Firenze (Florenz) 02/2023

  • 05.02.2023
  • ACF Fiorentina – Bologna FC 1909 1:2
  • Serie A (I)
  • Stadio Artemio Franchi (Att: 30.546)

Nicht mal am Sonntag konnte ich in meiner so genannten Urlaubswoche ausschlafen. Denn weil ich heute möglichst viel Zeit im vorletzten Urlaubsort Firenze (Florenz) verbringen wollte, hatte ich wie am Vortag den Zug um 8:58 Uhr gen Bologna gebucht (4,30 €). Eine Stunde vorher wurde nochmal köstlich und ausgiebig im Hotel Phi Canalgrande (****) zu Modena (Muden) gefrühstückt, ehe ich letztlich um 8:40 Uhr auscheckte. Es ging nun auf kürzestem Wege zum 1,6 km entfernten Bahnhof, wo der Zug und ich simultan eintrafen.

Ausblick von der Dachterrasse meiner Unterkunft

In Bologna war ich 27 Minuten später und hatte nun eine komfortable Viertelstunde für den Umstieg in den Schnellzug Frecciargento. Binnen 37 weiteren Minuten transportierte dieser mich nach Firenze (17,90 €). Ich kam in der Hauptstadt der Toskana (ca. 380.000 Einwohner) am zentralen Bahnhof Santa Maria Novella an und von dort war meine Unterkunft Residenza Conte di Cavour (***) keinen Kilometer entfernt (49 € für eine Übernachtung mit Frühstück). Nach den Formalitäten und kurzer Wartezeit, war mein Zimmer sogar bereits um 11 Uhr bezugsbereit. Die Wartezeit vertrieb ich mir übrigens auf der aussichtsreichen Dachterrasse der Unterkunft, ehe das Gepäck fix im ebenfalls schicken Zimmer abgestellt wurde und nun die touristischen Höhepunkt der Stadt riefen.

Auf dem Weg zum Dom

Gleich in der Nachbarschaft der Unterkunft war die Galleria dell’Accademia mit dem berühmten David von Michelangelo zu finden. Vielleicht kommt man da in der Nebensaison vormittags ausnahmsweise ohne nennenswerten Zeitverlust hinein? War eine vergebliche Hoffnung. Denn die Schlange zog sich einmal um den Häuserblock und ich reimte mir 30 bis 45 Minuten Wartezeit zusammen. Da ich den originalen David und die weiteren Kunstwerke dieser altehrwürdigen Akademie (1563 eröffnet) bereits bei der letzten Toskanareise begutachtet hatte, verzichtete ich darauf mich einzureihen.

Basilica di San Lorenzo (15.Jahrhundert)

Stattdessen steuerte ich den mir ebenfalls bereits bekannten Dom Santa Maria del Fiore an. Das aus wirklich jedem Winkel fesselnde Meisterwerk der frühen Renaissance wurde einmal von mir umrundet, um dann festzustellen, dass die Kathedrale leider nicht nur während der just endenden Heilige Messe, sondern den ganzen Sonntag ihre Pforten für Touristen geschlossen hatte. So fiel der unerlässliche Revisit zunächst aus. Aber ebenfalls kein Beinbruch, da noch so viel weiteres auf meiner Liste stand. Und selbst wenn das auch alles geschlossen oder überlaufen wäre, könnte ich mich einfach stundenlang beim Flanieren am Stadtbild erfreuen. Es ist schließlich Firenze!

Unterwegs in den Gassen der Altstadt

Angeblich war der Antrag auf Eintragung der Altstadt von Firenze ins UNESCO Welterbe im Jahre 1982 sogar ohne Begründung erfolgt. Dass dieser Ort ein kulturelles Erbe wie kaum ein zweiter darstellt, bedurfte wahrscheinlich tatsächlich keiner Debatte oder Diskussion. Der Eintrag ist letztlich aber doch wortreich ausgefallen. Da Firenze vom 14. bis zum 17. Jahrhundert eine wirtschaftliche und politische Macht ersten Ranges in Europa war, sei es laut UNESCO in diesen Jahrhunderten regelrecht mit prestigeträchtigen Gebäuden überhäuft worden. Entsprechend sei der Stadtkomplex an sich schon ein einzigartiges Meisterwerk.

Mercato del Porcellino (Markthalle aus dem 16.Jahrhundert)

Dazu hebt die UNESCO den dominierenden Einfluss auf die Entwicklung der Architektur und der bildenden Künste in zunächst in Italien und anschießend in ganz Europa hervor. In Firenze nahm die Renaissance ihren Ursprung und hier wirkten begnadete Künstler und Genies ihrer Zeit wie Brunelleschi, Donatello, Michelangelo und da Vinci. Daher befände sich in Firenze die größte Konzentration an Kunstwerken von Weltruf und die Architektur spiegele die Macht und den Reichtum der Medici und anderer angesehener Familien eindrucksvoll wider. Exemplarisch werden u. a. die Kathedrale Santa Maria del Fiore, die Ponte Vecchio, die Piazza della Signoria mit dem Palazzo Vecchio und der Galleria degli Uffizi, sowie die Kirchen San Lorenzo, Santa Maria Novella, Santa Croce und das Kloster San Marco genannt. Aber die Liste ist noch viel länger und umfasst etliche weitere Kirchen, Museen und Palazzi.

Der Palazzo Vecchio

In der Stadt am Arno kann man als Kulturreisender also sehr lange auf seine Kosten kommen. Ich war immerhin kein Erstbesucher, doch nichtsdestotrotz fühlte es sich vor Ort plötzlich frevelhaft an, dass ich nicht wenigstens das gesamte Wochenende hier verbringen würde. Andererseits hatten sich die Abstecher nach Modena und Ferrara auch als großartig entpuppt. Anstatt im Nachhinein mit der Planung einer bisher grandios verlaufenen Reise zu hadern, genoss ich also schlicht die Stunden, die mir bis zur morgigen Weiterreise blieben. Einfach mit offenen Augen durch die Stadt flanieren und mitnehmen, was sich auf dem Weg anbietet.

Der David auf der Piazza della Signoria

Den Dombesuch würde ich eben am morgigen Vormittag nachholen und von Michelangelos David sollten mir eh noch zwei originalgetreue Nachbildungen über den Weg laufen. Die erste an ihrem ursprünglichen Aufstellungsort auf der Piazza della Signora, die zweite auf der aussichtsreichen Piazzale Michelangelo. Das dortige Panorama (siehe Titelbild) war den Aufstieg meines Erachtens auch mehr wert, als noch eine Replika dieses nackten Mannes. Zumal sich dem Besucher hier offenbart, wie schön Firenze obendrein in die Landschaft der Toskana eingebettet ist.

Die Ponte Vecchio

Dort oben ersann ich mir außerdem einen Plan für den späten Nachmittag. Erste Anlaufstelle wurde die weltberühmte und mir noch unbekannte Galleria degli Uffizi mit ihren kostbaren Gemälden aus der Renaissance. Doch abermals schreckte mich eine lange Warteschlange ab und für diesen Fall hatte ich mir die Basilica di Santa Croce als Alternative ausgeguckt. Dort war der Andrang tatsächlich sehr moderat, so dass ich nach kurzer Wartezeit 8 € Eintrittsgeld entrichten durfte. Ich befand mich nun in der größten Franziskanerkirche der Welt, welche im Wesentlichen zwischen 1295 und 1385 erbaut wurde und wie der Dom Santa Maria del Fiore auf Entwürfe von Arnolfo di Cambio zurückgeht. Zugleich ist es die letzte Ruhestätte von in dieser Stadt wirkenden Geistesgrößen wie Leonardo Bruni, Galileo Galilei, Niccolò Machiavelli, Michelangelo und Gioachino Rossini.

Der Triumphbogen an der Piazza della Repubblica (19.Jahrhundert)

Dazu hat man Gedenktafeln und Kenotaphen für zahlreiche weitere große Italiener wie Dante Alighieri, Leonardo da Vinci, Guglielmo Marconi und Enrico Fermi installiert. Die Kirche fungiert also auch als Ruhmeshalle des italienischen Volkes, welches ähnlich wie die das deutsche Pendant erst seit gut 150 Jahren in einem Nationalstaat zusammen lebt. Der Rückgriff auf der eigenen Nation zugerechneten Größen der letzten zwei Jahrtausende war dann im 19.Jahrhundert nördlich wie südlich der Alpen einer der Baustoffe für’s Nation-building.

Der Altar in der Basilica di Santa Croce

Die entsprechenden Grabmäler und Kenotaphen in der Basilica di Santa Croce sind jedes für sich schon bedeutende Kunstwerke. Dazu erwarteten mich Fresken, Skulpturen und Gemälde von Meistern wie Giotto, Donatello oder Vasari. Diese hohe Konzentration von Kunstwerken geht dabei auf die reichen Bankiersfamilien der Stadt zurück, die sich in der Renaissance Seiten- und Nebenkapellen in der Basilica di Santa Croce gönnten und mit deren Ausschmückung die größten zeitgenössischen Künstler betraut wurden. Wer hat, der kann…

Das Grab von Michelangelo

Nach diesem Abstecher in die hohe Kunst meldete sich so langsam die Fußballkultur an (18 Uhr war Anpfiff bei der Fiorentina). Und überraschenderweise spendierte mir der Besuch der Basilica di Santa Croce auch noch mal die perfekte Überleitung zum Calcio. Denn auf der Piazza di Santa Croce bildet die Basilika zusammen mit weiteren schönen Fassaden einmal im Jahr die Kulisse für den berühmten wie berüchtigten Calcio Fiorentino (Calcio storico). Einem seit dem 15.Jahrhundert bezeugten Ballsport, der aus moderner Sicht einer wilden Mischung aus Fußball, Rugby und MMA gleichkommt.

L’Ultima Cena von Giorgio Vasari

Je 27 Männer repräsentieren dabei jährlich im Juni in historischer Kluft und traditionellen Farben die vier Stadtteile Santa Croce (blau), Santa Maria Novella (rot), Santo Spirito (weiß) und San Giovanni (grün). Eröffnet von einem Festumzug und flankiert von einem Volksfest, kämpfen jene 108 Calcianti in zwei Halbfinals und einem Endspiel erbittert um diese prestigeträchtige Stadtmeisterschaft und begeistern dabei seit Jahren nicht nur ihre Mitbürger, sondern auch immer mehr Touristen aus aller Welt.

Im Garten der Basilica di Santa Croce

Dieser historische Calcio hatte auch während der Renaissance die Massen elektrisiert und selbst Angehörige der edelsten Familien wie der Medici gingen ihm nach. Mit der Zeit fiel er allerdings aus der Mode und das vorerst letzte Spiel ist im Jahre 1739 bezeugt. Erst als englische Kaufleute im späten 19.Jahrhundert ihren Fußball nach Italien brachten, rief das den Italienern ihre artverwandten Ballspiele wieder in Erinnerung. Manche stolze Stiefelbewohner waren gar geneigt die Wiege des immer populärer werdenden Footballs in Italien zu sehen. Im Sprachgebrauch setzte sich deshalb Calcio durch und die 1898 gegründete Federazione Italiana del Football (FIF) benannte sich 1909 in Federazione Italiana Giuoco Calcio (FIGC) um.

Piazza di Santa Croce

Nach der Machtergreifung der Faschisten im Jahre 1922 geriet der zum Volkssport aufgestiegene Calcio zwangsläufig in ihren ideologischen Fokus. Vereinsnamen wurden italienisiert (aus Football Clubs wurden reihenweise Associazioni Calcio) und die Legende vom italienischen Ursprung des Sports, mit Rückgriff bis hin zu den Ballspielen des Römischen Reiches, wurde weiter unterfüttert. Mit Alessandro Pavolini belebte außerdem Firenzes prominentester faschistischer Politiker den Calcio storico neu. Nach fast 200 Jahren Pause wurde 1930 das erste Mal wieder auf der Piazza di Santa Croce nach dem alten Regelwerk aus der Renaissance um den Ball und die Ehre gerungen. Dass die Wiedergeburt dieser Tradition so eng mit dem Faschismus verbunden ist, wird im Sinne der internationalen Vermarktung jedoch selten thematisiert.

Der Palazzo dell’Antella an der Piazza di Santa Croce

Zuvor hatte sich Pavolini bereits ähnlich umtriebig für den Calcio moderno gezeigt. Zusammen mit seinem finanzkräftigen Parteifreund Luigi Ridolfi initiierte er 1926 den Zusammenschluss der Fußballabteilungen von Club Sportivo Firenze (1903) und Palestra Ginnastica Libertas (1912) zur Associazione Calcio Fiorentina. Ziel war der Aufbau eines national konkurrenzfähigen Fußballclubs in Firenze, welcher der selbstbewussten Stadt bisher noch fehlte. Während Ridolfi erster Präsident der Fiorentina wurde, fungierte Pavolini als sein Vize und zusammen schoben sie den Bau eines Großstadions an. Pünktlich zu Fiorentinas erstmaligem Einzug in die Serie A wurde dieses im September 1931 als Stadio Giovanni Berta eröffnet und mit seiner damaligen Kapazität von 55.000 Plätzen auch gleich bei der WM 1934 als Spielstätte berücksichtigt.

Die Curva Fiesole kurz vor Anpfiff

Wenig überraschend war dieser Berta ebenfalls ein Faschist (1921 von Kommunisten ermordet und deshalb für die italienischen Faschos natürlich ein Märtyrer), so dass das Stadion ab 1945 vorerst Stadio Communale hieß. Nach der WM 1990, bei der es leicht modernisiert erneut als Spielstätte fungierte, wurde es schließlich in Stadio Artemio Franchi umbenannt (von 1967 bis 1976 Präsident der FIGC und von 1973 bis 1983 Präsident der UEFA). Die Drehkreuze dieses Stadions passierte ich am heutigen Abend um 17:45 Uhr (25 € für ein Ticket auf der Haupttribüne) und der Himmel über ihm leuchtete kurz nach Sonnenuntergang wie bestellt für einen Moment in violett.

Die Gäste aus Bologna

Am Umstand, dass der Hausherr sich einer der größten Anhängerschaften des Landes erfreuen darf, hatte jener Artemio Franchi übrigens auch einen Anteil. Denn bevor Franchi hohe nationale und internationale Ämter bekleidete, hatte er als Vereinsfunktionär große Erfolge der Fiorentina begleitet. In Franchis Ära ab 1948 gewann der Club 1956 seine erste italienische Meisterschaft und zum ersten nationalen Pokalsieg (1940) gesellten damals zwei weitere (1961 und 1966). Krönung war jedoch der Gewinn des 1961 erstmals ausgetragenen UEFA Cup Winners‘ Cup.

Das gegenwärtig 43.147 Zuschauer fassende Stadio Artemio Franchi

In den überaus erfolgreichen 1960er Jahren – nach Franchis Aufstieg in die Verbandsspitze wurde 1969 noch die zweite und bisher letzte Landesmeisterschaft gefeiert – bildeten sich mit den Vieussex und den Settebello auch die ersten ultraorientierten Fangruppen auf den Rängen. Beide existieren tatsächlich bis heute, obwohl die Szene bald von anderen Gruppen dominiert werden sollte. Zuvorderst von den 1973 gegründeten Ultras Viola, die vom über die Stadtgrenzen hinaus sehr respektierten Il Pompa (bürgerlich Stefano Biagini) angeführt wurden. Die Gruppe musste sich allerdings 1983 auflösen und die Führung der Curva Fiesole übernahm das Collettivo Autonomo Viola, dass sich 1978 von den Ultras Viola abgespalten hatte.

Gehört dieser betagte Vermummte vielleicht zu Vieussex oder Settebello?

Zwar gab das CAV im Jahre 2011, sprich kurz nach Einführung der Tessera del tifoso, ebenfalls seine Auflösung bekannt. Aber die Kurve, deren zahlreiche Gruppen sich mittlerweile hinter dem Banner 1926 – Curva Fiesole gesammelt haben, ist weiterhin geprägt von den Leitmotiven der Ultras Viola und des Collettivo. Die Identifikation mit den Symbolen und der Geschichte der eigenen Stadt, die natürlich meist zum guten Ton in einer italienischen Kurve gehört, ist dabei in Firenze nochmal einen Tick ausgeprägter als anderswo. In der mitunter politisch sehr polarisierten italienischen Fanlandschaft schlägt man außerdem weder nach rechts, noch nach links aus. Die politische Gesinnung der Fanfreunde scheint in der Hauptstadt der Toskana deshalb ebenfalls nicht relevant zu sein. Bereits seit 1969 kann mit gut mit den Tifosi von Torino (eher linkes Spektrum) und seit 1976 existiert gleichsam eine enge Bande mit der ziemlich rechtslastigen Kurve von Hellas Verona.

Die Gegengerade mit dem markanten Torre di Maratona

Heute sollte es dagegen überhaupt nicht freundschaftlich zugehen. Mit Bologna war eine der in Firenze meistgehassten Szenen ins Stadio Artemio Franchi gekommen und um 18 Uhr wurde die 146.Auflage des Derby dell’Appennino angepfiffen. Da sich keiner der ebenfalls verhassten toskanischen Rivalen dauerhaft in der Serie A etablieren konnte, entwickelten die jährlichen Duelle mit dem FC aus dem rund 100 km entfernten Bologna eine besondere Brisanz. Fast immer von schönen Kurvenshows begleitet, häufig jedoch auch von Ausschreitungen überschattet. Insbesondere in den wilden 1970er und 1980er Jahren, deren schlimmster Auswuchs wohl ein Molotowcocktailanschlag auf die Bolognesi im Jahre 1989 war. Das bezahlte der damals 14jährige Ivan Dall’Olio durch schwerste Verbrennungen beinahe mit seinem Leben.

Banner der Bologneser Ultraszene

Heute war jedoch nicht mit Choreographien zu rechnen und Ausschreitungen waren auch eher unwahrscheinlich. Insbesondere die Gäste, die aus Sicherheitsgründen nur 1.800 anstatt der möglichen 2.800 Tickets bekamen, standen im Fokus der Exekutive. So gelang es laut Medienberichten mittels peniblen Kontrollen bei vier Ultras in der Unterwäsche versteckte Pyrotechnik ausfindig zu machen. Umgehend wurden vier einjährige Daspo (Stadionverbote) verhängt. Auf der Heimseite sorgten wiederum 25 im vergangenen Herbst erteilte mehrjährige Stadionverbote und damit einhergehende Meldeauflagen für anhaltende Proteste. Ihre Stimme schonen die Ultras zwar nicht, aber es hängen aus Solidarität für die Ausgesperrten keine Banner mehr in der Kurve und Choreographien hat die Curva Fiesole logischerweise ebenfalls zur Zeit nicht auf der Agenda.

Die unbeflaggte Curva Fiesole

Auf den Rängen herrschten dementsprechend denkbar schlechte Voraussetzungen für ein denkwürdiges Derby dell’Appennino. Leider brannte der Rasen auch nicht wirklich, aber ein wenig historisch wurde es dennoch. Einem verwandelten Strafstoß von Orsolini (9.Minute) und einem Kopfballtreffer von Posch (47.) hatte die Viola nur den zwischenzeitlichen Ausgleich durch Saponara (22.) entgegenzusetzen. Damit gewann Rossoblù zum ersten mal seit über 13 Jahren wieder im Stadio Artemio Franchi. Außerdem darf der siebenfache Meister (zuletzt 1964) als Neunter mit mittlerweile 29 Punkten so ein bisschen vom internationalen Wettbewerb träumen. Vom 7.Platz, der unter Umständen für die Qualifikation reichen könnte, trennt die Bolognesi gegenwärtig nur ein Punkt. Entsprechend gut gelaunt verließen Forever Ultras & Co das Stadion nach der kleinen Siegesfeier mit ihrer Mannschaft.

Die Bolognesi freuen sich

Fiorentina (24 Punkte) fällt dagegen auf Rang zwölf. Zwar ist der Vorsprung auf die Abstiegsplätze weiterhin zweistellig, aber der Unmut der Tifosi war nach Abpfiff trotzdem sehr sichtbar und lautstark zu vernehmen. Obwohl man im Pokalhalbfinale vor der lösbaren Aufgabe US Cremonese steht und es diese Saison in der UEFA Europa Conference League ebenfalls noch weit gehen könnte. Im Kerngeschäft Serie A hat man allerdings nur einen Sieg in den letzten sechs Spielen geholt. Dazu wurde nun das erste von drei für die Kurve prestigeträchtigen Duellen hintereinander verloren. Denn nächstes Wochenende geht es zu Juve, dem absoluten Hassgegner Nr. 1 der Tifoseria der Fiorentina, und anschließend kommt der FC aus der Nachbarstadt Empoli ins Stadio Artemio Franchi.

Pappardelle al ragù di cinghiale

Da ich als Kind in den 1990er Jahren in der Serie A am meisten mit der Fiorentina sympathisierte (die hatten nämlich Batistuta im Sturm und Nintendo auf der Brust), wünschte ich dem zweifachen Meister und sechsfachen Pokalsieger natürlich alles Gute für die kommenden Aufgaben. Mögen sie dabei genauso viel Glück haben, wie ich nach Abpfiff bei der Auswahl des Restaurants hatte. Denn das erwählte La Ghiotta lag nicht nur relativ günstig auf meinem Weg zurück ins Centro storico, sondern offerierte leckere Speisen zu gemessen am hiesigen Niveau niedrigen Preisen.

Tagliata di Manzo con Rucola e Grana

Mein Primo wurden Pappardelle al ragù di cinghiale (Bandnudeln mit zartem Wildschweinragout) für 10 € und als Secondo wählte ich Tagliata di Manzo con Rucola e Grana (auf Rucola gebettete Steakstreifen vom Rind mit frisch gehobeltem Grana Padano und Olivenöl) für 17 €. Beides sehr köstlich und beides typische Gerichte der Region. Zusammen mit einem Glas Vino della casa, einem Caffè lungo zum Abschluss und dem obligatorischen Coperto wurde faire 32 € aufgerufen. Sehr zufrieden ging es anschließend auf einen nächtlichen Verdauungsspaziergang durch die mittlerweile fast menschenleere Altstadt.

Nachts am Dome zu Florenz

Am nächsten Morgen verlockte das eher bescheidene Frühstücksangebot meiner Unterkunft nicht wirklich, so dass es nach einem Cappuccino und einen Toast mit Käse bereits um 8 Uhr zurück auf’s Straßenpflaster ging. Ein schöner Morgenspaziergang endete schließlich um 10 Uhr auf der Piazza del Duomo. Obwohl die Cattedrale metropolitana di Santa Maria del Fiore erst zur Minute ihre Pforten öffnen sollte, hatte sich bereits eine ordentliche Warteschlange gebildet und gute 15 Minuten musste ich mich noch bis zu meiner Einlasskontrolle gedulden. Aber eigentlich ist das Anstehen hier angenehm und sinnvoll. Kann man nämlich ideal nutzen, um die Fassade mit all ihren Details zu studieren.

Das Baptisterium San Giovanni ist die Taufkirche des Doms und wurde wahrscheinlich bereits im 11.Jahrhundert errichtet

Die Westfassade ist dabei übrigens weitgehend eine neogotische Schöpfung aus dem 19.Jahrhundert. Denn das ursprünglich gotische Westwerk der 1296 begonnenen Kathedrale, war den reichen Fiorentini in der Renaissance nicht mehr ausreichend repräsentativ. Daher trug man die erste Fassade im 16.Jahrhundert ab und begann die Umsetzung eines imposanteren Entwurfs. Mit dem wirtschaftlichen Niedergang der Stadt im 17.Jahrhundert, fehlten jedoch die Mittel zur Fertigstellung der neuen Fassade. Erst zwischen 1876 und 1887 wurde schließlich ein neogotischer Entwurf von Emilio De Fabris umgesetzt.

Fensterrosette, Apostelgruppe und Madonna an der Westfassade des Doms

Schon vor der Neuschöpfung der Fassade hatte sich der Dom im 14. und 15.Jahrhundert vom Ursprungsentwurf des 1302 gestorbenen Baumeisters Arnolfo di Cambio emanzipiert. Denn das neue Selbstbewusstsein der im Spätmittelalter immer mächtiger werdenden Stadt verlangte nach mehr Glanz und Größe. So wurde Giotto 1334 zum neuen Dombaumeister berufen und entwarf u. a. den 84 Meter hohen und 1359 vollendeten Campanile (Glockenturm). Ferner wurde der im Wesentlichen 1367 fertiggestellte Dom komplett mit Marmor verkleidet und Künstler wie Donatello, Andrea del Castagno und Paolo Uccello schufen schmuckvolle Fenster und Monumente.

Der Campanile von Giotto

Als Krönung dieses Monumentalbauwerks, wurde auf Betreiben der Medici im 15.Jahrhundert schließlich noch die gigantische Kuppel nach Entwürfen von Filippo Brunelleschi realisiert. Trotz ihrer Ausmaße von 45 m im Durchmesser und 107 m in der Höhe, wurde sie dank Brunelleschis revolutionären Doppelschalenentwurf freitragend errichtet. Sie gilt deshalb gemeinhin als einer der architektonischen Höhepunkte der Renaissance und verlangte nach ihrer baulichen Vollendung natürlich noch nach einer angemessenen künstlerischen Gestaltung. Diese erfolgte zwischen 1572 und 1579 mit opulenten Fresken von Giorgio Vasari und Federico Zuccari, die auf ca. 4.000 m² das Jüngste Gericht darstellerisch aufgreifen.

Die Fresken der Domkuppel

Nachdem diese Chef d’Œuvre spätmittelalterlicher bzw. frühneuzeitlicher Kunstfertigkeit ausreichend auf mich gewirkt hatten, juckte es mir natürlich in den Fingern. Eigentlich reicht eine reine Beschreibung des Bauwerks nicht aus. Ich müsste es auch in den historischen Kontext seiner Zeit setzen und nochmal mehr auf die Stadtgeschichte eingehen. Entstehung der Repubblica Fiorentina nach dem Tod von Matilde di Toscana (Mathilde von Tuszien) 1115, Schlacht von Campaldino 1289, allgemein der Gegensatz von Guelfen (Welfen) und Ghibellinen (Waiblingern) im mittelalterlichen Reichsitalien (würde auch prima an die vorangegangenen Berichte anknüpfen), Cosimo de Medicis Machtübernahme 1434, das Bankwesen der Medici und letztlich die Entstehung des Granducato di Toscana (Großherzogtum Toskana)… Aber 11:36 Uhr fuhr mein Zug nach Verona (Welsch-Bern) und die Fahrt war zu kurz, um ein ganzes Buch zu schreiben. 😉

Song of the Tour: Please listen to some funky dance music from Firenze