Oslo 05/2023

  • 01.05.2023
  • Vålerenga Fotball – Lillestrøm Sportsklubb 3:4
  • Eliteserien (I)
  • Vålerenga Stadion (Att: 16.556)

In der Walpurgisnacht hatte ich exzellent geschlafen. Als ich am 1.Mai gegen 9 Uhr die Vorhänge meines Zimmers aufzog, hatte jedoch jemand das bisher so schöne Wetter in Oslo verhext. Ich blickte hinaus in eine graue und verregnete norwegische Hauptstadt. Den geplanten Morgenspaziergang ließ ich nun entfallen und arbeitete am Schreibtisch erst einmal zwei Stunden an meinen Aufzeichnungen dieser Reise.

Der Gemeinschaftsbereich der Citybox

Gegen 11 Uhr sollte dann ein Frühstück her. Das Hotel bot diese Option leider nicht, aber im Erdgeschoss existierten eine Cafébar zur Selbstbedienung und genug Sitzgelegenheiten zum Verzehr von mitgebrachten Speisen. Gleich um die Ecke war ein Subway und ich war positiv überrascht von den Preisen. Das Sub of the Day kostete 49 NOK (beim gegenwärtigen Wechselkurs ca. 4,15 €) bzw. als Footlong 98 NOK. Ich meine in Deutschland werden mittlerweile auch 3,99 € bzw. 7,99 € aufgerufen. Heute war jenes Tagesbaguette das Taco Sub mit Hack und Tortillachips, welches mir in der langen Version mit ausreichend Käse, Salat und Sauce verpackt wurde.

Mein systemgastronomisches Frühstückssandwich

Nachdem der Snack im Hotel verputzt war, sollte es natürlich wieder touristisch werden. Wetterbedingt verwarf ich einen weiteren Stadtspaziergang oder Naturausflug und setzte mich mit der üppigen Osloer Museumslandschaft auseinander. Zwar hatten einige am 1.Mai geschlossen, aber das Forsvarsmuseet (Verteidigungsmuseum), welches in den alten Arsenalen der Akershus festning (Festung Akershus) durch rund 1.000 Jahre norwegische Militärgeschichte führt, hatte geöffnet. Da ich mir am Vortag die Osloer und teils auch die gesamtnorwegische Geschichte vom 11. bis ins frühe 20.Jahrhundert erschlossen hatte (Vgl. Oslo 04/2023), konnte ich dort sehr gut das 20.Jahrhundert vertiefen. Denn einen Großteil der Ausstellungsfläche im Forsvarsmuseet beschäftigt sich mit den beiden Weltkriegen, dem Kalten Krieg und den norwegischen Beiträgen bei UN- und NATO-Operationen in den letzten 75 Jahren.

Die Festung Akershus an einem trüben Tag

Vom Hotel bedurfte es zu diesem militärgeschichtlichen Museum lediglich eines knapp zehnminütigen Spaziergangs und für 100 NOK (ca. 8,50 €) bekam ich Zutritt. Ich arbeitete mich nun von den Raub- und Eroberungszügen der Wikingerzeit bis zu den Kriegen der jüngeren Vergangenheit vor. Dabei konnte ich die bereits am Vortag gestreiften norwegischen Einigungsprozesse unter König Harald I. Schönhaar (* 852; † 933) und die Expansion der norwegischen Wikinger nach Island, Grönland und den Färöer nochmal vertiefen. Auch auf die mittelalterlichen Burgen und Festungen Norwegens geht das Museum mit anschaulichen Modellen ein. Ein noch größerer Schwerpunkt wird jedoch auf die Frühe Neuzeit gelegt, als Norwegen prinzipiell ein Vasallenstaat Dänemarks war und dem dänischen König Soldaten und Schiffe für dessen Kriege stellen musste.

Auf zum Forsvarsmuseet

Nachdem sich Schweden am Ende des Befrielsekriget (Schwedischer Befreiungskrieg, 1521 – 1523) erfolgreich aus der seit 1397 bestehenden Union mit Dänemark und Norwegen löste, waren das hauptsächlich Kriege mit Schweden. So kam es zwischen Schweden und Dänemark-Norwegen zunächst zum Den nordiske syvårskrig (Nordischer Siebenjähriger Krieg, 1563 – 1570) und zum Kalmarkrigen (Kalmarkrieg, 1611 – 1613), bei denen die Dänen mit norwegischer Unterstützung jeweils die siegreiche Kriegspartei waren. Im Tredveårskrigen (Dreißigjähriger Krieg, 1618 – 1648) stieg jedoch bekanntermaßen Schweden zur europäischen Großmacht auf und Dänemarks König Christian IV., den wir gestern bereits als Oslos sozusagen zweiten Stadtgründer kennengelernt haben, musste Schwedens Schiffe fortan zollfrei den Öresund passieren lassen und zugleich die Ostseeinseln Gotland und Øsel an den Nachbarn abtreten. Auch Norwegen wurde territorial in Mitleidenschaft gezogen. Die Provinzen Herjedalen und Jämtland fielen an Schweden.

Anschauungsmaterial zur Wikingerzeit

Da hatten sich aber auch echt zwei gefunden und weitere Kriege zwischen Dänemark und Schweden ließen nicht lange auf sich warten. In den Karl Gustav-krigene (1655 – 1660), deren vier Feldzüge im deutschsprachigen Raum als Zweiter Nordischer Krieg zusammengefasst werden, kam Schweden sogar zwischenzeitlich in den Besitz der Provinz Trondheim. Im Frieden von Kopenhagen (1660) bekam Dänemark-Norwegen die Provinz jedoch wieder zurück. Im Store nordiske krig (Großer Nordische Krieg, 1700 – 1721) verlor Schweden schließlich seine Vormachtstellung im Ostseeraum. Dänemark-Norwegen kämpfte damals zwar an der Seite der siegreichen neuen Großmacht Russland, konnte aber keine Territorien von Schweden zurückgewinnen.

Einiges an Artillerie ist im Museumsbereich zur Frühen Neuzeit ausgestellt

Nach einer friedlicheren Zeit, in der Dänemark-Norwegen auf eine Neutralitätspolitik zwischen den europäischen Großmächten setzte, wurde man im frühen 19.Jahrhundert in die Koalitionskriege (1792 – 1815) hineingezogen. Hier stand man ab 1807 an der Seite Frankreichs und damit am Ende auf der Seite der Verlierer, während Schweden sich der Koalition gegen Napoleon Bonaparte angeschlossen hatte. Wie bereits im ersten Bericht aus Oslo erörtert, musste Dänemark nun Norwegen exklusive der ursprünglich norwegischen Territorien Island, Färöer und Grönland an Schweden abtreten. Die neue Union mit Schweden löste Norwegen wiederum 1905 und schlitterte so als souveräner Staat in den Ersten Weltkrieg (1914 – 1918). Norwegen erklärte sich für neutral, ließ die Briten jedoch erhebliche Teile der norwegischen Handelsflotte chartern. So war man indirekt doch Kriegspartei und verlor im Seekrieg rund die Hälfte seiner Handelsmarine.

Norwegische Matrosenuniform aus dem frühen 20.Jahrhundert

Als das nationalsozialistische Deutsche Reich im September 1939 den Zweiten Weltkrieg entfesselte, erklärte sich Norwegen abermals neutral. Nichtsdestotrotz wurde das Land am 9.April 1940 vom Deutschen Reich überfallen. Die großangelegte deutsche Landungsoperation Unternehmen Weserübung konnte man zwar nicht abwehren, aber zumindest wurde der deutsche Vorstoß auf Oslo soweit ausgebremst, dass die Königsfamilie und die Regierung noch rechtzeitig aus der Hauptstadt evakuiert werden konnten. Von Tromsø aus wurde in den nächsten Wochen der militärische Widerstand gegen die Wehrmacht koordiniert und insbesondere im Norden des Landes konnten mit britischer Unterstützung ein paar operative Erfolge erzielt werden. Doch die entscheidende Wende gelang nicht und am 7.Juni 1940 gingen die Königsfamilie, die militärische Spitze und die Regierung geschlossen ins Exil nach Großbritannien. Drei Tage später kapitulierte die norwegische Armee.

Kartenmaterial zum Unternehmen Weserübung

Während des deutschen Überfalls und vor allem später im Exil entwickelte sich König Håkon VII. von einem rein repräsentativen Staatsoberhaupt zu einem politischen Führer, der in London das enge Bündnis mit den Alliierten suchte, durch Radioansprachen die Moral des Volkes stärkte und zum Widerstand gegen die deutschen Okkupanten aufrief. Diese hatten wie überall in ihren besetzten Gebieten ein repressives Regime aufgebaut und eine Marionettenregierung eingesetzt. In Norwegen wurden die von Vidkun Quisling angeführten Faschisten der Nasjonal Samling die willfährigen Helfer der deutschen Nazis. Auch ein paar tausend Soldaten für die Waffen-SS konnten die Deutschen in Norwegen rekrutieren, doch wesentlich mehr Norweger organisierten sich gegen die Nazis und ihre Kollaborateure. Im Mai 1941 wurde schließlich eine Untergrundarmee namens Milorg aufgebaut, die über einen eigenen Nachrichtendienst verfügte, Sabotageaktionen durchführte und die Befreiung Norwegens zum Ziel hatte.

Im Forsvarsmuseet wird ein Geleitzuggefecht in einem großen Diorama dargestellt

Ferner gelang es den Norwegern einen Großteil der Handelsmarine vor dem deutschem Zugriff zu schützen und den Alliierten für die Geleitzüge aus den USA nach Europa zur Verfügung zu stellen. Rund 1.000 norwegische Schiffe fuhren in diesen Konvois mit kriegswichtigen Gütern als Ladung. Dabei ging durch deutsche Attacken mehr als die Hälfte der Flotte verloren und ungefähr 4.500 norwegische Seeleute ließen im Atlantik ihr Leben. Der Aufbau der alliierten Geleitzüge und die Strategien der attackierenden deutschen U-Boote, die nun teilweise von norwegischen Häfen aus im Nordatlantik operieren, werden dabei im Forsvarsmuseet ähnlich anschaulich aufbereitet wie die deutsche Invasion und die Besatzungszeit.

Darstellung eines norwegischen Soldaten im besetzten Deutschland

Mit den Sabotageakten in der Heimat, nachrichtendienstlichen Erkenntnissen und dem Einsatz seiner Flotte hatte Norwegen also einen Anteil am alliierten Sieg über das nationalsozialistische Deutsche Reich. Mit der Tysklandsbrigaden (Deutschlandbrigade) beteiligte sich Norwegen nun auch an der Besetzung Deutschlands. Insgesamt rund 50.000 norwegische Soldaten dienten zwischen 1947 und 1953 zunächst in Südniedersachsen und später in Schleswig-Holstein unter britischem Oberkommando. Ferner war Norwegen am 4.April 1949 Gründungsmitglied der NATO und engagierte sich mit seinen Streitkräften fortan in diesem Militärbündnis.

Einer der ab 1945 von Norwegen genutzten Panzer M24 Chaffee

Passend dazu beschäftigt sich die nächste Ausstellungsfläche unter dem Titel Totalforsvar og i kamp for fred (Totale Verteidigung und im Kampf für den Frieden) mit dem Zeitraum von 1945 bis 1989. Aufgrund der NATO-Mitgliedschaft gehörte die Sicherung der norwegisch-sowjetischen Landgrenze und der Seewege im Nordatlantik zu den Aufgaben der norwegischen Streitkräfte im Kalten Krieg. Außerhalb des eigenen Hoheitsgebiets nahmen die Norweger nach 1945 obendrein an einigen UN-Friedensmissionen und NATO-Militäroperationen teil. Insbesondere die Missionen seit 1990 (u. a. SFOR, KFOR und ISAF) haben im Forsvarsmuseet mittlerweile auch ihre museale Aufarbeitung gefunden, so dass auch ein Bild der gegenwärtigen Aufgaben und Anforderungen der Streitkräfte vermittelt wird.

Am Vortag im ehemaligen Industriequartier an der Akerselva

Nach gut drei Stunden im Museum ging es wieder an die frische Luft und der Regen hatte erfreulicherweise aufgehört. Nun wollte ich mir noch ein wenig die zeitgenössische Architektur Oslos anschauen. Am Vortag war ich bereits sehr begeistert, wie schön ein altes Industriequartier am Fluss Akerselva revitalisiert wurde. Dort fungiert eine alte Eisengießerei mittlerweile als Markthalle und drumherum ist ein topmodernes Wohnquartier mit etlichen Restaurants und Bars entstanden. Heute schaute ich mich wiederum nahe des Hauptbahnhofs um. Dort findet man u. a. das zwischen 2004 und 2008 nach Plänen des norwegischen Architekturbüros Snøhetta errichtete Operahuset (Opernhaus). Obendrein entstanden in der Nachbarschaft etliche moderne Hochhäuser, deren Ensemble den Beinamen Barcode bekommen hat.

Die neue Skyline von Oslo

Am späten Nachmittag rückte dann der absolute Höhepunkt des Tages näher. Um 18 Uhr sollte Vålerenga den alten Rivalen Lillestrøm SK zum großen Derby empfangen und gegen 16:30 Uhr stieg ich am Hauptbahnhof in die nächstbeste T-bana nach Helsfyr. Für 39 NOK (ca. 3,30 €) kam ich binnen 10 Minuten vom Stadtzentrum zu der dem Stadion nächstgelegenen Bahnstation. Von jener war es nochmal ein zehnminütiger Fußmarsch, so dass ich mich kurz vor 17 Uhr in die Schlange am Eingang meiner Tribüne einreihen konnte (ich hatte mich für 299 NOK, ergo rund 25 €, mittig auf der Gegengerade platziert).

Schon eine Stunde vor Anpfiff strömten die Fans ins Stadion

Der Andrang war groß, aber die Abwicklung ging schnell vonstatten. Denn es wurden lediglich die Tickets gescannt und auf sinnlose Leibesvisitationen verzichtete man. Bereits 17:05 Uhr war mein Ticket gescannt und knapp eine Stunde vor Spielbeginn herrschte schon eine Topstimmung auf den Rängen. Da ich Durst hatte und es noch eine gefühlte Ewigkeit bis zum Anpfiff war, machte ich nun allerdings den Fehler mich an einem der Verkaufskioske anzustellen. Das ging da so langsam voran, dass ich mehrfach überlegte im Zweifelsfall lieber zu verdursten. Erst recht nachdem offenbar Pyrotechnik gezündet wurde, als die Mannschaften zum Warmmachen erstmals auf den Platz kamen. Letztlich musste ich stolze 32 Minuten für zwei Cola à 35 NOK (ca. 3 €) anstehen (lieber gleich für beide Halbzeiten eingedeckt…). Aber weil jeder hier die Ruhe weg hatte, bewahrte ich sie auch.

Man möchte den Teams einen würdigen Empfang bereiten

20 Minuten vor Anpfiff saß ich nun mit meiner Zuckerbrause auf meinem Sitz und genoss die Gesänge der bereits komplett gefüllten Fanblöcke. Die Stadionregie hielt sich dabei erfreulicherweise bis 13,12 Minuten vor Anpfiff total im Hintergrund. Erst dann wurden die Aufstellungen durchgesagt und etwas Werbung und die Vereinshymne folgten. Als die Mannschaften schließlich aufliefen, zeigten beide Fanlager ihre Choreographien. Der Anhang des 1917 gegründeten Lillestrøm Sportsklubb (LSK) präsentierte sein Akronym per Papptafeln in den Clubfarben, während unterdessen vor der Heimkurve das Emblem von Vålerenga auf transparenter Folie hochgezogen wurde. Dahinter waren zunächst ebenfalls Pappen in den entsprechenden Clubfarben zu sehen, doch wenig später wurde ordentlich hinter den drei Buchstaben VIF gefackelt.

Choreographie im Gästesektor

Ferner waren Haupttribüne und Gegengerade mit Folienfähnchen in den VIF-Clubfarben ausgestattet worden. Grundsätzlich schon ein nettes Gesamtbild, aber bis eine Sekunde vor Anpfiff waren noch munter die Fontänen der Platzbewässerung im Einsatz und störten auf den Erinnerungsfotos. Dass ausgerechnet jetzt die Sonne nochmal kurz hinter den Wolken hervorkam, war ebenfalls nicht förderlich für die Bildqualität. Allerdings sollte sich bald herausstellen, dass die Choreographien sicher nicht das Denkwürdigste an diesem Abend sein würden.

Die Heimkurve zum Anpfiff

Denn diesem ausverkauften Derby am 4.Spieltag der noch jungen Saison war ein großartiger Spielverlauf vergönnt, der zwei grundsätzlich eh schon topmotivierte Fanlager zeitweilig völlig in Ekstase versetzen sollte. Obendrein habe ich über 90 Minuten noch nirgendwo Pyrotechnik in dieser Quantität erleben dürfen. Am Ende waren zehn große Pyroshows gezählt und grundsätzlich brannten eigentlich immer irgendwo ein paar Fackeln.

Der VIF-Anhang feiert die frühe Führung

Als erstes übertraf der LSK-Anhang gleich mal die Fackelei der Heimkurve zu Spielbeginn. Kaum rollte der Ball, brannte die komplette Hintertortribüne der Gäste (siehe Titelbild). Doch als Daniel Håkans in der 7.Minute das 1:0 für die Hausherren erzielte, wollten die Fans der 1913 gegründeten Vålerengens Idrettsforening (VIF) dem in nichts nachstehen. Nun brannte der Heimsektor wieder lichterloh und selbst in meiner Nachbarschaft wurde spontan gefackelt. Obendrein jubelte der Vorlagengeber Jatta schön provokativ vor dem Gästemob und stand nun zusammen mit seinen Mitspielern in einem Regen von zerknüddelten gelben Papptafeln.

Die Gästekurve nach dem 1:1

Bereits in der 16.Minute konnte der fünffache Meister (1959, 1976, 1977, 1986 & 1989) aus der Osloer Vorstadt Lillestrøm den Spielstand jedoch egalisieren. Mittelstürmer Thomas Lehne Olsen hatte das Leder aus 16 Metern unhaltbar im Torwinkel untergebracht und abermals loderte es flächendeckend loderte im Gästesektor. Außerdem stieg eine nette gelbe Rauchsäule in den Abendhimmel. Allerdings ließ sich die von Ex-96er Stefan Strandberg als Kapitän angeführte VIF-Elf weder vom Ausgleich, noch von irgendwelchen Mätzchen auf den Rängen beeindrucken.

Die Heimkurve zelebriert die neuerliche Führung

Ein Doppelschlag von Henrik Björdal (27.) und Seedy Jatta (30.) sorgte bald für ein komfortable 3:1 Führung. Selbstredend wurden beide Treffer mit etlichen Freudenfeuern von den Heimfans goutiert und Jatta ließ es sich erneut nicht nehmen den LSK-Anhang zu provozieren. Er feierte sein Tor direkt vor der schwarz-gelben Wand mit einem Tänzchen. Vielleicht ein bisschen unreif vom 20jährigen norwegischen U-Nationalspieler. Aber bei einem Derby mögen wir doch eigentlich alles, was die Atmosphäre noch weiter anheizt.

Die Heimkurve zu Beginn der 2.Halbzeit

Zu Beginn der 2.Halbzeit ließ es der Heimanhang in Sachen Tifo etwas lockerer angehen und nur ein paar vereinzelte Fackeln empfingen die wiederkehrende VIF-Mannschaft. Das LSK-Lager hatte dagegen etliche schwarze Rauchfackeln und diverse Bengalos entzündet. Zugleich wurden einige Single Shots abgefeuert, die über dem 2017 eröffneten Stadion von Vålerenga als knisternder Funkenregen niedergingen. Ich behaupte einfach mal, genau das hat den sprichwörtlichen Funken auf die Mannschaft überspringen lassen. Denn die legte einen Blitzstart hin und verkürzte gleich in der 46.Minute durch Akor Adams auf 3:2.

Die Lillestrømlinger beim Wiederanpfiff nach der Halbzeitpause

Spätestens jetzt entpuppte sich der Platzverweis für Vålerengas Simen Jukleröd in der 37.Minute als schwere Hypothek. Bis zur Pause hatte sich die Unterzahl noch nicht wirklich auf’s Spielgeschehen ausgewirkt, aber mit nur noch einem Tor Vorsprung musste sich der Ex-Club von u. a. Håvard Nielsen und Mohammed Abdellaoue endgültig vom Hurrafußball der 1.Halbzeit verabschieden. Nun war klar, dass der auf dem Papier sowieso leicht favorisierte Lillestrøm SK den Druck nochmal erhöhen würde und Vålerenga mit Mann und Maus verteidigen muss.

Vålerenga stand eine Halbzeit des Zitterns bevor

Interessanterweise hielt sich der ebenfalls fünffache Meister (1965, 1981, 1983, 1984 & 2005) in den traditionellen königsblauen Dressen lange schadlos. Entsprechend lief die Uhr gnadenlos gegen die Kanarifugla (Kanarienvögel) und um so erlösender für die Gästefans war der späte Ausgleich in der 89.Minute. Der eingewechselte Gjermund Asen hatte Vålerengas Schlussmann Magnus Smelhus Sjöeng aus kurzer Distanz getunnelt und schien kurz vor Abpfiff zum Man of the Match zu avancieren.

Die lebhafte Gästekurve zeigte der Mannschaft mal kurz den Rücken, aber zu keiner Zeit die kalte Schulter

Aber weil’s heute so schön war, gab es nochmal sechs Minuten on top und das 96.Pflichtspielduell dieser beiden Rivalen sollte in der 90+6.Minute tatsächlich noch entschieden werden. Eine Flanke von Philip Slördahl segelte halbhoch in den VIF-Strafraum und Akor Adams konnte freistehend zum Volleyschuss ansetzen. Das Leder zappelte im nächsten Moment ein weiteres Mal im Netz und die komplette Mannschaft nebst allen Auswechselspielern und Betreuern rannte vor die Gästekurve, um diesen späten Siegtreffer schreiend, springend und sich gegenseitig schüttelnd zu feiern.

Beim späten Siegtreffer brannte es natürlich nochmal lichterloh

In der Kurve rasteten natürlich auch alle aus und ruckzuck hatten wieder etliche Fans eine brennende Fackel in der Hand (siehe Video). Sollte sämtliche heute verfeuerte Pyrotechnik vom selben Händler stammen, muss das einer der reichsten Menschen Norwegens sein. Unglaublich, dass die Schlachtenbummler immer noch Vorräte gebunkert hatten und nach dem kurz darauf erfolgten Abpfiff schon wieder die nächsten Fackeln die Tribüne aufleuchten ließen.

Blockfahne nach Abpfiff

Außerdem hatte man für den Fall eines Derbysiegs noch eine Blockfahne im Gepäck. Inspiriert von den Looney Tunes, hatte darauf der gelbe Kanarienvogel Tweety den Kater Sylvester niedergestreckt. Als die Blockfahne wieder eingerollt war, wollte und sollte die Mannschaft nochmal ein ikonisches Erinnerungsfoto vor der Gästekurve schießen. Dieser Abend wird sich bei Spielern und Fans buchstäblich eingebrannt haben. Ein Spiel, ohne welches in Zukunft kein Vorbericht über dieses wahrscheinlich derzeit heißeste Derby Norwegens auskommen wird.

Die Derbysieger kommen in die Kurve

Ich war natürlich auch hochzufrieden und werde das Erlebte ebenfalls in meinen Kanon der unvergesslichen Fußballspiele aufnehmen. Klar, bei einem 0:0 wäre das auch auf den Rängen ein anderer Abend geworden, aber grundsätzlich hat dieses Derby im skandinavischen Vergleich enorm aufgeholt. Die Choreographien sind in Stockholm und Kopenhagen noch auf einem anderen Level, aber in Sachen Pyrotechnik und Support sind die Aufeinandertreffen von VIF und LSK mittlerweile auch eine Bank im Norden unseres Kontinents.

Erinnungsfotos für alle Beteiligten

20:15 Uhr verließ ich schließlich das Stadion als einer der Letzten von meiner Tribüne und wollte schnellstmöglich ins Hotel zurück. Mein Gehirn ist in Sachen Leistungsfähigkeit zwar noch halbwegs brauchbar, aber das war jetzt doch extrem viel zu verarbeiten. Da wollte ich bloß keine weiteren Reize, sondern mich in Ruhe mit dem Bild- und Videomaterial aus dem Stadion beschäftigen und vor allem möglichst viele Notizen für diesen Bericht niederschreiben.

Die Østbanehallen der Oslo Sentralstasjon

Zurück im Stadtzentrum hielt ich daher natürlich auch nicht mehr nach einer Einkehrmöglichkeit für’s Abendessen Ausschau. Stattdessen ging es einfach fix zum Burger King in der Sentralstasjon, wo zwei Double Cheeseburger à 30 NOK (2,55 €) eingetütet wurden. Hm, ich war in Deutschland lange nicht mehr bei Burger King. Aber kosten die da nicht sogar 2,99 € mittlerweile? Das Preisniveau in den Supermärkten war bisher ebenfalls nicht signifikant höher als im inflationsgeplagten Deutschland (jedenfalls bei von mir erworbenen Produkten wie Limonade, Knäckebrot und Kirschtomaten).

Alkohol ist hier allerdings wirklich so teuer, wie sie alle behauptet haben. Nur wozu brauche ich den, wenn ich mich an solchen Fußballspielen wie heute berauschen kann? Entsprechend geflasht ging es irgendwann gegen Mitternacht ins Bett, um wenigstens halbwegs ausgeschlafen am nächsten Morgen die Weiterreise nach Stavanger anzutreten.

Song of the Tour: Elektronisches aus Oslo