Berlin 10/2020

  • 08.10.2020
  • 1.FC Union Berlin – HSV von 1896 4:1
  • Friendly (I/II)
  • Stadion an der Alten Försterei (Att: 1.759)

Dienstagabend habe ich zufällig bemerkt, dass Hannover 96 am Donnerstagabend in Berlin beim 1.FC Union gastiert. Ein Testspiel in der Länderspielpause. So habe ich auch überhaupt erst erfahren, dass „Die MANNSCHAFT“ drei Länderspiele in sieben Tagen absolvieren muss. Na gut, dass ging in den Meldungen vielleicht unter, da der ach so saubere DFB mal wieder Ärger mit dem Finanzamt hat („Razzia bei der Fussballmafia“). Ich bin sicher, dass die Vorwürfe allesamt haltlos sind und der Ruf der betroffenen Ehrenmänner wieder restlos rehabilitiert wird.

Grafitto der Fanszene in Köpenick

Doch zurück zum 96-Testspiel in Köpenick… Kurz geguckt, ob man als in Niedersachsen gemeldeter Weltbürger ohne Mitgliedschaft oder Booking History bei Union an Karten für diesen Kick kommen kann und siehe da: Nema problema! Also 13 € (inklusive Gebühren) für ein Ticket auf der Haupttribüne investiert und 40 Stunden vor Anpfiff sogar noch Sparpreise bei der Deutschen Bahn ergattert.

In Berlin gibt es vorerst eine Sperrstunde

Los ging es am Donnerstagmorgen um 8:37 Uhr in Hildesheim und exakt zwei Stunden später erreichte ich den Berliner Ostbahnhof (19,40 €). Über Berlin hört und liest man bekanntlich aktuell Alarmierendes in Sachen SARS-CoV-2-Pandemie. Diverse Bezirke wurden jüngst als Risikogebiet eingestuft (Inzidenzwert über 50 je 100.000 Einwohner) und das Bundesland als Ganzes hatte bei Reiseantritt eine 7-Tage-Inzidenz von 47,2 pro 100.000 Einwohnern. Doch der Bezirk Treptow-Köpenick ist mit einer gegenwärtigen Inzidenz von 30,0 noch im grünen Bereich.

Hauptfeld des Sowjetischen Ehrenmals (letzte Ruhestätte für rund 7.000 der circa 80.000 gefallenen Rotarmisten in der Schlacht um Berlin)

Also wurde als alerter Bürger sofort diese halbwegs sichere Zone angesteuert und bloß kein Fuß in die Bezirke Neukölln (101,9), Mitte (76,4) oder Friedrichshain-Kreuzberg (68,0) gesetzt. Treptow-Köpenick hat für Touris wie mich schließlich auch einiges zu bieten. Zum Beispiel den Treptower Park mit dem Sowjetischen Ehrenmal (leider gerade in einer Restaurationsphase und daher nur bedingt zugänglich).

Skulptur eines knienden Soldaten

Kaum dort angekommen, erinnerte ich mich wieder. Deutschland hat tatsächlich noch nie einen Weltkrieg gewonnen und nicht mal vom Nationalsozialismus konnte es sich alleine befreien. Wobei; ich glaube irgendwie, die Mehrheit wollte gar nicht unbedingt befreit werden bzw. musste erst zu ihrem Glück gezwungen werden. Ausgerechnet von so einem Arschloch wie Stalin. Aber egal, Hauptsache Hitler bewies im Führerbunker nochmal seine Jämmerlichkeit und ab dem 9.Mai 1945 waren plötzlich fast alle Deutschen über Nacht zu Antifaschisten geworden oder haben wenigstens den Hitler eigentlich gar nicht so gut gefunden. Ein exponentieller Anstieg von dem selbst SARS-CoV-2 nur träumen kann.

Hauptachse mit Bronzekranz

Befreier Stalin werden sie in Ost- und Mitteldeutschland sicher auch nicht so gut gefunden haben. Gründe: Vertreibung der Deutschen aus den deutschen Ostgebieten, Vergewaltigungen und Plünderungen im Zuge des Vormarsches der Roten Armee und sowjetische Besatzung mit reichlich Reparationsmotivation (ganze Fabriken wurden demontiert und gen Sowjetunion verschickt). Ab 1949 dann obendrein 40 Jahre realsozialistische Diktatur auf mitteldeutschem Boden und Satellitenstaatsdasein im Orbit der Sowjetunion.

16 Kalksteinsarkophage erzählen mit Reliefs aus der Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges

Na ja, jetzt ist Deutschland auch schon wieder stolze 30 Jahre wiedervereinigt und hat in den letzten Dekaden auf politischem und wirtschaftlichem Wege das geschafft, wovon erst der Kaiser und dann der Führer immer geträumt haben: Eine Hegemonialstellung auf dem europäischen Kontinent. Ganz ohne Waffengang. Sogar ohne Wehrpflicht, ohne moderne Armee und mit Rüstungsausgaben deutlich unterhalb der NATO-Vorgaben. Dafür rüsten wir die halbe Welt mit unseren Waffen aus. Unter anderem Erdogan, der in seinen Nachbarländern militärisch seine feuchten osmanischen Träume auslebt (jüngst in Bergkarabach bzw. der Republik Arzach). Oder Saudi-Prinz Mohammed bin Salman, der unliebsame Journalisten erdrosseln lässt und blutige Stellvertreterkriege mit dem Erzrivalen Iran führt, vor allem im Jemen. Egal… Exportweltmeister!

Die 12 Meter hohe Skulptur „Der Befreier“ von Jewgeni Wutschetitsch

Vom Sowjetischen Ehrenmal ging es anschließend schön die mit Bäumen gesäumte B96 – ich nenne sie aus aktuellem Anlass auch gerne „Allee des Derbysieges“ – entlang zum Plänterwald. Im Plänterwald wiederum findet man die Überreste des einzigen Freizeitparks der DDR. Das Areal ist leider komplett eingezäunt und eine Führung (solche werden durchaus angeboten) war heute bedauerlicherweise nicht möglich.

Teetassenkarussell im Plänterwald

Also nur durch den Wald spaziert (man muss ja irgendwie auf seine Kilometer kommen) und irgendwann auf der breiten Köpenicker Landstraße gelandet. 12:30 Uhr war es nun. Zeit für Mittagessen! Dazu ging es zum peruanischen Lokal Tio Bito, wo der Onkel mir zunächst eine Empanada mit Aji de Gallina servieren durfte (Aji de Gallina ist eine Art peruanischer Hühnereintopf mit Zwiebeln, Knoblauch und gelber Glockenchili). Anschließend gab es noch Choripan (ein Sandwich mit gebratener argentinischer Chorizo, Zwiebeln und Chimichurri). Beide Snacks konnten mit einer gesunden Schärfe punkten. So mag der Don das! Zusammen mit einem Zitronengrastee und ziemlich exakt 15 % Trinkgeld war ich faire 10 € los.

Choripan bei Onkel Bito

Nach meiner kleinen Mittagspause fuhr ich per Stadtbus weiter nach Köpenick und flanierte mal wieder mal durch die mir bereits bekannte Altstadt des Stadtteils (siehe Berlin 10/2016) und durch die Köpenicker Vorstadtsiedlung Kietz. Das ist eine alte Fischersiedlung mit netten kleinen Häusern (insgesamt 17 Stück), die vorwiegend aus dem 18.Jahrhundert stammen. Gemeinsam mit einigen Gründerzeitbauten aus dem späten 19.Jahrhundert steht der namensgebende Straßenzug Kietz als Gesamtensemble unter Denkmalschutz. Auch beim Köpenicker Schloss schaute ich mal wieder vorbei, aber das Innere war- (mutmaßlich coronabedingt – immer noch für Besucher geschlossen.

Unterwegs im Kietz

Gegen 14:30 Uhr zog sich der Himmel leider zu wie die Berliner Jugend auf illegalen Raves. Dementsprechend war es gut, dass der nächste Tagesordnungspunkt indoor stattfinden würde. Die Gedenkstätte für die Opfer der Köpenicker Blutwoche hat immer nur donnerstags (von 10 bis 18 Uhr) geöffnet und musste daher heuer unbedingt mal besucht werden. Jene Blutwoche war ein Ereignis im Jahre 1933, kurz nach der so genannten Machtergreifung der Nationalsozialisten. Bekanntermaßen hatte die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) schon in der Weimarer Republik auf ihre paramilitärische Sturmabteilung (SA) zurückgreifen können und deren Verbände für Aufmärsche, Wahlkampf, Straßenkampf und Überfälle auf ihre erklärten Feinde wie Sozialdemokraten, Kommunisten und Juden genutzt. Nachdem die NSDAP im Januar 1933 nu die Regierungsverantwortung übernommen hatte und ihr Führer Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, nahmen die Übergriffe der SA im Frühjahr 1933 nochmal an Umfang und Intensität deutlich zu.

Ehemaliger Zellentrakt des Köpenicker Amtsgerichts

Am 21.Juni 1933 begann die bis dahin größte Terroraktion der SA. Es kam in Köpenick zu einer mehrtägigen Verhaftungs- und Folterwelle, die mindestens 23 Menschen mit ihrem Leben bezahlten. Insgesamt ging die SA gegen ca. 500 politische Gegner und jüdische Mitbürger in Köpenick vor. In mehreren Sturmlokalen (lokale Stützpunkte der SA, von denen es Anfang der 1930er Jahre allein über 100 Stück in Berlin gab) und im Gefängnis des Köpenicker Amtsgerichtes wurden die politischen Gegner verhört und gefoltert. Wer die Folter nicht überlebte, dessen Leiche wurde in Gewässern versenkt oder an Bäumen aufgeknüpft.

Eine Zelle im Amtsgericht

Am späten Abend des 21.Juni 1933 kam es außerdem zu einem besonders folgenschweren Zusammenstoß. Die SA drang in das Haus der Familie Schmaus ein, um Vater Johann und Sohn Anton (beide in der SPD aktiv) habhaft zu werden. Dabei schoss Anton Schmaus aus Notwehr auf die Eindringlinge und im Schusswechsel wurden drei SA-Männer tödlich getroffen (zwei durch Schmaus, einer mutmaßlich durch einen eigenen Mann). Die drei toten SA-Männer kamen der NS-Propaganda nicht ungelegen. Sie wurden zu „Blutzeugen“ im Kampf gegen den marxistischen Terror stilisiert und konnten so als nachträgliche Legitimation für die Terroraktionen in Köpenick genutzt werden.

Mahnmal der Köpenicker Blutwoche aus der DDR-Zeit

Bei einem Trauermarsch der Nazis durch Köpenick war übrigens SA-Standartenführer August Wilhelm von Preußen (Sohn des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II.) in der ersten Reihe dabei. Der Hohenzollernprinz hatte wie sein älterer Bruder, der Kronprinz Wilhelm von Preußen, mit dem neuen Regime angebandelt. Besonders Kronprinz Wilhelm hatte sich persönlich für die Ernennung Adolfs Hitlers zum Reichskanzler im bürgerlich-konservativen Lager eingesetzt, während August Wilhelm aktiv Wahlkampf für seine NSDAP machte (August Wilhelm war bereits seit 1930 Parteimitglied). Der Umfang des Engagements der Hohenzollern für die Nazis wird bis in die Gegenwart kontrovers diskutiert. Denn die Nachfahren fordern Entschädigung für den einstigen Familienbesitz (bzw. teilweise dessen Rücküberlassung), welcher nach 1945 im Zuge der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) enteignet worden war. Nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 gingen diese Sachwerte in den Besitz der Bundesländer Berlin und Brandenburg über und man schuf 1994 eine gesetzliche Grundlage für die Entschädigungsforderungen der dereinst enteigneten Familien. Wessen Vorfahren dem Nationalsozialismus erheblichen Vorschub geleistet haben, dessen Ansprüche sind allerdings erloschen. Deshalb haben die Streitparteien Gutachten in Auftrag gegeben, die be- oder widerlegen sollen, dass die Hohenzollern, allen voran der damalige Kronprinz, eine bedeutende Rolle bei der Machtergreifung der Nationalsozialisten gespielt haben. Die Gutachten weichen in ihrer Bewertung teils erheblich ab und es gibt zur Zeit einen kleinen „Historikerstreit“ (die Gutachten gibt es hier zum Nachlesen).

Wilhelm von Preußen in SA-Uniform (Bildquelle)

Doch zurück zu den Ereignissen im Juni 1933. Anton Schmaus stellte sich nach dem Schusswechsel der Polizei in Köpenick, aber ein rund achtzigköpfiger Mob der SA erwartete ihn bereits am Polizeirevier. Zu seinem Schutz sollte Schmaus am 22.Juni 1933 – übrigens wurde die SPD an diesem Tag vom NS-Regime verboten – ins Polizeipräsidium am Alexanderplatz überführt werden. Der Polizeitransport wurde von der SA verfolgt und die Häscher drangen schließlich ins Polizeipräsidium ein, wo Schmaus von zwei Polizisten bewacht wurde. Im folgenden Gerangel um Schmaus erlitt dieser bereits eine schwere Schussverletzung am Rücken und wurde ins Polizeikrankenhaus Berlin-Mitte gebracht. Anton Schmaus war fortan von der Hüfte abwärts gelähmt und verblieb monatelang im Krankenhaus. Im Januar 1934, als die Machtbasis der Nazis noch fortgeschrittener war, wurde von Schmaus von der SA aus dem Krankenhaus geholt und zu Tode gefoltert. Vater Johann Schmaus war übrigens schon am 22.Juni 1933 von einer SA-Mörderbande gefoltert und in seinem eigenen Haus erhängt worden.

Gemeinsamer Zeugenaufruf von SPD, KPD und CDU nach Kriegsende

Die Ereignisse der Köpenicker Blutwoche zeigen, wie sehr der Rechtsstaat bereits nach wenigen Monaten NS-Herrschaft erodiert war. Die Polizei konnte oder wollte die Bürger nicht mehr vor der SA schützen. Auch die Justiz blieb weitgehend untätig und am 25.Juli 1933 erging vom Reichsjustizminister Franz Gürtner für alle mit der Machtergreifung zusammenhängende Straftaten, also auch die Köpenicker Blutwoche, ein Gnadenerlass. Bis Kriegsende wurde dementsprechend kein Täter ernsthaft verfolgt. Ebenfalls versagte die Zivilgesellschaft. Protest und Empörung hielten sich in engen Grenzen. Höchstens die (öffentliche) Brutalität wurde teilweise kritisiert. Ein zeitgenössischer SA-Bericht notierte: „Die Bevölkerung von Köpenick regt sich nicht darüber auf, dass etwas geschieht, sondern lediglich über die Art, wie die Aktionen ausgeführt werden. Es soll bei diesen mit einem jeder Beschreibung spottenden Sadismus vorgegangen sein.“ Erst nach Kriegsende kam es in Ost- und Westberlin zu mehreren Prozessen gegen die Täter der Blutwoche (wobei im Osten u. a. 15 Todesurteile, teils in Abwesenheit, verhängt wurden).

Schlossportal in Köpenick

Nach einer knappen Stunde politischer Bildung in der Gedenkstätte, zeigte der Chronograph 15:45 Uhr an. Da es nach Spielende bereits 19 Uhr sein würde und ich außerdem zeitnah nach Abpfiff wieder im Zug sitzen musste, beschloss ich vorab zu Abend zu essen. Dazu ging es in der indische Lokal Ajanta in Köpenick. Bei einem Lassi wurde die Speisekarte studiert und sich letztlich für Indisches Vollkornfladenbrot mit Paneer (Rahmkäse) im Teig und Mutton Sabzi (Lammfleischstücke in einer Ingwer-Knoblauch-Currysauce mit Blumenkohl, Möhren und Erbsen) entscheiden. Natürlich begleitet von einer ordentlichen Portion gelbem Basmati. Es war scharf, es war lecker und es war reichlich. Entsprechend zahlte ich gerne die fälligen 12,90 € und ergänzte die Rechnungssumme noch mit ca. 16 % Trinkgeld.

Indisches Abendmahl

Nach dem Essen ging es schnurstracks zum Stadion und gegen 16:40 Uhr erreichte ich schließlich die Alte Försterei. Zusammen mit der Mannschaft von Hannover 96, die zwar vorbildlich in zwei Bussen anreiste (Abstand und so), aber reichlich spät dran war. Entsprechend rutschte die Anstoßzeit auf 17:20 Uhr. Also gab es auch erst nach 17 Uhr die Aufstellungen durch den Stadionlautsprecher mitgeteilt. Dabei skandierten die Fans nach jedem Namen der Gäste ein „Na und?“ und anschließend wurde bei jedem Namen der eigenen Elf ein „Fußballgott“ geschmettert. War mir bei den bisherigen Besuchen an der Wuhle noch nie aufgefallen. Aber gut, da stand ich auch immer im Gästeblock.

Wo bitte geht es hier zum Stadion?

Frau Hagen durfte anschließend natürlich noch die Inbrunst der Unioner kitzeln und dann rollte endlich der Ball. Immer noch begleitet von einer konstanten Kuttenstimmung im Stadion. Gar nicht so übel, in diesen stimmungsarmen Zeiten mal wieder Fangesänge zu hören. Übrigens war es das Premierenspiel von Loris Karius im Tor der Eisernen. In der 24.Minute hatte er bei einem harmlosen Fernschuss von Baris Basdas seinen ersten Ballkontakt. Das sagt denke ich alles über Hannovers Start in die Partie. Doch auch die Hausherren zündeten zunächst kein Feuerwerk der Offensivkunst. Ein Strafstoß in der 27.Minute musste für ihre Führung sorgen. Diesen verwandelte Akaki Gogia cool per Lupfer.

Ankunft am Stadion an der Alten Försterei (zu sehen ist der 1968 errungene FDGB-Pokal)

Insgesamt war es in den ersten 45 Minuten ein gruseliger Kick. Hannovers zweiter Anzug zwickte etwas und auch die von Urs Fischer ins Feld geschickte B-Elf des Erstligisten vermochte nicht zu überzeugen. Immerhin kam 96 etwas besser aus der Kabine und nach einem Pfostenschuss von Patrick Twumasi staubte Ex-Unioner Valmir Sulejmani zum 1:1 ab (49.Minute). Niedersachsens bestplatzierte Mannschaft in der Ewigen Tabelle der 1.Bundesliga war fortan 10 bis 15 Spielminuten die aktivere Elf, brachte in dieser Phase jedoch keine Führung zustande.

Ein Hauch von Fankultur

Stattdessen drehte Union im letzten Viertel der Partie nochmal richtig auf. Man könnte auch sagen, dass Fischers Joker stachen. Da war zunächst der in der 62.Minute eingewechselte Marius Bülter. Der gebürtige Ibbenbührer besorgte in der 69.Minute das 2:1 für seine Farben. Danach kam Cedric Teuchert zu seinem großen Auftritt (seit der Halbzeitpause auf dem Feld). Der Ex-96er knipste in der 72.Minute zum 2:1 und nur drei Minuten später nutzte er ein tolles Zuspiel von Julien Ryerson zu einem Traumtor in den Winkel. Diese komfortable 4:1 Führung blieb in der Schlussviertelstunde unangetastet. Verdienter Sieg von Union B gegen 96 B bis C (zum Schluss standen bei 96 u. a. diverse Nachwuchskicker auf dem Platz, deren Namen nichtmal auf‘s Trikot gedruckt wurden).

96 führt einen Freistoß aus

Ich denke die Unioner waren ganz zufrieden mit ihrem Auftritt. Allerdings hatte die Stimmung im Stadion noch ein Nachspiel. Denn während beim vorangegangenen Pflichtspiel gegen Mainz 05 (4:0 Heimsieg am 2.Oktober) noch Fangesänge gestattet waren, sind diese in der jüngsten Berliner Infektionsschutzverordnung untersagt. Etwas absurd, da in der gleichen Verordnung Gesang in geschlossenen Räumen (z. B. Chorsingen) unter Abstandsregeln gestattet wird. Obendrein hatte Union ein vernünftiges Hygienekonzept und selbst auf den Stehplätzen standen höchstens Kleingruppen enger beieinander. Herrscht wirklich akute Infektionsgefahr, wenn in offenen Stadien (mit Abstand) gesungen wird, muss man konsequenterweise doch ohne Zuschauer spielen. Denn ein absolutes Stimmungsverbot lässt sich meines Erachtens nur schwer durchsetzen.

Das Stadion blieb nahezu leer, obwohl immerhin 5.000 Zuschauer erlaubt waren

Noch weniger durchdacht als Berliner Schutzverordnungen war im Nachgang der Partie außerdem ein Kommentar des hannoverschen Madsack-Journalisten Andreas Willeke (Sportbuzzer / HAZ / NP). Der war aufgrund der steigenden Fallzahlen in Berlin empört, dass Union trotzdem vor Zuschauern spielte (bis zu 5.000 wären erlaubt gewesen) und mutmaßte finanzielle Gier des Bundesligisten. Laut Willeke ein fatales Signal, welches Union damit sendete. Ein Beleg für die Maßlosigkeit des Fußballs, das die ganze Branche in Verruf bringt. Sie reden von Demut, denken aber nur daran, Kasse zu machen. Was ein Schwachsinn! Die Tickets gegen 96 kosteten 5 bis 10 € (für Vollzahler, exklusive Gebühren). Selbst wenn Union alle 5.000 Tickets abgesetzt hätte… Als wäre ein Bundesligist, der sich u. a. Max Kruse und Loris Karius (und eigene Gullideckel) leisten kann, auf ca. 25.000 € Einnahmen angewiesen ist. Dann ziehen wir noch die Steuer und die Kosten der Durchführung ab (Ordnungsdienst usw.) und haben am Ende das Geld für einen Mannschaftsabend in einem Szenerestaurant in Berlin-Mitte übrig. Wenn Union wirklich geil auf ausverkauftes Haus und die damit verbundene Kohle gewesen wäre, hätten sie allein schon später als 17 Uhr angepfiffen.

Eigentlich nennt man sie ja die Gusseisernen…

Nach Abpfiff (gegen 19:10 Uhr) ging es zügig zum S-Bahnhof Köpenick. Wobei das verbliebene Zeitfenster von 20 Minuten für circa 1,5 km keinen sonderlichen Druck erzeugte. Ich bekam problemlos meine angepeilte S-Bahn und via Berlin Ostbahnhof und Magdeburg Hauptbahnhof ging es nach Hannover (18,65 €) und von dort weiter nach Hildesheim. Kurz nach Mitternacht lag ich im Bett und realisierte, dass zwei Wochen Urlaub schon fast vorüber waren. Zwar mehr als ungewohnt, dass ich Urlaub hatte und Deutschland nicht verließ. Aber ich denke, ich habe mit Family Time, meinen Wandertouren im Harz und den kleinen Ausflügen nach Bamberg und Berlin die Zeit ganz gut gefüllt. 2021 wird sich die Welt wahrscheinlich auch noch sehr im Viruswürgegriff befinden, aber für 2022 habe ich schon wieder leise Hoffnung auf das alte Reiseleben.

Song of the Tour: Frau Hagens Hymne in voller Ausschmückung.