Napoli (Neapel) 01/2024

  • 13.01.2024
  • SSC Napoli – US Salernitana 2:1
  • Seria A (I)
  • Stadio Diego Armando Maradona (Att: 35.000)

Bauernaufstände, streikende Lokführer und eisige Temperaturen im zweistelligen Minusbereich… Es ist bekanntlich grundsätzlich ein Spagat, einerseits das Leben zu lieben und andererseits in Deutschland zu leben. Aber Anfang 2024 machte es einem die Bundesrepublik wirklich völlig unmöglich kein Fernweh zu bekommen. Wie gut, dass El Glatto und ich auf den 12.Januar datierte Flugtickets von Berlin nach Napoli (Neapel) im so genannten Wallet hatten, die easyJet einige Wochen zuvor für 99 € return angeboten hatte.

El Glatto outete sich im ICE als El Bávaro

Zwar sorgten wir uns zunächst ob des Bahnstreiks vom 10. bis 12.Januar. Doch unser gebuchter ICE von Hannover nach Berlin um 8:31 Uhr (11,15 € p. P.) gehörte zum knappen Fünftel jener Fernverkehrsverbindungen, die von der DB nicht gestrichen wurden. Begleitet von den entschuldigenden Worten „Sorry, dass ich so deutsch bin…“ regte El Glatto sicherheitshalber dennoch eine Anreise am Vorabend an. Das war mit mir nicht zu machen. Aber damit mein Begleiter halbwegs ruhig schlafen konnte, schlug ich einen Kompromiss vor. Der sah vor am Freitagmorgen bereits zwei Stunden eher zu fahren, da der ICE um 6:31 Uhr laut Notfahrplan ebenfalls rollen sollte.

In Berlin mutierte er erfreulicherweise zu El Orientalo

Als wir 6:15 Uhr am hannoverschen Hauptbahnhof eintrafen, stand der besagte ICE bereits im Gleis und sollte von einem mutmaßlich nicht in der GDL organisierten Lokführer tatsächlich pünktlich nach Berlin bewegt werden. Wir verließen diesen Zug um 8:10 Uhr in Spandau und nutzten die „gewonnene“ Zeit für ein üppiges Frühstück im orientalischen Café Bi’mola. Sucuk, Simit und vieles mehr gingen dort auf El Glattos dankbaren Nacken, so dass es 75 Minuten später gut gesättigt und hervorragend gelaunt weiter zum Flughafen gehen konnte.

Der Corno Grande kurz vor’m Landeanflug auf Napoli

Am Gate zeigte Gott sogleich, dass er Glattos Generosität gut fand. Denn im Gegensatz zu zahlreichen anderen Passagieren unseres Fluges, musste er nicht für sein eigentlich zu großes Handgepäckstück nachzahlen (aber gut, wir haben uns im wahrsten Sinne des Wortes auch nicht wie Trottel angestellt). Weiters hatten wir im ansonsten gut ausgelasteten Airbus einen freien Mittelplatz in unserer Sitzreihe. Bei soviel Glück, machte es uns auch nichts aus, dass Enteisungsmaßnahmen die Abflugzeit spontan von 12:30 Uhr auf 13:10 Uhr änderten. Letztlich erreichten wir Napoli trotzdem fast planmäßig (15:00 Uhr statt 14:45 Uhr) und per Alibus (5 € p. P.) waren wir schon kurz nach der Landung an der Rezeption des gebuchten B&B Napoli (***). Jenes Hotel an der zentralen, aber nicht besonders seriös wirkenden Piazza Garibaldi sollte uns die kommenden vier Nächte inklusive Frühstück und Tourismusabgabe für 256 € pro Einzelzimmer beherbergen.

Schickes Zimmer im B&B Napoli

Nach einer kurzen Verschnaufpause, starteten wir um 16 Uhr unseren ersten Spaziergang durch die 912.000-Einwohner-Metropole am Fuße eines Vulkans. Da Glatto vor fünf Jahren schon einmal in Napoli zu Gast war, konnte er dabei Orientierung bieten. Zunächst führte er mich durch die engen Altstadtgassen des Centro Storico, die von der Meisterfeier im vergangenen Jahr immer noch festlich geschmückt waren. Auch Graffiti und Wandbilder mit Bezug zur SSC Napoli sind inflationär vorhanden und insbesondere das Konterfei der Vereinsikone Diego Maradona ist omnipräsent. Der 2020 leider verstorbene einstige argentinische Ausnahmefußballer genießt in Napoli einen ähnlichen Gottstatus wie in seinem Heimatland.

Das 1484 erbaute Stadttor Porta Capuana

Von der Altstadt zog es uns am späten Nachmittag hinunter ans Wasser. Dort passierten wir u. a. das mächtige Castel Nuovo, welches ab dem 14.Jahrhundert als Residenz und Festung der Könige des Regno di Napoli (Königreich Neapel) diente. Anschließend stiegen wir hinauf zur exponiert liegenden Piazza del Plebiscito, wo sich mit dem barocken Palazzo Reale di Napoli (hier residierten die neapolitanischen Könige ab dem 18.Jahrhundert) und der klassizistischen Basilica di San Francesco di Paola (frühes 19.Jahrhundert) weitere beeindruckende Bauwerke befinden. Auch das 1737 eröffnete Opernhaus Teatro di San Carlo und die noble Einkaufspassage Galleria Umberto I (1890) grenzen an die Piazza del Plebiscito, so dass der Besucher hier wirklich eine große Ballung monumentaler Architektur vorfindet.

Unterwegs in den Gassen der Altstadt

Ferner beginnt an der Piazza del Plebiscito mit der Via Toledo die bekannteste Einkaufsstraße von Napoli. Deren 1.312 Meter schritten wir als nächstes ab und kehrten dabei zwecks Aperitivo in ein Lokal namens Caffè Bistrot Toledo ein. Wir wollten eigentlich Aperol Spritz nebst ein paar deftigen Snacks genießen, aber der Kellner redete uns das uns und laberte irgendwas von einer Hausspezialität, die wir unbedingt probieren müssen. Wenig später brachte er uns Kuchen und Prosecco an den Tisch. Gut, war mit 9 € pro Gedeck preislich immerhin im Rahmen, aber wirklich nicht das, was uns eigentlich vorschwebte.

Der Stadtheilige San Gennaro und der Barockmaler Caravaggio von der Künstlerin Roxy

Anschließend ging es zurück in die Altstadt, wo wir gegen 20 Uhr mächtig Appetit auf neapolitanische Pizza verspürten. Rund um’s Teatro Trianon schien es in der Geburtsstadt der Pizza eine besonders große Häufung von holzbefeuerten Steinöfen zu geben und den Zuschlag bekam letztlich die Pizzeria Spuzzuliamm. Wir orderten dort zunächst große Biere und zwei köstliche Varianten von Bruschetta (einmal klassisch und einmal opulent nach Art des Hauses). Danach wurden uns zwei fantastische Pizzas serviert. Glatto hatte die Giuseppe (mit Salsiccia, Friarelli und Provolone) und ich die Ripieno Napoletano (eine gefüllte Pizza mit Provolone, Salame Napoli, Prosciutto cotto und Ricotta). Alles ein Gedicht und bei einer Gesamtrechnung von 32 € auch alles andere als teuer.

Dem frühen Aufstehen geschuldet, ging es dann tatsächlich gleich nach dem Essen um ca. 21:30 Uhr ins Bett. Ein bisschen haben wir uns selbstredend geschämt, dass wir nicht noch bei dem einen oder anderen neapolitanischen Zapfhahn für Durchfluss gesorgt haben. Doch ich benötige zum Zählen meiner grauen Haare mittlerweile mehr als meine zehn Finger und Glatto ist ja auch schon über 30. Die fetten Jahre sind zwar keineswegs vorbei, die ganz wilden aber anscheinend schon.

Buonanotte, Napoli!

Gut geruht ging es am Samstagmorgen bereits um 8 Uhr zum Frühstückstisch. Nachdem Würstel, Rührei, Brot mit Aufschnitt und ein wenig süßes Gebäck verputzt waren, redeten wir uns das gestrige Verweigern einer Kneipentour gleich wieder schön. Das morgendliche Tischgespräch wurde nun ein regelrechtes Plädoyer für frühes Zubettgehen. Schließlich hatten wir nun viel mehr vom Tag, als wären wir erst am späten Vormittag aufgestanden und womöglich obendrein ein bisschen verkatert gewesen.

Frühstück im B&B Hotel Napoli

Nachdem wir uns am Vortag nur einen ersten Eindruck von Napoli verschafft hatten, startete heute um 9 Uhr die ganz große Entdeckertour. Sie begann zwangsläufig im an unser Hotel angrenzenden Centro Storico und sollte auch tatsächlich annähernd bis zu den historischen Ursprüngen der Stadt führen. Denn unterhalb des ehemaligen Franziskanerklosters San Lorenzo Maggiore konnten wir gegen 9 € Entgelt gleich morgens Überreste der ca. 500 v. Chr. von Griechen gegründeten antiken Stadt Neapolis entdecken. Beim Namen Neapolis („Neustadt“) verwunderte es uns nun auch nicht, dass am Golfo di Napoli (Golf von Neapel) sogar eine noch ältere Stadt namens Parthenope existierte, die griechische Kolonisten bereits um 700 v. Chr. direkt am Meeresufer gegründet hatten.

Das griechisch-römische Macellum unter San Lorenzo Maggiore

Neapolis überflügelte seinen Nachbarn Parthenope rasch an Größe und entwickelte sich zu einer der mächtigsten und reichsten Städte der Apenninhalbinsel. Das blieb auch einer anderen aufstrebenden Stadt namens Rom nicht verborgen, der es 326 v. Chr. gelang die Neapolitaner per foedus aequum (Bündnisvertrag) in ihren wachsenden Machtbereich zu integrieren. Die Griechen konnten dabei zunächst eine innere Autonomie wahren, so dass ihre Sprache und Kultur in Neapolis dominant blieb. Erst im Zuge des römischen Bürgerkriegs zwischen Optimaten und Popularen verlor die Stadt im frühen 1.Jahrhundert v. Chr. ihre Sonderrechte und wurde teilweise romanisiert.

Antiker Kryptoportikus

Im 1.Jahrhundert n. Chr. fasste außerdem eine zukünftige Weltreligion Fuß in Neapolis. Ähnlich wie in Rom gingen die Early Adopter des Christentums für ihre Kulthandlungen zunächst buchstäblich in den Untergrund. Stichwort: Christenverfolgungen im Römischen Reich. Die letzte große Welle der Christenverfolgung leitete Kaiser Diokletian im Jahr 303 ein und zwei Jahre später sollte der damalige neapolitanische Bischof Gennaro (Januarius) den Märtyrertod sterben. Er wurde der Überlieferung nach am 19.September 305 im nahen Pozzuoli von Diokletians Häschern enthauptet und qualifizierte sich dadurch als San Gennaro für das Patrozinium der hiesigen Kathedrale und die Rolle des neapolitanischen Stadtheiligen.

Kuppel in der Cappella del Tesoro di San Gennaro

Jene Cattedrale di Napoli aus dem 13.Jahrhundert, in der das vermeintliche geronnene Blut Gennaros als Reliquie in einer prächtigen barocken Seitenkapelle namens Cappella del Tesoro di San Gennaro aufbewahrt wird (17.Jahrhundert), stand natürlich auch auf unserer Liste der zu besuchenden Sehenswürdigkeiten. Dreimal im Jahr werden zu fixen Terminen die zwei Ampullen mit dem vorgeblichen Heiligenblut aus dem prächtigen Reliquiar entnommen. Vor den betenden und erwartungsfrohen Gläubigen schüttelt der jeweilige Amtsnachfolger von Gennaro die Ampullen und in ca. 96 % der Fälle verflüssigt sich der bis dahin feste Inhalt mirakulös. Für dieses so genannte Blutwunder ist höchstwahrscheinlich eine thixotrope Substanz verantwortlich (thixotrope Stoffe wechseln bei stärkeren Vibrationen temporär ihren Aggregatzustand von fest zu flüssig). Aber da die Kirche keine wissenschaftliche Untersuchung der Substanz wünscht, lässt sich das vermeintliche Wunder bisher nur in der Theorie entzaubern.

Das Reliquiar des heiligen Gennaro in der Cattedrale di Napoli

Diokletians Nachfolger Konstantin meinte es besser mit dem Christentum und beendete 313 mit dem Edictum Mediolanense (Mailänder Toleranzedikt) die staatliche Christenverfolgung im Römischen Reich. Aber zumindest dem Westteil des Reiches, zu welchem auch Napoli gehörte, stand die nächste Zeitenwende schon kurz bevor. Im späten 5.Jahrhundert zerfiel dieser Reichsteil und am Golfo di Napoli gaben sich Ostgoten, Langobarden und Oströmer (Byzantiner) als Herrscher die Klinke in die Hand. 763 erlangte das Ducato di Napoli (Herzogtum Neapel) jedoch seine Unabhängigkeit vom Byzantinischen Reich. Die Eigenstaatlichkeit hielt ein paar Jahrhunderte, ehe Ruggero II di Sicilia (Roger II.) das Herzogtum 1137 seinem normannischen Regno di Sicilia (Königreich Sizilien) einverleibte.

Castel Sant’Elmo

Die sizilianische Königswürde fiel 1194 von den Normannen zunächst an die Staufer (denen Napoli u. a. die 1224 gegründete Universität verdankt) und 1265 an das französische Adelsgeschlecht der Anjou. Letztere erhoben Napoli zur neuen Hauptstadt des Regno di Sicilia, was für die nächste Blütephase sorgte. So wurde 1279 der Bau des bereits am Vorabend von uns in Augenschein genommenen Castel Nuovo veranlasst, parallel wurde eine neue Stadtmauer hochgezogen und auch unser nächstes touristisches Ziel ging auf die Anjou zurück. Denn wir fuhren mittags mit der Standseilbahn von der Altstadt auf den Hügel Vomero. Dort ließ der neapolitanische König Roberto d’Angiò (Robert von Anjou) zwischen 1329 und 1343 das Castel Sant’Elmo errichten. Jenes im 16.Jahrhundert zur sternförmigen Festungsanlage ausgebaute Castel konnten wir für 5 € pro Person besichtigen und hatten von den Festungsmauern einen fantastischen Ausblick über Napoli und den Golf (siehe auch Titelbild).

Ausblick vom Castel Sant’Elmo auf die Altstadt

Als das Castel Sant’Elmo errichtet wurde, war das alte Regno di Sicilia bereits Geschichte. Weil die sizilianische Inselbevölkerung gegen die Anjou aufbegehrte, kam es 1302 mit dem Pace di Caltabellotta (Friede von Caltabellotta) zu einer Reichsteilung. Das bisherige sizilianische Reichsterritorium auf dem Festland wurde zum eigenen Königreich Regno di Sicilia citeriore (diesseitiges Königreich Sizilien) erhoben und weiterhin von den Anjou beherrscht, während die Insel Sizilien als Regno di Sicilia ulteriore (jenseitiges Königreich Sizilien) an eine Nebenlinie des Hauses Aragón fiel. Diesseitig und jenseitig bezieht sich dabei übrigens auf die Stretto di Messina (Straße von Messina), die Sizilien vom Festland trennt. Zu besseren Unterscheidung wurde und wird das Regno di Sicilia citeriore jedoch meist als Regno di Napoli (Königreich Neapel) bezeichnet.

Kuppel der 1597 geweihten Chiesa di Santa Caterina a Formiello (mit zwischen 1698 und 1712 erschaffenen Fresken)

Dieses Regno di Napoli sollte noch bis 1816 existieren und sich dann kurioserweise nach über 800 Jahren wieder mit dem Regno di Sicilia (ulteriore) zum Regno delle Due Sicilie (Königreich beider Sizilien) vereinigen. Das neue sizilianische Königreich unter Herrschaft der Bourbonen war seinerzeit der größte italienische Teilstaat und umfasste ganz Unteritalien. Zugleich war es in Sachen Wirtschaftskraft oder auch Alphabetisierungsrate deutlich von den Staaten Norditaliens abgehängt und den absolutistischen Königen fehlte es an notwendiger Reformfreude. Dementsprechend fiel das Risorgimento, sprich die Bewegung für die Unabhängigkeit und nationale Einheit Italiens, in Napoli auf fruchtbaren Boden. Am 7.September 1860 zog Nationalheld Giuseppe Garibaldi mit seiner Freiwilligenschar in Napoli ein und wenig später wurde König Francesco II (Franz II.) erfolgreich abgesetzt. 1861 schloss sich das bisherige Regno delle Due Sicilie schließlich feierlich dem neugegründeten und einigen Regno d’Italia (Königreich Italien) an.

Die 1601 geweihte prächtige Chiesa del Gesù Nuovo

Der Nationalstaat hatte nun die große Aufgabe den Reformstau im Süden des Landes aufzulösen und sollte daran scheitern. Während der Norden prosperierte, kam im Süden kaum etwas vom italienischen Wohlstand an. In Napoli und weiten Teilen des Südens etablierten sich stattdessen Schattenwirtschaft, Korruption, Nepotismus und mafiöse Strukturen. Die Armut und Perspektivlosigkeit sorgte bald für eine Abwanderungswelle in den reichen Norden (Filmtipp: Rocco und seine Brüder) oder ins Ausland. Besonders die USA und Argentinien wurden im späten 19. und frühen 20.Jahrhundert zu bevorzugten Zielen junger Neapolitaner und anderer Süditaliener. Ab den 1950er Jahren lockte wiederum das westdeutsche Wirtschaftswunder viele Neapolitaner in die Bundesrepublik.

Mit dem Obelisco di San Gennaro (1636) wurde dem Stadtheiligen dafür gedankt, dass Napoli beim Ausbruch des Vesuvio 1631 verschont blieb

Zwar wurden ab 1950 einige Gesetze zur wirtschaftlichen Entwicklung des Südens verabschiedet, aber die Gelder waren einerseits nicht ausreichend und andererseits versickerte viel davon in den zuvor skizzierten Strukturen. Das gleiche Schicksal ereilte zum Teil auch die in den letzten Jahrzehnten fließenden EU-Fördergelder. So wirkt das Nord-Süd-Gefälle in Italien weiterhin zementiert, wenngleich eine Metropole wie Napoli trotz aller Widrigkeiten aufholen konnte und insbesondere in den Sektoren Tourismus und Dienstleistungen für süditalienische Verhältnisse relativ gut dasteht. Lässt man sich nicht vom schlechten Ruf der Stadt dank Camorra (Serientipp: Gomorrha) und sonstiger Kriminalität abschrecken, erwartet einen in der Tat eine sehr sehenswerte und geschichtsträchtige Stadt. Das hat 1995 auch die UNESCO erkannt und das Centro Storico von Napoli ins Welterbe aufgenommen.

Piazza del Gesù mit der 1705 errichteten Guglia dell’Immacolata (Mariensäule)

Um 14 Uhr orientierten wir uns schließlich zu einer neuzeitlichen Sehenswürdigkeit der Stadt. Denn im 1959 als Stadio del Sole eröffneten heutigen Stadio Diego Armando Maradona sollte der amtierende italienische Fußballmeister SSC Napoli um 15 Uhr den regionalen Rivalen US Salernitana zum Derby empfangen. Mit der Bahn ging es vom Fuße des Vomero binnen weniger Minuten direkt vor das gegenwärtig 54.726 fassende Stadion, von welchem ich bei der Coppa del Mondo Italia ’90 (Fußballweltmeisterschaft 1990) erstmals Notiz nahm. Bei diesem für die Entwicklung meiner Fußballleidenschaft so prägenden Turnier diente das zwischen 1963 und 2020 als Stadio San Paolo firmierende Rund fünfmal als Spielstätte.

Auf in Maradonas langjährige Wirkungsstätte

Da müssen wir sogleich mal näher auf den heutigen Namenspatron des Stadions eingehen. 1984 war der argentinische Ausnahmefußballer für die damalige Rekordablösesumme von 7,5 Mio US$ vom FC Barcelona zur SSC Napoli gewechselt. Bis dahin wurde der italienische Fußball fast ausschließlich von den Clubs aus den reichen Städten Roma (Rom), Milano (Mailand) und Torino (Turin) dominiert, deren Anhänger für die verarmten Neapolitaner nur Spott und Verachtung übrig hatten. Doch nun begann eine neue Ära am Vesuvio, in der Diego Maradona die neapolitanischen Außenseiter 1987 zum ersten Meistertitel der Vereinsgeschichte führen sollte. Zugleich wurde 1987 der dritte Pokalsieg nach 1962 und 1976 errungen. 1989 folgte mit dem Gewinn des UEFA Cup der erste und bisher einzige internationale Titel der Vereinsgeschichte, ehe Maradona 1990 mit der Società Sportiva Calcio den zweiten Meistertitel feiern durfte.

Wir hatten mal nicht die besten, sondern die günstigsten Plätze gewählt

Ganz Napoli lag Maradona zu Füßen und nun hatte der Argentinier bei der WM 1990 das Privileg mit der Albiceleste zwei Gruppenspiele in seinem damaligen Wohnzimmer austragen zu dürfen. Dabei empfing das neapolitanische Publikum die Argentinier insgesamt sehr wohlwollend und feierte Diego gewohnt frenetisch. Doch als die argentinische Auswahl im Halbfinale noch ein drittes Mal in Napoli auflaufen durfte, waren die Vorzeichen etwas anders. Diesmal hieß der Gegner nicht Sowjetunion oder Rumänien, sondern Gastgeber Italien würde mit dem amtierenden Weltmeister um den Einzug ins Endspiel ringen. Maradona wagte sich am Vortag weit vor. Er forderte das neapolitanische Publikum auf nicht Italien, sondern Argentinien anzufeuern. Denn er fände es geschmacklos, von den Neapolitanern zu verlangen, einen Abend lang Italiener zu sein, während sie 364 Tagen im Jahr von jenem Italien als Terroni (Erdfresser), Appestati (Pestkranke) oder Terremotati (Erdbebenopfer) beleidigt werden.

Maradonas Konterfei oder seine Trikotnummer 10 tauchen nach wie vor an Fahnen und Bannern auf

Doch auch wenn die Neapolitaner durch den beißenden Spott ihrer nördlichen Landsleute Narben in der Seele trugen, stand man dennoch hinter der Squadra Azzura. Die neapolitanischen Ultras drückten es mit einem Spruchband zu Beginn des Spiels treffend aus: „Maradona, Napoli ti ama, ma l’Italia è la nostra patria“ (Maradona, Napoli liebt dich, aber Italien ist unser Vaterland). Es folgte ein spannender Krimi auf dem Rasen, der ins Elfmeterschießen gehen sollte. Dort ließ Diego mit dem entscheidenden Schuss die WM-Träume der Italiener zerplatzen. In seiner Biographie äußerte der Pibe de Oro (Goldjunge) später die feste Überzeugung, dass Argentinien in seinen Augen aus Rache dafür im Finale gegen Deutschland verpfiffen wurde. Nach dem verlorenen Endspiel ließ der nächste Tiefpunkt obendrein nicht lange auf sich warten. Maradona pflegte in Napoli einen zweifelhaften Umgang mit der Camorra und war in eine Kokainsucht abgeglitten. Im April 1991 wurde die Droge bei einer Dopingkontrolle in seinem Urin nachgewiesen und eine fünfzehnmonatige Sperre war die Konsequenz. Maradona sollte nie wieder für Napoli auflaufen.

Spruchband in der Curva B zu Spielbeginn

Erst 32 Jahre nach dem Ende der Ära Maradona fand die langersehnte dritte Meistertrophäe ihren Weg nach Napoli. 2023 war die Stadt abermals einen Sommer lang im Rausch. Doch in der aktuellen Saison sollte schnell die Ernüchterung folgen. In den heutigen 20.Spieltag ging man mit 28 Punkten lediglich als Neuntplatzierter. Die Darbietungen in den letzten Wochen waren so schlecht, dass man selbst gegen den gegenwärtig Tabellenletzten nicht zwingend von einem Heimsieg ausgehen konnte. Es kamen trotz Derbycharakter auch nur noch rund 35.000 Zuschauer ins Stadion und die Curva B zeigte ein Spruchband mit der Aufschrift: „Chi non se la sentisse saluti con dignità. Vogliamo solo chi ha orgoglio, ambizione e rispetti per la città.“ (Diejenigen, die sich dem nicht gewachsen fühlen, sollen sich mit Würde verabschieden. Wir wollen nur diejenigen, die Stolz, Ehrgeiz und Respekt für die Stadt haben.)

Die Curva A

Doch leider servierte die 1926 gegründete SSC Napoli dem Publikum in der ersten Halbzeit die nächste grauenhafte Vorstellung. Da witterte die sieben Jahre ältere Unione Sportiva aus dem 50 km entfernten Salerno natürlich ihre Chance und sollte auch tatsächlich durch ein Traumtor von Antonio Candreva in der 29.Minute in Führung gehen. Der Routinier der Salernitana überwand Napolis Schlussmann Gollini mit einem herrlichen Schlenzer aus 25 Metern Distanz und hätte das Tor garantiert gerne mit den Gästefans gefeiert. Doch der für die Anhänger der Granata (Granatroten) vorgesehene Sektor war verwaist. Die einerseits frechen Preise von 50 € pro Gästeticket, sowie andererseits absurde Auflagen – Tickets nur für registrierte Gästefans mit Fidelity Card, die außerhalb (!) der Provinz Salerno ihren Wohnsitz haben – bewegten die Fanszene zum Boykott des Derbys.

In der Curva B stehen u. a. die Fangruppen Ultras 72 (1972 gegründet, respektive 2002 wiedergegründet) und Fedayn EAM (1979)

Weil es im Gästeblock nichts zu sehen geben würde, hatten wir letztlich auch auf teure Karten auf der Gegengerade verzichtet (60 €), wo man beste Sicht auf die beiden Heimkurven und den Gästesektor gehabt hätte. Stattdessen saßen wir im Unterrang der Curva A am Rand (20 €) und hatten so nur die Curva B gut im Blick. Aber da von der Heimseite heute ebenfalls keine optischen Höhepunkte zu erwarten waren, schienen Tickets auf der Gegengerade oder gar der Haupttribüne (100 €) ihr Geld einfach nicht wert zu sein.

In der Curva A sind u. a. Mastiffs (1991) und Vecchi Lions VML (1992) zuhause

Immerhin erlebten wir kurz vor dem Pausenpfiff noch einen Torjubel der Neapolitaner. In der Nachspielzeit wurde Giovanni Simeone, seines Zeichens der Sohn eines anderen berühmten Diegos aus Argentinien, im Strafraum der Salernitana gefoult. Das Schiedsrichtergespann hatte zwar nichts gesehen, aber der VAR schaltete sich ein und es wurde nach dem Videostudium doch auf den Punkt gezeigt. Matteo Politano trat für die Azzurri (Azurblauen) an und Tormann Guillermo Ochoa wusste alles, nur halten konnte er ihn nicht. Somit ging es wenigstens mit einem halbwegs versöhnten Publikum in die Pause.

Torjubel nach dem 1:1

Nach dem Seitenwechsel kickte Napoli etwas gefälliger und insbesondere der georgische Superstar Khvicha Kvaratskhelia hatte mehrfach die Führung auf dem Fuß. Ochoa und die Abwehrreihe vor ihm stemmten sich allerdings aufopferungsvoll gegen die drohende Niederlage, so dass die Ippocampi (Seepferdchen) durchaus einen Auswärtspunkt verdient gehabt hätten. Aber letztlich war den Hausherren noch das Happy End vergönnt. In der 6.Minute der Nachspielzeit gewann ein 20 Minuten zuvor eingewechselter Deutsch-Italiener, dessen Vater glühender Fan der SSC ist und seinen 1991 in Herford geborenen Sohn deshalb Diego taufen ließ, ein entscheidendes Kopfballduell im Strafraum der Gäste. Von Diego Demmes Stirn prallte der Ball vor die Füße von Amir Rrahmani und der Kosovo-Albaner konnte aus sechs Metern unbedrängt ins Tor schießen.

Der Sonnenuntergang und der Abpfiff nahen

Die ekstatische Freude über den späten Siegtreffer war auch für Glatto und mich ein schöner Abschluss des heutigen Stadionbesuchs. Guckt man nun auf die Tabelle, sieht es plötzlich gar nicht mehr so schlimm für die Neapolitaner aus. Weil die Konkurrenz Federn ließ, ist zumindest der derzeit von der Fiorentina belegte 4.Platz wieder in Reichweite. Drei Punkte trennen Napoli jetzt von diesem erneut in die UEFA Champions League führenden Tabellenplatz. In jener Königsklasse des europäischen Fußballs lief es diese Saison für den italienischen Meister übrigens besser, als bisher in der Serie A. Man zog ungefährdet als Gruppenzweiter hinter Real Madrid ins Achtelfinale ein, hatte in der Gruppenphase mit den beiden Fußballzwergen 1.FC Union Berlin und Sporting Clube de Braga allerdings auch riesiges Losglück.

Vor der Curva B feiert die Mannschaft den späten Siegtreffer

Doch bevor im Februar in der Champions League mit dem FC Barcelona ein weiterer Ex-Club von Maradona auf die SSC wartet und zugleich in der Serie A weiter Boden gut gemacht werden soll, darf man erstmal nach Saudi-Arabien reisen. Dort wird Napoli mit der Fiorentina, Inter und Lazio um die Supercoppa wetteifern. Dass dieser Wettbewerb außerhalb von Italien ausgetragen wird, geht mittlerweile fast schon als Tradition durch. Dass nicht mehr nur Meister und Pokalsieger, sondern auch Vizemeister und Vizepokalsieger der Vorsaison an diesem Wettbewerb teilnehmen, ist allerdings neu. Daher verabschieden wir uns jetzt mit einem lauten „No al calcio moderno!“ aus dem Stadio Diego Armando Maradona.

Symbiose zweier Stadtheiliger: Diego als San Gennaro

Ziel war nun das Quartieri Spagnoli (Spanisches Viertel), welches wir am Vorabend von der Via Toledo aus schon ein wenig unter die Lupe genommen hatten. Jenes Viertel entstand, als das Regno di Napoli ab 1503 (und bis 1707) dem spanisch-habsburgischen Weltreich angegliedert war. In der Amtszeit des spanischen Vizekönigs Pedro Álvarez de Toledo (1532 bis 1553 in Napoli residierend) ließ dieser zwischen dem Centro Storico und dem Castel Sant’Elmo einen neuen Stadtbezirk entstehen. Die engen Gassen des rasterförmig angelegten Quartieri Spagnoli gelten einerseits als immer noch von der Camorra beherrschtes Problemviertel, andererseits locken Bars und Pizzerias mittlerweile auch nach Einbruch der Dunkelheit Touristen ins Quartier.

Das 1990 geschaffene und in jüngerer Vergangenheit etwas aufgefrischte berühmteste Mural in Napoli

Der Ort, den nahezu jeder Tourist im Quartieri Spagnoli besucht, trägt dabei erneut den Namen von Diego Armando Maradona. Auf einem mittlerweile offiziell als Largo Maradona bezeichneten Plätzchen erinnert ein 1990 vom lokalen Künstler Mario Filardi geschaffenes riesiges Wandgemälde an die argentinische Heldenfigur der Stadt. Nach Maradonas Tod im November 2020 hat sich der Platz endgültig zu einem Pilgerort für Fußballfans aus aller Welt entwickelt. Unterhalb des Wandbildes werden an einem Altar seitdem Blumen, Schals und andere Devotionalien niedergelegt. Zugleich haben insbesondere Argentinier die Wimpel ihrer Heimatvereine an den Wänden hinterlassen und weitere Murals mit Maradonas Abbild sind ebenfalls rund um den Platz entstanden.

Weitere Bilder von Diego am Largo Maradona

Im Anschluss an unsere kleine Wallfahrt zur „Hand Gottes“ musste auch noch ein Abendessen her und dafür gab es etliche Optionen rund um den Largo Maradona. Den Zuschlag bekam schließlich Ciccio Fri, weil die ganzen an die Fassade geklatschten Auszeichnungen von TripAdvisor doch irgendwie ihre Wirkung erzielten. Bei Google auch 4,8 Sterne… Muss ja gut bis genial sein!

Diego mit seiner Tochter Dalma

Nein, muss es nicht. Jedenfalls waren wir nur mäßig zufrieden. Fangen wir mit den Primi an. Glattos Gnocchi alla Sorrentina (8 €) waren ganz okay, aber meine Penne al Ragù (9 €) waren beinahe traumatisierend. Die Pasta erinnerte mich qualitativ ans Studentenleben, als man noch Nudeln für 0,49 € pro 500 gr. beim Discounter gekauft hat, weil Qualitätspasta nicht im Budget war. Dazu war die viel zu großzügig über die Nudeln gegossene Sauce kein Ragù, Das war einfach nur Tomatensauce. Ich hatte sozusagen Penne alla Napoletana, obwohl die gar nicht auf der Speisekarte standen.

Die Primi

Bei den Secondi hatte Glatto nun eine Pizza Napoli mit Tomaten, Oregano, Sardellen, schwarzen Oliven und Knoblauch ausgewählt (6,50 €), die wir beide wieder ganz solide fanden. Weil für mich Pizza wiederum kein klassischer zweiter Gang ist, entschied ich mich für Saltimbocca mit Guanciale und Provolone (8 €). Aber serviert nicht das zu erwartende Kalbfleisch mit Speck und Käse, sondern ein knuspriger Teigfladen mit eben Guanciale und Provolone belegt. Hier war meine Enttäuschung allerdings der eigenen Unwissenheit über die neapolitanische Küche geschuldet. Denn Saltimbocca napoletano sind tatsächlich belegte Baguettes aus dem Steinofen, anstatt gebratene Schnitzelchen.

Die Secondi

Wenigstens waren die großen Peroni (3 €) in der Karte auch tatsächlich 66 cl dieser italienischen Bierspezialität und nicht irgendwas anderes. Auf weitere Getränke verzichteten wir im Ciccio Fri allerdings trotzdem und spazierten lieber auf eine Runde Aperol Spritz (6 € pro Glas) in die nahe gelegene Bar Lello Spritz. Da war richtig was los, wenngleich die elektronische Musik so laut aufgedreht war, dass ich auf keinen Fall Anwohner sein möchte. Sich unterhalten war entsprechend kaum möglich, aber schweigen und genießen darf ruhig auch mal sein.

It’s Spritz o’clock

Nichtsdestotrotz obsiegte bald die Müdigkeit und es ging wie am Vortag gegen 21 Uhr zurück zum Hotel. Aber es war nun einmal erneut ein langer Tag geworden und über 24.000 Schritte steckten uns in den Knochen. Dafür hatte ich schon ein guten Plan für den nächsten Tag ausgeheckt. Denn wenn mir hier immer schon drei Stunden vor Mitternacht schlapp machen, müssen wir uns eben mal tagsüber so richtig den Maschinenraum fluten. Ob mein genialer Plan aufgegangen ist, lest ihr dann im nächsten Bericht.

Song of the Tour: Extra für El Glatto, der mir diesen Ohrwurm nahelegte