Stavanger 05/2023

  • 03.05.2023
  • Sandnes Ulf – Kongsvinger IL Toppfotball 1:2
  • 1.divisjon (II)
  • Øster Hus Arena (Att: 1.289)

Bei meiner Norwegenreise stand schnell fest, dass sie mit einem langen Wochenende in Oslo beginnen sollte und ich das Wochenende darauf in Trondheim verbringen würde. Unter der Woche musste nun nur noch Programm von Dienstag bis Donnerstag her. Bergen und Stavanger waren dabei in der engeren Auswahl. Ich favorisierte zunächst eine Reise nach Bergen mit der Bergensbanen, aber Stavanger hatte mit dem Preikestolen ein großartiges Trekkingziel in der unmittelbaren Nähe zu bieten und bekam deshalb letztlich doch den Zuschlag.

Erstklassig unterwegs

Am Dienstagmorgen ging es nun für 555 NOK (ca. 50 € zum Buchungszeitpunkt) mit der Sørlandsbanen von Oslo nach Stavanger. 6:30 Uhr klingelte der Wecker und 7:25 Uhr war Abfahrt. Ich reiste 1.Klasse und hatte somit viel Platz, relative Ruhe und kostenlose Versorgung mit Getränken und kleinen Snacks. Eine Sitzplatzreservierung war natürlich ebenfalls im Preis inbegriffen, so dass frühes Erscheinen am Osloer Hauptbahnhof nicht geboten war. Aber der Zug war eh relativ leer. Schließlich bewegen sich die Preise für Flüge zwischen den beiden Städten auf einem ähnlich niedrigen Niveau wie die deutlich längere Zugreise. Die Schiene hat ihre Relevanz eher für die Bevölkerung rund um die Unterwegsbahnhöfe.

Der Blick aus dem Fenster lohnte fast immer

Nach gut 7,5 Stunden Bahnfahrt mit vielen schönen Ausblicken erreichte ich kurz nach 15 Uhr das an Gandsfjorden und Byfjorden gelegene Stavanger. Dort hatte ich mich für zwei Nächte à 1.050 NOK (ca. 87,50 €) ins sehr zentral am Holmen gelegene Best Western Havly Hotell (***) eingebucht. War das einzige Mittelklassehotel unter 100 € pro Nacht und die betagte Möblierung und Ausstattung könnten damit zusammenhängen. Aber alles völlig ausreichend für meine Ansprüche. Ich würde mich eh nur für wenige Stunden pro Tag zwecks Nachtruhe und Körperpflege im Hotel aufhalten. Nicht mal das inkludierte Frühstück konnte ich wahrnehmen, da ich beide Tage bereits vor 6:30 Uhr aus dem Haus war.

Stavanger kann auch per Ozeanriesen angesteuert werden

Nachdem ich mein Gepäck los war, machte ich mich sofort an die Erkundung der 146.000-Einwohner-Stadt (viertgrößte Stadt des Landes nach Oslo, Bergen und Trondheim). Stavanger dürfte um das Jahr 1000 herum bereits eine Wikingersiedlung städtischen Typs gewesen sein und nach der Christianisierung Norwegens wurde es 1125 Bischofssitz. Um 1150 war der Dom von Stavanger vollendet, was ihn zur ältesten erhaltenen Kathedrale Norwegens macht. Jene Stavanger domkirke stand natürlich weit oben auf meiner touristischen Liste, allerdings war sie wegen Restaurationsarbeiten geschlossen und zugleich von außen komplett eingerüstet. Kurwa!

Gebäude an Stavangers altem Hafen Vågen

Abseits des Doms existieren überdies keine weiteren architektonischen Zeugnisse des Mittelalters. Zwar stellte Stavanger im Mittelalter ein kirchliches Machtzentrum dar, jedoch blieben die Ausmaße der zivilen Stadt seinerzeit bescheiden. In der Frühen Neuzeit drohte man gar auf dörfliches Niveau zurück zu schrumpfen. Der dänische König Christian IV. hatte im frühen 17.Jahrhundert nicht nur Oslo als Christiania neugegründet (Vgl. Oslo 04/2023), sondern ihm schwebte auch ein neuer Handels- und Militärstützpunkt an der norwegischen Südküste vor. 1641 gründete er schließlich Christiansand (Kristiansand) und in diese neue Stadt wurde 1682 der Bischofssitz des Bistums Stavanger verlegt.

Die 1854 fertiggestellte Hetlandskirken

Pestausbrüche und Feuersbrünste trugen im 17.Jahrhundert ebenfalls ihren Anteil zum Niedergang Stavangers bei, so dass am Silvesterabend 1699 nur noch geschätzt 1.312 Einwohner darauf hoffen durften, dass im 18.Jahrhundert alles besser wird. Wurde es jedoch kaum. Erst im 19.Jahrhundert schenkte die Industrialisierung Stavanger eine neue Blüte. Denn von Stavanger liefen mittlerweile große Fischfangflotten in den Atlantik aus. Als es bald technisch möglich wurde den Fang in Blechdosen zu konservieren, entstanden mehrere Konservenfabriken in der Stadt, die für weiteren Konjunkturaufschwung in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts sorgten. In den Hochzeiten dieser Industrie existierten über 50 Konservenfabriken in Stavanger und verschickten pro Jahr bis zu 350 Millionen Dosen Fisch in die ganze Welt. Wer diese Epoche vertiefen will, käme wahrscheinlich im hiesigen Norsk Hermetikkmuseum (Konservenmuseum) auf seine Kosten.

Unterwegs im Stadtzentrum

Von in Öl eingelegten Sardinen aus der Dose, gelingt mir jetzt die perfekte Überleitung zu Stavangers jüngerer Vergangenheit. Denn kaum war die Konservenindustrie in den 1950er / 1960er Jahren im Niedergang begriffen, fand man Öl und Gas vor der norwegischen Küste und Stavanger schwang sich zum Zentrum der norwegischen Ölindustrie auf. So wurde von der Regierung 1972 die Den norske stats oljeselskap (Ölgesellschaft des norwegischen Staates), kurz Statoil, mit Sitz in Stavanger gegründet. Schon bald konzentrierten sich die Zulieferer der Öl- und Gasindustrie, die Betreiber der Bohrinseln und die Niederlassungen der ausländischen Ölgesellschaften in Stavanger. Rund 800 Unternehmen in der Stadt werden unmittelbar der Öl- und Gasindustrie zugerechnet. Das Erdöl und -gas aus der Nordsee machte in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur Stavanger, sondern ganz Norwegen reich.

Am Holmen

Nun sorgten die geopolitischen Entwicklungen des Jahres 2022 für neue Rekordzahlen. Im Vorjahr exportierte das Land fossile Energieträger im Wert von rund 173 Mrd €. Da die Vorkommen Norwegens noch lange nicht erschöpft sind und große Volkswirtschaften wie Deutschland einfach nicht vom Öl und Gas wegkommen (allein Deutschland hat 2022 fossile Brennstoffe für ca. 62 Mrd € aus Norwegen importiert), kann der norwegische Staat sich weiterhin auf sprudelnde Einnahmen freuen. Das ist auch irgendwo die Krux an meinem jüngsten Lob für die vielen Wärmepumpen und Elektroautos in Norwegen. Einerseits sinkt der CO2-Fußabdruck der Norweger löblicherweise immer weiter, andererseits wird das von ihnen geförderte Öl und Gas eben anderswo in rauen Mengen verfeuert und fließt dann dort in die CO2-Bilanzen ein. Der Atmosphäre ist es dabei herzlich egal, ob sie nun der norwegische Ole oder der deutsche Heinz aufheizt.

Streetart zum Thema Ölförderung in Stavanger

Um sowohl der Endlichkeit, als auch der fürchterlichen Klimabilanz der fossilen Brennstoffe etwas zu entgegnen, baut Norwegen allerdings gerade massiv eine Infrastruktur für die Gewinnung und den Export von Wasserstoff auf. Außerdem treibt man in Norwegen den Einsatz von CCS-Technologie voran. Beim so genannten CCS-Verfahren (Carbon dioxide capture and storage) wird bei der Verbrennung von Öl und Gas freigesetztes CO2 aus den Abgasen gefiltert und anschließend tief in der Erde eingelagert. Quasi landet es wieder dort, wo wir es am besten nie herausgeholt hätten. Das Zeug gleich im Boden zu lassen, müsste zwar eigentlich auch weiterhin die Prämisse von ernsthafter Klimapolitik sein. Allerdings bleiben konsequente Bemühungen für ein Erreichen des 1,5-Grad-Zieles, denen zugleich die Partikularinteressen der größten Profiteure der fossilen Energiewirtschaft entgehen stehen, weiterhin politisch unrealistisch. Daher wäre CCS wenigstens Schadensbegrenzung.

Das Norsk Oljemuseum

Dass die Öl- und Gasindustrie eigentlich museumsreif sind, findet sogar in Stavanger bereits Anklang. 1999 wurde am Hafen das markante Norsk Oljemuseum (Norwegisches Erdölmuseum) eröffnet. Der an eine Bohrinsel erinnernde Gebäudekomplex, der teilweise auch im Inneren die Technik und die Räumlichkeiten einer solchen Plattform nachgebildet haben soll, wäre garantiert einen Besuch wert gewesen. Leider passten die Öffnungszeiten (unter der Woche 10 bis 16 Uhr) weder heute, noch morgen in meinen Tagesplan. Stattdessen erfreute ich mich in den Abendstunden an der Architektur der Innenstadt und an der vielen Streetart im Stadtbild.

Spaziergang durch Gamle Stavanger

Ferner machte ich noch einen Abstecher nach Gamle Stavanger. Was hier als Altstadt deklariert ist, offeriert dem Besucher auf einer Anhöhe westlich des Hafenbeckens 173 Holzhäuser aus dem 18. und 19.Jahrhundert. Die strahlen alle weiß angestrichen um die Wette und wenn abends die Kreuzfahrttouristen weg sind, ist ein Spaziergang dort durchaus nett. Hier befindet sich auch das bereits erwähnte Konservenmuseum, aber grundsätzlich ist das eher ein klassisches Wohnquartier. Sprich Einkehrmöglichkeiten wie in den meisten klassischen Altstädten dieses Kontinents sind rar. Man spaziert hier halt einmal durch und dann geht es wieder runter ins eigentliche Stadtzentrum am Holmen.

Wieder hinab zum eigentlichen Stadtzentrum

In jenem Stadtzentrum prüfte ich gegen 19 Uhr mal die Optionen für’s Abendessen. Den Zuschlag bekam schließlich das äthiopische Restaurant Gådjå. Sah gemütlich aus und ich hatte nahezu keine Ahnung was mich dort kulinarisch erwarten würde. Umso neugieriger studierte und übersetzte ich die Speisekarte. Von jenen Gerichten, die rohes Fleisch ausgewiesen hatten, ließ ich sicherheitshalber die Finger. Aber Beyaynetu für 240 NOK (ca. 21 €) klang ganz gut. Es wurde mir als geschmortes Rindfleisch in pikanter Sauce angepriesen, welches auf dem traditionellem Fladenbrot namens Injera serviert und von diversen Beilagen begleitet wird.

Mein erstes Mal äthiopisch…

Das bestellte Gericht kam wenig später ohne Besteck auf meinen Tisch, da der Äthiopier sich einfach immer etwas von dem weichen Fladenbrot abreißt und damit die Fleischstücke oder etwas vom Wot greift. Die Wot wiederum sind mit Berbere (einer äthiopischen Gewürzmischung) verfeinerte und teils pürierte Hülsenfrüchte. Ich würde tippen, dass es sich um Linsen, Bohnen und Kichererbsen handelte. Ich bekam zwar ungefragt einen Löffel nachgereicht, aber mit dem Brot klappte es hervorragend. Das damit gegriffene Fleisch war wirklich herrlich zart und alles war sehr intensiv gewürzt. Hat mir großartig geschmeckt und ein Kännchen frisch aufgebrühter Ingwertee für 50 NOK (ca. 4,30 €) war ein guter Begleiter, nachdem in den letzten Stunden doch ein kalter Wind um meine Ohren geweht war (’ne Karaffe Tafelwasser gab’s übrigens gratis).

Fassadenkunst in Storhaug

Nach dem Essen spazierte ich noch ein wenig durch das Viertel Storhaug. Das besteht wie Gamle Stavanger auch hauptsächlich aus weiß angestrichenen Holzhäusern, hat obendrein jedoch noch einiges an Streetart zu bieten. Hier sind einige der Hinterlassenschaften des zwischen 2001 und 2019 jährlich in Stavanger stattgefundenen NuArt Festival zu entdecken. Bereits gegen 22 Uhr ging es allerdings zurück ins Hotel. Am nächsten Morgen stand schließlich ein frühstmöglicher Ausflug zum Preikestolen an (zu deutsch: Predigtstuhl bzw. Kanzel). Ein wirklich spektakuläres 25 x 25 m großes Felsplateau, dessen Felskante 604 m senkrecht in den ca. 40 km langen Lysefjord abfällt und welches nicht zu Unrecht bei den meisten Norwegenreisenden weit oben auf der Liste steht.

Moin, moin

Um diesen Höhepunkt meiner Reise möglichst einsam zu erwandern, ging es am Mittwochmorgen schon um 5 Uhr aus den Federn. Denn eine Stunde später wollte ich den erstbesten Linienbus nach Jørpeland nehmen. Für 77 NOK (ca. 6,50 €) kommt man von Stavanger per Linienbus relativ nah an den Preikestolen heran und spart sich so die touristischen Busanbieter für 400 bis 500 NOK, die nebenbei auch frühestens um 8 Uhr in Stavanger starten und somit erst gegen 9 Uhr den Start der Wanderung ermöglichen.

Wo geht es hier bitte zum Preikestolen?

Leider hatte ich nach meinem Umstieg in Jørpeland ein kleines Kommunikationsproblem mit dem etwa 96jährigen Fahrer des Anschlussbusses. Wir rauschten mit dem Kleinbus ohne Halt am Abzweig zum Preikestolen vorbei und meine Bitten mich jetzt noch irgendwo am Wegesrand wurden ignoriert bzw. erhielten ein abweisend klingende Antwort auf Norwegisch. Stattdessen sammelten wir an einsamen Häusern auf den Inseln Idse und Idsal ungefähr zehn Schulkinder ein. Zurück auf dem Festland sah es dann so, als würde der müde wirkende Greis am Steuer eine Pause machen. Aber wir warteten in einem Weiler namens Kvalvåg einfach nur auf den Bus in die Gegenrichtung.

Jetzt bin ich schon mal auf einer Straße namens Preikestolvegen

Jener wurde von einem jungen Mann gelenkt, der Englisch sprach und meinen Zielwunsch verstand. Er machte noch ein, zwei Späße auf meine Kosten, ließ mich aber wie gewünscht an der Haltestelle Jøssong hinaus. Mittlerweile war es 7:50 Uhr und ich startete letztlich gut eine Stunde später als geplant die Wanderung zum Preikestolen, bei der auf meiner Route zunächst einmal 4,5 km (und die ersten 290 Höhenmeter) auf Asphalt zurückgelegt werden mussten.

Der Trail beginnt

War schön einsam auf der Straße. Doch kurz bevor der eigentliche Wanderweg zum Preikestolen nach knapp einer Stunde erreicht war, überholten mich die ersten beiden Reisebusse des Tages und eine kleine Kolonne von polnischen Wohnmobilreisenden. Da denen aber noch ein kurzer Anstieg vom Parkplatz am Base Camp bevorstand, während ich von der Passstraße aus abkürzen konnte, hatte ich einen kleinen Vorsprung vor dem ersten größeren Mob an Gipfelstürmern. Ferner überholte ich noch eine asiatische Kleingruppe mit norwegischer Bergführerin beim ersten steileren Stück des Stiegs.

Ab hier wird es anstrengend…

Nun hatte ich lange Zeit niemanden mehr vor mir und war ganz zufrieden mit meinem Tempo. Doch als die Anstiege langsam anspruchsvoller wurden (zwischenzeitlich 20 bis 25 % Steigung), zogen noch ein paar motivierte „Steinböcke“ und „Bergziegen“ an mir vorbei. Na ja, dass ich alleine oben am Preikestolen stehe, war sowieso utopisch. Da hätte ich wohl ’ne Nachtwanderung für machen müssen.

Felsplateau kurz vorm Preikestolen

Nichtsdestotrotz wollte ich schnellstmöglich oben sein und auf keinen Fall noch von einer der größeren Gruppen überholt werden. Insbesondere eine Gang in roten Funktionsjacken machte ordentlich Meter auf mich gut, so dass ich weiter Gas gab. Später stellte sich heraus, dass roten Racker alle von einer Hurtigruten-Kreuzfahrt waren und deren Schiff unten im Fjord vor Anker lag. Da scheint ’ne rote Funktionsjacke von Helly Hansen für Rudi und Renate im Leistungsumfang der Pauschalreise enthalten zu sein.

Ein Hurtigruten-Kreuzfahrtschiff im Lysefjord

Am Ende hatte ich Sektion Hurtigruten, die andere Busgruppe und den polnischen Mob erfolgreich auf Distanz gehalten und stand um 10:18 Uhr mit elf weiteren Touristen relativ einsam auf dem Preikestolen. 1:35 h hatte ich für den eigentlichen Trail gebraucht, auf dessen vier Kilometern Länge immerhin nochmal knapp 300 Höhenmeter überwunden werden und an vielen Stellen hohe Trittsicherheit erforderlich ist. Umso erstaunter war ich über ein paar Begegnungen mit Turnschuhtouristen im Laufe des Tages. Klar, lebensgefährlich wird es für die auch nur, wenn das Selfie am Abgrund zu spektakulär werden muss. Aber das Risiko beim Auf- oder Abstieg wegzurutschen oder umzuknicken ist unnötig hoch und wahrscheinlich werden 96 % der Rettungseinsätze am Preikestolen durch falsches Schuhwerk verursacht.

Die Bergwelt am Lysefjord

Nachdem ich meine Erinnerungsfotos geknipst hatte (bzw. das Titelbild dieses Bericht knipsen ließ), wurde es schnell voll am Preikestolen. Im Hochsommer sollen täglich über 5.000 Menschen hinaufströmen. Wobei das Gros natürlich relativ parallel mittags oder am frühen Nachmittag oben ankommt. Gemessen an diesen Zahlen blieb der heutige Andrang weiterhin überschaubar und ich genoss nun gut eine Stunde den Ausblick auf den Lysefjord und die ihn umgebende Bergwelt. Dabei kamen Trinken und Essen auch nicht zu kurz. Schließlich würde der Abstieg mindestens genauso anstrengend wie der Aufstieg werden.

Bergsee Tjødnane

Der erstbeste Bus des Nachmittags würde außerdem erst 14:55 Uhr ab Jøssong fahren, so dass ich keinerlei Zeitdruck verspürte. 12 Uhr setzte ich mir als Deadline, aber eine halbe Stunde zuvor war ich langsam aber sicher durchgefroren und benötigte wieder Bewegung. Weil die Kräfte etwas aufgezehrt waren, beim Abstieg viel Gegenverkehr herrschte und ich nun im Gegensatz zum Aufstieg öfters mal stoppte und die Ausblicke genoss, dauerte der Abstieg in der Tat relativ lange.

Und nun wieder bergab…

Letztlich war ich erst um 14:10 Uhr unten an der Straße namens Preikestolvegen und musste die 4,5 km zur Bushaltestelle in 45 Minuten bewältigen. Zum Glück nun ausschließlich bergab, so dass es trotz Zwicken in den Muskeln eine Punktlandung wurde. Entsprechend ging es also 14:55 Uhr von Jøssong via Umstieg in Jørpeland wieder zurück nach Stavanger, was logischerweise erneut 77 NOK kostete. Diesmal allerdings ohne Inselrundfahrten oder andere Komplikationen.

Beim Abstieg genoss ich die vielen Panoramen, die sich boten

Kurz nach 16 Uhr kam ich ziemlich ausgelaugt im Hotel an. Doch ein Tee und ein kaum minder heißes Duschbad wirkten wahre Wunder. Hatte ich mir im Bus noch eingeredet, dass heute nichts mehr geht und allerhöchstens noch ein Happen gegessen wird, ehe das Bett ruft, machte ich mich um 17 Uhr doch wieder auf den Weg zum Bahnhof. Den Zweitligakick von Sandnes Ulf gegen Kongsvinger IL kann man ruhig mal mitnehmen, wenn man sowieso gerade in der Gegend ist. Zumal der damit verbundene kleine Abendspaziergang doch auch viel besser für die Muskeln ist, als sich direkt ins Bett zu legen. Wann wird Schönreden von sinnlosen Fußballkicks eigentlich olympisch?

Eine Stadt und ihr Ulf

17:09 Uhr war Abfahrt nach Sandnes. Für 42 NOK (ca. 3,60 €) transportierte mich ein Nahverkehrszug binnen 15 Minuten in die von ca. 83.000 Menschen bewohnte Nachbarstadt von Stavanger. Diese liegt am südlichen Ende des Gandsfjorden und zumindest die Haupteinkaufsstraße hatte sich feierlich mit Fahnen von Sandnes Ulf geschmückt. Weniger feierlich war allerdings, dass sich das Stadion 1,5 km entfernt vom Bahnhof auf einer Anhöhe befand. Als hätte ich heute nicht schon genug Höhenmeter gemacht.

Irgendwo da unten ist der Bahnhof von Sandnes

Stolze 25 Minuten benötigte ich daher für die Distanz und war erst 10 Minuten vor Anpfiff an der im Februar 2020 eröffneten Øster Hus Arena. Na ja, eine Minute vor Anpfiff hätte auch gereicht. Denn in der knapp über 6.000 Zuschauer fassenden Sportstätte herrschte gähnende Leere und die 150 NOK (ca. 13,12 €) Eintrittsgeld hätte ich vielleicht doch lieber in Stavangers Gastroszene investieren sollen. Sandnes Ulf behauptete später, dass 1.289 Zuschauer anwesend waren. Eine der größten Lügen in der Geschichte des Fußballs. Das wären über 20 % Auslastung gewesen. Ich würde sagen, hier waren allerhöchstens 10 % der Sitze besetzt – ergo 500 bis 600 Leute in der Bude – und der Ulf ist einfach nicht ehrlich gewesen.

Nicht viel los beim Ulf

Die Strafe des zwischen 2012 und 2014 sogar mal erstklassigen Ulf war eine verdiente Heimniederlage gegen die Gäste aus Kongsvinger. Die Profifußballmannschaft des bereits 1892 gegründeten Sportvereins Kongsvinger Idrettslag (KIL) wäre übrigens pünktlich zum 100.Vereinsgeburtstag fast mal norwegischer Fußballmeister geworden. Als Vizemeister von 1992 war man 1993 aber wenigstens für den UEFA Cup qualifiziert. Nachdem in der 1.Runde Östers IF aus Schweden ausgeschaltet wurde, trotzte man in der 2.Runde dem Titelverteidiger Juventus ein 1:1 im Hinspiel ab (das Rückspiel in Turin ging allerdings verloren).

Zwei Unentwegte und drei Fahnen aus Kongsvinger

Von solchen Sternstunden ist man im tristen Zweitligaalltag der Gegenwart natürlich weit entfernt, aber immerhin durften die beiden mitgereisten Fans von KIL heute zweimal jubeln. 650 km one way wurden mit Toren in der 34.Minute und der 54.Minute belohnt. Dazwischen lag eine Halbzeitpause, in der ich eigentlich etwas gegen die große Leere in meinem Magen tun wollte. Aber die ersehnten Pølser wurden nicht offeriert. Nur Pizza und Popcorn. Die Pizza war mir mit ca. 4,50 € für pro Stückchen allerdings zu teuer und mit Popcorn wollte ich mich auf keinen Fall zurück auf die Tribüne setzen. Das war hier schließlich alles andere als Großes Kino.

KIL feiert die Führung

Angepeitscht von den zwölf sangesfreudigen Seelen im Fanblock gelang Ulf in der 89.Minute allerdings noch der Anschlusstreffer. Würde es plötzlich auf so eine denkwürdige Schlussphase wie vor zwei Tagen in Oslo hinauslaufen? Der Ulf warf nochmal alles nach vorne und ich rieb an der mutmaßlichen Wunderlampe im Vereinswappen. Aber nützte alles nichts. Nach vier Minuten Nachspielzeit beendete der Unparteiische das große Fußballfest ohne abschließendes Wunder. Kongsvinger IL (nun Elfter) durfte sich über drei Punkte freuen und schiebt sich damit am 5.Spieltag der noch jungen Saison an Sandnes Ulf vorbei (jetzt Zwölfter).

Ulfs Treueste

Bleiben noch zwei große Fragen. Warum zur Hölle heißt ein Verein Ulf und warum hat er eine orientalisch anmutende Öllampe als Symbol? Die erste Frage beantwortet die Vereinschronik schnell. Im Sommer 1911 war in Sandnes offenbar der Hund begraben und deshalb hatten sich neun Fußballbegeisterte zusammengetan, um einen Fußballclub zu gründen. Den Namen Ulf schlug dabei das Gründungsmitglied Arnulf Asserson vor (Ähnlichkeiten zu seinem Vornamen sicher rein zufällig). Das Versammlungsprotokoll hielt Arnulfs Begründung wie folgt fest: „Et vakkert navn; kort, greit og klangfullt“ (ein wunderschöner Name; kurz, einfach und klangvoll). Damit waren die Mitstreiter überzeugt und die anderen Namensvorschläge Smart und Gann wurden ad acta gelegt.

Ja, aber das Leben ist kein Wunschkonzert! Ich würde jetzt auch lieber in der Sonne liegen oder auf ’ner prallen 17jährigen! Stattdessen steh‘ ich hier bei dir, Ulf.

Bernd Stromberg während eines Spielbesuchs bei Sandnes Ulf

Doch war „Aladin und die Wunderlampe“ obendrein das Lieblingsmärchen von Arnulf Asserson oder was macht die Öllampe im Wappen? Diesen ersten Gedanken verwarf ein Blick auf das Stadtwappen von Sandnes. Denn das ziert ebenfalls die vermeintliche Öllampe. Von offizieller Stelle erfahre ich, dass die Lampe in Wirklichkeit ein Sandnesgauk ist. Dabei handelt es sich wiederum um eine Art Blasinstrument aus Ton, dass einen stilisierten Gauk (Kuckuck) darstellt. Für diese Kuckuckspfeife hatte sich Mitte des 19.Jahrhunderts wohl jemand aus Sandnes von den norditalienischen Ocarinas inspirieren lassen und seitdem werden sie genutzt, um die hiesige Keramikindustrie überregional zu bewerben. Mit so großem Erfolg, dass jeder Norweger von Kristiansand bis hinauf nach Kirkenes die Stadt Sandnes mit diesen keramischen Kuckuckspfeifen verbindet. Klar, dass Stadt und Sportverein das heraldisch gerne aufgreifen.

Der Ulf ist doof, der Ulf ist doof!

Berthold Heisterkamp ist Fan eines Rivalen von Sandnes Ulf

20:15 Uhr fuhr nach Abpfiff der erstbeste Zug zurück nach Stavanger. Da nicht nur der Fahrpreis (42 NOK), sondern auch die Fahrzeit identisch zur Hinfahrt war, kam ich um exakt 20:30 Uhr am Zielbahnhof an. Jetzt musste aber wirklich noch ein warmes Abendessen her. Um es nicht unnötig kompliziert zu machen, wollte ich entweder den Burgergrill oder den Tex-Mex-Imbiss in der Nachbarschaft meines Hotels aufsuchen. Als ich zwischen den beiden Läden unentschieden auf dem Trottoir stand, zahlte sich die offensive Angebotsbewerbung von Los Tacos aus. Alle Burritos im Menü für 219 NOK (ca. 18,50 €), während ich im Burgerladen gegenüber mindestens 299 NOK für ein Menü hätte zahlen müssen.

Das Burritopausenbrot

Aber vielleicht wäre ich im Burgerladen satt geworden. Denn die paar Nachos mit Dip und der lütte Burrito mit Rindfleischstreifen, Käse, Gemüse und feuriger Sauce vermochten das nicht zu leisten. Dafür werde ich in Norwegen richtig empfänglich für Reklame. Der 7-Eleven nebenan bewarb nämlich großflächig seine mittelprächtigen Minipizzas aus der Warmtheke für 25 NOK (ca. 2,10 €) das Stück und zwei der traurig ausschauenden Teigwaren stopfte ich mir nach der Tex-Mex-Enttäuschung noch schnell rein. Das war nun übrigens wieder gleiches Preisniveau wie in Deutschland, wo die SB-Bäcker für ihre lausigen Möchtegern-Margheritas mittlerweile auch mindestens 1,99 € nehmen.

Kranhäuser in Stavanger bei Sonnenuntergang

Im Hotel bereitete ich schließlich das Gepäck für die morgige Abreise aus Stavanger vor und weil jene bereits um 6:47 Uhr erfolgen sollte, war das Licht im Zimmer schnell aus. Mein Smartphone behauptete, dass ich heute knapp 7.000 kcal verbraucht hatte, was bei insgesamt 45.179 Schritten bzw. 31,8 km wahrscheinlich sogar passt. Entsprechend schnell gingen die Äuglein am Ende eines fantastischen, aber wirklich kräftezehrenden Reisetages zu.

Song of the Tour: Auf dieser Tour ging ich an mein Belastungslimit