London 12/2023 (IV)

  • 30.12.2023
  • Crystal Palace FC – Brentford FC 1:0
  • Premier League (I)
  • Selhurst Park (Att: 25.472)

Da es am Vorabend zeitig und nüchtern ins Bett gegangen war, ließ ich mich Samstagmorgen wieder etwas früher am Frühstücksbuffet blicken. Heute wurden die ersten 1.312 Kcal des Tages bereits ab 8:30 Uhr dem Körper zugeführt und anschließend war Shopping angesagt. In Suttons High Street findet man die Niederlassungen von diversen Sport- und Modehäusern und tatsächlich war es an der Zeit mal wieder ein oder zwei neue Jeans zu erwerben. Nicht notwendig waren dagegen neue Sneaker, aber ein bestimmtes Paar lächelte mich dann doch zu lange an.

Start your day right

Nachmittags war dann zum vierten Mal auf diesem Trip Fußball angesagt. Mein zugleich letztes Spiel des Jahres 2023 hieß Crystal Palace FC vs. Brentford FC und sollte um 15 Uhr im Selhurst Park angepfiffen werden. Von Sutton existiert eine direkte Zugverbindung zum Stadion, die ich kurz nach 13 Uhr nutzte. Heute sollten insgesamt neun Hannoveraner bei diesem Kick anwesend sein (lediglich eine Minderheit hatte sich alternativ für Barnet vs. Southend entschieden). Aber sich zuvor in einem Pub in Stadionnähe zu sammeln, war ob des dortigen Andranges hoffnungslos. Stattdessen wurden ein paar Pre-Match Pints in der Fanzone am Selhurst Park verkostet.

Sutton High Street

Im Stadion saßen wir wiederum alle auseinander. Die Nachfrage für dieses Stadtderby war groß und wir mussten auf dem offiziellen Zweitmarkt nehmen, was wir kriegen konnten. Dazu war übrigens auch wieder eine Membership à £ 25 vonnöten. Allerdings konnten pro Membership vier Tickets gekauft werden, so dass sich die Mehrkosten auf bis zu £ 6.25 pro Kopf reduzieren konnten. Blöd nur, dass sich meine Reise nach London erst relativ kurzfristig ergab und ich in diesem Fall das neunte Rad am Wagen war. Da sich aus der Barnet-Crew niemand spontan umstimmen ließ, hatte ich neben dem Ticketpreis von £ 45 auch eine Membership alleine zu tragen, so dass sich die Kosten dieses Stadionbesuchs für mich auf £ 70 (ca. 80 €) summierten.

Palace Ale zur Einstimmung auf den Kick

Dafür hatte ich wie schon am Vortag enormes Glück mit meinem Sitzplatz. Zwar konnte ich im Oberrang des Holmesdale End die im Unterrang beheimatete Ultragruppe Holmesdale Fanatics ’05 ausschließlich akustisch, jedoch nicht optisch wahrnehmen. Aber ich saß inmitten einer mit Dauerkarten ausgestatteten und sehr gastfreundlichen Familie. Ein Familienmitglied musste heute beruflich passen und dessen Platz neben dem Familienoberhaupt Peter war nun per Zweitmarkt der meinige geworden. Peter war sogleich interessiert, was ich für ein komischer Typ bin und im Gegensatz zum mutmaßlich tauben, aber lautstarken Millwall-Senior am Vorabend verstand er mich auch bestens.

Das Holmesdale End von außen

Entsprechend gesprächig gestalteten sich die kommenden 90 Minuten. Mein Nachbar erzählte freimütig alles mögliche über Palace und die Premier League, während er an mich etliche Fragen zu Deutschland und dem dortigen Fußball hatte. Dabei bot er mir an in Zukunft für jedes beliebige Heim- oder Auswärtsspiel von Crystal Palace Tickets zu besorgen. Denn aufgrund seiner jahrzehntelangen Allesfahrerei habe mit seinen gesammelten Loyalty Points exklusiven Erstzugriff auf die Ticketkontingente. Gut möglich, dass ich dieses Angebot irgendwann nochmal auf seine Belastbarkeit prüfen werde.

Schweigeminute für alle 2023 verstorbenen Vereinsmitglieder

Die bisherige Saison von Palace skizzierte Peter leider als äußerst grauenhaft. Obwohl der Kader in seinen Augen mit vielen herausragenden Spielern gesegnet sei, habe seine Lieblingsmannschaft bisher kaum einen Sieg verbuchen können. Gegenwärtig logiert sein CPFC deshalb auch lediglich auf Rang 16. Da am Ende bestimmt trotzdem drei Teams noch schlechter stehen würden, machte Peter sich dennoch keine akuten Abstiegssorgen. Ich schilderte daraufhin meine Eindrücke von der jüngsten unglücklichen Niederlage bei Chelsea und er fragte mich ob ich eine Zusammenfassung oder das ganze Spiel live im TV gesehen habe. „No, I was at Stamford Bridge…“ Ab jetzt waren wir endgültig beste Freunde.

Der Gästesektor freut sich über die frühe Führung

Heute schien ich Palace außerdem mehr Glück zu bringen. Zwar war der Tabellennachbar aus Londons Westen (15.Platz) bereits in der 2.Minute durch einen Treffer von Keane Lewis-Potter in Führung gegangen, aber die passende Antwort gaben die Hausherren nur wenige Minuten später. Michael Olise, der drei Tage zuvor an der Stamford Bridge ebenfalls für seine Farben erfolgreich war, konnte eine Flanke von Ayew volley zum Ausgleich verwerten (14.).

Der Arthur Wait Stand feiert den Ausgleich durch Olise

Fortan hatte der 1905 gegründete und seit 1924 im Selhurst Park beheimatete Crystal Palace FC die Partie gut im Griff und konnte noch vor der Pause in Führung gehen. Spielmacher Eberechi Eze vergoldete seinen bisher couragierten Auftritt mit dem 2:1 in der 39.Minute. Nebenbei schaute ich mir mal die kolportierten Marktwerte der beiden CPFC-Torschützen an. Jener von Eze wird auf einer bekannten Plattform mit 48 Mio € taxiert und jener von Olise gar mit 50 Mio €. Im Tor der Eagles stand heute unterdessen Dean Henderson (12 Mio) und davor verteidigten u. a. Marc Guéhi (38 Mio), Joachim Andersen (35 Mio) und Tyrick Mitchell (22 Mio). Kein Wunder, dass Peter von diesem Kader eigentlich mehr als Abstiegskampf erwartete.

Der seit 1924 im Wesentlichen unveränderte Main Stand

Aber heute sollte den Fans offenbar ein versöhnlicher Jahresausklang beschert werden. Auch nach Wiederanpfiff spielte Palace gefällig und in der 58.Minute sorgte Olise mit seinem zweiten Treffer für etwas weniger Anspannung im Anhang des seit 2013 konstant in Premier League mitmischenden Gastgebers (insgesamt übrigens 24 Spielzeiten erstklassig seit der Vereinsgründung). Anschliessend warf Brentford zwar nochmal den Offensivmotor an, wirklich gefährlich sollten ihre Angriffe für Henderson jedoch nicht mehr werden.

Olise again…

So ab der 80.Minute begann Peter schließlich an den ersten Sieg seit Wochen zu glauben und im mittlerweile peitschenden Regen sollte auch tatsächlich nichts mehr anbrennen. Nach zuletzt acht sieglosen Spielen waren die Eagles endlich wieder Glad All Over. Peter & Co luden mich nun in die Stadionwirtschaft Red & Blue Bar ein, welche sich im Obergeschoss des Holmesdale End befindet. Es wurde mit Palace Ale nochmal auf den Sieg angestoßen und ich zeigte auf Wunsch ein paar Bilder von Hannover und vom Niedersachsenstadion. Vielleicht muss ich mich für die Biere im Selhurst Park tatsächlich irgendwann mit Herrenhäuser Premium Pils revanchieren.

Dem 2022 leider verstorbenen CPFC-Edelfan Maxi Jazz ist dieses Mural im Stadion gewidmet

Ab 18:30 Uhr lichteten sich so langsam die Reihen in der Red & Blue Bar und nachdem ich noch ein Erinnerungsfoto des leeren Stadions geknipst hatte, strich ich ebenfalls die Segel. In unserem London-Chat waren wir Hannoveraner so verblieben, dass wir uns abends alle in der Stadt treffen und irgendwo zusammen ein paar Pints genießen. Mittlerweile wollten die ersten sechs Lads das Shakespeare’s Head in Holborn ansteuern und der Rest aus Richtung Selhurst oder Barnet sollte bitte dazustoßen.

Der Letzte macht das Licht aus

Gegen 20 Uhr traf ich ebenfalls im Shakespeare’s Head ein und es folgten großartige Stunden in großer Runde. Wie das in solchen Konstellationen ist, gab es natürlich ein schier unerschöpfliches Reservoir an Anekdoten aus den jeweiligen und teilweise gemeinsamen Fußballbiographien. Nachdem die Zahl der Pints pro Kopf im Laufe des Abends in den höheren einstelligen Bereich vorstieß, ergab es sich außerdem, dass wir teilweise begannen untereinander mit Schlagertexten zu kommunizieren. Fragen wie „Ziehst du eigentlich gern durch die Straßen bis nach Mitternacht?“ oder „Läufst du im Kreis von früh bis spät?“ bekamen vom Gefragten stets voraussehbare, aber durchaus melodisch vorgetragene Antworten.

Die Zecher der Tafelrunde

Leider erzwangen die Öffnungszeiten des Pubs und die Fahrpläne der Tube gegen Mitternacht die Auflösung der heiteren Runde. Mit einem ungewollten Ohrwurm von Matthias Reim zog ich nun durch die verregneten Straßen zur Station Tottenham Court Road und nahm dort kurz nach Mitternacht die letzte Bahn nach Morden (wo mir leider kein Typ wie’n Bär gegenüber saß). Dort hatte ich sogleich Anschluss nach Sutton und erreichte meine Hood um 1:20 Uhr.

Down in the Tube Station at Midnight

An Suttons Bahnhof lachte mich nun tatsächlich noch der Kebabgrill an. Die letzten zwei Tage hatte ich die anderen Hannoveraner zwar eindringlich vor britischen Dönerbuden gewarnt, aber hier zogen verführerische Düfte auf den Gehsteig und die Spieße sahen ebenfalls gut aus. Die Butze war obendrein gerammelt voll mit hungrigen Nachtschwärmern und hatte 4,7 Sterne bei Google. Also durfte mir Ollie’s Kebab tatsächlich noch seinen Fleischmix servieren. Für £ 10 (11,15 €) kamen Lamb Kebab und Chicken Kebab mit Chili- und Knoblauchsauce, sowie einer Portion Fritten in die Schachtel. Und tatsächlich wurde es meine erste positive Dönererfahrung in Großbritannien.

War leckerer, als es aussieht

Am Silvestermorgen schlief ich zunächst einmal aus, ehe es um 10 Uhr ein letztes Mal zum Frühstücksbuffet ging. Nach einer Stunde des Schlemmens musste ich so langsam packen und in meinen Flug einchecken. Ich hatte mit Meilen bei Eurowings eine Verbindung um 14:45 Uhr nach Hamburg gebucht (Restsumme für Steuern, Gebühren und CO2-Kompensation diesmal 42,97 €) und durfte wie bereits beim Hinflug mit viel Bein- und Armfreiheit in Reihe 3 sitzen. Anschließend machte ich mich exakt drei Stunden vor dem Abflug auf den Weg zum Flughafen. Wieder mit dem Superloop* von Sutton nach Heathrow für unschlagbare £ 1.75 (2 €).

Mein letztes Morgenmahl im Jahre 2023

Der Bus lieferte mich um kurz nach 13 Uhr am Flughafen ab und das Passagieraufkommen war lächerlich gering, so dass ich bereits 13:12 Uhr im Abflugbereich von Terminal 2 vorstellig wurde. Ein gewisser kapitalistischer Anstand verlangte nun von mir, dass ich noch etwas Geld im Duty Free Shop lasse. Aber da gab es tatsächlich noch (vermeintlich) passende Geschenke für die nächsten Geburtstage im Familien- und Freundeskreis. Mit meinem Handgepäck und zwei Tüten mit den Einkäufen von gestern und heute, tauchte ich entsprechend schwer bepackt beim Boarding auf. Aber dank Priority waren die Gebinde schon ungefähr 96 Sekunden später im Gepäckfach über meinem Sitz.

Flug EW666 von London-Heathrow direkt in die Wortspielhölle

In Hamburg wurde pünktlich um 17:25 Uhr gelandet, so dass mein gebuchter ICE nach Hause (19:26 Uhr ab Hamburg Hauptbahnhof für faire 11,15 €) auch völlig stressfrei zu erreichen war. Ich war gar rechtzeitig für den ICE um 18:26 Uhr am Hauptbahnhof und der Zugchef zögerte nicht sein Jahr mit einer guten Tat enden zu lassen. Meine Zugbindung wurde spontan aufgehoben und entsprechend war ich bereits kurz nach 20 Uhr zurück in Hildesheim. Dort ging es gar nicht soviel später ins Bett. Denn würdiger und besser, als mit der zurückliegenden Reise, hätte das Jahr 2023 für mich kaum ausklingen können. Da musste ich nicht noch auf Teufel komm‘ raus irgendwo ins neue Jahr reinfeiern. Ich hatte auch so mächtig Bock auf 2024 und von der ersten Reise des neuen Jahres trennten mich zum Glück nur wenige Tage.

Song of the Tour: Seit fast 60 Jahren der Stadionhit bei Palace

*Superloop sind neue Expressbuslinien, die seit Sommer 2023 ringförmig die äußeren Bezirke Londons verbinden. Kosten wie jeder andere ÖPNV-Bus in London £ 1.75 (ca. 2 €).