Cava de‘ Tirreni & Pompei 01/2024

  • 14.01.2024
  • Cavese 1919 – Cassino Calcio 1924 0:2
  • Serie D – Girone G (IV)
  • Stadio Simonetta Lamberti (Att: 1.700)

Am dritten Tag in Napoli (Neapel) hatten wir eigentlich einen Ausflug nach Caserta ins Auge gefasst, wohin uns u. a. das barocke Schloss aus dem 18.Jahrhundert lockte (UNESCO Welterbe). Außerdem hatte El Glatto einen Fun Fact parat: In Caserta werden angeblich EU-weit die meisten PKW geklaut. Das tangierte uns zwei Bahnfahrer natürlich nur peripher. Doch nun warf ich ebenfalls den Recherchemotor an und fand etwas heraus, was uns tatsächlich umgehend Abstand von der angedachten Exkursion nehmen ließ. Der Casertana FC hatte ein Geisterspiel vom Verband aufgebrummt bekommen, so dass das heutige Duell der Serie C mit der ACR Messina leider vor leeren Rängen stattfinden musste.

Frühstückszeit im B&B Hotel Napoli

Zum Glück gibt es rund um den Golfo di Napoli (Golf von Neapel) eine Vielzahl von aktiven Fanszenen und die durchaus verlockende Alternative hieß nun Cavese 1919 vs. Cassino Calcio 1924. Entsprechend bestiegen wir nach dem Frühstück um 10:27 Uhr einen Zug nach Cava de‘ Tirreni (4,60 €) und erreichten die von Napoli ca. 45 km entfernte 51.000-Seelen-Gemeinde gute 50 Minuten später. Dort gefiel sofort die schöne Lage in einem Talkessel und auch das Stadtbild wusste auf Anhieb zu überzeugen. Das 1394 vom aus Napoli stammenden Papst Bonifatius IX. zur Stadt erhobene Cava de‘ Tirreni ist richtig schick. Kein Müll auf der Straße, keine Bauruinen, nirgendwo bröckelt der Putz und das mit Laubengängen durchzogene Centro Storico wirkt regelrecht nobel.

Als Borgo Scacciaventi bezeichnen die Cavesi ihre von Laubengängen durchzogene Altstadt

Die altstädtische Architektur verriet, dass Cava de‘ Tirreni schon eine lange Tradition als Handelszentrum hat. Tuchhandel (ab dem Mittelalter) und Tabak (ab der Frühen Neuzeit) sollen dereinst für den vergleichsweise hohen Wohlstand der Stadt verantwortlich gewesen sein. Weil Cava Ende der 1450er Jahre im Kampf um die Krone des Regno di Napoli (Königreich Neapel) außerdem auf der „richtigen“ Seite stand und König Ferdinando I di Napoli (Ferdinand I.) entscheidend zum Sieg über den Prätendenten Renato d’Angiò (Renatus von Anjou) verhalf, bekam es 1460 vom König etliche Privilegien verliehen. So verfügte Ferdinando unter anderem, dass Cavas Kaufleute als einzige im gesamten Königreich von Zöllen jeglicher Art befreit sind. Ein unschätzbarer Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz aus den Nachbarstädten.

Der Dom zu Cava

Ab dem 19.Jahrhundert kam außerdem der Tourismus als stete Einnahmequelle hinzu. Nur einen Steinwurf von den sanften Wellen des Mar Tirreno (Tyrrhenisches Meer) und der malerischen Costiera amalfitana (Amalfiküste) entfernt, entdeckten Reisende schnell auch die idyllisch gelegene Kleinstadt Cava als lohnendes Ziel. Meistbesucht von Touristen war und ist gewiss die im 11.Jahrhundert vom später heiliggesprochenen Mönch Alferio Pappacarbone gegründete Abbazia territoriale della Santissima Trinità (Territorialabtei zur heiligsten Dreifaltigkeit). Jene Benediktinerabtei befindet sich allerdings gute 3 km vom Stadtzentrum entfernt auf einem Berghang, so dass uns heute die Zeit für eine Stippvisite fehlte. Stattdessen sahen wir uns die sakralen Höhepunkte der Altstadt mal genauer an.

Santa Maria dell’Olmo (hinten in der Apsis ist die Ulme zu sehen)

Den Anfang machte die Basilica di Santa Maria dell’Olmo (Basilika der heilige Maria von der Ulme), in deren Apsis hinter dem Altar kurioserweise ein Baum steht. An jener Ulme sollen Hirten im Mittelalter ein Marienbild gefunden haben, welches nach dessen Entfernung wieder vom Ort der Verbringung verschwand und am nächsten Morgen angeblich auf wundersame Weise erneut zwischen den Zweigen der Ulme hing. Daher entschloss man sich ab 1482 um die Ulme herum eine Wallfahrtskirche zu errichten.

Der 1584 fertiggestellte Campanile (Glockenturm) der Chiesa di San Francesco e Sant’Antonio

Vis-à-vis von Santa Maria dell’Olmo befindet sich außerdem die etwa gleich alte Kirche San Francesco e Sant’Antonio (Baubeginn 1492), die ebenfalls einen Blick wert ist. Hinter der schönen Renaissancefassade aus Tuffstein und Travertin wurden zu unserer Besuchszeit allerdings gerade die sonntäglichen Kulthandlungen der katholischen Gemeinde abgehalten, weshalb wir auf eine Besichtigung des Innenraums verzichteten. So entging uns auch ein Blick auf die dort aufbewahrten Reliquien der beiden hochverehrten Heiligen Francesco d’Assisi (Franz von Assisi) und Antonio di Padova (Antonius von Padua).

Mittäglicher Aperitivo an der Piazza Duomo

Den dritten bedeutenden Sakralbau des Stadtzentrums, nämlich den zwischen 1517 und 1571 errichteten Duomo di Santa Maria della Visitazione (Dom Mariä Heimsuchung) nahmen wir zur Mittagszeit dann auch lediglich von außen in Augenschein. Zu verlockend war es, sich stattdessen an der Piazza Duomo in der Caffetteria Centro Storico niederzulassen und sich nach dem gut einstündigen Stadtbummel eine Runde Cappuccino zu gönnen. Damit der Tag anschließend etwas an Fahrt aufnehmen konnte, war die zweite Bestellung hingegen Caffè Corretto (mit Sambuca). Und jetzt, wo der Leber der erste kleine Arbeitsauftrag erteilt war, durfte es natürlich prompt mit alkoholhaltigen Erfrischungen weiter gehen. Wie die anderen Stadiongänger hier am Platz, tranken wir noch eine Rutsche Aperol Spritz.

Vom Vater zum Sohn (Reviermarkierung im Design einer ikonischen Zaunfahne)

Gegen 13:30 Uhr leerten sich die Lokale an der Piazza Duomo schlagartig und wir entschlossen uns ebenfalls aufzubrechen. Kurz noch die faire Rechnung von insgesamt 20 € für die sechs Getränke beglichen und auf ging’s zum exakt 1.312 m entfernten Stadio Simonetta Lamberti. Da Stadien höchst selten nach einer Vertreterin des gebärenden Geschlechts benannt sind, interessierte mich natürlich, wer Simonetta Lamberti war. Leider steckt eine traurige Geschichte dahinter. Simonetta war gerade mal 11 Jahre alt, als die Mafia 1982 einen Anschlag auf ihren Vater Alfonso verübte. Dieser war als Staatsanwalt ins Visier der Camorra geraten und nach einem Strandausflug attackierten die Täter das Fahrzeug von Alfonso Lamberti auf dessen Heimfahrt mit Feuerwaffen. Während der Vater den Mordanschlag überlebte, trafen die Kugeln seine Tochter tödlich.

Die Haupttribüne des Stadio Simonetta Lamberti

An jenem Stadio Simonetta Lamberti hielten wir nun Ausschau nach den Kassenhäuschen und wurden schnell von ein paar Ultras angelungert, die uns für Gästefans hielten. „No, no… siamo turisti tedeschi.“ Ob wir auch aus Leverkusen oder Kaiserslautern seien, war die nächste Frage der Sonnenbrillenträger aus Leidenschaft. Gut, waren wir wohl nicht die ersten Deutschen, die heute mit den Ragazzi plaudern durften. „No, veniamo da Hannover“ war meine Antwort. Irritierte Blicke, als hätte ich Ahlen oder Gütersloh gesagt. Doch noch bevor ich mit „Hannover! Hannover 96! Non conosci Martino Bambino, il nemico del calcio senza cuore e senza capelli?“ nachlegen konnte, wünschten sie uns einen schönen Nachmittag hier bei ihnen in Cava.

Netter Ausblick von unseren Plätzen

Damit sich solche Dialoge an der nächsten Straßenecke nicht wiederholen müssen, erwarb ich doch lieber online zwei Tickets à 22 € für den überdachten Oberrang der Haupttribüne des 1969 eröffneten Stadions. Ich hatte die Option bereits in den Morgenstunden entdeckt, aber eigentlich keinen Bock auf den Registrierungs- und Transaktionsprozess gehabt, der nun tatsächlich ein paar Minuten in Anspruch nahm. Doch als die Tickets endlich den Weg auf unsere Smartphones gefunden hatten, waren wir rapidamente auf der anderen Seite der Drehkreuze.

Noch besser als Caffè corretto: Borghetti für 2,50 €

Im gegenwärtig für 5.200 Besucher zugelassenen Stadion erfreute uns, dass sich nicht nur die nach dem 2006 verstorbenen Spieler benannte Curva Sud Catello Mari* erwartungsgemäß gut füllte, sondern kurz vor Anpfiff auch noch eine Busladung Gästefans aus dem 130 km entfernten Cassino in der gegenüberliegenden Kurve auftauchte. Obwohl die Heimszene gewiss einen veritablen Alleinunterhalter abgegeben hätte, sind zwei Szenen natürlich immer besser eine. Dazu hatten beim Recherchieren über die Gäste zwei Jahreszahlen bei mir Eindruck gemacht. Die älteste noch aktive Gruppe sind die bereits 1977 gegründeten Fedayn und seit 1983 pflegen die Cassinati eine Fanfreundschaft mit den Ultras aus Venafro (von denen heute nebenbei auch ein Banner am Zaun hing).

Choreo zu Spielbeginn

Während Glatto und ich pünktlich zum Anpfiff mit Borghetti auf einen schönen Fußballnachmittag anstießen, gab es in der Heimkurve eine Choreographie zu bewundern. Die Ultras schwenkten Fähnchen in den Vereinsfarben dunkelblau und weiß und entrollten außerdem Banderolen in rot, gelb und grün (den Farben der Rastafari). Dazu wurde im Zentrum der Kurve das hinduistische Om-Symbol in der gleichen Kolorierung präsentiert, was wiederum das Design der heute ausnahmsweise mal wieder vor der Kurve hängenden Zaunfahne Ultra‘ Cava aufgriff. Jenes Banner ist bereits über 30 Jahre alt und die temporäre Wiederkehr hatte leider den nächsten traurigen Hintergrund.

Rechts am Bildrand: Das Konterfei von Chechevone auf einer Schwenkfahne

Denn am 9.Januar hatte sich der Tod von Salvatore „Chechevone“ Mazzotta zum elften Mal gejährt. Chechevone war 1984 einer der Initiatoren der Vereinigung seiner Gruppe The Wanderers mit den Jungs von Falange d’assalto – beide Gruppen waren seit den späten 1970er Jahren aktiv – zu Ultra‘ Cava. In den 1980er Jahren – als Cavese übrigens auch den sportlichen Zenit erreichte und von 1981 bis 1984 gar drei Spielzeiten in der Serie B mitmischte** – war Chechevone eine unangefochtene Führungsfigur der Curva Sud. Auch wenn sich Ultra‘ Cava 1991 wieder auflöste, genoss er bis zu seinem Lebensende weiterhin den höchsten Respekt der Kurve. Dieser wird ihm mittlerweile zu Beginn eines jeden Jahres mit der historischen Fahne von Ultra‘ Cava und begleitenden optischen Aktionen gezollt.

Die Gästeschar aus dem Latium

Wie so oft in Italien, tischte hier also eine Kurve mit langer und stolzer Geschichte an. Eine Kurve, die Gesichter und Gruppen kommen und gehen sah, aber ihre Helden nie vergisst. Zugleich eine Kurve, welche die gesamte Bewegung im Blick hat und deshalb später noch ein Spruchband mit der Aufschrift „10-01-93: La morte è uguale per tutti“ präsentierte. Damit erinnerten die Cavesi an den 10.Januar 1993, als der Bergamaschi Celestino Colombi nach der Partie Atalanta vs. Roma um’s Leben kam. Der damals 41jährige Colombi war weder Ultrà, noch beim Spiel gewesen, sondern wartete lediglich am Spieltag in Stadionnähe auf einen Bus.

Erinnerung an Celestino Colombi

Die Gästefans aus der Hauptstadt waren bereits abgereist, als die Polizei vor einer Bar gegen eine Gruppe von Atalanta-Fans mit Schlagstöcken und Tränengas vorging und jener Einsatz völlig aus dem Ruder lief. Die Beamten feuerten ihre Gasgeschosse auf Kopfhöhe ab und zahlreiche unbeteiligte Passanten gerieten dabei in die Schusslinie. Darunter der gesundheitlich vorbelastete Colombi, der in der bedrohlichen Situation einen tödlichen Herzinfarkt erlitt. Italiens Fanszenen waren geschockt und am kommenden Spieltag wurde in fast jedem Stadion ein Spruchband mit der Parole La morte è uguale per tutti (Der Tod ist für alle gleich) gezeigt. Ein Schulterschluss, der in dieser Form in Italien erstmalig war.

Die Cassinati peitschen ihre Azzurri nach vorn

Neben den zwei vorgenannten optischen Aktionen, lieferte die Curva Sud einen wunderbaren Gesangsvortrag über das gesamte Spiel. Ganz so, wie es virale Videos und bisherige Besuchsberichte von Groundhoppern vermuten ließen. Auf eingängige Melodien wurde mit ganz viel Passione gesungen, wenngleich der Spielverlauf alles andere als stimmungsfördernd war. Denn obwohl ihre Mannschaft zur Zeit eine der neun Staffeln der viertklassigen Serie D als Tabellenführer krönt, sah der Aufstiegsaspirant überraschenderweise kaum einen Stich gegen den Gast aus dem Latium. Die Cassinati (gegenwärtig 5.Platz) hatten das Spiel von Anfang gut im Griff und die Pausenführung durch den portugiesischen Legionär Léo Abreu (44.Minute) war verdient.

Torjubel beim 0:2

El Glatto und ich hofften natürlich auf ein völlig anderes Auftreten der Aquilotti (junge Adler) im zweiten Durchgang, aber auf dem Rasen wurde nichts besser. Dementsprechend wunderten wir uns kaum über das zweite Tor der Gäste, welches der erst 18jährige Angreifer Luigi Bianchi in der 55.Minute erzielte. Als wüssten alle Azzurri (Azurblauen), dass dieses Tor schon die Vorentscheidung war, rannten die Feldspieler und Reservisten geschlossen in die Gästekurve und feierten innig mit ihren Anhängern. Da Cassino Calcio den Vorsprung anschließend völlig ungefährdet über die Zeit retten konnte, roch es neben Pyrotechnik auch irgendwie ein bisschen nach Spielmanipulation im Rund. Gibt es so etwas etwa (immer noch) in der Serie D? Ich hoffe nicht!

Schalparade in der Curva Sud

Bei bisher 40 gesammelten Punkten und weiterhin sechs Punkten Vorsprung auf den ersten Verfolger, ist die Niederlage für Cavese 1919 zum Glück nicht ganz so schmerzlich. Ich würde den Fans der Blufoncé (Dunkelblauen) die Staffelmeisterschaft und den damit verbundenen Aufstieg in die Serie C spätestens seit heute von Herzen gönnen. Wirklich eine sehens- und hörenswerte Szene, auf die eine Etage höher noch interessantere Gegner wie Avellino, Benevento, Foggia, Juve Stabia, Turris oder Taranto warten würden. Aber egal in welcher Liga, ich komme gerne nochmal wieder…

Aperitivo in Cava

Nach Abpfiff hatten Glatto und ich ein Stündchen Zeit bis zur Abfahrt des nächstbesten Zuges nach Napoli. Die nutzten wir selbstredend für einen Aperitivo und kehrten dazu nochmal in die Altstadt zurück. Diesmal ließen wir uns vor der Bar Mademoiselle Charlotte nieder, wo uns für 8 € pro Glas zwei Campari Spritz mit ein paar Extrazutaten serviert wurden. Das ideale Intermezzo, bevor Cava um 17:23 Uhr wieder verlassen wurde.

Mezzanelli mit einer Sauce aus Kirschtomaten, Guanciale, Parmigiano und zerbröselten Taralli

In Napoli ging es anschließend in die just um 19 Uhr öffnende Antica Trattoria e Pizzeria da Donato. In jenem seit 1956 bestehenden Restaurant entschied ich mich für Mezzanelli Napulè als Primo, während Glatto zunächst Spaghetti alla Carbonara orderte. Als zweiten Gang hatte ich anschließend Salsiccia di Agerola in Padella (eine regionale Wurstspezialität), wohingegen mein Gegenüber schon wieder Bock auf Pizza hatte. Es wurde eine Bufalina mit Büffelmozzarella, Tomate, Parmigiano und Basilikum. Die Gänge bewegten sich preislich alle zwischen 8 und 10 € und waren durchweg ein Genuss. Dazu bestellten wir uns noch eine Flasche San Pellegrino (2,50 €) und eine Flasche Primitivo di Manduria von den apulischen Winzern Leone de Castris (18 €). Am Ende hatte mein Mitreisender mit Coperto insgesamt 62,50 € zu zahlen (der gute El Glatto bestand darauf mich heute einzuladen).

Unsere zweiten Gänge

Obwohl es nach dem Essen bereits 21 Uhr und somit unsere von den Vorabenden etablierte Zeit zum Schlafengehen war, wollte ich mich für die Einladung wenigstens noch mit einem Drink revanchieren. Wir machten also einen kleinen Verdauungsspaziergang durch die Altstadt und ließen uns schließlich für eine Runde Aperol Spritz beim Gran Caffè San Gennaro nieder. Hui, lagen wir heute also tatsächlich mal nach 22 Uhr im Bett. Erzählt es bitte nicht unseren Eltern!

Abendlicher Aperol à 5 € beim Gran Caffè San Gennaro

Für Montag hatten wir einen Ausflug zu den Ruinen der der antiken Stadt Pompeii geplant. Kurz nach der ersten Mahlzeit des Tages, ging es um 10:27 Uhr per Zug in die nur noch mit einem i geschriebene moderne Nachfolgestadt Pompei (3,30 € p. P.). 11:08 Uhr erreichten wir unseren Zielbahnhof und 10 Minuten später standen wir komplett einsam am Eingang des archäologischen Geländes, dessen Drehkreuze insgesamt über 3 Mio Besucher pro Jahr passieren. Doch wir schienen mit einem Montag in der Nebensaison, mit ordentlich Regenwolken am Himmel, den perfekten Besuchstag für den Parco Archeologico di Pompei erwischt zu haben.

Im Amphitheater hätten sich heute auch Amphibien wohl gefühlt

Nachdem Tickets à 18 € für diese Welterbestätte gelöst waren, warfen wir uns in das Gegenteil von Getümmel. Dabei war die erste Landmarke hinter den Drehkreuzen das weithin sichtbare Amphitheatrum. Dort ging es zunächst in die Katakomben, wo sich kurioserweise alles um die Band Pink Floyd drehte. Denn die hatte hier 1971 den Musikfilm Pink Floyd: Live at Pompeii produzieren lassen und auf mehreren Schautafeln und Monitoren wurde einem die Entstehung dieses Machwerks nähergebracht.

Ausblick von einem exponierten Hügel über etwa ein Fünftel der Ruinen

Interessanter fand ich allerdings die Aufzeichnungen des römischen Geschichtsschreibers Tacitus. Im Jahre 59 n. Chr. kam es nach seinem Bericht im seinerzeit bis zu 20.000 Zuschauer fassenden Amphitheater während eines Gladiatorenkampfes zu Randale auf den Rängen. Offenbar waren die Locals aus Pompeii mit extra angereisten Kampfsportfans aus der Nachbarstadt Nuceria aneinandergeraten und anscheinend ging es dabei kaum weniger brutal als unter den Gladiatoren zu. Insbesondere auf Seiten der Nucerianer soll es Schwerverletzte und Tote gegeben haben. Ob ein paar der Schläger identifiziert und mit lebenslangen Arenaverboten belegt werden konnten, ist leider nicht überliefert. Aber es gab eine Kollektivstrafe. Der Senat untersagte für die kommenden zehn Jahre jegliche Spiele in Pompeii.

Von den Leichen machten die Archäologen Gipsabdrücke

Doch wesentlich größere „Strafen“ ereilten Pompeii bald durch zwei Naturkatastrophen. 62 n. Chr. zerstörte erst ein schweres Erdbeben weite Teile der Stadt, ehe 17 Jahre später der Vesuvio (Vesuv) gut 1.900 Jahre nach seiner letzten Eruption erneut ausbrechen sollte. Die beiden Städte Pompeii und Herculaneum wurden dadurch im Jahre 79 n . Chr. unter Lava, Asche und Bimsstein begraben. Von den damals mindestens 20.000 Einwohnern Pompeiis überlebte nur, wer sich rechtzeitig aus der Stadt rettete. Wer vor dem Gesteinshagel und dem pyroklastischen Strom jedoch lediglich Schutz in den Häusern suchte, war zum Sterben verdammt.

Die Via dell‘ Abbondanza

Diese antike Katastrophe sollte sich in der Neuzeit als Glücksfall für die Altertumsforschung entpuppen. Denn die ca. 12 m dicke Schicht Tephra hatte die längst in Vergessenheit geratene Stadt hervorragend konserviert. Ende des 16.Jahrhunderts gab es hier erste Münz- und Keramikfunde, auf die Raubgrabungen von Schatzsuchern folgten. Ab 1748 kam es schließlich zu systematischen Grabungen im Staatsauftrag, was allgemein als die Geburtsstunde der Archäologie angesehen wird. Allerdings zielten die vom damaligen neapolitanischen König Carlo VII (Karl VII.) beauftragten Grabungen zuvorderst darauf ab, ihm antike Reichtümer zu bergen. Erst im 19.Jahrhundert begann man großflächig und ganzheitlich zu graben, um im Sinne der Forschung die Stadt und ihr Alltagsleben zu rekonstruieren.

Das fast fast 1800 m² große Haus des Menander gehörte der Familie der Poppaei, der u. a. Kaiser Neros zweite Ehefrau Poppaea Sabina entstammte

Nach und nach wurde eine mutmaßlich sehr wohlhabende antike Stadt ausgegraben, deren Ausmaße und gewissermaßen auch Modernität wirklich beeindrucken. Das archäologisch relevante Gebiet erstreckt sich dabei über etwa 66 ha, wovon bisher ca. 45 ha freigelegt worden sind. Obwohl von diesen 45 ha längst nicht alles für Besucher zugänglich ist, war klar, dass wir an einem Tag unmöglich das gesamte Gelände besichtigen können. Aber ausgerüstet mit dem zum Ticket gereichten Stadtplan, wollten wir uns möglichst viele der darauf grafisch hervorgehobenen Bauwerke genauer ansehen.

Wandmalerei im Haus der Familie Ceii, deren Mitglieder jahrhundertelang hohe politische Ämter bekleideten

Nach dem zuerst besichtigten Amphitheatrum, folgte nebenan mit der Palaestra eine weitere Sportstätte. Jener in etwa 140 x 140 m große Platz mit umlaufenden Säulengängen diente den Bewohnern als Sportfeld für die körperliche Ertüchtigung. Bei den antiken Sportstätten beginnt ferner die 8,5 m breite Via dell‘ Abbondanza, die nach gut 900 Metern ins Forum mündet. An dieser Hauptstraße erwarteten uns repräsentative und kunstvoll verzierte Wohnhäuser reicher Familien und öffentliche Gebäude wie die Thermae Stabianae (Stabianer Thermen). Auch erste Gewerbebetriebe wie Bäckereien (wovon Pompeii insgesamt 31 hatte) und Thermopolia (Garküchen) fielen uns auf.

Unterwegs auf den Zuschauerrängen des großen Theaters

Bevor wir unweigerlich auf das Forum zusteuerten, machten noch einen Abstecher in den südlich von der Via dell‘ Abbondanza gelegenen Theaterbezirk. Dort erwartete uns ein Odeon, dessen Darbietungen etwa 1.500 Menschen beiwohnen konnten, wie auch ein großes antikes Theater, welches etwa 5.000 Besucher fasste. Dazu gesellt sich ein großer Quadriporticus (ein quadratischer Säulengang), in dem sich die Besucher der Theaterstücke während der Pausen bewegen und austauschen konnten.

Hier schloss sich dereinst eine Basilika ans Forum an

Dann war endlich das Forum dran (siehe auch Titelbild), wo sich vor der Katastrophe von 79 n. Chr. ein Großteil des öffentlichen und des religiösen Lebens der Stadt abspielte. Rund um den ca. 40 x 160 m großen Platz findet man u. a. ein Macellum (antike Markthalle), eine Horreum (Getreidespeicher), sowie die wichtigsten Tempel von Pompeii. Außerdem schloss sich dem Forum dereinst eine große Basilica an. Das war wiederum das zentrale Verwaltungs- und Gerichtsgebäude der Stadt. Wenn man so will, der antike Vorläufer eines Rathauses.

Die Überreste des Apollontempels am Forum

Vom Forum schritten wir nun nordwärts die Via di Mercurio ab. Rechts und links des Straßenpflasters gab es etliche weitere Wohnhäuser mit individuellen Besonderheiten zu bewundern. Nach fast vier Stunden ließ allerdings auch etwas unsere Energie und Aufnahmefähigkeit nach. Wir beschlossen jetzt den Turm der Stadtbefestigung am Ende der Via di Mercurio zu besteigen. Sollte uns von dort oben kein bisher übersehenes, spektakuläres Bauwerk auffallen, würden wir uns anschließend wieder langsam zum Ausgang orientieren.

Die Via di Mercurio, überblickt vom Turm XI der antiken Stadtbefestigung

Beim Blick über die Stadt fiel uns tatsächlich nichts Besonderes mehr auf. Beim Studium des Kartenmaterials, stachen hingegen die verschiedenen Nekropolen, weitere Thermen, ein offenbar gut erhaltenes Bordell und die außerhalb der eigentlichen Stadt gelegene Villa dei Misteri (Mysterienvilla) ins Auge. Letztere war prinzipiell noch Pflicht, aber zugleich jenes Bauwerk des archäologischen Parks, welches maximal weit vom Bahnhof entfernt war. In Anbetracht von bereits über 20.000 Schritten und knurrenden Mägen, beschlossen wir nun doch den Rückweg zum Ein- bzw. Ausgang am Amphitheater einzuschlagen.

Überreste eines wahrscheinlich Kaiser Caligula gewidmeten Triumphbogens

Wir nahmen aber wenigstens eine andere Route und kamen so am Stadttor Porta Nocera vorbei. Dort verließen wir die eigentliche Stadt und schauten uns jenseits der Stadtmauer noch die Gräber einer der Nekropolen von Pompeii an. Verstorbene mit besonders exponierten Stellung zu Lebzeiten, hatten dort natürlich die größten und schönsten Grabmale. Zugleich waren die Nekropolen auch die Orte, die Grabräuber schon vor den Archäologen ausgebuddelt und entsprechend geplündert hatten.

Fußbodenmosaik im Haus des Paquius Proculus

Von der Nekropole vor der Porta Nocera war der Ausgang des Geländes lediglich einen Katzensprung entfernt. Um 15:30 Uhr sagten wir also Ciao zum Parco Archeologico di Pompei und 20 Minuten später traten wir tief beeindruckt die Rückfahrt nach Napoli an. Pompeii hat sich auf jeden Fall nochmal für einen Revisit qualifiziert. Hoffentlich mit genauso wenig weiteren Besuchern!

Die Porta Nocera

Zurück in der süditalienischen Metropole, wagten wir uns nochmal in eine bisher unbekannte Ecke der Altstadt vor. Ziel war die Piazza del Mercato, die seit dem Hochmittelalter als Marktplatz dient und gleichsam früher der Ort von öffentlichen Hinrichtungen war. So fand dort 1268 mit Corrado II di Sicilia (Konrad II. von Sizilien) der letzte legitime männliche Erbe aus der Dynastie der Staufer mit nur 14 Jahren den Tod durch’s Fallbeil. Der ob seines jungen Alters von den Italienern zu Corradino (Konradin) verniedlichte Konrad hatte versucht die Ansprüche der Staufer in Süditalien durchzusetzen, scheiterte jedoch an der damaligen Allianz des Papstes mit Carlo d’Angiò (Karl von Anjou).

Der Arco di Sant’Eligio nahe der Piazza del Mercato

Jetzt wo die bisher offene gebliebene Frage, warum die Staufer ihre sizilianische Krone an die Anjou verloren hatten, auch endlich geklärt war (Vgl. Napoli 01/2024), ließen wir uns gegen 17:30 Uhr vor dem Caffè Zambardino nieder. Dort servierte man Glatto und mir eiskalte Peroni für 2 € pro Flasche, welche wir uns nach den ganzen Kilometern in Pompeii mehr als verdient hatten. Weil hier jedoch keine kleinen Snacks zum Bier gereicht wurden, zogen wir bald nochmal weiter. In der Pozone Caffetteria kostete das Bier nun zwar einen Euro mehr, aber dafür war ein Körbchen mit Knabbereien in der Preiskalkulation der Gastronomen mitberücksichtigt.

Bier und Snacks am frühen Abend

Um die Mägen jedoch wieder ernsthaft mit Inhalt zu füllen, musste natürlich noch ein richtiges Abendessen her. Daher ging es kurz vor 19 Uhr zurück zur Piazza del Mercato, wo uns zwei Stunden zuvor die nun endlich geöffnete Pizzeria del Popolo aufgefallen war. Die Pizzaioli durften uns umgehend zwei Pizzas in den offenbar gut vorgeheizten Steinofen schieben. Glatto hatte die Pizza Tarantina mit Tomatensugo, Oliven, Anchovis und Kapern gewählt (6 €), während mir die Pizza del Popolo mit Cicoli Napoletani, Provolone, Kirschtomaten, Ricotta und Pfeffer serviert wurde (7,50 €).

L’ultima pizza a Napoli per noi

Zwei wirklich hervorragende Pizzas, zwei wohltemperierte Peroni und zweimal Coperto summierten sich am Ende auf 19,50 €, so dass auch das letzte Abendmahl in Napoli kein Loch in die Reisekasse reißen sollte. Ein ultimatives Bier genossen wir anschließend noch in der L’Antica frutteria di Porta Capuana unweit unseres Hotels. Für je 5 € gab es dort 40 cl neapolitanisches Bier vom Fass nebst Begleitknabbereien. Dann ging es wieder peinlich früh ins Bett, aber den Rhythmus hatten wir jetzt einfach drin.

Ein letzter Streifzug

Am Dienstagmorgen drehten wir nach dem Frühstück zwischen 9 und 10 Uhr nochmal eine kleine Abschiedsrunde durch die Altstadt, ehe es um 10:30 Uhr wieder per Alibus (5 €) zum Flughafen ging. Leider verzögerte sich unser eigentlich für 12:30 Uhr angesetzter Flug auch diesmal um 40 Minuten, so dass noch viel Zeit am Airport verbracht werden musste. Immerhin hatte der Duty Free Shop erfreulicherweise Borghetti im Verkaufsprogramm. Damit man auch was zum Mitbringen für zuhause hat…

Danke Bro

Gegen 15:30 Uhr waren wir schließlich wieder auf deutschem Boden und hatten noch ein Polster von zwei Stunden, bis unser für 11,15 € pro Person gebuchter ICE von Berlin nach Hannover rollen sollte. Wir nutzten die Zeit natürlich für die zweite Mahlzeit des Tages und kehrten dafür in einen Dönerimbiss am Bahnhof Berlin-Ostkreuz ein. Bro’s Döner Kebab durfte zwei Chicken Gemüse Dürüm à 7 € für uns zubereiten. 17:33 Uhr ging es dann vom Ostbahnhof der Hauptstadt endgültig heimwärts und ein toller, aber eigentlich zu kurzer Trip fand sein Ende. Ich wusste jetzt auf jeden Fall, warum Glatto so gerne eines zweites Mal nach Napoli reisen wollte. Für mich kommen hoffentlich auch noch weitere Visiten am Fuße des Vesuvs hinzu.

Song of the Tour: Bei Cavese muss es einfach irgend eine Version von Moliendi Café sein

*Am 15.April 2006 sicherte sich Cavese durch einen Heimsieg gegen Sassuolo vorzeitig den Aufstieg in die drittklassige Serie C1. Nach 20 Jahren der sportlichen Tristesse (nur 4.Liga oder tiefer) war ganz Cava ein Tollhaus und feierte spontan ein rauschendes Fest. Aufstiegsheld Catello Mari verließ die Feierlichkeiten als einer der letzten Spieler und verunglückte in den frühen Morgenstunden mit seinem Auto tödlich.

**Den sportlichen Höhepunkt der über 100jährigen Vereinsgeschichte markiert die Spielzeit 1982/83, als man u. a. die große, aber damals ebenfalls zweitklassige AC Milan auswärts im San Siro schlagen konnte und die Saison am Ende auf einem hervorragenden 6.Platz abschließen sollte.