Kiel 12/2023

  • 16.12.2023
  • KSV Holstein – Hannover 96 3:0
  • 2.Bundesliga (II)
  • Holstein-Stadion (Att: 13.902)

Da brat mir doch einer ’nen Storch! Wie im Vorjahr klang die Hinrunde des Hannoverschen Sportvereins bei der Kieler Sportvereinigung Holstein aus und wieder war es ein Flutlichtspiel. Anders war 2023 jedoch meine Anreise. Im Herbst 2022 erzwang die Terminierung auf Freitagabend berufsbedingt eine Bahnfahrt mit dem ICE. Die diesjährige Ansetzung als Samstagabendspiel eröffnete diverse Optionen und diesmal fuhr ich gern mit acht Kumpanen aus Hildesheim und Gandersheim im Neunerbus. Das Gefährt wurde uns freundlicherweise kostenlos von einem achtarmigen Freund zur Verfügung gestellt, der zugleich eine gekühlte Palette serbisches Jelen Pivo in den Kofferraum seines Kleinbusses gestellt hatte. Obendrein sorgten die Mitfahrer Musche und InterCityBerger für Ožujsko und Einbecker Brauherren in großzügigen Mengen. Diese Getränke wurden mit großer Vorfreude um 15 Uhr am gemeinsamen Treffpunkt in das vom Fahrer Olbert bereits festlich geschmückte Gefährt umgeladen.

Weihnachtstour nach Kiel

Wir kamen nicht nur stimmungsvoll, sondern auch verkehrstechnisch hervorragend durch und erreichten bereits kurz nach 18 Uhr den Gästeparkplatz an der Kieler Universität. Den so genannten Mob, der sich für einen Fußmarsch anstatt Shuttlebusse entschieden hatte, hatten wir knapp verpasst. Aber wir nahmen die Verfolgung auf und am Ende eines dunklen Parks hatten wir aufgeschlossen. Gemütlich ging es mit ein paar hundert weiteren Hannoveranern die letzten 1.312 m zum Stadion. Lediglich die begleitende Polizei wirkte etwas hektisch. Erklärungsansatz war die bereits zirkulierende Nachricht, dass kurz zuvor am Kieler Exerzierplatz ca. 60 Hannoveraner eine körperliche Auseinandersetzung mit ebenfalls rund 60 Kielern und Braunschweigern für sich entschieden hatten. Weil die Polizei zu spät kam und angeblich nur noch ein paar verletzte Holsteiner und Ostniedersachsen aufsammeln konnte, wollte man nun wohl unbedingt höchste Alarm- und Einsatzbereitschaft suggerieren.

Für die einen ist es Poutine, für die anderen sind es einfach nur die teuersten Fritten der Welt

Nichtsdestotrotz wurde das bereits im Jahre 1911 eröffnete Holstein-Stadion gegen 18:45 Uhr ohne besondere Vorkommnisse erreicht. Nachdem noch ein Weilchen mit alten Weggefährten aus meiner Fangeneration vor’m Gästeeingang geklönt wurde, verabschiedete ich mich um 19:38 Uhr zur Osttribüne. Ich gönnte mir fix ein Abendessen in Form von Poutine (7,50 €) und dann ging es eine gute halbe Stunde vor Anpfiff in den Ostoberrang. Wie schon im Vorjahr hatte mir ein Bekannter mit KSV-Mitgliedschaft einen schönen Sitzplatz mittig hinter dem Tor gebucht (31 €). Daneben saß bereits mein mit einer anderen Kleingruppe angereister Kumpel Jojo, der wie meine Wenigkeit beim regulären Gästekontingent leer ausgegangen war und dankenswerterweise ebenfalls aus Kiel versorgt wurde.

Protestbanner bei den Kielern

Ab 20:30 Uhr erwartete uns zunächst auf beiden Seiten eine Halbzeit Stimmungsboykott. Denn die Vertreter der 36 Clubs der Deutschen Fußball Liga (DFL) hatten am Wochenanfang in einer geheimen Abstimmung denkbar knapp für eine strategische Partnerschaft mit einem Investor aus der Private-Equity-Branche votiert. Man möchte nun einmalig 1 Mrd € erlösen, indem man dem Investor als Gegenwert 20 Jahre lang 8 % der Vermarktungseinnahmen zusichert. Bleibt es bei den gegenwärtig insgesamt 1,26 Mrd € pro Saison, die Dritte wie u. a. Sky für die Rechtewertung an die DFL überweisen, bekommt der Investor also immerhin rund 100 Mio € davon ab. Ergo würde er binnen 20 Jahren ca. 2 Mrd € von der DFL zurückerhalten, die den Clubs wiederum auf der Einnahmenseite fehlen. Entsprechend haben der Investor und die 36 Proficlubs gleichermaßen großes Interesse daran, dass in naher Zukunft noch höhere Summen mit den Bundesligarechten generiert werden. Der Investor, um eine höhere Rendite als „nur“ 100 Mio € p. a. zu erzielen. Die Clubs, um die fehlenden 8 % p. a. wieder auszugleichen.

Protestbanner im Gästesektor

Das wird nur funktionieren, wenn das „Produkt“ Bundesliga in Zukunft noch attraktiver für die Rechteverwerter wird. Vieles, was dafür infrage kommt (z. B. eine weitere Zerstückelung der Spieltage oder die Austragung von Pflichtspielen im Ausland), ist wiederum für die regelmäßigen Stadionbesucher mehr als unattraktiv. Zwar soll der Investor kein direktes Mitspracherecht bekommen und in Sachen Spieltagsgestaltung soll vorerst nicht geändert werden. Aber die kritischen und aktiven Fans sind sicher nicht so naiv zu glauben, dass irgendwas in Stein gemeißelt ist, falls die Erlöse in Zukunft hinter den Erwartungen zurückbleiben. Deshalb wurde bereits im Vorfeld in den Fankurven gegen die Pläne protestiert und nun sollte die Ablehnung mit einem bundesweiten Protestspieltag nochmal manifestiert werden. Fast alle Kurven der 36 Erst- und Zweitligisten hatten sich vorgenommen mindestens die ersten zwölf Minuten der 18 Partien an diesem Wochenende zu schweigen. Zugleich sollte der Protest auch gewohnt über Spruchbänder, Handzettel und kreative Aktionen in die Stadien und darüber hinaus getragen werden.

Martin Kind muss natürlich immer noch weg

Die organisierten Fangruppen von Hannover 96 und Holstein Kiel hatten sich gar entschieden die komplette 1.Halbzeit zu schweigen. Im Falle Hannovers muss man dabei natürlich nochmal den Sonderfall Martin Kind aufgreifen. Denn wie bereits erwähnt, ging die Abstimmung denkbar knapp aus. Nur eine Enthaltung oder Ablehnung mehr und der geplante Milliardendeal wäre vom Tisch gewesen. Der bei der DFL für Hannover 96 stimmberechtigte Geschäftsführer Martin Kind gilt als offener Befürworter des Deals, wurde aber vom ihm gegenüber gemäß 50+1-Regel weisungsbefugten Stammverein angewiesen mit Nein zu stimmen. Trotz geheimer Abstimmung haben fast alle Clubs ihr Stimmverhalten offengelegt. Hat niemand bewusst gelogen, sieht es nun stark danach aus, als hätte Kind gegen die 50+1-Regel verstoßen und mit Ja gestimmt. Weil anders käme man mathematisch nicht mehr auf ausreichend Ja-Stimmen. Kind schweigt zu seinem Stimmverhalten eisern und verweist vehement darauf, dass es sich um geheime Abstimmung gehandelt hat. Bewusst geheim, damit Kind dem Ja-Lager mit einem nicht nachweisbaren Verstoß gegen die 50+1-Regel die nötige Mehrheit verschaffen kann? Der Verdacht liegt leider nahe.

Hannovers Anhang präsentiert zu Beginn der 2.Halbzeit die Retroschals

Bei den aktiven 96-Fans herrscht die übliche Mischung aus Wut und Enttäuschung und wenig überraschend prangte die Botschaft „Kind muss weg“ zwischenzeitlich am Zaun des Gästesektors. Dazu zeigten beide Fanszenen diverse Protestbanner und beiderseits wurden Parolen gegen die DFL skandiert. Außerdem hatten die 96-Fans sich überlegt in der 13.Spielminute mit diversen auf’s Feld geworfenen Schokokugeln für Aufmerksamkeit zu sorgen (dazu präsentierte man die Botschaft: „DFL-Investorendeal? Ihr verkauft den Leuten Scheisse als Schokolade!“). Wahrscheinlich werden solche Proteste den Deal nicht mehr stoppen können. Aber mindestens signalisieren sie die Wachsamkeit und Widerstandsbereitschaft der Fankurven, damit die DFL wenigstens die eigens formulierten Roten Linien in Sachen Anstoßzeiten etc. einhält.

Pyro folgte auf den Fuß

Wachsamkeit, Widerstandsbereitschaft und ähnliche Attribute hat man sich am heutigen Abend als 96-Fan natürlich auch von der Gastmannschaft gewünscht. Denn während die KSV Holstein nach vier Siegen in Serie mit breiter Brust in die Partie gehen durfte, war die Leitl-Elf im gleichen Zeitraum sieglos geblieben. Den Hausherren winkte bei einem Heimsieg (und morgigem Punktverlust des FC St. Pauli) sogar die Herbstmeisterschaft. Der Hannoversche SV von 1896 würde dagegen bei einer Niederlage im Holstein-Stadion definitiv den Anschluss an die Aufstiegsränge verlieren und jenseits von Gut und Böse im Tabellenmittelfeld überwintern.

Auch die Kieler Szene zündete bei Wiederanpfiff…

Leider sollten beide Mannschaften ihre Serien ausbauen. Nach einem kurzen Abtasten begannen die Störche das Spiel an sich zu reißen und in der 19.Minute hatte der Gast aus Niedersachsen Glück, dass einem Foulspiel im eigenen Strafraum eine Abseitsstellung der Kieler Angreifer vorausgegangen gegangen. So schaltete sich der VAR ein und nach intensivem Studium der Kamerabilder nahm Schiedsrichter Forian Exner den Strafstoß wieder zurück. Ein Doppelschlag von Becker (26.) und Arp (27.) brachte den einmaligen Deutschen Fußballmeister (1912) aber dennoch zeitig auf die Siegerstraße. Die passende Antwort des zweimaligen Meisters Hannover 96 (1938 & 1954) sollte anschließend ausbleiben und Fiete Arps zweiter Treffer in der 45.Minute ließ eigentlich keine Zweifel mehr am heutigen Sieger offen.

…und darüber hinaus eigentlich die komplette 2.Halbzeit

Nach diesem ernüchternden ersten Durchgang machte immerhin das Treiben in den Fansektoren Hoffnung auf schöne Momente. Denn vereinzelte Anhänger suchten in der Halbzeitpause unter ihren Fahnen wohl nicht zwingend Schutz vor den kalten Winden an der Förde, sondern waren was am Planen dran. Ergebnis: Die hannoversche Szene bot bei Wiederanpfiff ein schönes Bild mit ca. 1.000 in die Höhe gereckten Retroschals. Zugleich war das Schaldesign auf eine teilweise transparente Folie gepinselt worden und wenig überraschend wurde dahinter fleißig gezündet.

Die Gästefans ließen ebenfalls immer mal wieder etwas am Zaun aufleuchten

Auch die heimischen Ultras ließen sich nicht lumpen und veranstalteten parallel eine blinkende Pyroshow in ihren Fanblöcken auf der Westtribüne. Für den Rest des Spiels blieben beide Szenen zündfreudig und entsprechend oft spielte die Stadionregie ihre nervige Ansage vom Band: „Liebe Fans, bitte unterlasst das Abbrennen von Feuerwerkskörpern. Ihr gefährdet eure Gesundheit und die Gesundheit von anderen. Außerdem droht eurem Verein eine Strafe vom DFB. Wenn es bereits Verletzte geben sollte, dann wendet euch an den Ordnungsdienst oder an den Sanitätsdienst.“ Oder so ähnlich… In jedem Fall genauso nervig wie im Vorjahr (Vgl. Kiel 11/2022).

Pyro nach dem vermeintlichen 4:0

Besonders viel fackelten die Kieler nochmal in der 68.Minute rum, als Patrick Erras das vermeintliche 4:0 für die Störche erzielte. Aber der VAR hatte auch diesmal eine Abseitsstellung gesehen und nach gut drei Minuten war das Tor wieder annulliert. Zuvor war 96 übrigens just in Unterzahl geraten, weil der in der Pause von Leitl eingewechselte Max Christiansen binnen 20 Minuten zweimal gelbwürdig gefoult hatte. Mit einem 3:0 im Rücken und einem Mann mehr, musste Kiel die Partie nur noch verwalten und durfte nach Abpfiff völlig verdient mit den Fans die vorläufige Tabellenführung feiern.

Deutlich ästhetischer als die hannoversche Darbietung auf dem Rasen

Jojo und ich vereinigten uns unterdessen nach Abpfiff im Eiltempo mit unseren jeweiligen Mitfahrern. Diesmal nahm meine Reisegruppe gerne das Angebot des Shuttles zum Gästeparkplatz an und kurz nach 23 Uhr konnte die Heimreise angetreten werden. Da zumindest ein Teil der Besatzung immer noch durstig war, wurde auch die Rückfahrt relativ kurzweilig. Ins heimatlichen PLZ-Gebiet stießen wir gegen 2:45 Uhr vor und Olbert begann seine Tour von Wohnort zu Wohnort, die ihn letztlich erst zwei Stunden später an die eigene Haustür führen sollte. Nochmal danke für deinen Einsatz als Fahrer und der Krake nochmal Dank für die Überlassung des Fahrzeugs!

Song of the Tour: Besinnliches aus unserer Kiel-Playlist