Verona (Welsch-Bern) 02/2023

  • 06.02.2023
  • Hellas Verona FC – SS Lazio 1:1
  • Serie A (I)
  • Stadio Marcantonio Bentegodi (Att: 20.329)

Wie im vorigen Bericht bereits angeteasert, fuhr ich am Montagmorgen um 11:36 Uhr von Firenze (Florenz) nach Verona (Welsch-Bern). Nach bisher bescheidener Nahrungsaufnahme am heutigen Tag, war jene Zugfahrt ideal für ein zweites Frühstück mit Pangoccioli, Clementina und Limonata. Außerdem konnten die 96 Minuten im Schnellzug Frecciargento (16,90 €) für ein paar Notizen in meinem Reisetagebuch genutzt werden. Damit dem Leser am Ende bloß kein unnützes Wissen vorenthalten werden muss.

Schnelle Mahlzeit im noch schnelleren Fortbewegungsmittel

Planmäßig um 13:12 Uhr erreichte ich Verona (ca. 260.000 Einwohner) am Fern- und Hauptbahnhof Porta Nuova und binnen weniger Minuten stand ich an der Rezeption des gebuchten Hotel Ark (****). Eine Übernachtung in einem der Hotelkategorie angemessenen Zimmer kostete mich dort inklusive Frühstück faire 85 €. Der gebotene Komfort wurde natürlich begrüßt, doch in erster Linie hatte ich das Hotel wegen seiner Lage ausgewählt. Es befindet sich nämlich 500 Meter nördlich vom besagten Hauptbahnhof, 1.000 Meter östlich vom Stadio Marcantonio Bentegodi und 1.000 Meter westlich von der ins Welterbe der UNESCO eingetragenen historischen Altstadt.

Der Ausblick von meinem Hotelfenster

Ferner liegt das Hotel direkt an der Porta Palio. Ein historisches Stadttor aus dem 16.Jahrhundert, als Verona in seiner venezianischen Epoche neu und zeitgemäß befestigt wurde. Nach dem Durchschreiten lag nun die schnurgerade Stradone Porta Palio vor mir, die früher Teil der antiken Via Postumia war und somit zielsicher zu den römischen Wurzeln der Stadt führen würde. Also folgte ich dem Straßenverlauf und fand nach einem knappen Kilometer nicht nur die mittelalterliche Burganlage Castelvecchio (14.Jahrhundert), sondern auch den Arco dei Gavi vor. Ein im 1.Jahrhundert n. Chr. für das Geschlecht der Gavier errichteter römischer Ehrenbogen. Wenig später folgte mit der gut erhaltenen Porta Borsari das einstige Haupttor der Stadt. Dieses wurde ab 49 v. Chr. erbaut. Sprich unmittelbar nachdem Verona zum Municipium erhoben wurde und die Veronesi somit die römischen Bürgerrechte erhielten.

Arco dei Gavi

Bei den antiken Bauwerken werden Arco dei Gavi und Porta Borsari jedoch zweifelsohne von der Arena di Verona in den Schatten gestellt (siehe Titelbild). Dieses ebenfalls sehr gut erhaltene Amphitheater wurde um 30 n. Chr. errichtet und ist damit rund ein halbes Jahrhundert älter als das weltbekannte Colosseo in Roma. In den Dimensionen übertraf das Colosseo zwar die Arena di Verona, aber mit 138 m Länge, 109 m Breite und 24 m Höhe steht hier immerhin das drittgrößte noch erhaltene römische Amphitheater (zwischen Colosseo und Areni di Verona finden wir in der Liste das Anfiteatro campano in Capua).

Porta Borsari

In der Antike hatte die Arena di Verona sogar noch etwas größere Dimensionen. Aber nachdem der Ostgotenkönig Theoderich die Stadt 489 n. Chr. erobert hatte, ließ einen Teil der Arena abtragen, um eine neue Stadtmauer zu bauen. Jener Theoderich sollte übrigens im Hochmittelalter zur berühmten Sagenfigur Dietrich von Bern stilisiert werden. Bern ist wiederum seit Alters her der alte deutsche Name Veronas. Um Verwechslungen mit dem erst im späten 12.Jahrhundert gegründeten anderen Bern zu vermeiden, wurde Verona im deutschsprachigen Raum später entweder Welsch-Bern oder Dietrichsbern genannt, ehe in sich in der jüngeren Neuzeit auch im deutschen Sprachgebrauch mehr und mehr der italienische Stadtname durchsetzte.

Teilansicht der Arena

Für literarischen Stoff taugte aber nicht nur die antike Stadtgeschichte. William Shakespeares Romeo and Juliet (Romeo & Julia) spielt bekanntermaßen im mittelalterlichen Verona. Die vielleicht berühmtesten Liebenden der Weltliteratur gehören in jenem Werk zwei verfeindeten Nobelfamilien namens Montague (Romeo) und Capulet (Julia) an. Zwar sind Familien namens Montecchio und Capuleti sogar historisch belegt, aber die Tragödie ist völlig frei erfunden. Keine Quelle deutet belastbar auf eine größere Fehde dieser beiden Familien hin und von einem Romeo Montecchio oder einer Giulietta Capuleti gibt es ebenfalls keinerlei Zeugnis.

Das romanische Hauptportal des Doms (12.Jahrhundert)

Nichtsdestotrotz kann man sich bei einer näheren Beschäftigung mit der mittelalterlichen Stadtgeschichte durchaus eine Tragödie dieser Art vorstellen. Im späten 12. und frühen 13. Jahrhundert rangen beispielsweise die Montecchi und die Sambonifacio um die Vorherrschaft in Verona. Wie in vielen italienischen Städten war der lokale Adel bei den zeitgenössischen Machtkämpfen zwischen Kaiserthron und Heiligem Stuhl gespalten. Parteigänger des Kaisertums nannte man Ghibellini (Waiblinger) und jene des Papstes Guelfa (Welfen). Ihre innerstädtischen Konflikte wurden häufig blutig ausgetragen und die Wohnsitze der einzelnen Familien entwickelten sich zwangsläufig zu wehrhaften Burgen innerhalb der Stadtmauern.

Die Piazza delle Erbe ist seit der Antike zentraler Marktplatz

In Verona konnten sich letztlich die ghibellinischen Montecchi gegen die guelfischen Sambonifacio durchsetzen, da erstere in den 1230er Jahren externe Unterstützung von Ezzelino III da Romano bekamen. Jener ghibellinische Feudalherr der Marca Trevigiana (Mark Treviso) veranschaulicht wiederum, dass Geschlechter aus Opportunismus jederzeit die Seiten wechseln konnten. Ezzelino war nämlich zunächst im guelfischen Lager, schloss sich jedoch 1232 den Ghibellini an, weil er sich davon eine erhebliche Ausdehnung seines Machtbereichs versprach. Mit dem Segen des Kaisers Friedrich II. (HRR) wurde Ezzelino ab 1236 schließlich Herr über Verona, Vicenza und Padova. In Verona vertrieb er die papsttreuen Sambonifacio aus der Stadt, während die kaisertreuen Montecchi von ihm mit Pfründen und Ämtern versorgt wurden.

Das Castelvecchio

Nach Ezzelinos Tod (1259) wählten die Veronesi Mastino della Scala zum neuen Stadtoberhaupt. Die della Scala (Scaligeri) waren ebenfalls Ghibellini und als Parteigänger des Kaisers konnten sie die Macht in Verona fast 130 Jahre in Familienhand behalten. Unter ihnen erfuhr Verona eine große Blütezeit. Gewinne aus dem Wollhandel ermöglichten den Scaligeri eine rege Bautätigkeit im 13. und 14.Jahrhundert. So entstand mit der Basilica di Santa Anastasia ab 1290 die größte Kirche Veronas. Zwischen 1354 und 1357 wurden außerdem das Castelvecchio und die Ponte Scaligero errichtet und innerhalb der Stadtmauern entstanden einige neue Handels- und Adelspaläste.

Die Ponte Scaligero über die Adige (Etsch)

Nachdem die Scaligeri in den 1380er Jahren allerdings einige militärische Mißerfolge erlitten, witterten oppositionelle Familien eine Chance zum Machtwechsel und vertrieben mit Hilfe der mächtigen Visconti aus Milano (Mailand) die Scaligeri im Jahre 1387 aus Verona. Mit dem Tod des milanesischen Herzogs Gian Galeazzo Visconti (1402) endete der lombardische Einfluss im Veneto jedoch abrupt und die expandierende Repubblica di Venezia (Republik Venedig) nutzte die günstige Gelegenheit, um sich endlich auch ihr Hinterland bis an den Alpenrand untertan zu machen.

Das Deckengewölbe der Basilica di Santa Anastasia

Erst als die Repubblica di Venezia den Napoleonischen Kriegen (1792 – 1815) zum Opfer fiel, endeten vier prägende venezianische Jahrhunderte in Verona. Im Wiener Kongress (1815) wurde die Stadt schließlich Teil des neugeschaffenen Regno Lombardo-Veneto (Königreich Lombardo-Venetien) und unterstand damit der österreichischen Krone. Die neuen Herren bauten Verona in den folgenden Jahrzehnten zu einer mächtigen Festungsstadt aus. Aber auch das verhinderte nicht, dass die Habsburger das Veneto 1866 im Zuge des Terza Guerra d’Indipendenza Italiana (Dritter Italienischer Unabhängigkeitskrieg) an den erst fünf Jahre zuvor konstituierten italienischen Nationalstaat abtreten mussten.

Die Scaligeri stifteten sich prachtvolle Grabmäler

In den vergangenen 150 Jahren gelang es der Stadt nicht nur ihr reiches historisches Erbe, sondern auch die fiktive Geschichte von Romeo und Julia touristisch äußerst erfolgreich zu vermarkten. Bereits im 18. und 19.Jahrhundert waren europäische Adlige und weitere Prominenz im Rahmen ihrer Grand Tour nach Verona geströmt. Nicht wenige hatten Shakespeares Romeo and Juliet im Reisegepäck und wollten das Schauspiel nun mit visuellen Eindrücken des vermeintlichen Schauplatzes anreichern. Als der Tourismus im 20.Jahrhundert schließlich zum Massenphänomen wurde, erschufen die Veronesi in den 1930er Jahren eine Casa di Romeo (Haus des Romeo), eine Casa di Giulietta (Haus der Julia) und eine Tomba di Giulietta (Grab der Julia) als Pilgerorte für die von der tragischen Liebesgeschichte bewegten Gäste der Stadt.

Der vermeintliche Balkon der Julia

Giuliettas Grabstätte hat man in einer ehemaligen Klosteranlage inszeniert. Für die Casa di Romeo wählte man wiederum ein wunderschönes und zinnenbewehrtes Haus aus dem 14.Jahrhundert, welches allerdings in Privatbesitz blieb und daher nur von außen betrachtet werden kann. Das ebenfalls mittelalterliche Gebäude der heutigen Casa di Giulietta konnte dagegen von der Stadt erworben werden. Es war allerdings in den 1930er Jahren in einem schlechten Zustand. Doch aus Überresten von abgerissenen mittelalterlichen Palazzi bekam das Haus gotische Portale und Fensterbögen spendiert, sowie nachträglich einen Balkon an die Fassade montiert. Jetzt sieht die Casa di Giulietta so anmutig aus, wie es die Touristen erwarten und wird von ihnen jährlich millionenfach fotografiert. Wer lange Schlangen nicht scheut, kann das Haus gegen Entgelt außerdem auch von innen besichtigen und ein Selfie auf dem vermeintlichen Balkon knipsen (der eigentlich ein zweckentfremdeter mittelalterlicher Sarkophag ist).

Der neoklassizistische Palazzo Orti Manara (1794)

Da ich heute mit den hiesigen mittelalterlichen Kirchen schon genug Pilgerorte für Fans von fiktiven Geschichten besichtigt hatte, schaffte es das Innere der Casa di Giulietta allerdings nicht mehr auf meine Tagesordnung. Ich pilgerte am späten Nachmittag lieber zum 1963 eröffneten Stadio Marcantonio Bentegodi. Dort sollte um 18:30 Uhr das Montagabendspiel der Serie A zwischen Hellas Verona FC und SS Lazio angepfiffen werden. Ich hatte ein Ticket für die Gegengerade erworben (13 €) und freute mich am letzten Abend meiner Italienreise noch ein drittes Stadion der für mich biografisch so prägenden WM 1990 zu kreuzen.

Ausblick vom Castel San Pietro auf die von der Adige (Etsch) umschlungene Altstadt

Das Bentegodi, welches im Vorfeld der damaligen Fußballweltmeisterschaft seine erste und bisher letzte größere Modernisierung erfuhr, ist auch tatsächlich eine wahre Stadionperle. Es ersetzte 1963 einen gleichnamigen Stadionbau an anderer Stelle. Das alte Bentegodi (1910 eröffnet) befand sich unweit der antiken Arena an der Piazza Cittadella. Für den Neubau verließ man den Stadtkern und wählte stattdessen ein Grundstück im Stadtteil Borgo Milano. Nah am Hauptbahnhof Porta Nuova und mit guter Anbindung an das Fernstraßennetz. Ein modernes Stadion, welches mit seinem elliptischen Entwurf allerdings eine deutlich erkennbare Brücke zur antiken Arena di Verona schlug. Für einen damaligen Zweitligisten wirkte das Stadion mit 40.000 Plätzen zwar zunächst überdimensioniert, aber Hellas standen die goldenen Zeiten der Vereinsgeschichte erst noch bevor.

Ein Stadion wie eine Arena

Die im Jahr 1903 von Primanern des Gymnasiums Scipione Maffei gegründete Associazione Calcio Hellas, deren Name wiederum dem Griechisch-Pauker der Pennäler zu verdanken war, hatte bis dato nur in der Saison 1957/58 an der Serie A teilnehmen können. 1968 durfte im neuen Stadion der zweite Aufstieg in die Eliteklasse des italienischen Fußballs gefeiert werden. Hellas fuhr fortan etwas Fahrstuhl, aber Mitte der 1980er Jahre stießen die Gialloblù in die nationale Spitze vor. Als Aufsteiger gelang 1982/83 der 4.Platz in der Serie A und der Einzug ins Endspiel der Coppa Italia. In der kommenden Saison bestätigte man die überraschende Leistung mit einem 6.Platz in der Liga und einem weiteren Finaleinzug in der Coppa.

Der größte Tag in der Geschichte von Hellas Verona

Mit Hellas war plötzlich zu rechnen und ein Jahr später setzte sich die von Osvaldo Bagnoli geformte Elf um Claudio Garella, Roberto Tricella, Hans-Peter Briegel, Antonio Di Gennaro und Preben Elkjær Larsen die Krone auf. Hellas wurde 1985 sensationell italienischer Fußballmeister. Die bisher einzige Meisterschaft der Vereinsgeschichte ist dabei auch noch auf andere Weise einzigartig. Denn seit Einführung der Serie A (1929) haben außer Hellas sonst nur Teams aus Hauptstädten der italienischen Regionen den Scudetto errungen (Hauptstadt des Veneto ist Venezia).

Die Gästekurve am heutigen Abend

Die erfolgreichen 1980er Jahre waren natürlich auch das prägendste Jahrzehnt für die Fankurve. Diese wurde seit 1971 von der Brigate Gialloblù angeführt, die höchstens in den Anfangsjahren als unpolitisch durchging. Nach kurzer Zeit zog sie rechte Skinheads magisch an und nachdem man 1976 Freundschaft mit den Headhunters des Chelsea FC schloss, orientierte sich das Auftreten außerdem stark an den englischen Hooligans. Als die Brigate Gialloblù jedoch mehr und mehr ins Visier der italienischen Justiz geriet, löste sie sich schließlich nach zwei Jahrzehnten voller Ausschreitungen und anderer Entgleisungen im Jahre 1991 offiziell auf. Ihr Geist, ihre Symbolik und ihr Leitspruch Noi odiamo tutti (Wir hassen alle) wirken allerdings bis heute in der Curva Sud nach.

Die Curva Sud

Wobei der angeblich universelle Hass natürlich Ausnahmen kennt. Die enge Freundschaft zur Fiorentina existiert ebenfalls bereits seit 1976 und funktioniert trotz politischer Differenzen. Mit Triestina und dem heutigen Gast Lazio haben die Freundschaften dagegen ein politisches Fundament und international sind neben Chelsea auch die Fans des 1.FC Kaiserslautern gern im Bentegodi gesehen. Besonders hassen tut man in Verona unterdessen alle regionalen Rivalen (allen voran den Erzfeind Vicenza Calcio), sämtliche Szenen aus dem Süden (insbesondere Napoli) und natürlich auch die großen drei Juve, Milan und Inter. Dazu hat man logischerweise eine Abneigung gegen alle explizit linken Fanszenen des Landes. Den Lokalrivalen Chievo nimmt man dagegen nicht ernst genug, um ihn wirklich zu hassen.

Auch auf der Gegengerade wurde Stimmung gemacht

Visuell pflegt die Fanszene gemeinsam mit dem Verein eine starke Identifikation mit der Geschichte Veronas. Blau und gelb sind auch die Stadtfarben und sowohl die beiden Mastini (Mastiffs), als auch die Scala (Leiter) sind Symbole der Scaligeri. Neben Il gialloblù sind daher Mastini und Scaligeri weitere Synonyme von Fans und Verein. Die in der Szene salonfähige faschistische Ideologie hat wiederum ebenfalls eine lange und besondere Tradition in Verona. Nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich die Stadt schnell einer der ersten Hochburgen dieser neuen politischen Bewegung. Viele Veronesi wurden zu Camicie nere (Schwarzhemden) und der faschistische Diktator Benito Mussolini konnte hier bis zuletzt auf treue Gefolgsleute bauen. Als der nach einem Staatsstreich im Juli 1943 inhaftierte Mussolini von einem deutschen Kommandounternehmen befreit wurde und ein neuer faschistischer Marionettenstaat im weiterhin von der Wehrmacht kontrollierten Nord- und Mittelitalien errichtet wurde, spielte Verona fortan eine zentrale Rolle.

Die Ästhetik einer rechten Kurve

Zwar war der formelle Regierungssitz dieser Repubblica Sociale Italiana (RSI) die Kleinstadt Salò am Lago di Garda (Gardasee), aber heimliche Hauptstadt wurde das nahe Verona. Hier fand im Herbst 1943 der erste Parteitag von Mussolinis neuer Partito Fascista Repubblicano (PFR) statt und hier wurde das Manifesto di Verona verabschiedet, was als Gründungsakt der Repubblica Sociale Italiana gilt. Dazu wurden mehrere Ministerien der RSI in Verona angesiedelt und im Castelvecchio fand im Januar 1944 der große Schauprozess gegen Unterstützer des Staatsstreichs statt. Sieben abgefallene Gefolgsleute, darunter Mussolinis Schwiegersohn Galeazzo Ciano, wurden wegen Hochverrats zum Tode verurteilt. Zwar wurde Mussolini ein gutes Jahr später ebenfalls hingerichtet, doch in Verona blieb der Faschismus auch nach 1945 besonders virulent. Die Stadt war in den vergangenen Jahrzehnten häufig Keimzelle und zugleich Experimentierfeld für neue rechte Parteien oder Strukturen.

Die Laziali feiern die Führung

Dabei gelang es Organisationen wie Movimento Sociale Italiano, Ordine Nuovo, Fronte della Gioventù,, Forza Nuova, Veneto Fronte Skinhead oder Fortezza Europa immer wieder auch Mitglieder und Sympathisanten in der Fanszene von Hellas zu gewinnen. Umgekehrt gehören Hakenkreuze, Keltenkreuze oder die Losung „Gott mit uns“ seit Jahrzehnten zum optischen Erscheinungsbild der Kurve. Rechtspopulisten und Rechtsextremisten haben in Verona wiederum einige Wahlerfolge feiern dürfen und waren lange an der Stadtregierung beteiligt. Von 2007 bis 2017 stellte beispielsweise Matteo Salvinis rechtspopulistische Lega Nord (LN) den Bürgermeister, anschließend von 2017 bis 2022 Giorgia Melonis postfaschistische Fratelli d’Italia (FdI). Aber auch in Verona ist politisch nichts in Stein gemeißelt. Während ein Rechtsbündnis um FdI und LN vergangenes Jahr sogar die neue italienische Staatsegierung bilden durfte, ging ausgerechnet die rechte Hochburg Verona kommunalpolitisch verloren. Seit 2022 steht der parteilose Ex-Hellas-Profi Damiano Tommasi einer neuen Mitte-Links-Stadtregierung als Bürgermeister vor.

Nochmal die Curva Sud

Den guten Tommasi werden die Stiernacken mit den „Gott mit uns“-Shirts sicher nicht gewählt haben, aber er konnte wahrscheinlich dennoch viele Stimmen von Stadiongängern abgreifen. Zumal Tommasi die Konfrontation mit den rechten Strömungen in der Fanszene bisher tunlichst vermieden hat und lieber betonte, dass früher alles noch schlimmer war und sich schon viel gebessert habe. In jedem Fall dürften die Fans und der Bürgermeister ein gemeinsames Interesse daran haben, dass dem abstiegsbedrohten sportlichen Aushängeschild der Stadt ein neuerlicher Gang in die Serie B erspart bleibt. Fünf Punkte betrug der Abstand zum retten Ufer beim heutigen Anpfiff, 90 Minuten später waren es immerhin nur noch vier.

Nacht über dem Stadion

Zwar hatte Pedro den favorisierten Vierten aus der Hauptstadt in der 45.Minute verdient in Führung gebracht. Aber ein weiterer Torjubel war der gut gefüllten Gästekurve – auf deren Gruppen und Geschichte ich dann irgendwann anders näher eingehe – nicht vergönnt. Stattdessen kam den Scaligeri sechs Minuten nach Wiederanpfiff zugute, dass ihre Ultras mittlerweile nicht mehr bei jeder geplanten Verpflichtung eines Spielers mit dunklerer Hautfarbe Sturm laufen (ist das die positive Entwicklung, die Tommasi meinte?). Sonst hätte sich die Clubführung vor 14 Tagen vielleicht nicht die Dienste eines belgischen Stürmers mit kongolesischen Wurzeln sichern können, der nun in seinem zweiten Einsatz für Hellas sein erstes Tor erzielte. Cyril Ngonges Ausgleichstreffer sollte dann auch das letzte Tor an diesem Abend bleiben. Obwohl Hellas danach weiter Druck machte und die Laziali erst recht nicht mit nur einem Punkt zufrieden schienen.

Bigoli al ragù d’asino

Nach meinem Abschlussspiel der Reise musste natürlich auch ein Abschlussessen her, aber im Stadionumfeld fand ich keine guten Optionen. Ich musste wohl oder übel das nahe Hotel nochmal links liegen lassen und ein Stück ein Richtung Altstadt gehen. Kurz vor’m Castelvecchio wurde ich schließlich in einer Seitengasse fündig. In der Osteria La Vela entschied ich mich nun für zwei typisch veronesische Gerichte. Mein Primo sollten Bigoli al ragù d’asino (Pasta mit Eselragout) werden und als Secondo kam Arrosto di faraona (Rollbraten vom Perlhuhn mit Kräuterfüllung) auf den Tisch. Beides lecker, allerdings war mir das hiesige Ambiente schon einen Tick zu urig und für in einer PET-Flasche serviertes Wasser und Gewürze in der Handelsverpackung muss es deutliche Abzüge in der B-Note geben. Aber Essen wie gesagt lecker und die betagte Betreiberfamilie war obendrein sehr herzlich. Einen Espresso auf’s Haus gab es auch noch, bevor ich die fälligen 31,50 € entrichtete. Primo 10 €, Secondo 16 €, Vino 2,50 €, Acqua 1,50 € und Coperto ebenfalls 1,50 €, wenn ich es richtig in Erinnerung habe. Ich glaube für Veronas Zentrum ist das ganz okay.

Arrosto di faraona

Am kommenden Morgen hatte ich schnell das nächste Besteck in der Hand. Denn ab 8 Uhr widmete ich mich dem reichhaltigen Frühstücksbuffet des Hotels. Ein langer Reisetag stand bevor, da wollte ich bei der einzigen richtigen Mahlzeit des Tages natürlich nicht auf dem Teller geizen. Ferner strahlte heute die Sonne, was mir am regnerischen Vortag nicht vergönnt war. Ich beschloss deshalb vor dem stundenlangen Sitzen in der Bahn auch etwas für die Bewegungsstatistik zu tun und lief binnen 96 Minuten nochmal alle Sehenswürdigkeiten des gestrigen Tages für schönere Fotos ab. Weil Sie, werter Betrachter, es mir wert sind! 😉

Ein letztes Frühstück im Urlaub

So kam ich bis zur Abreise wenigstens auf knapp 12.000 Schritte, ehe es um 11:01 Uhr für 32,90 € via München (und Göttingen) zurück nach Hildesheim ging. Die insgesamt zehnstündige Bahnfahrt wurde nun nicht nur genutzt, um schon mal einiges von der Reise niederzuschreiben, sondern auch für einen Kassensturz. Insgesamt kam ich am Ende für alle Bahnfahrten (und den FlixBus von Genève nach Milano) auf ca. 210 €. Zehn Übernachtungen mit Frühstück in guten Mittelklassehotels kosteten wiederum rund 850 €. Ein bisschen mehr als 1.000 € für einen elftägigen Urlaub in der Schweiz und Italien klingt doch eigentlich ganz okay. Mein erster längerer Urlaub als Alleinreisender war also von den Grundkosten gar nicht so teuer und vor allem war mir trotz meines Hangs zur Geselligkeit nicht eine Minute langweilig. Eher musste ich zwischendurch beim Programm sogar etwas abspecken. Die bereisten Städte hatten einfach zu viel zu bieten und in Stress sollte der Urlaub natürlich auch nicht ausarten. Stattdessen war „Mensch, du wirkst ja richtig gut erholt“ eine zutreffende Feststellung an meinem ersten Arbeitstag nach der Reise.

Song of the Tour: Mit schönen Lied aus dem Jahr 1979 entließ mich Hellas in die Nacht