Tel Aviv 01/2018

  • 29.01.2018
  • Maccabi Netanya – Beitar Jerusalem 2:1
  • Ligat ha’Al (I)
  • Netanya Stadium (Att: 12.500)

Sonntagabend auf der Zugfahrt von Akko nach Tel Aviv hatten wir das große Los gezogen. Da Schirm und ich es noch geschafft hatten ein Dutzend Dosen Goldstar für die Bande zu organisieren, wünschte uns die junge Dame aus der Sitzreihe hinter uns einen guten Durst. Das Angebot mitzutrinken, nahm sie unverzüglich an und setzte sich dafür gern zu uns. Shira kam ursprünglich aus San Diego, war 21 Jahre alt und hatte gerade ihren zweijährigen Wehrdienst in der israelischen Armee hinter sich. Das supernette Gespräch drehte sich natürlich um Gott und die Welt und irgendwann meinte sie: „Was macht ihr heute noch in Tel Aviv? […] Ich weiß ja nicht, ob ihr Blues mögt, aber ich bin mit Freunden in einem Club mit Live Music verabredet. Da gibt es ein gutes Angebot für euch. Ihr zahlt 80 Shekel und könnt soviel Bier trinken wie ihr wollt.“ Wir vergewisserten uns nochmal, dass wir uns nicht nicht verhört hatten (eine Beerflat für 20 € im sonst so hochpreisigen Tel Aviv?) und willigten daraufhin umgehend ein. Blues, das war schon immer unsere Musik 😉

Nice Offer

In Tel Aviv schnappten wir uns mit Shira zwei Taxis und fuhren in die Allenby Street 94. Von außen war überhaupt kein Club auszumachen, da der Eingang des Pasaz gut versteckt in einer kleinen Passage war. Wären wir ohne Insiderwissen im Leben nicht drauf gestoßen. Am Eingang waren 10 Shekel Eintritt zu entrichten (bescheidene 2,40 €) und drinnen gab es bei der sonntäglichen Partyreihe Blues & Booz tatsächlich das von Shira angepriesene Angebot. Es gab sogar noch die Extended Version für 99 Shekel, wo dann auch Long Drinks inbegriffen waren (ein Fall für Schirm!). Das fleißige Bienchen am Tresen merkte beim Bezahlen gleich an, dass Trinkgeld nicht inklusive ist. Deshalb zahlten wir  brav 100 (bzw. 120) Shekel für ein Bändchen und den Service (der von uns auch entsprechend gut in den nächsten 3,5 Stunden beschäftigt wurde). Rund 25 € für Bier ohne Ende waren natürlich immer noch ein gutes Geschäft.

Ordentliche Live-Mukke

Shira verabschiedete sich nach unserem Kauferfolg zu ihren Leuten, wo zum Glück kein Platz mehr für weitere Typen in der Sitzecke war. Das waren nämlich alles nur Kerle, inklusive ihrem aktuellen Sexualpartner (Beziehung wollte sie es im Vorfeld nicht nennen, „It’s something else“). Schade, hatten wir doch auf eine Armada von Freundinnen gehofft, die alle ebefalls gerade den Wehrdienst beendet hatten und nun Bock auf eine internationale humanitäre Mission haben. Solch ein unverschämtes Glück war uns leider nicht vergönnt. Aber mit Bier ohne Limit kann man sich auch erstmal zufrieden geben, dachten sich Schirm, Abto, Ole und ich. Die bändchenlosen Gulle und Max hatten dagegen in wenigen Stunden die letzte Gelegenheit für einen Tagestrip nach Jerusalem auf dieser Reise (wo ich eigentlich als Guide fungieren sollte) und gingen deshalb schweren Herzens nach einem Drink ins Appartement. Der Rest genoss wirklich gute handgemachte Musik von diversen Bands (war alles relativ rockiger Blues), hatte nette Gespräche mit anderen Gästen und konsumierte etliche Biere. Am Fuße der Angebotskarte stand nicht ohne Grund „Good Luck Tomorrow Morning“. Doch lass das mal das Problem von Zukunfts-Schneppe sein, dachte ich mir. Stattdessen wurde bis Ultimo gefeiert (3:30 Uhr) und einen nächtlichen Snack in einer Pizzastube gab es auf dem Heimweg auch noch.

German Zechers

Montagmorgen, mit einem Schädel von hier bis Beer Sheva, war ich natürlich nicht in der Lage Gulle und Max nach Jerusalem zu begleiten (die wollten verständlicherweise bereits um 8 Uhr los). Jedoch bin ich notgedrungen ein Stück mitgekommen, da ich Gulles Reisekasse verwaltete und ihm noch Geld ziehen musste. Ich bin also schnell in Nachthemd, Badelatschen und Badehose zum Geldautomaten um die Ecke mitgelatscht. Blöderweise war der defekt. Also ab zum nächsten, doch der akzeptierte meine Kreditkarte nicht. Im Endeffekt bin ich über einen Kilometer mit Kopfschmerzen die Allenby Street mitgelaufen, bis bei einer richtigen Bank meine MasterCard akzeptiert wurde. Das Komische; niemand guckte mich komisch an. Aber Tel Aviv ist ja so voll mit schrägen Vögeln (ich erinnere mich z. B. an einen Typen, der letztes Jahr nur in Boxershorts in ein Taxi stieg), da war dieser Morninglook nicht extravagant genug.

Frühsport am Pumperstrand

Danach schlief ich nochmal bis 12 Uhr und war dann überraschend fit und vor allem derbe hungrig. Mit Schirm, Abto und Ole ging es bei strahlendem Sonnenschein zum Frühsport an den Strand (keine Angst, ich habe nur die Poserfotos geknipst) und im Anschluss wieder zu Shakshukia zum Frühstücken. Heute gönnte ich mir die Tomaten-Eier-Spezialität Shakshuka mal mit geräucherter Gänsebrust. Auch lecker, aber die Merguez-Fleischeinlage bleibt mein Favorit.

Shakshuka mit Gänsebrust

Nach dem Essen musste der Tag bis abends mit Inhalt gefüllt werden. 21 Uhr sollte Anstoß bei Maccabi Netanya gegen Beitar Jerusalem im 30 km entfernten Netanya sein. Meine drei Freunde wollten nun (14 Uhr) sofort rüber nach Netanya und dort einen Strandtag machen. Nicht so schlecht, waren es doch heute angenehme 21° C. Sechs Stunden Strand war mir jedoch zuviel (sonst gibt Netanya nicht so viel her) und ich gedachte lieber in Tel Aviv eine Kombination aus Strand, Sightseeing und Fußball zu betreiben, ehe ich gegen 19:30 Uhr direkt zum Stadion in die nördliche Nachbarstadt aufbrechen würde.

Beach Boy

Ich machte auf dem Weg zum Appartement noch einen kleinen Lebensmitteleinkauf, bevor ich die Badehose und das Handtuch einpackte. Am Strand vor unserer Unterkunft legte ich mich ein Stündchen in die Sonne und knietief ging es noch ins Mittelmeer. Jedoch war das Wasser im Gegensatz zum Trip im Vorjahr etwas zu kalt für echten Schwimmspaß. Als ich das nächste Mal auf die Uhr schaute, war schon Anpfiff bei der anvisierten Partie von Maccabi Kabilio Jaffa gegen Hapoel Azor (3.Liga).

Bauhausarchitektur

Ich beschloss nun einfach mal eine attraktive Route durch die Viertel Neve Tzedek und Florentin zum Stadion zu nehmen und dann, wenn möglich, noch die 2.Halbzeit des Spiels zu schauen. Neve Tzedek, südlich unserer Unterkunft, ist im Prinzip die Keimzelle der Stadt Tel Aviv. 1887 siedelten hier die ersten Juden vor den Toren von Jaffa und 1909 wurde das Viertel zusammen mit weiteren neuen jüdischen Siedlungen zur Stadt Tel Aviv. Der Epoche entsprechend, gibt es hier nette Jugendstilhäuser aus der Zeit der Jahrhundertwende, ergänzt um eklektizistische Architektur und Bauhausstil aus der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts. Die alte Bausubstanz und eine beschauliche Atmosphäre, trotz Zentrumsnähe, machen das Viertel heute beliebt und teuer.

Bauhaus trifft auf Eklektizismus

Florentin enstand dagegen erst in den 1930er Jahren. Hier hatte der griechische Jude David Florentin Land gekauft und gründete eine Siedlung. Das Viertel war zwischenzeitlich ziemlich heruntergekommen, ist aber heute die Künstler- und Hipster-Hochburg von Tel Aviv. Vergleiche zu Shoreditch in London oder zur Lower East Side in Manhattan werden gerne gezogen (der Tel Aviver vergleicht seine Stadt übrigens in allen Belangen nur mit Weltmetropolen und nicht mit ähnlich großen Städten bzw. Metropolregionen wie Stuttgart, Łódź oder Baltimore). Die Wandlung zum Szeneviertel ging in Florentin natürlich mit einer Gentrifizierung einher und demenstprechend sind hier die Immobillienpreise in den letzten 20 Jahren noch mächtiger angezogen als anderswo in Tel Aviv. Der durchschnittliche Preisanstieg in Tel Aviv betrug seit 2000 stolze 45 %, explizit in Florentin waren es sogar 65 %.

Tel Aviv Streetart

Nun leben also nur noch wenige Familien mit Kindern und wenige Senioren in Florentin, stattdessen prägen hippe Menschen zwischen 20 und 35 das Stadtteilbild. Das bedeutet zig Cafés, Bars und Gastronomie aus aller Welt, wo jedes Lokal versucht angesagter als das andere zu sein, sowie haufenweise extrovierte Leute und viel Kunst im urbanen Raum. Auch das Nachtleben soll hier entsprechend quirlig sein und verdient nochmal eine Überprüfung beim nächsten Trip nach Tel Aviv.

In the ghetto…

Von Florentin ging es nun durch das sozialschwache Nachbarviertel Shapira (das beherbergt auch den abgeranzten Busbahnhof) zum Shkhunat Hatukva Stadium. Das Stadion war lange Heimat des Erstligisten Bnei Yehuda Tel Aviv und ist daher relativ groß (über 6.000 Plätze), aber auch schon relativ abgerockt. Genau mein Ding also. Dumm nur, dass man durch die geschlossene Bebauung keinen Blick ins Innere erhaschen konnte und dass die Ordner mich nicht mehr reinlassen wollten. Ohne Ticket kein Einlass und Tickets werden nur bis zum Anpfiff verkauft, hieß es („We are so sorry, but it’s not permitted for security reasons“). Schade, denn es schallten bei Wiederanpfiff sogar Trommelrhythmen und Gesänge nach draußen. Maccabi Kabilio scheint als einer der ältesten Fußballclubs Israels und langjähriger Erstligist auch in der 3.Liga noch eine gewisse Fanbasis zu haben.

Shkhunat Hatukva Stadium

Etwas geknickt, ging es nun über den Umweg Jaffa zurück in die Innenstadt. Am späten Nachmittag bei tiefstehender Sonne durch die alten, fast goldglänzenden Gassen Jaffas zu spazieren und auf der Hafenmauer am Meer zu sitzen, hatte natürlich nochmal Charme und entschädigte etwas für den vergeblichen Marsch zum Stadion. Hätte ich ohne Fußball natürlich auch gleich haben können! Scheiß Fußball!

In den Gassen von Jaffa

Von Jaffa spazierte ich dann am Strand entlang weiter in die Innenstadt. Ich machte auf dem Weg zum Appartement spontan noch Halt auf dem Carmel Market, was sich definitiv lohnte. Carmel ist das Basarviertel von Tel Aviv und auch wenn die Gegend keine 100 Jahre alt ist, hat sie doch die gleichen engen Gassen wie fast jeder orientalische Souk und diese herrliche Mischung aus Düften und Dezibel. Hier gab es Gemüse, Gewürze, Süßes, Fleisch, Stoffe, Kleidung und natürlich auch klassische Souvenirs, wovon ich gleich welche für die Familie kaufte.

Carmel Market

Anschließend gönnte ich meinen Beinen noch eine Stunde Ruhe im Appartement (25 km war ich heute bereits durch Tel Aviv gelaufen) und gegen 19 Uhr brach ich auf zum Bahnhof (die nächsten 3 km) und bestieg den Regionalzug nach Netanya. Kostete ungefähr Dreifuffzich (16 Shekel) und nach 30 Minuten war ich gegen 20 Uhr am zwei Kilometer vom Stadion entfernten Bahnhof Netanya-Sapir. Durch Gewerbegebiete ging es fußläufig zum Stadion, wo mächtig Andrang herrschte. Also gleich mal an einem Ticketschalter angestellt. Je näher ich dem Counter kam, desto mehr ahnte ich, dass hier wohl keine Tickets verkauft werden, sondern nur vorbestellte Tickets abgeholt werden können. Das Ganze fand darüberhinaus in einem chaotischen Gedrängel statt, wo ich letztlich ebenfalls die Ellbogen ausfahren musste, um endlich dran zu kommen. Dann bekam ich die Gewissheit, dass hier keine Tickets verkauft werden und den unpräzisen Hinweis, dass die Tageskasse „on the other side“ ist, während mein Körper von Beitar-Fans schon wieder weggeschoben wurde. Immerhin hatte ich noch 15 Minuten bis zum Anpfiff.

Our House

Auf der anderen Stadionseite, also an der Gegengerade, waren in den Ecken baugleiche Ticketschalter wie zuvor und auch hier gab es lange und chaotische Schlangen. Anscheinend haben 96 % der Stadionbesucher ihre Tickets vorbestellt, doch Print at home scheint es noch nicht zu geben. Ich stellte mich dort natürlich nicht an, sondern fragte einen Ordner am Stadioneingang nach den Kassenhäuschen. Der zeigte auf die andere Straßenseite und da waren die begehrten Verkaufsstellen. Mit einem provisorischen Gitterzaun war der Zugang beschränkt und ein Ordner fragte auf hebräisch ziemlich wahrscheinlich, ob ich Fan von Beitar oder Netanya bin. Von den paar Leuten, die gerade Tickets kauften, hatten welche was von der Heimmannschaft an. Also Netanya gesagt und Bingo, richtige Antwort! Ich durfte passieren. Bei der Dame am Schalter gab es nun eine Minute später für 60 Shekel (14,50 €) eine Sitzplatzkarte für die Gegengerade ausgehändigt.

Das Stadion in Sicht

Der nächstbeste Eingang war übrigens der Gästeeingang, wofür es wohl gar keine Tageskarten gab und dementsprechend auch keine offensichtlichen Gästefans Karten für den Heimbereich bekommen sollten. Am Einlass für die Gäste war ebenfalls alles chaotisch, während mein Eingang im Bereich für gemäßigte Netanya-Anhänger an den Drehkreuzen kaum frequentiert war. Also war ich tatsächlich noch kurz vor Anpfiff drin und konnte die Choreographie der Heimseite sehen. Denn der richtige Fanblock von Maccabi Netanya war gegenüber auf der Haupttribüne. Wie schon letztes Jahr in Petah Tikva (Tel Aviv Derby), betrat ich wieder ein modernes israelisches Stadion, welches lediglich über Haupttribüne und Gegengerade verfügte und keinerlei Ausbau hinter den Toren hatte (jedoch soll hier in einem nächsten Schritt alles noch geschlossen bebaut werden, was die Stadionkapazität dann von 14.000 auf ca. 24.000 Plätze erhöhen würde).

Choreo Netanya

Für’s Fanherz wurde heute erfreulicherweise nicht nur ’ne Choreo geboten, sondern die Stimmung war allgemein auf hohem Niveau. Hätte ich nicht unbedingt erwartet, denn gerade bei Maccabi Netanya hatte ich keine so große und aktive Fanszene auf dem Schirm. Doch der Club mit dem Diamanten im Wappen hatte in den 70er und 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts eine sehr dominante Phase im israelischen Fußball. Damals wurde wahrscheinlich der Grundstein für einen großen und treuen Anhang gelegt und in der jüngeren Vergangenheit war man 2007 und 2008 immerhin Vizemeister. Dann übernahm Lothar Matthäus und war in der Saison 2008/09 sogar lange auf Meisterschaftskurs. Am Ende reichte es doch nur zu Platz 4 und Matthäus musste gehen, offiziell aus finanziellen Gründen. Geldprobleme gab es in der Tat und nachdem man sich noch ein paar Jahre in den Top 6 halten konnte, stieg man zwischenzeitlich zweimal in die 2.Liga ab (2013 und 2016). Als frischer Aufsteiger ist man aktuell als Tabellensechster jedoch wieder ganz gut unterwegs.

Blick zum Gästeanhang auf meiner Tribüne

Das Spiel ging ebenfalls recht munter los. In der der 4.Minute bekam Beitar einen Strafstoß zugesprochen und der Gästeanhang neben mir war schon ganz aus dem Häuschen. Als Beitars Brasilianer Claudemir (#14) jedoch verschoss, brach der Orkan der Freude natürlich auf der gegenüberliegenden Stadionseite aus. Die Stimmung beim Netanya-Anhang kochte dann bereits zwei Minuten später förmlich über, weil Stürmer Eran Levi (#99) sehenswert aus der Distanz das 1:0 besorgte (fortan supporte der harte Kern oberkörperfrei). In der Folgezeit hatte sowohl Maccabi gute Chancen auf das 2:0, als auch Beitar auf den Ausgleich. Besonders auffällig bei den Heimangriffen war Netanyas Togolese Didier Kougbenya (#88), der jedoch vor dem Tor reihenweise den Abschluss vergeigte. Wie schon im Vorjahr kam ich sportlich zu dem Fazit, dass Israels Topteams zumindest in der 2.Bundesliga gut mithalten dürften.

Fanblock Netanya

Als nach rund einer halben Stunde der Support von Netanya zu ziemlich monotonem Singsang wurde, während Beitar weiterhin ordentlich Lautstärke bot, sorgte ein blonder Hüne für neue Belebung auf der Heimseite. Der 1,92m-Mann fiel bereits als effektiver Abräumer in der Abwehr der Diamonds auf und nun köpfte er in der 34.Minute eine schöne Flanke wuchtig zum 2:0 ein. Wer ist der Mann? Ein Skandinavier? Nein, im Fanblock von Netanya wurde nun mit einer Deutschlandfahne gejubelt und der Torschütze schien beim Jubel auch unbewusst auf einen Landsmann auf der Tribüne zulaufen zu wollen. Aus der Nähe erkannte ich nun Tim Heubach (#31), der von 2014 bis 2017 Stammspieler beim 1.FC Kaiserslautern war (im Übrigen stand mit Marcel Heister im gegnerischen Team noch ein weiterer deutscher Legionär auf dem Platz).

Schwarz-Rot-Gold im Fanblock

Die Fanszene um die Diamonds Army war nun akustisch wieder voll da und ihre Mannschaft drehte weiter auf. In der 40.Minute feuerte Levi nochmal ein schönes Pfund aus 25 Metern ab, jedoch wurde die Kugel über das Tor abgefälscht. Den daraus resultierenden Eckstoss trat Levi auch gleich, um nach kurzer Ausführung und Doppelpass von der Außenlinie sofort wieder den Abschluss zu suchen. Diesmal ging der Schuss jedoch ohne Zutun des Gegners zwei Meter über den Kasten. In der 45.Minute verwandelte Maccabis Spielmacher Dia Seba (#10) fast noch einen direkten Freistoß aus 20 Metern, aber es blieb beim 2:0 und dann war erstmal Verschnaufpause für alle Beteiligten angesagt.

Tim Heubach feiert sein Tor

Während das Publikum mit Techno beschallt wurde, war es an der Zeit Kontakt zu meinen Freunden aufzunehmen. Auch sie fanden sich in dem Chaos vor’m Stadion nur schwer zurecht. Ole und Abt kamen reichlich verspätet über den Presseeingang herein und der Rest (Gulle und Max waren inzwischen aus Jerusalem dazugestoßen) wurde wie ich ein wenig durch die Gegend geschickt, kam aber erst zu jenem Kassenhäuschen bei dem ich Erfolg hatte, als die Rolläden gerade runtergingen. Der Ordner dort ließ sie gar nicht mehr zum Schalter durch. Auch hier galt, was ich heute Nachmittag schon zu spüren bekam; mit Anpfiff wird sofort der Ticketverkauf eingestellt. Gulle, Max und Schirm waren deshalb bereits auf dem Heimweg. Im Nachhinein hatte ich wohl echt Glück, dass ich vom Ordner zu den Kassenhäuschen diskussionsfrei durchgelassen wurde (my Hebrew is not so good…) und dann noch vor Anpfiff mein Ticket erstehen konnte.

Die Beitar-Fans aus der Abt & Ole Perspektive

Nach Wiederanpfiff sah ich weiterhin eine interessante Partie mit Chancen auf beiden Seiten. Der Tabellendritte aus Jerusalem mauserte sich dabei jedoch zum Meister im über das Tor schießen. Als in der 78.Minute Beitars Mittelfeldstrage Hen Ezra (#18) nach einem Frustfoul vom Platz gestellt wurde, schien das Spiel endgültig entschieden. Am vorigen Spieltag hatten die Jerusalemer einen 0:2-Rückstand gegen Bnei Sakhnin noch in ein 4:2 gedreht. Nur gegen diesen starken Gegner heute, bei nur noch rund einer Viertelstunde Spielzeit, schien selbst ein Remis utopisch. Allerdings gelang dem franko-israelischen Stürmer Varenne (#25) in der 89.Minute doch tatsächlich noch der (zu) späte Anschlußtreffer. Beide Fangruppen wurden aus voreiligem Frust und voreiliger Siegesgewissheit gerissen und peitschen ihre Teams nochmal frenetisch an. Doch die Hausherren stellten sich die letzten fünf Minuten (inklusive) Nachspielzeit clever an und ließen nichts mehr anbrennen. Dieser Sieg lässt Maccabi Netanya nun auf Platz 5 klettern, während Beitar Dritter bleibt, aber jetzt vier anstatt einen Punkt Rückstand auf den Tabellenführer und amtierenden Meister Hapoel Beer Sheva hat.

Tel Aviv bei Nacht

Für nach dem Spiel hatte ich mich mit Abt und Ole verabredet, da sie den Weg zum Bahnhof nicht kannten (die Bonzen waren doch tatsächlich heute Mittag von Tel Aviv für 200 Shekel Taxi nach Netanya gefahren). Gemeinsam ging es zügig zum Bahnhof und weiter mit dem letzten Zug um 23:25 Uhr von Netanya-Sapir nach Tel Aviv. Auf der Rückreise tauschten Abt, Ole und ich uns natürlich nicht nur über das Spiel, sondern auch über die getrennten Erlebnisse des Tages aus. Schlecht war ihr Tag in Netanya auch nicht unbedingt, aber verpasst habe ich trotzdem nichts Weltbewegendes. In Tel Aviv schnappten wir uns ein Taxi zum Appartement, deckten uns noch beim Supermarkt mit Mitternachtssnacks ein und waren (nach kurzer großer Klönrunde mit den anderen drei Jungs) alle zeitig im Bett. Da ich tatsächlich insgesamt 32,5 km gelatscht bin, war ich binnen Sekunden im Land im Träume.

Ich bringe halt die Spitzenleistungen

Am kommenden Morgen wurde so halbwegs ausgeschlafen und bei erneut strahlender Sonne gab es noch ein kleines Hummus-Frühstück am Strand. Kurz nach 9 Uhr machten wir uns auf den Weg Richtung Bahnhof und wollten die 3 km eigentlich mit zwei Taxis absolvieren. Doch in der Allenby Street witterte der Fahrer eines Sheruts anhand des Gepäcks unser Ziel, hielt an und brachte uns für je 6 Shekel zum Bahnhof. Gegen 10 Uhr waren wir am Flughafen und hatten die gewünschten drei Stunden Zeitfenster bis zum Abflug. Letztes Jahr hatten alle Kontrollen und Befragungen zusammen 2,5 Stunden gedauert und wir wollten nicht spekulieren, dass es beim zweiten Mal automatisch fixer geht.

Der Strand am letzten Urlaubsmorgen

Da wir diesmal von einem anderen Terminal fliegen mussten, verloren wir auch noch rund 30 Minuten wegen zunächst falsch angestellt und dem folgenden Bustransfer zum anderen Terminal. Dafür war die Befragung diesmal anders. Mussten wir letztes Mal alle nacheinander zum Sicherheitsinterview, sollten wir diesmal jemanden als Gruppenleiter bestimmen. Völlig überraschend wurde es nicht Max, nicht Ole, nicht Abt, nicht Schirm und selbst Gulle nicht (trotz Initiativbewerbung). Ein bißchen nervös waren wir wegen unserer zwei Tage in den besetzten Gebieten, besonders in Hebron, aber ich sagte den Jungs, dass ich jede Frage wahrheitsgemäß beantworten werde und sie ebenso im Zweifel nichts verheimlichen sollen. Dann musste ich einer Security Lady sagen woher ich die Leute kenne, wie weit wir auseinander wohnen, wie lange ich jeden kenne, was wir so in Israel gemacht haben, wie wir uns fortbewegten und ob schon jemand vorher mal in Israel war.

Hummus mit Pita

Ich erzählte, dass wir alle Nächte in Tel Aviv im gleichen Hotel waren, aber mehrere Tagesausflüge gemacht haben, teilweise auch in unterschiedlichen Konstellation. Ich zählte Akko, Netanya, Jaffa, Jerusalem, Bethlehem und das Tote Meer auf und hätte nun mit Jericho und Hebron weitergemacht, aber sie unterbrach meine Aufzählung und wollte nicht mal wissen wie lange wir im Westjordanland waren und mit wem wir da Kontakt hatten. Es gab nur noch die allgemeinen Fragen, ob unser Gepäck in den sechs Tagen mal unbeaufsichtigt war, wir es heute selbst gepackt haben und ob wir von irgendwem Geschenke angenommen haben (zum Glück hatten Gulle und Schirm ihre Koranausgaben aus Akko aus Versehen im Hotel liegen gelassen ;-)). Mit anderen Worten schienen wir nicht besonders verdächtig zu sein. Die anderen hatten jetzt sehr kurze Einzelinterviews mit Kontrollfragen zu meiner Version und daraufhin durften wir zur Gepäckkontrolle weiter, die mir heute auch gar nicht so extrem vor kam. Jedenfalls wurden die Koffer und Taschen zwar geöffnet und auf verdächtige Gegenstände und Spuren durchsucht, aber es wurde nicht wie letztes Jahr alles ausgepackt und auseinander gerupft. Auch wurde das Gepäck vis-à-vis mit uns kontrolliert und es gab Smalltalk mit dem Sicherheitspersonal (letztes Jahr wurde das Gepäck zur Seite genommen und wir mussten auf einem Stuhl warten). Wahrscheinlich waren wir diesmal schon weniger eine potentielle Gefahr als beim ersten Besuch.

Arak Obama

Zwei Personen aus unserem Flugzeug hatten es da nicht so gut und kamen in die Intensivkontrolle mit Komplettentkleidung und weiterer Befragung. Es war ein Deutscher mit palästinensischen Wurzeln, der uns gegenüber lauthals über dieses „rassistische Scheißland“ schimpfte, und eine junge deutsche Frau, die möglicherweise politische Aktivistin (mit Israel nicht so genehmen Tendenzen) gewesen sein könnte. Natürlich muss nicht jede kurzhaarige Frau mit bunten Stricksocken, Piercings, Armeestiefeln und einer Zipjacke des Hamburger Modelabels FC St.Pauli zwangsläufig eine politische Aktivistin sein, aber ich war auch schon voll im oberflächlichen Mossad-Passagierscanmodus. Vielleicht sollte ich mich da bewerben. Doch zunächst wurde nicht an berufliche Veränderungen gedacht, sondern die noch fast 60 Minuten Wartezeit bis zum Abflug wurden mit Arak-Käufen im Duty Free Shop und kleinen Snacks überbrückt.

Der 2542m hohe Uludağ

Dann hatte ich im Flugzeug schon mal vier Stunden Zeit Berichte in die Tastatur zu hacken und um 17:15 Uhr waren wir in Berlin, um 17:45 Uhr am Auto und gegen 21 Uhr daheim. Zu 96 % geht es nächstes Jahr noch ein weiteres Mal nach Israel, denn ein paar Highlights fehlen uns immer noch. So soll es noch nach Caesarea gehen (in Kombination mit Akko 2.0), vielleicht nochmal ans Tote Meer (inklusive En Gedi), auf jeden Fall ans Rote Meer (Eilat), zum Fußball nach Beer Sheva und auch mal in die Wüste Negev. Dreimal ist Israels Recht.

Song of the Tour: Bluesrock as we like it.