Essen 08/2025

  • 01.08.2025
  • Rot-Weiss Essen – TSV 1860 München 1:1
  • 3. Liga (III)
  • Stadion an der Hafenstraße (Att: 19.300)

Mein Kumpel Milano Pete träumt davon in dieser Saison die 3. Liga zu komplettieren und seine Freundin Melina will ihm dabei nicht nur nicht im Wege stehen, sondern sogar tatkräftig mithelfen. Am ersten Spieltag der neuen Spielzeit bot sich gleich das freitägliche Eröffnungsspiel zwischen Rot-Weiss Essen und 1860 München für dieses Relationship Goal an. Allerdings war die Ticketnachfrage groß und möglicherweise würde es keinen freien Verkauf geben. So wurde ich gebeten, ob ich einen hilfreichen Draht nach Essen herstellen könne.

Welcome to Essen

Gerne leistete ich diesen kleinen Freundschaftsdienst und ein dortiges Vereinsmitglied war nach meiner Anfrage bereit den beiden die gewünschten zwei Plätze à 36 € auf der Haupttribüne zu besorgen. Selbstlos wie ich nun mal bin, wollte ich außerdem noch die Spritkosten der beiden durch meine Mitreise reduzieren. Gab zwar keinen guten Platz mehr in deren Nachbarschaft, aber direkt gegenüber auf der Gegengerade war noch etwas Gleichwertiges zu bekommen.

Taxiteller im Hafengrill

Zu dritt ging es daher am Freitag den 1. August um 13:30 Uhr von Hannover nach Essen. Eine überraschend freie A2 und der rasante Fahrstil von Melina ließen uns bereits 2,5 Stunden später am 250 km entfernten Zielort ankommen. Dort nutzten wir zum Parken einen guten Tipp unseres Kartendealers und vom kostenlosen Parkplatz war es nur ein Katzensprung zum stadionnahen Hafengrill. Kulinarisch trafen hier Pott und Peloponnes aufeinander, was Milano und ich per Taxiteller (9 €), sprich Gyros, Zaziki, Currywurst und Pommes frites, optimal würdigten. Melina hatte hingegen noch größeren Hunger und bestellte die Hafenplatte (13 €) mit allerhand Fleisch vom Grill und einem Berg Kartoffelstäbchen aus der Friteuse. Dazu ein schönes Stauder (2,50 €) und alle waren glücklich.

Am Essener Hafenstübchen ist man mit Kutte kein Exot

Nach dem Essen besorgten wir uns gleich die nächsten Stauder an einem nahen Kiosk und damit bewaffnet mischten wir uns gegen 17:30 Uhr am gewohnt rege frequentierten Hafenstübchen noch ein wenig unter’s Volk. Leider war in der Sommerpause die Wirtin Susi mit nur 54 Jahren verstorben und die Zukunft dieser Essener Institution zunächst ungewiss geblieben. Doch pünktlich zum Saisonstart entschieden sich Angehörige den Betrieb in gewohnter Weise fortzuführen.

Dunkle Wolken führen zu dunklen Vorahnungen

Eine weitere Getränkerunde wollten wir eigentlich kurz nach 18 Uhr direkt vor’m Stadion einnehmen. Doch kaum war die bestellt, hatte sich der Himmel so verdunkelt, dass wir beschlossen umgehend im Stadion Zuflucht zu suchen. Meine Freunde kamen sogar noch trockenen Fußes in die 2012* eröffnete Sportstätte. Ich dagegen war zu langsam und bekam eine kurze, aber heftige Dusche. Zumal ich mit meiner Jacke lieber das gezapfte Stauder (5 €), als meinen Körper vor dem Regenguss schützte.

Ein so genannter Wolkenbruch

Getrennt von meinen Freunden, vertrieb ich mir Zeit bis zum Anstoß um 19 Uhr nochmal mit einem Blick auf die Leistungen in der Vorsaison, die Ergebnisse in der Saisonvorbereitung und die jeweiligen Kader der beiden heutigen Gegner. Danach stand endgültig fest, dass der DFB ein gutes Händchen bei der Auswahl seines Eröffnungsspiels für die neue Drittligasaison hatte. So trafen hier nicht nur zwei große Traditionsvereine aufeinander, sondern auch zwei Aufstiegsfavoriten. Denn der RWE hatte eine sehr erfolgreiches Frühjahr gespielt (Zweiter der Rückrundentabelle), die Leistungsträger gehalten, mindestens gut in die Kaderbreite investiert und in den Testspielen überzeugt. Der TSV 1860 blickt hingegen auf eine durchwachsene Rückrunde zurück, aber hat mit u. a. Kevin Volland und Florian Niederlechner sehr große Namen verpflichtet und nun ebenfalls in der Saisonvorbereitung gute Ergebnisse erzielt.

Fackelfreudige Essener

Jetzt würde sich vor ausverkauften Rängen zeigen, ob die Teams ihrer mindestens von den Medien zugedachten Favoritenrolle gerecht werden können. Mit leuchtenden Fackeln und wehenden Fahnen empfing der Essener Heimfanblock nun seine Herzensmannschaft, während im Gästeblock die aktive Szene erst just in time eintraf und offenbar kein besonderes Intro im Gepäck hatte. Aber 2.500 Gästefans an einem Freitagabend bei so einer Entfernung war alleine schon ein Statement und ferner hatte man natürlich ein gewisses Mittteilungsbedürfnis ob der jüngsten vereinspolitischen Querelen.

Still not loving the investor

Denn während die Mannschaft im Sommer namhafte Neuzugänge begrüßen durfte, schien sich auf der Funktionärsebene jemand sehr Unbeliebtes zu verabschieden. So verkündete der Vereinsvorstand Anfang Juli den Ausstieg des mehr als nur polarisierenden Investors Hasan Ismaik. Der seit 2011 als Mehrheitsgesellschafter der ausgegliederten Profifußballgesellschaft fungierende jordanische Geschäftsmann soll einen Käufer für seine Anteile gefunden haben. Es solle sich um eine Schweizer Familienholding handeln und der Deal wäre bereits in trockenen Tüchern. Sofort brach großer Jubel in Giesing aus und die Fans feierten spontan mit Feuerwerk und knallenden Sektkorken in den Straßen rund ums Stadion.

But still loving the club

Doch leider sollte die Vereinschronik nur um eine weitere peinliche Posse erweitert werden. Zwar war ein Kaufvertrag tatsächlich bereits unterschrieben, aber die ominöse Schweizer Familienholding überweis keinen Cent von der in den Medien kolportierten Verkaufssumme in Höhe von 53 Millionen Euro. Als auch die letzte Frist verstrichen war, verkündete Ismaik auf Facebook, dass er dem TSV 1860 nun doch noch erhalten bleibt. Anschließend mangelte es nicht an gegenseitigen Schuldzuweisungen und man fragt man sich, wer bei diesem Zirkus die größte Clownsnase trägt.

Ein Bekenntnis zum TSV

Zumal weiterhin unklar ist, wer da eigentlich neuer Mehrheitsgesellschafter bei 1860 werden wollte. Beim vermeintlichen Käufer handelte es um eine Aktiengesellschaft namens Helvetic Corporate Finance SA. Am Firmensitz in Genève (Genf) findet man allerdings nicht mehr als einen Briefkasten vor. Die Aktien an dieser Briefkastenfirma hält wiederum der MMM Trust mit Sitz auf der als Steueroase bekannten Kanalinsel Jersey.

Solidarischer Gruß

Dabei stehen die Buchstaben MMM mutmaßlich für Matthias Thoma und dessen Söhne Maximilian und Mason. Was seltsam ist, da jener Matthias Thoma mit Ismaik bzw. viel mehr dessen Anwälten den Kauf anbahnte und aushandelte, aber zumindest öffentlich betonte nicht selbst der Käufer zu sein. Stattdessen wäre er lediglich im Namen einer Schweizer Familienholding als Mittelsmann tätig gewesen. Aber so wie das aussieht, steckt hinter der Holding mit dem Schweizer Briefkasten offenbar doch der deutsche Geschäftsmann Matthias Thoma, respektive dessen Familie. Gerade auch weil Hasan Ismaik kein Mann der leisen Töne ist, wird es da sicher in naher Zukunft noch weitere Details und Vorwürfe geben.

Solidarischer Diss

Hat insbesondere für Außenstehende einen gewissen Unterhaltungswert. Aber für alle Menschen, die es mit dem großen Traditionsverein TSV 1860 halten, kann einem dieses abermalige unwürdige Schauspiel nur leidtun. Entsprechend gab es am heutigen Abend aus der Essener Westkurve Beileidsbekundungen. So pinselten die Rude Fans ein schlichtes „Verpiss dich Ismaik“ auf Tapete, während hinter der Zaunfahne der Vandalz ein weiteres Spruchband zu der Thematik hochgehalten wurde. Allerdings hatte der dort zu lesende Satz „Nicht mal ihr Hurensöhne habt Ismaik verdient“ gleich noch eine Beleidigung der Gästefans eingepflegt.

Sechzig ist größer als jeder Investor

Im Gästeblock war hingegen eine Banderole mit der Aussage „Egal wer kommt, egal wer geht, weil Sechzig alle überlebt“ zu lesen. Außerdem war die bereits seit Jahren für großes Echo sorgende Schwenkfahne mit Ismaiks durchgestrichenen Konterfei ebenfalls am Start und aus den Kehlen kamen mehrfach altbekannte Gesänge gegen den ungeliebten jordanischen Investor. Davon ab, war es insgesamt stimmungsvoller Auftritt der Löwenfans und heimseitig gab es ebenfalls über weite Strecken des Abends ein lautes Spektakel mit hoher Mitmachquote. Ich nehme daher schon einmal vorweg, dass Melina und Milano sehr zufrieden mit ihrem Erstbesuch im Stadion an der Hafenstraße waren.

Durchhalteparole für die Stadionverbotler

Außerdem bot sich der erste Spieltag in beiden Kurven dazu an, um sich über ausgelaufene Stadionverbote zu freuen und nicht nur die Rückkehrer willkommen zu heißen, sondern den weiterhin Ausgesperrten die gewohnte Solidarität zu versichern. Ferner gab es in der Essener Westkurve Glückwünschbanner zum 10. Geburtstag der hiesigen Fangruppe Wrecking Crew und zum 8. Geburtstag der befreundeten Kölner Gruppe Revolte 0221. Die Sechzger beklagten hingegen per Spruchband und Fackel einen Trauerfall in ihrer Fanszene.

Die Panzerknacker freuen sich über Rückkehrer in ihren Reihen

Das Beiwerk der Fans umrahmte ein durchaus sehenswertes Eröffnungsspiel der 3. Liga, bei dem beide Teams ihre Frühform aus den Testspielen teilweise bestätigen konnten. So schoss José-Enrique Rios Alonso die Bergeborbecker früh in Führung (6.) und anschließend entwickelte sich ein intensives Spiel mit guten Angriffen auf beiden Seiten. 1860 hatte dabei mehr Ballbesitz, aber der RWE kam mit seinem schnellen Umschaltspiel oft zu den gefährlicheren Abschlüssen. Im Tor des Deutschen Meisters von 1955 vereitelte wiederum der etatmäßige Ersatzmann Wienand mit einigen guten Paraden lange den Ausgleich.

In der Westkurve wurde heute über die Spieldauer verteilt immer wieder gezündet

Als die Partie nach dem Seitenwechsel etwas an Fahrt verloren hatte, durchbrach Niederlechner die aufgekommene Lethargie. Der Ex-Herthaner lief bei einem langen Pass aus abseitsverdächtiger Position allen Verfolgern davon und überlüpfte erfolgreich Wienand (68.). Da die Essener sich allerdings nicht mit einem Remis zufrieden geben wollten, erwartete das Publikum eine mitreißende Schlussphase. Angepeitscht von weiten Teilen des Stadions rollten noch ein paar Angriffswellen auf den von Thomas Dähne gehüteten Löwenkasten.

Die Löwenfans freuen sich über den ersten Punkt der Saison

Der Tormann des Deutschen Meisters von 1966 musste allerdings kein zweites Mal hinter sich greifen, so dass es am Ende eine mehr oder weniger gerechte Punkteteilung wurde. Auch wenn für die Hausherren vielleicht mehr drin war, zeigte sich selbst unser Kartendealer nach dem Spiel recht zufrieden. Als wir uns für seine Dienstleistung nochmal persönlich bedankten, merkte er an, dass er gleich in den Kneipen der Rüttenscheider Straße** den bisher besten Drittligasaisonstart der Vereinsgeschichte feiern wird. Denn tatsächlich war seit dem Aufstieg im Sommer 2022 eine Auftaktniederlage obligatorisch gewesen.

Eine kulinarische Impression vom Super-Zech-Samstag

Wir wollten das Vorhaben dieses Mannes nicht mehr allzu lang aufschieben und machten uns eine gute halbe Stunde nach Anpfiff an die Abreise. Melina zeigte nochmals eine Spitzenleistung am Steuer eines Sports Utility Vehicle aus Ingolstadt, so dass wir bereits kurz nach Mitternacht kurz vor Hildesheim waren. Nach einer ausgedehnten Nachtruhe sah ich Milano Pete dann sogleich um 12 Uhr bei einem von unserem gemeinsamen Kumpel InterCityBerger augerufenen Super-Zech-Samstag wieder. Bei Bratcurry vom Grill und Bayreuther vom Fass, wurde im Garten des Gastgebers auf dessen sonntäglichen Geburtstag hingefiebert.

Back for good

Außerdem war am besagten Sonntag auch noch das Saisonauftaktspiel des Hannoverschen SV von 1896. Die schlugen in unserem Beisein relativ überzeugend den 1. FC Kaiserslautern mit 1:0, so dass ich die am Vortag im leicht alkoholisierten Zustand erworbene Dauerkarte nicht sofort bereuen musste. Aber vielleicht hadere ich bis Saisonende auch kein einziges Mal mit meiner Kaufentscheidung. Man wird jawohl noch träumen dürfen…

Song of the Tour: Passender Soundtrack aus Essen und Umgebung für unseren Super-Zech-Samstag

*2012 ersetzte an der Essener Hafenstraße ein räumlich leicht versetzter Neubau mit 19.962 Plätzen das 1923 eröffnete, aber deutlich in die Jahre gekommene Georg-Melches-Stadion. Dieses trug übrigens bis 1964 auch schon den Namen Stadion an der Hafenstraße, ehe man beschloss das Lebenswerk des RWE-Mitgründers, Mäzens und Funktionärs Georg Melches (* 1893; † 1963) posthum mit großer Geste zu würdigen.

**Die Rüttenscheider Straße ist gesäumt von etlichen Bars, Kneipen und weiteren gastronomischen Angeboten. Entsprechend spielt sich dort ein Großteil des Essener Nachtlebens ab. Wer übrigens noch ein wenig touristische Inspirationen von mir haben will, schaut mal in die Berichte Essen 07/2022, Essen 04/2023 und Essen 02/2024.