Preisgestaltung natürlich auch nicht kritiklos hin. Die Initiative Schwarz-Weiss hatte sich mal die Preise der anderen Playoffs angeschaut und wenig überraschend festgestellt, dass ihr Club die Preise der Wettbewerber bei weitem übertraf. Durchschnittlich wurden anderswo 16 statt 40 € für die Fanblöcke aufgerufen. Auch mittig auf den Längsseiten wurden überall maximal 40 € verlangt, so dass der LASK hier minimum 70 € teurer als die Konkurrenz war. Insbesondere warfen die erbosten Linzer Fußballfreunde ein Augenmerk auf die anderen österreichischen Starter in der Europapokalqualifikation. Sturm wollte 29 € für ein Ticket im Fansektor, Rapid 26 € und die Austria gar nur 16 €. Alle weit von den 40 € beim LASK entfernt und auf den Längsseiten war das Delta natürlich noch größer.

Gut ausgelastet war heute nur der Fansektor

Wenn Fans und Medien das Thema aufgreifen, muss der LASK natürlich irgendwie Stellung beziehen. Da der Club so oder so in einer Gruppenphase landen wird (entweder Europa League oder Conference League), hat er Bundles für das Playoff und die drei Gruppenspiele angeboten. Auch wenn es sich um Blind Booking handelt, da der genaue Wettbewerb und die Gruppengegner noch unklar sind, hat man dafür beispielsweise im Fansektor 155 € und auf Höhe der Mittellinie 320 € verlangt. Die Käufer dieser Bundles wollte man jetzt nicht schlechter stellen als die Käufer von Einzeltickets, so der Club. Wenigstens die Gästefans wurden mit 25 € pro Vollzahlerticket nicht ganz so dreist ausgenommen. In Mostar bekommt man dafür zwar fast schon eine Saisonkarte, aber gemessen an österreichischen Maßstäben klingt das vertretbar.

Die Gäste aus der Herzegowina

Es waren nun auch gut 1.000 bosnische und sonstige Kroaten zusammengekommen, um den 1905 gegründeten, 1945 verbotenen und 1992 reaktivierten HŠK Zrinjski im Gästesektor zu unterstützen. Für so’n Hrvatski športski klub typisch, war in diesem Sektor natürlich das kroatische Schachbrettmuster vielfach zu erspähen. Oft auf der Fahne des 1993 während des Bosnienkrieges gebildeten Para-Staates Hrvatska Republika Herceg-Bosna (Kroatische Republik Herceg-Bosna). Die Identifikation mit dem Staat Bosnien-Herzegowina oder mit der kroatisch-bosnischen Föderation, tendiert dagegen weiterhin gen null. Vielleicht halbwegs erhellende geschichtlich-politische Hintergründe dazu, gäbe es bei Bedarf in meinem Reisebericht aus Mostar zu lesen (siehe Hercegovina 02/2022).

Ein bisschen Pyrotechnik im Heimsektor

Was die Gesamtzuschauerzahl anging, hielt sich der LASK leider bedeckt. Erste Zeitungsberichte schrieben von 10.000 Zuschauern, aber es werden wohl eher die 8.300 gewesen, die später auf mehreren Statistikportalen hinterlegt wurden. Ich habe zwar ebenfalls keine Zahlen zu den verkauften Europapokal-Viererpacks gefunden, aber ich vermute, man muss nur die Gästefans und Ehrengäste von den geschätzten 8.300 Stadionbesuchern abziehen und dann hat man jene Zahl halbwegs treffsicher. Tageskarten dürften wirklich nur in marginaler Anzahl über den virtuellen Verkaufstresen gegangen sein. Zwar schade, wenn das erste Europapokalspiel im neuen Stadion vor halbleeren Rängen stattfindet, aber ich fürchte wirtschaftlich wird sich der preispolitische Kurs am Ende auszahlen.*

Die Jungs vom Balkan ließen es natürlich auch lodern

Immerhin sah es zunächst gut aus, dass der favorisierte LASK seine geschätzt 7.000 Käufer des Bundles am Ende mit dem höher angesehenen europäischen Wettbewerb und den potentiell namhafteren Gruppengegnern belohnen wird. Ausgerechnet der kroatischstämmige Offensivspieler Robert Žulj (früher VfL Bochum) schnürte früh einen Doppelpack (4. und 12.Minute). Anschließend wurde der LASK jedoch passiver, bzw. der HŠK Zrinjski aktiver. Der amtierende Doublesieger Bosnien-Herzegowinas scheiterte bis zur Pause einmal am Schiedsrichtergespann (Abseitstor in der 26.Minute) und einmal am Aluminium (39.Minute) in Sachen Anschlusstreffer.

Dem geschulten Auge fällt ein Freundschaftsbesuch aus Bern auf

Im zweiten Durchgang sollte der Vorsprung trotz Feldüberlegenheit der Linzer tatsächlich noch auf ein Tor schmelzen. Zrinjskis Toptorjäger Nemanja Bilbija kam in der 71.Minute nach einem Freistoß erfolgreich im Strafraum zum Abschluss. Große Freude beim ohnehin über 90 Minuten gut aufgelegten Gästeanhang. Ultras Mostar ’94 & Co wollten sich auf der ungewohnt großen Bühne natürlich vernünftig präsentieren und boten neben geschlossen und laut vorgetragenen Gesängen auch zwei nette Pyroeinlagen. Das LASK-Lager trug aber ebenfalls seinen Teil zum stimmungsvollen Gesamterlebnis bei. Die Landstraßler** hatten ein paar sehr laute Phasen und leuchten tat’s in ihrem Sektor auch zweimal. Darüber hinaus wurde selbstredend die Preispolitik per Banderole kritisch aufgegriffen und Trikots in Sponsoren- statt Vereinsfarben bekamen ebenso ihr Fett weg.

Ein Teil der Antrittsprämie wird wohl als Strafe an die UEFA zurückfließen müssen

Da dem bosnisch-herzegowinischen Rekordmeister – acht Titel seit Einführung der Landesmeisterschaft in Jahre 1998 – ein Ausgleich nicht mehr vergönnt war, durfte der Anhang des einmaligen österreichischen Fußballmeisters und -pokalsiegers (beides 1965) am Ende schließlich einen knappen, aber prinzipiell verdienten Hinspielsieg feiern. Vielleicht die halbe Miete in Richtung Europa League, aber mehr auch nicht. In Mostar wird’s für die Linzer garantiert ebenfalls kein Selbstläufer und zu verlieren hat der HŠK Zrinjski eigentlich nichts. Sollte der LASK sich am Ende durchsetzen, geht es für den Hrvatski športski klub eben in der Gruppenphase der UEFA Europa Conference League weiter. Trotzdem der größte internationale Erfolg einer Mannschaft aus Bosnien-Herzegowina in der postjugoslawischen Ära. Das kann Fans und Mannschaft keiner mehr nehmen.

Die Temperaturen regten selbst nach Einbruch der Dunkelheit noch zu nackter Haut an

Ich versuchte unterdessen nach dem Abpfiff fix aus dem Stadion zu kommen. Denn der letzte Bus, der direkt bis zu meinem Hotel durchfahren würde, sollte gute fünf Minuten später abfahren. Ich bekam ihn und war gegen 23:30 Uhr zurück in der Donauwelle. Um Mitternacht legte ich mich nun nieder und realisierte, dass ich just ein Jahr älter geworden war. In Linz beginnt’s… in meinem Fall ein neues Lebensjahr.

Song of the Tour: Wer gestorben ist, ist für immer fort?

*Nach dem 1:1 im Rückspiel in Mostar, hatte sich der LASK für die Gruppenphase der UEFA Europa League qualifiziert und bekam die Union Saint-Gilloise, den Toulouse FC und den Liverpool FC zugelost. Insbesondere der englische Gruppengegner dürfte dafür gesorgt haben, dass die neuen Dreierpacks für die Gruppenphase (zwischen 140 € und 425 €) fast restlos verkauft wurden. Oder wie es der LASK so schön formulierte: „Da aktuell nur noch wenige Restkarten zur Verfügung stehen und sowohl die günstigsten als auch die teuersten Tickets relativ rasch gekauft wurde, sieht der Verein den eingeschlagenen Weg seitens der Fans als positiv bewertet“ (Quelle)

Die Landstraße

**Die Linzer Landstraße geht wohl am ehesten als Prachtstraße im Stadtzentrum durch. Die Fans des proletarisch geprägten Lokalrivalen FC Stahl (heute FC Blau-Weiß) haben die bürgerlichen LASKler früher gerne als die Landstraßler geschmäht, aber mit der Zeit wurde das zur stolzen Selbstbezeichnung transformiert. Heute nennt sich die 2014 gegründete Dachgruppe der LASK-Fankurve so. In ihr sind u. a. die Fangruppen Viking Linz, Commando Urfahr, Linz City Group, Linzer Jungs und Südachse organisiert.