Warszawa (Warschau) 09/2022

  • 10.09.2022
  • Hannover 96 – Eintracht Braunschweig 1:1
  • 2.Bundesliga (II)
  • Niedersachsenstadion (Att: 42.000)

Zwei Wochen Urlaub im September wurden bei mir mit dem Derby des Hannoverschen SV gegen den Braunschweiger TSV eingeläutet. Am Morgen des Monatszehnten saß ich mit diversen Fußballfreunden aus Stadt und Kreis Hildesheim um 7:06 Uhr in der S-Bahn nach Hannover. 8 Uhr war Szenetreffpunkt in der Altstadt und Pünktlichkeit ist bekanntlich eine Tugend. Wie ein Großteil der Fans zog es uns erstmal zum Frühstücken und Frühschoppen in die Markthalle.

Frühschoppen

Gegen 10 Uhr formierte sich schließlich ein Aufzug von ungefähr 9.600 Menschen in der Karmarschstraße, der sich um 10:30 Uhr mit viel Getöse in Bewegung setzte. Mit verschiedenen Gesängen, Hüpfeinlagen und immer wieder Fackeln und Raketen zog der Tross zum Nordufer des Maschsees. Dort wurde mir aufgrund meiner exponierten Position am Sprengel-Museum auch erstmals die stolze Gesamtlänge des Aufzuges gewahr (siehe Video). So eine Menschenmasse auf den Straßen einer Hauptstadt wird in nächster Zeit wohl nur beim Begräbnis einer just mit 96 Jahren dahingeschiedenen Monarchin übertroffen.

Die gute Elizabeth II. war bekanntlich eine direkte Nachfahrin von Georg I., der 1714 als Kurfürst von Hannover in Personalunion auch den Königsthron in London bestieg. An den royalen Glanz der hannoverschen Geschichte erinnerte nun gewissermaßen auch die Choreographie in der Nordkurve. Über schwarze und grüne Papptafeln wurde eine Blockfahne gespannt, die wiederum einen hannoverschen Husaren aus dem frühen 19.Jahrhundert zeigte und dementsprechend optisch an das Reiterstandbild von König Ernst August I. vor dem hannoverschen Hauptbahnhof erinnerte. Dieser Krieger zu Pferde hatte einem Löwen mit seinem Säbel den Kopf abgeschlagen und an der blutigen Waffe baumelte noch ein blau-gelber Fanschal. Schwarz-weiß-grüne Flaggen rechts und links, sowie eine 96 im Siegeskranz und eine Banderole mit der Aufschrift „Königreich Hannover“ rahmten das edle Motiv ein. Dazu prangte unten am Zaun der Leitspruch „Ewiger Ruhm all jenen, die das Untier besiegen“. Respekt, da steckte richtig viel Arbeit drin und mit dem Detailreichtum und der Farbvielfalt war es ein ganz anderes Niveau als in der Kurve gegenüber.

Dort sah ich zunächst aufgrund von blauen Plastikponchos gar keine Gästefans. Die unterschieden sich optisch erst auf den zweiten Blick von den aus Sicherheitsgründen freigebliebenen blauen Sitzschalen im Unterrang. Eine Szene mit mehr bzw. wenigstens ein bisschen geistiger Leistungsfähigkeit hätte zu gelben Ponchos gegriffen und somit sehr simpel eine blau-gelbe Gästekurve ins Stadion ihrer Landeshauptstadt gezaubert. Stattdessen träumten sie auf einer zum Anpfiff ausgerollten Blockfahne davon ihre eigene Hauptstadt anzuzünden. Da so etwas natürlich nur ein Narr tun würde, übernahm die Sagengestalt Till Eulenspiegel den Job stellvertretend. Der kommt zwar in den Überlieferungen nicht mal aus Braunschweig, aber hat in dieser Stadt viele seine Streiche gespielt. Wahrscheinlich weil schon zur Entstehungszeit der Eulenspiegel-Sagen landläufig bekannt war, dass ein besonders unterbelichteter Schlag Mensch in der Löwenstadt lebt.

Außer den Choreographien gab es natürlich noch viel Pyrotechnik im Gästesektor und noch viel mehr Pyrotechnik in der Heimkurve. Leider brannte der Rasen nicht so wie die Fanblöcke und trotz der höheren fußballerischen Qualität und durchweg besserer statistischer Kennzahlen, konnte der Favorit in den roten Dressen nicht den ersehnten und eigentlich obligatorischen Heimsieg erringen. Ich hatte das Gefühl die Leitl-Elf wollte auf keinen Fall verlieren, aber auch nicht um jeden Preis gewinnen. Den limitierten Gästen genügte nun der nötige Biss in den Zweikämpfen und eine kurze gute Phase nach Wiederanpfiff, um einen Punkt aus Hannover zu entführen. Endlich mal wieder nicht gegen 96 verloren zu haben zauberte den Mitgereisten eine Freude ins Gesicht, die ihnen in ihrem tristen Alltag meist verwehrt sein dürfte.

Ein Gruß an PCBS

Zwei Tapeten möchte ich außerdem nicht unerwähnt lassen. Auf der im Gästeblock stand „Die Queen macht es vor. Ganz England in Scherben. 96 zu sein bedeutet zu sterben.“ Oh weia… Kategorie „Wir müssen irgendwas mit der Queen machen, weil die ja mit 96 Jahren gestorben und es muss sich auf Teufel komm‘ raus reimen.“ Hannovers Szene war dagegen nicht wie akut versetzungsgefährdete Nachwuchslyriker aus der Unterstufe unterwegs, sondern gab sich stattdessen sehr kryptisch. Aber der Adressat Psycho Clan BS wird es verstanden haben und ist sicher ganz nostalgisch geworden. Das muss ’ne tolle Zeit gewesen sein, als man 1998 erst einen Horrorclown anstatt den Sensenmann als Gruppenlogo verwenden wollte und dann mangels Kunstfertigkeit und Mentalität seine Zaunfahne für 780 DM von ostasiatischen Schneiderhänden anfertigen ließ. Von wegen jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.

Das trifft nun quasi auch auf meinen Urlaubsanfang zu. Ein wirklich denkwürdiges Derby war es irgendwie nicht und weil ein Großteil meiner Leser bestimmt ebenfalls im Stadion zugegen war, brauche ich dem Geschehen auch nicht noch mehr Raum zu geben (zumal Berichte über 96-Heimspiele eigentlich nicht das Kerngeschäft dieser Internetpräsenz sind). Eine magische Nacht, die sich nach einem Sieg durchaus bis Montagmorgen hätte ziehen können, blieb nun leider aus. Aber wenn schon so viele gute Menschen mal wieder auf einem Haufen sind, verbringt man natürlich trotzdem einen geselligen Abend. Viele alte Bekannte wiedergetroffen, etliche angestaubte Geschichten hervorgeholt (in einem Vierteljahrhundert kommt schließlich ein bisschen was zusammen) und am Ende mit den üblichen Verdächtigen die hannoversche Gastroszene punktuell, aber dennoch erheblich gefördert.

  • 14.09.2022
  • FK Schachtar Donezk – Celtic FC 1:1
  • UEFA Champions League (Group Stage)
  • Stadion Wojska Polskiego (Att: 20.697)

Nach dem Derbywochenende schob ich einen Familien- und Schlemmertag in Hildesheim ein und dann sollte es zusammen mit El Glatto für ein paar Tage nach Polen gehen. Wir hatten ein bisschen die Europapokalansetzungen studiert und festgestellt, dass wir östlich der Oder unter der Woche UEFA Champions League und UEFA Europa Conference League genießen könnten. Natürlich hatte sich der polnische Fußballmeister Lech Poznań nicht für die Gruppenphase der so genannten Königsklasse qualifiziert. Aber Schachtar Donezk muss seine Heimspiele in der Champions League aufgrund des russischen Überfalls auf die Ukraine im polnischen Exil in Warszawa (Warschau) bestreiten. Am Mittwoch sollte deshalb der Celtic FC in Warszawa gastieren. Schachtar vs. Celtic ist zwar eigentlich keine Ansetzung für die ich alles sofort stehen und liegen lasse, aber in Kombination mit Lech Poznań vs. FK Austria Wien am Folgetag (Conference League) war das doch ganz attraktiv. Zumal Dienstag und Mittwoch auch kaum eine andere Partie der Champions League so richtig reizte.

Ein Köftebaguette mit Halloumi

Am Dienstagmorgen war um 9:22 Uhr Abfahrt in Hannover und IC 245 sollte uns binnen zwei Stunden zum Berliner Bahnhof Gesundbrunnen bringen. Im gleichnamigen Kiez hatte ich uns zwei Stunden Aufenthalt in die Verbindung gezaubert, um a) den Anschluss nach Warszawa abzusichern und b) gemütlich zu Mittag essen zu können. Der Hunger war allerdings gar nicht so riesig, weil Glatto morgens noch beim Schlachter und beim Bäcker war und ein deftiges Frühstück spendierte. Egal, ein Köfte-Baguette bei der Meshur Köfteci musste noch irgendwie rein. Ist einfach zu lecker. Und zwischen Leber und Milz passte anschließend wie immer noch ein Nordberliner Pils, welches am Ufer der Panke genossen wurde.

Nordi als Wegzehrung nach Warschau

13:35 Uhr ging es weiter nach Warszawa und ein paar Schlachtenbummler mit dem Shamrock auf der Brust stiegen auch zu. Sie waren mutmaßlich im ersten Step per Billigflieger von Glasgow nach Berlin geflogen und nun sollte die Reise mit Tüten voller Billigfusel auf der Schiene fortgesetzt werden. Wahrscheinlich zum Trauerumtrunk, weil ihre geliebte Königin vor wenigen Tagen das Zeitliche gesegnet hatte. Wir wollten den treuen Untertanen am liebsten unser Beileid für ihren schmerzlichen Verlust aussprechen, aber uns fehlten irgendwie die passenden Worte… Okay, Spaß beiseite; die waren natürlich alles andere als geknickt und Glatto und ich kennen nun viele Schmähgesänge auf die Königsfamilie und ihre Mitglieder, so wie jeden Lobgesang auf die IRA. Allerdings war ein polnisch-deutsches Konglomerat an Mitreisenden nach 3,5 Stunden Performance am Ende ihrer Geduld und kurz hinter Poznań (Posen) eskalierte es. Eine Dame sprang mit hochroten Kopf auf, brüllte die Sängerknaben an und irgendwann hatte sie ihre leidlichen Englischkenntnisse im Kopf sortiert. „Shut up or I kill you!!!“ schrie sie und gab dem Rädelsführer namens Scott eine Backpfeife. Andere Reisende machten nun auch Ansagen, wie genervt sie sind und das grün-weiße Dutzend kam mal für ungefähr 30 Minuten etwas zur Ruhe. Dafür kreiste der Wodka immer noch munter in der Runde und ab Konin wurde es wieder laut.

Der Kulturpalast bei Nacht

Es gab zwar weiter Ermahnungen von Mitreisenden und der Schaffnerin, aber als auch in Kutno keine Polizei zustieg, war klar, dass die Drohung „… sonst fliegt ihr am nächsten Bahnhof aus dem Zug“ obsolet geworden war. Denn der nächste Bahnhof war gute 90 Minuten nach Kutno der Westbahnhof von Warszawa. Glatto und ich stiegen wenig später Warszawa Centralna aus und von dort ging es zu Fuß in die Altstadt. Der Erstbesucher Glatto sollte und wollte schließlich schon mal was sehen von Polens Hauptstadt. Er war gleich begeistert von der Skyline mit ihren Wolkenkratzern, die er so nicht erwartet hatte. Auch der Pałac Kultury i Nauki (Kulturpalast) machte Eindruck bei meinem Mitreisenden. Zumal just die Nacht hereingebrochen war und alles nett angeleuchtet wurde (ein Generalsparplan Energie ist in Polen anscheinend noch nicht verabschiedet).

Das Königsschloss

Weitgehend auf dem Trakt Królewski (Königsweg) spazierten wir zum Zamek Królewski w Warszawie (Warschauer Königsschloss) und insbesondere die Irish Pubs der polnischen Hauptstadt waren heute randvoll mit Celtic-Anhängern. Ich konnte Glatto nun allerhand Sehenswürdigkeiten auf dem Königsweg und in der Altstadt zeigen und ein wenig referieren. An dieser Stelle spare ich allerdings nähere Informationen zu den Sehenswürdigkeiten und der Stadtgeschichte aus und verweise bei Interesse auf meinen Bericht Warszawa (Warschau) 08/2018. Nördlich der historischen Stadtmauer befand sich dann ein kleines Häuschen mit unserer angemieteten Dachgeschosswohnung. 120 € wurden für zwei Nächte in der relativ frisch renovierten, aber immer noch weitgehend in rustikaler Optik belassenen Zwei-Zimmer-Wohnung aufgerufen. Dank vorher übermittelter Türcodes übrigens mit kontaktlosem Check-in und Check-out.

Der Rynek

Als wir unser Gepäck los waren, musste noch ein Abendessen her. Wenige Meter von der Unterkunft entfernt kehrten wir dazu ins Podwale 25 Kompania Piwna ein. Zwar empfahl uns der Kellner Schnitzel, aber die lagen auch auf der Fleischplatte für zwei Personen, die stattdessen geordert wurde und umgerechnet lediglich 21 € kosten sollte. Leider kam das Fleisch anscheinend nicht direkt von Grill und Pfanne auf unseren Tisch und war teilweise nur noch lauwarm. Die Fritten waren sogar schon kalt. Da stimmten die Abläufe zwischen Küche und Service nicht. Dass unser Kellner außerdem zunächst die Teller und das Besteck vergaß, ließ die Fleischauswahl auch nicht wärmer und knuspriger werden. Dazu musste der Knabe später noch an unseren georderten Absacker erinnert werden. Dass der mich einladende Glatto am Ende nur ein schmales Trinkgeld gab, war absolut berechtigt.

Abendessen in der Altstadt

Am nächsten Morgen wollte Glatto natürlich die ganzen Sehenswürdigkeiten der Stadt nochmal bei Tageslicht sehen. Dank der tollen Lage unserer Wohnung war das zumindest in der Altstadt eh zwangsläufig. Ferner wollten wir jedoch auch etwas Streetart am östlichen Ufer der Wisła (Weichsel) im Stadtbezirk Praga begutachten. Das wurde anschließend unsere Vormittagsbeschäftigung, in die wir auch ein Frühstück integrierten. Wir landeten im Caffee & Bistro Galeria Sztuki und damit war uns ein richtiger Glückstreffer gelungen. Glatto hatte vorzügliches Shakshuka und meiner einer ein formidables Omelett mit Pfifferlingen und in Weißwein glasierten Zwiebeln. Auch die gereichten Kaffeespezialitäten genügten höchsten Ansprüchen. Weil nach der Einnahme dieser Mahlzeit die Uhr außerdem schon zur Mittagsstunde geschlagen hatte, ließen wir uns noch ein frischgezaptes Craftbeer servieren.

Frühstück in Praga

Nachdem wenig später alle großen Wandbilder Pragas geknipst waren, ging es wieder zurück ans Westufer der Wisła. Auch hier standen weiter Sehenswürdigkeiten und Streetart auf dem Programm. Aber wir wollten es touristisch auch nicht übertreiben und ließen uns gegen 14:30 Uhr das nächste Bier zapfen. Da bereits 18:45 Uhr Anpfiff war, mussten wir uns außerdem entscheiden, ob wir schon am späten Nachmittag zu Abend essen oder bis nach dem Spiel warten. Wir waren uns jedoch schnell einig, dass wir nicht nochmal so spät wie am Vortag essen wollen und suchten deshalb gegen 16 Uhr den vornehmen Georgier Rusiko am Teatr Narodowy (Nationaltheater) auf.

Nachdem wir uns jeder für zwei Gänge entschieden hatten, kam zunächst ein kleiner Gruß aus der Küche. Ein pikantes Möhren-Walnuss-Kompott mit Brotstreifen wurde gereicht. Dann bekam Glatto Chaczapuri (den traditionellen georgischen Käsefladen) und ich Blincziki (Pfannkuchenhackfleischröllchen). Beides von Joghurt-Minz-Sauce begleitet. Mein zweiter Gang war nun Bekeka (Lammschaschlik) mit Bulgur als Beilage, während Glatto Tolma (mit Reis und Hack gefüllte Weinblätter) serviert bekam. Alles außerordentlich delikat und weil das üppige Frühstück erst gute vier Stunden her war, kam uns die eher bescheidene Portionsgröße ausnahmsweise mal entgegen. Andernfalls hätten wir einfach zu einem dritten Gang gegriffen.

Stattdessen entschieden wir uns spontan noch eine Filiale von E. Wedel für ein Dessert aufzusuchen. Mein Bedürfnis nach einer Süßspeise stillte mit einem Stück Schokotorte der Klassiker des Hauses, wohingegen Glatto mit den Czekoladowe pierogi eine wahre Offenbarung auf dem Teller hatte. Jedenfalls kam er aus dem Schwärmen für die warmen mit Quark gefüllten Schokotaschen gar nicht mehr heraus. Wertvolle Endorphine, an denen in den nächsten 45 Minuten gezerrt werden musste. Denn unweit der wedelschen Chocolaterie sollte uns kurz nach 18 Uhr ein Bus zum Stadion Wojska Polskiego (Stadion der polnischen Armee) transportieren. Allerdings hatten wir den Feierabendverkehr brutal unterschätzt und standen nun in einer Sardinenbüchse im Stau. Kaum Luft zum atmen und beim Stop & Go dauernd irgendwelche Ellenbogen im Rücken. Kurwa!

Statt planmäßigen 10 Minuten, dauerte die Fahrt schon über eine halbe Stunde, als wir eine Station vor’m Stadion die Reißleine zogen und die letzten 1.000 Meter zu Fuß zurücklegten. Immerhin in der 6.Spielminute saßen wir auf unseren Plätzen am Rand der Haupttribüne. Verpasst hatten wir außer der Hymne der UEFA Champions League wohl nichts besonderes (deren musikalisches Vorbild Zadok The Priest wird übrigens bei der baldigen Krönungszeremonie von Charles III. erklingen). Lediglich war im Nachgang des Spiels auf Fotos zu sehen, dass die Celtic-Fans zu Spielbeginn per Spruchband an Michael Fagan erinnert hatten (der 1982 ins Schlafzimmer der Queen einsteigen konnte). Eine Banderole mit der Parole “Fuck the Crown” hing unterdessen das ganze Spiel über an der Brüstung des Gästebereichs.

Der Gästesektor

Ein wirklicher Heimfanblock existierte zwar nicht, aber es hatten sich natürlich viele zur Zeit in Warszawa oder Umgebung aufhaltende ukrainische Staatsbürger im Stadion eingefunden. Ergo vorwiegend Frauen und Kinder, die aber gerne Flagge zeigten und mit Schachtar mitfieberten. Ein paar Fanartikel in orange und schwarz waren auch punktuell auszumachen, aber der Großteil der anwesenden Ukrainer dürfte wohl erstmals bei einem Spiel des dreizehnfachen Landesmeisters aus dem Donbas gewesen sein (der aufgrund kriegerischen Handlungen in der Ostukraine übrigens schon seit 2014 kein echtes Heimspiel mehr bestreiten konnte).

„Wie die Soldaten an der Frontlinie haben wir eine Pflicht gegenüber der Ukraine und diese ist es, Fußball zu spielen“

Schachtar-Sportdirektor Darijo Srna

Neben den 1.500 bis 2.000 Gästefans und wahrscheinlich ebenso vielen Exil-Ukrainern, dürften noch ungefähr 16.000 Schaulustige mit polnischer Staatsbürgerschaft im Stadion gewesen sein. Dafür, dass die günstigsten Vollzahlertickets umgerechnet 35 € kosteten (Glatto und ich mussten beispielsweise je 50 € an den FK Schachtar überweisen), war das ein überraschend hoher Zuschauerzuspruch.

Das Stadion der polnischen Armee

Die Mannschaft von Schachtar, die im ersten Gruppenspiel 4:1 in Leipzig gewonnen und somit für die Beurlaubung von Domenico Tedesco gesorgt hatte, war heute der Favorit der Buchmacher. Allerdings schaffte es Celtic in der 10.Minute durch ein Eigentor von Bondarenko in Führung zu gehen. Großer Jubel bei allen Sportsfreunden in grün und weiß. Dem betrunken wirkenden Best Ager, der unten am Zaun eine grüne Leuchtfackel entzündete, blieben nun allerdings nicht mehr viele Spielminuten. Widerstandslos führten ihn die Ordner wenig später ab. Wir hatten etwas Mitleid, freuten uns jedoch da unten auch Scott wiederzusehen. Der wirkte heute abermals gut angekachelt und war fortan sowas wie unser Fixpunkt im Gästesektor.

Freude über die frühe Führung

Das seit 1996 vom ukrainisch-tartarischen Oligarchen Rinat Achmetow finanzierte Schachtar konnte in der 29.Minute durch einen Treffer von Mykhailo Mudryk ausgleichen und hatte insgesamt ein leichtes Chancenplus. Einer weitgehend ausgeglichenen und sehr fairen Partie (nur eine Gelbe Karte im ganzen Spiel) waren jedoch keine weiteren Tore vergönnt, so dass man sich schiedlich-friedlich mit 1:1 trennte. Konnten die Celtic-Anhänger wahrscheinlich noch besser als die Ukrainer mit leben und feierten ihr Team nach Abpfiff entsprechend. Auch die 90 Minuten zuvor herrschte durchgehend gute Stimmung bei den Schotten bzw. Iren. Kein unvergesslicher Fußballabend und sicher kein Vergleich zu einem stimmungsvollen Heimspiel von Legia, aber es war alles in allem nett genug, um das Stadion zufrieden zu verlassen.

Sangesfreudige Grüne

Wir beschlossen nun zu Fuß zurück ins Stadtzentrum zu spazieren und kamen so zufällig noch an der Deutschen Botschaft vorbei. Dort haben wir dank Gedenktafel tatsächlich etwas Neues gelernt. Denn im Herbst 1989 hatten Bürger der DDR nicht nur die Deutsche Botschaft in Praha (Prag) belagert (kennen wir prominent aus Geschichtsbüchern und TV-Reportagen), sondern auch in Warszawa begehrten rund 6.000 ostdeutsche Wirtschafts- und Systemflüchtlinge Einlass bei der diplomatischen Vertretung der BRD. Mit dem Segen der damaligen polnischen Regierung unter Tadeusz Mazowiecki und dank der bundesdeutschen Refugees Welcome Policy gegenüber Zonis, konnten die Flüchtlinge in die BRD ausreisen und wurden in Helmstedt von so genannten Bahnhofsklatschern offenherzig empfangen.

Die zur Zeit beliebtesten Blau-Gelben Europas

Wenig später stellten wir uns dann bekanntlich einer historischen Mammutaufgabe. Der gut gesicherte Schutzzaun an unserer östlichen EU-Außengrenze fiel und 16 Millionen bisherige DDR-Bürger mussten in ein neues Gesellschafts- und Wirtschaftssystem integriert werden. Und auch wenn einige der Neubürger uns nur auf der Tasche lagen (waren doch nicht alles Fachkräfte) oder sich chronisch undankbar zeigten und der oder andere sich bis heute partout nicht in unsere Demokratie westlich-kapitalistischer Prägung integrieren will, war das damalige “Wir schaffen das” richtig und alternativlos. Wegen bedauerlicher Einzelfälle – teilweise waren die Menschen nach 40 Jahren Sozialismus nunmal auch stark traumatisiert – darf man seine Werte nicht grundsätzlich in Frage stellen und die Mehrzahl der Ossis hat sich doch mittlerweile gut integriert, oder? (Zur Sicherheit: ;-))

Die erste von vielen Runden

Integration ist ein gutes Stichwort, denn Glatto und ich standen noch vor der Aufgabe uns ins polnische Nachtleben zu integrieren. Das geht am besten mit Wódka i piwo, womit wir passenderweise im Pijalnia Wódki i Piwa anfingen. Wir hatten das Ziel uns durch die Nowy Świat zur Altstadt hochzutrinken und das klappte mit Stopps an diversen Zapfhähnen ganz gut (u. a. noch im Ministerstwo Śledzia i Wódki). Höhepunkt war allerdings, dass wir den rotzevollen Scott nochmal wiedersahen. Leider war er auf der anderen Straßenseite und hörte unsere Rufe nicht. Aber vielleicht auch besser so.

Gin Tonic zu später Stunde

Gar nicht gut war allerdings, dass wir kurz vor’m Apartment noch eine um 2 Uhr nachts geöffnete Bar in der Altstadt fanden. Dabei war das Ambiente bei Bar and Books eigentlich ganz nett. Ich behaupte mal, dass war eine Cocktailbar im New York Style (ohne je selbst in New York gewesen zu sein). Aber vielleicht komme ich auch nur zu der Einschätzung, weil dort diverse US-Amerikaner ihre Drinks genossen. Und jene Drinks waren übrigens relativ teuer. Glatto und ich mussten für unsere Gin Tonics umgerechnet je 10 € auf den Tisch legen und hatten Glück, das 2:30 Uhr Last Order war. Sonst hätten wir, weiterhin ohne Blick in die Getränkekarte, sicher noch mehr Runden bestellt und am Ende eine utopische Rechnung gehabt. Stattdessen ging es nach dem Scheidebecher endlich in die Heier und eine immerhin noch fünfstündige Nachtruhe trennte uns von der Weiterfahrt nach Poznań.

Song of the Tour: Aus El Glatto und Don Snepone wurden zwischenzeitlich El Zecho und Don Promillo