Berlin 05/2017

  • 20.05.2017
  • BFC Dynamo – FC Carl Zeiss Jena 0:4
  • Regionalliga Nordost (IV)
  • Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark (Att: 1.220)

Die altehrwürdige britische Oi! Band Cock Sparrer hatte sich überlegt vom 19. bis 21.Mai drei Abende hintereinander im SO36 in Berlin aufzutreten und weil schon zu Saisonbeginn fix war, dass 96 am 21.Mai auswärts in Sandhausen antreten würde, sicherten sich InterCityBerger, Olbert, Ole, Max, Palm und ich Karten für den ersten Gig am Freitag. Nachmittags ging es erwartungsgemäß staulastig mit zwei PKW zum Firmensitz der BRD GmbH *Smilie*. Dort hatte uns Ole ein 6-Bett-Zimmer für 23 € pro Mitstreiter im zentralen City Hostel gebucht. Interessanterweise klärte mich meine Tageszeitung (selbstverständlich nicht aus dem Hause Madsack!) kurz vor der Abreise darüber auf, dass jenes Hostel von der Volksrepublik Korea (a. k. a. Nordkorea) an den Betreiber vermietet wird und die BRD diese Devisenbeschaffung für das Regime der korpulenten Kims alles andere als goutiert.

Welcome to Berlin (Ullsteinhaus)

Als wir dann gegen 19:30 Uhr an der Rezeption auftauchten, hatte die multilinguale Empfangsdame zunächst ganz andere Sorgen als Weltpolitik oder UN-Sanktionen gegen den Vermieter. Denn Fahrer Olbert hatte Bierdurst angehäuft! Just wurden wir beim Check-In aufgeklärt, dass Rauchen im ganzen Gebäude nicht gestattet ist und bei Zuwiderhandlung bis zu 2.500 € Strafe fällig werden, da warf unser Freund ein: „Junge Dame, apropos Feuer. Ich hab richtig Brand. Was kostet so’n Halber hier?“. Sekunden später war er 2,5 Euro ärmer und 0,5 Liter reicher. Während er sich an die Theke setzte, waren wir so freundlich ihm sein Gepäck abzunehmen, um es mit ins Zimmer zu schleppen. Doch wir hatten gerade den Fahrstuhl erreicht, da rief er uns „Wartet mal auf mich“ hinterher und stellte einen leeren Bierbecher auf den Pult der Rezeption. Spätestens jetzt war klar, der Mann war unter sechs Motivierten der Motivierteste!

Die nordkoreanische Botschaft

Der schnellste Weg vom Hostel zum SO36 war der Bus M29 und am Heinrichplatz konnte man Boots und Braces bereits an jeder Ecke ausmachen. Ich hatte uns allerdings ein paar Meter entfernt am Mariannenplatz (Gruß an Ton Steine Scherben) die Eckkneipe Die Eck-Kneipe herausgesucht (klingt so schön wie die Partei Die PARTEI) und in Anbetracht von 32° Celsius Außentemperatur entschieden wir uns vorerst für die Außenbestuhlung. Auch hier kostete der Halbe 2,50 € (Schultheiß) und er erfrischte enorm. Als wir irgendwann wieder Richtung SO36 aufbrachen, gab es noch ein paar Kannen Kindl vom Kiosk auf die Hand und die Hungrigen organisierten sich fix die Berliner Delikatesse namens Döner Kebap an einer Bude am Heinrichplatz.

Draußen vor der Eck-Kneipe

Die drei jüngsten Mitstreiter (Ole, Max und Palm) zog es nun bereits in die kleine, aber feine Konzerthalle, während die Sektion Lebenserfahrung einen Händler für Gitarren und Flaschenbier (wirklich interessante Kombo) aufsuchte. Das Helle von Arcobräu interessierte Olbert, Berger und mich etwas mehr als die Vorband Razers. Der Instinkt führte uns dann genau zum Intro-Instrumental von Cock Sparrer in die gut gefüllte Halle. Wie wahrscheinlich immer eröffneten die Briten mit „Riot Squad“, „Watch Your Back“ und „Working“. Es folgte eine bewährte Auswahl ihrer Gassenhauer, denen wir vom Tresen lauschten, während die drei Adoleszenten vorne beim Pogo rumtobten. Denn Bier kostete nur drei Euro und bei der Hitze in der Halle musste man viel trinken!

Fans of Alcohol

Nach circa 75 Minuten brachten die Altmeister des Streetpunks mit „England Belongs to Me“ noch ein letztes Mal den Saal zum Kochen und dann verschwanden sie für so 22 bis 23 Stunden von der Bühne. Bei nun schon 45 Jahren Bandgeschichte haben sie sicherlich daran gedacht, dass so ’ne Tour lang ist und die nächsten beiden Abende auch noch Leistung gebracht werden muss. Ich bin immer wieder erstaunt, wie gut die live klingen. Schön sie wieder gehört und gesehen zu haben, aber ob ich sie nochmal angucke ist fraglich. Es fehlen da doch so ein bißchen die Überraschungsmomente. Dafür wollte ich unbedingt mal ins ins legendäre SO36. Mutmaßlich der Laden für Punk, New Wave und vieles mehr im Berlin der 1980er Jahre. Wäre ich Anfang der Achtziger doch nur 20 Jahre älter gewesen. Ich glaube ich hätte subkulturell viel Spaß gehabt.

Ausverkauftes Haus bei Cock Sparrer

Die folgende After Show Party schenkten wir uns, weil wir erstmal Bock auf frische Luft hatten und unbedingt nochmal Die Eck-Kneipe von innen sehen wollten. War einfach eine traumhafte Gardinenkneipe! Leider sind in Berlin (und anderswo) viel zu viele dieser Kneipen mitsamt ihrem Gästemilieu hippen Cocktailbars, Craftbeerbars oder lactose- und glutenfreien Cafés gewichen. An der benachbarten Ecke war mit der Apotheke gleich das passende Beispiel präsent. Nichtsdestotrotz bezogen wir die Bar für ein Craftbeer in unseren kleinen Kiezbummel ein. Doch der Kontrast war zu groß, so dass es uns schnell Zum Goldenen Hahn zog und von da ging es ein paar Bierlängen später wenige Türen weiter Zum Elefanten (bekannt u. a. aus dem Film Herr Lehmann). Dann erreichte endlich auch der letzte Teilnehmer seine konditionellen Grenzen und um 3:33 Uhr wurde mit Nudelboxen in einem Asia-Imbiss (den Namen weiß natürlich keiner mehr) der krönende Abschluss gefunden. Die Glutamatbombe wurde dort auf jeden Fall von uns mit soviel Siracha Sauce gepimpt, dass selbst den Asiaten fast die Augen ausfielen. Daran können wir uns noch alle erinnern, merkt man schließlich am Folgetag immer noch was von.

Berlins bunte Toiletten

Am nächsten Morgen klingelte Palms Wecker bereits um 7 Uhr, weil er offenbar vergessen hatte, dass Wochenende ist. Wäre nicht so wild gewesen, ich wollte eh mal auf Toilette. Aber ein gewisser Olbert schlief nun natürlich nicht mehr ein und sorgte erstmal für Aufruhr („Kommt einer mit zum Rauchen?“ „Kommt einer mit ’nen Supermarkt suchen?“ „Kommt einer mit ’ne Apotheke suchen?“). Und der loyale HHSV-Fan Max überlegte auch, ob es lohnt nochmal zu schlafen, wenn er bereits um 9 Uhr los nach Hamburg muss. Mit dem bewährten Running Gag über Max „Liebe“ zu den Hamburg Freezers wurde mindestens eine Stunde Unsinn labern eingeleitet. Begleitet von allen Musikklassikern des Hamburger SV. Olbert war dann irgendwann verschwunden und fand tatsächlich sowohl einen Supermarkt, als auch eine Apotheke. Doch als er stolz eine volle Tasche mit Alster ins Zimmer stellte, bemerkte er, dass er seine Medikamente auf dem Weg zurück verloren hatte.

Frühstückszeit

Mit etwas getrübter Stimmung verabschiedete er Max nach Hamburg. Uns dagegen zog es gegen 10 Uhr zum Prenzlauer Berg. Wir brauchten jetzt ein solides Katerfrühstück und hatten dafür die Frühstücks- und Sandwichbar Simply… erwählt. Nach einem englischen Frühstück sah die Welt gleich wieder viel besser aus und die Sonne lockte uns in den Park am Arnswalder Platz, während Palm aufgrund familiärer Verpflichtungen von uns schied. Olbert und Berger wagten sich nun an die Biermischgetränke, derweil ich mich an die zeitgenössischen Bewohner des Kiezes anpasste und Fritz Mate schlürfte. 12 Uhr lief schließlich das Parkticket ab und wir fuhren weiter zum Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark. Selber Ortsteil, aber noch 3 km von unserem vormittäglichen Lungerplatz entfernt.

Hipsterbrause am Stierbrunnen

Für Hauptribünenkarten verlangte der DDR-Rekordmeister 18 € und für die Gegengerade 12 €. Preisbewusst entschieden wir uns für die bunt bestuhlte Gegengerade und investierten im imaginären Schatten der einstigen Berliner Mauer das gesparte Geld in Bier. 3 € waren für 0,4l zu investieren. Fast eine Stunde vor Anpfiff zogen vier Fremde in einer recht familiären Fanszene natürlich Blicke auf sich. Aber beim BFC fehlt es an Windbreaker- und Flexcap-Ultras, die einen sofort anlungern und nerven. Lediglich Olbert wurde während des Spiels beim Bier holen mal von einer BFC-Kante gefragt, wo er herkommt. Er würde wie ein Jenenser aussehen, daher die Frage (aha, so sehen die also aus). Aber im besten Hochdeutsch wies er auf eine norddeutsche Herkunft und touristische Motive hin und ihm wurde weiterhin viel Spaß gewünscht.

Haupttribüne Jahnsportpark

Spaß hatten wir dank Wetter, Bier und schönem Stadion auch wirklich. Stimmungsmäßig war es natürlich nicht so der Hit, aber der BFC-Anhang hatte ein paar ganz witzige Sachen im Reportoire. Zum Beispiel „Dü Düdü Dü, Na Nana Na, Mo Momo Mo…“ im Takt von Gigi d’Agostinos „L’Amour Tourjours“. Im Gästeblock hatten sich ebenso einige Hundert Fans eingefunden, jedoch kam vom Ultra-Singsang der Horda Azzuro nicht viel bei uns an. So allgemein dürfte der Anhang des schon längst feststehenden Nordostmeisters aus Thüringen auch nicht groß motiviert gewesen sein. War im Prinzip nur ein Testspiel für die anstehenden Aufstiegsspiele gegen den aktuellen RL-West-Meister Viktoria Köln.

Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark

Nun zum Sport: Die erste große Chance nach fünf Minuten hatte zwar der BFC durch Malembana, aber Jenas Schlußmann Koczor wehrte den Torschuss auf der Linie ab und den schnellen Konter schloss Jenas Firat Sucuk mit einem schönen Schlenzer zum 0:1 ab. Okay, er hieß Suczus, aber es hörte sich beim Stadionsprecher nach leckerer Knoblauchwurst an. In der 26.Minute erhöhte Timmy Thiele dann auf 0:2. Der BFC blieb trotzdem in der 1.Halbzeit gefährlich und 10 Minuten später hatte Dennis Srbeny nochmal mit einem strammen Schuss aus 16 Metern die große Chance einen Anschluß herzustellen. Doch auch er fand im FCC-Torwart seinen Meister.

Die BFC-Fans auf der Gegengerade

Auch die 2.Hälfte begann der BFC mit mehreren Chancen (u. a. erneut Srbeny) forsch. Als der Europapokalfinalist von 1981 (0:2 gegen Dinamo Tiflis im Pokalsieger-Wettbewerb) allerdings in der 74. (durch den Namibier Manfred Starke) und in der 76.Minute (abermals Thiele) zum Doppelschlag ausholte, war die Messe gelesen. Großes Aufbäumen vom BFC gab es nicht mehr und der FCC schonte seine Kräfte endgültig für kommende Aufgaben. Endstand also 0:4. Während der FC Carl Zeiss nun seine Meisterschaft mit dem Aufstieg in die 3.Liga krönen will (wo dann viele Ostduelle winken), richtet sich bei den unterlegenen Ostberlinern der Blick auf das Berliner Pokalfinale an Christi Himmelfahrt gegen den FC Viktoria Berlin (gegen die hatte Jena übrigens letztes Wochenende 0:2 verloren). Der Pokalsieg würde den DDR-Rekordmeister für den lukrativen DFB-Pokal qualifizieren.

Das neue Maskottchen Erich, äh, Teddy

Geld, dass der einstige Europapokal-Dauerteilnehmer sicher gut gebrauchen kann. Eine der größten Sternstunden im Landesmeister-Pokal war übrigens 1980 der Auswärtssieg (1:0) im Viertelfinale beim Vorjahressieger Nottingham Forest. Das Rückspiel hier im Jahn-Sportpark ging dann 1:3 verloren und Nottingham verteidigte zwei Monate später seinen Titel gegen den Hamburger SV. Aber eigentlich schweife ich nur ab, um unbedingt einen Filmtipp unterzubringen. Sollte tatsächlich einer meiner Leser noch nicht die unfassbar gute Doku I Believe in Miracles über Nottingham Forest gesehen haben, muss er oder sie das zwingend nachholen! Dort wird eine der besten Geschichten in der Geschichte des Fußballs erzählt und allein der Soundtrack wäre schon den Kauf wert. Ach, und Forest (Gruß an Ebby) wurde übrigens gerade von einem zwielichtigen griechischen Reeder gekauft. Ist ganz wichtig, dass endlich 50+1 in Deutschland fällt, damit diese Gestalten mehr Auswahl haben. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, hat dieser Bericht übrigens auch 1860 Wörter. Kein Scherz!

Flutlichtmast & Fernsehturm

Wir mussten nach Abpfiff noch an etlichen entpannten BFCern und weniger entspannten Polizisten vorbei, um zum Auto am Gästebereich durchzukommen. Irgendwann standen wir schließlich zwischen der Horda auf dem Parkplatz. Aber Olbert sah ja wie einer von denen aus, daher wurden wir nicht angelabert. Stattdessen gab es jetzt ’ne geile Rückfahrt mit der Bundesligakonferenz im Radio, sowie Olbert ebenfalls auf Sendung. Als unsere Bierreserven zur Neige gingen, machte Ole dann am Rasthof-Spielautomaten 2 € zu 36 €. Ich verurteile natürlich weiterhin Glücksspiel, aber es ist schon auffällig, dass in meiner Gesellschaft ständig alle gewinnen. Doch was soll’s, mit Olbert auf der Rückbank neben mir hatte sowieso ich den Hauptgewinn. Oder hatte den Max bei der Hamburger Pitch Invasion? Nur Gewinner! Anschließend lief u. a. noch Ideal als Reminiszenz an die Blütezeit des SO36 und kurz nach 19 Uhr erreichten wir die Heimat. Pünktlich, um noch bewegte Bilder aus dem Volksparkstadion via Sportschau zu sehen. Rechtzeitig, um noch genug Regeneration für die morgige Tour nach Sandhausen zu tanken.

Song of the Tour: Cock Sparrer live im SO36.