Magdeburg 08/2022

  • 19.08.2022
  • 1.FC Magdeburg – Hannover 96 0:4
  • 2.Bundesliga (II)
  • Heinz-Krügel-Stadion (Att: 23.908)

Das Gastspiel des Hannoverschen SV von 1896 beim 1965 aus der Taufe gehobenen 1.FC Magdeburg wollte ich mir nicht entgehen lassen. Immerhin waren die jeweils meritenreichsten Clubs der Bundesländer Niedersachsen und Sachsen-Anhalt noch nie zuvor in einem Pflichtspiel aufeinander getroffen. Mit dem 9-€-Ticket führte mich die Optimalroute nach Feierabend von meinem Arbeitsplatz via Goslar nach Magdeburg. Kurz vor 17 Uhr erreichte ich die Hauptstadt unseres Nachbarbundeslandes. Weil die Sehenswürdigkeiten und die Stadtgeschichte mit ihren ganzen Ottos bereits bei meinem letzten Besuch ausreichend gewürdigt wurde (siehe Magdeburg 02/2020), konnte ich die ungefähr 96 Minuten bis zum Anpfiff guten Gewissens für ein Abendessen nutzen.

Vor Anpfiff wurde gut burgerlich gespeist

Meine Wahl fiel auf das böhmische Bier- und Speiselokal Wenzel. Zwar habe ich schnell realisiert, dass es sich um eine Kette handelt, aber ich gab den Systemgastronomen trotzdem eine Chance. Besonders wählerisch konnte ich aufgrund des engen Zeitfensters eh nicht sein und letztlich war ich mit dem Wenzelburger und den Semmelknödelfritten auch ganz zufrieden. Das saftige Rindfleisch machte eine gute Figur im rustikalen Kartoffelbrötchen und die krossen Knödelfritten waren ebenfalls eine herzhafte Angelegenheit. Sie wurden mit Tomatenketchup und Sauce Tartar zum Dippen begleitet. Dazu ließ ich mir 0,5 l Radler servieren und kam auf einen Rechnungsbetrag von 20,35 €.

Die Teams begrüßen einander

Nach dem Abendessen ging es mit der nächstbesten Tram zum Heinz-Krügel-Stadion. Dort erwarb ich bei einer Tombola für einen guten Zweck noch diverse Nieten und suchte mir dann ein „schönes“ Plätzchen auf der Gegengerade. Ziel war es den Gästeblock möglichst prominent vor die Linse zu bekommen und dafür war mein erworbener Sitzplatz am rechten Rand der Tribüne, angrenzend zu Block U, natürlich nicht so gut geeignet. Aber ich kam auch problemlos in den Block am linken Rand. Allerdings stand ich nun mitten in einem erlebnisorientierten MD-BS-Haufen.

Schalparade in Block U

Die wachsamen Augen der kahlen Köpfe musterten jeden Zuzügler am Blockeingang. Aber – und das spricht eigentlich nicht für mich – ich kam problemlos durch die Gesichtskontrolle, während wenig später ein erkennbarer 96-Sympathisant gleich mal die Treppe hinunter gekickt wurde. Man gut, dass ich im Büro natürlich keine Fanartikel trage und deshalb einen unauffälligen Casual Friday Look am Leib hatte. Ferner parlierte ich ganz gut im Idiom der Magdeburger und grundsätzlich kam von denen keiner auf die Idee, dass ein Hannoveraner sich einfach dreist in ihren Mob stellt und von dort das Spiel verfolgt. Lediglich das ewige Filmen und Fotografieren des Gästebereichs war ein bisschen auffällig. Aber meine Nachbarn waren ebenfalls sehr fixiert auf den 96-Anhang, so dass sie vielleicht gar keine Augen mehr für ihr direktes Umfeld hatten.

Der Mob entert den Block

Zunächst einmal fiel ihnen wie mir auf, dass zu Spielbeginn noch ein paar Plätze im Gästebereich leer geblieben waren und der Zaun nicht beflaggt war. Spekulationen ob es Probleme am Einlass oder bei der Anreise gab, machten die Runde. Doch zur 10.Minute kam ein Maskierter in den Gästeblock marschiert und entflammte die erste Fackel des Tages. Nun folgte der Mob nebst weiteren Fackeln und jetzt wurde auch der Zaun bestiegen und jener ordentlich mit Bannern verhüllt. Es begann ein Auftritt der Szene, bei dem ich auch nach zwei Nächten darüber schlafen kein großes Optimierungspotential sehe. Akustisch und optisch war das zwischen 18:40 Uhr und 20:30 Uhr einer der besten Auftritte, die ich bisher auf deutschem Boden erlebt habe. Als Preisrichter hätte ich am Ende ein Schild mit der Wertung 9.6 hochgehalten.

Der gut aufgelegte Gästeanhang

Block U war natürlich auch nicht schlecht, spulte jedoch „nur“ gewissermaßen sein Standardrepertoire ab. Das ist bekanntermaßen gut, laut und ausdauernd, aber irgendwie fehlte das gewisse Etwas. Insbesondere war der Spielverlauf natürlich nicht geeignet, dass der Funke aus Block U auf die anderen Tribünen überspringen konnte. Denn obwohl der FCM 68 % Ballbesitz auswies, doppelt so viele Pässe wie die Gäste spielte (inklusive besserer Passquote als 96) und auch ein leichtes Chancenplus verbuchte, fing sich der Aufsteiger eine richtige Packung. Die Spielphilosophie und die taktische Ausrichtung von Christian Titz, die im Vorjahr zum souveränen Meistertitel der 3.Liga führten, verfangen eine Klasse höher noch nicht.

Intro der hannoverschen Szene zur 2.Halbzeit

Stefan Leitl hatte dagegen trotz erstem Saisonsieg am Vorwochenende (1:0 gegen Jahn Regensburg im Niedersachsenstadion) personell und taktisch etwas variiert und die heutige Formation zeigte von Anfang an den nötigen Biss. Man überließ zwar den Magdeburgern weitgehend den Ball, presste jedoch sehr früh und effizient und kam nach Balleroberung selbst zu zahlreichen guten Torchancen. In der 14.Minute profitierte Beier von einem Abwehrfehler der Hausherren und konnte das 0:1 erzielen. Natürlich großer Jubel bei den 2.500 mitgereisten Fans aus Hannover. 96 blieb fortan die gefährlichere Mannschaft und das 0:2 in der 44.Minute durch Krajnc war folgerichtig.

Ein wahres Inferno

In der Pause verschwanden diverse hannoversche Ultras unter einer Fahne und kamen vermummt wieder hervor. Die Maskierten verteilten sich überall im Block und zu Beginn der 2.Halbzeit gab es nun ein paar schwarze Rauchdosen, ehe im Stakkato die roten Signalfackeln entflammt wurden. Das war natürlich ein geniales Bild (siehe auch Video). Als dann in der 56.Minute Muroya das 0:3 gelang, wussten die Magdeburger wohl endgültig, dass es einfach nicht ihr Abend ist. Wenn die eigene Mannschaft untergeht und der Gästeblock permanent „Abriss“ macht, muss man einfach schlechte Laune kriegen. Nichtsdestotrotz zog zumindest Block U weiter eisern sein Programm mit Gesängen, Hüpfeinlagen und Schalparaden durch.

Rücken an Rücken in Block U

In den letzten 30 Spielminuten ließ 96 weiterhin kaum Großchancen zu und im Zweifelsfall war Ron-Robert Zieler zur Stelle. Der Gästesupport wechselte in der Schlussphase schließlich in den Partymodus. Mit dem 96 Walzer oder dem Europapokallied wurde jedenfalls gute Laune nach außen vermittelt. Umso aggressiver wirkten meine Nachbarn im Block. Erst recht, als auch noch insbesondere die BS-Fraktion mit dem Banner „Tod und Hass dem BTSV“ gegrüßt wurde (verbal gab es zuvor natürlich auch schon einige Schmähungen des Erzrivalen). Hier lag auf jeden Fall noch was in der Luft. Aber zunächst durfte der eingewechselte Cedric Teuchert mit dem 0:4 in der Nachspielzeit den sportlichen Schlusspunkt setzen.

Man zelebriert den Auswärtssieg

Die siegreiche Mannschaft kam nach Abpfiff zum Feiern in die Gästekurve und dabei wurden im Block abermals Freudenfeuer entzündet. Ich hielt auch diese Zeremonie in Bild und Ton fest (siehe Video) und anschließend fiel mir auf, dass die Normalos aus meinem Block alle bereits den Heimweg angetreten hatten und quasi nur noch das gewaltaffine Publikum in meiner Nachbarschaft anwesend war. In dieser hitzigen Situation fühlte ich mich endgültig deplatziert und spazierte im Umlauf zum Block U bzw. zum Ausgang. Ich hörte jedoch alsbald Hektik aus dem Innenraum und wäre an der Heimkurve beinahe von Magdeburgs ultraorientiertem Haufen umgerannt worden, der vermummt in Richtung Gästebereich eilte.

Lockeres Auslaufen nach Abpfiff

Also schnell in den Block U gegangen und von dort das erwartbare Szenario beäugt. Den Medien konnte ich entnehmen, dass wohl eine Fackel oder eine Leuchtkugel in den Heimsektor geflogen ist und es dann beim MD-BS-Pöbel kein Halten mehr gab. Hannoversche Sportfreunde waren auch schnell über den Zaun und boten den Angreifern schlagkräftig Paroli bis die Polizei auf den Plan trat und die Lager trennen konnte. Auch in dieser Disziplin konnte also kein Heimsieg verbucht werden.

Der Tumult wird aufgelöst

Als die Lage wieder beruhigt war, musste ich mich sputen, um meine angepeilte Verbindung für die Rückreise realisieren zu können. Zum Glück erwischte ich gegen 20:45 Uhr eine Tram zum Hauptbahnhof und zwei Minuten vor Abfahrt des Zuges spuckte mich diese am Bahnhofsvorplatz aus. Einen beherzten Sprint später huschte ich durch die Zugtür und via Goslar ging es um 21:08 Uhr heimwärts. Der Zug war natürlich voll mit FCM-Fans, aber ich blieb auch hier unbehelligt. Stattdessen schnappte ich auf, dass die Szenetypen aus dem Nordharz den Auftritt der Gästefans ebenfalls beeindruckend fanden. Aber da konnte es heute wirklich keine zwei Meinungen geben. Ich freue mich jedenfalls schon auf das Rückspiel, wo MD sicher hochmotiviert im Niedersachsenstadion erscheint.

Romantischer Abschied vom Heinz-Krügel-Stadion

Die Fans aus dem Gästebereich hatten teilweise nicht so einen reibungslosen Heimweg. Es existierten wohl nicht die Kapazitäten, um alle rechtzeitig für ihre angedachten Züge zum Hauptbahnhof zu transportieren. Entsprechend sind ein paar hundert Schlachtenbummler aus Hannover über Nacht am Magdeburger Hbf gestrandet und die begleitende Polizei musste nun auch den Feierabend in die frühen Morgenstunden verschieben. Dabei waren die Versorgungsmöglichkeiten mit Getränken, sowie der Zugang zu sanitären Anlagen laut Betroffenen unzureichend. Aber wahrscheinlich sind trotzdem alle mit einem breiten Grinsen heimgekehrt. Eine Auswärtsfahrt, die jedem wohl zu mindestens 96 % positiv im Gedächtnis bleiben wird.

Song of the Tour: Da war heute Feuer drin