Hannover 02/2024

  • 16.02.2024
  • Hannover 96 – SpVgg Fürth 2:1
  • 2.Bundesliga (II)
  • Niedersachsenstadion (Att: 31.500)

Der Aufschlag am dritten Februarwochenende gehörte abermals Hannover 96. Der vorangegangene Auftritt in Hamburg hatte die Mannschaft einerseits sportlich ins Aufstiegsrennen katapultiert, anderseits hatten die intelligenten Proteste auf den Rängen enorm hohe Wellen geschlagen (siehe Hamburg 02/2023). Insgesamt scheinen die orchestrierten Aktionen zahlreicher Fanszenen ihre Wirkung nicht zu verfehlen. So hatte sich am 13. Februar zunächst Blackstone als potenzieller DFL-Investor verabschiedet. Als Gründe für diese Entscheidung des von Natur aus „sensiblen Kapitals“ (O-Ton von Martin Kind bei NDR Info) wurden die sich in die Länge ziehenden Verhandlungen und die anhaltenden Fanproteste kolportiert. Da nun lediglich CVC Capital Partners als Bieter für eine Beteiligung an den Bundesligarechten übrig bleibt, hat sich die Verhandlungsposition der DFL deutlich verschlechtert. Ebenfalls dürfte den Spitzenfunktionären des Ligaverbands missfallen haben, dass sich immer mehr Vereine und Kapitalgesellschaften für eine Neuabstimmung aussprechen oder teilweise gar ihre Zustimmung im vergangenen Dezember bereuen. Der Protest wirkt!

„Wie ich gestimmt habe, das weiß nur ich. Alles andere ist Spekulation und deshalb lehne ich eine Diskussion um dieses Thema ab.“

Martin Kind bei NDR Info (15.02.2024)

Aber mittlerweile dürfte auch kein ernsthafter Zweifel mehr daran bestehen, dass bei der Abstimmung bewusst die 50+1-Regel ausgehebelt wurde. So sagte DFL-Präsidiumsmitglied Axel Hellmann am 11. Februar in einem Videoformat der Springermedien: „Wir haben eine gültige Stimmrechtsvertretung von Martin Kind gehabt. Das war die 24. Stimme.“ (Anmerkung: 24 von 36 DFL-Mitgliedern mussten mit Ja stimmen, um der DFL-Spitze ein Mandat für Verhandlungen mit potentiellen Investoren zu erteilen). Als diese Aussage ihre Sprengkraft entfaltete, ruderte Hellmann am Folgetag schnell zurück. Er hatte es angeblich kognitiv nicht hinbekommen den Konjunktiv zu verwenden. Dabei muss man einwerfen, dass Hellmann tatsächlich nicht wissen kann, wie Martin Kind bei einer bewusst geheim durchgeführten Abstimmung wirklich votiert hat. Aber es wurde sich zuvor natürlich ein Meinungsbild bei allen Vertretern der 36 Lizenznehmer eingeholt und obendrein führte man eine offene Probeabstimmung durch. Dabei kristallisierte sich heraus, dass es nur mit Martin Kinds Ja-Stimme für die benötigte Zwei-Drittel-Mehrheit reichen würde. Nur ist gemäß 50+1-Regel der Vorstand des Hannoverschen SV von 1896 e. V. gegenüber Martin Kind uneingeschränkt weisungsbefugt und hatte ihn angewiesen am 11. Dezember mit Nein zu stimmen. Jener Mutterverein stellte diesen Sachverhalt am 15. Februar nochmals in einer Stellungnahme klar.

„Die DFL-Verantwortlichen und die Mitglieder der DFL dürfen an der Ernsthaftigkeit einer konsequenten Anwendung der 50+1-Regel keine weiteren Zweifel aufkommen lassen und müssen jetzt unverzüglich beweisen, dass sie die 50+1-Regel einhalten und leben.“

Vorstand und Aufsichtsrat des Hannoverschen Sportvereins von 1896 e.V. (15.02.2024)

Da es offenbar Signale gab, dass Martin Kind sich bewusst über diese Weisung hinwegsetzen will, wandte sich der Mutterverein vor der richtungsweisenden Abstimmung an die DFL. Man setzte den Ligaverband über die Weisung an Martin Kind und über dessen durch seine Anwälte kommunizierte ablehnende Reaktion in Kenntnis. Ferner regte man an, dass die hannoversche Stimme zur Sicherstellung der in der 50+1-Regel verbrieften Rechte des Muttervereins von vornherein mit Nein gewertet wird oder man alternativ gewährleistet, dass das Abstimmverhalten von Martin Kind nachvollziehbar ist. Doch die DFL ignorierte diese Bedenken und Bitten. Stattdessen konterkarierte der Ligaverband das Ganze mit der Entscheidung, dass diesmal – anders als im Mai 2023 – geheim über die Aufnahme von Verhandlungen mit potentiellen Investoren abgestimmt wird.

„Es ist wichtiger als jeder Investor, dass die Akzeptanz des Fußballs erhalten bleibt.“

DFB-Präsident Bernd Neuendorf beim Neujahrsempfang des NFV (15.02.2024)

Jetzt wo im Raum steht, dass die DFL die eigene Satzung im Hinblick auf die 50+1-Regel missachtet, hat sich endlich auch der DFB und damit sozusagen der Mutterverband der DFL zu Wort gemeldet. DFB-Präsident Bernd Neuendorf in einer Pressemitteilung am 16. Februar: „Ich verfolge die Diskussionen über einen möglichen Investoreneinstieg bei der DFL auch deshalb mit Sorge, weil allein der Verdacht, es könnte in diesem Zusammenhang zu einem Verstoß gegen die 50+1-Regel gekommen sein, die Reputation des Fußballs in Deutschland gefährdet. Der 50+1-Grundsatz ist in den Statuten des DFB und der DFL festgeschrieben. Und wir sollten die eigenen Statuten sehr ernst nehmen.“ Weiter führt der DFB-Präsident dort aus: „In meinen Augen ist die 50+1-Regel eine zentrale sportpolitische Norm des Fußballs in unserem Land. Sie ist Ausdruck der historischen und sozialen Wurzeln des Fußballs in Deutschland. Wir alle wollen den Fußball weiterentwickeln – auch wirtschaftlich. Aber das muss mit Augenmaß geschehen. Die 50+1-Regel ist die Garantie dafür, dass die Bundesliga nicht zu einem Spielball der Investoren wird. Sie ist für mich der Garant für die Akzeptanz unseres Sports in der Gesellschaft. Und das ist mehr wert als jeder noch so potente Geldgeber.“

Ein Teil der Protestbanner

Für die Fans ging es dank dieser Entwicklungen mit ordentlich Rückenwind in den nächsten Protestspieltag. Ehrensache, dass in Hannovers Kurve nochmal besonders die dubios wirkenden Machenschaften von Martin Kind ins Visier genommen wurden. Kaum hatte ich um 18:28 Uhr das Stadion durch den Südeingang betreten, erspähte ich große Banner am anderen Ende des Stadions. „Geschäftsführung ist sein Hobby – egoistisch Handeln sein Metier. Kinds Machenschaften: Deals mit Scheinfirmen – ‚Großzügige‘ Kredite – ‚Erhebliche‘ Förderung.“ war auf den Rängen zu lesen. Dazu auf ganzer Breite am Zaun: „Weisungen & Demokratie missachtet, 50+1 ausgehebelt – Der glorreiche HSV im Schatten eines tauben, unseriösen Geschäftsmannes“

Der Gästeblock zu Spielbeginn

Als ich wenig später auf meinem Stammplatz direkt über dem Adressaten der heutigen Spruchbänder saß, wurde in der Kurve auch schon an den Fadenkreuz-Protest der Vorwoche erinnert. Erneut hatte die Fanszene jemanden ins Fadenkreuz genommen. Allerdings keinen glatzköpfiger Greis, sondern einen Jungspund mit Haarpracht und Brille. Etwa Martin Kind im Kindesalter? Nein, auch das nicht. Es handelte sich offensichtlich um den Schauspieler Daniel Radcliffe in seiner Paraderolle als Harry Potter. Das mitgelieferte Spruchband räumte letzte Zweifel aus. Denn dort war das kurze, aber ikonische Filmzitat „Angst, Potter?“ zu lesen. Offenbar war auch Schiedsrichter Patrick Ittrich popkulturell versiert genug, um hierin keine personifizierte Gewaltandrohung zu erkennen. Der Ball konnte also vorerst weiterrollen… Obwohl, was zeigten die Fürther da parallel im Gästeblock? Bei ihnen war auf einmal ein kahler Kopf im Fadenkreuz. Ist es diesmal Kind? Muss Ittrich doch zum Drei-Stufen-Plan greifen? Doch zum Glück war es nur Lord Voldemort.

Angst, Potter?

Mit der Erkenntnis, dass die DFL-Schiedsrichter etwas Interpretationsspielraum haben und nicht grundsätzlich eine personifizierte Gewaltandrohung bei Personen im Fadenkreuz sehen, durfte ich mich nach einer Viertelstunde vorerst auf das eigentliche Fußballspiel fokussieren. Dabei fand der Gast nach einer ertraglosen hannoverschen Anfangsoffensive immer besser ins Spiel und belohnte sich in der 29.Spielminute mit dem 0:1 durch Armindo Sieb. Das freute die Fürther Fußballer und ihre ca. 400 mitgereisten Fans natürlich sehr. Denn damit schob man sich in der Blitztabelle auf den 3.Platz.

Jetzt haben die Fans sogar schon Werbepartner für ihre Spielunterbrechungen akquiriert

Die Fürther brachten den Vorsprung erstmal in die Pause, aber entschieden war hier natürlich noch nichts. Es ging frohen Mutes in die 2.Halbzeit, der jedoch vorerst nur gute fünf Spielminuten vergönnt waren. In der symbolischen 50+1.Minute flog der erste Schwung Tennisbälle aus der Nordkurve auf den Platz. Dazu ein nahezu alle Stadionbesucher amüsierendes Spruchband mit der Aufschrift „Diese Spielunterunterbrechung wird präsentiert von: KIND Störgeräte“. Hier agierte Ittrich nun streng nach DFL-Leitfaden. Da abermals Filzkugeln in Hülle und Fülle ins Stadion eingebracht werden konnten, bat der Unparteiische die Mannschaften sehr bald an den Spielfeldrand. Ein erster Appell per Stadiondurchsage sorgte derweil nicht für Besserung und Ittrich schickte die Mannschaften in die Kabinen.

Auch die Fürther hatte eine Botschaft für den Mehrheitsgesellschafter und Geschäftsführer von Hannover 96 im Gepäck

Medienvertreter Uwe von Holt hoffte nun wahrscheinlich auf den unter der Woche von ihm heraufbeschworenen „Fan-Konter“. Denn jener Sportjournalist hatte während der letzten Heimspiele offenbar intensiv auf den Rängen recherchiert und dabei festgestellt, dass die „Mehrheitsmasse der normalen 96-Fans“ tief genervt sei. Weiter war in den für ihre Nibelungentreue zu Martin Kind bekannten Medien Neue Presse und die Hannoversche Allgemeine Zeitung aus seiner Feder zu lesen: „Am Freitag in Hannover haben diese Fußballfreunde übrigens eine sehr gute Chance, der vermutlich erneut destruktiven Minderheit im Stadionnorden ihre Meinung zur Situation kundzutun – sie sollten heftig drauf pfeifen.“ Doch das vom Journalisten angeregte Pfeifkonzert blieb aus. Wahrscheinlich war eine aktuelle Erhebung der Universität Würzburg tatsächlich repräsentativer, als von Holts Bauchgefühl oder Wunschdenken zur Meinung der „Mehrheitsmasse“. Besagte Meinungserhebung ergab u. a. bei 72 % der befragten Stadionbesucher eine Ablehnung für den DFL-Investorendeal.

Kleine Schalparade in der Nord

Im Niedersachsenstadion dazu am heutigen Abend ein Bild, was kaum Zweifel an der vorgenannten wissenschaftlichen Erhebung säen konnte. Die Kurve zog ihr einstudiertes Programm durch und die restlichen Fans ertrugen die Proteste beinahe noch geduldiger als in den Vorwochen. Dabei schien den Protagonisten in der Kurve auch klar zu sein, wie weit sie gehen konnten. Nach insgesamt 27 Minuten Unterbrechung ließen sie die Tennisbälle ruhen und somit den Lederball wieder rollen. Nach dem Spiel äußerte Schiedsrichter Ittrich gegenüber Medienvertretern, dass heute echt nicht mehr viel zum Abbruch gefehlt hätte.

Aus sportlicher Sicht entpuppte sich der geglückte Balanceakt als echter Segen für 96. Denn der Heimmannschaft schien die lange Unterbrechung mindestens nicht geschadet zu haben. So ungefähr drei Minuten lief die Uhr wieder, als Neumann in der offiziell 71.Spielminute nach einem Eckstoß von Leopold zum Ausgleich in die Maschen köpfte. Obendrein gelang Tresoldi in der 1.Minute der insgesamt 22 Minuten langen Nachspielzeit die Führung für die Roten.

Live-Performance eines unbekannten Künstlers

In der Zwischenzeit hatten die Fans im Oberrang der Nord noch eine weitere kritische Aktion gestartet. Anknüpfend an „Angst, Potter?“ kam nun das Konterfei von Martin Kind nebst der Frage „Angst, Martin?“ zum Vorschein. Da das Fadenkreuz fehlte, konnte Ittrich sich weiterhin auf die Spielleitung konzentrieren. Im Laufe der Schlussviertelstunde begannen die Fans jedoch das Abbild des hannoverschen Geschäftsführers und Mehrheitsgesellschafters zu besprühen. Erst ein roter Ring, dann ein zweiter roter Ring und schließlich auch der erste Ansatz eines vertikalen Strichs. Nach jedem Sprühfortschritt wurde immer kurz innegehalten und wieder Raum für die Frage „Angst, Martin?“ gelassen.

Nochmals wurden Grenzen ausgelotet

Weil man das Fadenkreuz jedoch bewusst erst nach Spielende komplettierte, konnte die Partie ohne weitere Unterbrechungen enden. Auf dem Rasen hatte die Leitl-Elf unterdessen ihren knappen Vorsprung erfolgreich verteidigt, so dass nach Abpfiff gemeinsam mit den Fans der vierte Sieg in Serie gefeiert werden durfte. Damit klettern nicht die Franken aus Fürth, sondern die Niedersachsen aus Hannover vorläufig auf den 3.Platz der 2.Bundesliga und dürfen sich endgültig als neuer Teilnehmer im Aufstiegsrennen betrachten. Obendrein haben die Fans wahrscheinlich einen weiteren kleinen Punktsieg im Kampf gegen die Investorenentscheidung der DFL erzielt. Die Proteste bleiben spürbar und unbequem, überspannen den Bogen zum Glück aber auch nicht. Denn man hat es ja bereits nach den Fadenkreuzen in Hamburg gemerkt. Die Befürworter des angedachten Milliardendeals innerhalb der DFL und ein Teil der Medien warten nur darauf, dass man endlich etwas Handfestes zum Dämonisieren und Diskreditieren der Fanproteste in die Hand bekommt. Damit die „Mehrheitsmasse“ sich tatsächlich aufstacheln lässt und die Funktionäre doch noch um Zugeständnisse herumkommen.