- 25.02.2017
- Dinamo Bucuresti – CS Universitatea Craiova 2:1
- Liga I (I)
- Arena Nationala (Att: 10.442)
Ziemlich genau drei Monate vor Reiseantritt war wieder dieser Black Friday, an dem Ende November im angloamerikanischen Raum traditionell eine Rabattschlacht den Weihnachtskommerz befeuert. Auch in Europa festigt sich dieses Brauchtum unserer Ersatzreligion Kapitalimus und u. a. ein irischer Billigflieger mischte wie in den Vorjahren ganz vorne mit. Ryanair versprach 10 Millionen Sitze zum Schleuderpreis anzubieten. Im Dschungel der Verbindungen und Termine pickten Ole, Max und ich uns Flüge für das letzte Februarwochenende von Berlin nach Bukarest und zurück heraus (je 9,99 €). Nun reise ich also endlich mal nach Bukarest. In einer idealen Welt wäre ich bereits am 9.Mai 2012 in Bukarest gewesen, um den HSV von 1896 im Endspiel der UEFA Europa League in der Arena Națională anzufeuern. Doch in der bitteren Realität hatte der spätere Triumphator Atlético de Madrid unseren Hannoverschen SV bereits zwei Runden zuvor im Viertelfinale ausgeschaltet.

Am Abflugtag starteten wir mitten in der Nacht mit dem PKW zum Berliner Flughafen Schönefeld bzw. zu dessen Nachfolger in spe. Zwei Stunden vor Abflug erreichten wir das bereits einsatzbereite BER-Parkhaus (39 € pro Fahrzeug und Woche) und mit einem kostenlosen Shuttlebus ging es weiter zum altgedienten Flughafen SXF. Nach der Sicherheitskontrolle blieb noch genug Zeit, um einen Flachmann Berliner Luft zu erwerben. „Hier Männers, wollta ma probier’n? Berliner Luft, juter Stoff!“, sprach der Shopmitarbeiter uns an. „Och na ja, warum nicht?“, entgegneten wir. „Na, schmeckt wa? Könnta ooch koofen, ne.“ „Na gut…“. Anstatt des Schnapses wollten wir anschließend jedoch lieber mit einem Bier im Terminal D auf den Kurzurlaub anstoßen. Der Shop Relay rief allerdings sportliche 4,15 € pro Dose (0,5 l) Berliner Pilsener oder Kindl auf, aber zum Glück gab es auch den Souvenir-Shop mit Eichbaum Pilsener für 1,50 € pro Dose (Sonderpreis aufgrund von MHD 02/2017). Und schon war das Bierproblem preisbewusst gelöst.

Der Bukarester Flughafen Otopeni wurde pünktlich nach zwei Stunden Flugzeit erreicht. Mit dem Bus 783 ging es nun für 3,5 Lei (0,77 €) in die Innenstadt (Fahrzeit circa 30 Minuten). Heute war erfreulicherweise der erste warme Tag dieses Jahres in der Walachei. Die Gewässer waren zwar teilweise noch gefroren, aber das Thermometer kletterte auf 18°Celsius. Dennoch, schön war das Meiste am Wegesrand nicht anzusehen und erst im Stadtzentrum wurde die Architektur charmanter. Dafür stellten wir schnell fest, dass Bukarests Innenstadt ein gefährliches Pflaster ist. Max und Ole wurden beide von Tauben vollgekackt und meine Schadenfreude hielt nur solange, bis ich eine Tretmine der zahlreichen streunenden Hunde erwischte.

Erstes Ziel nach dem Säubern der Klamotten war die berühmte Bierhalle Caru‘ cu Bere. Die Schank- und Speisewirtschaft, die übersetzt Bierkutsche heisst, muss man in Bukarest gesehen haben. Nachdem wir die schwere Holzdrehtür passiert hatten, empfing uns der Maître d’hôtel und fragte nach unserer Reservierung. Hatten wir nicht, doch für zwei Stunden hatte der gute Mann noch einen Tisch im Angebot. Wir durften in einem echten Kleinod des 19.Jahrhunderts Platz nehmen. Marmor, Gold und edle Holzvertäfelungen wecken Assoziationen mit prunkvollen Kathedralkirchen. Das hier war kein Brauhaus mit bierseliger Stimmung, sondern eine der besten Adressen der Stadt.

Die Preise waren für rumänische Verhältnisse gesalzen und in der Speisekarte standen viele schöne Sachen, die auch auf Englisch übersetzt waren (zum Beispiel die Hausspezialität Riesenhaxe für 19 €). Mein Auge fiel allerdings auf den Teil der Karte, der nicht übersetzt war. Dahinter verbargen sich Mittagsmenüs (à drei Gänge) für umgerechnet faire 5,70 €. Man konnte in jedem Gang eine aus fünf Speisen wählen. Nachteil war natürlich, dass wir nur ungefähr wussten, was wir da bestellten. Immerhin kann man mit Kenntnissen anderer romanischer Sprachen einiges herleiten und an Mut und Neugier hat es uns selbstverständlich noch nie gemangelt. Ole bekam als Vorspeise Tomatensuppe mit Hackbällchen serviert und ich Bohnensuppe mit Speck. Danach wurde uns beiden ein Teller mit Pommes und Mititei (Rumäniens Variante der Ćevapčići) gebracht, plus separatem Beilagensalat. Und auch beim Dessert stellte sich heraus, dass wir die gleiche Süßspeise ausgewählt hatten, nämlich Schokotorte.

Während das Dessert gegen 14 Uhr serviert wurde, spielte bereits ein Trio mit Geige, Violine und Klavier Walzer-Kompositionen von Johann Strauß und Antonin Dvorak. Mit dieser Musik und in diesem Ambiente, war es eine gelungene Zeitreise in die Belle Époque. Ach, und Max ist natürlich zwischendurch auch nicht verhungert. Der angehende Akademiker hatte sich für den Studententeller entschieden und bekam Mititei, Fritten und einen Krug Bier für zusammen ca. 3,50 €. Wir dagegen mussten 2,20 € extra für das bei uns nicht inkludierte schmackhafte Hausbier (0,5 l) löhnen. Es war, wie erwähnt, gehobene rumänische Preisklasse, aber die preiswerten Mittagsmenüs und die Studenten- sowie Seniorenteller bewiesen, dass man auch im Kapitalismus ein soziales Restaurant für nahezu alle Bevölkerungsschichten geblieben ist und nicht nur geschlossene Gesellschaft für die Touristen und anderes betuchtes Klientel sein will.

Sehr satt schauten wir uns auf dem Weg zum Appartement noch ein paar Sehenswürdigkeiten an. Den Auftakt machte dabei die rumänisch-orthodoxe Stavropoleos-Klosterkirche. Wie fast alle Bukarester Sakralbauten ein ziemlich kleines Gotteshaus, welches aber mit schönen Ikonen außen und innen besticht. Weitere sehenswerte Kirchen und Profanbauten am Wegesrand waren nun die Bisereca Sfantul Gheorghe Nou, das Spital Coltea, die Universität, die armenisch-apostolische Kirche und schließlich noch die mit Kolonnaden umsäumte griechisch-orthodoxe Kirche, die bei unserer Unterkunft gleich um die Ecke war. Wir waren im Sectorul 2 untergebracht, östlich des Stadtkerns. Der Sektor wirkte für westlich verwöhnte Augen vielleicht zunächst nicht besonders einladend, aber ich denke für Bukarest war das eine solide Mittelklasse-Gegend.

Das Appartement sah aus wie auf den Bildern (einfach möbliert, aber sauber und technisch gut bestückt) und kostete 70 € für zwei Nächte. Nach dem Bezug shoppten wir im Nahumfeld noch ein paar Lebensmittel (z. B. rumänisches Naturradler der Brauerei Ciuc) und dann ging es zurück ins Zentrum. Fernziel war der Palatul Parlamentului (Parlamentspalast) und auf dem Weg dahin wurden en passant noch ein paar Sehenswürdigkeiten abgehakt, deren detailierte Aufzählung ich mir aber jetzt erspare. Wir ließen einfach mal den Teil der Innenstadt aus dem 19.Jahrhundert auf uns wirken, der Bukarest den Titel Paris des Ostens eingebracht hatte. Einiges war schön saniert und ließ den Vergleich wirklich zu, viele alte Gebäude waren aber auch in einem maroden Zustand. Und Etliches vom alten Bukarest musste in der zweiten Hälfte des 20.Jahrhundert der vermeintlichen Modernitätszugewandtheit des Sozialismus weichen.

Am Palatul Parlamentului angekommen, waren wir schon recht beeindruckt von den Dimensionen des Bauwerks (365.000 m² Nutzfläche auf 65.000 m² Grundfläche). Doch es wirkte irgendwie eher bedrückend, als beeindruckend im positiven Sinne, was der Diktator Ceausescu hier als Symbol seiner Macht erbauen ließ. Herrschaftsarchitektur nennt man dieses Subgenre des Neoklassizismus und ich denke das ist ein treffender Begriff. Der allgemeine Nutzen dieses Gebäudes an diesem Ort (auf der höchsten Erhebung von Bukarests Zentrum) ist nicht ersichtlich. Es ist einfach nur dem Größenwahn geschuldeter Protz (kennt der Deutsche vielleicht von Hitlers Plänen für die Umgestaltung Berlins).

Tausende historische Gebäude mit zehntausenden Wohnungen wurden für den Parlamentspalast und die dazu errichteten großzügigen Magistralen abgerissen. Dementsprechend mussten in den 1980er Jahren zehntausende Menschen zwangsumgesiedelt werden. Nebenbei wurde in einem der wirtschaftlich schwächsten Staaten, des eh schon wirtschaftlich limitierten Ostblocks, die Staatskasse endgültig ruiniert. Unter anderem 1.000.000 m³ Marmor, 3.500 t Kristall und 900.000 m³ Edelhölzer klingen hoffentlich nicht zu abstrakt, um sich auszumalen, dass eine kleine Volkswirtschaft mit diesem Bau den Staatsbankrott provozierte. Deshalb erlebte Nicolae Ceausescu die Fertigstellung seines bitteren Lebenswerks auch nicht mehr. 1989 wurde er von der darbenden Bevölkerung gestürzt und hingerichtet.

Als Kontrast wollten wir nun lieber wieder das sehen, was der Größenwahnsinnige vom alten Bukarest übrig gelassen hatte. Das Ziel war der mittelalterliche Fürstenhof (Curtea Veche). Hier ist mit der Biserica Buna Vestire die älteste Kirche der Stadt zu finden. Sie stammt aus dem 16.Jahrhundert und war die Hofkirche eben jenes Bukarester Fürstenhofes. Neben der mittags bereits bewunderten Stavropoleos-Kirche, vielleicht die schönste Kirche der Stadt. Die ursprüngliche Hofanlage ließ ein gewisser Vlad III., seines Zeichens Woiwode (Fürst) der Walachei, im 15.Jahrhundert errichten. Sein Beiname war Draculea und er ist auch bekannt als Vlad der Pfähler und damit möglicherweise Bram Stokers Inspiration für die Romanfigur Dracula.

Bis auf die erwähnte schöne Kirche standen allerdings nur noch Ruinen vom einstigen Fürstenhof. Besser in Schuss war da schon die benachbarte Karawanserei aus osmanischer Zeit. Als große Gastwirtschaft mit Biergarten im Innenhof, erfreut sich das Hanul lui Manuc enormer Beliebheit bei den Touristen. Unser Hungergefühl war beim Besuch der Anlage allerdings noch moderat. Wir spazierten lieber noch ein wenig in der Abendsonne durch das Altstadtviertel Lipscani und die namensgebende Strada Lipscani (Leipziger Straße, wo früher Händler aus eben jenem Leipzig ihre Waren feilboten).

Im Großen und Ganzen hatten wir nun das Meiste gesehen, was einem so ans Herz gelegt wird. Bukarest ist vielleicht kein Ort für einen längeren touristischen Aufenthalt, war unser vorläufiges Fazit beim Feierabendbier in der gehobenen Weinbar Corks. Neben hunderten von Weinen aus aller Welt und aller Preisklassen, gab es dort Stella Artois als einziges Bier vom Faß. Also für uns Biertrinker keine Qual der Wahl und dafür volle Konzentration auf die weitere Abendplanung. Die Kneipe Oktoberfest, wovon es mindestens drei in Bukarest gibt, wurde uns empfohlen und die war nicht so übel, wie der Name vermuten ließ. Mit einer Biersäule (2,5 l) für ungefähr 13 € wurden dort die Trinkfestspiele eröffnet und es folgten noch zwei Meter (je acht 0,4 l) für circa 12 €, was somit vom Literpreis her der bessere Deal war. Die Bedienung fand unsere Leistung sehr respektabel und hätte sich sicher über Meter Nummer 3 gefreut, aber wir wollten dann doch nochmal was anderes sehen. Von ihremTrinkgeld wird sie nun möglicherweise ihre eigene Bierhalle eröffnen können.

Uns zog es jetzt in die Szenebar Beer O’Clock, wo wir eine große Auswahl an Craftbeer vorfanden und ebenso die drei letzten freien Hocker an der Theke im ansonsten ausgebuchten Lokal. Die Wahl am Tresen fiel für Max und mich auf Crowd Control von Hooligan Hop und für Ole auf Royal Execution aus der selben Braumanufaktur. Beide sehr aggressiv gehopft und somit ein krasser Kontrast zum Lagerbier im Oktoberfest. Nach diesen Gaumen-Ausschreitungen hatten Max und Ole nochmal Hunger bekommen, während ich anstatt mit zum Gyrosimbiss zu schlendern, noch ein letztes Bier im ebenfalls proppevollen Elephant Pub trank. Dort sammelten mich die beiden etwa eine halbe Stunde später wieder ein und dann ging es zu einer halbwegs humanen Zeit (gegen Mitternacht) mit der Tram und per pedes zurück ins Appartement.

- 25.02.2017
- FC Brașov – Olimpia Satu Mare 1:2
- Liga II (II)
- Stadionul Tineretului (Att: 700)
Bereits um 5:30 Uhr war die Nachtruhe wieder beendet. Bei unserem gewohnten Tempo in Sachen Sightseeing und nach Berichten von bereits in Bukarest gewesenen Freunden, hatten wir nicht erst seit gestern den Verdacht, dass drei Tage in Rumäniens Kapitale vielleicht zu großzügig geplant sind. Daher wurde für Sonnabend optional noch ein Zug nach Brașov (Kronstadt) gebucht. Der InterCity kostete nicht mal 10 € pro Fahrt und war englischsprachig als E-Ticket bei der rumänischen Staatsbahn CFR zu erwerben. In Brașov sollte mittags ein Fußballspiel der 2.Liga zu sehen sein. War also ein vielversprechendes Ausflugsziel, auch wenn wir das nach viel zu kurzer Nacht zunächst anders sahen. Mit dem Taxi machten wir uns relativ zerstört auf zum Gara de Nord (Nordbahnhof). Der Taxifahrer dachte wohl auch, wir kämen gerade vom Feiern und brachte uns zum Bahnhofshotel. „Is this your Hotel?“ „Äh, yes. Thank you very much.“

Im Bahnhof war schon recht buntes Treiben und es gab preiswertes Frühstück beim Bäcker. Pünktlich um 7 Uhr fuhr dann der Zug nach Brașov los. Unsere attraktive Sitznachbarin wirkte ab und an recht amüsiert, wenn wir denn mal die Augen offen hatten und den Nachdurst mit riesiegen Colaflaschen (2,5 l) bekämpften oder über typische Jungs-Themen kommunizierten. Wir haben in unserem jugendlichen Leichtsinn natürlich gedacht, dass ihr rumänischer Roman echt witzig sein muss. Dass sie all unsere Komplimente verstand, stellte sich in Brașov heraus, wo sie uns grinsend „Schöne Ferien noch“ wünschte. Ansonsten war das eine recht zähe Zugfahrt, bei der der Zug mit 30 km/h durch die verschneiten Karpaten tuckerte und entsprechend die planmäßigen 2,75 Stunden für 166 Schienenkilometer benötigte. Reisende mit Snowboards weckten schon in Bukarest einen Verdacht, was uns am Ziel erwarten würde und so war Brașov tatsächlich noch im tiefsten Winter.

Vorbei am grau in grau des Sozialismus steuerten wir auf eines der mutmaßlich besten Restaurants der Stadt zu. Sah noch geschlossen aus, aber die Tür war nicht abgeschlossen und drinnen tauchte irgendwann ein Mann aus der Küche auf. Ob das Restaurants tatsächlich schon um 10 Uhr geöffnet hatte (Frühstück gab es in der Speisekarte jedenfalls nicht) oder man sich nur nicht den potentiellen Reibach entgehen lassen wollte, war unklar, aber uns auch eigentlich egal. Gegen 10:30 Uhr wurden den einzigen Gästen großartige Grillteller serviert. Zusammen mit handgemachten Fritten, Krautsalat und Tomaten-Senfsauce war das für 10 € ’ne runde Sache und ein mehr als nahrhaftes Frühstück. Danach waren alle Lebensgeister zurück und voll motiviert verließen wir das Restaurant Ceasu‘ Rau wieder.

In der mittelalterlichen Stadtgründung des Deutschen Ordens (13.Jahrhundert), in welcher die deutschsprachigen Siebenbürger Sachsen bis ins 19.Jahrhundert die Bevölkerungsmehrheit stellten, ging es nun in die touristisch brauchbare Altstadt. Als das Wetter minimal aufklarte, sahen wir plötzlich die relativ hohen Berge an der Stadtgrenze und ebenso den Berg innerhalb der Stadt, auf dem eine alte Festung thronte. Die Bergfestung ließen wir jedoch aufgrund des Wetters aus und konzentrierten uns ganz auf den Altstadtrundgang. War in der Tat ein sehenswerter Stadtkern, bei dem zumindest einem Teil der Bausubstanz jüngst Sanierungsmaßnahmen zuteilwurden. Besonders hervorzuheben ist natürlich der Hauptplatz mit der Casa Sfatului (Altes Rathaus), schönen Bürgerhäusern und der orthodoxen Kirche.

Ein weiteres Highlight war nun die lediglich einen Steinwurf entfernte Biserica Neagră (Schwarze Kirche) aus dem 14.Jahrhundert. Sie überragt mit 65 Metern Turmhöhe den mittelalterlichen Stadtkern und gilt als bedeutenster gotischer Kirchenbau in Rumänien. Einen Gang hinein ersparten wir uns allerdings (kostet sogar ein paar Lei), da es seit der Reformation eine protestantische Kirche ist und wir ein schmuckloses Inneres befürchteten. Stattdessen wurden noch ein paar Meter im Freien gemacht. So sahen wir noch die schöne Synagoge des Ortes und die schmalste Straße Rumäniens; die nur 111 bis 135 cm breite Strada Sforii (Fadengasse).

Mittlerweile hatte sich das Wetter sogar soweit aufgeklart, dass der hollywoodmäßige Brașov-Schriftzug auf dem nahen Karpatengipfel Tâmpa (960 m hoch) zu erkennen war. Nach dem Ende des Schneeregens, wagten wir außerdem so langsam in Richtung Stadion. Wäre das Spiel übrigens witterungsbedingt ausgefallen, hätten wir als Alternative das wunderschöne Schloss Bran per Taxi aufgesucht, welches rund 25 Kilometer von Brașov entfernt als Draculaschloss vermarktet wird. Das tun wir nun vielleicht ein anderes Mal. Stattdessen hieß es jetzt Vorhang auf für FC Brașov (Heimatverein von Marius Lăcătuș und Ioan Viorel Ganea) versus Olimpia Satu Mare (worldwide well known for its former Superstars Levente Csik and Sergiu Radu).

Um kurz nach 12 Uhr durfte uns ein Taxifahrer für rund 2 € zum drei Kilometer entfernten Stadionul Tineretului (Stadion der Jugend) fahren, wo 10 Lei (also rund 2,20 €) für den überdachten Sitzplatz gelöhnt werden mussten (ein unüberdachter Sitz hätte 5 Lei gekostet). Der Ordner am Eingang interessierte sich dann sehr für den Inhalt meiner Jackentaschen, doch dafür juckten ihn die Hosentaschen gar nicht, wo die Berliner Luft somit bestens aufgehoben war. Demnach wurde im Block stilsicher auf den neuen Länderpunkt angestoßen, was mangels Bierausschank auch nur mit den importierten Flachmännern möglich war. Mit der alten Tradition der Länderpunkttaufe darf man einfach nicht brechen. Auch wenn so ein Kurzer nach der letzten Nacht zur Mittagszeit noch eine Qual war.

Das Stadion hellte unsere Mienen zum Glück wieder auf. Es handelte sich um eine herrliche Ostblockbude mit viel Rost, abblätterndem Putz und ausgeblichenen Sitzschalen. Hinter einem Tor ist eine Zuschauerkurve, die jedoch gesperrt war und hinter dem anderen Tor ist kein Ausbau für Stadionbesucher, aber dafür eine mehrstöckige Bauruine zu sehen. Die Gegengerade, wo sich die treuesten Fans versammelt hatten, ist unüberdacht. Hinter ihr ist das Karpaten-Panorama ein schöner Blickfang. Die Haupttribüne ist an den Seiten ebenfalls unüberdacht, während im Zentrum leidlich überdachten Sitze (unser heutiger Block) und der VIP-Bereich zu finden sind. Letzterer wäre auf jeden Fall was für den Holzmichel gewesen. Potente Gäste, die bereit waren 50 Lei zu investieren (11 €), wurden von mit Holz verkleideten Ledersesseln erwartet. Inklusive vormontierten Aschenbechern an den Plätzen, weil der Rumäne an sich, der raucht ja auch ganz gerne.

Auf der Gegengerade sorgte die Gruppe hinter dem großen Banner Steagul Roşu Braşov ausdauernd für Stimmung. So hieß der Club zunächst ab 1947, als er als Betriebssportgemeinschaft des gleichnamigen Landmaschinenwerks gegründet wurde. Es folgten 70 spannende Jahre Brașover Fußballgeschichte. Mit einigen Höhepunkten, wie beispielsweise der rumänischen Vizemeisterschaft 1960. In jenem Jahr wurde die Stadt Brașov übrigens auch wieder zu Brașov, nachdem sie zwischenzeitlich 10 Jahre Orașul Stalin (Stalinstadt) heißen musste. Ein Jahr später gewann man den internationalen Balkan Cup, wo man Teams wie Fenerbahçe und Levski Sofia in die Schranken wies. Auch im Messepokal, dem Vorläufer von UEFA Cup und UEFA Europa League, sammelte der Club in den 1960er Jahren erste Meriten. Eher keine Sternstunde war wahrscheinlich das 0:8 gegen den Hamburger SV in der 2.Runde des UEFA Cups 1974/75. Nach wechselhaften Jahren, in denen man zwischen erster und zweiter Liga pendelte, spielte man zuletzt in der Saison 2001/02 im UEFA Cup und schied in der 2.Runde gegen den berühmten Mailänder FC Internazionale aus (zweimal 0:3). 2015 meldete der FC Brașov Insolvenz an und stieg leider zum achten Mal aus der 1.Liga ab. Der direkte Wiederaufstieg scheiterte letzten Sommer in der Relegationsrunde.

Den Aufstieg würde man gerne diese Saison nachholen. Die Gerichte drohen jedoch den Club endgültig zu liquidieren, da sich einige Gläubiger gegen den Sanierungsplan sträuben. Um so wichtiger war ein Heimsieg gegen einen direkten Konkurrenten hier und heute. Denn schafft der aktuell Tabellendritte aus Brașov den Aufstieg (Platz 1 und 2 steigen direkt auf, der Dritte geht in die Relegation), finden sich vielleicht neue Geldgeber. Da man seit Mai 2016 daheim ungeschlagen ist, waren die Voraussetzungen für das heutige Etappenziel vielversprechend und das 1:0 in der 12.Minute durch den routinierten Verteidiger Ioan Milan hätte der Grundstein für einen optimalen Rückrundenauftakt sein können. Aber bereits in der 20.Minute konnte Olimpias Sturmneuzugang Octavian Ursu (vom Erstligisten ASA Târgu Mureș) bei seinem Debüt für Olimpia SM ausgleichen.

Das Spiel, welches die Hausherren zunächst gut dominierten, drohte nun zu kippen. Doch ein Wembleytor von Ursu in der 24.Minute wurde zum Glück für den FCB nicht gegeben. In der 26.Minute dann der nächste Zittermoment. Ursus Sturmpartner Adrian Voicu tanzt, nach tollem Zuspiel aus dem Mittelfeld, Brașovs Schlussmann aus. Nur anstatt jetzt ins leere Tor einzuschieben, will er es mutmaßlich besonders schön machen, stoppt den Ball nochmal und wird dadurch doch noch von einem Verteidiger eingeholt, der wiederum den verzögerten Torschuss blockt. Da lachte heute sogar erstmals die Sonne an Brașovs Himmel. Die Freude währte dann bis zur 39.Minute, als den Blau-Gelben aus Rumäniens Norden durch den auffälligen Mittelfeldspieler Raul Krausz (er spielte in der 26.Minute auch den Traumpass auf Voicu) doch noch die Führung vor dem Pausenpfiff gelang.

In der zweiten Hälfte erwarteten wir eigentlich weiterhin ein munteres Spiel (beide Teams gefielen im ersten Durchgang mit Offensivspiel und vielen Torchancen), aber es tat sich nun erschreckend wenig auf dem Acker des Stadions der Jugend. Der in die Jahre gekommene FCB-Toptorjäger Stefan Grigorie (35 Jahre, viel Erstligaerfahrung) hatte noch zwei, drei Halbchancen, aber ansonsten geschah 45 Minuten so gut wie gar nichts. Fast so, als hätte die Wettmafia ihr gewünschtes Ergebnis. Aber Spielmanipulation ist in Rumäniens 2.Liga natürlich undenkbar, erst recht wenn bei einem der beteiligten Vereine die Gehälter seit Monaten nur schleppend fließen. Kurzum; es blieb beim 1:2, wodurch Olimpia SM auf den 2.Platz klettert und Brașov von 3 auf 5 fällt. Mal schauen, ob der schwarz-gelbe Traditionsverein aus Siebenbürgen die Saison überlebt.

Nach Abpfiff schnappten wir uns wieder ein Taxi und ließen uns zurück in die Altstadt bringen. Das etwas bessere Wetter sollte nochmal für halbwegs brauchbare Fotos der Sehenswürdigkeiten genutzt werden. Nach einer weiteren Stunde Kultur (auch die rumänische Altstadt namens Șcheii, die früher außerhalb der Stadtmauern lag, ist sehr sehenswert), bewegten wir uns zu Fuß langsam wieder Richtung Bahnhof. Dabei wir kehrten am Wegesrand nochmal auf einen Tee in den Social Pub ein. Das Lokal war eher für Brașov Besserverdiener gedacht und hatte somit aus Deutschland gewohntes Preisniveau (Kaffee, Tee, kleines Bier, Softdrinks etc. rund 2 €). Uns waren allein schon die bequemen Clubsessel und die gepflegten sanitären Anlagen den Preisaufschlag wert (im Stadion gab es nur eine Kopie von The worst toilet in Scotland). Via Wi-Fi wurden nun die letzten Minuten von 96 gegen Arminia Bielefeld verfolgt. In Deutschland war es ja eine Stunde früher als in Rumänien, so dass der Ball im Niedersachsenstadion noch rollte.

Auf 16:40 Uhr hatte die rumänische Staatsbahn die Abfahrt in Brașov angesetzt und ich genoss nun die Zugfahrt durch die weiß gepuderten Karpaten. Im Gegensatz zum heutigen Morgen hatte ich jetzt Augen dafür und es waren echt schöne Anblicke. Will irgend einer meiner Leser mal nach Brașov, kann ich ihm die Zugvariante nur ans Herz legen. Es ist günstig und man bekommt ein tolles Panorama geboten. Beim Erreichen des Flachlands gegen 18 Uhr ging zunächst die Sonne unter und danach fielen meine Augen nochmal bis Bukarest zu.
- 25.02.2017
- Dinamo Bucuresti – CS Universitatea Craiova 2:1
- Liga I (I)
- Arena Nationala (Att: 10.442)
Auch diese Fahrt endete fahrplangemäß (19:25 Uhr) und somit war noch eine gute Stunde bis zum Anpfiff beim 1.Liga-Topspiel von Dinamo București gegen CSU Craiova. Leider regierte vor dem Bahnhof die Taxi-Mafia und man weigerte sich mit Taxameter zu fahren. Es wurden Fantasiepreise von 20 Lei aufgerufen, was wir aus Prinzip nicht akzeptieren wollten. Also ging es erstmal zu Fuß los und um die Ecke war ein Fahrer mit 15 Lei immerhin etwas realistischer und wir hatten keinen Bock wegen circa einem Euro etwas vom Spiel zu verpassen. Kurz vor 20 Uhr wurden wir am Stadionul Dinamo abgesetzt und sahen, dass das Flutlicht nicht brannte. Hier würde in 30 Minuten definitiv kein Spiel stattfinden. Da hatten die üblichen internetquellen, die unisono dieses Stadion als Spielort angaben, versagt. Eine kurze Recherche ergab die Verlegung in die Arena Națională (das rumänische Nationalstadion). Ergo der Ort, an dem Hannover 96 „beinahe“ mal ein Europapokalfinale bestritten hätte.

Der Chauffeur war schon wieder über alle Berge und es wurde das nächstbeste Taxi angehalten. Der freundlich lächelnde Fahrer, bei dem nicht nur der Arbeitsplatz, sondern auch die Ethnie mobil war, hatte überhaupt kein Problem nach Uhr zu fahren und der normale Kilometerpreis von 1,79 Lei stand auf dem Display. Ich hätte mich jetzt tierisch gefreut die blöden Vorurteile von Bekannten zu widerlegen („Steigt in Bukarest auf keinen Fall bei Zigeunern ins Taxi. Die ziehen euch gnadenlos über den Tisch!“), aber der Kutscher hatte sein Taxameter herrlich frisiert. Er war auch der erste Taxifahrer in Rumänien, der uns ein Gespräch aufzwang. In einer Tour redete er in einem Deutsch-Englisch-Rumänisch-Kauderwelsch über seinen Pleiteclub Rapid București, seine Sportwettenleidenschaft und Bayern München. Das sollte wohl davon ablenken, dass die Uhr nach drei Kilometern bereits über 20 Lei anzeigte. Ich war echt nicht angetan davon dem Vogel mit insgesamt 30 Lei seine Wettsucht zu finanzieren, aber in 13 Minuten und 12 Sekunden war Anpfiff und letztlich ja doch nur 2,20 € pro Person machten uns nicht arm.

Da der Fahrer der Polzei nicht zu nahe kommen wollte (warum bloß?), mussten wir noch ein paar Hundert Meter zum Stadioneingang laufen. Als Journalisten waren wir dort wenigstens nicht auf seine „Kollegen“ vom Schwarzmarkt vor den Kassenhäuschen angewiesen. So ging es an allen Wartenden vorbei zum Fenster mit den reservierten Tickets. Drei Ehrenkarten wurden den angemeldeten deutschen Pressevertreter ausgehändigt. Die Entschuldigung vom Vereinsmitarbeiter, dass er kurzfristig keine Akkreditierungen für den Pressebereich drucken kann und wir daher mit Ehrenkarten vorliebnehmen müssen, wurde natürlich akzeptiert.

Während Ole nun schnurstracks zum VIP-Bereich durchmarschierte, für den wir unsere Tickets wähnten, wurde bei Max und mir genauer hingeschaut. Man wies uns leider zu unseren regulären Sitzplätzen auf der Gegengerade. Hat sich Dinamo also doch bei der Güteklasse der Freikarten etwas lumpen lassen. Nun mussten Max und ich nochmal 180 Grad um das Stadion, ehe auch wir den Zwillingsbruder des (neuen) Frankfurter Waldstadions von innen begutachten konnten. Die 2011 eröffnete Bude war besser gefüllt als erwartet. Im ausverkauften Unterrang der Hintertortribüne hatte Dinamos Fanszene eine schöne Choreografie vorbereitet. Auf der anderen Hintertortribüne waren ein paar hundert Gästefans aus Craiova anwesend und der Unterrang der Gegengerade war auch gut gefüllt. Dazu noch ein bißchen Publikum auf der Haupttribüne ergab in Summe über 10.000 Zuschauer. Weil Dinamo im Schnitt weniger als 5.000 zahlende Zuschauer pro Heimspiel begrüßt, war das heute eine außerordentlich gute Zuschauerresonanz.

Bereits in der 5.Minute durfte die überwältigende Mehrheit im Stadion jubeln. Der Slowake Adam Nemec, vielen sicher noch von seinen Gastspielen in Aue, Lautern und bei Union Berlin bekannt, erzielte das 1:0 für den rumänischen Vizerekordmeister (Dinamo hat bisher 18 Meistertitel errungen, Steaua București hingegen 26). Ein paar Kanonenschläge würdigten den Treffer von Fanseite. Der Rekordvizemeister (Dinamo wurde zwanzigmal Vizemeister, Steaua lediglich vierzehnmal) nutzte den Schwung der frühen Führung und den Rückenwind der anpeitschenden Fankurve. Erinnerte etwas an italienische Kurven in der guten alten Zeit. Schon in der 14.Minute machte Nemec die Fans nochmal glücklich und baute den Vorsprung auf 2:0 aus. Es knallte wieder vor’m Dinamoblock und die anfangs ebenfalls gut aufgelegten Ultras im Gästesektor waren jetzt vorerst bedient.

Auch sportlich war es heute durchaus interessant. Es war der vorletzte Spieltag des regulären Ligabetriebs und beide Vereine wollten unbedingt die Meisterrunde erreichen. Dort spielen die Top 6 der Liga mit Hin- und Rückspiel (und halbierten Punkten der bisherigen Saison) den Meister und die weiteren drei Europapokalteilnehmer aus. Dinamo ging als Sechster mit 35 Punkten ins Spiel und CSU Craiova als Dritter mit 40 Punkten. Besonders für den heutigen Gastgeber, der 1948 als Fußballclub des Innenministeriums gegründet wurde, war ein Sieg also ganz wichtig, um in den Top 6 zu verbleiben. Am liebsten hätte Dinamo schnell das dritte Tor nachgelegt, aber die CSU kam langsam besser ins Spiel und besonders in der 28.Minute wurde es richtig brenzlig im Dinamo-Strafraum. Binnen 60 Sekunden traf der Gast aus Craiova dreimal (!!!) das Aluminium.

Mit 2:0, aber dem Gefühl, dass es spannend bleibt, ging es in die Pause. Zeit das Catering zu prüfen. Wie schon in Brașov war Popcorn der Verkaufsschlager und außerdem gab es Hot Dogs und Softdrinks. Bei dem Angebot saßen die Lei bei uns nicht locker und Ole hatte derweil Selfietime mit Christoph Daum, dem aktuellen Nationaltrainer Rumäniens. Der Hausbesitzer aus dem Kölner Hahnwald soll in etwa so sympathisch wie ein Mirko Slomka ohne laufende Kameras sein. Aber gut, beide Trainer haben den Zenit ihrer Karriere bereits überschritten und vielleicht sind sie sich dessen auch bewusst. Das drückt auf’s Gemüt. Dazu noch ein Selfie mit Ole? Das könnte der neue Tiefpunkt im Leben des Christoph D. gewesen sein.

Die zweiten 45 Minuten läutete eine weitere kleine Fanaktion ein. Die Ultras DNL (Dinamo Nostrum Lux) feierten heute ihren 10.Geburtstag und hatten dafür ein paar spezielle Doppelhalter gemalt. Jetzt realisierte ich auch, dass die Choreo zu Spielbeginn ihnen zuzurechnen war. Auf dem Grün ging es ebenfalls gut weiter. Die CSU aus Craiova (nicht zu verwechseln mit der aus Bavaria!) hätte mit einem Sieg das Ticket für die Meisterrunde vorzeitig gelöst (und weitere 1,5 Punkte dafür gesammelt). Dementsprechend bemühten sie sich nochmal das Heft in die Hand zu nehmen. Erste Angriffe versandeten, doch in der 72.Minute bekamen sie einen schmeichelhaften Strafstoß zugesprochen (der Brasilianer Gustavo Di Mauro fiel all zu leicht bei sanftem Kontakt). Andrei Ivan schoss nun einen unfassbar schlechten Strafstoß, den Dinamos panamanesischer Keeper Penedo wahrscheinlich sogar hätte fangen können. Doch stattdessen ließ er das Schüsschen abklatschen und Di Mauro schob als Abstauber im Nachschuss ein. Unser Sitznachbar war nun so wütend, dass er seine Sitzschale zertrümmerte. Wie würde er wohl bei einem Ausgleich oder gar einer Niederlage in der letzten Minute reagieren? Wir können nur spekulieren, da die Zeitspiel-Könige von Bukarest den Vorsprung ins Ziel retten konnten.

Nach Abpfiff vereinigten wir uns mit Ole wieder am Kassenhäuschen und konnten dem betrügenden Taxifahrer doch noch etwas Positives abgewinnen. Er hatte uns schließlich weit abseits vom Haupteingang rausgelassen und dort fiel uns vor zwei Stunden das Restaurant Damascus Palace durch auf die Straße ziehendes Holzkohle-Aroma positiv auf. Aufgrund der fortgeschrittenen Tageszeit war es doch eigentlich ganz gut, bereits im Stadionumfeld zu dinieren. War keine Fehlentscheidung, denn der Mixed Grill mit Lammspieß, Lammhackspieß, Hähnchenbrustspieß, Hähnchenunterschenkeln, Grillgemüse, Brot, Salat, Pommes, Reis und Sauce kostete gerade mal 35 Lei (also 8 €) und war extrem schmackhaft. Dazu gab es gratis Mixed Pickles vorweg und ein süßes Dessert (Grieß mit Granatapfelsauce) hinterher. Daher kostete der Gaumenschmaus zusammen mit einem halben Liter Pepsi gerade mal 9 €. Außerhalb des Stadtzentrums hat Bukarest also doch das erwartete Preisniveau. Dafür sparten wir nicht beim Trinkgeld und große Freude war der Dank.

Statt für ein Taxi, entschieden wir uns nach dem Abendessen wohl genährt für einen 3,5 km langen Verdauungspaziergang zum Appartement. Die Gegend, die dabei durchquert wurde, war teilweise wieder wenig einladend. Dafür gab es diverse Lokale mit Bierpreisen von 4 Lei (macht einen Literpreis von 2,20 €). Also wie schon im Damascus Palace das Sparparadies Osteuropa, wie wir es kennen und schätzen. Nach zwei kurzen Nächten in Folge war aber nichts verlockender als das Bett und somit ging nichts mehr in Sachen Feierei.

Dadurch waren wir an einem sonnigen Sonntagvormittag wieder voller Tatendrang. Nochmal gut Essen gehen, sowie zwei, drei noch fehlende touristische Höhepunkte von Bukarest, sollten den Tag bis zum abendlichen Abflug füllen. Nach dem Check-Out ging es abermals zum Bierpalast Caru‘ cu bere und dort wurde ordentlich für 15 Lei (ca. 3,50 €) gefrühstückt. Das „Handwerkerfrühstück“ bestand aus Omelette (oder wahlweise Spiegelei), Schinken, Käse (Cascaval), Baguette, Butter, Tomaten, Oliven und einem Heißgetränk. Mit der guten Grundlage im Magen spazierten wir nochmals zum beeindruckenden und erschreckenden Parlamentspalast und von dort die Prachtallee (einstige „Straße des Sieges des Sozialismus“) runter zum Piața Unirii (Vereinigungsplatz). Dieser Teil Bukarests hatte echt Pjöngjang-Style. Aber gut, der einst in Rumänien und auch im Westen geschätzte Diktator Ceausescu wurde angeblich erst nach einem Nordkoreabesuch zu dem Tyrannen, an den wir uns in erster Linie erinnern.

Von Nordkorea hatte Ceausescu den ins völlig Absurde abgeglittenen Führerkult um Kim Il Sung adaptiert und ebenso architektonische Inspiration für die Umgestaltung seiner Hauptstadt gewonnen. Daher wurde am heutigen Vereinigungsplatz auch das Herz der Alstadt (das Basarviertel) dem Erdboden gleich gemacht und durch brutalistische Plattenbauten ersetzt. Aber in den schönen Jahreszeiten, wenn der Park blüht und die Brunnen Wasser führen, soll das hier dennoch ein beliebter Ort der Bukarester Bevölkerung sein. Vielleicht erlebe ich das Erbe des Sozialismus ja auch nochmal irgendwann im Frühling oder Sommer.

Wir wandelten dann noch ein wenig weiter durch diese Stadt der Kontraste. Von der Proteststimmung, die vor wenigen Wochen zehntausende Rumänen gegen die korruptionsfreundliche Politik der Regierung auf die Straße trieb, war nichts mehr zu spüren. Anfang Februar dachten wir noch, wir werden Zeugen unruhiger Zeiten, denn immerhin waren es die größten Proteste seit dem Sturz Ceausescus anno 1989. Doch die rumänische Zivilgesellschaft schien mit ihrem Erfolg, nämlich der Rücknahme bzw. Nichtannahme des umstrittenen neuen Korruptionsgesetzes, weitgehend befriedigt zu sein (Korruption im Amt sollte im Gesetzesentwurf erst ab umgerechnet 45.000 € Schadenssumme strafbar sein). Grundsätzlich schienen die meisten Demonstranten das demokratische Votum für die erst im vergangenen Jahr gewählte Regierung zu respektieren, nur in diesem besonderen Fall waren sie nicht bereit die Politik des Kabinetts zu hinzunehmen.

Korruption war und ist ein großes Problem in Rumänien. Korruption war der Kapitalismus des Sozialismus und ist daher in den postkommunistischen Staaten tief verankert. Jedoch ist Rumänien aus meiner Sicht da wirklich bemüht etwas zu tun und wahrscheinlich auf einem besseren Weg als einige andere Staaten der Region. Das neue Gesetz wäre ein Rückschritt gewesen und hätte viele korrupte Funktionsträger vor Strafe geschützt. Denn so mancher prominenter Rumäne sitzt oder saß bereits wegen Korruption im Gefängnis. Vom Regionalbeamten bis hin zum ehemaligen Premierminister erwischte es schon Staatsbedienstete und auch der Ex-96er Gheorghe Popescu wurde 2014 wurde als Fußballfunktionär zu über drei Jahren Haft verurteilt, weil er bei Transfers Schmiergeld in Millionenhöhe kassiert hat. Lediglich unsere rumänische Lieblingspolitikin Elena Udrea war bestimmt nie korrupt und saß zur Zeit unschuldig im Knast. Da waren wir uns ganz sicher und überlegten sie als „Comando libera E.U.“ zu befreien. Zwinkersmilie.

Das richtungslose Flanieren bekam am Nachmittag doch noch ein Ziel, nämlich das gestern bereits im Dunkeln besuchte Stadionul Dinamo. Wirklich gerne hätten wir dort ein Spiel gesehen, denn es war eine klassische Ostblockschüssel, an der der Zahn der Zeit ordentlich genagt hatte. Wegen solchen Stadien gehe ich auf Reisen zum Fußball. Arenen wie das gestrige Nationalstadion kann ich auch in Deutschland jedes Wochenende besuchen. Wirklichen Charme versprühen für mich die aus Beton gegossenen Zeitzeugen längst vergangener Fußballschlachten. Wie das Dinamo-Stadion in Bukarest. Muss ich also tatsächlich nochmal hierher wiederkommen.

Ihr ahnt es, das ganze Sightseeing hatte natürlich erneut hungrig gemacht. Zeit für eine Pause in einem Pub. Unweit des Stadions war der Trafalgar Pub zu finden, den wir eigentlich auch gestern für Biere nach dem Spiel auserkoren hatten, hätte es denn im Stadionul Dinamo stattgefunden. Im Lokal stellte ich als erstes fest, dass Ciuc Pilsener definitiv nicht so mundete wie Ciuc Naturradler. Mit dem Radler hatten wir an den Vortagen gute geschmackliche Erfahrungen gemacht, aber das Pils hatte im Antrunk so ein bisschen Essiggeschmack. Tadellos waren dagegen die Fleischplatten, die für 45 Lei (10 €) gereicht wurden. Handgeschnitzte Fritten, frittierte Zwiebelringe, eine gegrillte Tomate und ein gegrillter Champignon ergänzten ein Hackfleischröllchen, eine Krainer Wurst, ein Schweinerückensteak, ein Rinderfiletsteak und ein Putenbruststeak vortrefflich. Der Holzmichel hätte auch in Rumänien seine kulinarische Freude gehabt, da bin ich mir sicher.

Nach dem vorzüglichen Essen im Pub war das nächste (und prinzipiell letzte) Etappenziel auf dem Weg zum Flughafen der Arcul de Triumf (Triumphbogen). Dieses Monument hatten die Rumänen als Siegernation des Ersten Weltkriegs errichtet und sowohl durch die Optik, als auch die sternförmig zulaufenden Straßen, erinnert dieser Teil Bukarests wahrlich nochmal an Paris. Angrenzend spazierten wir durch einen großzügigen Park, dessen Wege gesäumt von Büsten großer Rumänen waren. Ich gestehe, ich kannte nicht jeden davon. Außerdem gab es dort das separat umzäunte rumänische Dorfmuseum mit etlichen Häusern aus allen Epochen und Landesteilen. Dem äußeren Eindruck nach wäre das auf jeden Fall einen Besuch wert gewesen, aber es schloß leider schon um 17 Uhr seine Pforten. Wir stiegen daher am Triumphbogen in den nächsten 783er-Bus zum Flughafen und kamen nun an dem bereits im Hintergrund des Parks erspähten monumentalen Pressepalast vorbei. Noch so ein Tempel des sozialistischen Neoklassizismus. Ein Baustil, den man in Deutschland auch als Zuckerbäckerstil kennt. Die heutige Casa Presei Libere (Haus der freien Presse) sah aus wie ein Zwilling des Warschauer Kulturpalastes oder des Hauptgebäudes der Lomonossow-Universität in Moskau.

Nachdem am Flughafen noch diverse überschüssige Lei in frischgepressten O-Saft und Eiscreme investiert wurden, hob die Boeing 737-800 auch schon ab und nach pünktlicher Landung in Berlin erwarteten vier penible Bundespolizisten 200 Reisende. Die automatische Grenzkontrolle für moderne Reisedokumente war dicht und so zog sich das Procedere arg hin. Dadurch verpassten wir knapp den Shuttlebus um 21:45 Uhr und konnten erst 22:15 Uhr zum Parkhaus transferiert werden. Danke Merkel!!!

Getreu dem Motto, Tempolimits sind nur was für Leute, die zu viele Taschentücher benötigen, ging es rasant westwärts. Aus den Boxen forderte Robert Stadlober derweil als Frontmann von Dynamo 5 „Gimme a ticket for an aeroplane“. Eine Forderung, der wir uns anschlossen und schon mal die nächsten Touren planten. Inspiration lieferten dafür die Soundtracks der Filme „Eurotrip“, „New Kids“ und „The Business“. Ja, es war die große Filmkunstmusiknacht. Mal sehen, ob es also demnächst nach Amsterdam, Bratislava, Maaskantje oder an die Costa del Sol geht. Weil, es muss ja weitergehen!