Essen 04/2023

  • 16.04.2023
  • Rot-Weiss Essen – SV Waldhof Mannheim 0:3
  • 3.Liga (III)
  • Stadion an der Hafenstraße (17.077)

Am 16.April fiel mir die Partie Rot-Weiss Essen gegen Waldhof Mannheim ins Auge. Schönes Duell zweier im Jahre 1907 gegründeter Traditionsvereine. Außerdem fehlte das neue Stadion an der Hafenstraße immer noch in meiner Sammlung, während ich vor über zwei Jahrzehnten wenigstens schon mal den legendären Vorgänger besucht hatte. Damals am 1.September 2002 unterlag der RWE dem Bayer 04 im DFB-Pokal mit 0:1 und ich erinnere mich, dass ich das Publikum und die gesamte Atmosphäre bei jenem Abendspiel an der Hafenstraße noch ganz weit weg von den Auswüchsen des modernen Fußballgeschäfts fand. Jetzt interessierte mich, ob das neue Stadion (2012 eröffnet) und die jüngsten Erfolge das Publikum ein Stück weit gentrifizieren konnten oder ob es da immer noch herrlich altbacken und asi zugeht.

Ich glaub‘ die wollen auch zum Stadion

Knapp 40 € wurden für An- und Anreise mit dem InterCity fällig und gegen 12 Uhr erreichte ich den Essener Hauptbahnhof. Gemeinsam mit vielen sicher sehr interessanten Biographien stand ich noch kurz im Lidl des Hauptbahnhofs für ein Erfrischungsgetränk an, ehe ich der Masse der RWE-Fans zum Abfahrtspunkt der Shuttlebusse zur Hafenstraße folgte. Dabei fiel auf, dass wirklich nahezu jeder Fan eine Pulle Stauder Pils spazieren trug. Am Vorwochenende fand ich in Nürnberg ganz witzig, dass die Biersorten der anreisenden Fans dank der fränkischen Biervielfalt breit gefächert waren. Hier wiederum war ich beeindruckt von der Symbiose Stauder & RWE. Teilweise baumelte an einem Arm der RWE-Fanschal und am anderen ein Fanschal von Stauder. Manche hatten sich sich gar die Insignien der Privatbrauerei aus dem Essener Norden mit Tinte unter die Haut gehen lassen.

Stell dir vor, du bist RWE-Fan. Da kannst du jeden Tag nur noch saufen!

Sportreporter Manfred „Manni“ Breuckmann

Wer motiviert war, schaffte auf der viertelstündigen Busfahrt vom Hauptbahnhof bis zum Stadion gleich zwei halbe Liter seiner Lieblingsbiermarke. An der Hafenstraße war wiederum das Stadionumfeld von unzähligen leeren Bierflaschen gepflastert. Wie gut, dass auch in Essen fleißige Pfandsammler für einen Verbleib der Flaschen im Mehrwegkreislauf sorgen. Ansonsten würden der Privatbrauerei Stauder nach Heimspielen von RWE wahrscheinlich regelmäßig Leergut-Engpässe drohen und temporär leere Verkaufsflächen im Handel könnten die Folge sein. Darauf würden höchstwahrscheinlich Unruhen in Essen und Umgebung folgen. Ein Teufelskreis!

Für die Fans wird es immer das Georg-Melches-Stadion bleiben

Wenn die Wegbiere beim Erreichen der Hafenstraße aufgezehrt sein sollten, sorgen eine Tankstelle und vor allem das Hafenstübchen für eine weitere Versorgung mit Stauder, ehe am Stadionvorplatz die üblichen Bierwagen die Aufrechterhaltung des Pegels sicherstellen. Allein schon, um nicht als Fremder aufzufallen, erwarb ich auch ein Gebinde der lokalen Bierspezialität und mit jenem in der Hand war nun Leute gucken angesagt. Klar, auch an der Essener Hafenstraße ist die Zeit nicht stehengeblieben, aber die Uhren ticken hier doch etwas langsamer als anderswo. Der raue Charme der Menschen aus dem Revier, insbesondere der hier einst so prägenden, aber leider erodierenden Arbeiterklasse, vermag bei RWE nach wie vor etwas mehr als bei den Branchenriesen aus der Nachbarschaft zur Geltung kommen.

RWE-Legende von Leergut umringt

Gegen 13:30 Uhr passierte ich dann vorfreudig den Stadioneingang und nahm auf der Haupttribüne Platz. Die Westtribüne – die nicht aus geografischen, sondern aus historischen Gründen so heißt – war bereits gut gefüllt und schmetterte erste Gesänge. Als die ebenfalls gerne mit Asozialität kokettierenden Waldhöfer in den Gästesektor strömten, kam es außerdem gleich zu ersten gegenseitigen Schmähungen. Die Polizei wusste um das Eskalationspotential am heutigen Nachmittag und war sehr präsent im Stadion und dessen Umfeld. Allerdings hatten einige Gästefans bereits auf der Anreise Gewalterfahrungen an der Autobahnraststätte Ohligser Heide sammeln dürfen. Fanbusse aus Mannheim und Darmstadt waren dort aufeinandergetroffen, da der SV Darmstadt 98 parallel bei Fortuna Düsseldorf gastierte. Die Folge war eine größere Keilerei, von der das entsprechende Bildmaterial bereits wenig später im Internet kursierte.

Rund 20.000 Besucher fasst das Stadion an der Hafenstraße

Während die Fans von der Stadionregie mit den Klassikern Steigerlied, Opa Luscheskowski und Oh RWE weiter in Stimmung gebracht wurden und auch erstmals das Gebimmel von Glockenhorst zu vernehmen war, studierte ich die Vorberichte. Bei RWE war ein wenig Unruhe unter der Woche, da man sich etwas überraschend vom bisherigen Sportdirektor Jörn Nowak getrennt hatte. Die Auftritte der Mannschaft waren in den letzten Wochen außerdem so mäßig (nur drei Siege in den letzten 17 Ligaspielen), dass eine gewisse Unzufriedenheit mit dem kickenden Personal und dem Cheftrainer in der Fanszene gärte. Zwar steht man gegenwärtig fünf Punkte über’m Strich, aber nach 14 Jahren in der Viert- und Fünftklassigkeit, will man natürlich auf keinen Fall wieder aus der 3.Liga absteigen und möglichst schnell die nötigen Punkte für den Klassenerhalt beisammen haben.

Am stimmungsvollsten ist es auf der West

Heute leistete sich die von Ex-96-Trainer Christoph Dabrowski ins Rennen geschickte Mannschaft allerdings einen unfassbar uninspirierten Auftritt. Klar, der SV Waldhof ist noch ins Aufstiegsrennen zur 2.Bundesliga involviert und sollte daher keine sportliche Laufkundschaft darstellen. Jedoch sind die Mannheimer chronisch auswärtsschwach (Erster der Heimtabelle, aber nur Siebzehnter der Auswärtstabelle) und lieferten auch heute keineswegs eine Glanzleistung ab. Weil der RWE indes völlig chancen- und ideenlos über den Rasen irrlichterte, gewannen die Kurpfälzer dennoch völlig ungefährdet. Nachdem Waldhofs Schnatterer mit einem abgefälschten Torschuss (31.Minute) für die Pausenführung gesorgt hatte, war kaum ein Aufbäumen gegen die Niederlage zu erkennen und Dabrowskis Wechselspielchen im Laufe der Partie blieben ebenfalls wirkungslos.

Die Gäste aus der Kurpfalz

Auch die anfangs gut aufgelegte Essener Fankurve passte sich der konfusen Darbietung ihrer Mannschaft an und nach dem 0:2 in der 52.Minute durch Adrian Małachowski übernahmen endgültig die knapp 900 Gästefans die Stimmungshoheit im heute von 17.077 Zuschauern besuchten Stadion an der Hafenstraße. Dabei hatten die Barackler freundschaftliche Unterstützung von Abordnungen der Sups Worms und der Ultras Frankfurt, während sich im Heimbereich wiederum etliche BVB-Fans unter den RWE-Anhang gemischt hatten.

Halbzeitsnack für zusammen 7 €

Eine Botschaft aus Essen an die internationalen Freunde aus Wien-Favoriten will ich auch nicht unterschlagen. Bekanntlich hatten sich bei der Austria gerade die Viola Fanatics nach über 20 Jahren Gruppengeschichte aufgelöst und der Abschiedsgruß aus dem Ruhrgebiet lautete: „Eure Liebe zur Austria kann Euch keiner nehmen. Für immer VF.“ Ironie des Schicksals: Ebenfalls heute präsentierten die Fans von Rapid beim Wiener Derby eine geklaute Blockfahne der VF-Jugendsektion Junge Legion, deren Verlust an den Erzrivalen die Viola Fanatics zur Auflösung bewegte.

Grüße von der Ruhr an die Donau

Auflösungserscheinungen zeigte in der Schlussphase der heutigen Partie ebenso die RWE-Mannschaft und das 0:3 in der 83.Minute durch Waldhofs Winkler fiel fast schon zwangsläufig. Auf der Haupttribüne und der Gegengerade verließen die ersten Fans das Stadion und wurden von den Kurpfälzern hämisch mit „Auf Wiedersehen“-Rufen verabschiedet. Auf der Westtribüne hingen die meisten Gruppen derweil ihre Zaunfahnen ab und skandierten Parolen wie „Wir ham‘ die Schnauze voll“ und „Dabro raus“. Nach Abpfiff bekamen Mannschaft und Betreuerstab dann auch einen entsprechend wütenden Empfang in der Kurve, während das Publikum auf den Geraden gnädiger auf das Gebotene reagierte. Es ist wohl ein gewisser Zwiespalt zwischen „Als Aufsteiger kann man bisher trotzdem zufrieden sein“ und „Wenn die nicht bald wieder die Kurve kriegen, steigen wir doch noch ab“.

Feiern durften heute nur die Kurpfälzer

In der Tabelle hat sich zwar trotz Niederlage nichts verschoben, aber der heutige Auftritt nährte keinen Optimismus für die Schicksalsspiele gegen die direkte Konkurrenz in den kommenden Wochen. Gleich nächstes Wochenende geht es nach Zwickau, dann kommt der VfB Oldenburg an die Hafenstraße und anschließend gastiert der RWE im Emsland beim SV Meppen. Wird in diesen drei Begegnungen nicht fleißig gepunktet, brennt endgültig der Baum im Essener Norden. Dass die Vereinsspitze bei gefährdeten Saisonzielen zur Not auch in letzter Sekunde noch entscheidungsfreudig ist, weiß dabei keiner besser als der heute siegreiche Waldhof-Trainer Christian Neidhart. Diesen Fußballlehrer hatte RWE letzte Saison zwei Spieltage vor Schluss freigestellt und der just ebenfalls geschasste Sportdirektor Jörn Nowak führte den Deutschen Fußballmeister von 1955 interimsweise zum Aufstieg.

Wenn’s weiter so schlecht läuft, brennt’s in Essen bald lichterloh

Nach dem Spiel blieb mir noch ein wenig Zeit in Essen und eigentlich hatte ich mir etwas Touristisches wie einen Streifzug durch den historischen Kern von Essen-Kettwig oder einen Besuch der Zeche Zollverein überlegt. Aber irgendwie war der RWE-Auftritt ansteckend. Ich war plötzlich nicht mehr bereit einen gewissen Mehraufwand zu betreiben, obwohl dieser bestimmt belohnt worden wäre. Stattdessen nahm ich die bereits bekannte Innenstadt ins Visier, weil das eben bequem auf dem Weg zum Hauptbahnhof lag.

Das Essener Münster

Der Essener Domschatz wäre nun noch eine Visite wert gewesen, aber dessen Museum schloss bereits um 17 Uhr die Pforten. Nichtsdestotrotz schaute ich nochmal ins benachbarte Essener Münster hinein, wo mit dem um das Jahr 1000 aus Bronze gegossenen Siebenarmigen Leuchter eines bedeutendsten Kunstwerke des Frühmittelalters auf deutschem Boden ausgestellt ist. Zur Essener Stadt- und Kulturgeschichte will ich jetzt allerdings nicht ausholen, denn das habe ich bereits letzten Sommer getan. Wer mehr zur Stadtgeschichte und auch der Historie von Rot-Weiss Essen aus meiner Feder lesen will, führt sich einfach mal den Bericht Essen 07/2022 zu Gemüte.

Dieser Leuchter hat sieben Arme und RWE hatte heute elf Armleuchter

Da ich im Laufe des Tages lediglich Currywurst mit Pommes frites im Stadion gegessen hatte, musste ferner vor Abfahrt noch ein Abendessen in der Ruhrmetropole her. Letztlich lockte mich gegen 17:30 Uhr der Balkan-Hof in seinen langgezogenen und nahezu fensterlosen Gastraum. Der Aushang „Tagesangebot: Mix-Grill 13,90 €“ hatte auf dem Trottoir meine Aufmerksamkeit erregt und hinter der schweren Eingangspforte erwartete mich nichts Unerwartbares. Ich hatte diesen mindestens einen Jugo oder Griechen einer jeden westdeutschen Großstadt gefunden, dessen Innenstadtlokal in einem profanen Geschäftsgebäude der Nachkriegszeit nahezu gänzlich ohne Tageslicht auskommen muss.

Ich werde essen niemals vergessen…

Dafür sorgen Holzbalken unter der Decke, gemauerte Rundbögen und etwas Nippes in jeder Nische für eine besondere Form von Gemütlichkeit und Geborgenheit. Denn gemessen an kosmischen Maßstäben, haben wir bekanntlich vorgestern noch in Höhlen gehaust und deshalb fühlt sich der moderne Homo sapiens in derlei Raumkonzepten grundsätzlich immer noch gut aufgehoben. Auch spricht natürlich die Grillkost der südosteuropäischen Gastwirte unsere Urinstinkte an. Die auf offenem Feuer gegarte Jagdbeute kommt extra mit möglichst unaufdringlichen Begleitern auf den Tisch. Ein gemischter Salat, Pommes und / oder Reis stehlen dem Fleisch gewiss nicht die Show, während Zwiebeln und eine pikante Sauce sich selbstlos dafür opfern dem Grillgut weitere Würze zu verleihen.

Streetart in der grauen Essener Innenstadt

Michelinsterne werden zwar schwerlich am Grillrost errungen, aber der von Fleischeslust getriebene Gast weiß genau was er vom südosteuropäischen Grill- und Steakhaus erwarten darf und wenn die Qualität der Einkäufe passt, kann die Küche selbst an schlechteren Tagen kaum noch für enttäuschte Gesichter sorgen. Ich lächelte auch, als ich für den soliden Grillteller und ein Stauder vom Fass inklusive 13,12 % Trinkgeld faire 20 € entrichtete. Anschließend ging’s zurück zum Hauptbahnhof und 18:29 Uhr wurde die knapp vierstündige Heimfahrt angetreten. Nächstes Wochenende gucke ich mir dann mal wieder eine Trümmertruppe an, die RWE in Sachen Formkrise locker die Show stiehlt. Natürlich mit diversen Pullen Herrenhäuser als Betäubungsmittel.

Song of the Tour: Schöner kann’s nicht mehr werden…