Milano (Mailand) 01/2023

  • 31.01.2023
  • FC Internazionale – Atalanta BC 1:0
  • Coppa Italia (Quarter-finals)
  • Stadio Giuseppe Meazza (Att: 49.515)

Am 30.Januar sollte mich meine Winterreise von Genève (Genf) nach Milano (Mailand) führen und der Wecker klingelte bereits um 6:30 Uhr. Zwei Stunden später war Abfahrt, doch zunächst einmal wurde sich im Ibis Styles dem im Übernachtungspreis von 110 CHF inkludierten Frühstücksbuffet gewidmet. Die Auswahl war groß und neben Omelette und Kalbsbratwürstchen, fanden auch diverse Schweizer Käsespezialitäten den Weg zu meinem Tisch. Dann noch Müsli und Obstsalat und ich fühlte mich bereit zum Busbahnhof aufzubrechen.

Frühstück in Genève

Ich hatte noch ein bisschen Zeitpuffer an diesem sonnigen Wintermorgen und verbrauchte jenen nun ab 8:00 Uhr am Ufer des Lac Léman (Genfersee). Doch als der gebuchte FlixBus (17,99 €) um 8:25 Uhr an meinem Lungerplätzchen vorbeifuhr, musste ich wohl oder übel den Rucksack aufschnallen und die letzten 250 Meter zum Busbahnhof spazieren. Es folgte eine schöne Fahrt durch die Alpen, bei jener sich der Bus via Chamonix, Courmayeur und Aosta in die Lombardei vorarbeitete. Dabei gehörte meine Aufmerksamkeit nahezu ununterbrochen der vorbeiziehenden und zwischenzeitlich hochalpinen Landschaft.

Unterwegs in den Alpen

Planmäßig um 14:25 Uhr war schließlich die Autostazione di Lampugnano am Stadtrand von Milano erreicht. Es waren von hier noch ein paar Kilometer ins Zentrum. Doch da sich unter dem Busbahnhof eine Metrostation befindet, war ich schnell und günstig (2,20 €) am Hauptbahnhof. In dessen Nähe befand sich nämlich mein gebuchtes B&B Hotel Milano Central Station (***), in welchem ich die nächsten vier Nächte verbringen sollte (86,50 € pro Übernachtung mit Frühstück). Ich wäre natürlich auch gerne mit dem Zug von Genève nach Milano gereist, aber der FlixBus war über 50 € günstiger. Bei dem Preisunterschied gingen der Schiene die Argumente aus.

Mein Bett für vier Nächte

Gegen 15 Uhr bezog ich mein nettes Zimmer nebst Balkon und anschließend suchte ich den Penny nebenan auf. Proviant für die nächsten Tage kaufen. Nachdem auch das erledigt war, ging es an die Abendgestaltung. Heute wäre tendenziell der einzige Reisetag ohne abendliche Sportveranstaltung gewesen und ich gedachte das noch kurzfristig zu ändern. Mit der App von Tutto Campo durchforstete ich die heutigen Ansetzungen im Amateurfußball. Da gab es auf einem Montag tatsächlich einiges. Aber bei der Recherche stellte ich auch fest, dass nicht nur die heutigen Teams alle auf tristen Kunstrasenplätzen ohne Ausbau kicken sollten, sondern dass es Milano generell nur zwei besuchenswerte Stadien zu geben scheint.

Durch das mittelalterliche Stadttor Porta Nuova führte mich der Weg vom Hotel ins historische Stadtzentrum

Das ist krass. Denn wir reden hier immerhin von der mit ca. 1,4 Millionen Einwohnern zweitgrößten Stadt Italiens. Ich hätte behauptet, dass in einer europäischen Millionenstadt immer fünf bis zehn besuchenswerte Stadien stehen. Aber in Milano hat man einfach nur das Überstadion schlechthin in San Siro (ca. 80.000 Plätze) und im Stadtzentrum außerdem die bereits 1807 eröffnete und daher ebenfalls äußerst reizvolle Arena Civica (10.000). Wenn man nicht streng nach Stadtgrenzen geht, kann man außerdem noch das Stadio Ernesto Breda (3.500) im Vorort Sesto San Giovanni in die Liste aufnehmen.

Via della Spiga zur Blauen Stunde

Ihr ahnt es also; mein Abend musste ohne Fußball auskommen. Stattdessen gab es einfach einen ausgedehnten Abendspaziergang durch die Hauptstadt der Region Lombardei. Ich machte mich auf ins knapp 3 km von meiner Unterkunft entfernte Centro Storico und genoss schon mal ein paar der bedeutendsten Bauwerke bei Sonnenuntergang und Blauer Stunde. Nachdem endgültig die Nacht angebrochen war, ging es gegen 18:30 Uhr wieder zurück ins Hotelumfeld. Dort streifte ich ein wenig durch die Zona Buenos Aires, in welcher mich Milano von der Straßenanlage und Architektur tatsächlich ein wenig an meine Sehnsuchtsstadt am Río de la Plata erinnerte. Aber in Buenos Aires gibt es mindestens 20 geile Canchas (Stadien), in Milano nur zwei…

Der Dom bei Nacht

Preiswertes Bife de Lomo würde ich in der Zona Buenos Aires wohl auch nicht finden. Aber ein Abendessen musste natürlich dennoch realisiert werden und ein paar Lokale wirkten ganz einladend. Ich entschied mich für’s Little Italy und ließ mir als Primo die Chitarra alla carbonara zusammen mit einer Aranciata und etwas Brot bringen. Die Pasta war bei diesem Gericht eine wunderbare Allianz mit der sämigen Sauce aus frischem Ei, knusprigem Guancale und geriebenem Pecorino eingegangen. Wirklich sehr lecker, obwohl eine echte Carbonara doch eigentlich mit Kochschinken und Sahne zubereitet wird, oder? 😉

Chitarra alla carbonara

Die Pasta mit der Carbonara wie sie sein muss (und wie man sie in ernstzunehmenden italienischen Restaurants im Ausland natürlich auch zubereitet bekommt), war bereits sättigender als gedacht. Jedenfalls zu sättigend, wenn der Secondo etwas größer als erwartet ausfällt. Es gab nämlich die hiesige Spezialität Cotoletta alla milanese con rucola e pomodorini und vielleicht hätte ich den Beinamen Orecchia di elefante (Elefantenohr) in der Speisekarte ernster nehmen sollen. Nachdem die Hälfte des üppigen Kalbskoteletts in knuspriger Panade verspeist war, wollte ich eigentlich aufgeben. Aber man (oder der Magen) wächst mit den Aufgaben. Zu 96 % bekam ich den Teller auch noch leer und mit Coperto kostete mich das Abendessen am Ende insgesamt 34,50 €.

Cotoletta alla milanese con rucola e pomodorini

Nichts war nun besser als der kleine Verdauungsspaziergang zum Hotel, wo zum Glück erst zwölf Stunden später die nächste Mahlzeit wartete. Ich ging jedenfalls lieber erst um 8:30 Uhr zum Frühstücksbuffet. Dort war die Auswahl groß und jeder Gast (inklusive mir) dürfte etwas Passendes gefunden haben. Aber ich mäkele jetzt trotzdem ein bisschen. Anstatt krossen Bacon, Bratwürstchen oder irgend eine pikante Wurstspezialität, waren Würstchen nach Wiener Art der Begleiter des Rühreis in der Warmtheke. Ferner war der Rohschinken sehr lecker (und Kochschinken, Putenbrust und verschiedene Käse gab es ebenfalls), aber in Milano hätte in meinen Augen Salame Milano als Aufschnitt obligatorisch sein müssen.

Das erste Frühstück in Milano

Doch an die nötigen Kilojoule für die touristischen Aufgaben des Tages bin ich natürlich trotzdem gelangt. Erster Tagesordnungspunkt nach dem Frühstück war die Besichtigung des Duomo di Milano (Mailänder Dom), der eigentlich Basilica cattedrale metropolitana di Santa Maria Nascente heißt. Gegen 10 Uhr stand ich relativ einsam vor dem wohl herausragendsten Bauwerk der Stadt und erwarb ein Kombiticket für den Dom an sich, die archäologische Ausgrabungsstätte und die Krypta unter ihm, das Museo del Duomo nebenan und den Aufstieg zur Dachterrasse der Kathedrale (zusammen 15 €).

Der Dom am Morgen

Ich begann meine Tour im Untergrund und tauchte so auch gleich tief in die Stadtgeschichte ab. Denn Milano geht auf eine antike keltische Siedlung städtischen Typs zurück, die mutmaßlich im 4.Jahrhundert vor Christi Geburt gegründet wurde und 222 v. Chr. von den Römern erobert wurde. Die Römer nannten die Stadt Mediolanum, erhoben sie 286 n. Chr. zu einer ihrer kaiserlichen Residenzstädte und an der Stelle des heutigen Doms befand seinerzeit zunächst ein römischer Tempel, während im Jahre 355 eine frühchristliche Basilika geweiht wurde. Vier Jahrzehnte zuvor (313) hatten der weströmische Kaiser Konstantin I. und der oströmische Kaiser Licinius das Edictum Mediolanense (Mailänder Toleranzedikt) erklärt. Damit wurde allen Untertanen Religionsfreiheit gewährt. Insbesondere zielte die Vereinbarung jedoch auf das Christentum ab, dessen wachsende Anhängerschaft in Ost- wie Westrom endgültig keiner staatlichen Verfolgung mehr ausgesetzt werden sollte und deren Glaube 380 n. Chr. sogar zur Staatsreligion erhoben wurde.

Freigelegte Funde aus frühchristlicher Zeit

Milano war also schon zu römischen Zeiten eine bedeutende Stadt und sollte diesen Status trotz kriegerischer und zerstörerischer Zeiten auch im Frühmittelalter wahren, als zunächst die Langobarden (569) und später die Franken (774) Herrscher der Stadt wurden. Im Hochmittelalter stieg Milano schließlich zur Primatstadt des 1167 gegründeten Lega Lombarda (Lombardischer Städtebund) auf. Der Städtebund vereinte die zuvorderst von mächtigen Patrizierfamilien beherrschten Städte Oberitaliens, die im 12.Jahrhundert um ihre Rechte und Privilegien mit dem römisch-deutschen Kaiser Friedrich I. (HRR) im Konflikt standen.

Mächtiges Deckengewölbe in einem Seitenschiff des Doms

Die oberitalienischen Städte konnten ihre Autonomie innerhalb des Reiches weitgehend durchsetzen und unter Herrschaft der Adelsfamilie Visconti stieg Milano 1395 zum Herzogtum auf und beherrschte weite Teile der Lombardei. Nur wenige Jahre zuvor war der Turm der damaligen Bischofskirche Santa Maria Maggiore eingestürzt und man legte den Grundstein des heutigen Doms (1386). Dieser entwickelte sich für den ersten Herzog Gian Galeazzo Visconti zum Prestigebau. In Unmengen wurde Marmor aus den Steinbrüchen des Val d’Ossola (Ossolatal) in die lombardische Metropole geschifft, um damit die Fassade der nach der Basilica di San Pietro (Vatikan) und der Santa María de la Sede (Sevilla) drittgrößten Kirche der Welt zu verkleiden.

Statue des gehäuteten Heiligen Bartholomäus aus dem Jahr 1562

Auf einer Grundfläche von 12.000 m² erstreckt sich das Bauwerk letztlich mit einer Länge von 158 m, einer Breite von bis zu 93 m und einer Maximalhöhe von 108,5 m (bis zur Spitze ihrer Madonnina gerechnet). Letztlich meint dabei übrigens die 1890er Jahre, als der Dom nach rund 500 Jahren Bauzeit im Prinzip vollendet war (geweiht wurde er bereits 1572). Wobei zeitweise noch bis in die 1960er Jahre kleinere Arbeiten an der Fassade ausgeführt wurden und nun natürlich der Erhalt eines solchen Monumentalbauwerks für permanente Bau- bzw. Restaurationsarbeiten sorgt. Die Dimensionen sind in der Tat außen wie innen beeindruckend. Ungefähr 3.500 Skulpturen schmücken die Fassade, im Inneren geht es kaum weniger prunkvoll zu und bis 35.000 Gläubige sollen im Dom Platz finden.

Maßstabsgetreue Nachbildung der Madonnina im Innenhof des Dommuseums

Natürlich wollte ich mir die Figuren und Türmchen auch mal nächster Nähe anschauen und dafür gegen 11:00 Uhr auf’s Dach. Aber weil es in der Nacht frostig war, war das Dach wegen Glätte noch nicht für Besucher freigegeben. Die Sonne, die mittlerweile für zweistellige Plusgrade sorgte, musste noch ein bißchen was leisten, dann wäre das Dach voraussichtlich ab 13 Uhr begehbar. Deshalb ging’s jetzt erstmal ins Museo del Duomo. Dort kann man sich nochmal intensiv mit der Baugeschichte des Doms auseinandersetzen und ebenfalls etliche der Originalskulpturen aus der Nähe bewundern (die man am Dom dafür mit Kopien ersetzt hat). Auch die sehenswerte Chiesa di San Gottardo in Corte, einstige herzögliche Hofkirche aus dem 14.Jahrhundert, ist Teil des Museumskomplexes.

Santuario di San Bernardino alle Ossa

Ebenfalls nur einen Steinwurf vom Museo del Duomo entfernt, findet man außerdem die Santuario di San Bernardino alle Ossa. Eine Kirche aus dem 13.Jahrhundert, deren Name bereits verrät, dass ein Beinhaus mit menschlichen Knochen zu ihr gehört. Die Schädel der Toten mahnten mich, dass zum Leben die Nahrungsaufnahme natürlich essenziell ist und im nahen Lokal Trafilata speiste ich nun gegen 13 Uhr Pasta zum Mittag. Das Konzept dort ist recht simpel. Man wählt aus ungefähr je einem halben dutzend Nudelsorten und Saucen seine Wunschkombination. In meinem Fall waren das Paccheri und Amatriciana (9,90 €). Für 5 € Aufpreis gab es außerdem noch eine Flasche Wasser, einen Kaffee und ein Dessert (Tiramisu) dazu. Das Lokal wurde von vielen Arbeitnehmern zur Mittagspause genutzt und geschmacklich war es auch in Ordnung. Allerdings gibt es Abzüge für die genutzten Pappteller und Plastikbecher. Das wirkt weder stilvoll, noch nachhaltig.

Paccheri all’Amatriciana

Nach dem Mittagessen ging das touristische Programm weiter. Eigentlich wollte ich mir das Wandgemälde L’Ultima Cena (Das letzte Abendmahl) eines gewissen Leonardo da Vinci anschauen. Aber ich musste traurig feststellen, dass man auch in der Nebensaison das Ticket offenbar Wochen im voraus buchen muss. Zum Glück bot Milano noch genug Alternativen und ich schritt von der Piazza del Duomo erstmal durch die nahe Galleria Vittorio Emanuele II (siehe Titelbild). Die 1867 eröffnete Einkaufsgalerie trägt den Namen des ersten Königs des 1861 geschaffenen Königreichs Italien, während in ihr die Namen einiger der nobelsten Marken der Welt die Ladenlokale zieren. Hier manifestiert sich, dass Milano auch eine der bedeutendsten Modemetropolen der Welt ist.

Piazza dei Mercanti mit dem Palazzo della Ragione

Den Grundstein dafür legte sicher die seit dem Mittelalter ausgeprägte Handelstätigkeit der Milanesi und meine Tour führte mich nun passenderweise zum einstigen mittelalterlichen Handelsplatz Piazza dei Mercanti. Hier steht außerdem seit 1233 der Palazzo della Ragione (welcher früher als Rats-, Justiz- und Marktgebäude diente). Als nächstes schritt ich die von Palais aus dem 18. und 19.Jahrhundert gesäumte Prachtstraße Via Dante ab, die mich wiederum auf direktem Wege zum Castello Sforzesco führte. Diese große und prächtige Schlossanlage wurde ab 1450 im Auftrag von Francesco I. Sforza erbaut. Seines Zeichens der Begründer der noch bis 1535 über das Herzogtum herrschenden Dynastie Sforza.

Castello Sforzesco

Die früher vor allem militärischen Zwecken dienende Anlage widmet sich heute den schönen Künsten. Sie beherbergt mehrere städtische Museen, Sammlungen und Bibliotheken. Will man alles sehen, muss man wahrscheinlich einen ganzen Reisetag investieren. Ich entschied mich dazu nur die Pinacoteca zu besuchen (5 €). Sie bot mir über 200 Gemälde von alten Meistern der Renaissance und des Manierismus wie Tizian, Tintoretto und Correggio. Ferner schließt sich an das Schloss mit dem Parco Sempione noch eine große Parkanlage an, in jener ich den Spätnachmittag verbrachte. Dort kann man u. a. die eingangs erwähnte Mehrzwecksportanlage Arena Civica und den Triumphbogen Arco della Pace bewundern.

Die Arena Civica

Beide Bauwerke wurden von Napoleon Bonaparte angestoßen, der sich 1805 im Duomo di Milano auch zum König von Italien hat krönen lassen. Bereits zwei Jahre später war die Arena fertig, die in den 1930er und 1940er Jahre teilweise auch Heimstätte der Fußballclubs Inter und AC wurde. Der Triumphbogen wurde dagegen erst 1838 vollendet, als Napoleon schon lange tot war und die Habsburger über weite Teile Norditaliens herrschten (Königreich Lombardo-Venetien). Er wurde nun auch nicht mehr Napoleons Triumph über Italien im Jahre 1805 gewidmet, sondern lieber dem Frieden von 1815 und damit zugleich Napoleons Niederlage.

Arco della Pace

Als mein Schloss- und Parkrundgang vollendet war, zeigte das Display meines Smartphones bereits 17:11 Uhr an. Jetzt ging es zügig zurück zum Dom, auf dessen Dach ich gegen 17:30 Uhr den Sonnenuntergang genießen wollte. 200 Stufen waren zu überwinden, ehe ich auf Tuchfühlung mit dem gigantischen Geflecht von Pfeilern, Zinnen, Figuren und Fialen gehen konnte und zugleich das Panorama der Metropole in alle vier Himmelsrichtungen bewundern durfte. Hier oben kommt man der bereits der erwähnten Madonnina auch am nächsten, die auf dem höchsten Fialtürmchen thront und zugleich Namensgeber des hiesigen Fußballderbys Inter vs. AC ist (Derby della Madonnina).

Die Fialen des Doms aus der Nähe

Jenes traditionsreiche Derby sollte übrigens kommenden Sonntag seine 235.Auflage in einem Pflichtspiel finden. Doch die Preise der noch verfügbaren Karten waren leider jenseits meines Budgets (ab 395 €) und an erschwingliche Angebote auf dem Schwarzmarkt wollte ich auch nicht glauben. Da nahm ich doch lieber mit der heutigen Partie des FC Internazionale gegen die Atalanta aus Bergamo vorlieb. Für dieses Pokalviertelfinale, welches auch einen gewissen Derbycharakter auswies, wurden auf der Gegengerade des Stadio Giuseppe Meazza gerade mal 10 € verlangt. Und Sonntag würde ich dann in Firenze die Fiorentina im prestigeträchtigen Duell gegen den Bologna FC anschauen.

Ausblick vom Dach des Doms

Ich spazierte nun abermals ein wenig durch’s nächtliche Centro Storico, holte mir ein paar Panzerotti mit Tomaten-Mozzarella-Füllung auf die Faust und dann ging es gegen 20 Uhr mit der Metro raus nach San Siro, wo um 21 Uhr angepfiffen werden sollte. Weil ich auf der Gegengerade im oberen Rang saß, hatte ich nun nochmals ungefähr 200 Stufen zu meistern (am letzten Tag des Januars wurden mit 37 Stockwerken und 28,1 km bzw. 36.876 Schritten übrigens vorläufige Jahresbestwerte erlaufen). Als ich meinen Platz gute 20 Minuten vor Anpfiff einnahm, sah ich ein doch ganz gut gefülltes Stadion. Fast 50.000 Karten waren verkauft worden und aus Bergamo waren natürlich auch einige Gästefans angereist.

Das Meazza macht zu jeder Tageszeit eine gute Figur

Leider legten die Bergamaschi optisch und akustisch einen sehr gedämpften Auftritt hin. Das lag natürlich an den heutigen Auflagen. Das Osservatorio Nazionale sulle Manifestazioni Sportive (Italiens Nationale Beobachtungsstelle für Sportereignisse) hatte festgelegt, dass bei diesem Risikospiel nur registrierte Fans mit der Dea Card aus Bergamo an Tickets kommen können. Die Dea Card ist im Prinzip nichts anderes als eine Tessera del Tifoso und eine solche hat die Ultraszene aus Bergamo immer konsequent abgelehnt. Zumal die Dea Card alle Fans exkludiert, die in den letzten fünf Jahren Stadionverbot hatten, wegen Straftaten im Fußballzusammenhang verurteilt wurden, unter präventiver Polizeibeobachtung stehen oder gegen die Stadionordnung verstoßen haben. Auch wenn die Dea (Göttin) ihren Fans in den letzten Jahren die wohl erfolgreichste Phase der Vereinsgeschichte serviert, werden alle Spiele mit der Dea Card als Auflage von der Szene boykottiert.

Die Curva Nord am heutigen Abend

Jene Szene hatte nebenbei in jüngerer Vergangenheit eine große Zäsur erfahren. Im September 2021 hatte sich die führende Gruppe Dell’Atalanta Supporters 1907 der Curva Nord nach 23 Jahren aufgelöst. Die Gründe lasen sich damals etwas kryptisch und unkonkret, aber Repression und Kommerz klangen natürlich an. Als größte Niederlage nannte die Gruppe in ihrer Auflösungserklärung jedoch, dass sie es nicht geschafft haben ihren charismatischen Capo Claudio Galim­berti zurück ins Stadion zu bekommen. Galimberti, genannt Il Bocia, hatte die Gruppe mitgegründet und die Fankultur in Bergamo maßgeblich geprägt. Zugleich wurde er als Kopf der Kurve massiv von der italienischen Justiz verfolgt und hat glaube ich seit über 10 Jahren kein Stadion mehr betreten können.

Der Gästesektor

Inters Nordkurve war dagegen gut aufgelegt. Die führenden Gruppen der hiesigen Curva Nord hatten gerade erst vor vier Wochen beschlossen, dass man sich fortan gemeinsam hinter einem großen Banner mit der Aufschrift „CURVA NORD MILANO 1969“ versammelt. Die bedeutenden Gruppen wie Boys San, Viking oder Irriducibili bleiben zwar alle bestehen, treten jedoch optisch etwas in den Hintergrund. Man möchte enger zusammenwachsen und eine neue Ära auf der Nordtribüne des Stadio Giuseppe Meazza einläuten. Der heutige Auftritt wusste jedenfalls zu gefallen und ein bisschen schien man sich auch schon für`s kommende Derby einzusingen. Es war der ein oder andere Gruß an den Stadtrivalen zu vernehmen.

Blick auf die Süd

Sportlich lief die Generalprobe für kommenden Sonntag auch ganz gut. Nach einer chancenarmen ersten Hälfte, legte Weltmeister Lautaro Martínez seinem Mitspieler Matteo Darmian in der 57.Minute das 1:0 auf. Es sollte das einzige Tor des Abends bleiben. Aber hier in San Siro brauche ich eigentlich auch gar keine großen Fußballfeste. Ich kann mich zur Not auch zwei Stunden am Stadion satt sehen. Denn für mich ist es zweifelsohne eines der schönsten Stadien der Welt und zugleich mit den prägenden Kindheitserinnerungen an die WM 1990 verbunden. Damals gingen der Fußball und ich eine Beziehung ein, die bis heute anhält und meine Biographie der letzten 33 Jahre geprägt hat wie sonst vielleicht nur die innige Beziehung zu meinem ebenfalls 1990 geborenen Bruder.

Das sich leerende Meazza

Deutschland vs. Jugoslawien am 10.Juni 1990 ist das erste Fußballspiel an das ich mich detailliert erinnern kann und die markanten Türme des für dieses Turnier modernisierten und ausgebauten Stadio Giuseppe Meazza sind Teil dieser Erinnerungen. Deutschland sollte noch vier weitere WM-Spiele in diesem Stadion austragen, ehe der Weg zum WM-Titel sie im Halbfinale und im Finale nach Turin und Rom führen sollte. Aber am Ende hatte ich 1990 nicht nur alle deutschen Spiele gesehen, sondern nahezu jede übertragene WM-Ansetzung am TV verfolgt. Schön, dass ich auf dieser Italientour nicht nur nochmals das Meazza besuche, sondern auch endlich die damaligen WM-Stadien in Firenze und Verona kreuzen werde. Eigentlich ist es eine Schande, dass ich nicht schon längst alle noch existierenden italienischen WM-Stadien von 1990 besucht habe. Andererseits schön, dass der Fußball mir auch für die nächsten 33 Jahre genug zum Abarbeiten bieten wird.

Die markanten Rundtürme des Traumstadions

Am Ende war ich ganz froh, dass Atalanta keine Verlängerung erzwingen konnte und ich nach einer letzten Fotorunde durch’s sich leerende Stadion relativ zeitig zurück ins Hotel und damit ins Bett kommen würde. Zwar ließen die Drehkreuze an der Metrostation immer nur alle paar Minuten circa 400 Menschen passieren. Aber nach vier dieser Durchgänge war ich schließlich auch durch und letztlich um kurz nach Mitternacht in den Federn, wo ich dank der bereits erwähnten Bewegungsstatistik auch schnell vom Traumstadion ins Stadium der Träume entschwand.

Song of the Tour: Noch ein bißchen Nostalgie