Oslo 04/2023

  • 28.04.2023
  • Berliner AK – FC Carl Zeiss Jena 1:8
  • Regionalliga Nordost (IV)
  • Poststadion (Att: 851)

Für meinen zweiten richtigen Urlaub 2023, bzw. was ich dafür halte, hatte ich die erste Maiwoche vorgesehen. Nur beim Reiseziel war ich zunächst unentschieden. Pokalendspiele in Mitteleuropa abhoppen oder ein Norwegentrip? Hätte ich zum Buchungszeitpunkt schon per Glaskugel die Finalpaarungen in Österreich, der Slowakei, Polen und der Tschechischen Republik vorhersehen können, wäre dieser Reisebericht vielleicht mit Klagenfurt 04/2023 anstatt Oslo 04/2023 überschrieben worden. Doch eigentlich war die Unentschiedenheit nur eingebildet. Unterbewusst war ich längst auf Norwegen festgelegt und hatte daher gar nicht erst die Finalpaarungen beim besagten mitteleuropäischen Staatenquartett abgewartet.

Ausblick von meinem Hotelzimmer in Berlin

Am 29.April sollte die gebuchte Boeing 737-800 von Norwegian um 9:45 Uhr am BER abheben (99 € one way) und weil ich keinen Bock auf die nächtliche Anreise hatte, fuhr ich bereits am Vortag direkt nach Feierabend mit der DB für rund 30 € nach Berlin. Ab 17:40 Uhr atmete ich Hauptstadtluft und sah zu mein Gepäck schnellstmöglich loszuwerden. Da ich ein Einzelzimmer im A&O am Hauptbahnhof gebucht hatte (77 €), war das jedoch nur eine Sache von wenigen Minuten. Nun war ich pünktlich zu Beginn der Happy Hour um 18 Uhr am Tresen der Hotelbar und gönnte mir das erste Urlaubsbier (0,5 l Kindl vom Fass zum Sonderpreis von 3,60 €).

Huch, wer seid ihr denn?

Kaum liebkoste der Gerstensaft meinen Gaumen, spazierte auch schon ein Fußballmob mit jeder Menge Material am Fenster vorbei. Ich realisierte nun, dass direkt neben der Unterkunft ein Fußballstadion steht und anscheinend sollte dort um 18 Uhr ein sportliches Kräftemessen zweier Kampfmannschaften ausgetragen werden. Ganz rein zufällig lief ich am Stadioneingang obendrein meinem Kumpel Joey in die Arme, der für den Leckerbissen Berliner AK vs. FC Carl Zeiss Jena den beschwerlichen Weg aus dem Wedding nach Moabit auf sich genommen hatte. Aber Spaß beiseite; Berlin nebst Umland gab am heutigen Abend nichts besseres her. Also wurde es ein Revisit des Poststadions und Joey war auch schnell gewonnen für den Kick. Obwohl er erst vor acht Wochen dem Gastspiel der BSG Chemie beim BAK beigewohnt hatte und immer noch über die Bierpreise von 4,50 € für 0,4 l schimpfte.

Abendessen im Poststadion

Da dieser Preis stabil geblieben ist, meckerten wir nun im Chor. Aber gekauft haben wir das Bier natürlich trotzdem und immerhin waren die Eintrittspreise mit 11 € (bzw. 7 € ermäßigt) noch im Rahmen. Ferner ließen wir uns vom Grill ein kleines Abendessen reichen. Es gab gegrillte anatolische Dauerwurst mit erlesener Knoblauchnote, welche zusammen mit marktfrischem Gemüse der Saison im angerösteten Fladenbrotviertel serviert wurde (5 €). War lecker und bot wahrscheinlich das bessere Preis-Leistungs-Verhältnis als die Bratwurst für einen Euro weniger.

Choreo der Jenenser – Teil 1

Apropos Bratwürste… Hätten die heute gastierenden Thüringer vor neun Tagen nicht das Spitzenspiel gegen den Spitzenreiter Cottbus verloren, sowie kurz darauf gegen Meuselwitz ebenfalls Punkte liegen gelassen, wäre am heutigen Abend sogar die Tabellenführung für den FC Carl Zeiss drin gewesen. Drin waren heute aber wenigstens die Anhänger aus Jena. Vor gerade einmal 13,12 Tagen hatten 145 FCC-Fans das Auswärtsspiel bei Lichtenberg 47 verpasst, weil sie am Berliner Hauptbahnhof von der Polizei zwecks Identitätsfeststellung festgehalten wurden. Dabei sollen die Beamten äußerst brutal vorgegangen sein (siehe Stellungnahme der Blau-Gelb-Weißen Hilfe).

Choreo der Jenenser – Teil 2

Heute war es offenbar zu einer reibungslosen Anreise gekommen und obendrein fand Tifo-Material in rauen Mengen den Weg in den Gästesektor des Poststadions. Damit wurde eine zweiteilige Choreographie in Gedenken an das vor 10 Jahren verstorbene Szene-Urgestein Nico Hartmann (Lost Boyz Jena) auf die Stehtraversen gezaubert. Anschließend legte der blau-gelb-weiße Mob einen ansprechenden Auftritt hinter dem üppig beflaggten Zaun hin. Nachdem das Thema Meisterschaft und potentieller Aufstieg in die 3.Liga wohl endgültig abgehakt war, gab es einen befreiten Auftritt der Zeiss-Elf zu bewundern. Nach einer Viertelstunde stand es bereits 0:3 und auch der Anschlusstreffer des BAK in der 26.Minute vermochte dem Spiel keine neue Richtung zu geben. Noch vor der Pause erhöhte der FCC auf 1:4, während Joey und ich von 0,4 auf 0,8 l erhöhten.

Im Poststadion qualmte heute nicht nur der Grill

Die Bierbecher mussten allerdings beim Wiederanpfiff kurz abgesetzt werden. Die Gästekurve hatte abermals ein farbenfrohes Bild kreiert, welches fotografisch festgehalten werden wollte. Diesmal wurde mit Banner und bunter Rauchshow dem im Vorjahr aus dem Leben geschiedenen FCC-Fan Ivo (Sektion Weimar) gedacht. Auf dem Rasen erwarteten wir dagegen wenig vom zweiten Durchgang. Der FCC würde mutmaßlich einen Gang runter schalten und der BAK auf Schadensbegrenzung aus sein. Doch nachdem die Hausherren ab der 49.Minute nur noch in Unterzahl waren, brachen alle Dämme. Am Ende musste der Stadionsprecher ein 1:8 als Endstand abmoderieren. Für den FC Carl Zeiss der höchste Auswärtssieg der immerhin 120jährigen Vereinshistorie, für den BAK zumindest in seiner Regionalligageschichte die bisher höchste Niederlage überhaupt. Nichtsdestotrotz bleibt der BAK Tabellenzehnter und wird zu 96 % im Spätsommer in seine mittlerweile dreizehnte Regionalligasaison gehen.

Der Gästeanhang musste inflationär oft jubeln

Während die Jenenser auf dem Heimweg nun doch unrealistische Konstellationen des Saisonausgangs durchgerechnet haben dürften (wo könnten RWE und Energie noch was liegen lassen?), verloren Joey und ich nach dem Leeren des dritten Stadionbieres keine Zeit in Sachen Ortswechsel. Unser Geld sollte fortan lieber die Moabiter Kneipenszene bekommen. Laut Joey neben dem Wedding noch einer der besten Kieze für einen vernünftigen Thekenbummel in der mitteleuropäischen Metropole. Davon durfte ich mich nun bis 3 Uhr morgens in der Oldenburger Klause, der Nord-West Oase und im StromEck überzeugen.

Erlesenes Pilsvergnügen in Moabit

Es war aber auch einfach ein Milieu, welches zum Verweilen und Mittrinken einlud. Zum Glück war ich am Ende nicht mehr ganz nüchtern. Sonst hätte ich mich wahrscheinlich geärgert, dass die Bettruhe sich zwangsläufig auf drei Stunden reduziert hatte. Stattdessen überließ ich das Fluchen über zu wenig Schlaf und dezente Kopfwehwehchen einer wenige Stunden älteren und damit auch reiferen Version meiner selbst.

Futschis im StromEck

Dieser schlecht gealterte Miesepeter nahm um 7:10 Uhr einen Zug zum BER und war exakt zwei Stunden vor Abflug an jenem Flughafen. Die Laune sank nun weiter, weil vor mir am Schalter von Norwegian ausgerechnet ein Mitreisender mit einem Gewehr als Aufgabegepäck stehen musste. Für den sollte es weiter nach Spitzbergen gehen und irgendwie muss man sich da natürlich vor den Eisbären schützen (zumindest solange es dort noch welche gibt). Der mit der Schusswaffe und der entsprechenden Munition verbundene Sicherheits- und Verwaltungsaufwand nahm nun etliche Minuten ein und rumstehen lag mir gerade nicht so.

  • 29.04.2023
  • Lyn 1896 Fotballklubb – Grorud Idrettslag 0:1
  • 2. divisjon (III)
  • Bislett Stadion (Att: 1.475)

Als hätte eine erzählenswerte Kuriosität in Sachen Hinflug nicht schon gereicht, saß im Flieger Fritz Meinecke zwei Reihen vor mir. Ich mutmaßte, dass er wie ich Trekkingtouren in Norwegen geplant hatte. Aber nach dem meinerseits fast komplett verschlafenen Flug, hab ich ihn auf dem Weg zur Gepäckausgabe mal kurz angequatscht. Er war nur auf der Durchreise, dankte artig für mein Lob seines Formates 7 vs. Wild und wartete dann in der hintersten Ecke der Halle auf dem Fußboden auf sein Aufgabegepäck. Kopfhörer auf und Cap tief ins Gesicht gezogen, nicht dass ihn noch wer erkennt.

Kleines Bett zum Auftakt einer großen Reise

Für mich ging es nun gegen 12:15 Uhr per Bahn ins Stadtzentrum. 118 NOK (ca. 10 €) kostete die knapp halbstündige Fahrt und weitere fünf Minuten später war ich am gebuchten Hotel Citybox Oslo (***). In diesem bahnhofsnahen Mittelklassehotel hatte ich mir ein kleines Budgetzimmer für drei Nächte gegönnt. Es war langes Wochenende und die Preise in Oslo noch höher als eh schon. Unterhalb meiner Schmerzgrenze von 100 € pro Nacht war sonst nur Gammel im Angebot, weshalb die Citybox für 950 NOK (ca. 82 €) pro Nacht den Zuschlag bekam. Da ich erst vor Ort bezahlte, kam mir übrigens der in den letzten Wochen gefallene Wechselkurs entgegen (zum Buchungszeitpunkt waren 950 NOK noch ca. 90 €). Obendrein war das Zimmer schon um 13 Uhr bezugsbereit und ich konnte mich gleich nochmal eine gute Stunde auf’s Ohr hauen.

Das Bislett Stadion wurde von der Sports Illustrated zur fünftschönsten Sportanlage des 20. Jahrhunderts gekürt

14:15 Uhr brach ich nun wenigstens wieder halbwegs fit zum Bislett Stadion auf. Denn dort sollte um 15 Uhr der Lyn 1896 Fotballklubb die Grorud Idrettslag empfangen. 150 NOK (ca. 12,80 €) kostete eine Zugangsberechtigung und kaum war ich im zuvorderst für seine Leichtathletik-Meetings international bekannten Stadion, liefen die Mannschaften auf’s Feld und die Ultras von Lyn zündeten ein paar Bengalos. Bei diesem Traditionsverein gibt also erfreulicherweise auch in der 3.Liga noch eine kleine, aber durchaus aktive Szene.

Auch in Norwegen gibt es leider Pyrochaoten

Als Ski- og Fotballklubben Lyn erblickte der heutige Gastgeber bereits im Jahre 1896 das Licht der Sportwelt und war 1902 eines der Gründungsmitglieder des nationalen Fußballverbandes Norges Fotballforbund. In der mittlerweile 127jährigen Vereinsgeschichte wurden bereits zwei Landesmeisterschaften und acht Pokalsiege gefeiert. Nachdem 1968 sogar das Double geholt wurde, kamen jedoch keine weiteren Titel mehr hinzu. Stattdessen stieg Vålerenga sukzessive zur neuen Nr. 1 des Hauptstadtfußballs auf und wenig überraschend pflegten das früher als bürgerlich geltende Lyn und das in der Arbeiterklasse verwurzelte Vålerenga fortan eine große Rivalität. Während Vålerenga allerdings bis heute erstklassig spielt und die Duelle mit Lillestrøm SK mittlerweile das große Derby im Raum Oslo sind, ist Lyn sportlich ganz schön abgeschmiert. 2009 stieg man aus 1.Liga ab und die finanziellen Probleme waren so groß, dass die Lizenz für die 2.Liga nicht erteilt wurde. Lyn musste in der 6.Liga den Spielbetrieb fortsetzen und ist mittlerweile immerhin wieder drittklassig unterwegs.

Kleine Schalparade der Ultras von Lyn 1896

Die Saison ist zwar noch jung, aber durch die heutige Heimniederlage gegen den Lokalrivalen Grorud IL – Grorud ist ein Stadtteil im Nordosten von Oslo – kann man zunächst mal von einem mittelmäßigen Saisonstart mit sechs Punkten aus vier Spielen sprechen. Mal gucken wie sich die Punkteausbeute den Sommer über entwickelt. Lyn wäre natürlich nach norwegischen Maßstäben für die 2.Liga eine Bereicherung und ich glaube das Selbstverständnis der Fans ist nur schwerlich mit der 3.Liga zu vereinbaren. Bei Aufstieg verirren sich vielleicht auch wieder ein paar mehr Seelen ins überdimensioniert wirkende Bislett Stadion.

Seit 1965 findet hier jedes Jahr das renommierte Leichtathletik-Meeting Bislett Games statt

Aber trotz über 90 % freier Sitzschalen, freute ich mich den fußballerischen Auftakt der Reise in einem der größten Stadien des Landes gefeiert zu haben. 15.400 Zuschauer passen auf die Ränge des 1922 eröffneten und 2004 runderneuerten Stadions. Ironischerweise war es von 1944 bis 1999 die Hauptspielstätte von Vålerenga. Dann nutzten Lyn 1896 und Vålerenga zwischen 1999 und 2009 gemeinsam Lyns angestammte Heimat Ullevaal Stadion (zugleich Nationalstadion). Vålerenga blieb noch bis zur Fertigstellung des eigenen Stadions (2017) im Ullevaal, während Lyn nach der Pleite 2009 zunächst im Frogner Stadion den Neustart wagte und seit 2014 ausgerechnet im Bislett Stadion eine neue Heimat gefunden hat.

Immerhin zu fast 10 % war das Bislett Stadion heute ausgelastet

Da jenes Bislett Stadion vor rund 100 Jahren auf sehr zentrumsnahem Baugrund errichtet wurde, gibt es erfreulicherweise einiges an Gastronomie im Stadionumfeld und nach Spielende sehnte sich mein Körper extrem nach fester Nahrung. Mir war bereits auf dem Hinweg das nur 96 Meter vom Stadion entfernte Restaurant Sofies mat og vinhus ins Auge gefallen. Dieses Speise- und Weinhaus, welches offenbar von einer Sofie betrieben wird, sah gemütlich aus und warb mit günstigen Tagesgerichten auf seinem Reklameschild.

Mein erster Kontakt mit der bodenständigen norwegischen Küche

Heute offerierte man Sosekjøtt. Deftiges und angeblich lange geköcheltes Rindfleischragout mit Kartoffeln, saisonalem Gemüse und Preiselbeeren. Kostete 259 NOK (ca. 22 €) und wurde meinerseits noch um eine Portion Knoblauchbrot und ein Glas Cola ergänzt, so dass ich auf 353 NOK (ca. 30,30 €) Rechnungssumme kam. Preislich wahrscheinlich ganz okay für Oslo, aber das Fleisch war mir teilweise zu sehnig. Da wurde mein Traum vom zarten, auf der Zunge zergehenden Rindfleisch leider nicht erfüllt. Wenigstens das Knoblauchbrot war top und in jedem Fall fühlte ich mich nach der ersten Mahlzeit des Tages endgültig revitalisiert.

Im Gebäude des ehemaligen Westbahnhofs ist seit 2005 das Nobel-Friedenszentrum beheimatet

Zwischen 18 und 19 Uhr machte ich anschließend noch einen ersten einstündigen Erkundungsspaziergang durch Oslos Stadtzentrum zur groben Orientierung und dann ging es zeitig ins Bett. Das in meinem Kopf bereits relativ konturenreiche Programm für den nächsten Tag erforderte nämlich einen ausgeschlafenen und fitten Teilnehmer.

Ein Gebäude so alt wie der Sportverein Lyn Oslo

Relativ ausgeschlafen und nahezu topfit war ich am nächsten Morgen bereits gegen 6 Uhr und die Sonnenstrahlen lockten mich alsbald vor die Hotelpforte. Sonntagmorgen um 7 Uhr war auf den Straßen Oslos erwartungsgemäß so gut wie niemand unterwegs und ich genoss die Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt zunächst herrlich einsam. In bewährter Manier wollte ich mir in den kommenden Stunden die rund tausendjährige Stadtgeschichte anhand der wichtigsten Sehenswürdigkeiten erschließen.

König Olav II. Haraldsson (Olav der Heilige) forcierte ab 1024 die Christianisierung Norwegens

Die mutmaßliche Stadtgründung erfolgte kurz nach der Christianisierung Norwegens im frühen 11.Jahrhundert (spätestens 1050) und das macht Oslo zu einer der ältesten Städte Skandinaviens. Allerdings muss es anders als beispielsweise Stockholm weitgehend ohne mittelalterlichen Stadtkern auskommen. Rund 600 Jahre war der heutige Stadtteil Gamlebyen am rechten Ufer der Bucht Bjørvika das eigentliche Oslo. Doch der große Stadtbrand von 1624 ließ vom mittelalterlichen Oslo nur Ruinen übrig. Auf Geheiß des dänischen Königs Christian IV. – Norwegen war damals eine Provinz Dänemarks – wurde stattdessen eine neue Stadt namens Christiania am linken Ufer der Bjørvika errichtet.

Die Gamle Aker Kirke aus dem 12.Jahrhundert

Dort hatte König Håkon V. um das Jahr 1300 bereits die Akershus festning (Festung Akershus) erbauen lassen. Da Håkon V. fortan größtenteils in seiner Osloer Festung residierte, reklamiert Oslo seit 1299 die Hauptstadt Norwegens zu sein. Allerdings blieb Trondheim der Krönungsort der norwegischen Könige. Erst im Spätmittelalter entwickelte sich Oslo zu einer richtigen Residenzstadt. Da war Norwegen jedoch schon unter dem Einfluss der dänischen Krone. Denn einer erfolgreichen Blütezeit als Handelsstadt im Hochmittelalter hatte spätestens die Pestepidemie in den Jahren 1348/49 ein Ende gesetzt. Diese wütende nicht nur in Oslo, sondern im ganzen Land mit verheerenden Folgen. Geschätzt 60 % der norwegischen Bevölkerung wurden dahingerafft und die wirtschaftlichen und sozialen Folgen dieses Massensterbens waren immens.

Südseite der Festung Akershus

Da schien es dem schlagartig verarmten Norwegen entgegen zu kommen, dass König Håkon VI. 1363 die dänische Königstochter Margarethe ehelichte. Der gemeinsame Sohn Olav würde perspektivisch Norwegen und Dänemark in Personalunion regieren können. Blöd nur, dass alles ein bisschen anders kam… Denn der lütte Kronprinz (*1370) wurde zwar 1376 als Oluf II. zum dänischen König und 1380 – ergo nach Håkons Tod – als Olav IV. zum norwegischen König gekrönt, doch aufgrund seiner Minderjährigkeit übernahm vorerst Mama Margarethe die Regenschaft für den Sohnemann. Mit 15 war Olav schließlich alt genug für die Übernahme der Regierungsgeschäfte, allerdings waren ihm ab da nur noch zwei Lebensjahre vergönnt. Mit ihm starb 1387 die männliche Linie des norwegischen Königsgeschlechts der Folkunger aus und Margarethe herrschte fortan wieder über die beiden Königreiche.

Segelschiffe im Inneren Oslofjord

Die mächtige Margarethe arbeitete nun an einem ehrgeizigen Plan. Sie wollte die drei nordischen Länder Dänemark, Norwegen und Schweden dauerhaft unter einer Krone vereinigen. 1387 wurde die so genannte Kalmarer Union der drei Königreiche beurkundet und erster Herrscher der Union wurde Margarethes pommerscher Neffe Bogislaw, der sich fortan Erik nannte (Vgl. Malmö 09/2022). In der Union hatte der durch die Pestfolgen nominell und finanziell arg dezimierte norwegische Adel nicht viel zu melden und als Schweden sich Anfang der 1520er Jahre kriegerisch aus der Kalmarer Union löste, waren ähnliche Tendenzen in Norwegen nicht absehbar.

Der Osloer Dom (spätes 17.Jahrhundert)

Stattdessen fasste der dänische Adel immer mehr Fuß auf norwegischem Boden, so auch in Oslo, und das Norwegische wurde vom Dänischen als Amtssprache verdrängt. Auch in den Kirchen wurde nach der von den Dänen forcierten Reformation nur noch auf Dänisch gepredigt. 1536 wurde der norwegische Reichsrat vom dänischen König Christian III. schließlich endgültig entmachtet und spätestens jetzt konnte man nicht mehr von einer Union zweier Königreiche sprechen. Norwegen glitt eher in den Status einer bzw. mehrerer dänischen Provinzen ab.

Peter Tordenskiold war ein legendärer dänisch-norwegischer Marineoffizier, der übrigens 1720 in Gleidingen bei Hannover dem schwedischen Oberst Jakob Axel Staël von Holstein tödlich in einem Duell unterlag

Am Fuße der Akershus festning konnte ich die Stadtgeschichte der kommenden Jahrhunderte ganz gut nachvollziehen. Zum einen fällt das für die Renaissance typische rechteckige Straßenraster auf, zum anderen fehlt es an den landestypischen Holzhäusern. Deren Errichtung war in Christiania aus Brandschutzgründen verboten. Unterhalb der Gamle Aker Kirke durchstreifte ich jedoch wenig später mit der Damstredet und der Telthusbakken zwei Straßenzüge mit prima erhaltenen Holzhäusern aus dem 18.Jahrhundert. Denn Gamle Aker lag damals jenseits der Stadtbefestigung und nebenbei ist die Gamle Aker Kirke aus dem 12.Jahrhundert das älteste vollständig erhaltene Bauwerk innerhalb der heutigen Stadtgrenzen Oslos.

Die Damstredet

Die dänischen Jahrhunderte in Norwegen sollten 1814 enden. Während der Koalitionskriege (1792 – 1815) stand Dänemark mehr oder weniger auf der Seite Frankreichs und deshalb schnitt die britische Royal Navy den Dänen den Zugang zur Nordsee und somit auch nach Norwegen ab. Obendrein versuchte Schweden 1813 die günstige Gelegenheit zu nutzen und begann einen Krieg mit Dänemark-Norwegen. Im Friedensschluss von Kiel am 14.Januar 1814 trat Dänemark Norwegen an Schweden ab, durfte jedoch die eigentlich norwegischen Kronländer Island, Grönland und Färöer behalten.

Der Telthusbakken

Den Norwegern schmeckte das gar nicht. Sie wollten lieber unabhängig sein und beschlossen am 17.Mai 1814 in Eidsvoll bei Oslo das Grunnloven (die bis gültige und für damalige Verhältnisse sehr fortschrittliche norwegische Verfassung). Schweden nahm allerdings sogleich wieder die Kampfhandlungen auf, um seine Ansprüche durchzusetzen. Der Krieg endete am 14.August 1814, als das norwegische Parlament und der schwedische Kronprinz Karl Johann die Mossekonvensjonen (Konventionen von Moss) unterzeichneten. Darin erkannte Norwegen den schwedischen König als Staatsoberhaupt an und bekannte sich zu gemeinsamer Außen- und Verteidigungspolitik. Parlament und Verfassung Norwegens blieben allerdings bestehen und sorgten für Autonomie bei inneren Angelegenheiten.

Das Hauptgebäude der Osloer Universität

Das im Verhältnis zu Kopenhagen oder Stockholm seinerzeit ziemlich provinziell wirkende Oslo wurde nun endgültig Hauptstadt Norwegens und bekam im 19.Jahrhundert ein völlig neues Gesicht. So wurde zwischen 1825 und 1849 Det kongelig slott (das Königliche Schloss) im klassizistischen Stil errichtet (siehe Titelbild). 1848 bis 1850 wurde ferner die Oslo domkirke (der Osloer Dom) aus dem späten 17.Jahrhundert ausgebaut, während 1866 das Stortingsbygningen (Parlamentsgebäude) fertiggestellt und 1899 das Nationaltheatret (Nationaltheater) eröffnet wurde. Zwischen dem Schloss und dem heutigen Hauptbahnhof (1854 als Østbanestasjonen eröffnet) entstand so ein Prachtboulevard, der von zahlreichen repräsentativen Gebäuden gesäumt wird.

Eine Wachablösung am Königlichen Schloss ließ ich mir als guter Touri natürlich nicht entgehen

Während die ersten Jahrzehnte nach 1814 noch wirtschaftlich schwierig für Norwegen waren (insbesondere aus dem ruralen Raum setzte damals eine Auswanderungswelle in die USA ein), stieg das Land in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer Industrienation und Seehandelsmacht auf (nach Großbritannien und den USA besaß Norwegen Ende des 19. Jahrhunderts die drittgrößte Handelsflotte der Welt). Zum wirtschaftlichen Zentrum des Landes schwang sich dabei ebenfalls Oslo auf. Insbesondere entlang des Flusses Akerselva wurden große Brauereien und etliche Fabriken errichtet. Ferner sorgten die Schiffswerften am Oslofjord mit ihren vollen Auftragsbüchern für großes Wirtschaftswachstum in der Hauptstadt.

Der Fluss Akerselva fließt mitunter ganz schön wild durch Oslo

Natürlich entwickelte sich Oslo im 19.Jahrhundert auch zum kulturellen Zentrum des Landes. An der 1811 gegründeten Universität Oslo studierte die zukünftige Elite des Landes und in den Cafés und Salons der Hauptstadt trafen sich die Intellektuellen zum regen Austausch. Die norwegische Sprache erlebte eine Renaissance und norwegische Schriftsteller, Maler und Musiker schufen im 19.Jahrhundert große Werke der Nationalromantik. In dieser Gemengelage wuchs das norwegische Nationalbewusstsein und Wünsche nach kompletter Unabhängigkeit von Schweden wurden lauter.

Das Storting (Norwegens Parlamentsgebäude in Oslo)

Am 13.August 1905 fand schließlich eine Volksabstimmung über die Auflösung der Union mit Schweden statt, in der 99,5 % für die volle Souveränität Norwegens stimmten. Mit den Karlstadkonvensjonen (Vertrag von Karlstad) lösten Schweden und Norwegen bereits zehn Tage später ihre Union. Da Norwegen jedoch verfassungsgemäß eine konstitutionelle Monarchie bleiben wollte und der eigene Adelsstand bereits 1821 abgeschafft wurde, trug man nun dem dänischen Prinzen Carl (Haus Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg) die norwegische Krone an. Dessen Ahnentafel ließ sich einerseits bis zum ersten (richtigen) norwegischen König Harald I. Schönhaar (* 852; † 933) zurückverfolgen, andererseits war er auch ein naher Verwandter des schwedischen Königs und zugleich mit einer englischen Prinzessin verheiratet. Akzeptanz der drei wichtigen Nachbarn Großbritannien, Schweden und Dänemark war also zu erwarten.

Haakon VII. als Statue unweit des Schlosses

Am 27.November 1905 legte Carl in Oslo vor dem norwegischen Parlament seinen Eid auf die norwegische Verfassung Grunnloven ab und am 22.Juni 1906 wurde er als Haakon VII. zeremoniell im Trondheimer Nidarosdomen (Nidarosdom) zum ersten König eines unabhängigen Norwegens seit über 500 Jahren gekrönt. Haakon VII. wuchs anschließend glänzend in seine verfassungsgemäße Rolle als repräsentatives Staatsoberhaupt hinein und gab sich mit seiner Königsfamilie sehr volksnah. Politisch blieb er neutral und dem Parlament gegenüber loyal. Lediglich als es im Zweiten Weltkrieg geboten war, übernahm Haakon VII. auch eine politische Führungsrolle ein. Aber das vertiefe ich vielleicht noch an anderer Stelle etwas.

Das Osloer Rathaus (Grundsteinlegung 1931, Einweihung 1950), in jenem jährlich der Friedensnobelpreis verliehen wird

Heute beendete ich dagegen nach gut vier Stunden meinen historischen Stadtspaziergang und schlüpfte im Hotel in meine Outdoorkleidung. Denn die zweite Tageshälfte sollte mit Wandern und Fußball in der nahen Kommune Drammen gefüllt werden. Doch dazu mehr im folgenden Bericht.

Song of the Tour: Einmal die große Septime aufwärts… (kommste bei Norwegen ja nicht dran vorbei, aber Morten Harket erspare ich uns)