Modena (Muden) 02/2023

  • 03.02.2023
  • Modena FC – Cagliari Calcio 2:0
  • Serie B (II)
  • Stadio Alberto Braglia (Att: 9.921)

Mein sechster Reisetag sollte mich nach dem Frühstück von Milano (Mailand) zum Lago di Como (Comer See) führen. Gerade einmal 5 € (one way) kostet das Ticket, welches einen binnen 45 Minuten aus der mitunter hektischen Millionenstadt an einen großen und idyllischen See am Alpenrand transportiert. Nach fünf ereignisreichen Tagen mit interessanten Fußballspielen, viel Kultur und obendrein ordentlich Kilometern in den Beinen, war mir auch mal nach einer kleinen Auszeit. Schön die erste Hälfte der Tour und auch einige andere Dinge der letzten Zeit reflektieren und danach hoffentlich wieder voll aufnahmefähig für die restliche Reise sein.

Spaziergang durch Lecco

An meinem Zielort Lecco schaute ich zwar kurz beim hiesigen Fußballstadion vorbei und befand, dass ein Spielbesuch allein schon wegen des Panoramas hinter den Tribünen lohnen würde. Auch flanierte ich anschließend nett durch die historische Altstadt. Aber eigentlich wollte ich nur zum See. Wann Lecco gegründet wurde, wer hier im Mittelalter der Babo war und wann die hiesige Basilika gebaut wurde, interessierte mich mal ausnahmsweise nicht. Nur wie hoch der verdammt hohe Kirchturm ist, musste ich dann doch recherchieren. 96 m! Als hätte ich’s geahnt.

Hier ließ ich die Seele baumeln

Doch das einzige Gebäude was ich in Lecco betreten habe, war ein Obst- und Gemüseladen. Schön ein paar Clementinen gekauft, die ich mittags am Seeufer in der Sonne naschte und dabei die Kerne ins Wasser spuckte. Nach ein paar Stunden die Seele baumeln lassen, spazierte ich noch ein Stündchen am Ufer entlang und um 17:01 Uhr fuhr ich für abermals 5 € zurück nach Milano.

Der Comer See

In der Hauptstadt der Lombardei ging es dann schnurstracks in den Untergrund. Heute war zwar kein Fußballspiel auf der Agenda, aber die EuroLeague des professionellen Basketballsports hatte eine Ansetzung in Milano. Der 1936 gegründete italienische Rekordmeister Olimpia Milano (29 Titel) empfing KK Crvena zvezda aus Beograd (Belgrad). Die wiederum haben 22 jugoslawische und serbische Meistertitel im Briefkopf stehen und sind damit seit Sommer 2022 auch endlich alleiniger Basketballrekordmeister in Serbien (ergo aktuell mit einem Titel mehr als der ewige Rivale Partizan). In der EuroLeague dümpeln allerdings beide Rekordmeister zur Zeit in der unteren Tabellenhälfte rum (Zvezda ist Dreizehnter und Olimpia Siebzehnter).

Am Naviglio Grande

Doch bevor ich die Mehrzweckhalle Mediolanum Forum im Süden Milanos für das „Kellerduell“ der EuroLeague aufsuchte, machte ich noch einen Stopp im Stadtteil Navigli. Das von den alten Handelskanälen Naviglio Grande und Naviglio Pavese begrenzte Quartier hat eine hohe Dichte an Bars und anderen Gaststätten zu bieten und daher war es keine Überraschung, dass sich die serbischen Schlachtenbummler dort auf das Basketballspiel einstimmten. Alles ohne sichtbare Polizeipräsenz und wahrscheinlich deshalb erst recht ganz entspannt.

Belgrader Kneipenmob

Gegen 19 Uhr machte sich Mob auf zur Metro und erreichte wenig später die Halle. Dort wurden die Serben nun von massiver Polizeipräsenz empfangen und die Fantrennung konsequent durchgesetzt. Nur für Italiener und so Touris wie mich öffnete sich die Polizeikette in Richtung Haupteingang des Mediolanum Forum. Nebenbei eine ganz schicke Sport- und Veranstaltungshalle (rund 12.500 Zuschauerplätze bei Basketballspielen), die 1990 eröffnet wurde und noch nicht nach einem Raumschiff oder sonstwie futuristisch ausschaut.

Mediolanum Forum

Ich hatte 13 € für ein Ticket bezahlt und teilte mir die Halle nun mit 8.996 weiteren Zuschauern, wovon bestimmt ein Viertel zum KK Crvena zvezda hielt. Neben der für die Serben vorgesehenen Hinterkorbtribüne, waren auch auf den beiden Längsseiten genug erkennbare Fans der Gastmannschaft zugegen. So wunderte ich mich nur kurz, dass sich um mich herum italienische und serbische Flüche abwechselten. Der etatmäßige Fanblock lieferte unterdessen einen stimmgewaltigen Support über die gesamte Spieldauer und die Oberbekleidung blieb auch nicht den ganzen Abend am Leib.

Knapp 10.000 wohnten dem Duell der Rekordmeister bei

Anders als jüngst in Berlin, wo ich ALBA gegen KK Partizan besucht hatte (Vgl. Berlin 10/2022), hielten sich hier die Musikeinlagen und Zwischenrufe des Hallensprechers in moderaten Grenzen, so dass die Stimmung aus dem Fanblock tatsächlich genossen werden konnte. Selbst die Milanesi hatten ein kleines Häufchen lautstarker Unterstützer hinter dem Banner Ultras Milano versammelt. Aber die Kollegen waren der serbischen Wand am anderen Hallenende natürlich hoffnungslos unterlegen.

Stabiler Gästesektor

Dafür durften die Italiener am Ende wenigstens über den Sieg jubeln. Olimpia gehörte die erste Spielhälfte und insbesondere ein dominantes zweites Viertel (23:14) schuf ein komfortables Polster für den Rest der Korbjagd. Da half auch nicht mehr, dass La Stella Rossa das dritte und vierte Viertel für sich entscheiden konnte. Der Entstand hieß 74:68 und weil die Serben Italien anscheinend nicht mit leeren Händen verlassen wollten (bereits am Dienstag hatte man Bologna 84:72 verloren), reiste noch eine Abordnung weiter nach Rom. Dort überfielen sie am Samstag die Fedayn der AS Roma nach deren Heimspiel gegen Empoli und konnten dabei eine Tasche mit den Bannern dieser altehrwürdigen Ultragruppe erbeuten.*

Der serbische Enthusiasmus wurde nicht auf der Punktetafel belohnt

Ich hatte nach Spielende zwar die letzte Nacht in Milano vor mir, aber meine italienische Woche war ebenfalls noch nicht am Ende. Denn Freitag ging’s weiter nach Modena (Muden). Doch bevor ich von der Lombardei in die Emilia-Romagna aufbrach, genoss ich noch ein letztes Mal das Frühstücksbuffet im B&B Hotel Milano Central Station (***). Anscheinend hatte man sich meine Kritik zu Herzen genommen. Es gab doch noch Salame Milano in der Aufschnitttheke und die Würstelscheiben waren kross angebraten. Ich sah heute morgen beim Buffet nur in glückliche Gesichter und es fühlte sich einfach toll an, dass ich die Welt offenbar ein Stückchen besser gemacht habe. Some heroes don’t wear capes…

L’ultima colazione (a Milano)

10:21 Uhr war schließlich Abfahrt meines EuroCity nach Modena (9,90 € inklusive Sitzplatzreservierung). Es handelte sich dabei um einen modernen Giruno der Schweizerischen Bundesbahnen, der erst seit 2019 zum Rollmaterial der SBB gehört und seitdem hauptsächlich den Schweiz-Italien-Fernverkehr abwickelt. In meinem Fall war es die Relation Zürich-Bologna und letzter Halt vor der Stadt, in der Tante Ceccarelli angeblich Amore gemacht hat, war Modena. 12:07 Uhr erreichte ich die Geburtsstadt von Enzo Ferrari und ich kam natürlich nicht umhin mich nun mit dem Gründer der Scuderia Ferrari und seinem Erbe näher zu beschäftigen.

SBB-Rollmaterial brachte mich von Milano nach Modena

Ich habe zwar nur einen Führerschein, damit noch ein weiteres Scheckkartenfach im Portemonnaie belegt ist und Sportwagen, erst recht Verbrenner, sehe ich natürlich aus umweltpolitischen Gründen skeptisch. Doch Ferrari hat so eine kulturhistorische Bedeutung, der ich mich nicht entziehen konnte. Dazu kommt, dass die Sonntage meiner Kindheit in den 1990er Jahren häufig von Formel 1 geprägt waren. Zumindest bis ich als Teenager angefangen habe aktiv zum Fußball zu fahren, wurde sich sonntags gerne der Wecker für Rennen in Adelaide oder Suzuka gestellt. Und Nachmittagsübertragungen aus Imola, Silverstone oder Magny-Cours wurde genauso entgegengefiebert.

Hier ging das also alles so los mit Ferrari

Ergo spielte auch ein Stück persönliche Nostalgie mit, als ich ein Ticket für das Museo Casa Enzo Ferrari erwarb (22 €). Jenes Museum wurde 2012 auf dem Gelände von Alfredo Ferraris einstiger Werkstatt eröffnet, wo Familie Ferrari im 19.Jahrhundert im angeschlossenen Wohnhaus lebte und hier somit auch Enzos Geburtshaus stand. An diesem Ort brachte Eisenbahnmechaniker Alfredo seinem Sohn Enzo das Schmiedehandwerk bei. Doch der 1898 geborene Filius begeisterte sich schnell für ein neuartiges Fortbewegungsmittel namens Automobil und besonders die damit ausgetragenen Wettfahrten.

Ein weltmeisterlicher F1 Bolide

1920 wurde er Werks- und Rennfahrer bei Alfa Romeo und gewann in den 1920er Jahren etliche renommierte Rennen. Der nächste Karriereschritt war die Gründung des eigenen Rennstalls Scuderia Ferrari im Jahre 1929. Noch 10 Jahre wurden von ihm modifizierte Alfa Romeos über die Rennstrecken gehetzt. Dann ging Enzo Ferrari zu gänzlich eigenen Sportwagenkonstruktionen über, musste jedoch 1943 mitansehen, wie der Krieg seine Werkstatt zerstörte. Ferrari zog nun für die Produktion von Modena ins nahe Maranello um und nach dem Krieg starteten Enzos Boliden im Rennsport so richtig durch. Diese Entwicklung und wie Ferrari obendrein den exklusiven Markt für hochpreisige Sportwagen mit Straßenzulassung eroberte, lässt sich in diesem Museum wunderbar nachvollziehen.

Eines der Frühwerke Ferraris

Es wurde letztlich eine Marke mit Weltruhm erschaffen und Höhepunkt sind natürlich die ikonischen Schöpfungen live und in Farbe. Anfassen ist allerdings nicht erlaubt und wem ein gutes Dutzend davon nicht genügt, muss außerdem in ein zweites Museum nach Maranello mit etlichen Ausstellungsstücken mehr fahren. Dafür pendeln sogar extra Busse zwischen beiden Museen und natürlich gibt es ein paar Prozent Rabatt für’s Kombiticket gegenüber dem Kauf von zwei Einzeltickets. Bei Ferrari hat man eben auf allen Ebenen keine Scham vor’m Geld verdienen.

Diverse Sportwagen

Mir genügte natürlich vorerst ein Ferrari Museum und der biografische Schwerpunkt, gemeinsam mit viel Firmen- und Automobilgeschichte, war wahrscheinlich auch einen Tick besser auf mich zugeschnitten. Wobei ich das andere Museum natürlich nur nach Broschüre beurteilen kann. Vielleicht wirkt das nur darin wie eine große Automobilausstellung und vor Ort wird ebenfalls viel Wissen vermittelt? In jedem Fall weiß ich jetzt, dass die Gegend um Modena ein Mekka für Sportwagenbegeisterte ist. Denn neben Ferrari sitzen hier auch Lamborghini und Maserati, sowie die Kleinserienhersteller Ares und Pagani.

Ganz in der Nähe meines Hotels empfing mich mit Luciano Pavarotti ein weiterer großer Sohn der Stadt mit offenen Armen

Ich bin natürlich mehr so der Kleinwagentyp, aber wenn mein Budget schon nicht für eine Edelkarosse genügt, wollte ich in Modena wenigstens nobel nächtigen und stieg im Phi Hotel Canalgrande (****) ab. Sehr herrschaftliches Haus, welches jedoch an diesem Wochenende nur 70 € pro Nacht mit Frühstück aufrief. Ich hatte nun bis zuletzt – ergo bis zum Check-in um 15 Uhr – damit gerechnet, dass ich für den Preis lediglich im Gesindehaus nebenan untergebracht bin. Aber nö, ich nächtigte schön in einem Palazzo.

Die Lobby meines Hotels

Lange hielt ich mich dort trotzdem nicht auf. Denn selbstverständlich wartete Modenas unmotorisiertes historisches Erbe ebenfalls noch auf mich. Genauer gesagt das hiesige Welterbe, denn diese Auszeichnung verlieh die UNESCO im Jahre 1997 Modenas Cattedrale metropolitana nebst umliegender Piazza Grande (siehe Titelbild).

Mittelalterliche Gasse an der Kathedrale

Es gab also schon eine Stadtgeschichte vor Ferrari und selbst bevor Jesus Christus mutmaßlich sein kurzes Gastspiel auf der Erde hatte, war in Modena schon was los. Etrusker, Kelten und Römer hinterließen bereits vor dem Jahr 0 unserer Zeitrechnung ihre Spuren. Letztere blieben besonders lange die Herren der Stadt, die sie Mutina nannten. Doch als ihr Reich im 5.Jahrhundert n. Chr. zumindest im Westteil zerfiel, wurde es wild im heutigen Italien. In Modena ließen die Jahrhunderte der Völkerwanderung buchstäblich keinen Stein auf dem anderen.

Die Kathedrale von Modena

Erst im 9.Jahrhundert entstand wieder eine städtische Siedlung, allerdings einen guten Kilometer westlich der antiken Ruinen. Herz des mittelalterlichen Modenas wurde die Kathedrale, deren Bau im Jahre 1099 begonnen wurde. 1184 wurde die romanische Großkirche von Papst Lucius III. geweiht und unter das Patronat von San Geminiano gestellt. Der ist zugleich Stadtheiliger Modenas und war im 4.Jahrhundert einer der ersten Bischöfe des Bistums Modena. Ferner wird ihm zugeschrieben, dass er seinerzeit wundertätig Modenas Zerstörung durch die Hunnen verhindert hat.

Die Porta regia (romanisches Hauptportal der Kathedrale)

Im doppelten Sinne herausragend an dieser Kathedrale ist der freistehende Glockenturm Ghirlandina. Dieser Campanile misst stolze 86,12 m und ist das weithin sichtbare Wahrzeichen der Stadt. Doch auch die Marmorfassade der Kathedrale, die heute in der Abendsonne ein herrliches rötliches Antlitz hatte, ist ein Blickfang. Sie bietet u. a. kunstvolle Reliefs des Bildhauers Wiligelmo aus dem 12.Jahrhundert, welche Szenen aus dem Alten Testament darstellen.

Die Apsis der Kathedrale

Als das Mittelalter so langsam ausklang, übernahm die Adelsfamilie Este im 14.Jahrhundert die Geschicke in der Stadt und 1452 wurde Modena zum Herzogtum erhoben. Erster Herzog war Borso d’Este, der mir am nächsten Tag in Ferrara ebenfalls begegnen sollte. Deshalb schreibe ich wahrscheinlich im folgenden Bericht etwas mehr zu Borsos Vita und dem Aufstieg des Hauses Este zu Beginn der Neuzeit.

Der Palazzo Ducale

Modena veränderte als Residenzstadt während der Renaissance nochmals deutlich das Gesicht. Insbesondere jenes architektonische Erbe prägt bis heute das Stadtbild. Imposantestes Bauwerk ist dabei vielleicht der 1634 von Francesco I. d’Este als herzögliche Residenz in Auftrag gegebene Palazzo Ducale. Der wurde jedoch erst Mitte des 19.Jahrhunderts fertiggestellt und ist seitdem Heimat der traditionsreichen Offiziersschule Accademia Militare di Modena.

Prächtige Laubengänge ziehen sich durch das Centro storico

Aber es waren nicht nur die monumentalen Bauwerke, die mich im Centro storico der in unseren Tagen von rund 185.000 Menschen bewohnten Stadt beeindruckt haben. Es war irgendwie besonders das Gesamtensemble aus engen Gassen, zahlreichen Portici (Laubengänge), breiten Plätzen und deren prächtiger Bebauung. Erst recht, weil alles im Verlaufe des Nachmittags immer wieder in ein anderes Licht getaucht wurde. Es war, als würde die Stadt bzw. die Sonne ständig ihre eigenen Filter auf meine Fotos legen.

Die farbenfrohen Fassaden an der Piazza grande

Als die Sonne diesen Job quittiert hatte, musste natürlich noch ein Abendessen her. Als kleinen Appetitanreger hatte ich mir schon mal in einem Café die lokale Spezialität Gnocco fritto (frittierte Teigfladen) bestellt, doch für Primo und Secondo ging es in das Restaurant La Brusca. Das lag perfekt auf dem Weg zum Stadio Alberto Braglia, so dass ich nicht der einzige spätere Stadionbesucher im Lokal war. Die zwölf Ultras der alten Schule, mit noch mehr grauen Haaren als ich, hatten jedoch schon gespeist und ließen nur noch die Weinflaschen an ihrer Tafel kreisen.

Abendstimmung in Modena

Ich dagegen entschied mich erstmal für den Klassiker Tagliatelle al Ragù. Eine der herausragenden kulinarischen Errungenschaften der Emilia-Romagna. Eine Region, aus der etliche Spezialitäten und Gerichte, die wir sofort mit der italienischen Küche verbinden, stammen. Die Fleischsauce Ragù hat sich dabei besonders Modenas historischer Rivale Bologna angeeignet, weshalb sie nahezu weltweit als Bolognese Karriere gemacht hat. Außerdem wird sie außerhalb Italiens oft mit Spaghetti, anstatt den traditionellen Tagliatelle serviert (aber da kann Bologna nichts für).

Tagliatelle al Ragù

Modena wiederum ist besonders für seinen Aceto balsamico berühmt und hier im Restaurant gab es den Balsamessig der Rebsorte Lambrusco unter anderem auch als Sauce auf Kalbsschnitzeln. Deshalb gab ich mir einen Ruck und orderte jene Scaloppine all’aceto balsamico als zweiten Gang. War durchaus genießbar, aber meine Vermutung, dass mir eine Balsamicosauce mehr zu Salat oder Gemüse, als zu Fleisch taugt, hatte sich dennoch bestätigt.

Scaloppine all’aceto balsamico

Nachdem für beide Gänge, eine Aranciata und Coperto nur mehr 19 € entrichtet werden mussten, ging es die letzten paar hundert Meter zum Stadion. Dieses war 1936 eröffnet worden und hatte den typischen Grundriss der italienischen Kampfbahnen aus dieser Epoche. Doch ansonsten ließ eine große Modernisierung in den 2000er Jahren nicht mehr viel von der ursprünglichen Optik des Ausbaus übrig. Seitdem fasst das Stadion 21.151 Zuschauer und ist sogar für Länderspiele geeignet. Gegen die Färöer (2007), Estland (2011) und Malta (2012) trug die A-Nationalmannschaft drei siegreiche Qualifikationsspiele für große Turniere in Modena aus.

Dieses Flutlicht wies mir den Weg

Auch die benachbarten Proficlubs US Sassuolo und FC Carpi wichen schon temporär nach Modena aus, doch der etatmäßige Platzhirsch ist natürlich der 1912 gegründete Modena FC. Die Canarini (Kanarienvögel) haben immerhin 13 Spielzeiten in der Serie A und stolze 51 Spielzeiten in der Serie B in ihrer Chronik stehen. Oft fand sich der Club aber auch in der Serie C oder anderen Spielklassen unterhalb der Serie B wieder. Traditionelle Fahrstuhlmannschaft also, die just im vergangenen Sommer mal wieder einen Aufstieg feiern durfte.

Die Curva Sud

Der heutige Gegner Cagliari Calcio fährt ebenfalls häufig Fahrstuhl und kam parallel aus der Serie A in die B, so dass sich die Gialloblù aus Modena und Rossoblù aus Cagliari diese Saison mal wieder in einer Spielklasse begegnen und auch punktemäßig gar nicht weit auseinander liegen. Die Sarden kamen mit 32 Punkten auf’s Festland (6.Platz), während Modena bereits 28 Punkte gesammelt hat (gegenwärtig 11.Platz). Außerdem wurde der italienische Meister von 1970 von rund 400 Fans nach Modena begleitet. Die dürften jedoch längst nicht alle aus Sardinien angereist sein, sondern in vielen Fällen eine kürzere Anreise gehabt haben. Gibt schließlich überall in Italien ein paar Menschen mit sardischen Wurzeln, die weiterhin zum Vorzeigeverein der Insel halten.

Der Gästesektor am heutigen Abend

Die Gästefans hatten erfreulicherweise ein bisschen was geflaggt und trällerten ein paar Lieder. Mit dem motivierten Tifo der Heimkurve konnten sie jedoch zu keiner Zeit mithalten. Die Curva Sud war prall gefüllt und lieferte über 90 Minuten eine leidenschaftliche Stimmung. Auch gefiel mir der Stil der Zaun- und Schwenkfahnen in der Kurve. An den Farben könnte man natürlich Anstoß nehmen, aber eigentlich ist es doch schön, dass nahezu jede blau-gelbe Kurve der Welt bessere Auftritte als diejenige in Ostniedersachen liefert. Nachher glaubt noch jemand, es läge an den Farben und nicht an deren bedauernswerten Trägern.

Lebendige Kurve in Modena

Um Respekt und Anerkennung muss sich die Kurve in Modena dagegen nicht sorgen. Bereits 1971 entstand mit den I Fedelissimi die erste große aktive Fangruppe in der Curva Sud. Die war jedoch sehr vereinsnah organisiert und explizit keine Ultragruppe. Der wildere Teil der Fedelissimi spaltete sich daher 1975 als Brigate Gialloblù ab. Diese altehrwürdige Gruppe hat sich 2006 zwar aufgelöst, aber ihr historisches Erbe wird heute durch die Vecchie Brigate in der Kurve repräsentiert. Die jüngste Geschichte der Kurve haben dann vor allem die Gruppen Quei Bravi Ragazzi und Avia Pervia geprägt. Letztere tragen meines Wissens auch hauptsächlich die internationale Freundschaft nach Sevilla zu Biris Norte, während Modenas Szene sich im Inland u. a. Messina, Sampdoria und vor allem seit über 30 Jahren Venezia verbunden fühlt.

Modenas Fahnen wehen stolz

Rivalitäten hat man landestypisch viele, aber darunter dürften jene zu Bologna, Reggiana, SPAL und Parma – aufgrund der regionalen Nähe und begleitenden historischen Städterivalitäten – zu den am erbittertsten ausgetragenen gehören. Auch Cesena, Rimini und Ravenna sind nicht gern in Modena gesehen und außerdem existiert seit den 1980er Jahren eine innige Feindschaft zur Szene des Genoa CFC. Das teilweise schlagkräftige Ausleben der Rivalitäten sorgt natürlich regelmäßig für polizeiliche Repression wie Stadionverbote und Meldeauflagen. Dazu musste die Kurve vor rund fünf Jahren um das Überleben ihres Vereins kämpfen. 2017 kam es zur Insolvenz und im darauffolgenden Jahr zum Neustart in der viertklassigen Serie D.

Ultras in Aktion

Doch die Aufstiege 2019 und 2022 führten den Club schnell wieder in die Top 40 Italiens und heute wurde nicht nur in der Kurve prima reüssiert. Auch auf dem Rasen lief es für Gialloblù und am Ende stand ein verdientes 2:0 auf der Tafel (Tore: Davide Diaw und Nicholas Bonfanti), welches der Stimmung auf den Rängen natürlich ebenfalls zuträglich war. Nachdem ich der Kurve ausreichend beim Feiern zugeschaut hatte, ging es in einer heiteren Menschentraube zurück ins Centro storico. Im Gegensatz zu den Fans war mein Ziel aber keine Bar oder Taverne, sondern das Hotelbett. Schließlich hatte ich auch am nächsten Reisetag Programm von früh bis spät.

Song of the Tour: Passender Italodisco-Klassiker für die Motorcity Modena

*Im Nachgang war dieser Fahnenraub natürlich medial ein großes Thema und gute Kontakte zwischen Teilen der Fanszenen von Zvezda und Napoli – wiederum einer der erbittertsten Rivalen der Roma – wurden als Motivation spekuliert. Aber noch eher ist es wohl die Nähe der Fedayn zu den Bad Blue Boys aus Zagreb, welche die Serben zu ihrem Coup motivierte. Mittlerweile sind die Banner beim Heimspiel von Zvezda gegen Čukarički am 18.Februar präsentiert und abgefackelt worden. Lediglich das Erinnerungsbanner an den 1990 verstorbenen Fedayn-Mitgründer Roberto Rulli übergab man aus Respekt nicht den Flammen. Die ganze Inszenierung in der Nordkurve des Stadion Rajko Mitić wurde mit einem Spruchband begleitet, auf dem geschrieben stand, dass sich die Fedayn die falschen Freunde ausgesucht haben.